Obwohl dekonstruktivistische Thesen, in Anlehnung an Judith Butlers, der Diskurs des deutschen Feminismus in den 90er Jahren dominierten, gibt es heute zunehmende Kritik am Dekonstruktivismus, der feministische politische Aktionen hindert könnte. In diesem Aufsatz wird der Versuch unternommen, die Positionen der Dekonstruktion und der (re-) Konstruktion einer Frauenidentität im Kontext zu verstehen: Warum fand der Dekonstruktivismus in Deutschland einen so nahrhaften Boden? Warum sprechen sich heute manche Feministinnen für eine (re-) Konstruktion der Frauenidentität aus?
Methodisch wird ersten Teil im Hinblick der Identitätsauflösung, die programmierte Scheidung zwischen Frauenbewusstsein und feministischen Diskursen und die bestehende gesellschaftliche Ungleichheit gegenüber Frauen untersucht. Die dekonstruktivistische Thesen Judith Bulters werden kritisch präsentiert . Im zweiten Teil werden in Hinsicht einer Identitätsbildung die Frauen, die Bedeutung des heutigen neoliberalistischen Wandels für Frauen untersucht, Claudia Koppert und ihr Plädoyer für eine Rekonstruktion der Frauenidentität wird kritisch vorgestellt. Die Notwendigkeit einer politischen Positionierung der Frauen im Hinsicht der Entwicklungen im Bereich der Biotechnologien und der Reproduktionsmedizin wird zudem gezeichnet. Im dritten Teil werden Aussichten der feministischen Theorien der Dekonstruktion und Rekonstruktion einer Frauenidentität und die Möglichkeit einerMitkonstruktionim Rahmen der Geschlechtforschung extrapoliert.
Inhaltsverzeichnis
1. Identitätsauflösung
1.1 Eine programmierte Scheidung: Frauenbewusstsein seit der 50er Jahre in Deutschland und feministische Diskurse
1.2 Bestehende Ungleichheit
1.3 Judith Butler und der Dekonstruktivismus
2. Identitätsbildung
2.1 Frauen und Neoliberalimus/Globalisierung
2.2 Claudia Koppert und die erneute Konstruktion einer Frauenidentität
2.3 Frauen, Biotechnologien und Reproduktionsmedizin
3. Zwischen Dekonstruktion und Rekonstruktion: Die Mitkonstruktion?
3.1 Entgegengesetzte Kräfte: Feministische Theorien und Markt
3.2 Geschlechtforschung
Literaturverzeichnis
Obwohl dekonstruktivistische Thesen, in Anlehnung an Judith Butlers, der Diskurs des deutschen Feminismus in den 90er Jahren dominierten, gibt es heute zunehmende Kritik am Dekonstruktivismus, der feministische politische Aktionen hindert könnte. In diesem Aufsatz wird der Versuch unternommen, die Positionen der Dekonstruktion und der (re-) Konstruktion einer Frauenidentität im Kontext zu verstehen: Warum fand der Dekonstruktivismus in Deutschland einen so nahrhaften Boden? Warum sprechen sich heute manche Feministinnen für eine (re-) Konstruktion der Frauenidentität aus?
Methodisch wird ersten Teil im Hinblick der Identitätsauflösung, die programmierte Scheidung zwischen Frauenbewusstsein und feministischen Diskursen und die bestehende gesellschaftliche Ungleichheit gegenüber Frauen untersucht. Die dekonstruktivistische Thesen Judith Bulters werden kritisch präsentiert . Im zweiten Teil werden in Hinsicht einer Identitätsbildung die Frauen, die Bedeutung des heutigen neoliberalistischen Wandels für Frauen untersucht, Claudia Koppert und ihr Plädoyer für eine Rekonstruktion der Frauenidentität wird kritisch vorgestellt. Die Notwendigkeit einer politischen Positionierung der Frauen im Hinsicht der Entwicklungen im Bereich der Biotechnologien und der Reproduktionsmedizin wird zudem gezeichnet. Im dritten Teil werden Aussichten der feministischen Theorien der Dekonstruktion und Rekonstruktion einer Frauenidentität und die Möglichkeit einer Mitkonstruktion im Rahmen der Geschlechtforschung extrapoliert.
1. Identitätsauflösung der Frauen
1-1 Eine programmierte Scheidung: Frauenbewusstsein seit der 50er Jahre und feministische Diskurse.
Die Analyse der Entwicklung der Frauenbewussteins von Ilse Lenz in der Monographie „Frauenbewusstsein und Soziologie“1, zeigt die Kontinuierlichkeit der Suche nach alternativen Wege zwischen Erwerbs- und Familienleben, auch die zunehmende Akzeptanz und Selbstverständlichkeit des Frauenerwerblebens, als Erfüllung der Subjektwerdung der Frauen und zunehmend für sie als ökonomische Notwendigkeit. Obwohl in den 50er Jahren deutsche Frauen keine politische Repräsentation hatten, fingen sie sich schon nach dem Muster einer doppelten Lebensführung zu orientieren (Erwerbs- und Familienarbeit).
Das Problem der alleinigen Sorgepflicht, die im Rahmen der Neoliberalisierung nicht mehr – oder kaum - berücksichtigt wird, lassen Frauen von heute Kinder, Familie und Haushalt als Optionen, aber nicht als Pflicht sehen. Der freie Entscheidungsraum der Frauen wird im allgemeinen gesellschaftlich akzeptiert, Männer entwickeln in der „Single-Gesellschaft“ zunehmend auch ein Lebensmuster ohne Familienbindung. Empirische Studien zeigen jedoch dass viele Frauen, als bewusste Entscheidung, Kinder haben möchten, obwohl das weibliche Lebensalter sich heute weniger an den Familienphasen – (biologischer Maßstab), sondern an der gesellschaftlichen bzw. beruflichen Stellung der Frauen (kulturell Maßstab) bemisst1.
Die Entwicklung der feministischen Diskurse - im Anlehnung an den Analysen Ilse Lenz und Helga Milz2 – sind nicht immer mit der des Frauenbewusstseins im Einklang zu bringen. Die erste Trennungen zwischen Frauengruppen ergaben sich aus der tatsächlichen Trennung zwischen erwerbstätigen und nichterwerbstätigen Frauen und deren Bildungsstand bzw. sozialen Milieus und entstanden in die 68er Jahren, als Folge der neuen Bedeutung der Subjektperspektive und aus der realen verschiedenen Orientierungen der Frauen. Die Vielfalt der Frauenbiographien war für die damaligen Feministinnen nicht relevant, vielmehr rückte die Notwendigkeit der Bildung einer Frauenidentität ans Licht – die Frau als Opfer – um politisch aktiv zu werden, um die ersehnte gesellschaftliche Gleichstellung der Frauen in einer andozentrischen Welt zu erreichen. Der Feminismus konnte dadurch eine Institutionalisierung der Frauenarbeit erreichen, was wiederum – und solange das grundlegende Problem der Frauen zwischen Pflege- und Erwerbsarbeit nicht gelöst würde – die Individualisierung und die Differenziertheit des Frauenbewusstseins stärkte, Frauen also, die sich immer weniger in den feministischen Diskursen repräsentiert fühlten bzw. mit dem kollektiven Konstrukt der Frauen in der Opferrolle nicht mehr identifizieren konnten. Obwohl feministische Diskurse der 80er Jahren die Differenz zwischen die Geschlechter vertrat, schlugen bis heute alle Versuche fehl, ein politisches Konstrukt zu bilden, mit dem Frauen sich identifizieren könnten.
Das heutige Problem der feministische Frauenbewegung/en (innerer Streit, konzeptionelle Mängel, niedrige Beteiligung der Frauen) ist zum größten Teil auf die Nichtbeachtung der Spezifikation der Frauen (als Gebärende und Erziehende), und der Versuch der Integration der Frauen nach einem männlich-patriarchalischen Muster, statt der Forderung nach eine Änderung der bestehenden geschlechtspezifischen Machtverhältnisse, zurückzuführen. Wie Ilse Lenz in ihrem Vorwort (S. 12) bemerkt, ist der deutsche Feminismus nicht zu vergleichen mit z.b. dem italienischen, wo Frauen auftreten „um die „Macht der „Mutter“ politisch zu re-formulieren.“ Sie analysiert die deutsche feministische Orientierung mit der schlechten Konnotation der Mutterschaft, die „mit jener Willfährigkeit, Gefügigkeit, Unterwürfigkeit, mit der sie im Rahmen der nationalsozialistischen Bevölkerungspolitik und für die expandierende „Volksgemeinschaft“ fungierte.“
Der Glaube, alternative Lebens- und Erziehungsformen könnten sich auch von selbst durchsetzen, also eine sehr hohe Erwartung an eine (freiwillige?) Reformierung der Gesellschaft nach der kulturellen Revolution von 68, könnte meines Erachtens auch dazu geführt haben, dass die Gleichstellung der Frauen bei der Familien- und Erziehungsarbeit nach der Gleichstellung im Erwerbslebens thematisiert wurde1. In den 80er Jahren hat sich jedoch der Gleichstellungsdiskurs zu einen Diskurs der Geschlechterdifferenz entwickelt. Die Krise des Feminismus am Ende der 80er Jahre (innere Streit um die Definition einer Frauenidentität2) führte in den 90er Jahren zu einer sehr guten Rezeption der dekonstruktivischen Thesen Judith Butler in Deutschland: Die Zweigeschlechtigkeit, enttarnt als gesellschaftlicher Konstrukt, sollte abgebaut werden. Erst im neuen Jahrhundert findet man z.b. durch Claudia Koppert Ansätze zu eine (Re-)Konstruktion einer gemeinsamen Frauenidentität.
1-2 Bestehende Ungleichheit
Claudia Koppert beschreibt die heutige Lage der westlichen Frauen: „ Die soziale und materielle Lage der Frauen in den Industrieländern ist trotz bestehender Ungleichheiten für die meisten Frauen wesentlich besser als in Ländern des Südens. Wovon viele Frauen dort träumen und wofür sie kämpfen, ist hier für viele erreicht: genug zu essen, gleiche Rechte, Zugang zu Bildung, Berufsmöglichkeiten, ärztliche Versorgung, eine gewisse Absicherung in Notlagen. Aber darüber wird geschwiegen.“3 Ein Primäreinkommen wird heute von den meisten Frauen erzielt. Dennoch besteht eine ungleiche Behandlung zwischen Frauen und Männern im Hinsicht der reproduktiven Arbeit. Diese Arbeit liegt immer unter der hauptsächlichen Verantwortung von Frauen und wird dem privaten Bereich zugeordnet. So sind die Frauen, die sich für Kinder entscheiden, immer zur doppelten Lebensführung gezwungen, was eine gesellschaftliche Gleichstellung mit Männern nicht erlaubt.
Paradoxerweise bestehen die Ungleichheiten in einem Rechtstaat, wo die Gleichberechtigung von Männern und Frauen verfassungsrechtlich garantiert sind und wo geschlechtlichen Diskriminierungen untersagt werden (Grundgesetz, Artikel 3). Individualismus, der sich als Respekt der individuellen Freiheit und der Autonomie der Individuen versteht, ist einer der leitenden Prinzipien der heutigen Demokratien1, die nach der Aufklärung im 18 Jh. die bisherigen holistischen Gesellschaftsformen überholten. Dabei wurden die Ansprüche der Frauen auf Gleichberechtigung nicht berücksichtigt, die Aufklärung – in der von Männern dominierten Philosophie – schrieb vielmehr eine „Naturalisierung“ der Geschlechter fest, um die Ungleichheit zwischen Männern und Frauen festzulegen. Frauen, als „unvollkommene“ Individuen, wurde die Komplementärrolle zugewiesen, als passive Ressource für den betätigenden Mann, Protagonist des Geistes.
Wie Reinhard Kreckel in seinem Aufsatz „Soziale Ungleichheit in gesellschaftstheoretischer Perspektive“ schriebt, steht in der Soziologie „soziale Ungleichheit als historisch gewordenes und damit prinzipiell veränderliches Strukturmerkmal unserer heutigen Welt zur Diskussion.“2 Er analysiert die scheinbare Ähnlichkeit zwischen natürlicher und sozialer Welt: „Der entscheidende Unterschied zwischen Naturgesetzen und sozialen Gesetzlichkeiten ist freilich der, dass die ersteren von Menschen nie außer Kraft gesetzt, sondern von ihnen allenfalls mit Hilfe wissenschaftlicher und technischer Mittel in Dienst genommen werden können. Soziale Gesetzlichkeiten dagegen, gleichgültig ob sie nun intendiert oder nichtintendiert sind, sind in jedem Falle von Menschen hervorgebracht worden und werden durch bestimmte menschliche Verhaltensweisen am Leben gehalten. [..] Die in einzelnen Gesellschaften (...) herrschender Ungleichheitsverhältnisse beruhen auf derartigen wandelbaren sozialen Gesetzlichkeiten.“3 Gleichwohl ist soziale Gleichheit nicht mit sozialer Gleichförmigkeit zu verwechseln und erlaubt Hierarchisierung und Differenzierung in der Gesellschaft. Die Ungleichstellung der Frauen ist nur festzustellen, solange diese soziale Klasse4 „die Möglichkeit des Zugangs zu allgemein verfügbaren und erstrebenswerten sozialen Gütern und/oder zu sozialen Positionen, die mit ungleichen Macht- und/oder Interaktionsmöglichkeiten ausgestattet sind, dauerhafte Einschränkungen erfahren und dadurch die Lebenschancen der betroffenen Individuen, Gruppen oder Gesellschaften beeinträchtigt bzw. begünstigt werden.“5
[...]
1 Lenz, Ilse 2002
1 Anzeigeabteilung des Frauenzeitschrift „Brigitte“ 1999
2 Milz Helga, 1994
1 Deutsche feministische Diskurse der Nachkriegszeit nahmen wieder Form im Zog der kulturellen Revolution von 1968.
2 Vgl. Koppert Claudia/Sedlers, Beate 2003 :116-134
3 Ibid.: 142
1 Der Begriff „Individualismus“ tauchte aber erst Anfang des 19. Jh. auf.
2 Kreckel, Reinhard 1992: 13
3 Ibd: 14f
4 Im Sinne eines erweiterten Klassenverständnis, Vgl. Herkommer, Sebastian 2002
5 Kreckel, Reinhard 1992: 17
- Citation du texte
- Nadia Zeltzer (Auteur), 2004, Die Krise des deutschen Feminismus zwischen Identitätsauflösung und Identitätsbildung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/48558
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