Die Sinti und Roma, abwertend als ‚Zigeuner’ bezeichnet, wurden über alle Jahrhunderte diskriminiert und verfolgt. Fremdartig aussehend, eine eigene Sprache sprechend und mit eigenen Sitten und Riten, riefen sie bei der einheimischen Bevölkerung des deutschen Reiches, wann immer sie auftauchten, Abneigung, Angst oder Widerwillen hervor. Vor allem die Polizeibehörden machten die Roma zu ihrem Problem: Einbrüche, Diebstähle und Betteleien zählten vornehmlich zu den Hauptdelikten der Sinti und Roma.
Doch wie kam es von diesen Vorstellungen, Erfahrungswerten und Klischees zu der massenhaften Vernichtung von Zigeunern im Nationalsozialismus? Wie wurde die Verbindung geschaffen, die störende und fremde, aber nichtsdestotrotz deutsche (bzw. preußische, bayerische...) Mitbürger zu Menschen ‚zweiter Klasse’ machte?
Um diese Fragen zu lösen, werden zuerst die Grundbedingungen, der ‚Nährboden’ der rassistischen Diskriminierung, dargestellt, die dann in den ersten Ansätzen, welche vornehmlich durch Moritz Grellmann und Cesare Lombroso entstanden, junge Triebe zeigen. Außerdem muss auf die Dialektik der Zigeunerdiskriminierung eingegangen werden, welche sich vor allem in der fehlgeschlagenen Ansiedlung und damit einhergehenden Nutzbarkeit ihrer Arbeitskraft äußert.
Anschließend wird die Zigeunerverfolgung während der Weimarer Republik in drei Teilen behandelt: zuerst werden rassistische Schriften vorgestellt, die vor allem die Ein- und Vorstellungen der damaligen deutschen Bevölkerung eindringlich dokumentieren. Das bayerische Zigeuner – Gesetz im zweiten Teil zeigt, wohin solche Vorstellungen führen: Die Beschränkungen und Verbote, die den Sinti und Roma auferlegt wurden, stellen für die Autorin einen rassistischen Höhepunkt während der Weimarer Republik dar. Der dritte Teil zeigt anhand einer einzelnen Äußerung von Hans F. K. Günther, wohin die gesetzlichen und polizeilichen Beschränkungen der ziganistischen Lebensweise führen können und werden. In der Zeit zwischen 1919 und 1932 gibt es kaum rassenhygienische Schriften, die sich mit den Roma beschäftigten. Dies stellte den Anreiz dar, genau diese Lücke zu schließen und die rassenanthropologische Entwicklung der Zigeunerverfolgung in diesem Zeitraum zu untersuchen.
Inhalt:
1. Einleitung
2. Sinti und Roma – Wer sind die ‚Zigeuner’?
3. Die Grundbedingungen
a) Die historische Situation
b) Das ‚Andere’
c) Sesshaftigkeit gegen Nomadentum
4. Grundlagen der rassischen Stigmatisierung – Arbeit als Konstruktionsmodell
5. Zigeunerverfolgung während der Weimarer Republik
a) Rassistisches Schrifttum
b) Das bayerische Zigeuner- und Arbeitsscheuengesetz und seine Folgen
c) Hans Friedrich Karl Günther
6. Schlussbetrachtung
7. Literaturverzeichnis
8. Anhang
1. Einleitung
Die Sinti und Roma, abwertend als ‚Zigeuner’ bezeichnet, wurden über alle Jahrhunderte diskriminiert und verfolgt. Fremdartig aussehend, eine eigene Sprache sprechend und mit eigenen Sitten und Riten, riefen sie bei der einheimischen Bevölkerung des deutschen Reiches, wann immer sie auftauchten, Abneigung, Angst oder Widerwillen hervor. Vor allem die Polizeibehörden machten die Roma zu ihrem Problem: Einbrüche, Diebstähle und Betteleien zählten vornehmlich zu den Hauptdelikten der Sinti und Roma. Doch wie kam es von diesen Vorstellungen, Erfahrungswerten und Klischees zu der massenhaften Vernichtung von Zigeunern im Nationalsozialismus? Wie wurde die Verbindung geschaffen, die störende und fremde, aber nichtsdestotrotz deutsche (bzw. preußische, bayerische...) Mitbürger zu Menschen ‚zweiter Klasse’ machte?
Um diese Fragen zu lösen, werden zuerst die Grundbedingungen, der ‚Nährboden’ der rassistischen Diskriminierung, dargestellt, die dann in den ersten Ansätzen, welche vornehmlich durch Moritz Grellmann und Cesare Lombroso entstanden, junge Triebe zeigen. Außerdem muss auf die Dialektik der Zigeunerdiskriminierung eingegangen werden, welche sich vor allem in der fehlgeschlagenen Ansiedlung und damit einhergehenden Nutzbarkeit ihrer Arbeitskraft äußert. Anschließend wird die Zigeunerverfolgung während der Weimarer Republik in drei Teilen behandelt: zuerst werden rassistische Schriften vorgestellt, die vor allem die Ein- und Vorstellungen der damaligen deutschen Bevölkerung eindringlich dokumentieren. Das bayerische Zigeuner – Gesetz im zweiten Teil zeigt, wohin solche Vorstellungen führen: die Beschränkungen und Verbote, die den Sinti und Roma auferlegt wurden, stellen für die Autorin einen rassistischen Höhepunkt während der Weimarer Republik dar. Der dritte Teil zeigt anhand einer einzelnen Äußerung von Hans F. K. Günther, wohin die gesetzlichen und polizeilichen Beschränkungen der ziganistischen Lebensweise führen können und werden.
Diese Hausarbeit, welche sich dem Seminar ‚Hygiene, Sozialhygiene und Eugenik im 19. und frühen 20. Jahrhundert’ anschließt, weist eine recht komplizierte Entstehungsgeschichte auf. Das eigentliche Thema sollte die ‚Entwicklung des anthropologischen Rassediskurses während der Weimarer Republik’ unter Berücksichtigung einer bestimmten Zielgruppe, wie z. B. der Sinti und Roma, sein. Während der Recherche stellte die Autorin fest, dass es in der Zeit zwischen 1919 und 1932 kaum rassenhygienische Schriften gab, die sich mit den Roma beschäftigten. Auch in den Überblicksdarstellungen, sei es zur Weimarer Republik, sei es zu den Sinti und Roma, wurde diese Zeit oder dieses Thema einfach übersprungen. Dies stellte den Anreiz dar, genau diese Lücke zu schließen und die rassenanthropologische Entwicklung der Zigeunerverfolgung in diesem Zeitraum zu untersuchen. Das Fehlen explizit rassenhygienischer Schriften führte dazu, dass Gesetze und kriminalistische Ausführungen hinzugenommen und somit die anthropologisch-theoretische Diskriminierung durch die praktische Verfolgung ergänzt wurde. Obgleich somit das endgültige Format stark vom Beabsichtigten abweicht, werden doch Resultate präsentiert, die für die Verfolgung und Diskriminierung der Sinti und Roma unter einem rassenhygienischem Standpunkt aufschlussreich sind.
2. Sinti und Roma – Wer sind die ‚Zigeuner’?
Der mit Vorurteilen und Ideologien behaftete Begriff ‚Zigeuner’, der zeitweise sogar als Beschimpfung benutzt wurde, ist natürlich nicht die richtige Bezeichnung für ein ursprünglich aus Indien stammendes Volk der Sinti und Roma. Außerhalb des deutschsprachigen Raumes ist ‚Roma’ der Sammelbegriff für alle Zigeuner, auch für Sinti. ‚Roma’ bedeutet in der ‚Romanes’ genannten Sprache soviel wie ‚Mann oder Mensch’. Die Sinti sind die älteste in Deutschland nachweisbare Romagruppe. Sie flohen vor etwa 600 - 700 Jahren nach Westeuropa und waren traditionell Musiker, Geigenbauer, Handwerker und Händler. Der Name leitet sich vermutlich von der indischen Provinz Sind und dem Fluss Sindhu ab. Auch die Sinti bezeichnen sich oberbegrifflich als Roma. Ihre Sprache ist wie die der Roma das Romanes, welche ihren Ursprung wahrscheinlich im Sanskrit hat.
Im deutschen Sprachraum wird der Begriff ‚Roma’ für alle Zigeuner verwendet, die in der zweiten Hälfte des 19. und 20. Jahrhunderts aus Südosteuropa nach Mitteleuropa kamen. ‚Sinti’ sind demnach die Zigeuner, die bereits vorher nach Mitteleuropa zogen. Ihnen allen ist die indische Herkunft gemeinsam, die sich neben historischen Überlieferungen auch durch die Ableitung ihrer Sprache belegen lässt. Zum heutigen Zeitpunkt leben in der Bundesrepublik Deutschland nach Schätzungen 70.000 bis 110.000 deutsche Roma, die Gesamtpopulation beträgt ungefähr zwölf Millionen. Die Sinti und Roma leiden auch heute noch unter Verfolgung und starker Diskriminierung. Die Roma weisen fast überall die höchsten Analphabetenquoten auf und leben oft in eigenen Siedlungen oder Ghettos, welche meistens im Zuge erzwungener Sesshaftmachung in geringer Qualität und schlechter Infrastruktur errichtet wurden. Manche Roma sind noch heute Staatenlose. In Europa haben sich zwei unterschiedliche Fremdbezeichnungen eingebürgert: Dies ist zum einen die Bezeichnung als ‚Zigeuner’, zum anderen als ‚Gitanen’, welcher vor allem in Spanien, England und Teilen Frankreichs verwendet wird. Der Begriff ‚Zigeuner’ leitet sich wahrscheinlich vom persischen Wort ‚Ciganch’ (Musiker oder Tänzer) ab, auch möglich als Ursprungswort ist das persische ‚asinkan’ (Schmiede). Die Bezeichnung als ‚Gitane’ beruht auf der ursprünglichen Vermutung, die Urheimat der Roma hätte sich in Ägypten befunden.
3. Die Grundbedingungen
Um die Zigeunerverfolgung und –diskriminierung des 20. Jahrhunderts auch nur ansatzweise verstehen zu können, muss man sich die Ursachen und Voraussetzungen, welche über mehrere Jahrhunderte entstanden, vor Augen führen. Dabei ist es, um mit Hehemann zu sprechen, leichter, „die politischen, wirtschaftlichen, sozialen und religiösen Verhältnisse des spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Deutschland (und Europa) [zu untersuchen] (…), die psychologischen Hintergründe [entziehen sich] einer endgültigen Klärung aufgrund ihrer besonderen Problematik, zumal dann, wenn Irrationalität und Emotionen die Kausalität aufzuheben scheinen“ (…)[1]. Das „Wechselspiel von Unterdrückung, Vertreibung, Ausrottung und gelegentlichen Ruhephasen“[2] fasst in seiner Beschreibung nicht die Ursachen der Verfolgung, welche ähnlich einem Teufelskreis, einmal in Gang gesetzt, zu genau den Verhaltensweisen unter den Zigeunern führten, die sie dann wieder in den Blickpunkt der Verfolgung und Diskriminierung brachten.
Die Stigmatisierung der Zigeuner der frühen Neuzeit fand interessanterweise im Zeitraum der Kolonialisierung statt, also zu einem Zeitpunkt, in dem die Europäer neue Erfahrungen in allen Kontinenten sammelten.[3] Nur war der Kontakt zu anderen, kolonialen, Völkern insofern unproblematischer, als dass die Europäer hier die agierende Partei waren, während sie auf die Zigeuner, welche ja in ihren Reichsgrenzen auftauchten, nur reagieren konnten.[4] Dieser enorme Unterschied zwischen Agitation und Reaktion ist noch mehr als der Umgang mit dem „Fremden“ an sich ein Erklärungsansatz, um die Diskriminierung der Zigeuner zu verstehen. Hehemann weist neben diesem Punkt und der historischen Situation, also der Geschichte der Zigeuner in Europa, noch auf eine dritte Erklärungsmöglichkeit hin, welche stark mit den ersten beiden Ansätzen verbunden ist: und zwar den „Gegensatz der kulturellen Systeme“[5], welcher sich in der Sesshaftigkeit des größten Teils der europäischen Bevölkerung und im Nomadentum der Zigeuner äußert.
In den folgenden drei Kapiteln werden nun diese drei Erklärungsansätze untersucht und vorgestellt, da sie die Ursachen der Zigeunerverfolgung umfassend beleuchten. Diese Grundbedingungen müssen recht ausführlich behandelt werden, da schließlich die Verfolgung und Diskriminierung der Zigeuner in der Neuzeit auf genau diesen Gründen aufbaut und ein umfassendes Verständnis für das Entstehen und die Akzeptanz antizigianischer Schriften in der Weimarer Republik und in den darauf folgenden Jahren nur so gewährleistet sein kann.
a) Die historische Situation
Die geschichtliche Rekonstruktion der Sinti und Roma weist in ihrem Verlauf viele Lücken auf. Dies erklärt sich unter anderem damit, dass sie durch die Zigeuner nur mündlich überliefert wird. Dementsprechend wurden alle Dokumente über ihre soziale und ökonomische Situation von Nichtzigeunern angefertigt, was sowohl die Aussagen und Stellungnahmen als auch die Rechtfertigungen von der jeweiligen historischen Situation abhängig werden lässt und somit mit Vorsicht zu analysieren ist.[6]
Die erste urkundliche Erwähnung von Zigeunern in Deutschland stammt aus Hildesheim im Jahr 1407: am 20. September 1407 wurde in einer Kämmereirechnung verzeichnet:
"In vigilia Mathei den tateren up der scriverie, dome ore breve horen wolde, 1/2 st.“[7]
Da der Begriff "Tatare" ein Synonym für Zigeuner in Holland, Norddeutschland und Skandinavien war, geht Reimar Gilsenbach (Weltchronik der Zigeuner) davon aus, dass es sich dabei um die erste gesicherte Erwähnung von Zigeunern handelt.
Innerhalb des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation galten die Zigeuner zunächst als Pilger, die unter dem Schutz kaiserlicher Privilegien reisten und von der Bevölkerung durch Almosen unterstützt wurden. Als Erklärung für ihre Nicht-Sesshaftigkeit, erzählten sie, dass sie als Strafe, da sie Gott beleidigt hatten, hundert Jahre von der Heimat entfernt pilgern müssen und Buße tun sollten.
Als die Zigeuner Zentral- und Westeuropa erreichten, fanden sie eine „in sich verfestigte und geordnete Welt (…), die keinen herrschaftsfreien Raum mehr kannte“[8] Die Zeiten der Völkerwanderungen waren vorbei, die verschiedenen Stämme und Völker hatten ihren Platz gefunden und wurden in Staatswesen organisiert. Aus diesen Staatengebilden entwickelten sich dann auch die ersten Züge von nationalem Bewusstsein, „das das Eigenwertgefühl der Bewohner steigerte und mit der damit bereits verbundenen faktischen Degradierung der Nachbarvölker die Abgrenzung der Länder untereinander verfestigte“[9]. Diese erste Abgrenzung ‚des Anderen’, zusammen mit der Aufteilung von Grund und Boden, welche den Zigeunern immer weniger für sie nutzbare, „freie“ Gebiete mit sich brachte, stellen die ersten Hinderungsgründe zur Integration und Akzeptanz der Zigeuner dar. Auch stellt diese schlechte ökonomische und soziologische Lage den Grundstock für die ja bereits so frühzeitig entwickelten „anderen Überlebensstrategien“ der Zigeuner dar: Bettelei, Diebstahl, Betrug und kleinere Straftaten zeugen von wenigen Möglichkeiten, die den Zigeunern blieben und sind sowohl Ursache als auch Reaktion auf die Abwehr der jeweiligen einheimischen Bevölkerung.[10]
Ein Schutzbrief von König Sigismund 1423 konnte die Zigeuner einige Jahre lang vor Übergriffen schützen. Dieses Sonderrecht verdankten die Zigeuner dem Adel, welchen sie durch ihre Musik amüsierten und durch ihre Gold- und Kunstschmiedearbeiten, den Musikinstrumentenbau - vor allem durch den Geigenbau - und die Waffenherstellung beeindruckten. Obwohl die Sonderrechte die Anerkennung der Bevölkerung einbrachte, folgte bald auch der Neid der Handwerker und Zünfte. Auch die Kirche stellte sich bald gegen die Zigeuner, da die Wahrsagekünste der Zigeunerfrauen mit der Glaubensvorstellung nicht vereinbarungsfähig waren. 1497/98 wurden somit in Freiburg die Schutzbriefe von Sigismund durch den Reichstag aufgehoben und die Zigeuner für vogelfrei erklärt. Insgesamt wurden in der Zeit von 1497 bis 1774 146 gesicherte Edikte im Gebiet des deutschen Reiches gegen die Zigeuner verfasst.[11]
Die psychologischen Gründe hinter der beginnenden Verfolgung von Zigeunern sind in der frühneuzeitlichen Sozialordnung zu finden, welche sich durch eine ständische Gliederung auszeichnete, in der jeder Mensch durch Geburt oder Privileg einen festen Standesplatz fand. Die Kirche unterstützte dieses Modell, in dem sie darin die Erfüllung der göttlichen Ordnung proklamierte. Durch die Verfestigung der einzelnen Schichten, die ja auch eine Mobilität innerhalb der einzelnen Stände stark erschwerte, und durch die religiös motivierten Verfolgungen Andersdenkender mussten viele gesellschaftlichen Kreise ausgegrenzt werden: Bettler, Vaganten, Komödianten, Hausierer und ähnliche Gruppen, die nicht produktiv tätig waren. Zu diesen Gruppen zählten auch religiöse und ethnische Minderheiten wie die Juden und eben die Zigeuner.[12]
1551 ordnete der Reichstag von Augsburg an, das alle Zigeuner das Land innerhalb von drei Monaten verlassen müssten. 1559 erlaubten die Polizeiverordnungen, dass die Polizei den Zigeunern ihre Besitzungen konfiszieren und sie des Landes vertreiben darf. Diese Verfolgung griff nach und nach in ganz Europa um sich: Zigeuner wurden gefangen genommen, vertrieben und hingerichtet. Sie zogen somit von Ort zu Ort und lebten in entlegenen Gegenden und Wäldern.
„In der ohnehin von Gewalt dominierten Alltagswelt jener Zeit, in der das Leiden fast schon zur Gewohnheit geworden war und die ständigen Kriege und Fehden das ihre zur Verrohung des Lebens beitrugen, suchte man die durch ein bisher unbekanntes Ausmaß der Armut zunehmende Bettelei und Landstreicherei und damit einhergehend das anwachsende Räuberunwesen durch rigoroses und drastisches Vorgehen bei der Strafzumessung in den Griff zu bekommen, wobei, da Freiheitsstrafen wenig gebräuchlich waren, alle Abstufungen der körperlichen Züchtigung zur Anwendung kamen. In vielen Fällen war es lediglich die Lebensweise der Fahrenden, die die Brandmarkung nach sich zog, denn bereits das an sich harmlose Umherziehen wurde als Bedrohung von Staat und Gesellschaft empfunden und mit großem Unbehagen registriert.“[13]
Weitere Hindernisse zur Integration der Zigeuner war der stetige Fortschritt und Fortschrittsglaube, welchem sie sich zu allen Zeiten verweigerten, sowie die Allgegenwart der Kirche, die nur den einen Gott akzeptierte.[14]
In der zweiten Hälfte des 18. und 19. Jahrhunderts versuchte man durch das Aufkommen humanitärer Ideen die Sinti und Roma sesshaft zu machen: Sesshaftigkeit und geregelte Erwerbstätigkeit wurden zur gesellschaftlichen Norm erhoben. Durch Eingliederung sollte die Identität der Zigeuner gebrochen werden. Die Kaiserin Maria Theresia versuchte, Saatgut an die Zigeuner zu verteilen und sie Hütten bauen zu lassen. Jugendliche Zigeuner wurden angehalten, ein Handwerk zu erlernen und danach gingen sie zum Militär.[15] Doch viele Zigeuner zogen mit ihrem erlernten Handwerk umher und verdingten sich, wo auch immer man ihnen Arbeit gab. Aus dieser Zeit stammt such der Mythos vom Kinder stehlenden Zigeuner; doch nahmen sie nicht die Kinder der Einheimischen mit, sondern waren genötigt, ihre eigenen Kinder zurückzuholen, welche ihnen vom Staat im Zuge von Zwangsdeportationen weggenommen wurden: ab 1773 isolierte man Zigeunerkinder, um sie gar nicht erst an das Zigeunerleben zu gewöhnen.
Die Vorurteile gegen Sinti und Roma sind Jahrhunderte alt. Sie galten als verantwortlich für die Pest, Cholera und Rattenplage, sie wurden als "Türkenspione", "jüdisch versippt" und der Hexerei fähig bezeichnet.
b) Das „Andere“
Der Umgang mit anderen, fremden Völkern in der Geschichte Europas oder ganz speziell Deutschlands, ist über fast alle Jahrhunderte, um es einmal vorsichtig auszudrücken, problematisch gewesen. Das Entwickeln eines eigenen Nationalbewusstseins oder Zusammengehörigkeitsgefühles führt schon in seinen Grundzügen zu einem Zusammenschluss der einen und dem daraus folgenden Ausgrenzen von Anderen. Im Zusammenwirken mit anderen Faktoren entstanden Bedingungen, die dann zur Diskriminierung und Verfolgung führten und schließlich im dritten Reich ihren traurigen Höhepunkt fanden:
„Der europäische Superioritätsanspruch war nur durchsetzbar gewesen durch das überlegene militärisch-technische Know-How, das schier unerschöpfliche Menschenreservoir, das Fehlen eines entsprechenden Unrechtsbewusstseins und durch einen Sendungswillen, der, zum Teil trotz durchaus guter Absichten, das gesamte zivilisatorische „Zerstörungspotential“ auf die archaischen Völker entlud.“[16]
Aus Angst vor dem Anderen, aus Furcht vor dem Fremden diskriminierte man, was man nicht kannte, man versuchte nicht mehr zu verstehen, sondern reagierte mit Gewalt auf all das, was sich nicht in das eigene Weltbild einfügen ließ.
Bei den Zigeunern nun kommt der bereits erwähnte Faktor von ‚Reaktion und Agitation’ hinzu, der dazu führte, dass bei den Europäern nicht Überlegenheit, sondern Misstrauen, Zurückhaltung und Angst die ersten vorherrschenden Gefühle waren:[17]
[...]
[1] Hehemann: Zigeunerunwesen, S. 11.
[2] Ebd., S. 12.
[3] Vgl. ebd., S. 12.
[4] Vgl. ebd., S. 13.
[5] Ebd., S. 13.
[6] Vgl. Krause: Verfolgung durch Erziehung, S. 37.
[7] Am 20. September den Tataren auf der Stadtschreiberei, wo man ihre Briefe prüfen wollte, für einen halben Stüber Wein gegeben.
[8] Hehemann: Zigeunerunwesen, S. 14-15.
[9] Ebd., S. 15.
[10] Vgl. ebd., S. 16.
[11] Vgl. Krause: Verfolgung durch Erziehung, S. 41.
[12] Vgl. Hehemann: Zigeunerunwesen, S. 17-18.
[13] Ebd., S. 19.
[14] Vgl. ebd., S. 20-21.
[15] Vgl. Krause: Verfolgung durch Erziehung, S. 42.
[16] Hehemann: Zigeunerunwesen, S. 23.
[17] Vgl. ebd,, S. 24.
- Citation du texte
- Franziska Irsigler (Auteur), 2005, "Faule Verbrecher" - Roma und Sinti in der Weimarer Republik. Zur rassistischen Diskriminierung und ihrer praktischen Umsetzung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/48518
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