„Die Unternehmen verstehen sich heute auch als eine soziale Einrichtung, in der sich Mitarbeiter frei entfalten können, und sie betonen, dass sie als soziale Institutionen verstanden sein wollen, die die Belange des Gemeinwohls beachten.“ In dieser typischen Charakterisierung des Selbstverständnisses heutiger ökonomischer Organisationssysteme soll ein Zusammenhang zwischen Wirtschaftsgrundlagen und normativen Richtlinien deutlich werden, der mit dem Begriff Wirtschaftsethik beschrieben werden kann. Dieser Zusammenhang wirft zugleich eine Vielzahl problematischer Fragestellungen auf. Inwieweit kann eine Wirtschaft überhaupt „ethisch“ sein und was bedeutet ethisch in diesem Kontext? Warum ist es überhaupt notwendig, einen Zusammenhang zwischen der Ökonomie und der Ethik herzustellen? Welche Gestalt kann eine Wirtschaftsethik annehmen und wie ist diese zu legitimieren? Schließlich, welche Auswirkungen hat diese bspw. auf unternehmerische Entscheidungen und wie sind sie selbst „ethisch“ zu beurteilen?
Die Diskussion um Antworten auf diese Fragen ist sowohl aktuell als auch vielschichtig. Ziel dieses Essays ist es, einen Überblick über die zentralen Probleme eines Zusammenhangs zwischen Wirtschaft und Ethik zu geben und verschiedene Lösungsansätze kurz zu skizzieren. Dabei soll der mögliche prinzipielle Widerspruch zwischen wirtschaftlichen und ethischen Imperativen im Mittelpunkt stehen.
In einem ersten Schritt wird zu diesem Zwecke die Frage gestellt, warum sich überhaupt Wirtschaft mit ethischen Forderungen konfrontiert sieht. Anschließend wird auf mögliche Formen einer Ethik in Unternehmen eingegangen. In einem dritten Schritt werden zwei Möglichkeiten des Umgangs mit dem Gegensatz wirtschaftlicher und ethischer Orientierung untersucht. Abschließend soll angesichts der Unmöglichkeit einer gleichzeitigen und gleichberechtigten Handlungsleitung durch wirtschaftliche und ethische Imperative der Vorschlag abgeleitet werden, durch eine Veränderung der Prämissenhierarchie unter Berücksichtigung von Funktionalitätsaspekten ein wirtschaftsethisches Verhalten zumindest anzudeuten. Es soll bereits an dieser Stelle eingeräumt werden, dass dieser Vorschlag natürlich selbst hinsichtlich seiner Motivation moralischen Charakter aufweist. Allgemeiner formuliert, selbst die Debatte um die „richtige“ Auffassung einer Wirtschaftsethik trägt notwendigerweise normative Züge.
Inhaltsverzeichnis
- Warum Wirtschaft mit ethischen Forderungen konfrontiert ist
- Wirtschaft und Ethik: Einordnung der Begriffe
- Wirtschaftliche Perspektive: Nutzen ethischen Verhaltens
- Gesellschaftliche Perspektive: Legitimationsdruck
- Formen einer Ethik in Unternehmen
- Ethik als unzutreffend für Wirtschaft
- Ethik als Problem "verantwortungsloser Manager"
- Mystifizierung und Relativierung des Ethikbegriffs
- Umgang mit der Unvereinbarkeit von Wirtschaft und Ethik
- Ökonomisierung der Ethik
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Der Essay befasst sich mit dem Spannungsverhältnis zwischen wirtschaftlichen und ethischen Imperativen und untersucht die Möglichkeit eines Zusammenhangs zwischen Wirtschaft und Ethik. Ziel ist es, einen Überblick über die zentralen Probleme und verschiedene Lösungsansätze zu geben.
- Definition und Einordnung von Wirtschaft und Ethik
- Bedeutung ethischen Verhaltens in wirtschaftlichen Entscheidungsprozessen
- Unvereinbarkeit wirtschaftlicher und ethischer Prinzipien in der Praxis
- Strategien des Umgangs mit dem Widerspruch zwischen Wirtschaft und Ethik
- Kritik an der Ökonomisierung der Ethik
Zusammenfassung der Kapitel
Warum Wirtschaft mit ethischen Forderungen konfrontiert ist
Der Autor stellt zunächst die Frage, warum Wirtschaft überhaupt mit ethischen Forderungen konfrontiert ist. Dazu wird zunächst ein grobes Verständnis der Begriffe „Wirtschaft“ und „Ethik“ vermittelt, bevor er auf die Ursachen für die Verknüpfung beider Bereiche eingeht. Aus wirtschaftlicher Perspektive kann die Berücksichtigung ethischer Prinzipien einen Nutzen haben, da sie z.B. den Gewinn oder die Leistung der Mitarbeiter beeinflusst. Aus gesellschaftlicher Sicht steht die Wirtschaft unter einem normativen Legitimationsdruck, was die Frage nach der Verantwortung von wirtschaftlichen Entscheidungen und Handlungen aufwirft.
Formen einer Ethik in Unternehmen
Der Autor diskutiert drei Möglichkeiten, wie Ethik in Unternehmen eingebunden werden kann. Erstens kann Ethik für wirtschaftliche Zusammenhänge als unzutreffend betrachtet werden, wobei eine spezielle Wirtschaftsethik zum Tragen kommt. Zweitens wird die Möglichkeit einer Form der Ethik über eine individuelle Handlungsorientierung hinaus angezweifelt. Drittens wird versucht, der Unvereinbarkeit wirtschaftlicher und ethischer Grundsätze durch eine Mystifizierung und Relativierung des Ethikbegriffs selbst beizukommen.
Umgang mit der Unvereinbarkeit von Wirtschaft und Ethik
Der Autor stellt zwei Strategien vor, mit der Unvereinbarkeit wirtschaftlicher und ethischer Kriterien umzugehen. Eine Strategie ist die „Ökonomisierung der Ethik“, die eine Anpassung ethischer Grundauffassungen an die wirtschaftlichen Kontexte fordert. Der Autor kritisiert diese Strategie und stellt die Frage, ob der Ethik als Vorstellung eines normativen Gesamtzusammenhanges nicht allzu viel Gewalt angetan wird, wenn man sie um wirtschaftsfunktionale Systemaspekte erweitern will.
Schlüsselwörter
Wirtschaftsethik, Wirtschaft, Ethik, ethisches Verhalten, Legitimationsdruck, Unternehmen, Marktmechanismus, Ökonomisierung, Verantwortung, Unternehmensrichtlinien, Verkaufsethik, Entscheidungsfindung
- Arbeit zitieren
- Kai Lehmann (Autor:in), 2004, Wirtschaftsethik?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/47298