Johann Gottfried Schnabels „Wunderliche Fata einiger Seefahrer“, heute meist nur „Insel Felsenburg“ genannt, enthält zwei konträre Auffassungen von Liebe und Sexualität: einerseits die der ‚keuschen, tugendhaften Liebe’ und andererseits die der ‚geilen Brunst’. Demnach gibt es die vernünftige und die unvernünftige Liebe. Letztere kennzeichnet sich z.B. durch Ehrgeiz, Wolllust und Habgier, die zwar negativ assoziiert, aber dennoch stark repräsentiert und daher zu bekämpfen sind. Stark repräsentiert sind sie deshalb, weil sie dem Menschen „anthropologisch eingeschrieben“ sind. Nur durch ihren Gegenpart, die Vernunft, ist diese zu unterdrücken.
Im Folgenden sollen beide Formen erläutert und konkrete Beispiele aus der „Insel Felsenburg“ aufgeführt werden. „So stehen“ im Werk „einander gegenüber die moralisch erbauende, letztlich aber wenig interessante empfindsame Utopie und die interessante Unmoral.“ Letztere entsteht durch unredliches Verhalten. Doch die Affekte – Leidenschaften – „sind es, die das Tun des Menschen bestimmen.“ Durch sie entstehen unter anderem auch Eifersucht und Wolllust.
Zuvor jedoch soll kurz auf den Wertewandel im 18. Jahrhundert eingegangen werden.
Typisch für Robinsonaden ist die überall vorzufindende Abneigung gegen die Unredlichkeit in Europa. Auch die redlichen Protagonisten der „Insel Felsenburg“ sind in Ereignisse involviert, die von den unredlichen entstammen – sie selbst sind also meist unschuldig. Da die Unredlichkeit, die negativen Affekte, in Europa aber omnipotent sind, entfaltet sich der gesellschaftliche Zusammenhang als rechtloser, wird von den Subjekten auch so erfahren. So bietet die Insel Felsenburg den Redlichen Asyl – auch diese Tatsache soll, neben den Lebensgeschichten einiger Bewohner, im Folgenden genauer erläutert werden. Außerdem werden die Maßnahmen genannt, derer sich die Felsenburger bedienen, um ihr Asyl vor Fremden zu schützen.
Schließlich soll der Besonderheit der „Insel Felsenburg“ im Wandel von Robinsonade zu Utopie nachgegangen werden.
Gliederung
1. Einleitung
2. Die Wandlung der Werte im 18. Jahrhundert
3. Die keusche, tugendhafte Liebe
4. Die geile Brunst
5. Lebensgeschichten der Neuankömmlinge, (meist) gezeichnet von Affekten, Trieben und Leidenschaften
6. Die redlichen, tugendhaften, ritterlichen Neuankömmlinge
7. Maßnahmen auf der Insel, um Affekte nicht aufkommen zu lassen
8. Das Veto-Recht der Eltern bezüglich einer Ehe
9. Robinsonade oder Utopie?
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Johann Gottfried Schnabels „Wunderliche Fata einiger Seefahrer“, heute meist nur „Insel Felsenburg“ genannt, enthält zwei konträre Auffassungen von Liebe und Sexualität: einerseits die der ‚keuschen, tugendhaften Liebe’ und andererseits die der ‚geilen Brunst’. Demnach gibt es die vernünftige und die unvernünftige Liebe. Letztere kennzeichnet sich z.B. durch Ehrgeiz, Wolllust und Habgier, die zwar negativ assoziiert, aber dennoch stark repräsentiert und daher zu bekämpfen sind. Stark repräsentiert sind sie deshalb, weil sie dem Menschen „anthropologisch eingeschrieben“[1] sind. Nur durch ihren Gegenpart, die Vernunft, ist diese zu unterdrücken.
Im Folgenden sollen beide Formen erläutert und konkrete Beispiele aus der „Insel Felsenburg“ aufgeführt werden. „So stehen“ im Werk „einander gegenüber die moralisch erbauende, letztlich aber wenig interessante empfindsame Utopie und die interessante Unmoral.“[2] Letztere entsteht durch unredliches Verhalten. Doch die Affekte – Leidenschaften – „sind es, die das Tun des Menschen bestimmen.“[3] Durch sie entstehen unter anderem auch Eifersucht und Wolllust.
Zuvor jedoch soll kurz auf den Wertewandel im 18. Jahrhundert eingegangen werden.
Typisch für Robinsonaden ist die überall vorzufindende Abneigung gegen die Unredlichkeit in Europa. Auch die redlichen Protagonisten der „Insel Felsenburg“ sind in Ereignisse involviert, die von den unredlichen entstammen – sie selbst sind also meist unschuldig. Da die Unredlichkeit, die negativen Affekte, in Europa aber omnipotent sind, entfaltet sich der gesellschaftliche Zusammenhang als rechtloser, wird von den Subjekten auch so erfahren. So bietet die Insel Felsenburg den Redlichen Asyl – auch diese Tatsache soll, neben den Lebensgeschichten einiger Bewohner, im Folgenden genauer erläutert werden. Außerdem werden die Maßnahmen genannt, derer sich die Felsenburger bedienen, um ihr Asyl vor Fremden zu schützen.
Schließlich soll der Besonderheit der „Insel Felsenburg“ im Wandel von Robinsonade zu Utopie nachgegangen werden.
2. Die Wandlung der Werte im 18. Jahrhundert
Noch im 17. Jahrhundert nehmen die Menschen in Europa keine Rücksicht aufeinander. Sie sind einerseits nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht, andererseits wissen sie, dass es den Mitmenschen genauso geht und sie somit selbst ständig der Gefahr ausgesetzt sind, durch andere zu deren Vorteil Schaden zugefügt zu bekommen. „Die ganze damalige Welt scheint uns nach unseren Begriffen eine Welt voller Intriganten zu sein.“[4]
Im 18. Jahrhundert dann wandeln sich die Vorstellungen den Mitmenschen gegenüber: ein ‚soziales’ Gefühlsleben entsteht. Treuebruch, Betrug und Verrat werden als negativ angesehen. Schon in der „Insel Felsenburg“ kündigt sich an, dass ‚Kabale’ und ‚Humanität’ den großen Gegensatz in diesem neuen Zeitalter bilden, wenngleich die ‚Humanität’ sich noch nicht vollends durchgesetzt hat.[5] Dies erklärt, warum alle Neuankömmlinge und Bewohner der Insel nicht mehr nach Europa zurück möchten, das soziale Gefühl auf der Insel schätzen und sich der in Europa noch herrschenden Kabale entziehen möchten.
Albert Julius, Mons. van Leuven, Concordia Plürs und Lemelie, die vier Personen, die zu Beginn auf der Insel landen, stehen aber nicht ausschließlich hinter diesem neuen Gefühlsleben: Lemelie bildet hier die Ausnahme und erschwert so das gemeinschaftliche Zusammenleben auf der Insel (siehe unten).
3. Die keusche, tugendhafte Liebe
Sie ist die auf der Insel ausschließlich geduldete und angestrebte Form der Sexualität. Sie ist vernünftig – ein Aspekt, der zur Zeit der Frühaufklärung, in der das Werk entstand, zentral und hochbedeutsam ist. Das Leben einer solchen Liebe wird in der Regel jedoch durch Affekte, Triebe und Leidenschaften anderer Bürger erheblich erschwert. Dies führt dazu, dass Albert Julius, das Familienoberhaupt auf der Insel, strengstens darauf achtet, diese von der Insel fern zu halten (siehe unten).
Dadurch kann die Einstellung der Inselbewohner als „dem Individuum zur Natur gewordene selbstbestimmte Moralität“[6] bezeichnet und die Liebe Alberts mit seiner Frau Concordia kann Musterbeispiel für die keusche Liebe herangeführt werden. Concordias Beweggründe für die Ehe mit Albert sind vollkommen frei von körperlichen Begehren, sie sind ausschließlich in der Ratio, der Vernunft, zu suchen. So schreibt sie in einem Brief an Albert:
„Ohngeacht ich aber solchergestalt wieder frey und mein eigen bin, so würde mich doch schwerlich zu einer anderweitigen Ehe entschlossen haben, wenn nicht eure reine und hertzliche Liebe mein Hertz aufs neue empfindlich gemacht, und in Erwegung eurer bißherigen tugendhafften Aufführungen dahin gereitzet hätte, mich selbst zu eurer künfftigen Gemahlin anzutragen.“[7]
Albert selbst erkennt, dass er und Concordia – zu diesem Zeitpunkt – die einzig verbliebenen Menschen ihres Alters (Concordia hat eine kleine Tochter, ebenfalls auf den Namen Concordia getauft, aus erster Ehe) auf der Insel sind und macht seinen Wunsch zur – vernünftigen – Fortpflanzung in einem Lied deutlich, das er in Anwesenheit der kleinen Concordia singt, das deren Mutter aber zufällig auch hört:
„[…] wollte doch der Himmel dass du allbereit noch ein Mandel Jahre zurück gelegt hättest, vielleicht wäre meine hefftige Liebe bey die glücklicher als bey deiner Mutter […]. Ach wie vergnügt wollte ich, als ein anderer Adam, meine gantze Lebens-Zeit in diesem Paradiese zubringen, wenn nur nicht meine besten Jugend-Jahre, ohne eine geliebte Eva zu umarmen, verrauchen sollten. Gerechter Himel, warum schenkestu mir nicht auch die Krafft, den von Natur allen Menschen eingepflantzten Trieb zum Ehestande gäntzlich zu ersticken […]. […] denn mein Hertze kennest du ja, und weist, dass meine sehnliche Liebe keine geile Brunst, sondern deine heilige Ordnung zum Grunde hat.“[8]
Albert beteuert so seine natürliche Liebe zu Concordia, jedoch fällt auf, dass er sich lediglich ‚eine andere Frau’ zur Befriedigung seines Triebes zur Fortpflanzung wünscht, weil er meint, Concordia käme als Ehefrau nicht in Frage (er hatte ihr geschworen,
„dass ich euch nicht im geringsten aus einer wollüstigen Absicht, sondern bloß eurer Tugenden wegen liebe, auch alle geile Brunst, […], aufs hefftigste verfluche. […], und sollte ja wider Vermuthen in Zukunfft bey mir etwa eine Lust entstehen, mit eurer Person vereheligt zu seyn, so will ich doch dieselbe, um euch nicht verdrüßlich zu fallen, beständig unterdrücken, […], weiln ich lieber Zeit-Lebens unvergnügt und Ehe-loß leben, als eurer Ehre und Tugend die geringste Gewalt anthun, mir aber in meinem Gewissen nur den kleinesten Vorwurf verursachen wollte.“[9] )
Durch ein vorbeifahrendes Schiff, das er sichtet, kommt schließlich ein starker erotischer Wunsch in ihm auf und er ist verwirrt. Er weiß, dass er Concordia den Schwur geleistet hat, dies führt dazu, dass er sie „lieben muss, sie aber nicht lieben darf.“[10] Hinzu kommt, dass er ihr, wegen seines Eides, auch nicht sagen darf, was ihm auf dem Herzen liegt.[11] Denn Eide galten in der von Trieben und Gewalt gezeichneten Zeit vor 1760 besonders viel.[12] Erst diese Tatsache führt dazu, dass er sein Verlangen verallgemeinert und der kleinen Concordia das Lied singt (siehe oben). Die Wahllosigkeit, mit der er schließlich eine „Eva“ sucht, verdeutlicht sein ausschließlich von der Lust bestimmtes Begehren – die Brunst.[13] Trotzdem nimmt er Concordia’s Antrag nur unter der Voraussetzung an: „wo dasjenige, was mich angehet, keine Versuchung, sondern euren keuschen Hertzens aufrichtige Meinung ist.“[14]
Doch generell ist die Institution der Ehe
„angesiedelt im Bereich des Gegensatzes zwischen bloßer Natur: einer asozialen, […], gesellschaftsfeindlichen, rein egoistischen Triebnatur, deren Index der reine Lustgewinn ist […], und einer ursprünglich gesellschaftsgründenden, vernünftigen Natur, deren Index die Fortpflanzung ist.“[15]
So ist auch dieser Wunsch Alberts zu erklären; sein Wunsch zur Fortpflanzung ist sowohl natürliches Prinzip der Sexualität als auch natürliches Substrat der Ehe.[16]
[...]
[1] Vgl. Fohrmann, S. 190.
[2] Fischer, S. 73.
[3] Fohrmann, S. 78.
[4] Brüggemann, S. 14.
[5] Vgl. Brüggemann, S. 15f.
[6] Fischer, S. 79.
[7] Schnabel, S. 236f.
[8] Schnabel, S. 233.
[9] Schnabel, S. 203f.
[10] Fischer, S. 84; vgl. auch Haas, S. 345.
[11] Vgl. Brüggemann, S. 21.
[12] Vgl. Brüggemann, S. 20.
[13] Fischer, S. 85.
[14] Schnabel, S. 238.
[15] Fischer, S. 81.
[16] Vgl. Fischer, S. 81.
- Arbeit zitieren
- Anika Peschel (Autor:in), 2005, Affekte, Triebe und Leidenschaften - und deren Beherrschung - in Johann Gottfried Schnabel's 'Insel Felsenburg', München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/47244
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