Die Tragödie "Emilia Galotti" gehört zweifelsohne zu den anerkanntesten Werken des Theaterdichters und Dramaturgen Gotthold E. Lessing. Sie steht nicht nur beispielhaft in der Tradition des deutschen bürgerlichen Trauerspiels, welches Lessing mitbegründet hatte, sondern gilt auch als "Musterbeispiel" einer aristotelischen Tragödie, da sich der Dramatiker bei der Konzeption seines Stückes weitgehend an den Vorgaben des großen griechischen Philosophen orientiert hat. In seiner dramentheoretischen Schrift der "Hamburgischen Dramaturgie" hat Lessing in epischer Breite die "Poetik des Aristoteles" und ihren ästhetischen Wirkungszusammenhang, im Hinblick auf die zeitgenössische Theaterkultur, analysiert. Einen wichtigen Aspekt dieser Reflexion stellt dabei die Gestaltung der Handlungsträger dar, die nach Lessing gemischten Charakteren entsprechen müssen.
Die folgende Ausarbeitung wird sich schwerpunktmäßig diesem "Phänomen" widmen, das neben der Interpretation der Katharsis zu einem der meistdiskutierten dramatischen Theoreme gehört. Der erste Teil der Arbeit wird sich zunächst mit der "Hamburgischen Dramaturgie" befassen und einen Überblick über die Ziele und Intentionen geben, die Lessing mit ihr verfolgt hat. Im Anschluss an die allgemeine Konzeption der Dramaturgie soll auf den Terminus des gemischten Charakters eingegangen werden und wie Lessing ihn definiert hat.
Der zweite Teil wird schließlich exemplarisch an den Figuren der Titelheldin und der des Prinzen von Guastalla untersuchen, inwiefern der Dramatiker seine Forderung nach gemischten Charakteren in "Emilia Galotti" umgesetzt hat. Entsprechen die Figuren tatsächlich dem "Identifikationsideal" der neuen bürgerlichen Öffentlichkeit, wie Lessing es letzten Endes gefordert hat oder sind sie immer noch auf eher stereotype Charaktere oder Märtyrer festgelegt, denen das Publikum, aufgrund ihrer "Überstilisierungen", nur mit Distanz begegnen kann?
- Inhaltsverzeichnis –
1. Einleitung
2. Lessings dramaturgisches Wirken am Hamburger Nationaltheater
3. Hamburgische Dramaturgie
3.1. Prinzipien und Ziele
3.2. Forderung nach gemischten Charakteren
4. Gemischte Charaktere in „Emilia Galotti“
4.1. Hettore Gonzaga, Prinz von Guastalla
4.2. Emilia Galotti
5. Schluss
Quellen- und Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Die Tragödie „Emilia Galotti“ gehört zweifelsohne zu den anerkanntesten Werken des Theaterdichters und Dramaturgen Gotthold E. Lessing. Sie steht nicht nur beispielhaft in der Tradition des deutschen bürgerlichen Trauerspiels, welches Lessing mitbegründet hatte, sondern gilt auch als „Musterbeispiel“ einer aristotelischen Tragödie, da sich der Dramatiker bei der Konzeption seines Stückes weitgehend an den Vorgaben des großen griechischen Philosophen orientiert hat. In seiner dramentheoretischen Schrift der „Hamburgischen Dramaturgie“ hat Lessing in epischer Breite die „Poetik des Aristoteles“ und ihren ästhetischen Wirkungszusammenhang, im Hinblick auf die zeitgenössische Theaterkultur, analysiert. Einen wichtigen Aspekt dieser Reflexion stellt dabei die Gestaltung der Handlungsträger dar, die nach Lessing gemischten Charakteren entsprechen müssen.
Die folgende Ausarbeitung wird sich schwerpunktmäßig diesem „Phänomen“ widmen, das neben der Interpretation der Katharsis zu einem der meistdiskutierten dramatischen Theoreme gehört. Der erste Teil der Arbeit wird sich zunächst mit der „Hamburgischen Dramaturgie“ befassen und einen Überblick über die Ziele und Intentionen geben, die Lessing mit ihr verfolgt hat. Im Anschluss an die allgemeine Konzeption der Dramaturgie soll auf den Terminus des gemischten Charakters eingegangen werden und wie Lessing ihn definiert hat.
Der zweite Teil wird schließlich exemplarisch an den Figuren der Titelheldin und der des Prinzen von Guastalla untersuchen, inwiefern der Dramatiker seine Forderung nach gemischten Charakteren in „Emilia Galotti“ umgesetzt hat. Entsprechen die Figuren tatsächlich dem „Identifikationsideal“ der neuen bürgerlichen Öffentlichkeit, wie Lessing es letzten Endes gefordert hat oder sind sie immer noch auf eher stereotype Charaktere oder Märtyrer festgelegt, denen das Publikum, aufgrund ihrer „Überstilisierungen“, nur mit Distanz begegnen kann?
2. Lessings dramaturgisches Wirken am Hamburger Nationaltheater
Im November 1766 erhielt der 37jährige Gotthold Ephraim Lessing vom Intendanten des Hamburger Nationaltheaters, Johann Friedrich Löwen, das Angebot, die Stelle des Dramatikers in dem neuentstandenen Schauspielhaus am Gänsemarkt anzutreten. Löwen hatte ein innovatives Konzept entwickelt, das die von vielen als rückständig kritisierte Theatersituation reformieren und sich vollkommen der Förderung von Nationalstücken widmen sollte. Dieses neue Forum der bürgerlichen Öffentlichkeit verschrieb sich einer anspruchsvollen, seriösen Stückeauswahl, welche die Vielseitigkeit der zeitgenössischen Literatur im Repertoire widerspiegeln sollte. Im Gegensatz dazu wurden Ballette und seichte Opern aus dem Programm gestrichen, da das neue Direktorium den Schwerpunkt nicht mehr nur allein auf den Unterhaltungswert legen wollte. Weitere Ziele, die das Projekt verfolgte, waren u.a. die Ausbildung und finanzielle Absicherung der Bühnendarsteller sowie die Förderung von neuen literarischen Talenten in Form von Preisgeldern.[1]
Für Lessing, der seit seinem Bühnenerfolg „Miß Sara Sampson“ als einer der erfolgreichsten deutschen Theaterautoren galt, war dieses Angebot zweifellos verlockend, da es ihm ermöglichte, wieder in der Domäne arbeiten zu können, die er von der Pike auf kannte. Jedoch entsprach die Tätigkeit eines Theaterdichters, der Stücke in Serie konzipiert, nicht Lessings Gusto. Es war die Arbeit als Dramaturg, die ihn reizte und an der er sein Interesse bekundete. Denn in erster Linie betrachtete sich Lessing, der von der pädagogischen Wirkung des Theaters überzeugt war, als Erzieher.[2]
Schon früh hatte Lessing sich das Ziel gesetzt, die Entwicklung der dramatischen Literatur in Deutschland theoretisch und praktisch zu fördern. So stand er besonders den klassizistischen Vorgaben Gottscheds kritisch gegenüber, die sich ausschließlich an der französischen Literatur orientierten. In ihnen sah Lessing die Ursache für die nur unzureichenden Entfaltungsmöglichkeiten der deutschen Literatur und insbesondere des Dramas. Vorbildlich waren für ihn die englischen Theaterstücke, insbesondere die Werke Shakespeares, an denen sich das deutsche Theater orientieren sollte. Dies waren nur einige der Forderungen, die Lessing an das Theatermetier stellte und die sich u.a. in den mit Moses Mendelsohn und Friedrich Nicolai herausgegebenen „Briefen, die neueste Literatur betreffend“ wiederfinden.[3]
Diesem Anspruch folgte schließlich im Frühjahr 1767 das praktische Engagement für das Hamburger Nationaltheater, in dem Lessing nun als dramaturgischer Berater tätig wurde. In dieser Funktion zeigte er sich für die Gestaltung des Spielplans verantwortlich sowie die publizistische Unterstützung des Unternehmens. Des weiteren plante er die Herausgabe einer theatereigenen Zeitschrift, in der die laufenden Stücke wöchentlich kommentiert werden sollten. Mit dieser Publikation, die später unter dem Namen „Hamburgische Dramaturgie“ bekannt wurde, sollte das Publikum über das Repertoire sowie die bühnenpraktische Arbeit hinter den Kulissen informiert werden. Mit diesem Unternehmen übernahm Lessing die Aufgabe des Theaterkritikers, der mit fundierten Fachkenntnissen die aufgeführten Stücke des Schauspielhauses reflektiert und analysiert. Auf der anderen Seite leistete Lessing mit seiner Publikation ein Stück Öffentlichkeitsarbeit, da er auf diese Weise für das Nationaltheater werben konnte.
Verlegt wurde die „Hamburgische Dramaturgie“ in einer dafür eigens von Lessing und Johann Bode errichteten Druckerei. Zwischen April und August 1767 erschienen die Kommentare zunächst mehrmals wöchentlich. Nach einer längeren Publikationspause folgten schließlich 50 weitere Stücke von Dezember 1767 bis April 1768. Die letzten 20 Stücke erschienen erst zu Ostern 1769 in einer zweibändigen Gesamtausgabe in Buchform.[4]
Wie das Theaterprojekt selbst, so stand auch die „Hamburgische Dramaturgie“ unter keinem guten Stern. Lessing musste bald erkennen, dass sich seine Bemühungen in der damaligen Theaterrealität noch nicht verwirklichen ließen. Dies lag zum einen an der Überempfindlichkeit der Schauspieler gegenüber Lessings Kritik, zum anderen an der fehlenden Resonanz des Publikums für anspruchsvolle Dramen. Hinzu kamen verlegerische Probleme in Form von unlizenzierten Nachdrucken der Dramaturgie, die ein Leipziger Buchhändler herausgegeben hatte.
Nach nur 1 ½ Jahren erklärte Löwen sein Projekt für gescheitert und trat sein Amt an seinen Vorgänger Conrad Ackermann ab, der das Theaterprogramm wieder an den Unterhaltungsinteressen des Publikums orientierte. Im Anschluss an sein Engagement am Nationaltheater führte Lessing seine Arbeit an dramatischen Projekten, wie dem Faust-Drama, fort und beschäftigte sich verstärkt mit antiquarischen Schriften. Im April 1770 kehrte er Hamburg endgültig den Rücken, um eine Stelle als herzoglicher Bibliothekar in Wolfenbüttel anzutreten.[5]
[...]
[1] Alt (1994), S. 235 f.
[2] Barner (1998), S. 110.
[3] Ebenda, S. 184.
[4] Alt (1994), S. 236.
[5] Ebenda, S. 236 f. Barner (1998), S. 112 f. und 185.
- Citation du texte
- Nicole Rösingh (Auteur), 2002, Gemischte Charaktere in Gotthold E. Lessings 'Emilia Galotti', Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/48325
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