Das Thema „Soziale Integration“ ist eines der zentralsten Themen der Soziologie. Wie auch immer man diesen Begriff verstehen will, ob als bestehenden Zustand, als zu erreichenden Zustand oder als fortwährenden Prozeß, so geht es doch in jedem Fall um den sozialen Zusammenhalt zwischen Individuum und Gesellschaft. Es wird also insbesondere die Frage aufgeworfen, wodurch Menschen in einer Gesellschaft eingeschlossen oder ausgeschlossen werden. Dies betrifft unter anderem eine bestimmte soziale Gruppe in der Gesellschaft, die Einwanderer und ihre Nachkommen, die in dieser Gesellschaft geboren oder zumindest aufwachsen sind. Aufgrund ihres Aussehens, ihrer Gewohnheiten, ihrer eigenen Sprache und ihrer „eigenen Kultur“ werden sie in der Gesellschaft oft ausgeschlossen oder sozial benachteiligt. In manchen Fällen schließen sich Einwanderer auch bewußt von der Gesellschaft aus, indem sie lieber unter sich bleiben, d. h. vorwiegend sozialen Kontakt zu Personen derselben Herkunftsgruppe halten, die die gleiche Sprache sprechen und dieselben kulturellen Bräuche und Vorstellungen teilen (Essen, Religion, Umgangsformen etc.).
Hierdurch kommt es zu Konflikten mit der einheimischen Bevölkerung, bei der der Eindruck entsteht, daß sich die Fremden im Aufnahmeland vor den Einheimischen und ihrer „Kultur“ verschließen. Unter anderem aufgrund von Vorurteilen kommt es zu Erscheinungen wie Ausländerhaß oder gar Ausschreitungen gegenüber den Einwanderern wie vor allem in den neuen Bundesländern in Deutschland. Wie man aufgrund zahlreicher Befragungen immer wieder feststellen kann, hält die einheimische Bevölkerung „die Ausländer für ein Problem“. So kommt auch immer wieder die Forderung, Ausländer müßten „besser integriert“ werden, also implizit die Vorstellung, Ausländer müßten sich anstrengen, um einheimische Werte und Umgangsformen besser zu beherrschen, sich mit anderen Worten also besser zu assimilieren.
Absichtlich wird sich die folgende Arbeit allerdings nicht mit dieser populären Auffassung von Integration befassen. Es erscheint kaum wahrscheinlich, daß Einwanderer alles an sich, was den Einheimischen fremd erscheint, aufgeben können, geschweige denn wollen. Eine solche Auffassung gilt als antiquiert und wird in wissenschaftlichen Kreisen auch kaum noch verwendet.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Soziale Integration durch das Recht (nach T. H. Marshall)
1.2 Konzeptionen von Integration (nach Hoffmann-Nowotny und Esser)
2 Soziale Integration durch das Recht?
2.1 Indikatoren für soziale Integration
2.1.1 Demographische Situation
2.1.2 Sprachkenntnisse
2.1.3 Schulischer Erfolg
2.1.4 Integration im Arbeitsmarkt und berufliche Stellung
2.1.5 Soziale Kontakte und Wohnsituation (Segregation)
2.2 Politische Integration - Das Staatsbürgerschaftsrecht
2.2.1 Inklusions- und Exklusionseffekte der Staatsbürgerschaft
2.2.2 Staatsbürgerschaft in Deutschland und Frankreich heute
2.2.3 Rechtliche Regelungen in Deutschland und Frankreich
2.3 Auswirkungen auf die soziale Integration von Ausländern –Theorie und Wirklichkeit
2.3.1 Entwicklung des Aufenthaltsstatus
2.3.2 Anzahl der Einbürgerungen
2.3.3 Politische Partizipation
2.3.4 Regelungen und Auswirkungen für die zweite und dritte Generation
2.4 Zusammenfassung: Integration durch Staatsbürgerschaft?
3 Kulturelle Rechte und ihre Integrationsfunktionen
3.1 Begriffsverständnisse von kulturellen Rechten
3.2 Kulturelle Rechte in der Theorie von T. Parsons
3.3 Indikatoren für kulturelle Integration
3.4 Die Verwirklichung der kulturellen Rechte der Einwanderer in der „Culture française“
3.5 Die Verwirklichung der kulturellen Rechte der Einwanderer in der „deutschen Kultur“
3.6 Die kulturelle Integration im Vergleich
4 Die Zukunft der Einwanderungsgesellschaft – eine Analyse
4.1 Integrationschancen der Bevölkerung ausländischer Herkunft
4.2 Demographischer Wandel und Einwanderungssituation: Wie muß das Zusammenleben in Zukunft geregelt sein, ohne daß es zu einer Kluft in der Gesellschaft kommt?
Literatur
1 Einleitung
Das Thema „Soziale Integration“ ist eines der zentralsten Themen der Soziologie. Wie auch immer man diesen Begriff verstehen will, ob als bestehenden Zustand, als zu erreichenden Zustand oder als fortwährenden Prozeß, so geht es doch in jedem Fall um den sozialen Zusammenhalt zwischen Individuum und Gesellschaft. Es wird also insbesondere die Frage aufgeworfen, wodurch Menschen in einer Gesellschaft eingeschlossen oder ausgeschlossen werden. Dies betrifft unter anderem eine bestimmte soziale Gruppe in der Gesellschaft, die Einwanderer und ihre Nachkommen, die in dieser Gesellschaft geboren oder zumindest aufwachsen sind. Aufgrund ihres Aussehens, ihrer Gewohnheiten, ihrer eigenen Sprache und ihrer „eigenen Kultur“ werden sie in der Gesellschaft oft ausgeschlossen oder sozial benachteiligt. In manchen Fällen schließen sich Einwanderer auch bewußt von der Gesellschaft aus, indem sie lieber unter sich bleiben, d. h. vorwiegend sozialen Kontakt zu Personen derselben Herkunftsgruppe halten, die die gleiche Sprache sprechen und dieselben kulturellen Bräuche und Vorstellungen teilen (Essen, Religion, Umgangsformen etc.).
Hierdurch kommt es zu Konflikten mit der einheimischen Bevölkerung, bei der der Eindruck entsteht, daß sich die Fremden im Aufnahmeland vor den Einheimischen und ihrer „Kultur“ verschließen. Unter anderem aufgrund von Vorurteilen kommt es zu Erscheinungen wie Ausländerhaß oder gar Ausschreitungen gegenüber den Einwanderern wie vor allem in den neuen Bundesländern in Deutschland. Wie man aufgrund zahlreicher Befragungen immer wieder feststellen kann, hält die einheimische Bevölkerung „die Ausländer für ein Problem“. So kommt auch immer wieder die Forderung, Ausländer müßten „besser integriert“ werden, also implizit die Vorstellung, Ausländer müßten sich anstrengen, um einheimische Werte und Umgangsformen besser zu beherrschen, sich mit anderen Worten also besser zu assimilieren.
Absichtlich wird sich die folgende Arbeit allerdings nicht mit dieser populären Auffassung von Integration befassen. Es erscheint kaum wahrscheinlich, daß Einwanderer alles an sich, was den Einheimischen fremd erscheint, aufgeben können, geschweige denn wollen. Eine solche Auffassung gilt als antiquiert und wird in wissenschaftlichen Kreisen auch kaum noch verwendet.
Der Begriff der Integration, der sich übrigens nicht nur auf die soziale Gruppe der Einwanderer, sondern auch auf andere soziale Gruppen in der Gesellschaft anwenden läßt, könnte ungefähr so beschrieben werden (Pornschlegel, Clemens 2001, S. 15):
„Integration ist nicht an Kultur- oder Religionszugehörigkeiten oder gar an biologische Eigenschaften, sondern an Partizipation und Mitsprache gebunden. Alles andere zementiert nur eine Situation, die Heiner Müller einmal mit dem lapidaren Satz beschrieben hat: „Heute haben die Gastarbeiter und Immigranten denselben Status wie die Sklaven im alten Rom – bis hin zur Gesetzgebung.““
Diese Auffassung klingt natürlich etwas provozierend, doch wir werden noch sehen, daß die Partizipationsmöglichkeiten für Einwanderer in manchen gesellschaftlichen Bereichen tatsächlich recht beschränkt sind.
In einem modernen Verständnis muß sich Integration also mit der Partizipation und Mitsprachemöglichkeiten der Einwanderer in allen gesellschaftlichen Sektoren befassen.
Dabei muß die Eingegliedertheit der Einwanderer in den wichtigsten Gesellschaftsbereichen mit der der Einheimischen verglichen werden, um relevante Unterschiede feststellen zu können und aus diesen gesellschaftspolitische Forderungen stellen zu können. Je größer in einem bestimmten Gesellschaftsbereich strukturelle Differenzen zwischen Einwanderern und Einheimischen bestehen, desto weniger kann man von der sozialer Integration der Einwanderer in diesen jeweiligen Bereich reden.
Diese Arbeit wird sich insofern damit befassen, wie Ausländer oder ihre Nachkommen mit einheimischem Paß heute in Frankreich und Deutschland angesichts der geltenden Rechtslage in verschiedenen Gesellschaftsbereichen tatsächlich integriert sind. Diesen Zustand kann man durchaus durch Verwendung bestimmter methodischer Mittel recht gut beschreiben. Hierzu wird sich die Arbeit vor allem auf die Konzepte von Marshall zur Frage der staatsbürgerlichen Rechte, Esser und Hoffmann-Nowotny, die klare empirisch meßbare Konzepte sozialer Integration entworfen haben, sowie Parsons, der ein Konzept der kulturellen Integration durch kulturelle Rechte entwickelt hat, stützen.
Anhand verschiedener empirischer Studien wird dargelegt werden, wie Ausländer und Ausländischstämmige in verschiedenen Bereichen der beiden Gesellschaften wirklich integriert sind, wie zum Beispiel im Bildungssystem, im Erwerbssystem oder in bezug auf die Partizipation am kulturellen Leben im kulturellen System.
1.1 Soziale Integration durch das Recht (nach T. H. Marshall)
Diese Arbeit basiert vor allem auf den klassischen Positionen von T. H. Marshall. Dieser hat mit seinem Essay „Citizenship and Social Class“ (1950) die Soziologie der Staatsbürgerschaft wesentlich mitgegründet. Marshalls Konzept beruht auf der Wahrnehmung der aus dem kapitalistischen Klassensystem resultierenden Erscheinungen extremer Formen sozialer Ungleichheit. Marshall untersuchte nun, welchen Beitrag moderne Staatsbürgerrechte leisten können, um den gesellschaftsspaltenden Tendenzen moderner Klassengesellschaften entgegenzuwirken.
Dieses Konzept läßt sich wunderbar auf die heutige Situation der Integration von Ausländern und Einwanderern übertragen. Zwar können wir heute kaum noch von einer Klassengesellschaft sprechen, aber die Theorievorstellungen lassen sich auch sehr gut mit dem heute meist verwendeten Schichtmodell der Gesellschaft verbinden.
Die Ausländer und ihre Nachkommen stellen heute einen Sonderfall dar für die Integration von Personen oder Gruppen in der Gesellschaft, vor allem dadurch, daß sie weder praktisch noch theoretisch dieselben Rechte wie die Einheimischen besitzen und außerdem in vielen Bereichen (wie dem Arbeitsmarkt oder dem Bildungssystem) nicht voll integriert sind.
Nach Mackert steht Marshall in der Tradition des Liberalismus und englischen Empirismus, da sein Interesse vor allem auf die Frage gerichtet ist, „ob eine grundsätzliche menschliche Gleichheit, die in einem gemeinsamen Status aller Mitglieder einer Gesellschaft zum Ausdruck kommt, mit einem System sozialer Ungleichheit vereinbar ist“ (Mackert 1999, S. 56). Marshall hält das Modell einer modernen Staatsbürgerschaft für die Lösung des Problems: Durch verschiedene Rechte, die mit der Staatsbürgerschaft verbunden sind, soll jedem Menschen ein Anspruch auf einen Anteil am gesellschaftlichen Erbe und somit angemessene Lebensumstände als Maß eines zivilisierten Lebens garantiert werden (vergl. Marshall 1981, S. 38).
Marshall definiert also bestimmte Mindestrechte. Im Grunde genommen sind diese die Voraussetzungen für den modernen Wohlfahrtsstaat.
Nach Marshall lassen sich die Staatsbürgerrechte in bürgerliche, politische und soziale Rechte teilen. Die bürgerlichen Rechte, die im 18. Jahrhundert entstanden sind, sichern die Freiheit des Individuums und beinhalten das Recht der Freiheit der Person, die Redefreiheit, die Gedanken- und Glaubensfreiheit, die Freiheit des Eigentums, die Freiheit, gültige Verträge abzuschließen und das Recht auf ein Gerichtsverfahren. Diese Rechte werden von den Gerichtshöfen als zuständige Institutionen abgesichert.
Politische Rechte existieren seit dem 19. Jahrhundert und sind das Recht auf Teilnahme an der politischen Macht (aktives und passives Wahlrecht). Für diese Rechte sind die Parlamente und Gemeinderäte zuständig.
Die sozialen Rechte schließlich entstanden im 20. Jahrhundert. Diese sollen für ein Mindestmaß an wirtschaftlicher Wohlfahrt und Sicherheit garantieren. So hat jeder ein Recht auf vollem Anteil am gesellschaftlichen Erbe, d. h. auf ein zivilisiertes Leben nach den gegenwärtigen gesellschaftlichen Standards. Um diese Rechte bemühen sich die Institutionen des Erziehungswesens und der sozialen Dienste (Marshall 1981, S. 33ff).
Interessant ist für das Thema dieser Arbeit auch die chronologische Entstehung von zuerst bürgerlichen, dann politischen und schließlich sozialen Rechten. Wie man später sehen wird, korrespondiert diese Reihenfolge nicht mit der chronologischen Verleihung dieser Rechte an die Einwanderer. Die Immigranten haben heute in den meisten Staaten fast alle sozialen Rechte, aber keine oder nicht alle politischen Rechte.
Die nächsten Kaptitel werden sich weitgehend an dieser Einteilung orientieren. Im folgenden Kapitel werden nun erst einmal einige Begriffskonzeptionen von sozialer Integration und Assimilation von Esser und Hoffmann-Nowotny vorgestellt, die ähnliche Dimensionen (politische, soziale, bürgerliche und neu: kulturelle Rechte) von sozialer Integration unterscheiden.
1.2 Konzeptionen von Integration (nach Hoffmann-Nowotny und Esser)
Integration, Assimilation, Segregation und Pluralismus
Leider gibt es ebenso wie in der öffentlichen Diskussion auch in der wissenschaftlichen Debatte keine einheitlichen Begriffsverständnisse von Integration oder auch anderen Begriffen wie Assimilation, Anpassung, Akkulturation oder Segregation.
Bedeutende Ansätze für die Integration von Gastarbeitern haben allerdings die Autoren Hoffmann-Nowotny und Esser geliefert, auf die ich mich in meiner Arbeit berufen möchte. Ein Vorteil ist unter anderem die Allgemeingültigkeit ihrer Ansätze. So lassen sich diese sowohl auf Ausländer als auf Einheimische anwenden.
Nach Hoffmann-Nowotny (1990, S. 15f) besteht die soziale Realität aus den zwei Dimensionen Struktur auf der einen und Kultur auf der anderen Seite. Beide werden in der Realität miteinander in Beziehung gesetzt. Dabei ist die Struktur das Positionssystem und Kultur das Symbolsystem der Gesellschaft. Integration ist nach dieser Vorstellung die Partizipation an der Struktur, Assimilation die Partizipation an der Kultur einer Gesellschaft.
Integration ist damit bei statischer Betrachtung die Verteilung der Einwanderer oder eines einzelnen Einwanderers innerhalb der Strukturen der verschiedenen Teilsysteme des Einwanderungslandes. Als Teilsysteme können gelten: Politisches System, Erwerbssystem, Einkommenssystem, Nachbarschaftssystem, Vereinssystem, demographisches System etc. Hierbei können Einwanderer in bestimmten Systemen besser, in anderen schlechter integriert sein oder in bestimmten Systemen konzentrierter auftreten und in anderen Systemen gleichmäßig verteilt sein (Hoffmann-Nowotny 1990, S. 17).
Assimilation ist entsprechend in statischer Betrachtung das Maß, zu dem Einwanderer die Werte, Normen, Gebräuche und verschiedenen Rollen, insbesondere aber die Sprache (als bedeutendstes Symbolsystem) der aufnehmenden Gesellschaft übernommen haben. Der Grad der Assimilation ist umso höher, je mehr der Einwanderer diese Elemente nicht nur oberflächlich gelernt, sondern auch internalisiert, d. h. in seine Persönlichkeit aufgenommen hat. Wie bei der Integration kann der Einwanderer in den verschiedenen Teilsystemen unterschiedlich gut assimiliert sein. So kann zum Beispiel ein Einwanderer im Erwerbssystem gut assimiliert sein, indem er alle Normen bei der Berufsausübung beherrscht, im demographischen System hingegen „schlecht“ integriert sein, weil er eine große Anzahl von Kindern hat, wie es in seiner Herkunftskultur so üblich ist (Hoffmann-Nowotny 1990, S. 17).
Esser befaßt sich ebenfalls mit Integrationskonzepten. Hierbei verwendet er allerdings allein den Assimilationsbegriff. Assimilation ist seiner Ansicht nach das Produkt der subjektiven Handlungstendenzen und der objektiven Handlungsmöglichkeiten und läßt sich unterteilen in vier einzelne Elemente – die kognitive, strukturelle, soziale und identifikative Assimilation. „Kognitive Assimilation“ beruht auf der Normenkenntnis, d. h. wie situationsadäquat sich ein Einwanderer verhält (Esser 1980, S. 231). Im Grunde genommen entspricht sie somit dem Konzept der Assimilation von Hoffmann-Nowotny.
„Strukturelle Assimilation“ beschreibt die Verteilung der Einwanderer bei Positionsbesetzungen, Berufsprestige und Einkommen (Esser 1980, S.231). Sie entspricht somit im Konzept von Hoffmann-Nowotny dem Konzept der Integration.
„Soziale Assimilation“ beschreibt interethnische Kontakte und institutionelle Partizipation und würde im Modell von Hoffmann-Nowotny ebenfalls unter Integration fallen. „Identifikative Assimilation“ ist, bezogen auf die Einwanderer, ihr subjektives Zugehörigkeitsempfinden zur Aufnahmegesellschaft und fällt somit auch in das Konzept der Assimilation von Hoffmann-Nowotny. Im Grunde differenziert Esser also noch mehr als Hoffmann-Nowotny und verwendet ausschließlich den Assimilationsbegriff.
Esser beschreibt weiterhin die Eingliederung von Einwanderern als fortlaufenden Prozeß, der mit der kognitiven Assimilation beginnt, sich mit der strukturellen und sozialen Assimilation fortsetzt und mit der identifikativen Assimilation endet (Esser 1980, S. 231). Die Frage ist allerdings, ob heute genau diese Reihenfolge wirklich stattfindet. Dem wird diese Arbeit noch nachgehen. So sind gerade viele Eingliederungsprobleme von Ausländern, beispielsweise auf dem Arbeitsmarkt, vorhanden, Ausländer also nicht strukturell assimiliert, während sie gleichzeitig allerdings identifikativ fest verbunden sind mit dem Wohnsitzland, d. h. sich als Einheimische fühlen. Doch dazu später.
Da ich in der vorliegenden Arbeit weitgehend die „strukturelle Assimilation“ und die „soziale Assimilation“ von Einwanderern in Deutschland und Frankreich untersuche, werde ich zur Vereinfachung für beide Begriffe von Esser das entsprechende Begriffskonzept der „Integration“ von Hoffmann-Nowotny verwenden. Ein weiterer Grund hierfür ist die meiner Ansicht nach etwas einseitige Bedeutung des Begriffes Assimilation. Integration erscheint mir als Begriff offener für beide Seiten, d. h. er bedeutet nicht nur Anpassung an bestehende und feste Gesellschaftsstrukturen, sondern beinhaltet auch eine mögliche Anpassung der Gesellschaftsstrukturen an sich.
2 Soziale Integration durch das Recht?
In diesem Kapitel soll es zunächst um Indikatoren für die soziale Integration von Ausländern und Einwanderern (Personen mit ausländischer oder einheimischer Staatsangehörigkeit, die im Ausland geboren sind) gehen. Dabei wird untersucht, wie Einwanderer und ihre Kinder in verschieden Systemen integriert sind, wie etwa im Arbeitsmarkt oder im Bildungssystem. Davon ausgehend soll überlegt werden, ob eine liberalere Einbürgerungspraxis sich in verschiedenen Systemen positiv auf die Integration von Ausländern auswirken könnte. Hierzu kann man zum Beispiel untersuchen, welche Auswirkungen das offenere Staatsbürgerschaftsrecht in Frankreich auf die soziale Integration der Einwanderer hat.
Nun allerdings zunächst einmal ein paar allgemeine Zahlen über die demographische Situation in Frankreich und Deutschland, um die allgemeine Einwanderungssituation in beiden Ländern als Basis für die weitere Untersuchung darzustellen. Darauf aufbauend komme ich dann zur Integration der Einwanderer in bezug auf ihre Sprachkenntnisse, in das Bildungssystem, in das Erwerbssystem, in das Wohnsystem sowie in das soziale Kontaktsystem. Nach diesen Situationsdarstellungen werde ich dann die Rolle der politischen Rechte für die soziale Integration beleuchten. Es soll hierbei einerseits um ihre Funktion für die Integration in das politische System gehen, andererseits aber auch um ihre Funktion für die Integration in die anderen bereits genannten Systeme.
2.1 Indikatoren für soziale Integration
2.1.1 Demographische Situation
Beim Vergleich der demographischen Situation der Ausländer bzw. Ausländischstämmigen in Frankreich wie in Deutschland stößt man sehr schnell auf methodische Probleme.
So besteht die Gefahr einer Verzerrung der Realität durch die Verwendung expliziter Begriffsdefinitionen wie „Ausländer“ oder „Einwanderer“.
Im folgenden werde ich für Deutschland das Konzept „Ausländer“ verwenden. Eine Verzerrung der Situation ergibt sich hier allerdings durch den Zuzug von Aussiedlern in Deutschland, die beim Grenzübertritt sofort die deutsche Staatsangehörigkeit erhielten und somit nicht als „Ausländer“ gezählt wurden, obwohl sie außer ihren deutschen Vorfahren keinen oder wenig Bezug zu Deutschland haben, d. h. meistens nicht die deutsche Sprache sprechen und andere kulturelle Gewohnheiten und Sitten haben. Auf der anderen Seite gibt es mittlerweile in Deutschland schon eine dritte Generation von Ausländern in Deutschland, die sich oft nur aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit von den Deutschen unterscheidet. Diese fallen dann trotz allem unter den Begriff „Ausländer“.
Für Frankreich werde ich das Konzept „Einwanderer“ oder „Immigranten“ wählen. Probleme für die Betrachtung des Zahlenmaterials ergeben sich hier allerdings gerade dadurch, daß das französische Staatsbürgerschaftsrecht wesentlich liberaler als das deutsche ist bzw. war. So ist der Erwerb der französischen Staatsbürgerschaft sowie der doppelten Staatsbürgerschaft in Frankreich wesentlich problemloser. So werden u. a. eine große Anzahl von in Frankreich geborenen Migrantenkindern per Geburt oder spätestens mit 18 Jahren zu Franzosen. Diese fallen dann nicht mehr unter den Begriff „Einwanderer“.
Unter den Begriff Einwanderer fallen alle Personen, die im Ausland geboren sind und bei ihrer Geburt nicht die französische Staatsbürgerschaft hatten. Nach ihrer Ankunft in Frankreich können sie durch Einbürgerung Franzosen werden (so genannte „französische Immigranten“) oder ihre ursprüngliche Staatsangehörigkeit beibehalten (so genannte „ausländische Immigranten“) (vergl. Boëldieu 2000, S. 1ff).
Gemäß dem Ausländerregister lebten Ende 1999 insgesamt 7,344 Mio. Ausländerinnen und Ausländer in der Bundesrepublik Deutschland. Das entsprach einem Anteil von 9 % an der Gesamtbevölkerung. Verglichen mit anderen europäischen Ländern liegt diese Quote im oberen Bereich (Beck 2000b, S. 1).
Währenddessen lebten in Frankreich (die Überseedepartements ausgenommen) im März 1999 insgesamt 4,310 Mio. Einwanderer. Dies entspricht einem Bevölkerungsanteil von 7,4 % (Boëldieu 2000, S. 1).
Aufgrund der vorher angesprochenen Problematik lassen sich diese Zahlen allerdings nicht ohne weiteres miteinander vergleichen. So erscheint die Zahl der Einwanderer in Frankreich geringer als die in Deutschland. Die Zahl der Ausländer ist in Deutschland sicher größer als in Frankreich, allerdings hat, wie sich später noch zeigen wird, ein viel größerer Anteil von Einwanderern in Frankreich die Staatsangehörigkeit des Aufnahmelandes aufgenommen als in Deutschland, so daß ihre Kinder keine Ausländer mehr sind oder werden und somit in Frankreich nicht so viele Ausländer geboren werden wie in Deutschland.
Vergleicht man die Anzahl der Ausländer, also der Personen, die nicht die Staatsangehörigkeit des Aufnahmelandes besitzen, so ist der Unterschied zwischen Deutschland und Frankreich wie bereits angesprochen noch größer: In Frankreich leben 2,75 Mio. Ausländer, also Personen ohne französischen Paß, während in Deutschland etwas mehr als 7,3 Mio. Menschen ohne deutschen Paß leben, also mehr als doppelt so viele (vergl. Boëldieu 2000, S. 1; Beck 2000, S. 1).
Bedeutet das nun, daß Einwanderer in Frankreich besser integriert werden als in Deutschland? Betrachtet man die genannten Zahlen, könnte man das glauben. Ich werde zeigen, daß das zwar teilweise stimmt, aber nicht ganz. Insbesondere werde ich die Rolle der Staatsbürgerschaft für die Integration der ausländischstämmigen Wohnbevölkerung erörtern.
Nun aber erst noch ein paar allgemeine demographische Daten zur Situation der Einwanderer in Frankreich und Deutschland, um ihre demographische Integration zu untersuchen. Kommen wir zuerst zur Bevölkerungsentwicklung. Würde man den Medien glauben, könnte man leicht den Eindruck gewinnen, die Zahl der Einwanderer würde jedes Jahr dramatisch ansteigen. Tatsächlich aber ist sowohl in Deutschland wie in Frankreich die Bevölkerungsentwicklung der Einwanderer recht stabil.
So ist die Anzahl der Einwanderer in Frankreich von 1990 bis 1999 um 145 000 gestiegen (+ 3,4 %) (Boëldieu 2000, S. 1), in Deutschland ist die Zahl der Ausländer von 1991 bis 1998 (also fast demselben Zeitraum) um 115 000 gestiegen, das entspricht einer Zunahme von 5,7 % (eigene Berechnung mit den Zahlen der Tabelle 1). Wie man erkennt, ist die Entwicklung der Einwanderung in den letzten 10 Jahren in beiden Ländern annähernd gleich niedrig.
Tabelle 1
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Beck 2000b, Anhang, Tabelle 3
Weiterhin relevant ist die Zusammensetzung der ausländischen Wohnbevölkerung in beiden Ländern. Diese ist sehr bedeutend für die Betrachtung der Integration der Einwanderer. Wie wir später feststellen werden, hängt die Integration sehr von der Herkunft ab. Eine populäre Behauptung besagt, daß je unterschiedlicher Herkunfts- und Einwanderungslandkultur sind, desto größer auch die Schwierigkeiten für die Einwanderer sind, sich zu assimilieren. Das dies allerdings nicht ohne Einschränkung gilt, werden wir noch sehen.
Betrachtet man die unterschiedliche Herkunft der ausländischen Bevölkerungsgruppen, erkennt man große Unterschiede zwischen Frankreich und Deutschland. Der größte Anteil der Ausländer, die in Deutschland leben, kommt aus ehemaligen Gastarbeiteranwerbeländern. So ist die Bevölkerungsgruppe der Türken am stärksten vertreten (28 %), danach die der Ex-Jugoslawen(10 %), der Italiener (8,4 %) und der Griechen (5,0 %) (siehe Tabelle 1).
Für die Betrachtung der Integration der Ausländer in Deutschland ist vor allem die große Anzahl der türkischen Staatsangehörigen bedeutsam, die nicht nur wegen ihrer zahlenmäßigen Präsenz auffallen, sondern auch aufgrund kultureller Unterschiede (zum Beispiel islamische Religion, Familienstruktur etc.) in ihren Gesellschaftsformen. Von den EU-Staaten kamen die meisten Ausländer aus Italien (33,3 %), Griechenland (19,6 %) und Österreich (10 %).
In Frankreich zeigt sich ein etwas anderes Bild der Herkunftsländer. Wie in der nachfolgenden Grafik 1 zu erkennen ist, stellen die Einwanderer aus den sogenannten Maghrebländern, Algerien, Marokko und Tunesien, zusammenaddiert mit ca. 1,3 Mio., das entspricht 30 % der Einwanderer, die größte Gruppe dar, gefolgt von der romanischsprachigen Ländern Italien, Portugal und Spanien mit einem fast ebenso großen Anteil. Für die folgende Behandlung des Themas sind vor allem die Einwanderer aus dem Maghreb interessant, da sie einen sehr hohen Anteil unter den Einwanderern darstellen und Normen und Wertvorstellungen aus der arabischen Kultur mitbringen, die sich erheblich von der französischen Kultur unterscheiden. So ist ihr Heiratsverhalten beispielsweise ganz anders als das der Franzosen. In der maghrebinischen Kultur wird eine Heirat innerhalb der eigenen Familie bevorzugt, in Frankreich wie in den meisten europäischen Ländern hingegen eher abgelehnt (vergl. Todd 1998).
Grafik 1
Einwanderer in Frankreich nach ihrem Geburtsland in den Jahren 1990 und 1999
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Boëldieu, Julien; Borrel, Catherine, 2000, S. 2
Zur Einwanderung kommt hinzu, daß ein Großteil der Ausländer immer häufiger nicht aus dem Ausland kommt, sondern durch Geburt im Einwanderungsland „einreist“. Viele der seit der Zeit der Gastarbeiteranwerbung in Deutschland und Frankreich gebliebenen Ausländer haben entweder ihre Kinder aus den Herkunftsländern nachgeholt oder inzwischen Kinder oder schon Enkel in den beiden Ländern bekommen.
Die folgende Tabelle 2 zeigt die Anzahl der in Deutschland geborenen Kinder mit ausländischer Staatsangehörigkeit. Kinder mit einem deutschen Elternteil und einem ausländischen Elternteil zählen hierbei in der Regel automatisch zu den deutschen Lebendgeborenen.
Tabelle 2
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Beck 2000b, Anhang, Tabelle 6
Berücksichtigt werden muß allerdings, daß mit dem neuen Staatsangehörigkeitsrecht, daß ab 01.01.2000 gilt, viele Kinder, die nach der alten Regelung nur die ausländische Staatsangehörigkeit erhalten hätten, ab diesem Zeitpunkt auch die deutsche Staatsbürgerschaft zusätzlich erhalten und somit auch nicht mehr als Lebendgeborene mit ausländischer Staatsangehörigkeit zählen.
Wie man in Tabelle 2 erkennen kann, ist der Ausländeranteil an den Lebendgeborenen bis 1974 fast kontinuierlich angestiegen, danach ist er leicht gefallen, in den 1990er Jahren hat er sich bei 12 bis 13 % auf recht hohem Niveau eingependelt. Der Rückgang des Ausländeranteils ab 1974 läßt sich mit einem geändertem demographischen Verhaltens der Ausländer erklären. So nimmt die absolute Zahl der ausländischen Lebendgeborenen ebenso ab wie die der Deutschen. In der Anfangsphase der Einwanderung kamen noch verhältnismäßig viele Kinder von Einwanderern in Deutschland zur Welt, inzwischen hat sich allerdings das demographische Verhalten der in Deutschland lebenden Ausländer an das der Deutschen angepaßt.
Wenn man die Geburtenzahlen in Deutschland weiter betrachtet, erkennt man, daß heute zwei Drittel aller ausländischen Kinder unter 18 Jahren in Deutschland geboren worden sind. Seit den 70‘er Jahren haben 10 - 15 % der geborenen Kinder in Deutschland einen ausländischen Paß. 1998 waren dies 100 057 Kinder (12,7 %). Diese Zahl wird allerdings ab dem Jahr 2000 aufgrund des geänderten Staatsangehörigkeitsrechtes voraussichtlich wesentlich zurückgehen, da viele dann als Deutsche gezählt werden (Beck 2000a, S. 12f).
Auf jeden Fall kann man diesen Zahlen entnehmen, daß die ausländische Bevölkerung wächst, allerdings weniger aufgrund von Zuwanderung, sondern vielmehr durch eine „Reproduktion“ von Ausländern in Deutschland selbst. In Frankreich ist eine derartige Entwicklung aufgrund des geltenden Staatsbürgerschaftsrechtes unmöglich, da die zweite Generation mit Erreichen der Volljährigkeit und die dritte Generation bei der Geburt automatisch die französische Staatsbürgerschaft erhält, ohne die vorherige Staatsangehörigkeit aufgeben zu müssen. Der Anteil der geborenen ausländischen Kinder in Frankreich ist entsprechend etwas geringer als in Deutschland. So waren 1998 9,3 % aller in Frankreich geborenen Kinder von zwei ausländischen Ehepartnern und 3,5 % aller Geborenen von unverheirateten ausländischen Müttern (INSEE 2000).
Der demographische Unterschied durch das unterschiedliche Staatsbürgerschaftsrecht fällt insbesondere auf beim Vergleich der Zahl der in den beiden Ländern als Ausländer geborenen Kinder. So lebten 1999 in Frankreich etwa 510 000 im Inland geborene Ausländer, in Deutschland hingegen die dreifache Anzahl: 1 6555 000 (Boëldieu, Julien; Borrel, Catherine 2000, S. 3; Beck 2000b, Anhang, Tabelle 4). Wie man sieht, gibt es in Deutschland inzwischen eine beträchtliche Bevölkerungsanzahl (über eine Million!), die zwar in Deutschland geboren ist, aber dennoch nicht die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt.
Interessant für den Vergleich des Assimilations- und Integrationsniveaus ist auch der Vergleich der Alterstruktur der Einwanderer mit der der Einheimischen. Sowohl die Einwanderer in Frankreich als auch in Deutschland sind im Schnitt wesentlich jünger als die Einheimischen, jedoch wird seit den letzten Jahrzehnten auch die eingewanderte Bevölkerung durchschnittlich älter (Beck 2000a, S. 13f; Boëldieu, Julien; Borrel, Catherine 2000, S. 1ff). Dies liegt unter anderem daran, daß wesentlich weniger Ausländer in Deutschland wie Frankreich in den letzten Jahrzehnten eingewandert sind und die in den beiden Ländern Gebliebenen älter geworden sind.
2.1.2 Sprachkenntnisse
Die Kenntnis der Sprache des Landes, in dem man lebt, hat sehr viel Einfluß auf die eigenen Partizipationsmöglichkeiten. Mangelnde Sprachkenntnisse können einerseits Ursache mangelnder Integration sein, andererseits aber auch Indikator für dieselbe sein, indem sie den Grad der Integration einer Person an das Wohnsitzland anzeigt. So ist eine Person bei Verwendung des Begriffskonzeptes von Esser desto (kognitiv) besser assimiliert an eine Gesellschaft je besser sie die allgemein praktizierte Sprache (als Bestandteil der Kultur) beherrscht.
Warum können Sprachkenntnisse auch Ursache für gelungene oder mißlungene Integration sein?
Wenn nicht der Wunsch danach besteht, die Sprache zu lernen, etwa, weil nur ein vorübergehender Aufenthalt von wenigen Jahren im Wohnland geplant ist oder etwa, wie es häufig vorkommt, Frauen als Hausfrauen zuhause bleiben und sich um die Kinder und das Haus oder die Wohnung kümmern und somit wenig Kontakt zu Einheimischen haben. Wie wir sehen werden, stehen die Sprachkenntnisse in starkem Zusammenhang zu den sozialen Kontakten. Die Kenntnis der einheimischen Sprache verstärkt auf jeden Fall die Identifikation mit der Gesellschaft, in der man lebt, denn nur dadurch gelangt man zu wesentlichen Verständigungskenntnissen und nur durch diese wiederum kann man die Einheimischen und die einheimische Kultur wirklich verstehen lernen und sich mit ihnen bzw. ihr identifizieren.
In einer Studie von Michèle Tribalat (eine Mitarbeiterin des französischen staatlichen Statistikinstitutes INSEE) in Zusammenarbeit mit Patrick Simon mit dem Thema „De l’immigration à l’intégration“ (auf die ich mich noch öfters beziehen werde) (Tribalat 1996), wurde die Beherrschung der französischen Sprache durch die Immigranten mittels einer Befragung untersucht, wobei die Einwanderer sich selbst einschätzen sollten. Diese Selbsteinschätzung der Einwanderer wurde von den Interviewern noch durch Beobachtung der Sprachkenntnisse bei der Beantwortung der mündlich gestellten Fragen kontrolliert. Wenn wir nun die absolute Beherrschung der französischen Sprache nach Einwanderergruppen betrachten, sehen wir folgendes interessantes Ergebnis:
Tabelle 3: Anteile der Immigranten, die französisch gut beherrschen nach Einreisealter und Geburtsland ( in % )
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Tribalat 1996, S. 192
Wie man aus der Tabelle erkennen kann, hängen die Sprachkenntnisse in großem Ausmaße von der Herkunft ab. Die Einwanderer aus Spanien (81 %), Portugal (75 %) und Schwarzafrika (74 %) beherrschen die französische Sprache am besten, die Einwanderer aus der Türkei hingegen am schlechtesten (41%). Bei den Einwanderern aus Algerien, Marokko und Südostasien zeigten sich im Vergleich zu den anderen Herkunftsgruppen mittlere Werte.
Welche Einflußfaktoren können eine Rolle spielen?
Wie man anhand der Tabelle erkennen kann, spielt das Eintrittsalter eine entscheidende Rolle. Von den Kindern und Jugendlichen unter 15 Jahren ausländischer Herkunft beherrschen bis auf die Kinder südostasiatischer Herkunft (immerhin auch noch 86 %) jeweils mindestens
90 % die französische Sprache. Es erscheint also sehr vorteilhaft zu sein, wenn die Kinder der Immigranten möglichst früh ins Einwanderungsland kommen bzw. nachkommen.
Betrachten wir die Erwachsenen, so können etwa 51 % bis 68 % gut französisch sprechen, mit Ausnahme der türkischen Einwanderer, von denen nur 24 % gut französisch sprechen können. Dies erscheint insofern sehr interessant, da ja in Deutschland die türkischstämmige Bevölkerung den größten Anteil an der ausländischstämmigen Bevölkerung ausmacht.
Bei der Betrachtung dieser Zahlen muß allerdings auch berücksichtigt werden, daß die Sprachkenntnisse vieler Einwanderer algerischer, marokkanischer, südostasiatischer und schwarzafrikanischer Herkunft auch bedingt durch die französische Kolonialzeit noch sehr gut sind. Damals war französisch in diesen Herkunftsländern Amtssprache und Schulsprache und ist es teilweise heute noch bzw. wird in diesen Ländern besonders gepflegt. So war zum Beispiel sogar in Algerien bis vor einigen Jahren noch französisch Schulsprache und in einigen Ländern Schwarzafrikas ist französisch heute noch angesichts vieler Sprachen und Dialekte die einzige gemeinsame Verständigungssprache.
Wie sich in der vorliegender Studie noch weiterhin zeigte, hängen die Sprachkenntnisse auch in starker Weise von der jeweiligen Schulbildung und der Anzahl der jeweils abgeleisteten Schuljahre in Frankreich ab. So können beispielsweise von den Einwanderern, die niemals eine französische Schule besucht haben, nur 9 % der türkischen Migranten und nur 51 % der spanischen Migranten, die damit noch den höchsten Prozentsatz bilden gut französisch sprechen. Es stellte sich weiterhin heraus, daß die eingewanderten Frauen in allen Fällen schlechter französisch beherrschen als die eingewanderten Männer. Dies ist vor allem der Fall bei den algerischen, den marokkanischen, den südasiatischen und den türkischen Einwanderinnen (Tribalat 1996, S. 188ff).
Besonders interessant in der Betrachtung der Sprachkenntnisse sind die Kinder der Migranten, denn von diesen erwartet man als 2. oder 3. Generation, daß sie die einheimische Sprache besser beherrschen als ihre Eltern und somit besser kognitiv assimiliert sind und dadurch auch in anderen Bereichen der Gesellschaft bessere Integrationschancen als ihre Eltern haben. Wie wir bereits für Frankreich gesehen haben, ist dies dort im wesentlichen gelungen, etwa 90 % der Kinder ausländischer Herkunft beherrschen die französische Sprache gut. In Deutschland hingegen gibt es große Probleme in diesem Bereich.
Wie Jeanne Rubner (Rubner 2000, S. 10) in ihrem Artikel „Die Welt der kleinen Fortschritte“ berichtet, kommen in Deutschland immer mehr Kinder in die Schule, ohne ein Wort Deutsch zu können. Die Sprachkenntnisse von Migrantenkindern werden angeblich unter anderem durch den „Heirats-Migrations-Effekt“ zunehmend schlechter. Vielen in Deutschland aufgewachsenen türkischen Männern sind die jungen Deutsch-Türkinnen zu freizügig und so holen sie sich lieber ihre Frauen aus der „Heimat“ oder lassen Hochzeiten von Verwandten arrangieren. Die Väter überlassen die Erziehung der Kinder den Müttern und Großmüttern, die allerdings oft nicht ausreichend deutsch sprechen, da sie keinen oder nur wenig Kontakt zu Deutschen haben.
Die Sprachkenntnisse der Migrantenkinder leiden häufig darunter, daß in der Familie nur die ausländische Sprache gesprochen wird. Außerdem läuft auf dem Bildschirm zuhause sehr oft noch dazu das per Kabel (z. B. TRT) oder per Satellit empfangene ausländische Fernsehprogramm (Rubner 2000, S. 10).
In Deutschland liegen bis heute allerdings leider keine repräsentativen Untersuchungen über die Deutschkenntnisse von Kindern und Jugendlichen ausländischer Herkunft vor. Zwar gibt es eine Erhebung von Andreas Pochert (vergl. Beck, 2000a, S. 245) über den Sprachstand der Schülerinnen und Schüler aller 1. Klassen des Bezirkes Wedding von Berlin im Schuljahr 1998/99, die allerdings recht umstritten ist. Nach dieser Studie wiesen 46 % der untersuchten Schüler einen „Förderbedarf“ auf (davon 71 % der Schüler nichtdeutscher Herkunftssprache, 11% der Schüler deutscher Herkunftssprache). Aufsehen erregte vor allem das Ergebnis der Untersuchung, wonach sich die Kinder ausländischer Herkunft, die eine Vorklasse oder einen Kindergarten besucht hatten (entsprach 90 % aller befragten Kinder) in Bezug auf ihre Deutschkenntnisse nicht gravierend von denen unterschieden, die dies nicht getan hatten (10 %). Dieses Ergebnis war in der Fachwelt jedoch sehr umstritten.[1]
Dennoch können nach Meinung der deutschen Ausländerbeauftragten den Erfahrungen bei den Einschulungen und den Schulkarrieren der Kinder entnommen werden, daß Migrantenkinder über höchst unterschiedliche Sprachkenntnisse verfügen: von ungenügenden über mittlere bis hin zu sehr guten Sprachkenntnissen. Weiterhin sind auch die Sprachkompetenzen in den verschiedenen Sprachebenen (Grammatik, Wortschatz, Schriftsprache etc.) individuell sehr unterschiedlich und beeinflussen somit ebenfalls Bildungserfolg oder -mißerfolg. Nach Beck verfügen Migrantenkinder in Deutschland nur über begrenzte Möglichkeiten des Spracherwerbs und sind somit in ihrem Sprachlernprozeß und ihrer Sprachkompetenz benachteiligt. So ist für viele dieser Kinder deutsch die zweite gelernte und gesprochene Sprache, was allerdings im deutschen Schulsystem weitgehend unberücksichtigt bleibt. So sind die Schulen in der Regel monokulturell und monolingual ausgerichtet trotz der multilingualen Zusammensetzung eines großen Teils der Schülerschaft (vergl. Beck 2000a, S.131).
Wie eine an Bielefelder Grundschulen durchgeführte empirische Untersuchung zeigt, spielen Defizite in der deutschen Sprache auch bei der Einleitung von Sonderschulaufnahmeverfahren bei Migrantenkindern eine entscheidende Rolle. Hinzu kommt, daß Migrantenkinder überproportional häufig auf Sonderschulen geschickt werden. Das Projekt konzentrierte sich auf die Rolle der Organisation von Schule und der Schulpolitik in bezug auf das schulische Scheitern von Kindern ausländischer Herkunft. In dem herausgegebenen Bericht wird sogar von „Institutionalisierter Diskriminierung“ gesprochen. Die Kinder der Einwanderer werden im wesentlichen in drei Entscheidungsstellen in der Grundschule diskriminiert: bei der Einschulung, bei der Aufnahme eines Sonderschulverfahrens und bei dem Übergang in die Sekundärstufe. Wie sich herausstellte, führen pädagogische und schulorganisatorische Faktoren in der Grundschule gekoppelt mit Deutschsprachdefiziten zur Benachteiligung der Kinder. So werden mangelnde Deutschkenntnisse als mangelnde Schulreife und –fähigkeit interpretiert aufgrund der mangelnden Definition von Lernbehinderung. Hinzu kommt eine Überalterung der Immigrantenkinder in der Schule aufgrund ihrer schlechteren Sprachkenntnisse und damit verbundenem mangelhaftem Schulerfolg, was den Druck für die Einleitung von Sonderschulaufnahmeverfahren noch verstärkt. Zweisprachigkeit als Ursache der geringeren Deutschkenntnisse wird meist ignoriert und zum Teil sogar negativ bewertet als mangelnder Integrationswille der Kinder und ihrer Eltern (vergl. Beck, 2000a, S. 133f).
Dieses Problem scheint in Frankreich nicht so weit verbreitet zu sein. Wie wir ja vorher in der Statistik von Tribalat gesehen haben, beherrschen in Frankreich ca. 90 % der Einwandererkinder und –jugendlichen unter 15 Jahren die französische Sprache gut bis sehr gut. Dies liegt wahrscheinlich einerseits an dem großen Anteil der aus ehemaligen französischen Kolonien stammenden Einwanderer, die sich noch oft in französischer Sprache verständigen. Doch erklärt dies nicht die in Frankreich relativ besseren Sprachkenntnisse der Immigrantenkinder aus den anderen Herkunftsgruppen. Ob diese relativ bessere kognitive Assimilation, wie Esser sie bezeichnet, am französischen Schulsystem liegt, wird das folgende Kapitel zu klären versuchen.
2.1.3 Schulischer Erfolg
In der empirischen Sozialforschung geht man weitgehend davon aus, daß schulischer Erfolg oder Mißerfolg von Personen später darüber entscheidet, wie ihre Berufschancen sind. Die Frage ist, ob Ausländer oder Ausländischstämmige generell schlechtere Erfolgschancen in der Schule, Hochschule oder Ausbildung haben und dadurch für ihr weiteres Leben von vornherein weniger Chancen haben. Integration in diesem Bereich würde, entsprechend der Definitionen von Esser und Hoffmann-Nowotny, den Prozeß der Anpassung der Schulleistungen und der Schulkarriere der Schüler ausländischer Herkunft an die ihrer einheimischen Mitschüler bedeuten. Im Laufe des Aufenthaltes im Einwanderungsland müßte also ein Schüler ausländischer Herkunft (insbesondere der dritten Generation) die gleichen Chancen wie ein einheimischer Schüler besitzen, Erfolg in der Schule zu haben, damit man behaupten kann, die Schulkinder ausländischer Herkunft seien voll integriert in das Schulsystem. Dies soll hier wieder an einem Vergleich zwischen Frankreich und Deutschland untersucht werden. Betrachten wir zunächst die folgende Tabelle. Sie zeigt die Bildungsbeteiligung ausländischer und deutscher Schüler nach ausgewählten allgemeinbildenden Schulen.
Tabelle 4: Deutsche und ausländische Schüler an ausgewählten allgemeinbildenden Schulen 1994 und 1997 (in Prozent)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1) Einschl. Freier Waldorfschulen
2) Quelle: Statistische Veröffentlichung der KMK - 148. In der Tabelle sind nicht erfaßt:
Vorklassen, Grundschulen, Orientierungsstufe, Schularten mit mehreren Bildungsgängen,
Abendschulen, Kollegschulen.
Quelle: Beck 2000a, S. 125
Nach Beck (2000a, S. 125ff) sind die Schülerinnen und Schüler ausländischer Herkunft fast alle im Inland geboren. Gründe der Benachteiligung aufgrund eines späten Einreisealters scheiden also aus. So besuchten 1997 rund 1 117 848 ausländische Schülerinnen und Schüler allgemeinbildende und berufliche Schulen in Deutschland. Damit stellen sie 9,4 % der Gesamtzahl der Schüler dar. Die meisten sind griechischer, italienischer, ex-jugoslawischer, portugiesischer, spanischer oder türkischer Abstammung. Wie man anhand der Tabelle 4 sehen kann, sind ausländische Schüler im Vergleich zu deutschen Schülern überproportional an Haupt- und Sonderschulen und unterproportional an Gymnasien vertreten. Der Anteil der ausländischen Schüler in der Hauptschule (21,1 %) war 1997 etwa doppelt so hoch wie der der deutschen Schüler (9,9 %). An den Sonderschulen verhält es sich ähnlich: 6,2 % der ausländischen Schüler besuchten eine Sonderschule aber nur 3,8 % der deutschen Schüler.
Gleichzeitig ist am Gymnasium das Verhältnis umgedreht: Der Anteil der Schüler ausländischer Herkunft (9,2 %) war 1997 weniger als halb so groß wie der Anteil der deutschen Schüler (23,0 %).
Weiterhin fällt auf, daß sich dieser Gegensatz zwischen deutschen und ausländischen Schülern in Bezug auf die Verteilung auf die unterschiedlichen allgemeinbildenden Schulen im Zeitraum von 1994 bis 1997 sogar noch vergrößert hat. Der Anteil ausländischer Schüler an Realschulen und Gymnasien ist leicht gefallen, während ihr Anteil an den Sonderschülern schwach angestiegen ist.
Betrachtet man weiterhin die Beteiligung der Schülerinnen und Schüler ausländischer Herkunft an beruflichen Schulen, so ergibt sich, daß „Schulabgänger ausländischer Nationalität als „Ausweichmöglichkeit“ überproportional in den Bildungsgängen der beruflichen Schulen vertreten sind, die nicht zu einem Abschluß in einem anerkannten Ausbildungsberuf führen“, so die Ausländerbeauftragte der Bundesregierung Deutschlands (Beck 2000a, S.127).
Betrachten wir die Niveaus der Schulabschlüsse deutscher und nichtdeutscher Schülerinnen und Schüler, so zeigen sich ähnliche Diskrepanzen. Die folgende Tabelle 5 zeigt, mit welchen Abschlüssen deutsche und ausländischstämmige Schüler die Schulen verlassen.
Tabelle 5
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Beck 2000a, S. 127
Wie man erkennen kann, verließen 1997 19,4 % der ausländischen Schüler das allgemeinbildende Schulsystem ohne formalen Schulabschluß. Bei den deutschen Schülern waren dies nur 7,7 %. Da man davon ausgehen kann, daß auf dem Arbeitsmarkt Personen ohne Schulabschluß die schlechteren Chancen haben, einen Arbeitsplatz zu finden, ist diese Zahl schon erschreckend hoch.
Im weiteren verließen 1997 von den ausländischen Schülern 42,7 % die Schule mit Hauptschulabschluß, 28,1 % mit Realschulabschluß und lediglich 9,0 % mit allgemeiner Hochschulreife (zum Beispiel Abitur oder äquivalente Abschlüsse).
Betrachtet man die Entwicklung im Zeitraum 1994 bis 1997, so hat sich bei der Verteilung der Schulabschlüsse nicht viel verändert. Ausländische bzw. ausländischstämmige Schülerinnen und Schüler besuchen in Deutschland weniger qualifizierende Schulen und haben geringere Abschlüsse als deutsche Schülerinnen und Schüler.
Wie sich weiterhin herausstellte, ist der Anteil der türkischen und italienischen Schüler an Haupt- und Sonderschulen mit Abstand am höchsten und an Gymnasien und Realschulen am niedrigsten. Außerdem verfügen sie über die niedrigsten Schulabschlüsse (kein Schul- oder nur ein Hauptschulabschluß). Entsprechend haben Jugendliche türkischer Herkunft auch die niedrigste Ausbildungsquote (Beck 2000a, S.128).
Betrachten wir die Beteiligung Jugendlicher ausländischer Herkunft an der beruflichen Bildung, so zeigt sich nach dem Berufsbildungsbericht 1999, daß ihre Beteiligung an der betrieblichen Ausbildung seit 1994 wieder rückläufig ist. Die Ausbildungsquote Jugendlicher ausländischer Herkunft ist zwar von 1986 bis 1994 von 25 % auf 44 % gestiegen, aber seither nimmt sie wieder ab. Während die Zahl der deutschen Auszubildenden von 1996 auf 1997 von 1 125 000 auf 1 512 000 gestiegen ist, ist die Zahl der ausländischen Auszubildenden im gleichen Zeitraum von 116 000 auf 110 000 gesunken. Auch hier zeigt sich ein Nationalitätenunterschied: Während spanische Jugendliche eine relativ hohe Ausbildungsbeteiligung aufweisen, ist sie bei den italienischen und vor allem bei türkischen und griechischen Jugendlichen besonders niedrig (Beck 2000a, S. 140f).
Weiterhin zeigt sich, daß die Mehrheit der Jugendlichen ausländischer Herkunft, wenn sie einen Ausbildungsplatz erhalten, sich in Berufen und Wirtschaftsbereichen qualifizieren, die als weniger attraktiv gelten, beispielsweise als Kfz-Mechaniker oder Friseurin. Damit folgen sie den Fußstapfen ihrer Eltern, die in den Jahren der Gastarbeiteranwerbung vor allem Berufe niedrigerer Qualifizierung annahmen. Allerdings sind diese Berufe überproportional gekennzeichnet von geringerer Übernahmewahrscheinlichkeit als Fachkraft nach Beendigung der Ausbildung und einem höheren Arbeitsplatzrisiko, geringeren Verdienstmöglichkeiten und Aufstiegschancen sowie schlechteren Arbeitsbedingungen. Auf der anderen Seite sind Jugendliche ausländischer Herkunft z. B. in Ernährungsberufen, landwirtschaftlichen und qualifizierten technischen und in den meisten kaufmännischen und verwaltenden Ausbildungsberufen, aber auch im Öffentlichen Dienst, alles Bereiche, die mehr berufliche Sicherheit und eine stabile finanzielle Absicherung bieten, stark unterrepräsentiert (Beck 2000a, S. 140).
Außerdem bleibt ein zunehmender Anteil ausländischer Bewerber ohne Ausbildungsstelle. 1999 waren 22 % der Jugendlichen, die keine Ausbildungsstelle erhalten hatten, Ausländer. So kommt es zu dem alarmierenden Ergebnis, daß Jugendliche und junge Erwachsene ausländischer Herkunft wesentlich häufiger als junge Deutsche ohne Berufsabschluß bleiben. Die Statistik von 1999 zeigt, daß 45 – 50 % der 20 – 25 Jährigen jungen Erwachsenen ausländischer Herkunft ohne Berufsabschluß bleiben. Zum Vergleich: Bei den Deutschen sind es nur 12 % (Beck, 2000a, S. 14a)!
Wie es scheint, sind die Jugendlichen ausländischer Herkunft beim Erhalt einer Ausbildungsstelle besonders dann benachteiligt, wenn die Anzahl der Ausbildungsstellen knapp ist, wie es in den 90‘er Jahren immer mehr der Fall war. Weitere Gründe sind sicher auch der geringere Erfolg bei den Schulabschlüssen, wobei die ausländischen Jugendlichen gegenüber deutschen Jugendlichen mit besseren Schulabschlüssen konkurrieren müssen und dabei natürlich ins Hintertreffen geraten, wie auch teilweise mangelnde Sprachkenntnisse und auch, darauf muß man hinweisen, Vorbehalte der Ausbildungsbetriebe, was beispielsweise das Bundesinstitut für Berufsbildung in seiner Empfehlung vom 18. Juni 1997 hervorhebt (Bundesanstalt für Arbeit 1997, S. 2725-2728, zitiert nach Beck 2000a, S. 248 nr. 114).
Insgesamt muß man also in Deutschland in den letzten Jahren von einer abnehmenden Integration der ausländischen Kinder und Jugendlichen in das Bildungssystem sprechen.
In Frankreich wurde 1989 eine empirische Untersuchung über die Integration von Schülern ausländischer Herkunft in französischen Schulen durchgeführt. So wollte man etwa herausfinden, wie gut oder schlecht Schüler ausländischer Herkunft im Verhältnis zu ihren französischen Mitschülern waren. Die Untersuchung bezog sich unter anderem auf den Unterschied zwischen den Schulnoten, dem Bestehen oder Nichtbestehen von Schuljahren sowie besseren oder schlechteren Schulabschlüssen im Vergleich mit den „einheimischen“ französischen Schülern (Vallet 1997, S. 71f).
Berücksichtigt man die Staatsbürgerschaft der Schüler, so schneiden ausländische Schüler in Frankreich ebenso schlecht ab wie in Deutschland. Fast die Hälfte der ausländischen Schulkinder hat schon mindestens ein mal ein Schuljahr in der französischen Grundschule wiederholt. Dies haben nur etwa ein Viertel der einheimischen französischen Schulkinder. Bei der Situation der besten Schüler sieht es ähnlich aus. Die „sections d’éducation spécialisée“, einen Schulzweig für besonders Begabte, der nach der Grundschule anstelle der Gesamtschule (Collège) beginnt, erreichen fast 3 % der französischen Kinder, aber nur etwa 1,5 % der ausländischen Schüler.
Ein Vergleich der Schulnoten bei Schülern der 6. Klasse ergab weiterhin, daß die ausländischen Schüler im Durchschnitt mehr als 6 Punkte schlechter in Mathematik und fast 9 Punkte schlechter im Schulfranzösisch abschnitten als ihre einheimischen Mitschüler[2] (Vallet 1997, S. 72).
In einem weiteren Vergleich wurde zwischen Schülern ausländischer Herkunft und den einheimischen französischen Schülern unterschieden. Schüler ausländischer Herkunft waren nach dieser Definition Kinder von Eltern, bei denen mindestens ein Elternteil eine ausländische Staatsangehörigkeit besaß (ohne die französische gleichzeitig zu besitzen). Nicht berücksichtigt werden konnten allerdings Schüler ausländischer Herkunft, wenn ihre Eltern bereits die französische Staatsangehörigkeit angenommen hatten. Diese Gruppe fiel somit unter die Gruppe der einheimischen französischen Schüler.
[...]
[1] Die Methodik und die politische Verwendung der Studie wurden von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) und Wissenschaftlern wie der Professorin Ingrid Gogolin scharf kritisiert.
[2] Das französische Schulsystem zählt die Schulklassen rückwärts, d. h. die sechste Klasse ist die sechstletzte Klasse des gesamten Schulsystems (inklusive Abiturklasse). Das Notensystem besteht aus einem Punktesystem zwischen 0 und 20. Zwanzig ist die beste Note, 0 die schlechteste.
- Citation du texte
- Claude Unterleitner (Auteur), 2001, Modelle der Integration von Ausländern, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/47799
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