Diese Arbeit beschreibt schwerpunktmäßig strukturelle und kulturelle Aspekte der italoamerikanischen Mafia, mit starker Einbeziehung von „Tatsachenberichten“ ehemaliger Mafiosi. In den USA gibt es mittlerweile eine ganze Reihe (Auto-)Biografien einstiger Mafiamitglieder. In der vorliegenden Arbeit finden insbesondere drei Memoiren Eingang: Erstens, die von PETER MAAS verfaßte Lebensgeschichte des Mafioso SALVATORE „SAMMYTHEBULL“ GRAVANO, der in der GAMBINO Familie bis zum Underboss aufstieg, bis er 1990 verhaftet wurde und als Kronzeuge vor Gericht gegen die Mafia aussagte [Maas: 342 ff.]. Zweitens, der „Tatsachenbericht“ von JOSEPH DONALD PISTONE, einem ehemaligen FBI- Geheimagenten, der unter dem Decknamen DONNIE BRASCO die BONANNO Familie infiltrierte und so Beweise sammelte, die zu über hundert Verurteilungen führten [Pistone: 10]. Und drittens, die im Jahr 2004 publizierte Lebensgeschichte von FRANK SAGGIO, einem Ex-Mafia assoziierten, der für alle fünf New Yorker Familien arbeitete.
Jedoch kann man zu Recht den Erkenntnisgewinn aus diesen Memoiren anzweifeln. „Es gilt als sicher, dass jeder der Aussteiger übertreibt bzw. diejenigen Dinge verschweigt, die gegen die Gewährleistung von Immunität sprechen könnten“ [Neumahr: 33] oder, wie in PISTONES Fall, dem Ansehen seiner Person und des FBI generell schaden könnten.
Selbst was die wissenschaftliche Literatur bezüglich der Cosa Nostra angeht, bleiben Zweifel über die Verlässlichkeit der Informationen. „Vieles was eigentlich nur vermutet wird, ist so formuliert, als habe es sich erwiesen. Während ein Autor den anderen zitiert, (...) entsteht der Eindruck, bestimmte Annahmen hätten sich im Laufe der Zeit bestätigt“ [Neumahr: 35].
Auch ALMOG, der sich mit der Geschichte jüdischer Krimineller in den USA auseinandersetzte, merkt dazu an: “Die Schwierigkeit bei der Rekonstruktion der Geschichte der jüdischen Gangster in den USA liegt vor allem in dem Mangel an nachweisbaren, exakt dokumentierten Ereignissen.
Inhalt
Einleitung
1 Begriffe: Organisierte Kriminalität, Mafia und La Cosa Nostra
1.1 Organisierte Kriminalität
1.2 Mafia
1.3 La Cosa Nostra
1.4 Begriffsverwendungen
2 Die Organisationsstruktur
2.1 Das hierarchische Organisationsmodell
2.1.1 Die Nationalkommission
2.1.2 Die Führungsebene
2.1.3 Die Managementebene
2.1.4 Die Exekutivebene
2.1.5 Die Assoziierten
2.1.6 Zwischenfazit
2.2 Das Patron-Klient – Strukturmodell
2.3 Bewertung der beiden Strukturmodelle
3 Kultur der Cosa Nostra
3.1 Mitgliedschaft
3.1.1 Mitgliedschaftsvoraussetzungen
3.1.2 Das Ritual
3.2 Werte
3.2.1 Ehre
3.2.2 Omertà
3.3 Normen und Regeln
3.3.1 Gehorsam und Respekt
3.3.2 Auskunftspflicht
3.3.3 Offenlegung der Geschäfte
3.3.4 Respekt vor Eigentum
3.3.5 Finanzielle Abgaben
3.3.6 Vorstellung
3.3.7 Diskretion und Neugier
3.3.8 Vermeidung von Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit
3.4 Gewalt und Mord
4 Fazit und Ausblick
Literatur 36 Versicherung
Einleitung
Diese Arbeit beschreibt schwerpunktmäßig strukturelle und kulturelle Aspekte der italo-amerikanischen Mafia, mit starker Einbeziehung von „Tatsachenberichten“ ehemaliger Mafiosi. In den USA gibt es mittlerweile eine ganze Reihe (Auto-)Biografien einstiger Mafiamitglieder.[1] In der vorliegenden Arbeit finden insbesondere drei Memoiren Eingang: Erstens, die von Peter Maas verfaßte Lebensgeschichte des Mafioso Salvatore „Sammy the Bull“ Gravano, der in der Gambino Familie bis zum Underboss aufstieg, bis er 1990 verhaftet wurde und als Kronzeuge vor Gericht gegen die Mafia aussagte [Maas: 342 ff.]. Zweitens, der „Tatsachenbericht“ von Joseph Donald Pistone, einem ehemaligen FBI- Geheimagenten, der unter dem Decknamen Donnie Brasco[2] die Bonanno Familie infiltrierte und so Beweise sammelte, die zu über hundert Verurteilungen führten [Pistone: 10]. Und drittens, die im Jahr 2004 publizierte Lebensgeschichte von Frank Saggio, einem Ex-Mafiaassoziierten, der für alle fünf New Yorker Familien arbeitete.
Jedoch kann man zu Recht den Erkenntnisgewinn aus diesen Memoiren anzweifeln. „Es gilt als sicher, dass jeder der Aussteiger übertreibt bzw. diejenigen Dinge verschweigt, die gegen die Gewährleistung von Immunität sprechen könnten“ [Neumahr: 33] oder, wie in Pistones Fall, dem Ansehen seiner Person und des FBI generell schaden könnten.
Selbst was die wissenschaftliche Literatur bezüglich der Cosa Nostra angeht, bleiben Zweifel über die Verlässlichkeit der Informationen. „Vieles was eigentlich nur vermutet wird, ist so formuliert, als habe es sich erwiesen. Während ein Autor den anderen zitiert, (...) entsteht der Eindruck, bestimmte Annahmen hätten sich im Laufe der Zeit bestätigt“ [Neumahr: 35].
Auch Almog, der sich mit der Geschichte jüdischer Krimineller in den USA auseinandersetzte, merkt dazu an: “Die Schwierigkeit bei der Rekonstruktion der Geschichte der jüdischen Gangster in den USA liegt vor allem in dem Mangel an nachweisbaren, exakt dokumentierten Ereignissen. Was in der Unterwelt tatsächlich geschah, ist von zahllosen Mythen und Legenden umwoben. Speziell die amerikanischen Chronisten neigen zu Übertreibungen [Almog: 25]. Und nochmals der gleiche Autor: “Trotz unseres Bemühens um Authentizität können wir keine Garantie für den Wahrheitsgehalt in allen Details der Darstellungen übernehmen. Zu diffus, zu widersprüchlich und spekulativ sind in vielen Fällen die Quellen und Überlieferungen [Almog: 35f.]. Diesen Ausführungen, möchte sich der Verfasser dieser Arbeit ausdrücklich anschließen, denn bei sämtlichen Quellen besteht die Gefahr, eventuell vorhandene Fehldeutungen zu übernehmen. Eine wesentliche Aufgabe dieser Arbeit besteht folglich darin, diejenigen Informationen herauszuselektieren, die weitgehend frei von oben genannten Mängeln erscheinen. Mögliche Vermutungen und Spekulationen werden, soweit erkannt, ausdrücklich gekennzeichnet oder entsprechend formuliert.
Inhaltlich setzt sich die vorliegende Arbeit folgendermaßen zusammen:
Im ersten Kapitel soll geklärt werden, was man unter Organisierter Kriminalität, Mafia und Cosa Nostra versteht und warum es wichtig ist, diese Begrifflichkeiten zunächst getrennt voneinander zu betrachten.
Im zweiten Kapitel wird die Frage der Organisationsstruktur der Cosa Nostra, über die vielfach gestritten wird, genauer unter die Lupe genommen. Zwei der hierbei diskutierten Strukturmodelle werden herangezogen und bewertet.
Im dritten Kapitel werden einige kulturelle Aspekte der Cosa Nostra vorgestellt. Welche Rituale, Normen, Werte und Regeln gibt es und welche funktionale Bedeutung haben diese für das System? Außerdem soll die Frage der Gewaltfunktion in der Cosa Nostra beantwortet werden, die vielfach als integraler Bestandteil betrachtet wird.
Im vierten Kapitel werden abschließend die Ergebnisse zusammengefaßt und ein Fazit gezogen, sowie weiterführende Betrachtungen angeregt.
Geographisch erstrecken sich die Ausführungen schwerpunktmäßig auf den Großraum New York, dem Machtzentrum und der Operationsbasis der fünf großen Familien („The Big Five“) der Cosa Nostra. Diese sind die Genovese-, Lucchese-, Colombo-, Gambino- und Bonanno-Familie. Vornehmlich werden, aufgrund der gewählten Memoiren, auf die Merkmale der letzten beiden genannten Familien eingegangen. Zeitlich beschränkt sich die Arbeit, aus gleichem Grund, weitestgehend auf die 70er und 80er Jahre.
1 Begriffe: Organisierte Kriminalität, Mafia und La Cosa Nostra
Die Mafia ist heute weltweit für die breite Öffentlichkeit der Prototyp „Organisierter Kriminalität“ per se [Paoli:9]. Unter dem Begriff „Mafia“ subsumiert man im Allgemeinen Machenschaften am Rande der Legalität, Bedrohung, Gewalt und Verbrechen. So werden Mafia und Organisierte Kriminalität oftmals synonym verwendet, sind aber in Wahrheit nur partiell deckungsgleich. Für das weiterführende Verständnis ist es notwendig die Begriffe über dieses gängige Verständnis hinaus zu konkretisieren.
1.1 Organisierte Kriminalität
Der Terminus ´Organisierte Kriminalität` ist ein relativ neuer Begriff. Erstmals geprägt wurde er in den USA, wo man in Chicago im Jahr 1919 begann, von „organized crime“ zu sprechen [Lampe 1999: 26]. Der Begriff hat seitdem zahlreiche, verschiedene Bedeutungszuschreibungen bzw. -schwerpunkte erhalten.[3] Sieht man die Diskussion über Organisierte Kriminalität in ihrer Gesamtheit an, so stößt man auf drei verschiedene Grundverständnisse vom Wesenskern Organisierter Kriminalität [Lampe 2000]. Nach einer frühen Auffassung beschränkte sich das Vorstellungsbild von „Organisierter Kriminalität“ auf bestimmte Delikte, namentlich das routinemäßige Anbieten von illegalen Gütern und Dienstleistungen (insbesondere der Vertrieb von Alkohol während der Prohibition 1920 bis 1933). Eine andere Auffassung betont die Organisiertheit von Straftätergruppierungen. Demnach soll von Organisiertem Verbrechen dann die Rede sein, wenn sich kriminelle Elemente zu Organisationen zusammengeschlossen haben. Eine dritte Sichtweise kümmert sich weder um die kriminellen Aktivitäten, noch den Grad der Organisiertheit von Straftätern, sondern um die Verflechtung legaler und illegaler Strukturen. Von organisierter Kriminalität soll demnach nur die Rede sein, wenn Kriminelle und Inhaber von Positionen innerhalb legaler Institutionen der Gesellschaft miteinander in einem korrupten System verwoben sind [Lampe 2000].
Unabhängig von der Perspektive hat man es mit dem Begriff per definitionem immer mit illegalen Machenschaften zu tun.
1.2 Mafia
Mafia ist ihrem Ursprung nach ein italienisches Phänomen. In der neueren Debatte verliert aber das Wort „Mafia“ seine Herkunftsbedeutung und wird vielmehr zum Synonym für eine große Bandbreite krimineller Gruppierungen und Personen: In der Presse wird heutzutage häufig etwa von der russischen, der albanischen, der polnischen Mafia gesprochen [Paoli: 10].
Um die Etymologie des Wortes „Mafia“ kursieren verschiedene Ansichten und Geschichten. Mehrere Autoren leiten es von dem arabischen Wort „mahias“ ab, was soviel wie „Prahlhans“, „dreister Kerl“ heißt, oder von „Ma Afir“, dem Namen eines sarazenischen Stammes, der Siziliens Hauptstadt Palermo beherrschte [Hess: 2]. Andere wiederum verlegen die Entstehung der Mafia in die Zeit der französischen Besatzung Siziliens. Demnach sei Mafia aus den Anfangsbuchstaben eines Wahlspruches einer Gruppe national gesinnter Männer entstanden, welcher lautete: „Morte alla Francia, Italia anela!“ - Frankreich den Tod, keucht Italien! [Hess: 4]. Der frühere Cosa Nostra Familienboss Joseph Bonanno sieht den Ursprung des Wortes, ebenfalls in der Zeit der französischen Herrschaft über Sizilien, jedoch unter anderen Bedingungen. Als er ein kleiner Junge war, erzählte man ihm, dass sich ein französischer Soldat an einer jungen sizilianischen Frau vergangen hätte und deren verzweifelte Mutter, auf der Suche nach der Tochter, mit den Worten Ma Fia! Ma Fia! (zu Deutsch: Meine Tochter) durch die Straßen gerannt sei [Ceremony, Introduction: xii].
Die zahlreichen Ansichten zeigen, dass der Ursprung des Wortes nicht mehr eindeutig zurückverfolgt werden kann.[4]
Was man heute in Italien unter Mafia versteht, sind im Wesentlichen drei stabile Organisationen – die sizilianische Mafia („Cosa Nostra“), die „Ndrangheta“ im südlichen Kalabrien und die „Camorra“ in der Gegend um Neapel [Paoli: 2]. Alle drei entstanden im Umfeld von ländlicher Armut, waren geprägt von tiefem Misstrauen gegenüber der staatlichen Autorität, bildeten eine Art lokale Gegenmacht zum schwachen italienischen Staat und regulierten auf diese Weise das gesellschaftliche Leben Italiens [Hess: 16 ff.].
Bevor das Wort „Mafia“ jedoch genutzt wurde, um eine Form von krimineller Unternehmung oder gar bestimmte Organisationen zu beschreiben, bedeutete es nicht mehr als eine bestimmte Verhaltensweise, eine Art Macht. Es bedeutete soviel wie Schönheit, Ehrenhaftigkeit und Rechtschaffenheit, mit einem Beiklang von männlicher Haltung und Mut. Das Adjektiv „mafioso“ hatte also ursprünglich eine positive Konnotation [Hess: 8 ff.]. Ein Mann, der als „mafioso“ bezeichnet wurde, war in der Lage sich Respekt zu verschaffen und war mutig und stark genug sich für jede Beleidigung seiner Person oder seines Umfelds, wie z.B. seiner Familie, ohne die Inanspruchnahme des Staates zu rächen. Er verfügte über Einfluss und Beziehungen und war daher ein angesehener Mann. Mafia ist demnach in ihrem ursprünglichen Sinne keine Organisation, nicht mal ein Subjekt, sondern die Beschreibung eines bestimmten, nämlich des mafiosen Verhaltens.
In einem ähnlichen Sinne wird in dieser Arbeit auch der Begriff „Mafia“ bzw. das Adjektiv „mafioso“ verwendet. Ist von „Mafia“ die Rede, so meint dies, entsprechend dem heutigen Verständnis, eine Organisation.[5] „Mafioso“ bezeichnet ein Mitglied dieser Organisation. Das Adjektiv „mafios“ wird nicht mehr mit der ursprünglich positiven Konnotation belegt, es beschreibt aber lediglich eine bestimmte Art von Verhalten, Einstellung, Lebensweise oder Methode, die in den meisten Fällen, aber nicht zwingend kriminell sind.
1.3 Die amerikanische ´Cosa Nostra`
La Cosa Nostra (zu Deutsch: „Unsere Sache“) hat ihre Wurzeln in den mafiosen Strukturen Italiens, insbesondere Siziliens. Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wanderten zahlreiche Italiener, viele davon aus Süditalien in die Vereinigten Staaten aus [Reppetto: 19]. Darunter fanden sich auch Angehörige krimineller Gruppierungen, denen es gelang ihre kriminellen Tätigkeiten in den USA fortzusetzen. In den entstehenden italienischen Vierteln der amerikanischen Großstädte, schlossen sie sich bald zu eigenen autonomen Gruppen zusammen – noch heute gibt es in jeder amerikanischen Großstadt ein „Little Italy“ - um sich einerseits gegen andere gewaltbereite Gruppierungen, z.B. irischen Banden, effektiv zur Wehr zu setzen und andererseits um eigene kriminelle Unternehmungen zu ermöglichen. Dies war die Zeit der New Yorker Bandenkämpfe um die lokale Vorherrschaft über bestimmte Ressourcen. Waren anfangs die eigenen Landsleute Ziel der italienischen Kriminellen (vor allem Schutzgelderpressungen und die Vermittlung von Arbeit gegen unverhältnismäßige Provisionen), konnten sie ihre Tätigkeiten im Laufe der Jahre, auch dank der großen Gewinne in der Prohibitionszeit (1920-1933), auf eine Vielzahl legaler und illegaler Geschäfte ausweiten [Reppetto: 91 ff.].
Die Cosa Nostra schließlich, soll aus einem nationalen Bandenkrieg, dem sog. „Castellemarese-Krieg“, in den dreißiger Jahren entstanden sein, nach dessen Ende sich die einzelnen Gruppen, welche sich selbst als „Familien“ bezeichneten, zu einem nationalen Bündnis - zu „Unserer Sache“ zusammenschlossen.[6] Der erste, der davon berichtete und auch den Begriff „La Cosa Nostra“ zum ersten Mal öffentlich verwendete, war Joseph Valachi, ein verurteilter Drogendealer, der um einer weiteren Verurteilung wegen Mordes zu entgehen, bereit war, vor dem McClellan Komitee[7] (1963) auszusagen [Neumahr: 114]. Er war bis dahin der erste „Insider“, der öffentlich über die Organisation und die Geschichte des Organisierten Verbrechens in New York berichtete. So sagte Valachi, dass eine über die ganze Nation verbreitete kriminelle Organisation, genannt „La Cosa Nostra“ existiere; den Namen ´Mafia` habe er aber nie gehört. Die Cosa Nostra, so Valachi weiter, bestehe aus 24 Familien, die das Organisierte Verbrechen in ihren jeweiligen Territorien kontrollieren und durch eine, in New York ansässige Kommission, die sich aus einzelnen Familienbossen zusammensetzt, bestimmt werden [Neumahr: 115].
Damit sollte die, in der Bevölkerung, bei den Medien und in der Wissenschaft, schon vorher weit verbreitete Annahme, dass der Großteil des Organisierten Verbrechens durch eine landesweite, von außen kommende Verschwörung, genannt „Mafia“, kontrolliert und beherrscht wird,[8] durch Valachi ihre Bestätigung finden [Neumahr: 111 ff.]. Diese als „alien conspiracy“ bezeichnete Theorie wurde allerdings seit den 60er Jahren von der Mehrheit der amerikanischen Sozialwissenschaftler zurückgewiesen und erwies sich letztlich auch als nachweislich empirisch falsch [Paoli: 10]. Neu war die von Valachi detailliert geschilderte Hierarchie, und überhaupt, das Eingestehen der Existenz einer landesweit operierenden, kriminellen Organisation. Genau dies wurde von Edgar J. Hoover, dem damaligen FBI Direktor immer geleugnet [Saggio: 4; Maas: 188; Pistone: 147].
Hatte man bisher immer von der „Mafia“ gesprochen, so nahm man seit Valachi an, der Begriff sei mit dem Wort „Cosa Nostra“ deckungsgleich [Albanese: 79]. Andere Autoren fanden in der Cosa Nostra den Ausdruck, für die Transformation von der traditionellen Mafia in Italien zu einer mehr oder weniger komplexen Organisation in den USA, deren auffallende Charakteristika gewisse bürokratische Züge seien, und mit einem auf Profit ausgerichteten Unternehmen vergleichbar wäre [Anderson 1965]. Andere Autoren distanzierten sich jedoch seit den 70er Jahren von der Vorstellung der straff geführten Organisation und bevorzugten ein Konzept, das lediglich auf informellen Beziehungen in sozialen Netzwerken beruht. Demnach gäbe es keine kriminelle Geheimorganisation, sondern lediglich lose strukturierte Beziehungen, innerhalb derer jeder für sich selbst seine Gewinne erzielen könne [Albini 1971; Ianni 1972]. Damit orientierten sie sich an den Ausführungen von Hess hinsichtlich der sizilianischen Mafia: „Mafia ist keine Organisation, keine Geheimgesellschaft, sondern eine Methode“ [Hess: 134].
1.4 Begriffsverwendungen
Mafia und Cosa Nostra werden in dieser Arbeit synonym verwendet, aber von dem Begriff Organisierter Kriminalität getrennt. Wenn von amerikanischer Mafia die Rede ist, dann meint dies ausschließlich die Cosa Nostra und nicht etwa andere, in den Vereinigten Staaten operierende Organisationen, die ebenso als „mafios“ bezeichnet werden, wie z.B. die „Russische Mafia“. Begriffsverwechslungen ergeben sich häufig, aufgrund der Tatsache, dass sich die sizilianische Mafiaorganisation ebenso Cosa Nostra nennt. Der Term scheint aber eine amerikanische „Erfindung“ zu sein, welcher von Remigranten nach Sizilien transportiert wurde [Dost: 93]. Damit keine unnötigen Verwirrungen entstehen, wird Cosa Nostra hier nur für die amerikanische Variante gebraucht und die in Sizilien beheimatete Mafia auch als solche bezeichnet.
Weitere Namen für die Cosa Nostra sind: „Mob“, „Outfit“ oder das „Syndikat“. Die einzelnen Gruppen, aus denen sich die Cosa Nostra zusammensetzt, werden als Familien bezeichnet. Ihre Mitglieder nennen sich selbst auch „made men“, „mobsters“, „wiseguys“ oder „Legitimierte“.
2 Die Organisationsstruktur
Wie bereits in Kapitel 1.3 erwähnt, wird über die Struktur der Cosa Nostra kontrovers diskutiert. Während die einen von streng durchorganisierten Hierarchien ausgehen, sehen andere nur lose Verbindungen zwischen den Mitgliedern [Reuter: 102]. Zwei scheinbar konkurrierende Modelle stehen dabei im Mittelpunkt der Strukturdebatte.
a) das hierarchische Strukturmodell
b) das Patron-Klient Strukturmodell
2.1 Das hierarchische Strukturmodell
Die Cosa Nostra wird vielfach als mächtiges, zentral kontrolliertes, hoch organisiertes und eigenständiges Gebilde charakterisiert. Dieser Abschnitt soll prüfen, ob man die Cosa Nostra tatsächlich als eine solch hierarchisch strukturierte, nationale Organisation begreifen kann.
Valachi, Gravano, Pistone und Saggio berichten von festen hierarchischen Strukturen mit einem Boss, einem Underboss, einem Consigliere (Berater), mehreren Captains/Leutnants/Caporeginas und zahlreichen Soldaten [Neumahr: 115; Maas 108; Ceremony: ix; Pistone: 157]. Unterhalb der Soldaten, stehen gewöhnlich noch deren Angestellte (Assoziierte), die keine Mitglieder der Familie sind, und im Gegensatz zu den echten Mitgliedern, auch nicht italienischer Abstammung sein müssen. Über jeder Familie steht noch eine Nationalkommission, die in der Öffentlichkeit vielfach als Steuerungszentrale der Cosa Nostra gedeutet wurde. Nach Pistone gab es in den fünf New Yorker Familien zu seiner Zeit, ungefähr je 200 Mitglieder und zehnmal so viele Assoziierte [Pistone: 153]. Bei der von Valachi behaupteten Anzahl von insgesamt 24 Familien, macht das eine Gesamtanzahl von ca. 4800 Mitgliedern landesweit.
2.1.1 Die Nationalkommission
Die Existenz einer, den einzelnen Familien übergeordneten Nationalkommission, bestehend aus den Bossen der führenden Familien, wurde erstmals durch Valachi öffentlich bekannt. Erste Anzeichen einer solchen Einrichtung gab es aber bereits 1957, mit dem berühmt gewordenen Treffen der Bosse in Apalachin, New York, das von der Polizei gesprengt wurde [Neumahr: 114; Maas: 45, 132 f.; Saggio: 5]. Über den Sinn dieses Treffens waren sich die Behörden aber nicht klar. Es wurde lediglich registriert, dass eine Ansammlung mächtiger italo-amerikanischer Gangster eine Zusammenkunft gesucht hatte.
[...]
[1] Eine kleine Auswahl dieser Memoiren (in Klammern finden sich die Namen der beschriebenen Personen): Hoffman/Headley: „Contract Killer, The Explosive Story of the Mafia´s Most Notorious Hit Man”, New York 1992 (Tony Frankos); Anastasia: „Blood and Honour, Inside the Scarfo Mob – The Story of the Most Violent Mafia Family”, New York 1991 (Nick Caramandi); Cantalupo: “Body Mike, The Deadly Double Life of a Mob Informer” New York 1990 (Joseph Cantalupo); Bonanno: “ A Man of Honour”, New York 1983 (Joe Bonanno); Maas: “The Valachi Papers”, New York 1968 (Joseph Valachi)
[2] Sein Buch wurde unter gleichnamigen Titel mit Johnny Depp als Donnie Brasco und Al Pacino als Angelo „Lefty“ Ruggiero 1997 verfilmt.
[3] Um den Terminus „organized crime“ herrscht bis heute alles andere als Einigkeit. Einen detaillierten Einblick in verschiedene Perspektiven und Definitionen bietet z.B. Neumahr, S. 37 ff.
[4] Die Ansichten über den Ursprung und die Entstehung der Mafia sind mit damit noch lange nicht erschöpft, vgl. Hess: 2 ff.; Abadinsky: 14 ff.
[5] Inwiefern Mafia eine Organisation ist, wird noch zu klären sein, vgl. insbesondere Kapitel 2.3, S. 16
[6] Vgl. zur Entstehung der Cosa Nostra auch Repetto 148 ff., Maas: 44, Saggio: 29; Obwohl der „Castellemarese-Krieg“ in nahezu jeder Mafia Historie fester Bestandteil ist, merkt Neumahr unter Bezugnahme von unabhängig durchgeführten Studien in den späten 70er und 80er Jahren an, dass in diesen keine Beweise für einen vermeintlichen nationalen Bandenkrieg in den dreißiger Jahren erbracht werden konnte. Vgl. Neumahr, S. 119
[7] U.S. Senate Committee on Government Operations Permanent Subcommittee on Inverstigations – benannt nach dem Vorsitzenden Senator McClellan, vgl. Neumahr: 114
[8] Vor allem aufgrund der Kefauver Anhörungen 1951, dem Apalachin Treffen 1957 und schließlich der Aussage von Valachi 1963, vgl. Neumahr: 111 ff.
- Citation du texte
- Eduard Drahomeretski (Auteur), 2005, DIE AMERIKANISCHE COSA NOSTRA. Eine Untersuchung struktureller und kultureller Aspekte unter Berücksichtigung ausgewählter Memoiren ehemaliger Mafiosi., Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/48826
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