Im Sommer 2002 wurde eine Bekannte in einen schweren Verkehrsunfall verwickelt. Seitdem ist sie querschnittgelähmt. Das Familienleben änderte sich auf einen Schlag. Vieles davon war für jedermann sichtbar, da fast täglich Veränderungen am Haus zu sehen waren. Ein behindertengerechtes Auto wurde gekauft. Doch womit hatte die Familie noch zu kämpfen, was war für viele nicht sichtbar? Das beschäftigte mich und ich setzte mich intensiv mit dem Thema Querschnittlähmung, besonders aber mit der Rehabilitation von Querschnittgelähmten auseinander.
Inhaltsverzeichnis
I. Abkürzungsverzeichnis
II. Abbildungsverzeichnis
III. Vorwort
1. Einleitung
1.1. Geschichtliche Entwicklung der Querschnittlähmung
1.2. Was bedeutet Querschnittlähmung?
1.2.1. Begriff der Querschnittlähmung
1.2.2. Begriff der Tetraplegie
1.2.3. Begriff der Paraplegie
1.2.4. Ursachen und Häufigkeit
2. Akute Notfallversorgung
2.1. Erste Hilfe
2.2. Erstbehandlung in der Klinik
2.3. Pflege, Behandlungsteam und Zusammenarbeit
3. Komplikationen und Behandlungsmaßnahmen
3.1. Traumatische Frakturbehandlung
3.2. Lagerung eines Paraplegikers
3.3. Dekubitusbildung und -behandlung
3.4. Blasenfunktionsstörung
3.5. Lähmungserscheinungen am Darm
3.6. Medizinische und psychologische Sexualproblematik
3.6.1. Probleme bei Männern
3.6.2. Probleme bei Frauen
3.6.3. Kinderwunsch
4. Der Begriff der Rehabilitation
4.1. Definition des Begriffs Rehabilitation
4.2. Geschichtliche Entwicklung der Rehabilitation
4.3. Heutiger Stand der Rehabilitation und Zukunftsperspektiven
4.4. Der Begriff aus der Sicht der Experten
4.5. Der Begriff aus der Sicht der Betroffenen
4.6. Der Rehabilitationsprozess
4.6.1. Die medizinische Rehabilitation
4.6.2. Die berufliche Rehabilitation
4.6.3. Die schulische Rehabilitation
4.6.4. Die soziale Rehabilitation
4.7. Die verschiedenen Ansatzpunkte der Rehabilitation und der enge Zusammenhang zur Prävention
4.8. Rehabilitation und Behinderung
4.9. Querschnittlähmung und Lebensqualität
4.10. Behindertensport
5. Psychologische Aspekte
5.1. Schwerpunkte in der Rehabilitation
5.2. Situationsbewältigung
6. Sozialarbeit
7. Selbsthilfegruppen
8. Schlussfolgerung
IV. Begriffsbestimmung
V. Literaturverzeichnis
VI. Erklärung
I. Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
II. Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1a: Die Wirbelsäule
Abbildung 1b: Lage des Rückenmarks im Wirbelkanal
Abbildung 2: Wirbelsäule mit Kennzeichnung der Bereiche Tetraplegie und Paraplegie
Abbildung 3: Funktionelle Fähigkeiten des Paraplegikers in Relation zur Läsionshöhe
Abbildung 4: Lähmungsursachen bei frischer Querschnittlähmung nach einer 10-Jahres-Statistik (1976 bis 1986) der Deutschen Querschnittgelähmten-Zentren (n=8755)
Abbildung 5: Anheben eines Verletzten nach dem Gabelstaplerprinzip
Abbildung 6: Lagerungsprinzipien bei Wirbelfrakturen mit Rückenmarkverletzung (Brustwirbelsäulen-/ Lendenwirbelsäulen-Frakturen)
Abbildung 7: Träger der Rehabilitation im System der sozialen Sicherung
Abbildung 8: Angriffspunkte bei den einzelnen Phasen der Rehabilitation; links: Behinderter und Umwelt; Rechts: die einzelnen Komponenten der Behinderung
Abbildung 9: Funktionsdiagramm Behinderung
Abbildung 10: Symbol der Fördergemeinschaft der Querschnittgelähmten in Deutschland e.V.
Abbildung 11: Symbol des Bundesverbandes Selbsthilfe Körperbehinderter e.V.
Abbildung 12: Symbol der Bundesarbeitsgemeinschaft Hilfe für Behinderte e.V.
Abbildung 13: Symbol der Deutschen Stiftung Querschnittlähmung
III. Vorwort
Noch vor einem Jahr habe ich mich mit dem Thema Querschnittlähmung und Rehabilitation nicht weiter auseinander gesetzt. Doch im Sommer 2002 wurde eine Bekannte in einen schweren Verkehrsunfall verwickelt und seitdem ist sie querschnittgelähmt. Ihr Mann gab seine Arbeit auf, um sich um die fünf Kinder kümmern zu können und die notwendigen Umbauarbeiten am Haus zu organisieren. Fast täglich waren Veränderungen zu sehen, ein neuer Hauseingang oder ein Wintergarten, aber damit noch nicht genug. Häufig kamen Fahrzeuge diverser Möbelfirmen und brachten neue Türen oder Einrichtungsgegenstände, alles notwendige eben, um das Haus rollstuhlgerecht einzurichten. Das waren aber nur die für Außenstehende sichtbaren Veränderungen, die durch die Querschnittlähmung der Frau zu beobachten waren. Mich beschäftigte, womit die Familie sonst noch zu kämpfen hatte, was ihr tägliches Leben beeinflusste und den Alltag erschwerte und daher beschloss ich, mich mit diesem Thema auseinander zu setzen.
Um den Lesefluss der Arbeit nicht unnötig zu stören, habe ich mich bei allen erwähnten Personen und Berufsgruppen vorwiegend für die männliche Form entschieden, womit ich aber die weibliche Form nicht ausschließe. Alle erwähnten Berufe könne auch von entsprechend qualifizierten und kompetenten Frauen ausgeübt werden und somit betrachte ich sie ohne besondere Nennung als gleichwertig.
1. Einleitung
1.1. Geschichtliche Entwicklung der Querschnittlähmung
Das Krankheitsbild der Querschnittlähmung durch eine Rückenmarksverletzung ist bereits seit dem frühen Altertum bekannt (vgl. Beckers & Buck 1993, S.1). Unter allen Behinderungen, die einen Menschen treffen können, stellt, auch heute noch, die Querschnittlähmung zweifellos eine der verheerendsten Beeinträchtigungen dar. Nicht nur die Funktion des Rückenmarks als Hauptverbindungsorgan für die Informationen zwischen Gehirn und allen Teilen des Körpers ist eingeschränkt. Auch das Rückenmark selbst als eigenständiges Nervenzentrum, welches vitale Funktionen kontrolliert wie Stand-, Blasen-, Mastdarm- und Sexualfunktion, aber auch Atmungs-, Temperatur- und Kreislauffunktion, ist betroffen (vgl. Dietz 1996, S.13).
Eine erste, hochinteressante Beschreibung der Symptome einer hohen Rückenmarksverletzung stammt bereits aus dem Jahre 4500 v.Chr. Sie findet sich im Edwin-Smith-Papyrus (etwa 3000 bis 2500 v.Chr.) und wird dem Arzt und Architekten Imhotep zugeschrieben (vgl. Beckers & Buck 1993, S. 1). Anhand der genauen Schilderung des Unfallhergangs und der anschließenden Untersuchung Imhoteps, konnte der Verfasser des Papyrus, Edwin Smith, nicht nur eine Verletzung der Wirbelsäule diagnostizieren, er war auch in der Lage, die Natur der Verletzung zu beschreiben (vgl. Sturm 1999, S. 7). Etwa 1100 Jahre v.Chr. findet sich eine nicht-medizinische Beschreibung einer leichten Rückenmarksverletzung mit Lähmungserscheinungen an den Füßen im Alten Testament (vgl. Sturm 1999, S. 8). Erst in den Schriften Hippokrates finden sich wieder ausführliche medizinische Abhandlungen über Wirbelsäulenverletzungen. Hippokrates beschrieb die Symptome und Komplikationen einer chronischen Paraplegie etwa 400 Jahre v.Chr. und er empfahl eine hohe Flüssigkeitszufuhr und eine spezielle Diät als Therapie. Einige Jahrhunderte später befassten sich die bedeutendsten Ärzte ihrer Zeit, Celsus (63 v.Chr. bis 14 n.Chr.) und Galen (130 n.Chr. bis 201 n.Chr.) mit den Verletzungen der Wirbelsäule und ihren Folgen. Beide Ärzte richteten sich bei der Behandlung Betroffener nach Hippokrates. Galens Berichte über die Funktionen des Rückenmarks sind von erstaunlicher Genauigkeit. Sein Wissen galt bis zum 19. Jahrhundert auf diesem Gebiet als einzigartig und vollständig (vgl. Sturm 1999, S. 8). Die Medizin stand dennoch am Anfang dem Problem der Behandlung von Rückenmarksverletzung und Querschnittlähmung relativ ratlos gegenüber. So wurde den Querschnittgelähmten bis ins 19. Jahrhundert keine Überlebenschance gegeben.
Bis weit ins 19. Jahrhundert wurden die unterschiedlichsten chirurgischen Maßnahmen zur Reposition von Dislokationen der Wirbelsäule angewandt, zum Beispiel durch manuellen Druck. Im 19. Jahrhundert kam es zu einer Wende in der Behandlung und vorherrschend wurden nun konservative Behandlungen durchgeführt. Erst mit der modernen Entwicklung der Chirurgie, Pasteurs Arbeiten im Bereich der Bakteriologie, der Einführung der Anästhesie und später des Röntgens hat sich das Gebiet der Rückenmarkschirurgie zunehmend etabliert (vgl. Dietz 1996, S. 13).
Dennoch blieb die Prognose für Patienten mit schweren Rückenmarksläsionen ungünstig. Im Ersten Weltkrieg, eine Phase, in der viele Querschnittgelähmte unter den Kriegsverletzten waren, starben während der ersten zwei Wochen nach Eintritt der Verletzung ca. 80 Prozent der Betroffenen, lediglich Patienten mit partiellen Läsionen hatten eine Überlebenschance. Lange Zeit noch herrschte bei den meisten Ärzten die Auffassung vor, dass allgemein für Patienten mit einer Rückenmarksverletzung nichts oder nur sehr wenig getan werden konnte (vgl. Stock 1983, S. 11). Dies ergab sich daraus, dass Komplikationen (z.B. Sepsis bei Auftreten von Infektionen der Blase oder Niere sowie Druckgeschwüre) unvermeidbar schienen. Die Patienten stellten insofern auch kein soziales Problem dar, als die Mehrzahl von ihnen eine Lebenserwartung von maximal zwei bis drei Jahren hatte (vgl. Dietz 1996, S. 13), und somit eine Integration in das Berufs- und Gesellschaftsleben als nicht notwendig angesehen wurde. Rehabilitationsmaßnahmen im heutigen Sinne gab es demnach nicht.
Erst nach dem Zweiten Weltkrieg kam es zum Rückgang dieser Sterberate. Mitentscheidend dafür waren viele wichtige Entwicklungen im Bereich der Neurologie und Blasenbehandlung zwischen 1918 und 1944. Ein entscheidender Fortschritt bei der Betreuung Querschnittgelähmter erfolgte dann im Zweiten Weltkrieg. Das Komitee für Periphere Nerven des britischen Medical Research Council unter der Leitung von R. Riddoch beschloss, Rückenmarksverletzte in spezialisierten Zentren zusammenzufassen. Im Zuge der Vorbereitung auf die Landung der Alliierten wurde 1944 in der Normandie unter der Leitung des Neurochirurgen Sir Ludwig Guttmann ein spezialisiertes Querschnittzentrum, welches zuerst nur für Soldaten, später aber auch für Zivilpersonen offen war, errichtet (vgl. Dietz 1996, S. 14). Weitere solcher Zentren wurden in Aylesbury/England (1945) und Boston/USA (1952) gegründet. Die Zentren hatten sich zum Ziel gesetzt, für Rückenmarksverletzte eine adäquate Behandlung und umfassende Rehabilitation anzubieten. Um dieses Ziel erreichen zu können, forderte Guttmann als erstes eine sachgemäße, auf die Diagnostik speziell ausgerichtete Frühbehandlung aller Querschnittpatienten. Dadurch sollten Komplikationen vermieden werden, die bisher unweigerlich zum Tod der Patienten geführt hatten (vgl. Gerner 1992, S.1). Für ihn gab es verschiedene Voraussetzungen, die für die Erreichung des Zieles unbedingt erfüllt werden sollten, vor allem die Spezialisierung der Ärzte, Therapeuten und Pflegekräfte auf den Bereich der Paraplegie. Guttmann konnte auch beweisen, dass die Decubitusbildung eine Folge der Lagerung ist und nicht von unterbrochenen spezifischen Nervenbahnen herrührt (vgl. Gerner 1992, S.1). Er führte erste Veränderungen im Rahmen der Frühbehandlung ein, so ersetzte er das Gipsbett bzw. -korsett durch spezielle Lagerungstechniken und forderte eine früh einsetzende krankengymnastische Übungsbehandlung. Er sah die Behandlung von Querschnittgelähmten als die Behandlung einer Vielzahl eng miteinander verflochtener Problemkreise und nicht als die Behandlung der Wirbelfraktur allein (vgl. Beckers & Buck 1993, S. 2).
Guttmann war ein strenger Vertreter der konservativen Behandlungsmethoden. Von vielen anderen Medizinern wurde ein operatives Vorgehen bevorzugt. Es wurde versucht, durch Operationen eine Besserung der Lähmung und eine Stabilisierung der Wirbelsäule zu erzielen. Da die Ergebnisse aber eher unzureichend ausfielen, setzte sich die konservative Haltung vorerst durch (vgl. Gerner 1992, S. 2). Auf Grund der Verbesserungen der chirurgischen Medizin sowie neuer Erkenntnisse über den Aufbau und die Funktion der Wirbelsäule, verbesserter Operationsmethoden und optimierter Implantate hat sich diese Ansicht in den letzten Jahren geändert (vgl. Gerner 1992, S. 27). Man ist gegenwärtig der Meinung, dass, wenn Druckeinwirkungen und Durchblutungsstörungen rechtzeitig entfernt werden, primär nicht geschädigte Anteile des Rückenmarks funktionstüchtig bleiben können. Auch die Stabilisierung und die Wiederherstellung der Statik der Wirbelsäule stellen für ein operatives Vorgehen einen entscheidenden und positiven Aspekt dar (vgl. Gerner 1992, S. 2).
Von 1920 bis 1945 erschien verschiedene medizinische Literatur, die sich mit der Blasenbehandlung und der Verhinderung von Infektionen beschäftigte. Jedoch war die Literatur in dieser Zeit von starkem Pessimismus hinsichtlich der Lebenserwartung von Paraplegiepatienten überschattet. Erst später kam Literatur auf den Markt mit Informationen aus den Bereichen Physiologie und Pathologie, die als Grundlage für eine bessere Blasenbehandlung genommen wurden. Besonders aber in den letzten Jahren wurden wesentliche Fortschritte zur Prävention und Therapie urologischer Probleme erzielt, eine bedeutende Voraussetzung für die Verbesserung der Lebenserwartung und Lebensqualität (vgl. Dietz 1996, S. 15).
Guttmann und Bors, der Leiter eines amerikanischen Querschnittzentrums, konnten mit ihren Forderungen an die Behandlung Querschnittgelähmter und durch den Aufbau der Querschnittzentren beweisen, dass bei konsequent durchgeführter und problemorientierter Behandlung ein Patient mit Querschnittlähmung weiterleben konnte und das nicht nur mit dem Wesen bloßen Vegetierens, sondern im Sinne eines befriedigenden Lebens mit allen sozialen Konsequenzen. Anhand der aufgezeigten Entwicklungen der Behandlung von Paraplegikern durch Spezialisierung der behandelnden Parteien und der Fortschritte im medizinischen Bereich konnte erreicht werden, dass die Lebenserwartung der Betroffenen nahezu der der Normalbevölkerung entspricht. Guttmanns Leitsätze nach dem Konzept der Comprehensive Care mit folgenden drei Säulen, die alle drei voneinander abhängen, sind auch heute noch in der Arbeit mit Querschnittgelähmten geltend:
- Herstellung der körperlichen Belastbarkeit,
- Herstellung der psychischen Stabilität und
- die soziale Wiedereingliederung (vgl. Niedeggen, Giesecke, Diederichs & Bötel 1997, S. 440).
1.2. Was bedeutet Querschnittlähmung?
1.2.1. Begriff der Querschnittlähmung
Querschnittlähmungen sind Schädigungen im Bereich der Wirbelsäule (siehe Abbildung 1a), dabei sind betroffen das Rückenmark und/oder die im Wirbelkanal verlaufenden Nervenwurzeln (siehe Abbildung 1b) (vgl. Beckers & Buck 1993, S. 7). Querschnittlähmungen umfassen teilweise und vollständige Funktionsunterbrechungen in verschiedenen Höhen des Rückenmarks.
Traumatische Schädigungen, zum Beispiel nach einem Bruch der Wirbelsäule, aber auch Tumoren oder Entzündungen (z.B. Myelitis) in der Nähe des Rückenmarks können als Ursache für eine Querschnittlähmung in Betracht kommen. Bestimmt wird die Querschnittlähmung jedoch bei allen Ursachen gleichermaßen durch die Schädigung des Rückenmarks und nicht von der Wirbelsäulenverletzung. Die Fraktur eines Wirbelkörpers löst demnach nicht zwangsläufig eine Querschnittlähmung aus, da nicht in jedem Fall das Rückenmark mitbetroffen ist (vgl. Beckers & Buck 1993, S. 8).
Je nach Ursache ist der Verlauf der Lähmungserscheinungen verschieden. Nach einem kompletten Bruch resultiert sogleich ein voll ausgeprägtes Lähmungsbild, wohingegen sich die Para- bzw. Tetraplegie bei allmählich wachsenden Tumoren oder einer Myelitis innerhalb von Stunden, Tagen oder in seltenen Fällen sogar über Monate hinweg entwickelt. Circa 85 Prozent aller Lähmungen sind jedoch traumatischen Ursprungs (vgl. Meinecke 1982, S. 42).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb.1a: Die Wirbelsäule (aus: Platzer 1999)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb.1b: Lage des Rückenmarks im Wirbelkanal (aus: Makoschey 1996)
Die neurologischen Folgen einer traumatischen Schädigung des Rückenmarkes - motorische, sensible und vegetative Lähmungen - erweisen sich bei der überwiegenden Zahl der Patienten als irreversibel (vgl. Paeslack 1998, S.59).
Im Wesentlichen unterscheidet man den Begriff der Querschnittlähmung nach drei Kriterien:
- Höhe der Lähmung: Tetraplegie, Paraplegie (siehe Abbildung 2),
- Ausmaß der Rückenmarksschädigung: komplett, inkomplett,
- Qualität der neurologischen Ausfälle: motorisch, sensibel und vegetativ.
Innerhalb der beiden Gruppen Tetra- und Paraplegie wird nochmals zwischen kompletten und inkompletten Schädigungen unterschieden. Von einer kompletten Querschnittlähmung spricht man bei einer völligen Unterbrechung der Leitfähigkeit des Rückenmarks mit Totalausfall der motorischen, sensiblen und vegetativen Funktionen unterhalb der Läsion. Dies kann hervorgerufen werden durch eine vollständige Durchtrennung des Rückenmarks, durch eine Quetschung bei Wirbelsäulenverletzungen, aber auch durch Tumore, Infektionen oder gar Durchblutungsstörungen (vgl. Gerner 1992, S. 4). Man spricht von einer kompletten Lähmung, wenn nach längstens drei Wochen bei Paraplegie und sechs Wochen bei Tetraplegie nach Eintritt der Verletzung einzelne Funktionen nicht wiederkehren bzw. keine Versorgung unterhalb der Schadensstelle erkennbar wird. Für eine komplette Lähmung sprechen folgende Kennzeichen:
- völliger Ausfall aller Gefühlsqualitäten (Oberflächen-, Schmerz-, Temperatur- und Tiefensensibilität),
- vollständiger Ausfall willkürlicher Muskelbewegungen,
- völliger Ausfall von Fremd- und Eigenreflexen,
- völliger Ausfall der Eigenkontrolle über Blasen- und Mastdarmfunktion (vgl. Gerner 1992, S. 5).
Im Gegensatz dazu gibt es bei einer inkompletten Lähmung unterschiedliche Zustandsbilder, die abhängig sind von der Schwere der Schädigung. Hier können zum Beispiel motorische und/oder sensible Funktionen erhalten geblieben sein. Eben genannte motorische und sensible Funktionen und Ausfälle können in jeder nur vorstellbaren Abstufung vorkommen, also von voll erhaltener Motorik bei fehlender Sensibilität, bis voll sensibel bei motorisch kompletter Lähmung.
Bei motorischen Störungen sind unterhalb der Schadensstelle keine Willkürbewegungen der Muskulatur und damit auch der Extremitäten möglich (vgl. Kosel & Froböse 1999, S. 134). Die manuelle Geschicklichkeit ist abhängig von der Höhe der Läsion. Bei einer sensiblen Lähmung ist das Berührungs-, Schmerz- und Temperaturempfinden beim Betroffenen ausgefallen. Zusätzlich kommt es zu einer Lähmung der Tiefenwahrnehmung, d.h., dass es dem Patienten nicht möglich ist, ausgeführte Bewegungen wahrzunehmen. Außerdem erhält er keine Information über die Lage seiner Extremitäten, er weiß also beispielsweise nicht, ob er mit gestreckten oder angewinkelten Beinen im Bett liegt (vgl. Arnold, Israel & Richter 1992, S. 13). Zu den vegetativen Lähmungserscheinungen zählen unter anderem die Störungen der Blasen- und Mastdarmfunktion oder der Sexualfunktion (vgl. Kosel & Froböse 1999, S. 135).
Erleidet der Betroffene die Verletzung durch einen Unfall, tritt zunächst eine komplette Funktionslosigkeit in den Körperbereichen unterhalb der Schädigung ein. Man spricht hier vom „spinalen Schock“, einem speziellen Zustand bei einer akuten Rückenmarksschädigung durch den Verlust der zentralen Dauererregung (vgl. Hesselbarth 1990, S. 20). Es kommt unterhalb des verletzten Rückenmarksabschnitts zum vollständigen Funktionsausfall des Rückenmarks und damit zu schwerwiegenden Ausfällen motorischer, sensibler und vor allem vegetativer Funktionen mit schlaffer Lähmung der Muskulatur (vgl. Gerner 1992, S. 5). Der spinale Schock kann, je nach Ausmaß der Verletzung, wenige Stunden, aber auch Tage oder gar Wochen anhalten (vgl. Stock 1983, S. 24). Beendet ist die Phase des spinalen Schocks, wenn das Rückenmark unterhalb der Verletzungsstelle seine Eigentätigkeit aufnimmt und somit autonome Funktionen wiederkehren, die funktionell genutzt werden können, beispielsweise zur reflektorischen Blasenentleerung (vgl. Schirmer 1994, S. 137). Gleichzeitig können aber auch unterschiedlich stark ausgeprägte Spasmen auftreten (vgl. Arnold, Israel & Richter 1992, S. 20), die bei frühzeitiger Erkennung soweit behandelt werden können, dass sie nur noch in geringem Maß auftreten.
Das Ausmaß der Gesamtschädigung der Rückenmarkverletzungen ist abhängig vom Schweregrad der Gewalteinwirkung und der Höhe des letzten noch funktionstüchtigen Segments. „Je höher die Schädigung gelegen ist, desto ausgedehnter werden die Lähmungserscheinungen sein und desto geringer sind die Überlebenschancen“ (Gerner 1992, S. 5 f.). Die systematische Einteilung der verschiedenen Formen der Querschnittlähmung wird demnach von der Höhe der Schädigung der einzelnen Rückenmarksegmente bestimmt (vgl. Gerner 1992, S. 3).
1.2.2. Begriff der Tetraplegie
Bei der Beschreibung der Lähmungsart wird der letzte gesunde Wirbel als ausschlaggebend angesehen.
Tetraplegie ist die schwerste Form einer Querschnittlähmung. Der Schädigungsort ist der Bereich der Halswirbelsäule einschließlich dem ersten Brustwirbel (siehe Abbildung 2). Die Verletzungen in diesem Bereich bedingen eine teilweise oder vollständige Lähmung aller vier Gliedmaßen. Neben den motorischen und sensiblen Ausfällen ist mit einer Beeinträchtigung der Atemfunktion zu rechnen (vgl. Hesselbarth 1990, S. 15)
Verunglückte mit einer Tetraplegie sind häufig auf komplizierte Hilfen angewiesen. Es wird ständiges Hilfspersonal für die Selbstversorgung und zur Prophylaxe möglicher auftretender Komplikationen benötigt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb.2: Wirbelsäule mit Kennzeichnung der Bereiche Tetraplegie und Paraplegie
(aus Heipertz 1996)
1.2.3. Begriff der Paraplegie
Bei einer Paraplegie liegt der Schädigungsort unterhalb des ersten Brustwirbels. Bei hohen Brustwirbelverletzungen kann es zum Ausfall großer Bereiche der Rumpfmuskulatur kommen, was zu Stabilitätsverlust führen kann. Bei Verletzungen unterhalb L2 können Teile der Beine betroffen sein, es ist aber für den Patienten noch möglich mit Hilfsmitteln zu gehen. Je nach Läsionshöhe sind beim Patienten unterschiedliche funktionelle Fähigkeiten möglich bzw. wenig bis stark eingeschränkt (siehe Abbildung 3).
Paraplegiker benötigen keine Fremdhilfe, wenn sie gut trainiert und kräftig genug sind. Dennoch wird ihr Leben als Querschnittgelähmter vom zunehmenden Alter einerseits und von der Weiterentwicklung technischer Hilfen andererseits beeinflusst.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 3: Funktionelle Fähigkeiten des Paraplegikers in Relation zur Läsionshöhe
(aus: Heipertz 1996)
Man geht bei frischverletzten Tetraplegikern von einer Verweildauer von 260 Tagen im Krankenhaus bzw. einer Rehabilitationsklinik aus, bei frischverletzten Paraplegikern spricht man von 135 Tagen. Werden die Patienten sofort in eine Spezialklinik eingewiesen, ist die Verweildauer kürzer, da hier Sekundärkomplikationen wie zum Beispiel die Decubitusbildung durch eine Zweiteinweisung vermieden werden können (vgl. Gerner 1992, S. 11). Gerner (1992) ist auch der Auffassung, dass die allgemeinen Krankenhäuser den Behandlungs- und Rehabilitationserfordernissen querschnittgelähmter Patienten nicht gerecht werden können (S. 19). Zur Prognose sind Aussagen erst nach Abklingen des spinalen Schocks möglich, wenn also das Rückenmark in den Anteilen unterhalb der Läsion wieder seine Funktion erlangt hat (vgl. Grüninger & Wiese 1987, S. 612). Aber auch dann ist es sehr schwierig, eine Prognose für den Patienten zu erstellen, da bisher keine verlässlichen Kriterien für eine sichere Aussage über die Prognose vorhanden sind (vgl. Grüninger & Wiese 1987, S. 613).
1.2.4. Ursachen und Häufigkeit
In industrialisierten Staaten wird eine jährliche Inzidenz von 30 Querschnittlähmungen pro 1 Million Einwohner angenommen. Wie bereits einleitend dargestellt, sind es vorwiegend traumatische Ursachen, die zu einer Querschnittlähmung führen, und hiervon betreffen ein Drittel der Fälle das Halsmark mit Tetraplegie, zwei Drittel sind Paraplegiker.
Die in Deutschland ansässigen Querschnittzentren führten von 1976 bis 1986 eine Untersuchung über die Häufigkeit der verschiedenen Ursachen für Querschnittlähmungen durch. Dabei ergab sich folgendes Ergebnis (vlg. Gerner 1992, S. 10):
- 70 Prozent Unfalltrauma, in der Reihenfolge: Verkehrs-, Arbeits-, Sport- und Badeunfälle sowie Suizid und Fremdtötungsversuche
- 20 Prozent nicht traumatische Ursachen: Tumore/Metastasen, Abszesse, angeborenen Fehlbildungen (z.B. Spina Bifida), Infarkte der versorgenden Gefäße, mit steigender Tendenz
- 10 Prozent Iatrogene Ursachen (nach Wirbelsäulen- und neurochirurgischen Eingriffen, chiropraktischen Maßnahmen u.a.)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb.4: Lähmungsursachen bei frischer Querschnittlähmung nach einer 10-Jahres-Statistik (1976 bis 1986) der Deutschen Querschnittgelähmten-Zentren (n=8755) (aus: Gerner 1992)
„Der Sprung ins flache, unbekannte Gewässer ist mit einem hohen Risiko einer Halsmarkverletzung behaftet“ (Gerner 1992, S. 14). Besonders bei Badeunfällen überwiegen die vollständigen, zumindest motorisch kompletten Lähmungen, während bei anderen Sportunfällen der größere Anteil inkomplette Lähmungen aufweist (vgl. Gerner 1992, S. 16).
Von den betroffenen Patienten sind 72 Prozent Männer, 26 Prozent Frauen und zwei Prozent Kinder. 60 Prozent aller Ursachen führen inkomplette Lähmungen herbei (vgl. Gerner 1992, S. 11).
Entsprechend den Unfallursachen handelt es sich vorwiegend um jüngere Patienten, „das Durchschnittsalter bei Sportunfällen liegt beispielsweise bei 25 Jahren“ (Dietz 1996, S.15).
[...]
- Citar trabajo
- Manja Lange (Autor), 2003, Paraplegiker. Rehabilitation Querschnittgelähmter, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/48153
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