Dieser Text beschäftigt sich damit, wie Hörspiele im Sachunterricht eingesetzt werden können, um politisches Lernen für die Schüler_innen zu gestalten. Wie können durch politische Inhalte in den Geschichten Analyse-, Urteils- und Handlungsfähigkeit gefördert werden und dementsprechend einen Beitrag zur Ausbildung der politischen Mündigkeit leisten?
Um diese Fragen beantworten zu können, sollen zunächst Instanzen betrachtet werden, die Einfluss auf die politische Sozialisation und dementsprechend auf die Entwicklung des politischen Bewusstseins und die Mündigkeit von Kindern haben. Weiterhin soll der Sachunterricht betrachtet werden, der hinsichtlich seiner im Kerncurriculum benannten gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Perspektive zur politischen Bildung im Primarbereich beitragen soll und für die Umsetzung eines Hörspielprojekts geeignet ist. Grundlage für die Planung stellen dabei das niedersächsische Kerncurriculum, der Perspektivrahmen für den Sachunterricht und Konzepte des politischen Lernens dar, die im dritten Kapitel behandelt werden. Weitergehend werden quantitative und qualitative Studien vorgestellt, die das politische Wissen sowie Interesse und Einstellungen von Kindern untersuchen. Eine intensivere Betrachtung wird bei deutschen Studien neueren Datums vorgenommen. Die Vorgehensweisen und Ergebnisse der Studien wurden dabei für die Konzeption des Hörspielprojekts genutzt. Relevant sind ebenfalls die Besonderheiten des Kinderhörspiels, sowie die Elemente des Hörspiels im Allgemeinen, die für die Planung des Projekts miteinbezogen wurde. Zudem soll betrachtet werden, inwiefern das Hörspiel in der Mediennutzung der Grundschulkinder noch genutzt wird bzw. welche Veränderungen sich in den letzten Jahren in Bezug auf die Rezeption gezeigt haben.
Der praktische Teil betrachtet die Entstehung der Hörspielreihe Bibi Blocksberg und die Konstruktion der Figuren, sowie die politischen Strukturen, welche sich in der Hörspielreihe finden lassen. Darauf aufbauend wird das durchgeführte Projekt „Vom Hören zum Handeln: Politisches Lernen mit dem Hörspiel“ vorgestellt. Daraus resultierend wird eine Handreichung für den Umgang mit Hörspielen im Sachunterricht zur Förderung politischer Analyse-, Urteils- und Handlungsfähigkeit vorgestellt, die neben Tipps zur Planung auch methodische Hinweise und mögliche Hörspiele aus den Reihen Bibi Blocksberg und Benjamin Blümchen mit Themenbereichen des Kerncurriculums und Perspektivrahmens verknüpft.
Inhalt
1. Einleitung
2. Politische Sozialisation in der Kindheit
2.1. Sozialisationsinstanzen in der Kindheit
2.1.1. Latente politische Sozialisation
2.1.2. Manifeste politische Sozialisation
2.2. Entwicklung von Mündigkeit und politischem Bewusstsein
3. Die politische Perspektive des Sachunterrichts
3.1. Kerncurriculum Sachunterricht
3.2. Perspektivrahmen der GDSU
3.3. Politisches Lernen im Sachunterricht
4. Vorstellungen und Wissen über Politik von Grundschulkindern
4.1. Quantitative Studien
4.2. Qualitative Studien
4.3. Zusammenfassung der Ergebnisse
5. Das Hörspiel
5.1. Merkmale des Hörspiels
5.2. Kinderhörspiele
5.3. Hörspiele in der Mediennutzung von Kindern
6. Bibi Blocksberg – eine Hörspielreihe mit politischen Aspekten
6.1. Geschichte und Entwicklung der Hörspielreihe
6.2. Charakterkonstruktion der Protagonisten
6.3. Politische Strukturen der Hörspielreihe
7. Das Hörspiel als Projekt im Sachunterricht
7.1. Bibi Blocksberg – Die Zauberlimonade
7.1.1. Politische Aspekte des Hörspiels
7.1.2. Didaktische Begründung
7.2. Das Projekt:
7.2.1. Vorüberlegungen
7.2.2. Lernvoraussetzungen
7.2.3. Fragebogen
7.2.4. Ablauf des Projekts
7.2.5. Ergebnisse des Projekts
7.2.6. Evaluation
8. Umgang mit Hörspielen im Sachunterricht – Eine Handreichung
9. Fazit
10. Literaturverzeichnis
Internetquellen:
Hörspiele
11. Abbildungsverzeichnis
Anhang
1. Einleitung
„Bibi Blocksberg: Als unsere Schule eröffnet worden ist, die Neugebaute. Da hat der Direktor was davon gesagt, dass die Kinder gern mit dem Rad zur Schule kommen würden, dass die Eltern sie aber nicht ließen wegen der großen Autogefahr. Und da hat der Bürgermeister gesagt, er würde dafür sorgen, dass es sich ändere. Alles stink erlogen!
Barbara Blocksberg: Ach Bibi, dass glaube ich nicht, dass der Bürgermeister lügt. Nein, das glaube ich nicht.“ [Donnelly 1980, Vgl. Anhang: Transskript] Der Bürgermeister ein Lügner? – Dies ist keine seltene Aussage, die die politische Lage in der fiktiven Stadt Neustadt, der Heimat von Benjamin Blümchen und Bibi Blockblocksberg, beschreibt. Oft als ein dümmlicher und korrupter Politiker beschrieben, bestimmt das nicht namentlich genannte Stadtoberhaupt nun schon seit über 40 Jahren die politischen Geschehnisse. Wobei er nicht bestimmt, denn in den meisten Folgen sind es am Ende die Hörspielhelden, die die Situation retten. Bereits in Kinderhörspielen werden junge Heranwachsende schon mit politischen Themen konfrontiert und dies im Fall von Bibi und Benjamin nicht gerade mit positiven Vertretern des Berufsstands. Besonders der Politikdidaktiker Gerd Strohmeier sieht dies als bedenklich und beschreibt die politischen Einstellungen der Protagonisten als „[…] ökologisch, postmaterialistisch, basisdemokratisch, kritisch, zivilcouragiert, pazifistisch, sozial, antikapitalistisch, egalitär, tendenziell anarchisch bzw. antistaatlich, antihierarchisch, antiautoritär und antikonservativ; mit anderen Worten: "links" der politischen Mitte (linksliberal bis linksalternativ)“ (Strohmeier 2005, S. 14).
Die politische Sozialisation findet demnach also nicht nur durch Instanzen der Familie, (Massen-) Medien, Peer-Groups und Schule, sondern ebenso im Kinderzimmer statt, wenn die Heranwachsenden den Abenteuern kleiner Hexen und sprechender Elefanten lauschen. Doch ist diese negative Betrachtung hinsichtlich der Ausbildung politischer Mündigkeit wirklich der Fall? Vermitteln die Helden von Elfie Donnelly tatsächlich ein solch negatives Bild der Politik und wirkt sich dies dementsprechend schlecht auf die politische Sozialisation der Kinder aus?
Der Jugendbildungsreferent Oliver Emde widerspricht dieser Bewertung. Aus seiner Sicht vermitteln Hörspiele der Reihe eine lebendige und liberale Demokratie, in der die Bürger_innen sich aktiv beteiligen können (Vgl. Emde 2016, S. 33). Gegensätzliche Standpunkte, die dennoch beide zum Ausdruck bringen, dass das Politische aus diesen Hörspielreihen, und vermutlich auch anderen Kinderserien, nicht wegzudenken ist.
Welchen Einfluss haben diese Kinderhörspiele noch auf Kinder, wenn die Rezeption immer mehr abnimmt? In den 1980er und 1990er Jahren gehörten Hörspiele in jedes Kinderzimmer, auf Kassette und später auf CD, wurden sie zu Hauf verkauft (Vgl. Wicke 2016), doch mittlerweile belegen Studien wie die KIM (steht für: Kinder, Internet, Medien), dass Hörspiele schon längst nicht mehr so häufig rezipiert werden (Vgl. Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest 2017, S.24). Zwar sind sie noch nicht vollends verschwunden, spielen jedoch nur noch eine geringe Rolle in der Mediennutzung.
Die vorliegende Arbeit soll sich dementsprechend mit dem Thema beschäftigen, wie Hörspiele im Sachunterricht eingesetzt werden können um politisches Lernen für die Schüler_innen zu gestalten. Wie können sich durch politische Inhalte in den Geschichten Analyse-, Urteils- und Handlungsfähigkeit gefördert werden und dementsprechend ein Beitrag zur Ausbildung der politischen Mündigkeit leisten?
Um diese Fragen beantworten zu können, sollen zunächst Instanzen betrachtet werden, die Einfluss auf die politische Sozialisation und dementsprechend auf die Entwicklung des politischen Bewusstseins und die Mündigkeit von Kindern haben. Dabei soll sowohl auf manifeste als auch latente Prozesse eingegangen werden. Weiterhin soll der Sachunterricht betrachtet werden, der hinsichtlich seiner im Kerncurriculum benannten gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Perspektive zur politischen Bildung im Primarbereich beitragen soll und für die Umsetzung eines Hörspielprojekts geeignet ist. Grundlage für die Planung stellen dabei das niedersächsische Kerncurriculum, der Perspektivrahmen für den Sachunterricht und Konzepte des politischen Lernens dar, die im dritten Kapitel behandelt werden. Weitergehend werden quantitative und qualitative Studien vorgestellt, die das politische Wissen sowie Interesse und Einstellungen von Kindern untersuchen. Dazu werden einige ältere Studien aus den Vereinigten Staaten knapp vorgestellt, sowie zwei Studien aus dem europäischen Raum. Eine intensivere Betrachtung wird bei deutschen Studien neueren Datums vorgenommen. Die Vorgehensweisen und Ergebnisse der Studien wurden dabei für die Konzeption des Hörspielprojekts genutzt. Relevant sind ebenfalls die Besonderheiten des Kinderhörspiels, sowie die Elemente des Hörspiels im Allgemeinen, die für die Planung des Projekts miteinbezogen wurde. Zudem soll betrachtet werden, inwiefern das Hörspiel in der Mediennutzung der Grundschulkinder noch genutzt wird bzw. welche Veränderungen sich in den letzten Jahren in Bezug auf die Rezeption gezeigt haben.
Der praktische Teil betrachtet die Entstehung der Hörspielreihe Bibi Blocksberg und die Konstruktion der Figuren, sowie die politischen Strukturen, welche sich in der Hörspielreihe finden lassen. Darauf aufbauend wird das durchgeführte Projekt „Vom Hören zum Handeln: Politisches Lernen mit dem Hörspiel“ vorgestellt. Daraus resultierend wird eine Handreichung für den Umgang mit Hörspielen im Sachunterricht zur Förderung politischer Analyse-, Urteils- und Handlungsfähigkeit vorgestellt, die neben Tipps zur Planung auch methodische Hinweise und mögliche Hörspiele aus den Reihen Bibi Blocksberg und Benjamin Blümchen mit Themenbereichen des Kerncurriculums und Perspektivrahmens verknüpft.
Das vorgestellte Projekt ist schwerpunktmäßig für die Grundschule und auf die fiktive Welt um die Hörspielhelden Bibi und Benjamin auslegt, deren Konzeption die gleichen politischen Strukturen zu Grunde liegen. Andere Kinderhörspiele werden dabei nicht betrachtet, da dies den Rahmen der Arbeit sprengen würden, jedoch bedeutet dies nicht, dass auch andere Hörspielreihen für den Einsatz zur Ausbildung politischer Mündigkeit genutzt werden können. Weitergehend beschränken sich die Resultate auf die Durchführung zweier Klassen der selben Schule und können dementsprechend nicht als repräsentativ betrachtet werden, dennoch werden durch die Vergleiche mit den Ergebnissen der vorgestellten Studien Gemeinsamkeiten und Unterschiede hinsichtlich der Wissensstrukturen aufgezeigt. Die Evaluation des Hörspiels dient als Grundlage für die Ausarbeitung der Handreichung und enthält Aspekte, die innerhalb der Planung des vorgestellten Projekts noch nicht aufgenommen wurden. Die Handreichung kann als Leitfaden mit Hinweisen zur Planung und Umsetzung verstanden werden. Abschließend wird der Ausblick beantwortete, offengebliebene sowie weiterführende Fragen darlegen.
2. Politische Sozialisation in der Kindheit
Sozialisation ist ein Prozess, der Individuen in die Gesellschaft einführen soll (Vgl. Schneider 2007, S.19). Sie dient der Persönlichkeitsentwicklung und vollzieht sich in Wechselwirkung zum sozialen, gesellschaftlichen und materiellen Umfeld der Person und kann deshalb nur im Spannungsfeld zwischen dem Individuum und der Gesellschaft, in der es lebt, stattfinden (Vgl. Strohmeier 2005, S. 7).
Dabei ist Sozialisation kein Prozess, der mit einem bestimmten Alter abschließt. Er verlangt von dem Individuum ständige Anpassung an die Gegebenheiten (Vgl. ebenda). Politische Sozialisation ist ein Teil der allgemeinen Sozialisation und meint speziell die Ausbildung einer politischen Persönlichkeit (Vgl. Hafner 2006, S. 21).
„Politische Sozialisation bezeichnet den Prozess der Einführung des Individuums in die politische Kultur, innerhalb dessen dieses ein „Set“ von Einstellungen, Kognitionen, Werten und Gefühlen im Hinblick auf das politische System erwirbt.“ (Abendschön & Vollmar 2007, S.205).
Diese Aneignung der Einstellungen, Kognitionen, Werte und Gefühle ist essentiell für die Entwicklung eines mündigen Bürgers_in (Vgl. Strohmeier 2005, S.8). Der Erwerb dieses „Sets“, wie es von Abendschön und Vollmar bezeichnet wird, wird bereits in der frühen Kindheit angebahnt, ist jedoch, wie die allgemeine Sozialisation, ein lebenslanger Prozess (Vgl. Asal & Burth 2016, S. 13).
In dem folgenden Kapitel soll die politische Sozialisation in der Kindheit (insbesondere im Grundschulalter) dargestellt werden, dabei wird zunächst allgemein auf die Phasen der Sozialisation, sowie die primären Sozialisationsinstanzen eingegangen, um anschließend latente und manifeste Faktoren und Prozesse der politischen Sozialisation näher zu betrachten. Danach wird die Entwicklung von politischer Mündigkeit und dem politischen Bewusstsein unter Berücksichtigung der Sozialisationsinstanzen erklärt.
2.1. Sozialisationsinstanzen in der Kindheit
Die Sozialisation lässt sich insgesamt in drei Phasen einteilen, welche sich auch auf die politische Sozialisation beziehen lässt. Das sind die Primär-, Sekundär- und Tertiärsozialisation (Vgl. Strohmeier 20005, S. 8). Die Primärsozialisation vollzieht sich vor allem in der Familie und ist zeitlich in der frühen Kindheit einzuordnen. In dieser Entwicklungsphase bildet sich die Grundpersönlichkeit des Individuums hinsichtlich seiner politischen Einstellungen, welches mit der Ausbildung des Selbst- und Sozialkonzepts der Person begründet wird (Vgl. Strohmeier 2005, S. 8). Mit dem Schuleintritt beginnend, setzt die Sekundärsozialisationsphase ein, bei der die Schule und Gleichaltrigen in den Mittelpunkt der politischen Sozialisation rücken. Während dieser Phase werden die Grundannahmen der Individuen, ihrer Werte und Normen betreffend, differenziert, aber auch stabilisiert. In diesem Sozialisationsabschnitt findet die Persönlichkeitsentwicklung statt und die Ausbildung der politischen Kompetenzen wird angebahnt (Vgl. Strohmeier 2005, S.8).
Die Tertiärsozialisation umfasst zwar den zeitlich längsten Abschnitt, da er bereits nach der Schulzeit einsetzt, ist jedoch im Gegensatz zu den anderen beiden Phasen, hinsichtlich der Ausbildung der politischen Persönlichkeit, als nachrangig zu betrachten. Die Individuen agieren mit ihrer sozialen Umwelt und passen sich dieser in einem fortlaufenden Prozess immer wieder an (Vgl. Strohmeier 2005, S. 8).
Da die Konstruktion der politischen Welt von den Kindern jedoch bereits im Alter von zehn bis elf Jahren geschieht, lassen sich die politischen Einstellungen von Dreizehnjährigen als relativ stabil bezeichnen (Vgl. Strohmeier 2005, S. 8). Da die vorliegende Arbeit sich mit Grundschüler_innen beschäftigt, sind vor allem die primäre und sekundäre Sozialisationsphase für die Betrachtung der politischen Mündigkeit interessant. Die Sozialisationsinstanzen Familie und Schule werden dementsprechend genauer betrachtet werden.
Die Sozialisationsinstanzen, die während der Kindheit den meisten Einfluss auf die Ausbildung der politischen Persönlichkeit haben, sind die Familie, die Schule, die Medien und ebenfalls die Peer-Groups (Gleichaltrige) (Vgl. Asal & Burth 2016, S. 13).
Van Deth et. al. führen in ihrer Studie „Demokratie Leben Lernen“ (Kurz: DLL) an, dass die meisten Forschungen die Sozialisation betreffend, sich mit Jugendlichen oder auch jungen Erwachsenen beschäftigen (Vgl. van Deth 2007a, S. 15). Die DLL Studie, aber auch die Studie von Hafner, die Anfang der 2000er Jahre durchgeführt wurde, widmen sich daher der Fragestellung nach dem politischen Wissen, Interessen und Einstellungen von Grundschüler_innen (Vgl. van Deth 2007a, S. 18 und Hafner 2006, S. 75). Diese werden von van Deth insbesondere als interessant und wichtig angesehen, da sich seit den Forschungen der 1960/70er Jahre die Kindheit enorm verändert hat (Vgl. van Deth 2007a, S. 16). Neben der schnelleren Entwicklung der Kinder auf physischer, aber auch psychischer Ebene, sind gleichermaßen gesellschaftliche Faktoren zu beachten, die sich auf die Kindheit auswirken. Dazu gehören beispielsweise der zunehme Medieneinfluss, welcher sich seit der Studie von van Deth nach elf Jahren noch weiter intensiviert haben dürfte, aber auch der gesellschaftliche Pluralismus und die veränderten Familienstrukturen, die sich ebenfalls auf die politische Sozialisation der Kinder auswirken kann (Vgl. Van Deth 2007a, S. 15 – 16).
Die Familie ist die erste Sozialisationsinstanz im Leben der Schüler_innen und wirkt dementsprechend auch auf die politischen Orientierungen der Heranwachsenden ein. Dies nimmt zwar mit dem Alter ab, ist jedoch über die Entwicklung beständig (Vgl. Vollmar 2012, S. 52). Der Einfluss der Familien auf die politische Sozialisation ist dabei von unterschiedlichen Faktoren abhängig, die die Qualität der politischen Sozialisation bestimmen. Dazu gehören der soziale Status, das Bildungsniveau der Eltern, die ethnische Herkunft und die Familienstruktur (Vgl. Vollmar 2012, S. 52-53). Auch bei der Schule können unterschiedliche Faktoren ausgemacht werden, die Einfluss ausüben. Dies betrifft die Lehrer_innen, den Lehrplan, den Schultyp beziehungsweise die Schulform, aber auch die Klassenzusammensetzung und –klima, sowie die Schulausstattung (Vgl. Vollmar 2012, S. 63).
Alle Sozialisationsinstanzen wirken sowohl bei der latenten als auch manifesten politischen Sozialisation. In den folgenden Unterkapiteln sollen diese Wirkungsweisen für die Instanzen Familie, Schule und Medien näher dargestellt werden. Die Sozialisationsinstanz der Peer Groups wird dabei vernachlässigt, da es kaum empirische Studien zum Einfluss Gleichaltriger auf die politische Sozialisation von Kindern im Grundschulalter gibt.
2.1.1. Latente politische Sozialisation
Latente politische Sozialisation heißt nicht direkt politisches Lernen, meint jedoch erlernte Kompetenzen oder Verhaltensweisen, die Auswirkungen auf die Interessen und Einstellungen der Person hinsichtlich seiner politischen Orientierung und späteren Handlungsweisen haben (Vgl. Asal & Burth 2016 S. 13 und Hafner 2006, S. 23).
Die Familie ist der wichtigste Bezugspunkt hinsichtlich des sozialen Lernens in der frühen kindlichen Entwicklung und ist damit ein fester Bestandteil bei der politischen Sozialisation (Vgl. Hafner 2006, S. 26). In ihr vollziehen sich vor allem latente politische Sozialisationsprozesse, die beispielsweise durch den Erziehungsstil oder die soziale Struktur der Familie an die Kinder weitergegeben werden (Vgl. ebenda). Der Erziehungsstil der Eltern ist maßgeblich für die Persönlichkeitsentwicklung der Kinder und wirkt damit als latenter politischer Sozialisationsprozess. Eigenschaften wie Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl können später Determinanten für die Bereitschaft der politischen Partizipation sein (Vgl. Hafner 2006, S.27 und Asal & Burth 2012, S. 14), ebenso wie die vermittelten familiären Werte, Normen und Rollenerwartungen, die sich in der Erziehung widerspiegeln (Vgl. Asal & Burth 2012, ebenda).
Auch die Weltanschauungen und politischen Überzeugungen der Eltern besitzen eine unbewusste Wirkung auf die Ausbildung der politischen Persönlichkeit der Kinder (Vgl. Hafner 2006, S. 27), wobei die Qualität der politischen Sozialisation abhängig von den Lebensumständen und auch der jeweiligen Lebensphase ist (Vgl. Hafner 2006, S. 26). Zudem findet in der Familie oft Erfahrungslernen in Bezug auf Meinungsäußerungen oder auch Mitbestimmungsmöglichkeiten statt (Vgl. ebenda, S. 28). Erfahrungslernen meint dabei die Übertragung von nicht konkret politischen Fähigkeiten oder auch konkrete Verhaltensweisen auf den politischen Bereich. Diese kann wie beschrieben bei Mitbestimmungsmöglichkeiten in der Familie erworben werden, aber auch durch die Teilnahme in einem Sportteam (Vgl. ebenda, S. 24). Andere Konzepte der latenten politischen Sozialisation sind die interpersonelle Übertragung und die Generalisierung.
Die interpersonelle Übertragung hängt mit der Wahrnehmung von Autoritäten zusammen und geht davon aus, dass die kindliche Wahrnehmung von Autoritätspersonen wie den Eltern einen prägenden Einfluss darauf hat, wie politische Autoritäten später wahrgenommen werden (Vgl. ebenda). Während die Generalisierung an das Erfahrungslernen anknüpft. Es meint die Erweiterung der allgemeinen Einstellungen eines Individuums auf den politischen Bereich und geht davon aus, dass Eigenschaften wie Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl, welche durch den Erziehungsstil geprägt werden, im späteren Entwicklungsverlauf generalisierbar auf die politische Wirksamkeit sein können (Vgl. ebenda).
Auch in der Schule findet eine latente politische Sozialisation statt, die nicht ausschließlich im Politikunterricht, sondern fachübergreifend im Rahmen der Sozialerziehung stattfindet (Vgl. Hafner 2006, S. 31). Dabei spielen die Strukturen und Organisation der Schule als Institution eine große Rolle und die Qualität der politischen Sozialisation richtet sich nach dem Ausmaß der demokratischen Werte, aber auch der Mitbestimmungsmöglichkeiten der Schüler_innen (Vgl. ebenda, S. 32 und Asal & Burth 2012, S.17). Abseits des Politikunterrichts hat die Schule den Auftrag die Kinder dazu zu befähigen verantwortungsbewusst und eigenständig zu handeln (Vgl. Schneider 2007, S. 20). Befähigt werden sollen die Schüler_innen durch die Vermittlung von Regeln und Normen, aber auch entstehende Sozialbeziehungen (Vgl. ebenda).
Ein ebenfalls nicht zu unterschätzender Faktor sind die Lehrer_innen, welche insbesondere neben ihrer Kompetenz als Fachlehrer_innen einen großen Einfluss auf die Schüler_innen haben können. Vollmar stellt fest, dass der Politikunterricht weniger ausschlaggebend für die Ausbildung des politischen Interesses sei, viel mehr die Einstellungen der Lehrkraft, aber auch seine Beliebtheit, sein Engagement und Unterrichtsstil (Vgl. Vollmar 2012, S. 63).
Neben der Lehrkraft kann auch die Klassenzusammensetzung und das Klassenklima Auswirkungen auf die politische Sozialisation haben (Vgl. Hafner 2007, S. 33 und Vollmar 2012, S. 67-69). Nach einer Studie von Gemmeke wirkt sich der Anteil der Mädchen in einer Klasse positiv auf den Wissenserwerb im Unterricht aus. Koedukative Klassen erzielen positivere Lerneffekt als reine Mädchen- oder Jungenklassen (Vgl. Vollmar 2012, S. 68). Ähnlich zur Familie ist auch ein offenes Diskussionsklima in der Klasse ein wichtiger Faktor für die Qualität der politischen Sozialisation. Sie fördert die aktive Beteiligung der Schüler_innen und damit die Ausbildung der Kompetenzen hinsichtlich Formulierung der eigenen Meinung und Argumentation (Vgl. ebenda, S.68-69).
Neben Schule und Familie tragen auch die Medien einen großen Teil zur politischen Persönlichkeitsentwicklung bei. Die elektronischen Medien nehmen dabei einen zunehmenden Stellenwert in der politischen Sozialisation ein (Vgl. Schneider 2007, S.22) Sie wirken dabei zwar indirekt, beeinflussen jedoch durch die Darstellung in den Unterhaltungsmedien das Bild der Politik und ebenfalls die Geschlechterstereotypen. Dementsprechend werden Mädchen und Frauen in den Unterhaltungsformaten oft als unpolitisch oder politisch desinteressiert dargestellt, während Männer als „die Macher“ präsentiert werden (Vgl. Hafner 2006, S. 40-41 und Asal & Burth 2012, S. 16). Dieses birgt eine unbewusste Manipulationsgefahr die Rollenerwartungen betreffend. Eine ebenfalls große Gefahr der Manipulation birgt das Internet, die vor allem wegen der fehlenden Medienkompetenz der Schüler_innen besteht (Vgl. Schneider 2007, S. 23). Das Internet wird immer wichtiger bei der allgemeinen Sozialisation und somit auch bei der politischen. Der Einfluss der „Influencer“ über Plattformen wie Youtube oder Instagram darf dabei nicht unbeachtet bleiben, wobei zu untersuchen bliebe, welchen Einfluss sie auf die politische Sozialisation von Kindern im Grundschulalter besitzen.
Hafner, ebenso wie Asal und Burth, weisen darauf hin, dass eine hohe Nutzung von unterhaltungsorientierten Medienangeboten auch negative Effekte auf soziale und politische Orientierungen haben kann. Entscheidend sei vor allem der Umfang der Nutzung hinsichtlich eines positiven oder negativen Effekts auf die politische Sozialisation (Vgl. Asal & Burth 2012, S. 17 und Hafner 2006, S. 41).
Neben Unterhaltungsformaten in Form von Fernsehen und Internet, sollen hinsichtlich der Zielgruppe und dem Thema der Arbeit, im Besonderen die Hörspiele erwähnt sein. Strohmeier schreibt diesen eine ähnliche Wirkung auf die Sozialisation zu wie anderen Medien (Vgl. Strohmeier 2005, S. 10). Dabei sieht er den Einfluss der Hörspiele auf die Kinder unterschiedlich. Er richtet sich nach Faktoren des Zeitraums der Rezeption, des sozialen Kontextes, der Persönlichkeitsstruktur des Kindes und auch der Wechselwirkung zu anderen Sozialisationsinstanzen (Vgl. ebenda). Aus seiner Sicht sind Hörspiele vor allem in der Sekundärsozialisation wirksam und sind hinsichtlich ihrer Darstellung von Vorbildern, Schwarz-Weiß-Denken, aber auch dem Unterhaltungsfaktor für Rezipienten und Rezipientinnen im Grundschulalter, gemäß ihrer kognitiven Voraussetzung, entsprechend gestaltet (Vgl. ebenda). Als Beispiel führt er die Hörspiele von Bibi Blocksberg und Benjamin Blümchen an, denen er auf Grund ihrer Auseinandersetzung mit politischen Themen eine latente, aber auch teilweise manifeste politische Sozialisation zuschreibt (Vgl. ebenda, S. 11). Fraglich ist jedoch, ob das Hörspiel noch als einflussreiches Medium für die politische Sozialisation gesehen werden kann, da seine Rezeption bei Kindern in den letzten Jahren deutlich nachgelassen hat (Vgl. Oestrich 2006, S. 31). Dieser Frage soll jedoch im Kapitel 5.3 noch einmal genauer nachgegangen werden.
2.1.2. Manifeste politische Sozialisation
Der latenten politischen Sozialisation steht die manifeste gegenüber. Diese meint eine „[…] bewusste, zielgerichtete Vermittlung politischer Gefühle, Informationen oder Werte.“ (Vgl. Asal & Burth 2012, S. 13).
Eine manifeste politische Sozialisation in Familien findet in der Regel kaum statt, dies hängt damit zusammen, dass nur wenige Eltern das Ziel der politischen Mündigkeit als ein elementares Ziel ihrer Erziehung betrachten (Vgl. Hafner 2006. S. 25). Daher ist die gezielte Vermittlung von politischem Wissen, die politische Erziehung, eher selten innerhalb der Familie zu finden (Vgl. Hafner 2006. S. 23). Meist geschieht die politische Sozialisation im Alltag und wird oftmals auch durch Fragen der Kinder angeregt (Vgl. Schneider 2007, S. 19). Dabei konnte festgestellt werden, dass die politischen Diskussionen im Elternhaus das Niveau des politischen Wissens der Kinder steigern insbesondere, wenn sie in die Diskussionen einbezogen werden, daher wird angenommen, dass auch das politische Interesse wächst, wenn sie an politischen Diskussionen im Elternhaus teilnehmen können (Vgl. Vollmar 2012, S. 60 und Hafner 2006, S. 29). Dies geschieht jedoch vor allem in Elternhäusern höherer sozialer Schichten (Vgl. Hafner 2006, S. 28). Kinder aus sozial starken Familien weisen eine höhere Qualität bezüglich ihres Verständnisses von politischen Rollen und Institutionen, aber auch eine höhere Quantität, das bedeutet Rollenbewusstsein, in ihrem politischen Wissen auf, als Kinder aus sozial schwachen Haushalten (Vgl. Vollmar 2012, S. 55).
Auch wenn die politische Bildung in der Regel nicht als zentrales Ziel der elterlichen Erziehung angesehen wird, kann jedoch festgestellt werden, dass die manifeste politische Sozialisation mit dem Alter der Kinder zunimmt (Vgl. Asal & Burth 2012, S. 15). Dies ist jedoch abhängig von der „[…] Art und Weise, der Intensität und Häufigkeit der politischen Kommunikation“ (Asal & Burth 2012, S.15), welche ebenfalls im engen Zusammenhang mit dem Bildungsniveau der Eltern steht (Vgl. ebenda). Douse und Hughes gehen davon aus, dass Eltern mit einer höheren Bildung andere Wege der Auseinandersetzung mit politischen aber auch sozialen Inhalten für ihre Kinder schaffen als Eltern mit einem niedrigeren Bildungsniveau, wofür es jedoch empirisch gesehen keine Belege gibt. Jedoch lässt sich nachweisen, dass das Wissensniveau von Schüler_innen aus Elternhäusern mit einem hohen Bildungsniveau, dass der Kinder aus bildungsfernen Haushalten übersteigt (Vgl. Vollmar 2012, S.56).
In Haushalten mit einem hohen Bildungsniveau spielt die Imitation, die Übernahme von politischen Einstellungen eines Vorbilds, eine große Rolle. Die Imitation kann auch unbewusst ablaufen, ist jedoch in vielen Fällen ein Resultat der manifesten politischen Sozialisation (Vgl. Hafner 2007, S. 22-23). Kinder übernehmen dabei oft explizite Grundhaltungen ihrer Eltern (Vgl. ebenda, S.29), wobei sich die Kinder häufig an den Vater wenden, der für sie in den meisten Fällen als politischer Informationsgeber dient (Vgl. Vollmar 2012, S.55). Dies hängt damit zusammen, dass Kinder sich in der Regel an die Person wenden, von der sie ausgehen, dass sie das höhere Wissensniveau besitzt. Dabei wird oft außer Acht gelassen, dass beide Elternteile über das gleiche Niveau und damit über einen ähnlichen Einfluss verfügen (Vgl. ebenda, S. 59). Verfügen beide Elternteile über ein ähnliches Wissensniveau, hat dieses sogar einen höheren Effekt auf die Vermittlung politischen Wissens an die Kinder (Vgl. ebenda, S.61). Interessant ist auch, dass die Parteibindung der Heranwachsenden häufig identisch mit der ihrer Eltern ist (Vgl. Asal & Burth 2012, S. 15 und Hafner 2006, S.30), was insbesondere der Fall ist, wenn beide Elternteile diese Auffassung vertreten (Vgl. Vollmar 2012, S. 60).
Die manifeste politische Sozialisation innerhalb der Schule findet vor allem im Politikunterricht statt, in dem den Schüler_innen politisches Basiswissen vermittelt wird und ihnen ein komplexeres Bild, im Sinne der Institutionenkunde und politischer Prozesse, vermittelt wird (Vgl. Hafner 2006, S. 33, Vollmar 2012, S.63 und Asal & Burth 2012, S.17). Es dient als Verstärker der politischen Sozialisation innerhalb der Familie, hat jedoch in der Regel nur einen positiven Effekt auf Kinder, die aus Elternhäusern mit politischem Interesse kommen, beziehungsweise in denen auch im Alltag über Politik besprochen wird (Vgl. Hafner 2006, S.34).
Dieser schwache Effekt des Politikunterrichts kann einerseits damit erklärt werden, dass es sich beim Fach Politik ausschließlich um ein Nebenfach handelt, welches in den meisten Fällen einstündig und nicht kontinuierlich unterrichtet wird, aber auch mit den schlechten Rahmenbedingungen innerhalb der Schule (Vgl. ebenda, S.33-34). Unter anderem kann hier die Schulausstattung genannt werden, welche sich positiv auf die politische Sozialisation von Kindern und Jugendlichen auswirken kann. Die Nutzung von Computern und Internet hat demnach positive Lerneffekte, ebenso wie die Nutzung von adäquaten Fachbüchern, da eine geeignete Visualisierung den Lernprozess unterstützt (Vgl. Vollmar 2012, S. 68).
Der Politikunterricht setzt jedoch erst auf den weiterführenden Schulen an und ist dementsprechend für die betreffende Zielgruppe der vorliegenden Arbeit nicht relevant. Zwar verfügt der Sachunterricht über die Perspektive Gesellschaft, Politik und Wirtschaft, dennoch gibt es die Forderung, das gesellschaftlich- politische Lernen bereits in der Grundschule stärker zu verorten, um bereits früh auf die politische Sozialisation der Kinder einzuwirken und dementsprechend eine bessere Ausgangslage für den Politikunterricht in der Sekundarstufe zu erreichen (Vgl. Hafner 2006, S.35).
Die Medien sind ein Vermittler zwischen den Bürger_innen und der Politik, womit die Medien unmittelbar zur politischen Bildung beitragen (Vgl. Asal & Burth 2012, S.16 und Hafner 2006, S.37). Dabei dienen die Medien als Informationsquelle und vermitteln ebenso wie andere Sozialisationsinstanzen bestimmte Werte, Normen, Einstellungen, aber auch Rollen- und Handlungsvorbilder und können dementsprechend auch einstellungsbildend auf Kinder wirken (Vgl. Hafner 2006, S.37 und S.40). Positive Effekte auf die politische Sozialisation haben vor allem Nachrichten, die von den Kindern jedoch selten gezielt rezipiert werden, dennoch zeigt sich bereits bei Kindern im Grundschulalter, dass diese interessensfördernd wirken (Vgl. ebenda, S.38 und S.40).
Dies macht deutlich, dass die Gesellschaft kaum noch über politikfreie Räume verfügt (Vgl. Ohlmeier 2007, S.58) und die Kinder damit in ihrem Alltag ständig mit Politik in Berührung kommen. Dabei spielen sowohl latente, aber auch manifeste Sozialisationsprozesse eine Rolle (Vgl. ebenda, S. 59), die sich jedoch oft nicht trennscharf voneinander abgrenzen lassen.
2.2. Entwicklung von Mündigkeit und politischem Bewusstsein
Die Entwicklung der politischen Mündigkeit und die Ausbildung eines politischen Bewusstseins hängen eng zusammen und bedingen einander maßgeblich, sie sind beeinflusst durch die politische Sozialisation.
Das Politikbewusstsein betrifft den Teil des menschlichen Bewusstseins, in dem Vorstellungen über Politik aufgebaut werden. Die Wahrnehmung von Politik ist immer subjektiv, welches zur Ausbildung persönlicher Interessen und Einstellungen führt (Vgl. Asal & Burth 2012, S.11). Durch das politische Bewusstsein kann das politische Alltagswissen mit Hilfe der Urteilsfähigkeit geprüft und beurteilt werden. Aufbauend auf den Beurteilungen kann anschließend die politische Handlungsfähigkeit begründet werden (Vgl. ebenda). Dies weist darauf hin, dass das Politikbewusstsein eines Individuums als Grundlage für seine politische Handlungsfähigkeit dient. Bereits Kinder im Grundschulalter verfügen über ein Politikbewusstsein, dass sich durch ihre Rolle innerhalb der Gesellschaft ergibt. Oft können Grundschüler_innen noch nicht erkennen, dass diese Positionen sie bereits mit der politischen Welt konfrontieren oder gar direkt involvieren.
Zunächst einmal handelt es sich bei Kindern ebenso wie bei Erwachsenen um Bürger_innen des Staates. Auch sie besitzen Rechte und Pflichten, davon spezielle für Kinder, und sind dementsprechend Bestandteil der Gesellschaft (Vgl. ebenda, S. 12). Dennoch nehmen sie aber nach Claußen eine Art Doppelstatus ein. Zwar räumt auch er ein, dass sie „[…] potentiell motivierte Staatsbürger […]“ (Claußen 2006, S.10) seien, ebenso sieht er sie jedoch auch in einer Rolle des passiven Opfers, welches in Abhängigkeitsverhältnissen hinsichtlich materiellen und ideellen Faktoren stehe (Vgl. ebenda). Dies ist vor allem so zu sehen, da sie wirtschaftlich noch nicht unabhängig sind, wobei sie gerade auch als Konsumenten in der Wirtschaft eine große Rolle spielen.
Kinder nehmen eine große Gruppe der Konsumenten ein und sind damit Adressaten für Werbung (Vgl. Oestrich 2006, S. 12), womit sich ein großer Teil, der in den Medien geschalteten Werbung, direkt an sie richtet (Vgl. Schneider 2007, S. 29 und Asal & Burth 2012, S. 12-13). Ebenso ist das Kind als Verkehrsteilnehmer im Kontext politischer Lebenswelt zu sehen. Regelungen zur Sicherheit und die Straßenverkehrsordnung sind gleicherweise für Kinder gegeben, wie für Erwachsene (Vgl. Schneider 2007, S.29 und Asal & Burth 2012, S.13). Vernachlässigt werden darf ebenfalls auch nicht das Kind als Spieler, damit nimmt es eine besondere Position in der Gesellschaft ein, ist jedoch auf Grund von Räumen und Gestaltungsoptionen innerhalb der Stadt Gegenstand politischer Diskussion, die seine Lebenswelt betreffen (Vgl. Schneider 2007, S.29). Auch Regeln und Vereinbarungen, sowohl hinsichtlich der Nutzung von Räumen, aber auch untereinander, verweisen auf politische Strukturen, die das Bewusstsein von Kindern bestimmen. Kinder sind Produzenten ihrer eigenen kreativen Kinderkultur, die, so muss jedoch erwähnt sein, trotz Regeln und Vereinbarungen untereinander, auch noch von Gewalt geprägt sein kann (Vgl. ebenda).
Der Raum, der wohl mit am meisten Einfluss auf die Ausbildung des politischen Bewusstseins der Schüler_innen besitzt, ist die Schule. Sie ist neben seiner Funktion als Institution, wie bereits im oberen Abschnitt erläutert, für die Kinder Lern- und Lebensraum (Vgl. ebenda). Die Schule gibt Möglichkeiten der Partizipation am schulischen Leben (Vgl. Burth & Asal 2012, S.12). Das Kind als Teil einer Klassengemeinschaft und auch Schulgemeinschaft, lernt und lebt in einer an demokratischen Werten orientierten Schulkultur, die es ihm ermöglicht sein Recht auf Mitbestimmung und –gestaltung auszuüben (Vgl. ebenda). Dies beispielsweise in Form des Klassenrats zur Bewältigung von Konflikten oder konkreten Gestaltung und Mitbestimmung innerhalb der Klasse oder auch durch das Engagement als Klassensprecher_in innerhalb der eigenen Klasse, aber auch der gesamten Schule (Vgl. ebenda). Diese Tätigkeiten können als politische Ereignisse im Schonraum Schule gesehen werden. Politische Ereignisse oder auch der Kontakt mit politischen Akteuren fördern das Politikbewusstsein von Kindern, beziehungsweise bilden es weiter aus (Vgl. Vollmar 2012, S. 40).
Ebenso wichtig für die Ausbildung des Politikbewusstseins und damit der Entwicklung für die politische Mündigkeit, sind das politische Interesse und die politischen Einstellungen von Kindern. Das politische Interesse von Kindern ist dabei relevant für die Entwicklung der Handlungskompetenz und ist dementsprechend eng mit der Fähigkeit politischer Partizipation verknüpft (Vgl. Hafner 2006, S. 13). Es regt dazu an, die Aufmerksamkeit auf politische Themen zu richten und Informationen zu suchen, dabei sind es bei Kindern oft Thematiken, die sie persönlich betreffen (Vgl. ebenda, S. 13 – 14). Politische Einstellungen sind im Gegensatz zu den Interessen oft schwieriger zu fassen, es handelt sich bei ihnen um komplexe psychologische Konstrukte, die während des Sozialisationsprozesses entwickelt werden (Vgl. ebenda, S.16). Einstellungen beinhalten Emotionen, Kognitionen und auch Verhalten, sind jedoch veränderbar (Vgl. ebenda). Kinder bewerten bereits politische Objekte, tun dies jedoch auf einer affektiven Ebene oder übernehmen oft unreflektiert die Einstellungen ihrer Eltern (Vgl. ebenda, S.16-18).
Diese unreflektierte Übernahme von Einstellungen steht konträr zur Auffassung von Mündigkeit. „Politische Mündigkeit verlangt die eigenständige und ergebnisoffene Auseinandersetzung mit dem Wirklichkeitsraum Politik, in der sich die Meinungen, Leitideen, Überzeugungen und Urteile der Lernenden frei […] entwickeln können und sollen.“ (Sander et al. 2017, S. 15)
Durch die Entwicklung der politischen Mündigkeit kann es den Heranwachsenden daher gelingen, die Einstellungen ihrer Eltern zu reflektieren und ausgehend von einer kritischen Betrachtung ihre eigenen Einstellungen zu entwickeln, beziehungsweise die bestehenden auf Grundlage der Auseinandersetzung zu verändern (Vgl. Sander et al. 2017, S.15). Der Lehrplan allein ist jedoch nicht ausreichend für die Entwicklung der politischen Mündigkeit, sondern geht darüber weit hinaus (Vgl. ebenda). Zwar beschreibt dieser mit seinen Vorgaben den Weg zur Ausbildung der politischen Mündigkeit, muss jedoch auch als Instrumentalisierung des Kultusministeriums gesehen werden, der Lerngegenstände formuliert, die seiner Ansicht nach entsprechend die Kinder auf die geforderte Rolle in der Gesellschaft vorbereitet (Vgl. Claußen 2007, S.15). Doch dies lässt sich nicht allein vom Kerncurriculum abdecken und muss darüber hinaus gedacht werden, da sich Mündigkeit aus unterschiedlichen Dimensionen zusammensetzt, die sich nicht allein durch die schulische Sozialisation erwerben lassen.
Der Psychologe und Erziehungswissenschaftler Heinrich Roth beschreibt die Mündigkeit als ein Konstrukt, dass aus drei Dimensionen besteht. Er benennt dabei die Sachkompetenz, welche durch Fakten- und Strukturwissen und somit auch im schulischen Kontext ausgebildet werden kann, aber auch die Sozial- und Selbstkompetenz als Bestandteile der Mündigkeit (Vgl. Sander et al. 2017, S.13). Sozial- wie auch Selbstkompetenz können nicht ausschließlich im Sozialisationsprozess innerhalb der Schule ausgebildet werden, sondern sind ebenfalls abhängig von dem Einfluss anderer Sozialisationsinstanzen.
Die Dimensionen von Roth lassen sich in das dargelegte Verständnis von Massing integrieren, der von zwei Komponenten der Mündigkeit ausgeht. Dabei beschreibt er die individuelle Seite, sowie die Gesellschaftliche (Vgl. Massing 2006, S.27). Die benannten Dimensionen lassen sich der individuellen Seite zuordnen, deren Ziel es ist Bedingungen für eine erfolgreiche Partizipation zu schaffen, während die gesellschaftliche Seite sich mit der (Weiter-)Entwicklung der demokratischen Kultur und des politisch-gesellschaftlichen Systems beschäftigt, welche als Aufgabe den mündigen Bürger_innen angedacht ist. Die politische Mündigkeit befähigt damit das Individuum, einen Beitrag zur Stabilisierung des Systems beizutragen (Vgl. ebenda).
Auf jene Aufgaben müssen die Kinder bereits früh vorbereitet werden, was die bereits geäußerte Forderung nach politischer Bildung im Primarbereich nur noch einmal unterstreicht. Die Forderung der 1970er Jahre, die schnell verstummte, auch in der Grundschule politische Bildung mit dem Ziel der Mündigkeit, Selbstbestimmung und Emanzipation zu etablieren, ist von großer Bedeutung für die Ausbildung eines Politikbewusstseins und der politischen Mündigkeit (Vgl. ebenda, S.19). Deswegen erscheint der Appell bereits in der Grundschule die „kritische Wachsamkeit“ der Schüler_innen zu schulen nur Recht, um dieses Ziel zu erreichen (Vgl. ebenda, S.28)
3. Die politische Perspektive des Sachunterrichts
Im Zentrum des Sachunterrichts steht die Sache, anders als im Heimatkundeunterricht, ist der moderne Sachunterricht eine Zusammenführung unterschiedlicher Perspektiven, die einen Sachverhalt mehrdimensional zu erklären versuchen. Die Benennung der Perspektiven kann variieren, schließt jedoch im Grunde genommen die gleichen Fachbereiche ein, die in der Sekundarstufe als Natur- und Gesellschaftswissenschaften unterrichtet werden (Vgl. Köhnlein 2007, S. 91).
„Der Auftrag des Sachunterrichts ist Bildung durch die klärende Auseinandersetzung mit Sachen. Unter dem Leitmotiv von Bildung erhält diese Auseinandersetzung einen über den Aufbau und Wissen, Können und Leistungsfähigkeit hinausreichenden Sinn, der sich wesentlich auf das Werden der Persönlichkeit und die Befähigung zu verantwortlichem Handeln bezieht.“ (Köhnlein 2007, S.90)
Damit schreibt Köhnlein dem Sachunterricht eine weitreichende Bedeutung für die Persönlichkeitsentwicklung der Schüler_innen zu, diese Persönlichkeitsentwicklung impliziert dabei gleichermaßen die Ausbildung der politischen Persönlichkeit, die als Teil der Persönlichkeit angesehen werden muss. Politisches Bewusstsein, Interessen und Einstellungen müssen dementsprechend bereits im Sachunterricht angebahnt und gefördert werden. Diese Aufgabe wird auch im Kerncurriculum für den Sachunterricht, sowie im Perspektivrahmen für den Sachunterricht vermerkt. In diesem Kapitel soll auf die Themen- und Kompetenzbereiche eingegangen werden, die für die politische Bildung innerhalb des Sachunterrichts vorgeschrieben bzw. empfohlen werden. Abschließend werden Elemente des politischen Lernens, sowie das Konzept des politischen Lernens im Sachunterricht von Dietmar van Reeken vorgestellt, welches die speziellen Anforderungen der Politikdidaktik bei Grundschüler_innen berücksichtigt.
3.1. Kerncurriculum Sachunterricht
Das neuste Kerncurriculum für das Fach Sachunterricht in Niedersachen wurde im Jahr 2017 vom Kultusministerium veröffentlicht. Es legt neben dem Bildungsauftrag des Faches unter anderem die Kompetenzen inhaltlicher und prozessbezogener Art fest.
Der Sachunterricht ist ein vielperspektivischer Unterricht, der in fünf Perspektiven gegliedert ist, die sich an den fachwissenschaftlichen Disziplinen der MINT-Fächer, sowie gesellschaftswissenschaftlicher Themen orientieren, die in der Sekundarstufe als eigenständige Unterrichtsfächer erteilt werden (Vgl. Niedersächsisches Kultusministerium 2017, S. 5). Dabei handelt es sich um die Perspektiven „Technik“, „Natur“ „Raum“, „Gesellschaft, Politik und Wirtschaft“, sowie „Zeit und Wandel“ (Vgl. ebenda). In der folgenden Betrachtung wird der Schwerpunkt auf die Betrachtung der Perspektive „Gesellschaft, Politik und Wirtschaft“ gelegt, da diese für den Praxisteil relevant ist.
Allgemein ist der Sachunterricht derartig angelegt, dass Schüler_innen im Sachunterricht „[…] grundlegende Kenntnisse, Fähigkeiten, Fertigkeiten und Haltungen […]“ (Niedersächsisches Kultusministerium 2017, S.5) erwerben, um sich damit ihre Lebenswelt zu erschließen und aktiv an ihr teilzunehmen. Ebenso wie in der Sekundarstufe soll auch der Sachunterricht zur Ausbildung der politischen Mündigkeit beitragen und Aspekte wie Selbst- und Mitbestimmung fördern (Vgl. ebenda). Die Themen des Sachunterrichts ergeben sich dabei über sogenannte Phänomene, die „[…] technische, historische, soziale, ökonomische, ökologische, politische, kulturelle und interkulturelle […]“ (Niedersächsisches Kultusministerium 2017, S.5) Komponenten besitzen.
Für den Bereich der gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Perspektive legt das Kerncurriculum die Inhaltsbereiche „Soziale Beziehungen“, „Demokratie und Partizipation“, sowie „Konsum und Arbeit“ fest (Vgl. ebenda, S. 10). Der Sachunterricht formuliert als Ziel für diese Perspektive, dass Interesse von Schüler_innen zu wecken, um eine Partizipation zu ermöglichen. Partizipation definiert wird als „[…] die aktive Teilnahme am demokratischen Leben sowie ein verantwortliches und nachhaltiges Handeln, welches ein friedliches und gleichberechtigtes Zusammenleben ermöglicht [.]“ (Niedersächsisches Kultusministerium 2017, S.24) definiert.
Im Curriculum werden dabei inhaltliche und prozessbezogene Kompetenzen verbunden und formulieren klare Vorgaben über die Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten der Schüler_innen zum Ende des zweiten und vierten Schuljahrs. Der Bereich der sozialen Beziehungen umfasst dabei Aspekte von Konfliktlösungen, dem Vergleichen von Familienformen, geschlechterspezifischen Rollenerwarten (auch im historischen Vergleich), aber auch Ansichten über Migration und Friedensaspekten (Vgl. ebenda, S. 24). Der inhaltliche Bereich der Demokratie und Partizipation beschränkt sich im ersten und zweiten Schuljahr vornehmlich auf die demokratischen Strukturen innerhalb von Schule und Klassengemeinschaft und wird in den folgenden zwei Schuljahren auf die Außenbereiche politischer Repräsentanten, der Unterscheidung von Privatheit und Öffentlichkeit, Kinderrechten, aber auch den Begriffen von Macht und deren Missbrauch ausgeweitet (Vgl. ebenda, S. 25). Der letzte thematische Bereich Konsum und Arbeit nimmt einerseits die Betrachtung unterschiedlicher Berufe innerhalb der Umgebung auf, widmet sich aber auch den unterschiedlichen Arbeitsformen und –sektoren. Zudem soll der Einfluss von Konsumgütern betrachtet werden und Unterschiede zwischen Produktionsformen (Vgl. ebenda).
3.2. Perspektivrahmen der GDSU
Der Perspektivrahmen Sachunterricht ist eine Publikation der Gesellschaft für Didaktik im Sachunterricht (kurz: GDSU) und wurde erstmals 2002 veröffentlicht. Eine Überarbeitung fand 2012 statt und diese Version wurde im darauffolgenden Jahr verlegt. Die GDSU sieht den Perspektivrahmen als „[…] eine fachliche und zugleich bildungspolitische Antwort auf Diskussionen über die universitäre Disziplin und das schulische Fach ‚Sachunterricht‘.“ (Stoltenberg 2007, S. 75). Dabei bezieht sich der Perspektivrahmen auf Inhalte, aber auch methodische Verweise anderer wissenschaftlicher Bereiche und nutzt diese für den Sachunterricht bzw. verdeutlicht damit die vielperspektivische Aufgabe des Fachs (Vgl. ebenda). Die Grundideen der GDSU finden sich mittlerweile auch in der Erarbeitung einiger Kerncurricula für das Fach wieder, z.B. in Niedersachen, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Nordrhein-Westfalen, sowie Rheinland-Pfalz (Vgl. ebenda, S. 78).
Der Begriff der Perspektive wurde gewählt, um zu verdeutlichen, dass es bei den unterschiedlichen Wissensdomänen nicht um die Vermittlung bloßer Wissensstände der jeweiligen angrenzenden Fachdisziplinen geht, sondern um die Nutzung fachwissenschaftlichen Wissens zur Erschließung der Phänomene der Welt (Vgl. ebenda, S. 76). Diese Betrachtung zeichnet dabei einen deutlichen Umbruch zur fachlichen Gestaltung des Sachunterrichts dar, der bis Ende der 1960er Jahre in Deutschland gelehrt wurde. Der damalige Heimatkundeunterricht verlagerte den Schwerpunkt von grundlegenden Inhalten, die gelehrt werden müssten, zur Betrachtung von „Aspekten des grundlegenden Lernens“ (Vgl. Köhnlein 2007, S. 90), die durch die Verknüpfung der unterschiedlichen Perspektiven gegeben ist.
Die GDSU legt 2002 fünf Perspektiven fest:
Sozial- und kulturwissenschaftliche Perspektive Raumbezogene Perspektive Naturbezogene Perspektive Technische Perspektive Historische Perspektive (Gesellschaft für Didaktik des Sachunterrichts 2002, S. 3)
Die Perspektiven sind dabei in der Regel nicht unabhängig voneinander zu betrachten, sondern bieten Möglichkeiten der Vernetzung in Bezug auf Inhalt und Methode (Vgl. Gesellschaft für Didaktik des Sachunterrichts 2002, S.3). Im Folgenden sollen die erwarteten Kompetenzen der sozialwissenschaftlichen Perspektive dargestellt werden, welche als Grundlage zur Konzeption des im Kapitel 7 vorgestellten Projekts dienen.
Die GDSU teilt die sozialwissenschaftliche Perspektive in zwei Aspekte ein. Zum einen die Denk-, Arbeits- und Handlungsweisen und zum anderen die zur Perspektive gehörenden Themenbereiche (Vgl. GDSU 2012, S. 17).
Die Denk,- Arbeits- und Handlungsweisen umfassen sechs Schwerpunkte:
1. An ausgewählten gesellschaftlichen Gruppen partizipieren
2. Argumentieren sowie zwischen Einzelnen oder zwischen Gruppen mit unterschiedlichen Interessen und Bedürfnissen verhandeln
3. Politisch urteilen
4. Ökonomische Entscheidungen begründen
5. Kulturelle Deutungen und Werte respektieren und tolerieren
6. Soziale Handlungen planen und umsetzen (Vgl. GDSU 2012, S. 17)
Zu jedem dieser Punkte wurden unterschiedliche Kompetenzen formuliert, die die Schüler_innen entwickeln sollen. Dabei zeigen sich einige Überschneidungen zum Kerncurriculum der Realschule. Demnach sollen Schüler_innen fähig zur Perspektivübernahme sein, dies wird ebenfalls als Handlungskompetenz im Curriculum der Realschule angegeben (Vgl. GDSU 2012, S. 18 und Niedersächsisches Kultusministerium 2015, S.14). Aber auch andere Aspekte, wie beispielsweise Konsens und Konflikt, lassen sich sowohl im Perspektivrahmen, als auch im Kerncurriculum der Realschule finden (Vgl. GDSU 2012, ebenda und Niedersächsisches Kultusministerium 2015, 19). Dies zeigt auf, dass der Perspektivrahmen bereits viele Kompetenzen aufgreift, die innerhalb der Sekundarstufe von den Schüler_innen erwartet werden.
Zusätzlich bezeichnet der Perspektivrahmen sechs inhaltliche Themenbereiche und ist somit weitaus ausführlicher als das niedersächsische Kerncurriculum für den Sachunterricht. Unter die inhaltlichen Bereiche fallen folgende Themen:
1. Die politische Ordnung
2. Politische Entscheidungen
3. Das Gemeinwohl
4. Kinder als aktive Konsumenten
5. Arbeit
6. Sozialisation (Vgl. GDSU 2012, S. 17)
Die Themenbereiche lassen sich zwar innerhalb des Kerncurriculums finden, sind jedoch im Perspektivrahmen weit aus ausführlicher dargestellt. Zudem geben die Autor_innen neben den von ihnen erwarteten Kompetenzen zu den Themenbereichen noch wichtige zu behandelnde Konzepte an, an denen man sich orientieren kann. In der Tabelle finden sich exemplarisch die formulierten Konzepte der ersten drei Themenbereiche.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 1: Zugrundliegenden Konzepte (nach GDSU 2012)
Die Konzepte des Themenbereichs werden durch die aufgelisteten Kompetenzen für die Schüler_innen gut erläutert und geben Möglichkeiten zur konzeptgestützten Planung der Unterrichtseinheiten. Ebenso bieten sie eine Möglichkeit der Vorbereitung der Schüler_innen auf die Themen in der Sekundarstufe, wie die bereits übergreifendenden Kompetenzen deutlich machen. Der Perspektivrahmen ist im Gegensatz zum Kerncurriculum sehr ausführlich formuliert und greift viele im Curriculum angesprochene Kompetenzen und Themenbereiche weitaus detaillierter auf, setzt dabei höhere Maßstäbe bei den zu erwerbenden Kompetenzen an als im Kerncurriculum der Fall.
3.3. Politisches Lernen im Sachunterricht
Bis in die 1960er Jahre hinein wurde der Heimatunterricht mit seiner affirmativen Vermittlung bestehender politischer, wie gesellschaftlicher Zustände innerhalb der Schule praktiziert (Vgl. von Reeken 2012, S. 40). Erst zu Beginn der 1970er Jahre wurden die ersten Konzepte für politisches bzw. soziales und politisches Lernen für den Sachunterricht entwickelt, darunter Konzepte von Ackermann wie den „Sozialwissenschaftlichen Unterricht“, der den Schonraum Schule als Ort der Erprobung der kindlichen Handlungsfähigkeit beschrieb (Vgl. ebenda, S. 42 und Götzmann 2015, S. 76) oder auch der „Mehrperspektive Sachunterricht“ (kurz: MPU), welcher von einer Reutlinger Forschungsgruppe entwickelt wurde (Vgl. van Reeken 2012, S. 44). Der MPU sieht den Unterricht als eine Rekonstruktion der Wirklichkeit in Handlungsfelder (Vgl. ebenda und Götzmann 2015, S. 79). Das Konzept bietet individuelle und personenbezogene Zugangsweise und verknüpft damit die schulische und die außerschulische Lebenswelt, jedoch auf einem hohen Niveau, dass dazu führen kann, dass Kinder nicht alle Inhalte verstehen können (Vgl. van Reeken 2012, S. 44 und Götzmann 2015, S. 80). Dieser Fakt wird jedoch nicht als Nachteil beschrieben, sondern soll die Intensität mit der Auseinandersetzung der „Sache“ fördern (Vgl. van Reeken 2012, S.44). Allerdings wurde der MPU vielseitig dafür kritisiert, dass das politische Lernen nur in Ansätzen stattfinden würde (Vgl. Götzmann 2015, S.81).
Diese Kritik sieht von Reeken auch in den derzeitigen Curricula im Sachunterricht. Zwar weisen sie, wie auch das niedersächsische Kerncurriculum, eine politische Perspektive auf, geben jedoch auf Grund der oberflächlichen Behandlung nur wenig Raum für politisches Lernen (Vgl. van Reeken 2012, S.45). Claußen vertritt einen ähnlichen Standpunkt, er sieht auch im modernen Sachunterricht eine Abkehr von der politischen Dimension. Dies macht er an unterschiedlichen Punkten fest:
Zum einen, dass zum Teil strikte Trennungen vollzogen werden, bei denen „[…] natur- und technikbezogene Fragestellungen aus einer politischen Dimensionierung herausgehalten werden […]“ (Claußen 2006, S. 17), aber auch der Tatsache, dass politische Themen ohne Kontroversen behandelt oder sozialwissenschaftliche Fragestellungen so formuliert würden, dass eine politische Betrachtung nicht möglich sei (Vgl. Claußen 2006, S.17). Er kritisiert, dass Orientierung der politischen Bildung innerhalb des Sachunterrichts den selben affirmativen Ansichten unterliege, wie in der abgeschafften Heimatkunde (Vgl. ebenda, S.29). Dementsprechend formuliert Claußen:
„Von einer Aufarbeitung der politischen Sozialisation im frühen Kindesalter kann folglich ebenso wenig die Rede sein wie von der einer kompetenzstärkenden Vorbereitung auf der Politik gewidmete kommende Unterrichtszusammenhänge der Sekundarstufen.“ (Claußen 2006, S.25)
Doch eine frühe politische Bildung innerhalb der Grundschulen ist unumgänglich für die Ausbildung mündiger Bürger_innen (Vgl. Asal & Burth 2012, S. 21). Asal & Burth weisen darauf hin, dass die Schule als Sozialisationsinstanz der Aufgabe nachkommen muss den Einfluss anderer Sozialisationsinstanzen zu korrigieren, insbesondere in der heutigen Zeit, in der Kinder nicht nur durch das Elternhaus, sondern auch großteilig durch die Massenmedien informiert und dementsprechend sozialisiert werden. Die Ausbildung des politischen Bewusstseins von Kindern weiterzuentwickeln und zu konstituieren, kann durch politisches Lernen innerhalb der Grundschule unterstützt bzw. in die Wege geleitet werden (Vgl. ebenda).
Politische Mündigkeit steht also als Ziel des politischen Lernens, sie bedarf drei Kompetenzen, die im Dreischritt von Hilligen auch als „sehen – beurteilen – handeln“ beschrieben werden. Diese lassen sich auch als Analysekompetenz, Urteils- und Handlungsfähigkeit beschreiben (Vgl. von Reeken 2012, S. 30).
Politikdidaktiker wie Hilligen, Fischer, oder auch Schmiederer, um nur ein paar Beispiele zu nennen, entwickelten ihre eigenen politikdidaktischen Ansätze, die sich heute in den fachdidaktischen Prinzipen wiederfinden lassen. Hilligens Problemorientierung, Schmiederers Schülerorientierung und exemplarisches Lernen nach Fischer bilden dabei nur einige didaktische Ansätze, die jedoch allgemein für die Politikdidaktik formuliert worden sind (Vgl. Sander 2017, S. 110-112). Konkrete Konzepte für das politische Lernen innerhalb der Grundschule liegen allerdings kaum vor.
Ein konkretes Konzept, dass dieses Feld in den Blick nimmt, wurde von Dietmar von Reeken formuliert. Reeken unterschiedet zwischen zwei Formen der politischen Bildung. Er benennt das Unterrichtsprinzip und die politische Bildung im engeren Sinne. Als Unterrichtsprinzip beziehe sie sich nach seiner Sicht auf die von Klafki formulierten Fähigkeiten der Selbstbestimmung, Mitbestimmung und Solidarität, wobei politische Bildung im engeren Sinne auf die Entwicklung politischer Mündigkeit abziele (Vgl. Götzmann 2015, S. 85).
Insgesamt 13 Inhalte benennt er als relevant für das politische Lernen, diese betreffen den Bereich Arbeitslosigkeit und Arbeit, Armut und soziale Ungleichheit, Verkehr und Mobilität, Macht und Herrschaft, Umweltbildung, die NS-Zeit, Krieg und Frieden, Europa, aber auch Kinderrechte, Konsum, Medien, politisches Lernen vor Ort und die Schule (Vgl. ebenda, S. 86). Diese Themen lassen sich in der sozialwissenschaftlichen Perspektive der GDSU finden, teilweise als benannte Themenbereiche oder zugrundliegende Konzepte (Vgl. Kapitel 3.2). Wichtig bei den Themen ist für Reeken eine Orientierung an der Realität, die den Zugang für Kinder möglich mache (Vgl. von Reeken, S. 85).
Allgemein soll das politische Lernen das Wissen über Rechte, Pflichten, Kenntnisse aktueller politischer Fragen, sowie erforderliche Fähigkeiten und Kompetenzen für die politische Kommunikation und Handeln (weiter-)entwickeln und dabei demokratiefördernde Eigenschaften wie Solidarität, Interesse an politischen Debatten sowie die Ausbildung und Stärkung gemeinsamer Werte fördern (Vgl. Asal & Burth 2012, S. 36). Für die Konkretisierung dieser Forderungen formuliert Reeken acht Zieldimensionen, die mit Hilfe der fachdidaktischen Prinzipien der Wissenschafts-, Problem-, Situations- und Handlungsorientierung, sowie Beachtung der Geschlechterdifferenz (Vgl. Götzmann 2015, S. 86) erreicht würden.
Die acht Zielbereiche werden im Folgenden näher erläutert:
1 Sensibilisierung für politische Prozesse in der Familie
Als Basis für den Umgang mit politischen Sachverhalten, steht die Fähigkeit des problemlösenden Denkens, dass dazu dient Entscheidungen zu fällen oder zu handeln. Es soll das Interesse von Kindern auch innerhalb der Familie geweckt bzw. erkannt und gefördert werden, um die Heranwachsenden ihren Einfluss auf ihr Leben und die Gesellschaft erkennen zu lassen. (Vgl. Götzmann 2015, S. 86 und Asal & Burth 2012, S. 36-37).
2 Politische Fragen stellen lernen
Fragen werden als wichtiger Bestandteil des Sachunterrichts gesehen (Vgl. Asal & Burth 2012, S. 37), nur durch Fragen kann sich der „Sache“ des Sachunterrichts genähert werden. Die „Sache“ des Sachunterrichts betrifft dabei nicht nur „[…] Gegenstände und Zustände der physischen Welt, sondern auch solche unseres Denkens, Sprechens und Handelns, also Bewusstseinszustände und soziale Beziehungen sowie Vorstellungen, Theorien, Wissensbestände und Intentionen, Werte und Normen.“ (Köhnlein 2007, S. 91). Gerade auf Grund der komplexen Strukturen, die die „Sache“ annehmen kann, insbesondere in Bezug auf politisches Lernen, dienen Fragen als wichtigstes Instrument zur Analyse (Vgl. Asal & Burth 2012, S. 37).
3 Differenzierung und Erweiterung bereits vorhandenen politischen Wissens
Politisches Wissen ist bereits bei jungen Schüler_innen vorhanden, wie zahlreiche Studien nachweisen konnten (Vgl. Kapitel 4), jedoch ist das Vorwissen von Grundschüler_innen als heterogen zu betrachten und in der Regel noch durch zahlreiche Fehlkonzepte geprägt. Der Sachunterricht muss mit seiner Gestaltung das Vorwissen als Ausgangs- und Anknüpfungspunkt sehen und die Themenbereiche dementsprechend aufbereiten. Die subjektiven politischen Erfahrungen der Schüler_innen können dabei als „Brücke“ oder Verbindungsstück zwischen der Lebenswelt des Einzelnen und der Politik genutzt werden. Durch den Sachunterricht soll eine „[…] Erweiterung, Differenzierung, Neustrukturierung und ggf. auch zu einer Korrektur ihres bisherigen Wissens [.]“ (Asal & Burth 2012, S. 37) erfolgen.
4 Thematisierung und Aufklärung der politischen Sozialisationsprozesse der Kindheit
Wie der Perspektivrahmen der GDSU, sieht auch Reeken die Auseinandersetzung mit der eigenen Sozialisation als wichtigen Bestandteil des politischen Lernens (Vgl. Asal & Burth 2012, S. 38 und Kapitel 3.2) Die Kinder sollen in der Lage sein ein Bewusstsein für die Einflüsse der jeweiligen Sozialisationsagenten zu entwickeln und auf dieser Grundlage dazu angeregt werden den eigenen Sozialisationshintergrund oder den anderer zu reflektieren (Vgl. Asal & Burth 2012, S. 37-38).
5 Ermittlung des Politischen in der kindlichen Lebenswelt
Das „Politische“ ist mehrdimensional d.h. es gibt die institutionelle Dimension (polity), die politische Rahmenbedingungen, sowie die legislative und exekutive Ordnung betrifft, die inhaltliche Dimension (policy), die politische Ziele und Aufgaben umfasst und die prozessuale Dimension (politics), in der es um die Austragung von Konflikten geht (Vgl. Schneider 2007, S. 4-5). Unpolitisch ist die kindliche Lebenswelt nicht, auch wenn Kinder diese oft so einstufen. Sie nehmen zwar politische Akteure wahr, jedoch selten Prozesse. Ein Teil des Sachunterrichts soll nach Reeken die Auseinandersetzung mit Institutionen, Strukturen und Prozessen des Politischen innerhalb der kindlichen Umwelt sein (Vgl. Asal & Burth 2012, S. 38).
6 Befähigung zum politischen Handeln in der kindlichen Lebenswelt
Darauf aufbauend, sollen Kinder nicht nur das Politische erkennen und verstehen, sondern auch zum politischen Handeln befähigt sein. Natürlich ist dieses Handeln begrenzt und muss durch die Vermittlung der notwendigen Kompetenzen zur politischen Partizipation unterstützt werden. Dies ermöglicht den Schüler_innen ein Heraustreten aus dem privaten und in den öffentlichen Raum und dortigen Handlungsperspektiven (Vgl. ebenda).
7 Befähigung zur Antizipation künftiger Entwicklungen
Die Antizipation zukünftiger Ereignisse und Entwicklungen bedarf einer reflexiven Wahrnehmung der Gegenwart, um Prognosen abgeben zu können (Vgl. Götzmann 2015, S. 86). Politik soll von den Kindern als dynamischer und beinflussbarer Prozess wahrgenommen werden, deren Veränderungen sich auf zukünftige Ereignisse auswirken können (Vgl. Asal & Burth 2012, S. 38-39).
8 Grundlegende demokratische Haltungen
Die letzte Zieldimension beschreibt das Erlernen und Verinnerlichen von demokratischen Grundprinzipien, wie beispielsweise der Meinungsfreiheit und –pluralität, die auch im Unterricht vorgelebt werden müssen (Vgl. ebenda, S. 39).
Diese vorgestellten Inhalte und Zielvereinbarungen sollen unter der Berücksichtigung der didaktischen Reduktion für Grundschüler_innen beachtet werden, um das Ziel der Mündigkeitsentwicklung zu erreichen.
Methodische Zugänge1 zum Politischen Lernen liefert unteranderem Schneider, die als Beispiele für die Behandlung politischer Themen im Sachunterricht die Fallgeschichten (angelehnt an das Fallprinzip von Fischer) nennt, bei denen Schüler_innen verschiedene Perspektiven übernehmen sollen und Argumente für oder gegen bestimmte Lösungen finden sollen, sowie alternative Handlungsempfehlungen besprechen sollen, aber auch das Projekt-Lernen und Service-Lernen, die sich für das politische Lernen innerhalb der Sachunterrichts eignen. Projekt- Lernen meint nach Schneider eine arbeitsteilige Auseinandersetzung mit einem Thema, dass dazu anregt eigenständig Fragen zu stellen und Aufgaben zu finden. Service-Lernen beschreibt sie als die Beschäftigung mit einem Themenfeld, dass für die Lebenswelt der Kinder große Bedeutung hat und nach der Bearbeitung einer größeren Öffentlichkeit zur Verfügung steht. Ebenfalls üblich ist es demnach Fachkräfte aus dem sozialen Umfeld kennen zu lernen und das Expertenwissen für die Bearbeitung zu nutzen (Vgl. Schneider 2007, S. 10-14).
4. Vorstellungen und Wissen über Politik von Grundschulkindern
Lange Zeit wurde angenommen, dass die Kindheit ein politikfreier Raum ist, weshalb politische Themen aus dem Heimatkunde- beziehungsweise Sachunterricht ausgeklammert wurden (Vgl. Götzmann 2015, S. 32). Auch der heutige Sachunterricht zeichnet sich mehr durch eine natur- und technikbezogene Perspektive aus, selbst wenn innerhalb der Kerncurricula, wie beispielsweise in Niedersachen, gesellschaftliche und politische Aspekte behandelt werden sollen (Vgl. Claußen 2006, S. 17). Mit dieser Feststellung ließe sich erklären, warum die Forschung hinsichtlich des Wissens und der Vorstellungen von Grundschulkindern über Politik nur wenig ausgeprägt sind. Zwar lassen sich erste Forschungen bereits Ende 1950er Jahre finden, diese wurden jedoch zunächst nur in den Vereinigten Staaten durchgeführt (Vgl. Götzmann 2015, S. 34). In Deutschland sind Forschungen dieses Forschungsfeldes jüngeren Datums und finden sich bisher nur vereinzelt wieder. Im Folgenden sollen einige der quantitativen und qualitativen Studien über die politischen Vorstellungen und Wissensständen von Kindern im Grundschulalter dargelegt werden. Größere Beachtung werden dabei die „Demokratie Leben Lernen“ – Studie von van Deth et al., sowie die Studien von Hafner und Asal & Burth finden, die innerhalb der letzten 14 Jahre durchgeführt worden sind.
4.1. Quantitative Studien
Innerhalb des Forschungsbereichs lassen sich unterschiedliche quantitative Studien zu den politischen Vorstellungen und Wissen von jungen Menschen finden, wobei die meisten Studien sich oft auf das Jugend-, sowie junge Erwachsenenalter beschränken (Vgl. Van Deth 2007a, S. 15).
Quantitative Studien zeichnen sich dadurch aus, dass die Erhebung auf eine zuvor definierte Stichprobe stattfindet.2 Die Ergebnisse sind mit Hilfe von mathematisch- empirischer Verfahren messbar und zu analysieren (Vgl. Götzmann 2015, S. 33).
Die ersten quantitativen Forschungen zum politischen Wissen von Kindern, sowie Einstellungen und Interesse wurden in den USA durchgeführt. Die folgende Tabelle zeigt einige ausgewählte US-amerikanische Studien.
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Tabelle 2 : Ausgewählte quantitative Studien Amerika 3
Die frühen amerikanischen Studien beschäftigen sich häufig mit dem Erkennen von nationalen und politischen Symbolen, zu denen die Autoren auch Personen oder Gebäude zählen (Vgl. Götzmann 2015, S. 35). Eine der in Deutschland bekanntesten Studien, ist die von Easton & Dennis aus dem Jahr 1969. Diese zeigt auf, dass jüngere Schüler_innen eine personenbezogene Wahrnehmung von Politik besitzen, wohin gegen Ältere bereits eine differenzierte Wahrnehmung besitzen. So belegen ihre Ergebnisse, dass beispielsweise der Kongress erst bei Schüler_innen ab dem siebten Schuljahr mit der Regierung und politischen Prozessen in Verbindung gebracht wird (Vgl. ebenda). Im zweiten, sowie dritten Schuljahr konnten Easton & Dennis nachweisen, dass die Kinder Politik vor allem mit Repräsentanten des damals aktuellen, aber auch ehemaligen Präsidenten wahrnehmen (Vgl. Asal & Burth 2012, S. 23). Angemerkt sein muss aber, dass die Studie der Autoren lediglich mit Kindern weißer Hautfarbe aus Groß- und Kleinstädten der USA durchgeführt wurde (Vgl. Götzmann 2015, S. 34), damit stellt die ausgewählte Stichprobe kein Abbild der gesamten Bevölkerung der passenden Altersgruppe dar.
Die Studie von Moore, Lare & Wagner basiert auf den Forschungen von Easton & Dennis. Sie wurde als Langzeitstudie angelegt und zwischen 1974 und 1978 durchgeführt. Sie begleiteten Kinder ab dem fünften bis zu neunten Lebensjahr (Vgl. ebenda, S. 35). Die gewonnenen Ergebnisse ihrer Studie unterstützen die Resultate von Easton & Dennis. Auch sie konnten aufzeigen, dass jüngere Kinder Politik vorrangig personenbezogen wahrnehmen, dies ließ sich bereits im Kindergartenalter belegen. Die Fünfjährigen erkannten George Washington und Abraham Lincoln auf Bildern und rund die Hälfte der Befragten ordnete sie staatlichen Symbolen zu (Vgl. ebenda, S.36).
Sowohl die Studie von Easton & Moore, als auch die von Moore, Lare & Wagner durchgeführte Langzeitstudie, zeigten aber neben einer affektiven Bindung von Kindern zu politischen und nationalen Symbolen, auch durchaus schon kognitive Denkstrukturen zu den Konzepten der Öffentlichkeit und Privatheit (Vgl. Ziegler 1988, S. 50). So gelingt es bereits Schüler_innen im Grundschulalter zwischen den beiden Bereichen zu unterscheiden. Mit Hilfe von unterschiedlichen Berufen, sollten die Kinder zuordnen, welche für die Regierung tätig seien und welche nicht. Dies wird von einer Vielzahl der jüngeren Kinder richtig zugeordnet, die Treffsicherheit nimmt jedoch mit dem Alter immer mehr zu (Vgl. Asal & Burth 2012, S. 24).
Greenstein widmet sich in seiner Studie „Children und Politics“, die er Ende der 1950er Jahre in New Haven durchführte, der Persistenzthese des frühen Lernens (Vgl. Götzmann 2015, S. 34). Die Persistenzthese geht davon aus, dass erworbene Einstellungen, Fähigkeiten und Kenntnisse entscheidend die politische Persönlichkeit im Erwachsenenalter sind, dementsprechend relevant sind demnach die politischen Sozialisationsprozesse im Kindes- und Jugendalter (Vgl. van Deth 2007a, S.14). Aus seinen Ergebnisse folgert Greenstein, ähnlich zu Easton & Dennis oder auch Moore, Lare & Wagner, dass eine vorrangig affektive Bindung zu politischen Autoritäten innerhalb der Kindheit ausgebildet werde. Ebenso stellt er fest, dass politische Einstellungen und Orientierungen, die von Erwachsenen vorgelebt werden, relevant für die Entwicklung des politischen Verhaltens sind (Vgl. Ziegler 1988, S. 44).
Einige der Ergebnisse konnten auch in späteren deutschen Studien nachgewiesen werden, so beispielsweise, die personenbezogene Wahrnehmung von Politik bei jüngeren Kindern. Dennoch muss darauf hingewiesen werden, dass das Erkennen von politischen und nationalen Symbolen, welches für die Studien genutzt wurde, nicht zwangsläufig mit politischem Wissen einhergehen muss, sondern auch einen historisch oder kulturellen Hintergrund haben kann (Vgl. Asal & Burth 2012, S. 23). Im Folgenden sollen kurz zwei europäische Studien dargestellt werden, um neben der amerikanischen Perspektive ebenfalls einen Vergleich zu anderen europäischen Ländern zu ermöglichen.
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Tabelle 3: Ausgewählte quantitative Studien europäische Staaten
Auch in den europäischen Ländern gibt es einige Studien zum politischen Wissen und Vorstellungen von Kindern. Eine ältere Studie aus Italien von Anna Emilia Berti beschäftigt sich mit der Entwicklung des politischen Verständnisses bei Kindern im Alter zwischen sechs und fünfzehn Jahren. Berti wählt für ihre Studie das Inselszenario als Grundlage aus, dass den Aufbau einer neuen Gesellschaft anstrebt (Vgl. Götzmann 2015, S. 35). Die Entwicklung dieser Gesellschaft lies dabei offen, ob die simulierte Situation politischer Natur sein würde bzw. Elemente demokratischer Herrschaftsstrukturen enthalten würde (Vgl. ebenda, S. 46). Die Ergebnisse zeigen, dass die Demokratie als Regierungsform vermehrt von älteren Schüler_innen angestrebt wurde, bzw. Elemente der Demokratie im Sinne der Wahlen von Entscheidungsträgern, Einfluss auf die Gestaltung der Gesellschaftsstrukturen hatten (Vgl. ebenda).
Eine neuere Studie aus dem Jahr 2014 liegt aus Österreich vor. Mittnik untersuchte dabei mit Hilfe von Fragebögen an fünf Wiener Volksschulen die Vorstellungen und das politische Wissen der Kinder (Vgl. Mittnik 2016, S. 23). Die angestrebte Stichprobe von 300 Schüler_innen wurde dabei nicht erreicht, lediglich 142 Kinder (davon 57 Mädchen und 85 Jungen) konnten mit Hilfe von standardisierten Fragenbögen befragt werden. Die restlichen Elternteile erteilten keine Zustimmung für die Teilnahme an der Studie (Vgl. ebenda, S.27). Der Fragebogen wurde anhand der Thematiken des Curriculums für den Sachunterricht in der Volksschule konzipiert, sodass die in dem Fach behandelten Themen abgefragt wurden (Vgl. ebenda, S. 28). Dazu gehört der Fragenkomplex zur Arbeitslosigkeit, Kinderrechte, Migration, aber auch Ökologie, Umwelt und Natur. Des Weiteren wurde der Lebensweltbezug zu Themen rund um den Verkehr, Gewalt, Schule und Inklusion abgefragt. Ein weiterer Bereich beschäftigt sich mit Fragen zum Holocaust bzw. der NS-Zeit, Gesetzen und Regeln zur Abgrenzung von Privatheit und Öffentlichkeit, sowie Charakteristika der Demokratie.
Auch Mittnik konnte mit seiner Studie nachweisen, dass Kinder im Volksschul- bzw. Grundschulalter bereits über Vorstellungen und Wissen der politischen Domäne verfügen, welche seiner Ergebnisse zu Folge in vielen Bereichen über basale Kenntnisse hinausgehen (Vgl. ebenda, S. 37). Demnach können die meisten Kinder bereits zwischen Öffentlichkeit und Privatheit in Bezug auf Gesetze und Regeln unterscheiden (Vgl. ebenda, S. 38) oder Gründe für Arbeitslosigkeit bestimmen (Vgl. ebenda, S.28). Die größten Unklarheiten und Wissenslücken bestünden aber noch in den Charakteristika der Demokratie (Vgl. ebenda, S.38), zwar identifizieren die meisten Kindern Wahlen bereits als demokratisches Merkmal, jedoch wurden der Verzicht von Gewalt in Justiz und Exekutive, sowie auch die Pluralität innerhalb der Parteienlandschaft nicht als Merkmale von Demokratien erkannt (Vgl. ebenda, S. 36).
Diese Ergebnisse können jedoch mit der Komplexität der Fragen zusammenhängen, die hinsichtlich ihres sprachlichen Niveaus und der Fachbegriffe für die Schüler_innen nicht verständlich gewesen sein könnten.
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Tabelle 4: Ausgewählte quantitative Studien in Deutschland
Eine der früheren deutschen Studien im Bereich des politischen Wissens und der Einstellungen stammt von Marz, Augé & Knies. Sie führten im Jahr 1975 und 1976 eine Befragung von 736 Schüler_innen des vierten Jahrgangs in Rheinland-Pfalz durch (Vgl. Götzmann 2015, S. 34). Ebenso wie in den vorgestellten amerikanischen Studien von Easton & Dennis oder Moore, Lare & Wagner widmet sich die Befragung von Marz, Augé & Knies der Unterscheidung von Öffentlichkeit und Privatheit. Gleich den amerikanischen Autoren, nutzten sie für ihre Befragung die Zuordnung von Berufen zum Staat. Sie konnten dabei feststellen, dass die Kinder unterschiedliche Merkmale nutzen, um diese Zuordnung durchzuführen. Sie unterschieden nach der Herkunft, der Bezahlung, der vertretenden Einstellung, der Vertretung des Gesetzes, dem Tragen einer Uniform, sowie der Präsenz in den Medien. Dabei ergaben sich ähnliche Befunde, wie in den amerikanischen Studien, die belegten, dass die Unterscheidung bereits sehr treffsicher von Schüler_innen des vierten Jahrgangs vorgenommen werden konnte (Vgl. ebenda, S.38).
Ein weiterer Bestandteil der Befragung beschäftigte sich mit dem Bundeskanzler und seinen Aufgaben. Etwa 2/3 der befragten Schüler_innen kannten den Namen des amtierenden Kanzlers Helmut Schmidt, jedoch verwechselten ihn gut 1/7 mit dem rheinlandpfälzischen Ministerpräsidenten Helmut Kohl (Vgl. Asal & Burth 2012, S. 26 und Götzmann 2015, S. 42-43). Auch die Studie von Marz, Augé & Knies zeigt auf, dass Grundschüler_innen bereits über politisches Wissen verfügen, es jedoch oft noch nicht weit ausdifferenziert ist. Sie besitzen bereits Vorstellungen und interessieren sich für politische Inhalte.
Hafner führte ihre Studie im Jahr 2004 an drei Schulformen durch, dabei befragte sie 149 Kinder (Vgl. Hafner 2006, S. 77-78). Eine Gruppe bildeten die Grundschulkinder des vierten Jahrgangs im Alter von neun bis zehn Jahren, sowie Schüler_innen der Hauptschule und des Gymnasiums aus dem siebten Jahrgang im Alter von zwölf bis dreizehn Jahren (Vgl. ebenda, S. 75). Die Studie beschäftigte sich mit den Bereichen des politischen Interesses, Wissens und Einstellungen der Schüler_innen, die sie mit einem standardisierten, halbschriftlichen Fragebogen mit vorwiegend geschlossenen Fragen durchführte (Vgl. ebenda, S.76).
Zunächst sollen nun die für die Befragung zugrundeliegenden Konzepte erläutert werden, ehe die Ergebnisse dargestellt werden.
Hafner beschreibt, dass das politische Interesse die Basis der Handlungsfähigkeit darstellt und damit relevant für den Aufbau der Partizipationsfähigkeit von Individuen sei. Durch das politische Interesse werde die Suche nach Informationen angeregt und somit die Beschäftigung mit der Materie. Dabei kann das politische Interesse in- oder extrinsisch sein, dies bedeutet, dass es auch durch Streben nach sozialer Anerkennung motiviert sein kann (Vgl. ebenda, S. 13). Interessen sind veränderbar, was nach Hafner darauf hinweist, dass bereits Kinder bestimmte Themen als interessant erachten beziehungsweise sie für sie relevant erscheinen (Vgl. ebenda, S. 14).
[...]
1 Vorstellung ausgewählter Methoden, die sich besonders gut für eine offene Arbeit von Schüler_innen eignen.
2 Keine Angabe zum Umfang der Stichprobe vorliegend.
3 Vollmar nutzte die Ergebnisse der DLL Studie für ihre Publikation zum politischen Wissen von Grundschülern und der Relevanz familiärer und schulischer Ressourcen, welche ebenfalls als Quelle genutzt wird.
- Citation du texte
- Chantal Dierks (Auteur), 2018, Hörspiele im Sachunterricht. Die politische Dimension, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/478183
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