Eine der meist diskutierten Fragen der Gegenwart ist das zukünftige Verhältnis zwischen den Generationen. Eines ist klar: Die sich stark verändernde demographische Entwicklung in der Bundesrepublik in den kommenden Jahren wird Auswirkungen auf das Miteinander von Jung und Alt haben. Es geht zum Beispiel darum wie sich angesichts einer immer älter werdenden Bevölkerung die Sozialsysteme, wie der Gesundheitsbereich, zukünftig noch finanzieren lassen, wie es gelingen kann, dass das Pendel nicht zugunsten einer Gruppe – der Älteren oder der Jüngeren – ausschlägt. Damit wird das Thema der „Generationengerechtigkeit“ berührt. Eine zutiefst ethische Frage, weil es über mögliche Antworten, die die Tagespolitik betreffend hinaus, um elementare Maßstäbe des menschlichen Zusammenlebens geht.
In der vorliegenden Arbeit zeigt der Autor zunächst die aktuelle Problematik der absehbaren demographischen Veränderungen in der Bundesrepublik auf und begründet, weshalb die „intergenerationelle Gerechtigkeit“ ein Thema ist, das in den Bereich der Ethik fällt. Danach wird explizit nach den Maßstäben eines ethischen Handelns im Sinne der Generationengerechtigkeit gefragt und der christliche Glaube als besondere Ausdrucksform ethischen Handelns in den Blick genommen. Um ethische Positionen und Ansätze aus dem christlichen Glauben aufzuzeigen und vorzustellen, verwendet der Autor eine Vielzahl kirchlicher und theologischer Stellungnahmen, die das Thema vielseitig beleuchten. Am Ende der Arbeit wird deutlich, dass die christliche Ethik wertvolle Beiträge und Lösungsansätze in der aktuellen Diskussion um die „intergenerationelle Gerechtigkeit“ liefern kann.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Der Generationskonflikt als Phänomen des Zusammenlebens zwischen Alt und Jung
3. Aktuelle gesellschaftliche und soziale Herausforderungen für die intergenerationelle Gerechtigkeit
4. Generationsgerechtigkeit als Thema für die Ethik
4.1 Was ist Ethik?
4.2 Der christliche Glaube als besondere Ausdrucksform ethischen Handelns
5. Ansätze aus dem christlichen Glauben
6. Schluss
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Erklärung über die selbständige Erarbeitung
1. Einleitung
Anfang August des Jahres 2003 sorgte der Junge-Union-Vorsitzende Philip Mißfelder für Schlagzeilen. Der 23-Jährige hatte die Frage aufgeworfen, ob bei der Gesundheitsvorsorge die Erhaltung von Lebensstandard noch ein Gemeinschaftszweck sein kann. Er hatte sich dagegen ausgesprochen, dass 85-Jährige noch Hüftgelenke auf Kosten der Solidargemeinschaft bekommen. Die Äußerungen wurden in der Öffentlichkeit heftig diskutiert. Der Junge-Union-Vorsitzende traf den Nerv der Nation für eine grundlegende generationsübergreifende Diskussion und weckte die Ängste der Alten. Obwohl er seine Äußerungen später hinsichtlich der Formulierung relativierte, um die Ängste der alten Menschen nicht zu schüren oder ihre Lebensleistung in Frage zu stellen, plädierte er weiterhin dafür, dass sich die Alten an den Gesundheitskosten stärker selbst beteiligen müssen und der Generationsvertrag neu verhandelt werden müsse.
Bereits im Jahr 1993 fragte Götz Eisenberg und Reimer Gronemeyer nach der Darstellung der aktuellen demographischen Entwicklung und den daraus resultierenden Auswirkungen auf das Renten- und Sozialsystem in der Bundesrepublik Deutschland: „Wer glaubt eigentlich, dass das ohne harte Konflikte zwischen den Generationen abgeht?“[1]
Franz Schirmmacher prognostiziert in seiner Veröffentlichung „Das Methusalem-Komplott“ aus dem Jahr 2004 gar eine Revolution der Hundertjährigen, einen >Krieg der Generationen<[2]. Er bezieht sich auf die alternde Gesellschaft, die sich aus dem veränderten Altersaufbau in der Bundesrepublik ergibt. Mit seiner Veröffentlichung spricht er vor allem die Alten an, sich gegen die Tyrannei des Jugendwahns zu wehren und sich von alten Vorstellungen zu lösen, um den wachsenden Anforderungen im Alter gerecht werden zu können.
In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage eines moralisch vertretbaren Handelns, gegebenenfalls staatlicher Organe, um erdenkliche Ungerechtigkeiten bei der Verteilung von sozialen Leistungen und knappen Ressourcen zwischen den unterschiedlichen Generationen nicht zulassen. Diese Frage lässt sich in einer ethischen Diskussion den moralischen Vorstellungen einordnen.
Der Aufbau der Arbeit ist so gestaltet, dass nach einem einleitenden Teil der zweite Abschnitt den Generationskonflikt als Phänomen des Zusammenlebens zwischen Alt und Jung in seiner zeitlichen Entwicklung aufzeigt. Es soll dargestellt werden, wie sich der Begriff aufgrund von aktuellen sozialen und gesellschaftlichen Veränderungen in der Gesellschaft einer aktuellen aufkommenden Debatte in der Öffentlichkeit anpasst.
Der dritte Abschnitt befasst sich mit den für die christliche Ethik aktuell gesellschaftlichen und sozialen Herausforderungen. Im Mittelpunkt stehen die Betrachtung der Bevölkerungsentwicklung und daraus resultierende Folgen mit der Entstehung einer neuen und veränderten Generationskonflikt-Diskussion vor dem Hintergrund der intergenerationellen Gerechtigkeit. Darüber hinaus beinhaltet dieser Teil der Arbeit eine Übersicht von ungleichen Ansichten der sich gegenüberstehenden Konfliktparteien.
Im vierten Abschnitt dieser Arbeit wird die Relevanz der intergenerationellen Gerechtigkeit für die Ethik dargestellt. Primär stellt sich dabei die Frage, wie sich Ethik definieren lässt und in welchem Gefüge sie mit dem christlichen Glauben zu sehen ist. Es soll veranschaulicht werden, inwieweit und auf welchen Grundlagen die Kirchen als Institution für sich das Recht in Anspruch nehmen, sich zu gesellschaftlichen Problemstellungen in der Bundesrepublik Deutschland zu äußern.
Der letzte Abschnitt soll einen Zusammenhang zwischen der aktuell gesellschaftlichen und sozialen Herausforderungen für die Ethik und der Kirche mit dem christlichen Glauben herstellen. Dabei sollen Ansichten aus dem ethischen Verständnis und Ansätze aus dem christlichen Glauben zur Lösung der Generationsproblematik aufgezeigt werden.
2. Der Generationskonflikt als Phänomen des Zusammenlebens zwischen Alt und Jung
Der Generationskonflikt als sozialer Konflikt zwischen der Eltern- und der Kindergeneration war schon seit je her ein Thema innerhalb der Familie. Der Terminus Generation bezeichnet in diesem Bezug eine bestimmte Gruppe von Gleichaltrigen einer Generation, die als Jahrgang oder als Gruppe von Jahrgängen durch gleiche geschichtliche Erfahrungen geprägt sind. Der Generationswechsel als dynamischer Prozess stellt eine Herausforderung für jeweils die Eltern- wie auch der Kindergeneration im Übergang zu einer neuen Elterngeneration dar. Hierbei können Schwierigkeiten entstehen, die einem Konflikt gleichkommen, denn die nachrückende Generation nimmt für sich neben einer denkbaren veränderten Wertevorstellung auch Autorität in Anspruch.
Jugendliche können in einem solchen Gefüge die Vorstellungen und Lebensweisen der Erwachsenen als einengend empfinden. Auf der anderen Seite können sie nicht verstehen, weshalb die Jugendlichen ganz andere Ideen und Ziele haben als sie selbst. Die Elterngeneration kann sich sogar verletzt fühlen, weil sie den Widerstand der Jugendlichen als eine Entwertung ihrer eigenen Lebensleistung empfinden. Der Generationswechsel ist allerdings nicht nur negativ anzusehen, da er für eine sich verändernde Gesellschaft auch Innovationen mit sich bringt.
Die Beziehungen zwischen den Generationen haben sich im Laufe der Zeit gewandelt und sind durch neue Qualitäten geprägt. Die frühere Richtung, Erfahrungen und Wissen von den Erwachsenen an die Jungen weiterzugeben, hat sich verändert. In einigen Bereichen, wie zum Beispiel im Umgang mit elektronischen Medien und Produkten, scheint es sich sogar umgekehrt zu haben.
Der schnelle Wandel der Gesellschaft verlangt von jungen Menschen mehr Mobilität und Flexibilität in ihrer biografischen Planung. Dies ist für eine sichere Lebensplanung zum Teil ungeeignet. Daher suchen die Jungen nach neuen Wegen. Die Lebensläufe der Erwachsenen entfallen als Vorbild für die Jugendlichen.
Freilich ist auch anzumerken, dass sich die Sozialisation der jungen Generation verändert hat. Die Weitergabe von Normen und Werten durch die Familie und durch die Schule scheint mehr und mehr durch Medien zu erfolgen. Gronemeyer spricht 1993 sogar von einer Zermürbung der klassischen Sozialisationsinstanzen. Die Familie sei bisher der Dreh- und Angelpunkt für die Verinnerlichung von Moral gewesen[3]. Die Vermittlung von Normen und Werten wird durch einen umfangreichen Einfluss der Medien zurückgedrängt. „Übereinstimmend berichten Schulleiter und Pädagogen von einem Schwund moralischer Skrupel und Hemmungen... .“[4]
Nicht nur die Wertevorstellungen zwischen den Generationen haben sich gewandelt. Besonders die Themenstellungen innerhalb der Auseinandersetzungen haben sich verändert. So wird zum Beispiel in mancher Hinsicht der Generationskonflikt zwischen der jetzigen Generation und den Folgenden um erschöpfbare Ressourcen ausgetragen[5]. Es stellt sich hierbei die Frage, was für eine Umwelt, auch im Hinblick auf die zunehmende Verursachung von Umweltbelastungen, für nachkommende Generationen hinterlassen wird.
Bezüglich nachkommender Generationen steht auch die Verschuldung der Bundesrepublik Deutschland in der Diskussion. Im Jahr 1992 betrugen die Schulden der öffentlichen Hand 1690 Mrd. DM. Im Jahr 1994 waren es bereits 2070 Mrd. DM. Dies lässt sich als Skandal bezeichnen, wobei „... eine Generation in großer Dreistigkeit ihren Nachkommen so viel Schulden hinterlässt, dass sie diese nicht mehr tilgen können.“[6]
Als besonders problematisch für die Generationskonfliktdiskussion wird die zukünftige Entwicklung der Sozial- und Rentensysteme gesehen. Immer weniger Berufstätige müssen immer mehr Renten finanzieren. „Bleibt es bei der gegenwärtigen Rentenregelung ..., dann werden sich im nächsten Jahrtausend zwei Kurven schneiden: Die Kurve der Rentenempfänger steigt, die Kurve der Berufstätigen sinkt. Wenn sich diese beiden Kurven schneiden, dann ist der Augenblick erreicht, an dem ein Berufstätiger eine Rente wird finanzieren müssen.“[7]
Durch aktuelle, soziale und gesellschaftliche Entwicklungen hat sich der Konflikt zwischen den Generation verändert. Er hat sich gewandelt, hin zu einem Verteilungskonflikt. Die neue Thematisierung aufgrund der Renten- und Gesundheitsproblematik in der Bundesrepublik Deutschland hat an Aktualität und Brisanz gewonnen.
In der Diskussion stellt sich in diesem Bezug die Frage nach intergenerationeller Gerechtigkeit oder auch Generationengerechtigkeit. Sie resultiert aus der Betrachtung der Konfliktsituation zwischen den Generationen. Thematisiert wird, ob eine moralische Verantwortung gegenüber vergangenen bzw. zukünftigen Generationen besteht. Gegenüber vergangenen Generationen meint die Betrachtung der Alten im Hinblick auf einen Zusammenfall der Sozialsysteme. Verantwortung für zukünftige Generationen bezeichnet hierbei die Verantwortung gegenüber den Nachfahren. Thematisiert wird dabei die Beeinflussung der Lebensbedingungen nachfolgender Generationen durch die Verursachung von Umweltverschmutzungen sowie Ausbeutung von Rohstoffen.
3. Aktuelle gesellschaftliche und soziale Herausforderungen für die intergenerationelle Gerechtigkeit
Als Herausforderung und als Auslöser der in der Öffentlichkeit wiederaufflammenden Generationskonfliktdiskussion ist in erster Linie die Bevölkerungsentwicklung zu sehen.
Zurzeit leben in der Bundesrepublik Deutschland rund 82 Millionen Menschen. Diese Bevölkerungszahl würde sich nach der aktuellen Entwicklung ohne Zuwanderung bis zum Jahr 2080 um die Hälfte vermindern[8]. Diese Entwicklung wird maßgeblich von zwei Faktoren beeinflusst:
1. Geburtenhäufigkeit
2. Lebenserwartung.
Bezüglich der Geburtenhäufigkeit zeigt sich, dass sich in Deutschland seit Jahren weniger Kinder geboren werden als zu einer langfristigen Erhaltung der Bevölkerungszahl notwendig wären. Noch in den sechziger Jahren gab es in den alten Bundesländern eine so hohe Geburtenrate, die sich durch durchschnittliche Kinderzahlen von 2500 je 1000 Frauen kennzeichnete. Die damals Geborenen bilden heute die starken Jahrgänge im Alter von etwa Mitte bis Ende 30.
In der Folgezeit gingen die Geburtenraten jedoch stark zurück. Mitte der achtziger Jahre erreichte die Geburtenrate in den alten Bundesländern ein Tief mit weniger als 1300 Kinder je 1000 Frauen, stieg jedoch bis 1990 wieder etwas an und schwankt seither geringfügig um 1400 Geburten je 1000 Frauen. In absoluten Zahlen bedeutet dies, dass zum Beispiel im Jahr 1999 in ganz Deutschland nur noch 770.000 Kinder geboren wurden.
Seit ungefähr 30 Jahren werden in Deutschland deutlich weniger Kinder geboren als zu einer zahlenmäßigen Nachfolge ihrer Elterngeneration notwendig wären. Die Elterngeneration wird derzeit nur noch zu etwa zwei Dritteln durch Kinder ersetzt[9].
Bleibt das Geburtenniveau auf Dauer so niedrig, hat das langfristig eine sinkende und alternde Bevölkerung zur Folge.
[...]
[1] Eisenberg, G./Gronemeyer, R.: Jugend und Gewalt – Der neue Generationskonflikt oder der Zerfall der zivilen Gesellschaft; Hamburg 1993, S. 205.
[2] Vgl . Splitt Carsten: Wir müssen uns mehr zumuten: Interview mit Frank Schirrmacher, Autor des Bestsellers „Das Methusalem-Komplott“; In: Die Nordelbische; Ausgabe 17, 25. April 2004; S.3.
[3] Vgl. Eisenberg, G./Gronemeyer, R.; 1993a, S. 9.
[4] Eisenberg, G./Gronemeyer, R.; 1993b, S. 117.
[5] Vgl. Buchholz, Wolfgang: Intergenerationelle Gerechtigkeit und erschöpfbare Ressourcen; Berlin 1984.
[6] Eisenberg, G./Gronemeyer, R.; 1993c, S. 204.
[7] Eisenberg, G./Gronemeyer, R.; 1993d, S. 205.
[8] Vgl. Splitt Carsten; 2004a; S.3.
[9] Vgl. Statistisches Bundesamt - Pressestelle: Bevölkerung Deutschlands bis 2050, Ergebnisse der 10. koordinierten Bevölkerungsvorausrechnung; Wiesbaden 2003, S. 10.
- Arbeit zitieren
- Heiko Fischer (Autor:in), 2004, Die Herausforderungen in der intergenerationalen Gerechtigkeit vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/48409
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