2 Ich bin JHWH, dein Gott, der dich aus Ägypten geführt hat, aus dem Sklavenhaus.
3 Du sollst neben mir keine anderen Götter haben. (Ex 20,2f.)
Mit dem ersten Gebot bekennt sich Israel zu JHWH, dem Gott der Rettung und Befreiung aus der Unterdrückung. Zu einem Gott, der sich in der Geschichte als ein solidarischer Gott erweist. Besonders dann, wenn Menschen unter Menschen leiden. Der biblische Exodus ist eine der wichtigsten Grunderfahrungen Israels in Bezug auf das befreiende Handeln Gottes. JHWH wird besonders in der Trostlosigkeit der Unterdrückung, der Zwangsarbeit und der Hilflosigkeit Israels als ein solidarischer Gott erfahren, der sich um das Wohl seines Volkes sorgt und ihm aus seiner Not heraushilft. Diese Erfahrung wurde, nicht nur in biblischer Tradition zu einem Paradigma der Befreiung und der Solidarität Gottes. Denn im Exodus erweist sich JHWH als der Gott, der das Leiden der Menschen sieht, an ihm teilnimmt und die Menschen als mitgehender Gott aus der Unterdrückung herausführt.
Diese zentrale Gotteserfahrung Israels zieht sich durch die gesamte Bibel. Immer wieder finden sich Anklänge an den Auszug aus der ägyptischen Knechtschaft. Vor allem die Propheten des Exils nehmen immer wieder Bezug auf die Exoduserfahrung Israels. So dass sich die Wirkungsgeschichte des befreienden Handelns Gottes, wie es vor allem durch die Vergegenwärtigung des Exodus erfahren wird, in Bezug auf die biblischen Texte deutlich erkennen lässt.
Doch auch in außerbiblischer Tradition gewinnt die Tradition des Exodus, der im Judentum durch das jährliche Passahfest bis heute vergegenwärtigt wird, Bedeutung. Vor allem immer dann, wenn erneut Menschen unter Menschen leiden. Wenn Menschen mit dem Rücken zur Wand stehen, bietet der Exodus ein Modell der Befreiung. So scheint es nicht weiter verwunderlich, dass die Sklaven in den USA Parallelen zwischen ihrer eigenen Situation und der Unterdrückung und Ausbeutung Israels in Ägypten ziehen. Durch das befreiende Handeln Gottes im Exodus lassen sich so Hoffnung und Zuversicht für die eigene Notlage schöpfen. Eine Hoffnung, von der die Gospels und Spirituals der schwarzamerikanischen Sklaven zeugen.
Die Besinnung auf die Befreiungstat Gottes im Exodus gewinnt so auch für die schwarz-amerikanische Bürgerrechtsbewegung des 20. Jahrhunderts neue Bedeutung. Als Erben der ehemaligen Sklaven sehen sie sich auf dem Weg ins Gelobte Land der Gleichberechtigung.
Inhalt
I. Einleitung
II. Die Befreiung aus dem Sklavenhaus
1. Quellen und Traditionen
2. Das Buch Exodus
2.1 Die Vorfahren Israels in Ägypten
2.2 Die Datierung des Exodus
2.3 Die Unterdrückung in Ägypten
2.4 Die Gestalt des Mose
2.4.1 Der Name „Mose“ 11
2.4.2 Die Flucht des Mose 11
2.4.3 Die Offenbarung des JHWH-Namen 12
2.5 Die Plagen und der Auszug
2.6 Die Rettung am Meer
2.7 Die Wüstenwanderung und der Sinaiaufenthalt 15
2.7.1 Die Rechtssätze am Sinai 16
2.7.2 Der Bundesbruch und die Erneuerung des Bundes 18
3. Der Gott des Exodus
4. Das politische Moment des Exodus
4.1 Der Schrei nach Freiheit
4.2 Die Exodusgesetze
5. Der Exodus – biblisches Paradigma
5.1 Die Hoffnung auf einen neuen Exodus
5.2. Das Exodusmotiv im Neuen Testament
5.2.1 Das Volk in der Wüste 26
5.2.2 Der eschatologische Zug durch den Himmelsozean 27
6. Zusammenfassung
III. Die Wirkungsgeschichte der Exoduserfahrung
1. Wenn dein Sohn dich morgen fragen wird: jüdische Exodustradition 30
1.1 Das Passahfest
1.2 Jüdische Erziehung
1.3 Leben unter der Weisung Gottes
1.4 Zusammenfassung
2. Exoduserfahrungen der Neuzeit
3. Der Exodus als Hoffnungsbild der Sklaven in den USA
3.1 Für sechzehn Flaschen Rum – Der Handel mit Menschen
3.2 Das Lied der Freiheit – Die Spirituals der schwarzen Sklaven
3.3 Underground Railroad – Hoffnungsgestalten der Sklaven
3.4 Free at last? – Das Ende der Sklaverei in den USA
IV. „Ich habe das Gelobte Land gesehen“:
Die schwarzamerikanische Bürgerrechtsbewegung
1. Die Situation der Afroamerikaner im 20. Jahrhundert
2. Afroamerikanische Theologie
2.1 Der Drang nach Freiheit – Wurzeln afroamerikanischer Theologie
2.2 Christus ist schwarz – Gegenstand afroamerikanischer Theologie
2.3 Amen Preacher – Afroamerikanischer Gottesdienst
3. Black Exodus
3.1 Ein Tropfen zuviel – Der Busboykott von Montgomery
3.1.1 Aufruf zum Boykott 51
3.1.2 Das Ende des Boykotts 52
3.1.3 Der Widerstand einer Frau 52
3.2 Gewaltfreier Widerstand
3.2.1 Christentum in Aktion 53
3.2.2 Sit-ins und freedom-rides 54
3.3 Die Birminghamkrise und der Marsch auf Washington
3.3.1 Warenhausboykott und Karfreitagsmarsch 56
3.3.2 Der Kinderkreuzzug 57
3.3.3 Der Sternmarsch auf Washington 58
3.4 Krieg und Frieden – arm und Reich
4. Black Moses
4.1 Zum Freiheitskämpfer berufen
4.2 Der umstrittene Anführer
4.3 Ein Visionär der Freiheit
V. Die Konkretion des Exodus und seiner Wirkung
1. Lernmöglichkeiten: Christen in der Gesellschaft
2. Black Exodus in der Hauptschule
3. Gott befreit: Ein Lernzirkel
VI. Abschließende Betrachtung
VII. Literaturverzeichnis
VIII. Materialteil
1. Lernziele
2. Aufbau der Stationen
2.1 Station 1: Freiheit
2.2 Station 2: Gewalt, Unterdrückung, Diskriminierung
2.3 Station 3: Gott befreit
2.4 Station 4: Gottes Gesetze
2.5 Station 5: Sklaven in den USA
2.6 Station 6: Schwarzamerikaner im 20. Jahrhundert
2.7 Station 7: Gewaltfreier Widerstand
2.8 Station 8: Das Gelobte Land
3. Methoden
I. Einleitung
2 Ich bin JHWH, dein Gott, der dich aus Ägypten geführt hat, aus dem Sklavenhaus.
3 Du sollst neben mir keine anderen Götter haben. (Ex 20,2f.)
Mit dem ersten Gebot bekennt sich Israel zu JHWH, dem Gott der Rettung und Befreiung aus der Unterdrückung. Zu einem Gott, der sich in der Geschichte als ein solidarischer Gott erweist. Besonders dann, wenn Menschen unter Menschen leiden. Der biblische Exodus ist eine der wichtigsten Grunderfahrungen Israels in Bezug auf das befreiende Handeln Gottes. JHWH wird besonders in der Trostlosigkeit der Unterdrückung, der Zwangsarbeit und der Hilflosigkeit Israels als ein solidarischer Gott erfahren, der sich um das Wohl seines Volkes sorgt und ihm aus seiner Not heraushilft. Diese Erfahrung wurde, nicht nur in biblischer Tradition zu einem Paradigma der Befreiung und der Solidarität Gottes. Denn im Exodus erweist sich JHWH als der Gott, der das Leiden der Menschen sieht, an ihm teilnimmt und die Menschen als mitgehender Gott aus der Unterdrückung herausführt.
Diese zentrale Gotteserfahrung Israels zieht sich durch die gesamte Bibel. Immer wieder finden sich Anklänge an den Auszug aus der ägyptischen Knechtschaft. Vor allem die Propheten des Exils nehmen immer wieder Bezug auf die Exoduserfahrung Israels. So dass sich die Wirkungsgeschichte des befreienden Handelns Gottes, wie es vor allem durch die Vergegenwärtigung des Exodus erfahren wird, in Bezug auf die biblischen Texte deutlich erkennen lässt.
Doch auch in außerbiblischer Tradition gewinnt die Tradition des Exodus, der im Judentum durch das jährliche Passahfest bis heute vergegenwärtigt wird, Bedeutung. Vor allem immer dann, wenn erneut Menschen unter Menschen leiden. Wenn Menschen mit dem Rücken zur Wand stehen, bietet der Exodus ein Modell der Befreiung. So scheint es nicht weiter verwunderlich, dass die Sklaven in den USA Parallelen zwischen ihrer eigenen Situation und der Unterdrückung und Ausbeutung Israels in Ägypten ziehen. Durch das befreiende Handeln Gottes im Exodus lassen sich so Hoffnung und Zuversicht für die eigene Notlage schöpfen. Eine Hoffnung, von der die Gospels und Spirituals der schwarzamerikanischen Sklaven zeugen.
Die Besinnung auf die Befreiungstat Gottes im Exodus gewinnt so auch für die schwarz-amerikanische Bürgerrechtsbewegung des 20. Jahrhunderts neue Bedeutung. Als Erben der ehemaligen Sklaven sehen sie sich auf dem Weg ins Gelobte Land der Gleichberechtigung.
Immer wieder besinnen sie sich auf die Exodustradition Israels, aber auch auf die Erfahrungen und Hoffnungen der schwarzamerikanischen Sklaven.
JHWH war somit nicht nur der Befreier Israels aus Ägypten. Er wurde von Israel immer wieder als der befreiende, solidarische und mitgehende Gott erlebt. Eine Erfahrung, die viele Generationen und Nationen immer wieder auch in ihrer eigenen Situation aktualisieren.
II. Die Befreiung aus dem Sklavenhaus
Mit der Zwangsarbeit Israels in Ägypten beginnt, der biblischen Darstellung nach, die Ge-schichte Israels als Volk.[1] In dieser Not erfährt Israel JHWH, den Gott ihrer Väter, als den Gott ihrer Rettung, der Hinausführung aus Ägypten. Dieser Exodus und die darauf folgende Landnahme werden bereits in Gen 50,24 angekündigt:
24 Dann sprach Josef zu seinen Brüdern: Ich muss sterben. Gott wird sich euer annehmen, er wird euch aus diesem Land heraus und in jenes Land hinaufführen, dass er Abraham, Isaak und Jakob mit einem Eid zugesichert hat. (Gen 50,24)
Mit dieser Passage wird nun die Vätergeschichte mit der Volksgeschichte verbunden.[2] Zu-gleich wird eine Linie von Verheißung und Erfüllung hergestellt. Die Landverheißung an die Väter Israels wird Gott am Volk Israel erfüllen. Dass diese Erfüllung, die Hinausführung aus Ägypten, für das Selbstbewusstsein und vor allem für den Glauben Israels von grundlegender Bedeutung ist, zeigt das sog. geschichtliche Credo:
5 Du aber sollst vor dem Herrn, deinem Gott, folgendes Bekenntnis ablegen:
Mein Vater war ein heimatloser Aramäer. Er zog nach Ägypten, lebte dort als Fremder mit wenigen Leuten und wurde dort zu einem großen, mächtigen Volk.
6 Die Ägypter behandelten uns schlecht, machten uns rechtlos und legten uns harte Fronarbeit auf.
7 Wir schrien zum Herrn, dem Gott unserer Väter, und der Herr hörte unser Schreien und sah unsere Rechtlosigkeit, unsere Arbeitslast und unsere Bedrängnis.
8 Der Herr führte uns mit starker Hand und hoch erhobenem Arm, unter großem Schrecken, unter Zeichen und Wundern aus Ägypten,
9 er brachte uns an diese Stätte und gab uns dieses Land, ein Land, in dem Milch und Honig fließen.
10 Und siehe, nun bringe ich hier die ersten Erträge von den Früchten des Landes, das du mir gegeben hast, Herr. (Dtn 26,5-10)
Dieses Bekenntnis Israels, das in Dtn mit der Darbringung der Erstlingsfrüchte verbunden ist, fasst das Geschehen des biblischen Exodus in wenigen Sätzen zusammen.
1. Quellen und Traditionen
Das Ereignis der Fronarbeit in Ägypten, die Hinausführung aus der Knechtschaft, die Wüstenwanderung, das Sinaigeschehen und die Landnahme erscheinen in biblischer Darstellung als ein Ereignis.[3] Doch schon ein erster genauerer Blick auf den Pentateuch zeigt, dass hier unterschiedliche Traditionen und Quellen miteinander verbunden wurden.[4] Am auffälligsten ist dies bei den detaillierten Geboten zum Heiligtum und dem Kult. Für ein Volk auf der Wanderung durch die Wüste dürfte dies kaum von Belang sein. Hier fand also eine der zahlreichen Überarbeitungen und Aktualisierungen des Exodus statt. Vor allem die Erzählstränge des Jahwisten (J), des Elohisten (E) und der Priesterschrift (P) prägen den Pentateuch und somit auch die Auszugserzählungen. J schrieb zu Beginn der Königszeit, als Israel ein goldenes Zeitalter erlebte. Für das Kollektiv der J-Schriftsteller war besonders eine Linie der Verheißung und Erfüllung von Bedeutung, so dass J „den Exodus als Fortsetzung der Verheißungsgeschichte, die im Buch Genesis begann“[5], betrachtete. E sah Israel, das Volk mit dem JHWH während des Sinaiaufenthalts einen Bund schloss, als einen unzuverlässigen Bundespartner, weshalb er die Anbetung des goldenen Kalbes in den Exodus einband. Vermutlich bezog E sich auf die Aufstellung von Baalssymbolen (Stierbilder), während des Abfalls der Nordstämme vom Jerusalemer Kult unter Jerobeam I.[6] Der „Priesterschrift […] geht es vor allem um die Einsetzung des Kultes am Sinai“[7], was die ausführlichen Schil-derungen des Kultes und der Einrichtung des Heiligtums zeigen.
Auch die unterschiedlichen Traditionen, die sich in heutiger Form alle auf das Ereignis der Befreiung aus Ägypten beziehen, waren wohl zunächst von einander unabhängig. So könnten den vier Grundereignissen des Exodus, der Befreiung aus Ägypten, der Wüstenwanderung, dem Sinaigeschehen und der Landnahme, je eigenständige Erfahrungen und Traditionen zugrunde liegen, die in den Überlieferungsprozessen miteinander verbunden wurden[8] (Abb. 1).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1: Im Laufe der Zeit verbanden sich die verschiedenen Traditionen und Gotteserfahrungen der einzelnen Israelstämme zu einer gemeinsamen Tradition.
Es ist durchaus möglich, dass es an unterschiedlichen Orten, wie etwa dem Oasenheiligtum Kadesch, zum Kontakt der verschiedenen Gruppen kam.[9]
2. Das Buch Exodus
2.1 Die Vorfahren Israels in Ägypten
Nach der biblischen Überlieferung hielten sich die Vorfahren Israels in Ägypten auf. Dieser Aufenthalt Israels,[10] und auch die damit einhergehende Fronarbeit, waren für Wandernomaden aus (Süd-)Palästina keine Seltenheit. Da während des Winters Regenfälle, die für das Über-leben der Nomaden und ihrer Viehherden lebensnotwendig waren ausbleiben konnten, blieb oftmals nur der Weg ins fruchtbare Nildelta Ägyptens.[11] So schildert bereits Gen 12,10-20 die Wanderung Abrahams und seiner Herde nach Ägypten aufgrund einer Hungersnot. Auch Josefs Brüder ziehen aus demselben Grund hinab nach Ägypten (Gen 42,1-38; 43,1-45,38). Dass die Aufnahme Fremder aufgrund einer Hungersnot für das alte Ägypten keine Seltenheit war, bezeugen auch ägyptische Quellen. So findet sich aus dem 12. Jh. v. Chr. die Meldung eines ägyptischen Grenzbeamten an seinen Vorgesetzten:
„…Eine andere Mitteilung für meinen Herrn: Wir sind damit fertig geworden, die S`sw-Stämme von Edom durch die Festung des Merneptah in Tkw passieren zu lassen bis zu den Teichen von Pitom des Merneptah in Tkw, um sie und ihr Vieh auf der großen Besitzung des Pharao, der guten Sonne eines jeden Landes, am Leben zu erhalten…“[12]
Den Schluss, dass sich die Vorfahren Israels als solche Viehnomaden in Ägypten aufhielten, lässt auch Gen 46,32 zu:
32 Die Männer sind Viehhirten, ja, Viehzüchter sind sie. Ihre Schafe, Ziegen und Rinder und alles, was ihnen gehört, haben sie mitgebracht. (Gen 46,32)
Während eines solchen Aufenthalts der Halbnomaden in Ägypten konnte es auch geschehen, dass diese Nomadengruppen als billige Arbeitskräfte ausgenutzt und festgehalten wurden.[13]
Solche Fronarbeiter werden in ägyptischen Quellen als ‛pr (in ugaritischer, hethitischer und mesopotamischer Form „Habiru“) bezeichnet. Der gleiche Wortstamm findet sich auch im Hebräischen ydib;(i (‛ibrî), das im Deutschen mit dem Wort „Hebräer“ wiedergegeben wird. Somit bezeichnet „Hebräer“ also nicht eine nationale, sondern eine soziologische Gruppe von nichtsesshaften und entrechteten Fronarbeitern.[14] Auch außerbiblische Quellen, wie diese Passage eines altägyptischen Briefes aus dem 13. Jh. v. Chr., zeugen von solchem Frondienst der Halbnomaden in Ägypten:
„…die für den großen Pylon (=Eingangsturm eines ägyptischen Tempels) von Ramses Miamun Steine ziehen.“[15] (vgl. Abb. 2)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 2: Wandmalerei aus einem Grab in Theben, 1460 v. Chr. Herstellung von Lehmziegeln. Lehm und Stroh werden vermengt und getrocknet. Die trockenen Ziegel werden mit einem Joch getragen.
Quelle: http://israel-live.de/schule-judentum/projekt/mose.htm
2.2 Die Datierung des Exodus
Ein Hinweis auf die Datierung des Exodus findet sich bereits zu Beginn des Buches Exodus. Dort wird der Frondienst der Vorfahren Israels beim Bau der Vorratsstädte Pitom und Ramses geschildert (Ex 1,11). Da diese beiden Vorratsstädte vor und nach der Regierungszeit Ramses II. kaum besiedelt waren, ließe sich daraus schließen, dass die Zeit der Unterdrückung in die Herrschaftszeit Ramses II. (1301-1234 v. Chr.) fiel.[16] Die beiden Vorratsstädte können heute am Ostrand des Nildeltas vermutet werden,[17] was sich mit dem Land Gosen als Wohnsitz der Vorfahren Israels (Gen 47,6) decken würde.
Datiert man also die Fronarbeit der präisraelitischen Stämme in diese Zeit, so müsste Mose unter dem Nachfolger Ramses II., dem Pharao Merenptah (1225-1215 v. Chr.) nach Ägypten
zurückgekehrt sein.[18] Eine Siegesstele desselben Pharao, die von einem Feldzug Merenptahs gegen Israel berichtet, bei dem Israel vernichtend geschlagen wurde, steht nur scheinbar mit dem Ereignis des Exodus im Widerspruch. Denn wie schon oben deutlich wurde, waren nur Halbnomadengruppen am Auszug aus Ägypten beteiligt, die sich erst später mit anderen Gruppen zum Stammesverband Israel zusammenschlossen.[19] Der Auszug dieser Gruppe aus Ägypten ließe sich also in die Regierungszeit des Merenptah, um das Jahr 1220 v. Chr. ansetzen.[20]
2.3 Die Unterdrückung in Ägypten
An die Genealogie über die Nachfahren Jakobs in Ägypten, zu Beginn des Buches Exodus, schließt sich die Schilderung über den Frondienst dieser präisraelitischen Gruppe an. Der Pharao sieht in dieser immer größer werdenden Gruppe eine Gefahr. Zu unsicher ist, ob sich diese Fremdlinge nicht mit den Feinden Ägyptens verbünden (Ex 1,10) und somit den Pharao und seine Herrschaft gefährden. Um die Vermehrung der fremden Halbnomaden im Nildelta so gering wie möglich zu halten, zieht der Pharao sie zum harten Frondienst auf den Bau-stellen seiner Vorratsstädte heran (Ex 1,11). Doch die Gruppe der Fremdlinge wächst dennoch weiter an. Es zeigt sich in der Geschichte bis heute immer wieder, dass in Ländern mit großen sozialen Unterschieden „der Kinderreichtum der Deklassierten in den Slums der Großstädte am größten“[21] ist.
Ausgrabungen in den östlichen Gebieten des Nildeltas zeigen deutliche Spuren solcher Slums.[22] Die Fronarbeiter im alten Ägypten hausten somit vermutlich unter erbärmlichen Bedingungen, die in etwa mit der Situation heutiger Großstadtslums vergleichbar ist.
2.4 Die Gestalt des Mose
Nachdem die Auferlegung der harten Zwangsarbeit nicht den erwünschten Erfolg für den Pharao nach sich zog, verschärft er sein Vorgehen gegen die fremden Arbeiter und versucht
die Gruppe der Fremdlinge durch Tötung gering zu halten. Doch die hebräischen Hebammen (Schifra und Pua), die die hebräischen Jungen bei der Geburt töten sollen (Ex 1,16), durchkreuzen die tödlichen Pläne des tyrannischen Pharao (Ex 1,17).[23] Denn sie fürchten Gott mehr als den Pharao (Ex 1,17).
Darauf hin befiehlt der Pharao seinem Volk alle hebräischen Jungen die geboren werden, in den Nil zu werfen.
In diese Situation der Bedrohung, der Not und der Unterdrückung wird Mose geboren (Ex 2,2). Und auch hier widersetzt sich eine hebräische Frau der tödlichen Politik des Pharao.[24] Sie versteckt ihren Sohn in einem Korb im Schilf des Nilufers (Ex 2,3). Diese biblische Dar-stellung lehnt sich an eine alte mesopotamische Legende an, wonach der mesopotamische Herrscher Sargon als Kind in einem Korb aus einem Fluss gerettet wurde.[25] Auch in der biblischen Überlieferung kommt dem Kind das aus dem Fluss gerettet wird später eine führende Rolle zu.
Die biblische Darstellung fährt mit der Adoption des hebräischen Jungen fort, wobei dessen Schwester eine vermittelnde Rolle zwischen ihrer Mutter als Amme und der Königstochter zukommt (Ex 2,4-10).
2.4.1 Der Name „Mose“
Der Name, den der hebräische Junge von der Pharaonentochter erhält ist ein typisch ägyptischer Name, was einen Schluss auf die Historizität Moses erlaubt[26] und darauf, dass seine Person in den Zusammenhang mit dem Exodus gehört.[27]
„Mose“ bezieht sich auf dieselbe Konsonantenfolge wie das ägyptische Wort für „Sohn“ (ms’).[28] Dieser Name, so kann vermutet werden, ist wohl ein Hinweis darauf, dass Mose in ägyptischen Diensten stand.[29] Denn Ausländer, die in ägyptische Dienste traten, erhielten damit gleichzeitig einen ägyptischen Namen.[30]
2.4.2 Die Flucht des Mose
Die biblische Überlieferung fährt damit fort, dass Mose einen Ägypter, der einen Hebräer schlug, tötet (Ex 2,12). Wegen seiner Tat muss Mose vor dem Pharao in das Land der Midianiter fliehen (Ex 2,15), wo er die Tochter eines Priesters heiratet (Ex 2,21).[31]
Eine Parallele zur Flucht des Mose nach Midian findet sich in einer ägyptischen Erzählung aus dem 2. Jahrtausend v. Chr.[32] Diese handelt vom Konflikt des Ägypters Sinuhe mit dem Pharao. Sinuhe flieht als Folge des Konflikts ins Ausland und heiratet dort.[33] Ob die biblische Darstellung jedoch von der Sinuhe-Erzählung abhängig ist, muss offen bleiben.
Da in späterer Zeit ein sehr gespanntes Verhältnis zwischen Israel und den Midianitern be-stand, dürfte die Heirat zwischen Mose und der Tochter des midianitischen Priesters sehr alt sein und wahrscheinlich auf historische Tatbestände zurückgehen.[34]
2.4.3 Die Offenbarung des JHWH-Namen
Während seines Midianaufenthaltes erfährt Mose eine entscheidende JHWH-Offenbarung (Ex 3,1-4,17). In der heutigen Form finden sich in der Berufungsgeschichte des Mose, Erzählstränge von J und E, die miteinander zu einem Berufungsereignis verwoben wurden.[35] Diese Berufung Moses am Dornstrauch wird im Stile einer Prophetenberufung geschildert.[36] Und wie die alttestamentlichen Propheten, bringt auch Mose zunächst Einwände gegen seine Berufung vor. Doch JHWH beharrt auf seiner Entscheidung, so dass Mose schließlich einwilligt, nach Ägypten zurückzukehren und die Gruppe der unterdrückten Hebräer im Namen JHWHs aus der Knechtschaft zu führen.
Mit der Offenbarung an Mose reagiert JHWH auf die verzweifelten Schreie der Sklaven (Ex 2,23-25). JHWH erweist sich als solidarischer Gott, an dem das Leid der Unterdrückten nicht vorbeigeht, sondern der es sieht und sich ihrer annimmt:
7 Der Herr sprach: Ich habe das Elend meines Volkes in Ägypten gesehen und ihre laute Klage über ihre Antreiber habe ich gehört. Ich kenne ihr Leid.
8 Ich bin herabgestiegen, um sie der Hand der Ägypter zu entreißen und aus jenem Land hinaufzuführen in ein schönes, weites Land, in ein Land, in dem Milch und Honig fließen, in das Gebiet der Kanaaniter, Hethiter, Amoriter, Perisiter, Hiwiter und Jebusiter.
9 Jetzt ist die laute Klage der Israeliten zu mir gedrungen und ich habe auch gesehen, wie die Ägypter sie unterdrücken. Und jetzt geh! Ich sende dich zum Pharao. Führe mein Volk, die Israeliten, aus Ägypten heraus! (Ex 3,7-9)
Während des Berufungsgeschehens wird Mose der Gottesname JHWH offenbart (Ex 3,14), der Gott als einen solidarischen und mitgehenden Gott umschreibt. Was die Konsonanten-folge, die in EÜ mit „Ich-bin-da“ (ebenso Buber/Rosenzweig), bei Luther mit „Ich werde sein, der ich sein werde“, genau bedeutet, ist jedoch unklar. Entscheidend ist für die biblischen Verfasser vielmehr die Tatsache, dass Gott seinen Namen – und damit auch sein Wesen – im Zusammenhang mit der Befreiung aus der Knechtschaft offenbart.[37]
Historisch ist anzunehmen, dass der Gottesname JHWH zur Zeit des Mose bereits bekannt war. So gibt es Hinweise darauf, dass Beduinen der Sinaihalbinsel den Gott JHWH an einem Gottesberg in der Steppe verehrten.[38] Mose könnte diesem Namen also an solch einem Ort begegnet sein. Darüber hinaus lässt sich vermuten, dass der Gottesname auch der Ägyptengruppe des späteren Israel bekannt war. Denn schließlich erfolgte die Flucht aus Ägypten unter dem Namen JHWH, der nach Erfolg dieses Unternehmens von der Flüchtlingsgruppe verehrt wurde:[39]
31 Als Israel sah, dass der Herr mit mächtiger Hand an den Ägyptern gehandelt hatte, fürchtete das Volk den Herrn. Sie glaubten an den Herrn und an Mose, seinen Knecht. (Ex 14,31)
2.5 Die Plagen und der Auszug
Gott hatte Mose seinen Plan offenbart. Er, JHWH selbst, wird Israel „der Hand der Ägypter entreißen“[40]. Und Mose soll dabei eine Schlüsselrolle einnehmen. Vehement fordert JHWH (durch Mose) vom Pharao: „Lass mein Volk ziehen!“. Doch der Weg in die Freiheit vollzieht sich auch mit der Hilfe Gottes nicht so einfach.[41] Der Pharao verweigert sich der Aufforderung
JHWHs, trotz der Zeichen und Wundertaten, die Mose im Namen JHWHs vollbringt (Ex 7-11).[42] Ja, er verschärft sogar die Zwangsarbeit und versucht die Hebräer durch den harten Frondienst vom Diskutieren über Freiheitspläne abzuhalten, ähnlich wie dies auch in Zwangsarbeits- und Konzentrationslagern der jüngeren Vergangenheit geschah.[43]
Erst mit der zehnten Plage, die den Tod aller ägyptischen Erstgeburt – sowohl von Tier, als auch von Mensch – bedeutet, vollzieht sich die Wendung. Die biblische Überlieferung gliedert diese letzte Plage in ihre Ankündigung (Ex 11,1-10) und die Durchführung (Ex 12,29-39). Zwischen diesen beiden Teilen findet sich die Einsetzung des Passah, das hier mit dem Fest der ungesäuerten Brote verbunden wurde.[44] Mit der Passahfeier wird die Rettungstat Gottes auch mit dem Kult des späteren Israel verbunden. Genau über diesen Kult konnten die Gruppen, die nicht am Auszug aus Ägypten beteiligt waren, einen Zugang zu der Befreiungs- und damit der Gotteserfahrung der ehemaligen Zwangsarbeiter finden.[45]
Es zeigt sich in der Schilderung der zehnten Plage ein auffälliger Unterschied zu den ersten neun. Bisher waren die Plagen immer mit der Forderung „Lass mein Volk ziehen!“ ver-bunden. Diesmal jedoch nicht. JHWH kündigt nun nur die Tötung der ägyptischen Erstgeburt an.[46] Auch der Pharao bzw. dessen erstgeborener Sohn, bleibt vor dieser letzten Plage nicht verschont, was letztlich dazu führt, dass der Pharao die Vorfahren Israels aus seinem Reich vertreibt:
31 Der Pharao ließ Mose und Aaron noch in der Nacht rufen und sagte: Auf, verlasst mein Volk, ihr beide und die Israeliten! Geht und verehrt JHWH, wie ihr gesagt habt.
32 Auch eure Schafe, Ziegen und Rinder nehmt mit, wie ihr gesagt habt. Geht und betet auch für mich!
33 Die Ägypter drängten das Volk, eiligst das Land zu verlassen, denn sie sagten: Sonst kommen wir noch alle um. (Ex 12,31-33)
2.6 Die Rettung am Meer
Die endgültige Rettung erfährt die aus Ägypten ausziehende bzw. fliehende Gruppe allerdings erst später, beim Durchzug durch das Meer (Ex 14). Denn schon kurz nach dem Aufbruch aus
Ägypten ändert der Pharao seine Meinung und verfolgt die ausziehende Gruppe mit seinen Streitwagen (Ex 14,5-9).
Der historische Hergang dieses Geschehens kann nicht im Einzelnen rekonstruiert werden. Dass es jedoch ein entscheidendes Rettungserlebnis am Meer[47] gegeben hat, ist aufgrund des sog. Mirjamliedes (Ex 15,20f.), eine der ältesten Textstellen der Bibel überhaupt, wahrscheinlich:
20 Die Prophetin Mirjam, die Schwester Aarons, nahm die Pauke in die Hand und alle Frauen zogen mit Paukenschlag und Tanz hinter ihr her.
21 Mirjam sang ihnen vor:
Singt dem Herrn ein Lied, denn er ist hoch erhaben! Rosse und Wagen warf er ins Meer.
Weder die biblischen Quellen, noch die exegetischen Überlegungen zur Rettung am Meer sind einheitlich. Wahrscheinlich brachen Naturereignisse, wie etwa der Ostwind bei J, der das Meer austrocknete (Ex 14,21), über die ägyptische Streitwagenabteilung herein, durch die die präisraelitische Gruppe endgültig vor den Unterdrückern gerettet wurde.[48]
2.7 Die Wüstenwanderung und der Sinaiaufenthalt
Im Buch Exodus folgt der Rettung am Meer die Wüstenwanderung bis zum Sinai, wo Mose von JHWH die Zehn Gebote erhält und Gott mit Israel einen Bund schließt. Ob jedoch die Gruppe der Flüchtlinge aus Ägypten durch die Wüste zum Berg Sinai wanderte, oder ob sich hier die Tradition einer anderen Gruppe des späteren Israel mit dem Exodus verband, kann nicht mit Sicherheit gesagt werden. Einige Anzeichen sprechen dafür, dass hier tatsächlich unterschiedliche Traditionen vorliegen, die im späteren Überlieferungsprozess zusammen-gefasst wurden.[49] Allerdings ist es aber durchaus auch denkbar, dass die Ägyptengruppe eine Wallfahrt zum Sinai, dem „Wohnsitz“ des Gottes JHWH, unternahm.[50]
Während diesem Weg durch die Wüste reflektieren die biblischen Schriftsteller „[…] das, was ein Leben in Freiheit an tragenden Werten verlangt: Vertrauen, Schlichtheit, Gerechtigkeit.“[51] In einer lebensfeindlichen Umgebung muss Israel nicht nur lernen, Verantwortung für die eigene Freiheit zu übernehmen, sondern in aller erster Linie das Vertrauen auf JHWH, den Gott ihrer Befreiung. Dass dies ein schwieriger Schritt ist, zeigt das immer wieder kehrende Murren der Gruppe gegen Mose und Gott. Auf dem harten, ja lebensbedrohenden Weg durch die Wüste, erscheint der harte Frondienst in Ägypten in einem ganz anderen Licht:
2 Die ganze Gemeinde der Israeliten murrte in der Wüste gegen Mose und Aaron.
3 Die Israeliten sagten zu ihnen: Wären wir doch in Ägypten durch die Hand des Herrn gestorben, als wir an den Fleischtöpfen saßen und Brot genug zu essen hatten. Ihr habt uns nur deshalb in diese Wüste geführt, um alle, die hier versammelt sind, an Hunger sterben zu lassen. (Ex 16,2f.)
Doch auf diesem Weg erweist sich JHWH nicht nur als der Gott der Befreiung, sondern auch als der Bewahrer des Lebens in der Freiheit.[52] Dabei gebrauchen die Bibelverfasser „die Sabbatheiligung zur Belehrung darüber, dass die durch Gaben befriedigten Lebensbedürfnisse in Gegensatz zu einem von Sklavenlöhnen abhängigen Leben stehen.“[53] Das Leben in Freiheit ist ein Leben, das auf Vertrauen aufbaut. Ein Vertrauen darauf, dass Gott die Grund-bedürfnisse seines Volkes nicht nur kennt, sondern diese auch befriedigt. Und zwar genau in dem Maße, wie es nötig ist.
2.7.1 Die Rechtssätze am Sinai
In der heute vorliegenden Form des Pentateuch nimmt die Verkündigung von Rechtssätzen und Gesetzen den größten Raum des Sinaigeschehens ein. Da diese Ausführungen jedoch die Situation des sesshaften Volkes im Kulturland voraussetzen, handelt es sich hier um spätere Ergänzungen. Es lässt sich daher nicht mit letzter Sicherheit feststellen, ob die ursprüngliche Kultfeier am Sinai, die von allen drei Quellenschriften überliefert wird, mit der Verlesung von Gesetzestexten verbunden war.[54]
Als wichtige Elemente in der heute vorliegenden Form des Sinaiaufenthalts prägen vor allem die Theophanie, die Gebote und der Bundesschluss, der Abfall von JHWH und die Ver-söhnung, sowie der Bau eines Zeltes für JHWH das Geschehen.
Durch das Geschehen am Sinai, das in biblischer Überlieferung mit dem Exodus verbunden ist, zeigt sich eine beeindruckende Ausrichtung der geschichtlichen Erfahrung auf die Zukunft hin. Die Befreiungstat JHWHs bleibt nicht nur eine geschichtliche Offenbarung JHWHs, sondern weist durch den Bundesschluss am Sinai nach vorne.[55] Mit den Gesetzen, dem Inhalt der berît zwischen JHWH und Israel, wird die Gruppe der Befreiten in die Verantwortung gezogen. Sie sollen ihr Leben als Volk in dem Bewusstsein ihrer Befreiung und Bewahrung durch JHWH gestalten. Dabei spielt die Vergegenwärtigung des in der Geschichte wirksamen Befreiungshandeln Gottes eine entscheidende Rolle. So werden die Zehn Gebote in Ex 20 mit den Worten eingeleitet:
2 Ich bin JHWH, dein, Gott, der dich aus Ägypten geführt hat, aus dem Sklavenhaus. (Ex 20,2)
Die Ordnung der Unterdrückung, wie Israel sie in Ägypten erfahren musste, wird nun durch-brochen durch die Ordnung JHWHs. In diesem Sinne verbinden die biblischen Schriftsteller kultische, ethische und rechtliche Satzungen mit JHWH und seinem befreienden Handeln an den präisraelitischen Sklaven.[56] Diese Ordnung JHWHs ist eine Satzung gegen Unterdrückung und gegen all das, was Leben und Gemeinschaft gefährdet und zerstört. So ist es nur logisch, dass die Treue zu JHWH dem Befreier und Bewahrer des Lebens die Gesetzesreihe einleitet (Ex 20,2-11).
Im sog. Bundesbuch (Ex 21,1-23,33) werden sowohl Gesetze entfaltet, die sich an Rechts-ordnungen der benachbarten Völker des späteren Israel anlehnen, als auch Gesetze, die sich ganz konkret auf JHWH und dessen Befreiungstat beziehen. So zum Beispiel ein Rechtssatz zum Schutz vor Unterdrückung und Ausbeutung:
20 Einen Fremden sollst du nicht ausnützen oder ausbeuten, denn ihr selbst seid in Ägypten Fremde gewesen.
21 Ihr sollt keine Witwen und Waisen ausnützen.
22 Wenn du sie ausnützt und sie zu mir schreit, werde ich auf ihren Klageschrei hören.
23 Mein Zorn wird entbrennen und ich werde euch mit dem Schwert umbringen, sodass eure Frauen zu Witwen und eure Söhne zu Waisen werden.
24 Leihst du einem aus meinem Volk, einem Armen, der neben dir wohnt, Geld, dann sollst du dich gegen ihn nicht wie ein Wucherer benehmen. Ihr sollt von ihm keinen Wucherzins fordern.
25 Nimmst du von einem Mitbürger den Mantel zum Pfand, dann sollst du ihn bis Sonnenuntergang zurückgeben;
26 denn es ist seine einzige Decke, der Mantel, mit dem er seinen bloßen Leib bedeckt. Worin soll er sonst schlafen? Wenn er zu mir schreit, höre ich es, denn ich habe Mitleid. (Ex 22,20-26)
Diese Ausführungen spiegeln die Erfahrungen Israels mit JHWH wider. Erfahrungen mit einem Gott, der das Klagen der Ausgenutzten, Armen, Schwachen und Hilflosen hört und sich ihrer annimmt. Ein Gott, der von seinem Volk fordert, sich an die eigene Geschichte zu erinnern und aus ihr Konsequenzen für das eigene Zusammenleben zu ziehen. Für eine alternative Lebensordnung, die frei von Ausbeutung und Unterdrückung ist.
2.7.2 Der Bundesbruch und die Erneuerung des Bundes
Während Mose, laut Ex 31,18 auf dem Berg von JHWH die Gesetzestafeln erhält,[57] zweifelt das Volk am Fuße des Berges an der Rückkehr ihres Anführers. Mose scheint in den zer-klüfteten Felswänden des Berges verschwunden zu sein. Die Ungewissheit über sein Schick-sal, die Frage, ob Mose überhaupt noch am Leben ist, lässt das Volk auch an der Anwesenheit JHWHs zweifeln.[58] Es ist wie sooft in der Geschichte. Die Befreiung scheint an einer Person zu hängen, ohne die die Bewegung droht zugrunde zu gehen. Und so fordert das Volk Aaron, der nach der hier zugrunde liegenden Tradition Moses Bruder ist, auf, sichtbare Götter aus Gold zu fertigen. Da Aaron hier die Skulptur eines Kalbes[59] wählt, legt sich die Vermutung nahe, die Verfasser reflektierten damit die Aufstellung von Stierbildern in Bet-El und Dan unter Jerobeam I.[60]
Zwar wird das Fest des Kalbes als ein Fest für JHWH ausgerufen und das Götzenbild als der Gott, der Israel aus Ägypten geführt hat (Ex 32,4f.) verehrt, aber dennoch verstößt diese Handlung gegen die Weisung JHWHs. Israel verliert das Vertrauen zu JHWH und der von ihm herkommenden Freiheit.[61]
Die Reaktion JHWHs auf das treulose Verhalten seines Bundesvolkes wird in Ex 32,9f. dar-gestellt:
9 Weiter sprach der Herr zu Mose: Ich habe dieses Volk durchschaut: Ein störrisches Volk ist es.
10 Jetzt lass mich, damit mein Zorn gegen sie entbrennt und sie verzehrt. Dich aber will ich zu einem großen Volk machen. (Ex 32,9f.)
Doch Mose stellt sich dem Zorn Gottes entgegen. Er erinnert JHWH an dessen Heilstat der Befreiung, durch die JHWH seine Macht vor den Völkern offenbarte:
11 Da versuchte Mose, den Herrn, seinen Gott, zu besänftigen, und sagte: Warum, Herr, ist dein Zorn gegen dein Volk entbrannt? Du hast es doch mit großer Macht und starker Hand aus Ägypten herausgeführt.
12 Sollen etwa die Ägypter sagen können: In böser Absicht hat er sie herausgeführt, um sie im Gebirge umzubringen und sie vom Erdboden verschwinden zu lassen? Lass ab von deinem glühenden Zorn und lass dich das Böse reuen, das du deinem Volk antun wolltest.
13 Denk an deine Knechte, an Abraham, Isaak und Israel, denen du mit einem Eid bei deinem Namen zugesichert hast: Ich will eure Nachkommen zahlreich machen wie die Sterne am Himmel, und: Dieses ganze Land, von dem ich gesprochen habe, will ich euren Nachkommen geben und sie sollen es für immer besitzen.
14 Da ließ sich der Herr das Böse reuen, das er seinem Volk angedroht hatte. (Ex 32,11-15)
Diese Bundeserneuerung zeigt, dass der Bund zwischen JHWH und seinem Volk viel stärker von Gott und seiner Gnade abhängt, als von der menschlichen Treue.[62] JHWH eröffnet Israel eine neue Dimension seines Namens und damit seines Wesens: „JHWH ist ein barmherziger und gnädiger Gott, langmütig, reich an Huld und Treue“ (Ex 34,6).[63]
3. Der Gott des Exodus
Das Auszugsgeschehen der Ägyptengruppe verbreitete sich unter den Stämmen des späteren Israel und wurde in der Überlieferung als eine grundlegende Erfahrung des gesamten Volkes mit seinem Gott JHWH weitergegeben. Im Exodus erfuhren die Vorfahren Israels JHWHs heilvolles Handeln in der Geschichte. In diesem Sinn gliedert M. Metzger drei wichtige Elemente des JHWH-Glaubens, die durch den Exodus entscheidend geprägt wurden:[64]
Im exodalen Befreiungshandeln Gottes zeigt sich die Geschichtsbezogenheit des JHWH-Glaubens. Der Sieg über Ägypten wurde als ein Sieg JHWHs und als ein Erweis seiner Stärke und Macht erfahren
[...]
[1] vgl. C. Westermann, Theologie des Alten Testaments in Grundzügen Bd. 6, 1978, S. 29
[2] vgl. ebd., S. 29
[3] Vor allem das Buch Exodus gliedert die Fronarbeit, den Auszug, den ersten Teil der Wüstenwanderung und den Aufenthalt am Sinai gut, vgl. dazu u. a. J. Scharbert, Exodus, 1989, S. 5
[4] vgl. J. Scharbert, 1989, S. 5
[5] R. Burns, Das Buch Exodus, in: Concilium 1/87, S. 9
[6] vgl. J. Scharbert, 1989, S. 6f.
[7] ebd., S. 7
[8] vgl. M. Metzger, Grundriss der Geschichte Israels, 2004, S. 33
[9] vgl. M. Metzger, 2004, S. 35
[10] Wie bereits der Aufriss der Quellen und Traditionen (vgl. oben, S. 7) zeigte, war wohl nur ein Teil der späteren Israelstämme in Ägypten.
[11] vgl. M. Metzger, 2004, S. 30
[12] H.M. Lutz u. a. (Hrsg.), Altes Testament, 1987, S. 24
[13] vgl. M. Metzger, 2004, S. 31
[14] vgl. M. Metzger, 2004, S. 31
[15] J. Sieger, Die Errettung aus Ägypten, 2002, http://www.joerg-sieger.de/einleit/allgem/02gesch/all13.htm
[16] vgl. M. Metzger, 2004, S. 32
[17] vgl. J. Schabert, 1989, S. 7f.
[18] vgl. J. Scharbert, 1989, S. 8
[19] vgl. ebd., S. 8: Die Frage, inwieweit die einzelnen Gruppen, etwa die des Auszugs mit der Gruppe am Sinai identisch sind, kann nicht mit letzter Sicherheit geklärt werden. Wahrscheinlich waren es jedoch unterschiedliche Gruppen und Traditionen, wie Abb. 1 zeigt. Vermutlich waren Vorfahren der Rahelstämme am Auszug aus Ägypten beteiligt, da die Errettung am Meer in Gilgal vergegenwärtigt wurde (Jos 4,19-24), vgl. dazu auch M. Metzger, 2004, S. 35
[20] vgl. J. Scharbert, 1989, S. 8
[21] vgl. ebd., S. 14
[22] vgl. ebd., S. 15
[23] vgl. R. Burns, in: Concilium 1/87, S. 10
[24] vgl. ebd., S. 10
[25] vgl. ebd., S. 10
[26] vgl. J. Sieger, 2002
[27] vgl. M. Metzger, 2004, S. 33
[28] vgl. ebd., S. 34: So zeichnet etwa der Name „Ramses“ den Pharao als Sohn des Gottes Ra aus. Ähnlich auch Tutmose, Amose etc.
[29] vgl. ebd., S. 34
[30] vgl. J. Sieger, 2002
[31] Der Name des Priesters wird in der Bibel nicht einheitlich wiedergegeben. So heißt der Schwiegervater Moses in Ex 2,18 Reguёl, in Ex 3,1 und Ex 18 Jitro, in Ex 4,18 Jeter und in Ri 4,11 Hobad der Keniter.
[32] vgl. J. Scharbert, 1989, S. 19
[33] vgl. M. Metzger, 2004, S. 34
[34] vgl. ebd., S. 34
[35] Auf genauere Unterschiede der beiden Erzählstränge, wie z.B. die Verortung des Dornstrauchs in der Wüste (J) bzw. am Gottesberg (E, vermutlich der Sinai), kann hier nicht eingegangen werden. Zur genaueren Quellenaufteilung vgl. u. a. J. Scharbert, 1989, S. 21
[36] vgl. R. Burns, in: Concilium 1/87, S. 11: Burns gliedert ein Berufungsgeschehen, wie etwa Ex 3,1-12 in: (a) Konfrontation mit Gott; (b) Einleitungsworte (Gott); (c) Auftrag Gottes; (d) Einwand des Berufenen; (e) Be-stätigung von Gott; (f) Zeichen seitens der Gottheit
[37] vgl. R. Burns, in: Concilium 1/87, S. 11
[38] vgl. J. Scharbert, 1989, S. 23
[39] vgl. M. Metzger, 2004, S. 34
[40] Ex 3,8
[41] vgl. R. Burns, in: Concilium 1/87, S. 11
[42] Auch bei den Erzählungen der zehn ägyptischen Plagen wurden unterschiedliche Erzählstränge miteinander verwoben. Einige Exegeten vermuten hinter den Plagen Naturphänomene oder Katastrophen.
Vgl. u. a. J. Scharbert, 1989, S. 48
[43] vgl. J. Scharbert, 1989, S. 48
[44] vgl. C. Westermann, 1978, S. 41
[45] vgl. R. Burns, in: Concilium 1/87, S. 11
[46] vgl. ebd., S. 11
[47] Welches Meer hier gemeint ist, kann nicht mit letzter Sicherheit gesagt werden. Man könnte etwa an den Golf von Akaba denken, aber auch der Bittersee, im Bereich des heutigen Suezkanals, oder der sibronische See käme in Betracht. J spricht einfach vom „Meer“, wohingegen bei E vom Schilfmeer die Rede ist. Die genauesten Angaben finden sich bei der jüngsten Quelle, P (Ex 14,2). Vgl. dazu auch M. Metzger, 2004, S. 33
[48] vgl. M. Metzger, 2004, S. 33
[49] vgl. ebd., S. 35: Dafür sprechen z.B. die verschiedenen Reiserouten, vgl. u. a. auch R. Burns, in: Concilium 1/87, S. 12
[50] vgl. M. Metzger, 2004, S. 35: Bei einer solchen Wallfahrt hätte es auch gut zum Kontakt mit anderen JHWH-Verehrern kommen können. Die genaue Lage dieses Berges (oder Gebirges) lässt sich heute nicht mehr rekonstruieren. E spricht hier auch nicht vom Sinai, sondern vom „Gottesberg“.
[51] R. Burns, in: Concilium 1/87, S. 12
[52] vgl. R. Burns, in: Concilium 1/87, S. 12
[53] ebd., S. 12
[54] vgl. M. Metzger, 2004, S. 29
[55] vgl. R. Burns, in: Concilium 1/87, S. 13
[56] vgl. ebd., S. 13
[57] Die Schilderung in Ex 31,18 steht im Widerspruch zu Ex 24,4. Denn nach Ex 24,4 schrieb Mose „alle Worte des Herrn auf.“
[58] vgl. J. Scharbert, 1989, S. 120f.
[59] wörtlich: „männliches Jungrind, Jungstier“, C. Schedl, Der göttliche Sprachvorgang in Schöpfung und Geschichte, 1986, S. 219
[60] vgl. J. Scharbert, 1989, S. 121
[61] vgl. R. Burns, in: Concilium 1/87, S. 13
[62] vgl. R. Burns, in: Concilium 1/87, S. 13
[63] vgl. ebd., S. 14
[64] vgl. M. Metzger, 2004, S. 35f.
- Citation du texte
- Patrick Grasser (Auteur), 2005, Black Exodus - Die schwarzamerikanische Bürgerrechtsbewegung als Aktualisierung des biblischen Exodus, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/48305
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