Fräulein Else von Arthur Schnitzler erschien 1924 als seine zweite "Monolognovelle", die als Nachfolger des knapp ein Vierteljahrhundert früher erschienenen Leutnant Gustl gesehen werden kann. In der Arbeit wird sowohl auf temporale als auch auf narrative Besonderheiten hingewiesen und darüber hinaus auf die beiden Motive "Traum" und "Klavierspiel" eingegangen. Besondere Aufmerksamkeit wird letzterem geschenkt: Die Arbeit zeigt, inwieweit die Aufnahme von Notenzitaten als Mittel eingesetzt wird, um Elses Zusammenbruch zu "katalysieren.
Inhaltsverzeichnis
1. Zur Thematik
2. Zeitlichkeit
2.1. Das Traummotiv und der Tod
3. Erzählsituation
3.1. Das Musikzitat
4. Schlussbemerkung
5. Literaturverzeichnis
1. Zur Thematik
Fräulein Else von Arthur Schnitzler erschien 1924 als seine zweite „Monolognovelle“, die als Nachfolger des knapp ein Vierteljahrhundert früher erschienenen Leutnant Gustl gesehen werden kann. In meiner Arbeit möchte ich sowohl auf temporale als auch auf narrative Besonderheiten hinweisen und darüber hinaus auf die beiden Motive „Traum“ und „Klavierspiel“ eingehen. Besonders letzterem möchte ich besondere Aufmerksamkeit schenken und zeigen, inwieweit die Aufnahme von Notenzitaten als Mittel eingesetzt wird, um Elses Zusammenbruch zu „katalysieren“.
2. Zeitlichkeit
Schnitzlers Erzählung von der Wiener Advokatentochter Else ist im reinen Inneren Monolog verfasst. Der Leser hat Einblick in die unmittelbaren Gedanken der 19jährigen während den ungefähr vier letzten Stunden ihres Lebens. Die erzählte Zeit ist nicht mit Sicherheit nachzukonstruieren, aber es lassen sich dennoch einige Anhaltspunkte feststellen. So verrät Cissy in den ersten Sätzen der Novelle in einem Gespräch mit Else, dass es „noch volle zwei Stunden bis zum Dinner“[1] sind, knapp 50 Seiten später erfährt man im Gespräch mit Paul, dass das Dinner schon ohne Else angefangen hat[2] und inzwischen also 2-3 Stunden vergangen sein müssen. Wenn man annimmt, dass das Erzähltempo bis zum Ende der Novelle gleich bleibt, sind dann bis zu Elses Tod auf S. 81 ungefähr 4 Stunden verstrichen. Diese Abendstunden werden chronologisch – entsprechend den Bewusstseinsvorgängen des Fräulein Elses - und zeitdeckend wiedergegeben. Die Chronologie wird lediglich durch einige gedankliche Analepsen durchbrochen, in denen Else an ihre Familie denkt und damit den Leser über die schon seit langem finanziell problematische Situation informiert. „Immer diese Geschichten! Seit sieben Jahren! Nein – länger.“[3] Und durch Gedanken wie „ Dabei leben wir ganz gut. [..] Das Souper am letzten Neujahrstag für vierzehn Personen – unbegreiflich.“[4] wird deutlich, wie trotz der fatalen Situation nicht angemessen mit den finanziellen Mitteln umgegangen werden kann. Die Familie will ungeachtet der Geldnot nicht in ihrem gesellschaftlichen Leben zurückstecken und leistet sich weiterhin Opernbesuche und veranstaltet Festessen. Die szenische Darstellung wird dadurch erreicht, dass jeder einzelne Gedanke der Protagonistin lückenlos reproduziert wird und dadurch beim Leser der Eindruck entsteht, dass die erzählte Zeit der Zeit der Lektüre entspricht. Sogar in der zu Leutnant Gustl parallelen Szene, in der Else auf einer Bank kurz einschläft[5], läuft der ins Unbewusste gleitende Gedankenstrom weiter und so wird auch die geträumte Zeit lückenlos wiedergegeben.
2.1. Das Traummotiv und der Tod
Vergleicht man diese Traumsequenz in Fräulein Else mit dem Ende der Erzählung, fällt auf, dass Schnitzler dort den Traum als Bewusstseinszustand Elses wiederaufnimmt, wenn er den Inneren Monolog und damit die Geschichte mit den Worten „Ich fliege...ich träume...ich schlafe...ich träu...träu – ich flie..“[6] enden lässt. Diese Parallelität des Motivs Traum veranlasst, den Inhalt der beiden Träume heranzuziehen und zu vergleichen. Else träumt nämlich auf der Bank von ihrem eigenen Tod: „Aufgebahrt liege ich im Salon.“[7], sie wandert im Zimmer herum und geht schließlich zu ihrer eigenen Gruft auf den Friedhof. Als sie aufwacht merkt sie wie glücklich sie in diesem Traum war: „Und keine Sorgen habe ich gehabt und mir nicht den Kopf zerbrechen müssen.“.[8] Von diesem Moment an wird ihre Todessehnsucht immer größer und endet eben in diesem schon proleptisch angedeuteten Selbstmord. Doch was sie vor ihrem Selbstmord noch im Traum genießen konnte, nämlich eine Sorglosigkeit zu spüren, die es für sie im Leben nicht gibt, bleibt ihr nach dem ersehnten wirklichen Tod vorenthalten.[9] Ihrer Situation an diesem Abend, in der sie seelisch zusammenbricht, da sie sich ihrem Vater doch soweit verpflichtet fühlt, dass Sie dem Angebot von Dorsday nachgeben muss, steht der „erlösende“ Traum gegenüber, in dem sie ihre Fremdbestimmtheit überwinden und selbständig handeln kann: „Ich stehe lieber auf und sehe zum Fenster hinaus. [...] Ich werde jetzt zu Fuß auf den Friedhof gehen[...].“ und „Ich gehe lieber übers Feld, das ist ganz blau von Vergißmeinnicht und Veilchen.“.[10] Doch im Tod selbst, nach der tödlichen Dosis Veronal, ist sie sich ihres toten Körpers und ihres Selbst nicht mehr bewusst, sie kann ihre Traum- und Flugphantasie nicht halten; stattdessen wird mit einem ernüchternden „ Ende“ ein Schlussstrich unter Elses Bewusstseinsvorgänge gezogen.[11]
Dies steht geradezu antithetisch ihrem Glücksgefühl nach dem 1. Traum gegenüber: „Sonderbar, es ist mir wohler als vorher.“.[12]
3. Erzählsituation
Ein eng mit der Bewusstseinsdarstellung des Inneren Monologs verbundenes Erzählverhalten ist das personale Erzählen: Man wird sehr nah an die monologisierende Person herangeführt, man weiß in jeder Situation der Erzählung genau, was Else wahrnimmt, denkt, fühlt oder tut. Es tritt kein eigentlicher Erzähler auf, sondern alles Geschehen und alles von Else Gedachte wird durch ihre Gedanken aufgezeichnet und ungefiltert wiedergegeben. Der Leser hat einen direkten Einblick in Elses Gedankenvorgänge, seien sie bewusst oder unbewusst. Mit der Darstellung des Unterbewusstseins in der Szene als Else auf der Bank am Waldrand einschläft geht Schnitzler einen Schritt weiter als in der 24 Jahre zuvor erschienenen Monolognovelle Leutnant Gustl: Während er dort den Inneren Monolog unterbricht solange Gustl schläft, lässt er in der vorliegenden Erzählung das Unterbewusstsein „weitererzählen“. Genauso am Ende derselben: Unkontrollierbare Gedankenfetzen aus dem Leben ziehen an ihr vorbei, traumartig fliegt sie aus ihrem Dasein davon. Von einem gedanklich „geordneten“ Inneren Monolog kann nicht mehr die Rede sein, die Technik geht in die des Stream of Consciousness[13] über:
„Rudi war auf dem Maskenball und ist erst um acht Uhr früh nach Hause gekommen. Was hast du mir mitgebracht, Papa? Dreißigtausend Puppen. Da brauch ich ein eigenes Haus dazu [...] Ach Bertha, bist du wieder aus Neapel zurück?[...] Haha, Paul. Warum sitzt du denn auf der Giraffe im Ringelspiel?.“.[14]
[...]
[1] Schnitzler, Arthur: Fräulein Else. Ditzingen: Reclam 2002. S. 5. Im folgenden nur mit der Seitenzahl zitiert.
[2] Vgl. S. 53
[3] S. 15
[4] Ebd.
[5] Vgl. S. 43f.
[6] S. 81
[7] S. 43
[8] S. 44f.
[9] Vgl. auch den Aufsatz von Perlmann, die schreibt, „[D]daß der Traum vom eigenen Tod ein Angsttraum, die Todeserfahrung im Traum dagegen ein Glückserlebnis darstellt“. (S. 119). Sie sieht in der Gegenüberstellung der beiden „Träume“ ein Paradoxon, denn: „Dort [im ersten Traum] bedient sich zum einen ein Traum der Semantik des Todes, um den Lebenswillen der Träumerin zu Tage zu fördern. [...] Hinter dem zweiten Traum dagegen verbirgt sich letztendlich die Selbstverneinung im Tod.“ (S. 130). Perlmann, Michaela L.: Der Traum in der literarischen Moderne. Untersuchungen zum Werk Arthur Schnitzlers. München: Wilhelm Fink 1987.
[10] S. 43f.
[11] Auch Aurnhammer merkt an, dass Else „die tödliche Tragweite und Endgültigkeit ihres Entschlusses [verdrängt], indem sie die objektive Wirklichkeit ihren Träumen inkorporiert“ (S.507/508) und bezieht sich damit auf ihre unrealistische Vorstellung des Todes, nämlich dieser sei der Übergang in einen immerwährenden Traum (vgl. Fräulein Else, S. 57). Aurnhammer, Achim: Selig, wer in Träumen stirbt. Das literarisierte Leben und Sterben von Fräulein Else. In: Euphorion 77 (1983).
[12] S. 45
[13] Perlmann ist der Ansicht, dass in dem Moment, in dem Else nicht mehr bei vollem Bewusstsein ist, ein Erzähler, „der zwar kein spürbarer aber dennoch existenter ist“ eingreife und die unkontrollierbaren Vorgänge dokumentiere. Der Darstellungsform im Stream of Consciousness schreibt sie hier eine besondere Funktion zu: „Das paradoxe Streben nach Objektivität in der totalen Subjektivität als ein Merkmal allen personalen Erzählens hat für die Traumdarstellung eine besondere Relevanz. Im Traum nämlich ist die tendenziell verfälschende und auswählende Funktion des Bewußtseins der Heldin, das es zu demaskieren gilt, ausgeschlossen.“ (Perlmann: Der Traum, S. 128)
[14] S. 80
- Quote paper
- Karin Pfundstein (Author), 2004, Das Motiv des Traums und des Klavierspiels in Arthur Schnitzlers 'Fräulein Else', Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/48155
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