1. Einleitung
Wie kein zweites Abkommen nach dem Versailler Vertrag hatte der Vertrag von Rapallo (1922) zwischen dem Reich und Sowjetrussland den Bruch zwischen Siegern und Besiegten des Ersten Weltkrieges verschärft. Demnach soll es Anliegen dieser Arbeit sein, die deutsche Russlandpolitik der Jahre 1918-1922 darzulegen, zu analysieren, um abschließend folgende Frage zu beantworten: Welche revisionistischen Tendenzen deutscher auswärtiger Politik prägen das deutsch-sowjetische Verhältnis 1918-1922? Inwiefern lässt sich der Abschluss des Rapallo-Vertrages in die deutsche Revisionspolitik einordnen? Wer waren die Protagonisten eben dieser Politik und aufgrund welcher Motive handelten sie? Was waren die entscheidenden Einflussfaktoren, welche eine West- bzw. Ostorientierung deutscher Außenpolitik bestimmten?
Folgende Quelleneditionen bilden die primäre Grundlage der vorliegenden Arbeit: Die Akten zur deutschen auswärtigen Politik 1918 – 1945 (ADAP); Deutschsowjetische Beziehungen von den Verhandlungen in Brest Litowsk bis zum Abschluss des Rapallovertrages: Dokumentensammlung (Bd.2). Zudem erschien das Einbeziehen der Forschungsliteratur folgender Autoren unablässig, um einen umfassenden Überblick in die Ereignisse der Nachkriegsjahre und ihre Hintergründe zu ermöglichen: Horst-Günther Linke, Peter Krüger, sowie Heinrich Klümpen u.a..
2. Der Versailler Vertrag
Mit der Unterzeichnung des Versailler Vertrages am 28.06.1919 durch die deutsche n Delegierten Hermann Müller und Johannes Bell hatte sich die außenpolitische Situation für die junge Weimarer Republik entscheidend geändert. Weder die Hoffnungen der Obersten Heeresleitung (OHL), einen Siegfrieden erringen zu können, noch die der liberalen Kräfte, auf Grundlage der 14-Punkte des amerikanischen Präsidenten Wilson (08.01.1918) einen akzeptablen oder gar versöhnlichen Friedensschluss zu erlangen, hatten sich erfüllt. In Deutschland wurde der Friedensvertrag von der Öffentlichkeit als ein „Diktat“ bzw. „Schmachfrieden“ aufgenommen, der nunmehr nicht von Beteiligten eines Krieges ausging, sondern unmissverständlich zwischen Siegern und Besiegten unterschied.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Der Versailler Vertrag
3. Wichtige Vertreter der Revisionspolitik nach Versailles
a. Politik
b. Militär
c. Wirtschaft
4. Das deutsch-sowjetische Verhältnis 1918-1922
a. Abbruch der diplomatischen Beziehungen – bis 05.11.1918
b. Der Versailler Vertrag – Deutschland zwischen Ost- und Westorientierung
c. Deutsche Ostpolitik seit 1919/20 – Zur Bedeutung des polnisch-russischen Krieges
d. Diplomatische Beziehungen bis Reichskanzler Wirth (1921)
5. Der Vertrag von Rapallo
a. Die Konferenz von Genua
b. Abschluss des Vertrages
6. Fazit
7. Literatur
8. Anlagen
1. Einleitung
Wie kein zweites Abkommen nach dem Versailler Vertrag hatte der Vertrag von Rapallo (1922) zwischen dem Reich und Sowjetrussland den Bruch zwischen Siegern und Besiegten des Ersten Weltkrieges verschärft. Demnach soll es Anliegen dieser Arbeit sein, die deutsche Russlandpolitik der Jahre 1918-1922 darzulegen, zu analysieren, um abschließend folgende Frage zu beantworten: Welche revisionistischen Tendenzen deutscher auswärtiger Politik prägen das deutsch-sowjetische Verhältnis 1918-1922? Inwiefern lässt sich der Abschluss des Rapallo-Vertrages in die deutsche Revisionspolitik einordnen? Wer waren die Protagonisten eben dieser Politik und aufgrund welcher Motive handelten sie? Was waren die entscheidenden Einflussfaktoren, welche eine West- bzw. Ostorientierung deutscher Außenpolitik bestimmten?
Folgende Quelleneditionen bilden die primäre Grundlage der vorliegenden Arbeit: Die Akten zur deutschen auswärtigen Politik 1918 – 1945 (ADAP); Deutsch-sowjetische Beziehungen von den Verhandlungen in Brest Litowsk bis zum Abschluss des Rapallovertrages: Dokumentensammlung (Bd.2).
Zudem erschien das Einbeziehen der Forschungsliteratur folgender Autoren unablässig, um einen umfassenden Überblick in die Ereignisse der Nachkriegsjahre und ihre Hintergründe zu ermöglichen: Horst-Günther Linke, Peter Krüger, sowie Heinrich Klümpen u.a..
2. Der Versailler Vertrag
Mit der Unterzeichnung des Versailler Vertrages am 28.06.1919 durch die deutschen Delegierten Hermann Müller und Johannes Bell hatte sich die außenpolitische Situation für die junge Weimarer Republik entscheidend geändert. Weder die Hoffnungen der Obersten Heeresleitung (OHL), einen Siegfrieden erringen zu können, noch die der liberalen Kräfte, auf Grundlage der 14-Punkte des amerikanischen Präsidenten Wilson (08.01.1918) einen akzeptablen oder gar versöhnlichen Friedensschluss zu erlangen, hatten sich erfüllt. In Deutschland wurde der Friedensvertrag von der Öffentlichkeit als ein „Diktat“ bzw. „Schmachfrieden“ aufgenommen, der nunmehr nicht von Beteiligten eines Krieges ausging, sondern unmissverständlich zwischen Siegern und Besiegten unterschied. Im Rahmen des 440 Artikel umfassenden Vertragswerkes gab es zahlreiche zentrale Punkte, welche auch gemäß der öffentlichen Meinung eine Revision des Abkommens notwendig erscheinen ließen. So z.B. drängte die deutsche Regierung alsbald auf die Revidierung des Artikels 231, der Deutschland die Alleinschuld am Ausbruch des Ersten Weltkrieges auferlegte[1], was jedoch aufgrund der Geschlossenheit, in der die Alliierten diesbezüglich agierten, unmöglich schien.
Neben der normativen Fixierung der Kriegsschuld war eine weitaus größere Last an eben diesen Artikel gebunden: die alliierten Reparationsforderungen, welche insbesondere für Frankreich in der folgenden Nachkriegszeit ein lukratives Mittel waren, um Deutschland, entsprechend dem übersteigerten französischen Sicherheitsbedürfnis, ökonomisch erheblich zu schwächen und folglich den Aufbau der Friedenswirtschaft im Reich zu blockieren. Die Ohnmacht und totale Handlungsunfähigkeit der Reichsregierung auf europäisch politischer Ebene zeigt sich im Grad ihrer Einflussnahme auf die Festlegung der eigentlichen Reparationssumme in einer ersten Konferenz zu Boulougne am 21.06.1920. In eben dieser wurde das Reich mit einem Gesamtbetrag von 269 Milliarden Goldmark, zu zahlen in 42 Annuitäten, konfrontiert, obgleich diese durch mehrere folgende Konferenzen, Noten u.ä. der Folgejahre kontinuierlich herabgesetzt wurden. Neben dem Entziehen der wirtschaftlich-ökonomischen Basis des Reiches sollte der Kriegsaggressor zudem in erheblichem Maße abrüsten – die Reichswehr auf eine Stärke von 100.000 Mann reduzieren, die Bürgerwehren abschaffen[2] - ganz zu schweigen von den umfangreichen Gebietsabtretungen, welche das deutsch-sowjetische Verhältnis der Folgejahre nicht minder prägen sollten.
Das Streben der Politik des Reiches war demnach fortan in sämtlichen Bereichen mehr oder minder unweigerlich auf eine Revision des rigoros ausgearbeiteten Versailler Vertragswerkes ausgerichtet, welches scheinbar vorrangig die umfassende Entkernung des alten Kaiserreiches betrieb.
Wer waren die Protagonisten dieses Ringens um eine baldige Revision des Friedensvertrages? Aus welchen Bereichen des „gesellschaftlichen Lebens“ kamen sie und was die Grundlage ihrer Handlungsbereitschaft?
3. Wichtige Vertreter der Revisionspolitik nach Versailles
a. Politik
„[D]ie Ablehnung wäre keine Abwendung des Vertrages. Ein Nein wäre nur eine kurze Hinausschiebung des Ja! Unsere Widerstandskraft ist gebrochen; ein Mittel der Abwendung gibt es nicht. Wohl aber bietet der Vertrag eine Handhabe, die wir uns nicht entreißen lassen. Ich denke hier an eine feierliche Erklärung der Entente in ihrem Memorandum vom 16. Juni 1919, wonach eine Revision des heute vorliegenden Vertrages von Zeit zu Zeit eintreten […] kann.[3] “
Auf politischer Ebene war mittlerweile ein Wandel vollzogen – trotz der , durch die Alliierten diktierten Demokratisierung des ehemaligen Kaiserreiches, nicht im personalen Bereich, was schon bei der Betrachtung diverser Leitungspositionen innerhalb des Auswärtigen Amtes offensichtlich wird und sich gar bis in die Hochschulen, sprich andere gesellschaftliche Bereiche fortsetzen ließe. Mit dem Eingeständnis der OHL, einen Siegfrieden nicht mehr erringen zu können, und dem Unterzeichnen des Versailler Vertrages wurden neue Wege gesucht, um die negativen Auswirkungen, die der Krieg und sein aufgezwungener Friedensschluss auf Deutschland haben sollten, bestmöglich zu mildern. Der zentrale Punkt hierbei war die Revisionspolitik bezüglich des Versailler Vertrages. Das Ziel der politischen Elite des Reiches war klar: Annullierung der Ergebnisse der Pariser Friedensverhandlungen, Erarbeitung eines neuen akzeptablen Rechtsfriedens, Erhaltung Deutschlands als eine europäische Großmacht u.ä., doch die Methoden sollten erheblich voneinander abweichen. Die Verfechter der unbedingten Revision des gesamten Vertragswerkes von Versailles rekrutierten sich zumeist aus den rechtsgerichteten bzw. kaiserlichen Beamtenständen, deren Methoden unbeugsam, beharrlich, ja geradezu arrogant wirkten angesichts der international isolierten Lage, in welcher Deutschland sich befand. Durch eine erschütternde Verkennung der eigenen Handlungsmöglichkeiten sollte ihre Rolle in der tatsächlichen Revisionspolitik eher ketzerisch-destruktiver Natur sein.
Auf der anderen Seite standen die liberalen Kräfte, meist Mitglieder der Mehrheitsparteien (wie Zentrum, DDP, u.a.), die schon während des Krieges vergeblich bemüht waren, die damalige Reichsführung von dem Abschluss eines Verständigungsfriedens zu überzeugen[4]. Unbedingte Kompromissbereitschaft, Kooperationswille und in aller erster Linie Verständigung mit den Briten waren ihre Richtlinien, um in Zukunft schrittweise Deutschland aus der wirtschaftlichen wie diplomatischen Isolierung zu führen und dessen Reputation in Europa wiederaufzubauen.
Allgemein lässt sich jedoch folgendes für den direkten zeitlichen Anschluss an Versailles festhalten: Die Richtlinien der deutschen Reichsregierung, die Alliierten von der Notwendigkeit einer teilweisen Revision bestimmter Vertragsabschnitte des Friedens von Versailles, welche such in ihrem Sinne gewesen wäre, zu überzeugen, waren einerseits der Verweis auf die Labilität der jungen Demokratie angesichts drohender Gefahr aus dem bolschewistischen Spektrum, sowie unbeirrbar monarchistischer Bestrebungen. Andererseits diente die eingeleitete „Erfüllungspolitik“ des zu Beginn des Kapitel zitierten Reichskanzler Bauers demnach vornehmlich dem Zweck, die Unmöglichkeit der vollständigen Umsetzung der Vertragspflichten zu offenbaren[5].
Ein erster achtbarer Erfolg konnte mit dieser Verfahrensweise erzielt werden: Das Einverständnis der Entente, die von ihr im Artikel 227 des Versailler Vertrages insgesamt 895 als Kriegsverbrecher deklarierten Angeklagten, unter ihnen Kaiser Wilhelm II., Paul von Hindenburg, u.a., von einem deutschen Schwurgericht aburteilen zu lassen, kommt wie es Heinrich Klümpen formuliert, durchaus einem Verzicht und damit einer geringfügigen, aber ideologisch nicht zu vernachlässigenden Revision des Versailler Vertragswerkes gleich[6], bleibt aber dennoch nur ein kleiner Achtungserfolg.
b. Militär
Zweifelsohne war der Versailler Vertrag auch der militärischen Führung ein Dorn im Auge. Insbesondere die Artikel 227-231 des Vertrages sollten Thema heftigster Diskussionen innerhalb der Führungselite der Reichswehr werden[7]. Angesichts der Tatsache, dass neben Kaiser Wilhelm II. auch Mitglieder der OHL, so etwa Ludendorff und von Hindenburg, auf der Liste der auszuliefernden Kriegsverbrecher standen, weigerte sich der größte Teil des militärischen Führungsapparates, die Friedensbedingungen anzunehmen[8]. Zudem bildete die Oberschlesienfrage und die damit verbundene Abtretung deutscher Territorien an Polen, wie bereits erwähnt ein Kernpunkt in den revisionistischen Ambitionen der Reichswehrleitung[9]. Dem entspricht die Forderung nach der unbedingten Wahrung des Einheitsstaates Deutschlands, obgleich sich die konkreten Ausführungen im Vertrag von Versailles eines entsprechenden Mandats noch vorbehielten. Die Reduzierung der Heeresstärke von seiner Zeit etwa 500.000 Mann auf letztendlich 100.000 Mann bis zum 31.03.1920 war einerseits ein nicht zu verachtender Bestandteil des Versailler Vertrages[10], konnte aber durch die Betonung, Deutschland im Interesse der Entente als bolschewistischen Schutzwall gegenüber Sowjetrussland wehrfähig zu erhalten[11], zunächst mittels der Verstärkung insbesondere bayrischer Bürgerwehren wettgemacht werden[12].
[...]
[1] Versailler Vertrag, Teil III, Art. 231: „Die verbündeten und assoziierten Regierungen erklären, und Deutschland erkennt an, dass Deutschland und seine Verbündeten als Urheber für alle Verluste und Schäden verantwortlich sind, die die alliierten und assoziierten Regierungen […] infolge des Krieges, der ihnen durch den Angriff Deutschlands und seiner Verbündeten aufgezwungen wurde, erlitten haben.“
[2] Vgl. hierzu: Carsten, Francis L.: Reichswehr und Politik 1918-1933, Köln, Berlin, 1964, S. 58
[3] Regierungserklärung Gustav Bauer; 22.06.1919; In: Klümpen, Heinrich: Deutsche Außenpolitik zwischen Versailles und Rapallo. Revisionismus oder Neuorientierung?, Münster, Hamburg, 1992 [Studien zur Weimarer Geschichte; Bd.1]; S. 67
[4] vgl. hierzu: Klümpen (1992) S. 7f.
[5] „Wir lassen keinen Zweifel darüber, dass es uns mit dem Willen zu dieser Erfüllung bis zur Grenze unserer Fähigkeiten ernst ist, wir wollen aber auch keinen Zweifel darüber lassen, dass wir mit allen loyalen Mitteln die Revision dieses Vertrages erstreben werden.“, In: Klümpen (1992) S. 69, vgl. hierzu: Klümpen (1992) S. 62-88
[6] s. ebd. S. 77ff.
[7] vgl. hierzu: Carsten, Francis L. (1964) S. 44-56
[8] s.ebd. S. 53
[9] s.ebd. S. 44-56
[10] s.ebd. S. 58
[11] vgl. hierzu: Nuß, Karl: Militär und Wiederaufrüstung in der Weimarer Republik. Zur politischen Rolle und Entwicklung der Reichswehr, Berlin, 1977; S. 104
[12] s. ebd. S. 85
- Citation du texte
- Andrea Glados (Auteur), 2005, Rapallo im Spiegel des deutschen Revisionimus - Motive der deutschen Außenpolitik, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/48462
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