Was passiert, wenn gewagt wird, die Notwendigkeit der Erziehung, egal um welche Form es sich dabei handelt, in Frage zu stellen und nicht nach dem "Wie soll erzogen werden" gefragt wird, sondern "Ist es überhaupt nötig zu erziehen"?
Woher nehmen Eltern die Sicherheit zu wissen, was für ihre Kinder am Besten ist und warum müssen sie die volle Verantwortung für sie übernehmen?
Sind diese Arten von (scheinbarer) Entmündigung notwendig und sinnvoll oder sind sie gar schädlich und stellen Unterdrückung und Machtausübung von Seiten der Erwachsenen dar?
Wie stellt sich die Situation der Antipädagogik in der gegenwärtigen Sozialpädagogik dar?
I N H A L T S V E R Z E I C H N I S
Vorwort
1. Einleitung
2. Allgemeine Einführung
2.1 Was heißt Antipädagogik - Eine Betrachtung der Ansätze
2.2 Kurzer Abriss der Geschichte der Antipädagogik
3. Themen und Kernaussagen der Antipädagogik
3.1 Die Säuglingsdominanz.
3.2 ...und das daraus resultierende antipädagogische Notwehrprinzip
3.3 Freundschaft mit Kindern
3.4 Amication und Unterstützung
4. Situation der Antipädagogik in der gegenwärtigen Sozialpädagogik
5. Kommentare und Kritik
6. Beziehungen der Antipädagogen
6.1 ...zu Hermann Giesecke
6.2 ...zu Wolfgang Brezinka
6.3 ...zu Anne-Marie und Reinhard Tausch
6.4 ...zu Paul Watzlawick
7. Schlussbemerkungen
Nachwort
Quellen- und Literaturverzeichnis
EIDESSTATTLICHE ERKLÄRUNG
V O R W O R T
Ich bin ein Kind der 68er-Bewegung - geboren in einer Zeit, in der die damaligen Mittzwanziger versuchten , die Welt zu verändern und verbessern. Obwohl der Sturm und Drang der Hippie-Bewegung jener Tage nie wirklich von Amerika auf Europa überschwappte, waren gerade die Europäer in revolutionären pädagogischen und erzieherischen Ideen federführend.
Damalige Erzieher und Eltern wollten es ihren Kindern leichter machen, ihre Kindheit glücklich zu erleben. Nicht wenige der damaligen Jungmütter und -väter hatten daheim bei ihren Eltern noch die Prügelstrafe erlebt (wie meine Mutter) oder wurden bei kleinsten Vergehen tagelang eingesperrt (wie mein Vater). Nun nahmen sie sich Zeit, diskutierten in Kommunen, lasen Bücher über antiautoritäre Erziehung, Klassiker wie "Summerhill" und ähnliche und sie begannen sich für so genannte "Alternativschulen", Kinderrepubliken und andere neuartige Erziehungsmethoden zu interessieren. Sie waren voller Tatendrang und Veränderungswillen.
Der innere Widerspruch zwischen den neuartigen Methoden, Kindern "nur" zu begegnen und gleichzeitig erzieherisches Verhalten an den Tag zu legen, hatte Verwirrung und inkonsequente Haltung der "68er-Eltern" zur Folge. Trotzdem schaffte es diese Bewegung immerhin, dass z. B. (erst) 1973 (!) die Prügelstrafe an deutschen Schulen und kurz darauf auch in Österreich gesetzlich abgeschafft wurde.
Doch, wo waren sonst noch Erfolge zu verbuchen und wie weit kam man mit diesen revolutionären Methoden, die damals niemand kannte, die von den "Alten" oft als Humbug und Zeitverschwendung abgetan wurden und die noch kaum jemand gewagt hatte auszuprobieren? Diese Frage möchte ich am Beispiel der Antipädagogik im Zuge dieser Semesterarbeit versuchen aufzuklären und näher zu betrachten.
Ich bitte um Verständnis, dass aus Gründen der leichteren Lesbarkeit in dieser Publikation auf die geschlechtsgemischte Schreibweise verzichtet wird und personenbezogene Bezeichnungen nur in männlicher Form angeführt werden.
1. Einleitung
"Kinder müssen erzogen werden!", so denkt wohl fast jeder. Es ist so etwas wie ein ungeschriebenes Gesetz und steht außer Frage. Dabei gibt es seit jeher die unterschiedlichsten Auffassungen, welcher Methoden es bedarf, die festgelegten (Erziehungs-)Ziele erfolgreich - zum Wohle des Kindes - zu erlangen.
Was passiert aber, wenn es trotzdem gewagt wird, die Notwendigkeit der Erziehung, egal um welche Form es sich dabei handelt, in Frage zu stellen und nicht nach dem "Wie soll erzogen werden" gefragt wird, sondern "Ist es überhaupt nötig zu erziehen"? Woher nehmen Eltern die Sicherheit zu wissen, was für ihre Kinder am Besten ist und warum müssen sie die volle Verantwortung für sie übernehmen? Sind diese Arten von (scheinbarer) Entmündigung notwendig und sinnvoll oder sind sie gar schädlich und stellen Unterdrückung und Machtausübung von Seiten der Erwachsenen dar?
Mit diesen Fragen beschäftigt sich die Antipädagogik, über die ich im Folgenden einen kurzen allgemeinen Überblick geben möchte, um dann auf spezifische Punkte der Antipädagogik einzugehen.
Des Weiteren werde ich versuchen, einen Bezug zur Sozialpädagogik herzustellen und betrachten, welchen Stellenwert die Antipädagogik dort heute noch einnimmt.
Nach einer allgemeinen Kritik möchte ich als Abschluss noch eine präzisere Betrachtung häufig zitierter Wissenschafter in antipädagogischen Werken eingehen.
2. Allgemeine Einführung
2.1 Was heißt Antipädagogik - Eine Betrachtung der Ansätze
Eine allgemeine Definition für die Antipädagogik ist nicht so einfach zu finden, wie es zunächst scheint, da immer wieder Widersprüche und nicht klar umrissene Begriffsverwendungen in der antipädagogischen Literatur zu entdecken sind. Auf jeden Fall distanziert sich die Antipädagogik von der antiautoritären Erziehung, wie sie der Engländer Alexander Neill mit seiner Summerhill-Schule praktiziert, in der aber doch noch an einer Art Erziehung festgehalten wird, wogegen sich die Antipädagogik ebenfalls wehrt. Die Antipädagogik wollte die Erziehung nicht verändern oder verbessern, sondern komplett abschaffen, um die Kinder vor einer allumfassenden Vernunft, die zu strenge Fesseln in der Entwicklung anlegt, zu bewahren (vgl. Flitner 2004, S. 11ff.). "Nicht um die Länge der Leine geht es, sondern um die Leine selbst" (Braunmühl 1983, S. 237), war also die Devise.
Der etwas verwirrende Begriff Antipädagogik fand im deutschsprachigen Raum erstmals 1974 in Heinrich Kupffers Aufsatz "Antipsychiatrie und Antipädagogik" (1974) wissenschaftliche Verwendung und wurde durch das 1975 erschienene Buch "Antipädagogik – Studien zur Abschaffung der Erziehung" von Ekkehard von Braunmühl bekannt (vgl. Berner 1992, S. 227).
Nach Kupffer sollte Antipädagogik "jedoch ausdrücklich nicht heißen, dass nicht mehr zu erziehen sei (...) , sondern bloß eine Wendung gegen alle Tendenzen, Erziehung nur als Funktion gesellschaftlicher Sachzwänge zu sehen" (Kupffer 1974; zit. in Berner 1992, S. 228) sein.
Die Schweizer Psychotherapeutin Alice Miller wiederum "entlarvt" alle Erziehungsratschläge als Bedürfnisse der Erwachsenen, die ihrerseits erlittenen Demütigungen ihrer Erziehung durch deren Eltern zu "rächen" und zieht daraus den Schluss, dass es nicht die Kinder sind, die Erziehung (und Pädagogik) brauchen, sondern die Erzieher selbst (vgl. Miller 1982, S.117 ff.)! "Erziehung vermag lediglich, aus dem Erzognen einen Erzieher zu machen" (ebd., S. 119), behauptet sie.
Braunmühl wiederum meint, wenn er von Antipädagogik spricht, die Abschaffung von "Unfreiheit des Erziehungsobjektes, sein Ausgeliefertsein, die Behinderung seiner Selbstbestimmung und Selbstverantwortung" (Braunmühl 1994, S. 86).
Ganz allgemein versteht sich die Antipädagogik als Gegentheorie zur Pädagogik und Erziehung, denn sie widerspricht der prinzipiellen pädagogischen Rollenverteilung von einem (oben stehenden) Erzieher - dem Erwachsenen - und einem (unten stehenden) Zögling - dem Kind (vgl. www.wikipedia.org). Dagegen proklamiert sie die Gleichberechtigung zwischen Kindern und Erwachsenen und verlangt "spontane Selbstbestimmung ohne vorhergehender Fremdbestimmung" (Böhm 1982, S. 28) weil ihr im Gegensatz dazu "organisierte Fremdbestimmung als subtile Weise der Fremdbestimmung" erscheint (ebd.). Die Antipädagogik will also eine "radikale Kritik an der Funktion und Praxis von Pädagogik und Erziehung in der Gesellschaft" (ebd., S. 29) darstellen.
Gleichberechtigung ist die Kernaussage der Antipädagogik, aber nicht die unkontrollierte, von der antiautoritären Erziehung hochgehaltene, so genannte Selbstentfaltung des Kindes. Kupffer meint dazu: "Antipädagogik heißt nicht Befürwortung einer antiautoritären Erziehung, weil sie erkennt, dass diese die Machtstrukturen selbst im Grunde nicht aufhebt" (Kupffer 1974, S. 604; zit. in Braunmühl 1983, S. 19). In der Antipädagogik wird aber, wie man nun vielleicht vermuten würde, keineswegs völlig auf Autorität verzichtet, diese steht jedoch jedem Konfliktpartner im gleichen Masse zu. Konflikte werden als Alltagserscheinungen angesehen, die kommen und auch wieder gehen (vgl. Schoenebeck 1982, S. 76 ff.). "Das 'psychische Gift' ist das 'Ich habe mehr recht als du, sieh das ein'" (ebd., S. 77), meint Schoenebeck dazu.
Daraus lässt sich leicht erkennen, dass die Antipädagogik keinesfalls verwechselt werden sollte mit antiautoritärer Erziehung, sondern eher unter dem Motto "wenn sie (die Eltern – Anm. d. Verf.) nicht erziehen, [können] sie (die Eltern – Anm. d. Verf.) auch nichts falsch machen" (Braunmühl 1983, S. 31) verstanden werden kann!
2.2 Kurzer Abriss der Geschichte der Antipädagogik
Die wichtigsten Stützpfeiler der Antipädagogik bilden neben dem Werk "Schwarze Pädagogik" von Katharina Rutschky auch die in den frühen 1960er Jahren aufkommende Bewegung der Antipsychiatrie und vor allem die aus den USA kommende Bewegung "Children´s Rights Movement", aus der später der Erziehungswissenschafter Hubertus von Schoenebeck das "Deutsche Kindermanifest" etablierte, das Kindern und Jugendlichen ihre sozialen Rechte und ihre Freiheit und Gleichberechtigung gegenüber den Erwachsenen schützen soll (vgl. Berner 1992, S. 224 ff.).
Der Beginn der antipädagogischen Strömung im deutschsprachigen Raum ist eindeutig mit dem 1975 von dem Publizisten Ekkehard von Braunmühl veröffentlichten Buch "Antipädagogik – Studien zur Abschaffung der Erziehung" zu datieren (vgl. ebd., S. 221).
1976 bis 1980 prägte der Erziehungswissenschafter Hubertus von Schoenebeck aus den Erfahrungen und Ergebnissen seiner Forschung den Begriff "Amication", eine postmoderne Philosophie und Ethik. Was bis dato nur in theoretischen, größtenteils verbal-aggressiven Ansätzen vorhanden war, versucht er mit der Gründung des Vereins "Freundschaft mit Kindern – Förderkreis e.V." seit 1978 bis heute in die Praxis umzusetzen (vgl. www.amication.de). Spätestens mit dem Erscheinen des Bestsellers "Am Anfang war Erziehung" (1980) von der Psychoanalytikerin Alice Miller konnte sich die Wissenschaft einer näheren Betrachtung dieser neuen Form der Pädagogik nicht mehr entziehen (vgl. Berner 1992, S. 222) und veranlasste Gelehrte wie Andreas Flitner ("Konrad, sprach die Frau Mama...", 2004), Jürgen Oelkers bzw. Thomas Lehmann ("Antipädagogik - Herausforderung und Kritik", 1990) u. a. mit ebenso bissigen Kommentaren die Aussagen Braunmühls, Schoenebecks u. a. mehr oder weniger scharf zu kritisieren.
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- Arbeit zitieren
- Christof Schneilinger (Autor:in), 2005, Antipädagogik - Provokation der Erziehungswissenschaft - Eine kritische Betrachtung ihrer Relevanz und Rezeption mit speziellem Blick auf die Sozialpädagogik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/48783
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