Die Abhandlung „Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache“, die 1931 in der Zeitschrift „Erkenntnis“ erschien, gilt als einer der bedeutendsten Aufsätze der Analytischen Philosophie. In ihr entwickelt Carnap das Programm des logischen Empirismus weiter, das er hauptsächlich in seiner Habilitationsschrift „Der logische Aufbau der Welt“ (1928) und in „Scheinprobleme in der Philosophie. Das Fremdpsychische und der Realismusstreit“ (1928) entworfen hat. Der „Aufbau“ ist Carnaps erster Versuch, die Position des logischen Empirismus zu realisieren; in ihm findet sich Carnaps früheste Metaphysikkritik. In „Scheinprobleme“ formuliert Carnap mit der „Sachhaltigkeit“ einen Vorläufer des Sinnkriteriums, welchem in „Überwindung“ zentrale Bedeutung zukommt. Schon hier stellt Carnap die radikale These auf, dass Sätze, die über die Empirie hinausgehen, sinnlos sind, und bezeichnet Probleme, die mithilfe solcher Scheinaussagen diskutiert werden, als Scheinprobleme. „Überwindung“ ist eine Verfeinerung und Bekräftigung der in „Scheinprobleme“ formulierten Thesen, wobei Carnap besonders gegen die metaphysische Philosophie Heideggers argumentiert. Im Folgenden sollen nun die Thesen und der Gedankengang von „Überwindung“ dargelegt werden.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Autor und Werk
1.2 Charakterisierung des Aufsatzes
2 Zu „Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache“
2.1 Überblick
2.2 Erste Etappe: Viele Sätze der Metaphysik sind sinnlos
2.2.1 Ein Satz mit mindestens einem Wort ohne Bedeutung
ist sinnlos
2.2.2 Ein Satz, der in syntaxwidriger Weise zusammengesetzt
ist, ist sinnlos
2.3 Zweite Etappe: Alle Sätze der Metaphysik sind sinnlos
2.4 Dritte Etappe: In der Metaphysik kann es niemals sinnvolle
Sätze geben
2.5 Folgen für die Philosophie, insbesondere für die Metaphysik
2.5.1 Die neue Aufgabe der Philosophie
2.5.2 Existenzberechtigung für die Metaphysik: Ausdruck eines Lebensgefühls
3 Ausblick
4 Literaturverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Autor und Werk
Paul Rudolf Carnap wurde am 18. Mai 1891 in Ronsdorf bei Wuppertal geboren. Von 1910 bis 1914 studierte er in Jena und Freiburg Physik und Philosophie bei Hermann Nohl, dem Neukantianer Bruno Bauch (bei dem Carnap 1921 mit einer Dissertation über „Der Raum. Ein Beitrag zur Wissenschaftslehre“ promovierte) und dem zu dieser Zeit weitgehend unbekannten Logiker Gottlob Frege. Ab 1926 war Carnap Privatdozent in Wien, von 1931 an außerordentlicher Professor für Naturphilosophie in Prag. In dieser Zeit entwickelte er einen engen Kontakt zu Moritz Schlick, Otto Neurath und (zeitweilig) Ludwig Wittgenstein. Ende 1935 floh Carnap vor den Nationalsozialisten nach Amerika, wo er von 1936 bis 1952 in Chicago lehrte und – nach Zwischenstationen in Harvard und Princeton – 1954 als Professor für Philosophie Nachfolger Hans Reichenbachs in Los Angeles wurde, den er 1923 auf einer Tagung in Erlangen kennengelernt hatte. Carnap avancierte zu einem der einflussreichsten Philosophen der Vereinigten Staaten. Am 14. September 1970 starb er im kalifornischen Santa Monica.[1],[2]
Der Sprachphilosoph, Logiker und Wissenschaftstheoretiker Carnap gilt als ein herausragender Vertreter des „Wiener Kreises“, einer um 1925 entstandenen Diskussionsrunde, an deren wöchentlichen Treffen neben Carnap auch u. a. Schlick, Neurath, Hans Hahn, Herbert Feigl und Kurt Gödel teilnahmen. Der vom „Wiener Kreis“ propagierte „logische Empirismus“ (auch: „logischer Positivismus“) steht in der Tradition des klassischen Empirismus, nach welchem Erkenntnis nur durch Erfahrung erlangt werden kann oder auf analytischen Voraussetzungen beruht. Im Gegensatz zu jenem beschäftigt sich der logische Empirismus jedoch einerseits intensiv mit der Sprache, mit dem Ziel, durch logische Analyse der Sprache bestimmte philosophische Probleme zu lösen oder ganz zum Verschwinden zu bringen, andererseits mit der Anwendung der formalen Logik auf die empirischen Wissenschaften.[3]
Ausgangspunkt für Carnaps eigene Arbeiten bildeten die Werke von Bertrand Russell/Alfred North Whitehead („Principia Mathematica“, 1910-1913) und Ludwig Wittgenstein („Tractatus-Logico-Philosophicus“, 1921). Seine philosophische Tätigkeit lässt sich grob in drei Phasen einteilen: Nach der Grundlegung und dem Ausbau der Positionen des logischen Empirismus („Der logische Aufbau der Welt“, 1928) widmete er sich der Konstruktion formaler Sprachen mit dem Ziel, größere Klarheit bei der Formulierung wissenschaftlicher und philosophischer Probleme zu ermöglichen („Logische Syntax der Sprache“, 1934), bevor er sich schließlich mit dem Problem der Induktion beschäftigte („Induktive Logik und Wahrscheinlichkeit“, 1959).[4]
Sein Werk umfasst außerdem Arbeiten zu Objekt- und Metasprache sowie zu Extension und Intension eines Begriffs, wobei es ihm gelang, den Begriff der Intension durch semantische Analyse präziser zu fassen.[5] Überhaupt wären „ die moderne Wissenschaftstheorie, Sprachphilosophie und Logik […] in ihrer heutigen Form ohne die Bemühungen Carnaps undenkbar “[6].
1.2 Charakterisierung des Aufsatzes
Die Abhandlung „Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache“, die 1931 in der Zeitschrift „Erkenntnis“ erschien, gilt als einer der bedeutendsten Aufsätze der Analytischen Philosophie. In ihr entwickelt Carnap das Programm des logischen Empirismus weiter, das er hauptsächlich in seiner Habilitationsschrift „Der logische Aufbau der Welt“ (1928) und in „Scheinprobleme in der Philosophie. Das Fremdpsychische und der Realismusstreit“ (1928) entworfen hat. Der „Aufbau“ ist Carnaps erster Versuch, die Position des logischen Empirismus zu realisieren; in ihm findet sich Carnaps früheste Metaphysikkritik.[7] In „Scheinprobleme“ formuliert Carnap mit der „Sachhaltigkeit“ einen Vorläufer des Sinnkriteriums, welchem in „Überwindung“ zentrale Bedeutung zukommt. Schon hier stellt Carnap die radikale These auf, dass Sätze, die über die Empirie hinausgehen, sinnlos sind, und bezeichnet Probleme, die mithilfe solcher Scheinaussagen diskutiert werden, als Scheinprobleme.[8]
„Überwindung“ ist eine Verfeinerung und Bekräftigung der in „Scheinprobleme“ formulierten Thesen, wobei Carnap besonders gegen die metaphysische Philosophie Heideggers argumentiert. Im Folgenden sollen nun die Thesen und der Gedankengang von „Überwindung“ dargelegt werden.
2 Zu „Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache“
2.1 Überblick
Hat Carnap in „Scheinprobleme“ die Metaphysik mit erkenntnistheoretischen Argumenten zu widerlegen versucht, so tritt er in „Überwindung“ mit dem Anspruch auf, ihre Sinnlosigkeit mit den Mitteln der Logik streng beweisen und sie so – der Titel sagt es bereits – „überwinden“ zu können.
Zu diesem Zweck zeigt Carnap zunächst, dass viele – später: alle – metaphysische Sätze sinnlos sind. Er stellt dazu Kriterien auf, unter denen allein ein Satz sinnvoll wird, und zeigt dann, dass die Sätze der Metaphysik diese Kriterien nicht erfüllen.
In einem weiteren Schritt zeigt er, dass es überhaupt keine sinnvollen metaphysischen Sätze geben kann, was sich in der Aufgabe begründet, die sich die Metaphysik selbst stellt. Schließlich skizziert Carnap den Nutzen, der für die Metaphysik nach ihrer Enthüllung als sinnlose philosophische Disziplin noch übrig bleibt.
2.2 Erste Etappe: Viele Sätze der Metaphysik sind sinnlos
Carnaps Ziel ist vorerst zu zeigen, dass viele Sätze der Metaphysik sinnlos sind. Unter einem sinnlosen Satz („Scheinsatz“) versteht Carnap eine Wortreihe, „ die […] gar keinen Satz bildet “[9]. Sie besitzt zwar die grammatikalische Form wie ein sinnvoller Satz, drückt jedoch „ weder einen bestehenden noch einen nicht bestehenden Sachverhalt “[10] aus.[11]
Carnap nimmt an, dass sich eine Sprache konstituiert aus Wörtern und den Regeln der Wortverknüpfung, der Syntax. Deshalb handelt es sich bei einem Satz dann um einen Scheinsatz, wenn in ihm entweder mindestens ein Wort vorkommt, das keine Bedeutung hat, oder wenn seine Wörter zwar Bedeutung besitzen, diese aber auf syntaxwidrige Weise zusammengesetzt sind.[12]
2.2.1 Ein Satz mit mindestens einem Wort ohne Bedeutung ist sinnlos
Carnap gibt zwei Bedingungen an, die erfüllt sein müssen, damit ein Wort eine Bedeutung besitzt. Zum einen „ muß die Syntax des Wortes festliegen “[13], d. h. es muss sich ein Elementarsatz bilden lassen, in welchem das betreffende Wort als Prädikator auftritt („x ist eine Uhr“).[14] Carnap folgt hierbei dem von Frege postulierten Kontextprinzip, wonach Wörter nur im Zusammenhang eines Satzes etwas bedeuten.[15]
Zum anderen muss das Sinnkriterium für das Wort festgesetzt sein. Es ist festgesetzt, wenn sich eine der folgenden Fragen beantworten lässt, die an den Elementarsatz S des betreffenden Wortes gestellt werden:
„ 1. Aus was für Sätzen ist S ableitbar und welche Sätze sind aus S ableitbar?
2. Unter welchen Bedingungen soll S wahr, unter welchen falsch sein?
3. Wie ist S zu verifizieren?
4. Welchen Sinn hat S? “[16]
Diese vier Fragen sieht Carnap als zueinander äquivalent an – sie alle stellen die Frage nach der prinzipiellen Überprüfbarkeit von S, passen sich dabei aber verschiedenen Redeweisen an.[17]
Dieses Sinnkriterium ist hinreichende und notwendige Bedingung dafür, dass ein Wort eine Bedeutung besitzt. Daraus folgt somit einerseits, dass Sätze, in denen ein Wort vorkommt, für das kein Kriterium festgesetzt ist, Scheinsätze sind, andererseits, dass ein Wort, das eine Bedeutung besitzt, keine darüber hinausgehende Bedeutung haben kann.[18] Carnap erläutert dies durch die Analyse des Wortes „babig“, einer Wortneuschöpfung, für die kein Kriterium festliegt, und durch die Analyse des Wortes „bebig“, einer Wortneuschöpfung, die zwar eine Bedeutung, jedoch keine über diese hinausgehende Bedeutung besitzt.[19]
Zur genaueren Erklärung führt er zwei Beispiele für metaphysische Wörter an, die überhaupt keine bzw. keine über die verifizierbare Bedeutung hinausgehende Bedeutung besitzen. So ist das Wort „Gott“ (im metaphysischen Sinn) ein typischer „babig“-Fall. Die mythologische Bedeutung ist dem Wort genommen, ihm aber keine neue Bedeutung gegeben worden, wodurch das Wort bedeutungslos geworden ist. Metaphysische Definitionen des Wortes, die vorgeben, ihm eine Bedeutung zu verleihen, erweisen sich allesamt als Scheindefinitionen, da sie auf unzulässige Wortverbindungen oder auf andere metaphysische Wörter, nicht jedoch auf Wahrheitsbedingungen rekurrieren. Zudem bestreitet der Metaphysiker, dass sich der Elementarsatz zu „Gott“ („x ist ein Gott“) angeben lässt, was eine der beiden elementaren Bedingungen dafür ist, dass das Wort eine Bedeutung hat. Das Wort „Gott“ ist somit frei von jeglicher Bedeutung.[20]
[...]
[1] Vgl. Mormann (2000), 13-37, 215.
[2] Vgl. Demmerling (2003).
[3] Vgl. ebd.
[4] Vgl. ebd.
[5] Vgl. Mormann (2000), 155-169.
[6] Demmerling (2003).
[7] Vgl. Mormann (2000), 68.
[8] Vgl. Demmerling (1999).
[9] Carnap, 220.
[10] Carnap, 228.
[11] Vgl. Carnap, 220.
[12] Vgl. ebd.
[13] Carnap, 221.
[14] Vgl. ebd.
[15] Vgl. Prechtl (2004a).
[16] Carnap, 221f.
[17] Vgl. Carnap, 222.
[18] Vgl. Carnap, 223.
[19] Vgl. Carnap, 223f.
[20] Vgl. Carnap, 225f.
- Arbeit zitieren
- Michael Marquardt (Autor:in), 2005, Über Rudolf Carnaps "Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/46851
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