Literaturkritik hat eine lange Entstehungsgeschichte. Wie und warum überhaupt diese Disziplin entstanden ist, soll in der Arbeit erörtert werden. Am Beispiel von Benjamin von Stuckrad-Barres Roman "Soloalbum" wird ein Exempel statuiert, wie eine solche Kritik aussehen könnte. Um eine solche Kritik beurteilen zu können, wird vorher ausgiebig auf Stuckrad-Barres Roman in Inhalt und Form eingegangen.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Was ist Literaturkritik?
2.1 Definitionsversuche und inhaltliche Ansätze
2.2 Eine historische und begriffliche Einordnung
2.2.1 Die Entstehung von Literaturkritik in Deutschland
2.2.2 Entwicklung der Literaturkritik im 20. Jahrhundert
2.2.3 Literaturkritik nach 1945 und heute
2.3 Literaturkritik contra Literaturwissenschaft
2.4 Kritik an der Kritik
3. Was ist Popliteratur?
3.1 Eine kurze Aufarbeitung der Entstehungsgeschichte
3.1.1 Dadaismus und Beat-Generation – Anfänge der Popliteratur
3.1.2 Die Popliteratur kommt nach Deutschland
3.1.3 Popliteratur in der jüngeren Vergangenheit
3.2 Was zeichnet Popliteratur aus?
4. Soloalbum
4.1 Der Autor Benjamin von Stuckrad-Barre
4.2 Soloalbum – Die praktische Umsetzung einer Literaturkritik
Literaturnachweise
1. Einleitung
Ob ein neuer Kinofilm in die deutschen Lichtspielhäuser kommt oder ein neues Buch im Handel zu erwerben ist; sie werden alle einer Kritik unterliegen. (Nicht nur) Journalisten bewerten neue Filme bzw. Bücher und zeigen deren Stärken und Schwächen auf. Viele potentielle Kinogänger und Literaturfans werden mit Hilfe dieser Rezensionen entscheiden, ob sie sich diesen Film anschauen oder jenes Buch kaufen. Sie wollen sicher sein, nicht für irgendeine mittelmäßige Unterhaltung Geld auszugeben.
Soweit die Theorie. Die Praxis sieht selbstverständlich nicht selten etwas anders aus: Kinofilme werden in kurzen kritischen Artikeln in Zeitschriften und in einem so genannten „Making Of“ im Fernsehen gelobt, man selbst ist aber beim Verlassen des Kinos nicht gerade begeistert, das Geld für einen solch langweiligen „Streifen“ ohne Tiefgang ausgegeben zu haben. Und auch bei Bestsellerlisten von Büchern kann man mittlerweile nicht mehr auf die Qualität schließen, nur weil viele Leser dieses „Stück Literatur“ kaufen. Das ist spätestens seit Dieter Bohlens Biographie Nichts als die Wahrheit auch jedem Hobbyleser klar geworden.
Und dennoch sind Kritiken über neu erschienene Bücher und Kinofilme wichtige Indikatoren für die Qualität und helfen in vielen Fällen dem Publikum sich zum Buchkauf oder zum Kinogang zu entscheiden. „Literaturkritik ist eine der wichtigsten Vermittlungsinstanzen zwischen Literatur und Lesern.“[1] Nach welchen Kriterien aber beurteilen Journalisten Bücher, Kinofilme, Theateraufführungen oder Musik-CDs? Können Kritiken das Kaufverhalten des Konsumenten beeinflussen?
In der folgenden Arbeit soll die Literaturkritik im Mittelpunkt stehen. Am Beispiel des Buches Soloalbum von Benjamin von Stuckrad-Barre sollen die gewonnenen Erkenntnisse in einem kurzen Text angewandt werden und ein Beispiel für eine Kurzkritik beispielsweise in einer Tageszeitung geben. Mit Stuckrad-Barres Soloalbum erreichte ein literarisches Phänomen, das es wahrscheinlich ohne die gute Presse gar nicht geben würde, 1998 einen Höhepunkt: Die Popliteratur. Obwohl sie ihre Anfänge schon im Dadaismus der zwanziger Jahre und in der so genannten Beat-Generation der fünfziger und sechziger Jahre hatte, erreichte sie erst gegen Ende der neunziger Jahre mit Werken von Florian Illies, Benjamin Lebert oder eben Benjamin von Stuckrad-Barre einen unvergleichlichen Aufschwung.
„Pop ist, was gefällt.“[2] So kurz und prägnant ordnet Thomas Jung in seinem Werk Alles nur Pop? die verkürzte Bezeichnung für „populär“ ein. Populär werden kann, wer oder was der Masse bekannt ist und von der Masse konsumiert wird. Doch was wird von der Masse tatsächlich konsumiert? Natürlich das, was gute Kritiken erhält und von „Experten“ empfohlen wird. „[…] das Publikum hat sich von ihr [der Literaturkritik] animieren lassen, Bücher zu kaufen oder in der Bibliothek auszuleihen, und die Verlage haben sie als Werbemittel benutzt“.[3] So wird deutlich, wie wichtig eine gute Beurteilung in der Fachpresse für den Erfolg eines Buches sein kann.
2. Was ist Literaturkritik?
2.1 Definitionsversuche und inhaltliche Ansätze
„Literaturkritik ist ein historisch gewachsenes und ein immer wieder neu gegenwartsbezogenes Genre vorwiegend der Publizistik und insofern auch ein Genre der (nicht fiktionalen) Literatur.“[4] Sie hat sich mit der Literatur verändert und ist heute wie früher abhängig von erfolgreichen Texten und Büchern. Je mehr Menschen am Lesen interessiert sind desto mehr kritische Texte zu den Büchern werden gelesen. Die Literaturkritik erfasst nicht nur Hobbyleser, sondern sie hat auch einen wichtigen gesellschaftlichen Auftrag. Sie ist Öffentlichkeitsarbeit und Werbung der Verlage, Sortiments- und Verlagsbuchhandel, Büchereien und Bibliotheken; ferner berührt sie den Bereich Schulen und Universitäten, „wo Literaturkritik und Literaturwissenschaft miteinander bzw. nebeneinander wirksam werden“[5].
Stefan Neuhaus gibt in seinem gleichnamigen Buch verschiedene Erklärungs- und Definitionsversuche für Literaturkritik. Er zitiert Herbert Jaumann aus dem Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Literaturkritik ist demnach „jede Art kommentierende, urteilende, denunzierende, werbende, auch klassifizierend-orientierte Äußerung über Literatur, d.h. was jeweils als ‚Literatur’ gilt.“[6]
Eine ganz ähnliche Definition gibt Thomas Anz. Für ihn meint Literaturkritik heute in der deutschsprachigen Kultur „die informierende, interpretierende und wertende Auseinandersetzung mit vorrangig neu erschienener Literatur und zeitgenössischen Autoren in den Massenmedien“[7]. Der deutsche Begriff unterscheidet sich hierbei allerdings von der englischen und französischen Bezeichnung, der zusätzlich Literaturtheorie und Poetik umfasst, wie René Wellek betont. Er geht bei seiner Definition für Literaturkritik sehr viel genauer vor. Er unterscheidet in verschiedene „Richtungen der Literaturkritik“, u.a. in die „marxistische Literaturkritik, die psychoanalytische Literaturkritik und in die Sprach- und Stilkritik“[8]. Für ihn hängt das Ergebnis der Kritik von der gewählten Perspektive ab.
Obwohl die Institution der Literaturkritik in Theorie und Praxis vielen Meinungsdifferenzen unterliegt, haben alle Definitionen einen Ansatz gemeinsam: Demnach soll Literaturkritik eine bestimmte grundlegende Vermittlerfunktion zwischen Literaturproduzenten und Literaturrezipienten erfüllen[9]. Vereinfachend könnte man sagen, dass die Literaturkritik
„primär eine medial verbreitete öffentliche Auseinandersetzung mit vorwiegend aktueller Literaturproduktion, mit einzelnen Neuerscheinungen (einschließlich neuer Einzel- und Werkausgaben älterer Autoren) aus der Sparte ‚schöne Literatur’ oder ‚Belletristik’ (auch der Kinder- und Jugendliteratur), teilweise bis hin zur angrenzenden Publizistik und Sachbuchliteratur […]“ meint.
2.2 Eine historische und begriffliche Einordnung
Der Ursprung der Bezeichnung Literaturkritik findet sich im deutschen Begriff ’Kritik’ und im lateinischen Begriff ‚criticus’ (= kritischer Beurteiler), die in deutscher Sprache seit dem 17. Jahrhundert gebräuchlich sind. Sie stammen beide von dem griechischen Verb ‚krinein’ (scheiden, trennen; entscheiden, urteilen) ab. Der ‚criticus’ ist ursprünglich der universal gebildete Gelehrte, „der sich besonders im Umgang mit Texten griechischer und lateinischer Sprache eine hervorragende Beurteilungskompetenz erworben hat“[10].
Schon in der Antike, als sich die Literatur entwickelte, entstand eine Art der Beurteilung, eine Bewertung, eine Kritik; in Briefen oder in Werken, „[…] nicht aber Literaturkritik als eigenständigen, öffentlich und vorwiegend professionalisiert geführten institutionalisierten Diskurs, der die aktuelle Literaturproduktion begleitet“[11]. Der Begriff, wie wir ihn kennen, der das ganze System der literarischen Theorie umfasst sowie das, was wir heute als tägliche Buchbesprechung bezeichnen, breitete sich im 17. Jahrhundert aus[12] und etablierte sich zuerst in Frankreich im Medium des periodisch erscheinenden Journals, „etwa des seit 1665 in Paris publizierten Journal des Savants, das Rezensionen, Essays und Meldungen aus dem kulturellen Bereich darbietet“[13], deren Texte aber noch nicht urteilend, sondern in der Regel nur referierend bleiben.
2.2.1 Die Entstehung von Literaturkritik in Deutschland
Die Anfänge deutschsprachiger Literaturkritik finden sich in den frühaufklärerischen Institutionen, wie z.B. den Universitäten Leipzig und Halle. Insbesondere das Wirken von Christian Thomasius trug durch den Gebrauch der deutschen Sprache und durch die Gründung einer speziellen Zeitschrift (Monats-Gespräche) Ende des 17. Jahrhunderts dazu bei, dass sich eine über Gelehrtenkreise hinausreichende Literaturkritik entwickelte[14]. Es ging Thomasius nicht nur um Information, sondern um „unterhaltsame bis satirische Wissensvermittlung und Urteilsfindung“[15].
Johann Christoph Gottsched wertete die Literaturkritik weiter auf, indem er zunehmend nach Regeln des französischen höfischen Klassizismus bewertete.
„Regelkenntnis und ‚guter Geschmack’ sollten den Kritiker legitimieren, der, gewandt an die Autoren sowie an ein Publikum von Kennern und Interessierten, eine informierend-belehrende und geschmacksbildende Tätigkeit zwischen Kunst und Wissenschaft ausübe, wie Gottsched als kritisierender Dichter-Professor selbst.“[16]
Eine Literaturkritik mit scharfen Argumenten und deutlichen Beispielen, die Mängel und Unstimmigkeiten aktueller literarischer Texte aufdeckt, wird in der Zeit um 1700 entwickelt. Der Student Gottlob Friedrich Wilhelm Juncker geht einen ganz neuen Weg der „Untersuchung“ eines Textes, der einem Verriss mit Grundsätzen und Regeln glich[17].
Immer wieder werden die Eckpfeiler der Literaturkritik festgelegt, wegdiskutiert und verändert. Gotthold Ephraim Lessing war es schließlich, der zu einer neuen literaturkritischen Theorie und Praxis vorstieß. Für ihn sollte eine Beurteilung vom Kunstwerk aus geschehen und nicht wie bisher nach allgemein gültigen Regeln. „Kritik erhielt die Vermittlungsfunktion, ein aus Gelehrten und Kennern wie auch aus interessierten Laien bestehendes Publikum unparteiisch zu informieren und es zu befähigen, selbst denkend mitzuurteilen.“[18] Er wollte so zum öffentlichen Meinungsaustausch anregen, der durch Rezensionen und durch „zahlreiche Kritiken in Form der zeitgenössisch beliebten fiktionalen Freundesbriefe“[19] weiter bestehen sollte. Auch Widerspruch, solange er gut begründet war, ließ Lessing gelten. Für Hans-Georg Werner ist nicht nur deshalb Lessings Leistung als Literaturkritiker „für die weitere literarische Entwicklung Deutschlands bahnbrechend“[20] gewesen. Lessing setzte Maßstäbe durch logische Konsistenz, durch die Übereinstimmung von literaturkritischer Theorie und Praxis, durch Entschiedenheit und Klarheit des sozialen Anspruchs der Literaturkritik und durch die methodische Zweckmäßigkeit seiner Rezensionen[21].
[...]
[1] Thomas Anz und Rainer Baasner (Hg.): Literaturkritik, Geschichte – Theorie – Praxis, München, 2004, S. 7.
[2] Thomas Jung: Alles nur Pop, Anmerkungen zur populären und Popliteratur seit 1990, In: Osloer Beiträge zur Germanistik, Bd. 32, Frankfurt am Main / Berlin / Bern / Bruxelles / New York / Oxford / Wien, 2002, S. 143.
[3] Thomas Anz und Rainer Baasner (Hg.): Literaturkritik, Geschichte – Theorie – Praxis, München, 2004, S. 7.
[4] Wolfgang Albrecht: Literaturkritik, Stuttgart / Weimar, 2001, S. 1.
[5] Ebd., S. 12.
[6] Stefan Neuhaus: Literaturkritik, Eine Einführung, Göttingen, 2004, S. 13.
[7] Thomas Anz und Rainer Baasner (Hg.): Literaturkritik, Geschichte – Theorie – Praxis, München, 2004, S. 194.
[8] René Wellek in Stefan Neuhaus: Literaturkritik, Eine Einführung, Göttingen, 2004, S. 17.
[9] Wolfgang Albrecht: Literaturkritik, Stuttgart / Weimar, 2001, S. 28.
[10] Thomas Anz und Rainer Baasner (Hg.): Literaturkritik, Geschichte – Theorie – Praxis, München, 2004, S. 194.
[11] Wolfgang Albrecht: Literaturkritik, Stuttgart / Weimar, 2001, S. 98.
[12] René Wellek: Grundbegriffe der Literaturkritik, Stuttgart / Berlin / Köln / Mainz, 1965, S. 26.
[13] Thomas Anz und Rainer Baasner (Hg.): Literaturkritik, Geschichte – Theorie – Praxis, München, 2004, S. 17.
[14] Wolfgang Albrecht: Literaturkritik, Stuttgart / Weimar, 2001, S. 98.
[15] Ebd., S. 99.
[16] Ebd., S. 99.
[17] Thomas Anz und Rainer Baasner (Hg.): Literaturkritik, Geschichte – Theorie – Praxis, München, 2004, S. 17.
[18] Wolfgang Albrecht: Literaturkritik, Stuttgart / Weimar, 2001, S. 102.
[19] Ebd., S. 102.
[20] Hans-Georg Werner in: Wilfried Barner (Hg.): Literaturkritik, Anspruch und Wirklichkeit, Stuttgart, 1990, S. 24.
[21] Ebd., S. 24.
- Arbeit zitieren
- Markus Gentner (Autor:in), 2005, Literaturkritik: 'Die Fertigkeit, Werke der schönen Kunst zu beurteilen' am Beispiel von Benjamin von Stuckrad-Barres Soloalbum, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/47348
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