Im Jahr 1970 trafen in München die sechs Außenminister der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zum ersten mal im Rahmen der Europäischen Politischen Zusammenarbeit aufeinander. Das Thema des Treffens: Der Nahe Osten.
Dieses chronistische Detail verrät, mit welcher Brisanz und Wichtigkeit der Nahostkonflikt früher in der Europäischen Gemeinschaft und heute in der Europäischen Union behandelt wurde und wird. Im Laufe der 1970er-Jahre konzentrierten sich die Anstrengungen um gemeinsame außenpolitische Standpunkte tatsächlich fast ausschließlich auf die Nahostfrage. Divergierten die Meinungen und Haltungen der Einzelstaaten zum Start der EPZ noch erheblich voneinander, erstrahlte ab Mitte der 70er-Jahre tatsächlich eine nicht unerhebliche interne Konvergenz. Leider kam das Experiment, daß die EPZ im Nahen Osten versuchte am Ende des Jahrzehnts zu einem traurigen Ende, doch seit den 1990er-Jahren und dem Beginn der GASP blühen die gemeinsamen Verhandlungsversuche wieder auf, ja, seit 1993 versucht die Union sogar, sich aus den Gefilden der deklaratorischen und symbolischen Politik herauszuwinden und tatsächlich konkrete politische Ergebnisse zu produzieren.
Diese Arbeit versucht, den Entwicklungsgang der EU in ihrer gemeinsamen Nahostpolitik seit dem Startschuß der EPZ in Jahren 1969 und 1970 nachzuvollziehen, ohne dabei die Probleme und Versäumnisse, die dabei gemacht wurden, außer Acht zu lassen, aber nicht auch ohne auf die Chancen und Vorteile, die eine gemeinsamen Politik für Europa, den Nahen Osten, die ganze Welt hinzuweisen.
Aufgrund der sich fast täglich ändernden Situation im Nahen Osten wurde der Zeitraum klar eingegrenzt: Mit dem Beginn der Al-Aksa-Intifada und Start des Nahostquartetts endet der Untersuchungszeitraum.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. Europäische Nahostpolitik: Motive
2. Genese einer gemeinsamen Außenpolitik: Die EPZ
2.1 Ausgangslage in den EG-Staaten vor dem DRITTEN israelisch-arabischen Krieg
2.2 Die Begründung der Europäischen Politischen Zusammenarbeit
2.3 Auswirkungen der Ölkrise
2.4 Der EG-Gipfel von Kopenhagen
2.5 Der Euro-Arabische Dialog
2.6 Die EPZ und der Nahostfriedensprozeß am Ende des Jahrzehnts
2.7 Die Erklärung von Venedig und ihre Folgen
2.8 Das Ende der europäischen Initiativen in den 1980er Jahren
2.9 Bilanz
3. Die EU und der Nahostkonflikt von 1993 bis 2000
3.1 Die GASP
3.2 Bilanz
4. EU-Nahost-Politik nach dem Ausbruch der Zweiten Intifada
4.1 Reaktionen auf den Gewaltausbruch
4.2 Das Nahostquartett
5. Europäische Nahostpolitik: Bewertung und Ausblick
ANHANG
a. Historischer Umriß des Nahostkonflikts
1. Von den Anfängen der zionistischen Bewegung bis zum Teilungsplan der UNO
1.1 Die Zionistische Bewegung
1.2 Arabischer Nationalismus in Palästina
2. Die ersten drei israelisch-arabischen Kriege und ihre Bedeutung für die israelische, palästinensische und arabische Position
2.1 Erster israelisch-arabischer Krieg
2.2 Zweiter israelisch-arabischer Krieg (‚Suezkrieg’)
2.3 Dritter israelisch-arabischer Krieg (‚Sechstagekrieg’, ‚Junikrieg’)
3. Der vierte israelisch-arabische Krieg und die Ölkrise
3.1 Vierter israelisch-arabischer Krieg (‚Yom-Kippur-Krieg’)
3.2 Die Ölkrise
b. Tabellen
c. Quellenverzeichnis
Einleitung
Im Jahr 1970 trafen in München die sechs Außenminister der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zum ersten mal im Rahmen der Europäischen Politischen Zusammenarbeit aufeinander. Das Thema des Treffens: Der Nahe Osten.
Dieses chronistische Detail verrät, mit welcher Brisanz und Wichtigkeit der Nahostkonflikt früher in der Europäischen Gemeinschaft und heute in der Europäischen Union behandelt wurde und wird. Im Laufe der 1970er-Jahre konzentrierten sich die Anstrengungen um gemeinsame außenpolitische Standpunkte tatsächlich fast ausschließlich auf die Nahostfrage. Divergierten die Meinungen und Haltungen der Einzelstaaten zum Start der EPZ noch erheblich voneinander, erstrahlte ab Mitte der 70er-Jahre tatsächlich eine nicht unerhebliche interne Konvergenz. Leider kam das Experiment, daß die EPZ im Nahen Osten versuchte am Ende des Jahrzehnts zu einem traurigen Ende, doch seit den 1990er-Jahren und dem Beginn der GASP blühen die gemeinsamen Verhandlungsversuche wieder auf, ja, seit 1993 versucht die Union sogar, sich aus den Gefilden der deklaratorischen und symbolischen Politik herauszuwinden und tatsächlich konkrete politische Ergebnisse zu produzieren.
Diese Arbeit versucht, den Entwicklungsgang der EU in ihrer gemeinsamen Nahostpolitik seit dem Startschuß der EPZ in Jahren 1969 und 1970 nachzuvollziehen, ohne dabei die Probleme und Versäumnisse, die dabei gemacht wurden, außer Acht zu lassen, aber nicht auch ohne auf die Chancen und Vorteile, die eine gemeinsamen Politik für Europa, den Nahen Osten, die ganze Welt hinzuweisen.
Aufgrund der sich fast täglich ändernden Situation im Nahen Osten wurde der Zeitraum klar eingegrenzt: Mit dem Beginn der Al-Aksa-Intifada und Start des Nahostquartetts endet der Untersuchungszeitraum.
1. Europäische Nahostpolitik: Motive
Vitales Interesse verbindet die Europäische Union mit dem Konfliktherd Naher Osten. Durch die geographische Nähe von großer geostrategischer und sicherheitspolitischer Bedeutung sind Frieden und Stabilität in dieser Region für die Union ein Ziel, was stets ihre außenpolitischen Agenden bestimmt hat.[1] Aber die Motive für eine gemeinsame europäische Nahostpolitik sind vielerlei Natur: Zuforderst trägt Europa eine historisch-moralische Verantwortung gegenüber Israel und dessen Nachbarstaaten. Schließlich wurde der Nahe Osten durch frühere europäische Interventionen wie „den Kolonialismus, die Weltkriege und ihre Folgen für die regionale Mächtekonstellation, der Holocaust, die Staatsgründung Israels und die europäische Beteiligung an der Austragung des Kalten Kriegs“[2] nicht nur geprägt sondern nachhaltig geformt. Darüber hinaus spielen auf der politischen Ebene die pazifistischen und normativen Dogmen innerhalb der Union ein: die Wahrung des Völkerrechts und der Menschenrechte und die Integration der zehn Millionen Immigranten nahöstlicher oder nordafrikanischer Herkunft in die EU.[3]
Nicht zuletzt sei auch die umfangreiche wirtschaftliche Dimension aufzuzählen. Die EU ist der stärkste wirtschaftliche Akteur im Mittelmeerraum und hat somit auch eine ökonomische Verantwortung gegenüber seinen Nachbarn. Die ökonomischen Interdependenzen, die sich aus den Verbindungen zum Maghreb und zum Nahen Osten erschließen, reichen von zollrechtlichen Sonderprivilegien für Marokko bis hin zu einem etwaigen EU-Beitritt Israels.[4]
Auch darf nicht außer Acht gelassen werden, daß der Nahe Osten von großem geostrategischen Interesse für Europa ist. Angestrebtes europäisches Politikziel ist es, zu ‚Sicherheit und Stabilität’ in den Nachbarregionen zu führen, zu denen Nahost ohne Frage zählt. Dieses Programm soll auch die Sicherheit der EU gewährleisten. Mit dem EU-Beitritt Zyperns ist Israel nur noch 250 Kilometer von den EU-Außengrenzen entfernt.[5]
Isabell Schäfer schließt dementsprechend auch ihren Statusbericht über die europäischen Handlungsalternativen und den Nahostkonflikt : „Europa hat gar keine andere Wahl, als sich an den Aufräumarbeiten dieses historischen Scherbenhaufens zu beteiligen.“[6]
2. Genese einer gemeinsamen Außenpolitik: Die EPZ
2.1 Ausgangslage in den EG-Staaten vor dem 3. israelisch-arabischen Krieg
Bis zum Ausbruch des dritten israelisch-arabischen Krieges gab es keinen Ansatz einer gemeinsamen europäischen Nahostpolitik. Dies lag in nicht geringem Maße daran, daß nicht jedes europäische Land überhaupt so etwas wie eine Nahostpolitik verfolgte; zudem gingen die Meinungen der ‚Sechs’ die Nahostfrage betreffend stark auseinander:
Frankreich fühlte sich durch seine ehemaligen kolonialen und aktuellen wirtschaftlichen Bindungen zum arabischen Maghreb traditionell als Mittler zwischen Orient und der westlichen Welt; es erklärte 1967 - in Anlehnung an die strittige Anerkennungsfrage Israels und Palästinas -, daß jeder Staat in der Region ein Existenzrecht habe, und daß es seine Unterstützung für einen Staat sofort einstellen würde, falls dieser einen anderen angreife.[7] Als der Krieg ausbrach verurteilte Frankreich Israel und stärkte den Arabern bei der UNO den Rücken.[8] Auch Italien hatte aufgrund seiner Vis-à-vis-Lage mit der arabischen Welt großes Interesse an guten Beziehungen. Die Bundesrepublik Deutschland wurde von Israel permanent an seine durch den Holocaust bedingte ‚spezielle Verantwortung’ für die Juden erinnert[9] ; deshalb hielt sich die BRD im Nahen Osten stets im Hintergrund. Trotzdem bekundete Deutschland aber stets sein Interesse an einer endgültigen Regelung des Konflikts, welche den Status des Staates Israel sichern sollte und gleichzeitig eine friedliche Koexistenz zwischen Palästinensern und Israelis ermöglichen sollte. Als Deutschland damit begann, Waffen sowohl nach Israel als auch in die arabische Welt zu exportieren, mußte die Regierung sich in der Nahostfrage jedoch weiter zurückhalten.[10] Ähnlich verhielt es sich in den Niederlanden. 70% der niederländischen Juden wurden während des Zweiten Weltkrieges getötet; aus dieser Verantwortung heraus verfolgten die Niederländer eine eher pro-israelische Politik, die aber, ähnlich der belgischen, im Einklang mit den UN und dem Völkerrecht stehen sollte. Luxemburg hatte zur damaligen Zeit keine relevanten Beziehungen zum Nahen Osten. Großbritannien, das mit Irland und Dänemark 1973 zur Gemeinschaft stoßen sollte, war im Nahen und Mittleren Osten stets präsent, verfolgte aber eine sehr ambivalente Politik. Bestes Beispiel dafür war die in den 1920er Jahren abgegebene ‚Balfour-Erklärung’ und die gleichzeitige Bekundung, Befürworter arabischer Unabhängigkeit zu sein. Großbritannien hatte zudem aufgrund seiner Vergangenheit als Mandatsmacht in Palästina weder gute Beziehungen zu Israel[11] noch zu den Palästinensern. Es war demnach bestenfalls als neutral zu bezeichnen.
An dieser Stelle sei hervorzuheben, daß zu Beginn des Sechstagekrieges eigentlich nur die drei großen Staaten Europas - Deutschland, Frankreich und Großbritannien - eine wirkliche Nahostpolitik verfolgten – und gerade diese drei unterschieden sich von ihren Positionen her extrem. Eine koordinierte gemeinsame EG-Außenpolitik war nicht existent; noch beim Gipfel von Rom, kurz vor dem Ausbruch des Sechstagekrieges, waren die nationalen Interessen der Mitgliedsstaaten nicht zu vereinbaren.[12] Der deutsche Kanzler Kurt Georg Kiesinger erklärte später: „I felt ashamed at the Rome summit. Just as the war [der Sechstagekrieg] was on the point of breaking, we could not even agree to talk about it.“[13]
2.2 Die Begründung der Europäischen Politischen Zusammenarbeit
Auf den europäischen Gipfelkonferenzen von Den Haag 1969 und Luxemburg 1970 wurde die Europäische Politische Zusammenarbeit (EPZ) begründet und ihr ein formales Instrumentarium gewährt. Die EPZ sollte die Außenminister und Auswärtigen Dienste der EG zusammenwirken lassen, und den EG-Staaten „durch regelmäßige Unterrichtung und Konsultationen eine bessere gegenseitige Verständigung über die großen Probleme der internationalen Politik (...) gewährleisten“[14], das hieß, der EG auch auf außenpolitischem Gebiet Kommunikations- und Handlungsfähigkeit zu verleihen[15], und mit „einer Stimme zu sprechen“[16]. Eines der ersten und wichtisten Themen auf der Agenda der EPZ war der Nahostkonflikt.[17]
Innerhalb des Rahmenwerkes der EPZ wurde 1971 das sogenannte ‚Schumann-Dokument’[18] als Lösungsagenda zur Nahostfrage verabschiedet. Es lehnte sich an die pro-arabische französische Position an: Die im Sechstagekrieg von Israel okkupierten Gebiete sollten an die arabischen Staaten zurückgegeben werden, während die arabischen Staaten im Gegenzug den Staat Israel offiziell anerkannten. UN-Friedenstruppen sollten in einer demilitarisierten aus israelischem und arabischem Territorium bestehenden Zone stationiert werden, die Palästinenserfrage gelöst werden. Außerdem wurde freie Schiffahrt sowohl auf dem geschlossenen Suezkanal als auch auf der Straße von Tiran gefordert.[19] Somit ging das Papier mit der VN-Resolution 242 einher, die von Israel nicht anerkannt wurde.
Der Status des Dokuments war ungewiß: Während Frankreich in ihm eine klare Politikvorgabe sah, betrachteten andere, wie Deutschland oder die Niederlande, es eher als informelles Arbeitspapier.[20] Trotzdem war das „Schumann-Dokument“ nicht ohne Bedeutung: Zum ersten mal war es gelungen, die Haltungen der EG-Staaten (sowie der Kandidaten Großbritannien, Irland, Dänemark und Norwegen, die das Papier auch absegneten) den Nahen Osten betreffend zu koordinieren und vereinen[21] - in einer Weise, daß sich die Beziehungen zu Israel merklich verschlechterten. Anzumerken ist außerdem, daß das „Schumann-Dokument“ auf keinen Fall eine aktive Rolle der Gemeinschaft im Nahen Osten vorsah - vielmehr sollte lediglich die Funktion und Reichweite der EPZ getestet werden.[22]
Nach dem ‚Schumann-Dokument’ gab es bis Oktober 1973 keine weitere gemeinsame Erklärung den Nahen Osten betreffend, jedoch schienen sich die Haltungen der inzwischen neun EG-Staaten in eine pro-arabische Richtung zu entwickeln. Die Beziehungen zu Israel verschlechterten sich beiderseitig immer weiter. Willy Brandt besuchte beispielsweise 1972 das Land, um zu erklären, daß Deutschland die ‚spezielle’ und ‚privilegierte’ Natur seiner Beziehungen zu Israel zugunsten einer objektiveren ablegen wolle.[23]
2.3 Auswirkungen der Ölkrise
Als der ‚Yom-Kippur-Krieg’ im Oktober 1973 überraschend ausbrach, kamen abermals die sich stark unterscheidenden Haltungen der Europäer ans Tageslicht. Auf der einen Seite machten die Niederlande Ägypten und Syrien für die Feindlichkeiten verantwortlich, auf der anderen nahm Frankreich seinen anti-israelischen Standpunkt wieder auf. Wieder andere verlangten nach sofortigen Konsultationen innerhalb der Gemeinschaft oder wollten Interventionen seitens der VN oder des Sicherheitsrats. Alles worauf man sich einigen konnte war ein vager Ruf nach einer Feuerpause und eine Lösung basierend auf der VN-Resolution 242.[24]
„The Arab-Israeli conflict thus highlights the fragility of the European edifice and the difficulties of political cooperation. It shows Europe in its true light, too prosperous to be aware of the dangers which threaten it, too unconcerned to take the bull by the horns and too divided to take joint decisions.”[25]
Waren die Europäer vom Kriegsausbruch schon sehr überrascht worden, wurden sie von dem ihm folgenden Ölembargo regelrecht geschockt.[26] Während vor dem ‚Yom-Kippur-Krieg’ nur wenige europäische Staaten eine wirkliche Nahostpolitik gehabt hatten, hatten nun alle eine – alle waren abhängig von den arabischen Ressourcen (die EG importierte 60% ihres Öls aus den arabischen Staaten), und alle fürchteten die Mutierung des regionalen Konflikts in einen globalen. Davon abgesehen hatten die EG-Mitgliedsstaaten auch andere, nicht minder wichtige wirtschaftliche Interessen in der Region (9% des EG-Exports ging in die arabischen Staaten) und weiterhin bestand manifestes Interesse daran, die sowieso in Richtung Ostblock tendierenden arabischen Staaten vom Einfluß der Sowjetunion so weit wie möglich fernzuhalten. Nicht zuletzt existierte natürlich auch noch der normativen Aspekt die Palästinenserfrage betreffend.[27] Was wäre also naheliegender gewesen, als nun eine gemeinsame europäische Position im Nahen Osten zu manifestieren? Das Ölembargo zeigte sich den Europäern jedoch nicht mit dem gleichen Gesicht: Die OPEC kategorisierte die Einzelstaaten der Gemeinschaft in einem Meisterstück der Diplomatie in freundliche, neutrale und feindliche Staaten. Freundliche Staaten (Frankreich und Großbritannien) blieben von den Sanktionen verschont, gegenüber neutralen Staaten (Belgien, Dänemark, Deutschland, Irland, Italien und Luxemburg) wurde die ‚5%-cut-back-sanction’ verhängt, feindlich klassifizierten Staaten (den Niederlanden [und den Vereinigten Staaten]) wurde das Öl gänzlich verwehrt.[28]
Auch wegen der relativen Erfolglosigkeit vorangegangener gemeinsamer Versuche in der Nahostfrage fielen die EG-Staaten nun anstatt zu kooperieren zunächst auf das der neorealistischer Tradition entsprechende Selbsterhaltungsprinzip (‚nation-state-alone-in-the-world’) zurück. Ende Oktober appellierte schließlich der französische Staatspräsident George Pompidou an die Gemeinschaft, endlich kollektiv zu Handeln – mit Erfolg. Das Resultat war die ‚6 November EPC Declaration on the Middle East’, in welcher die Gemeinschaft ihre Haltung im Nahen Osten kund tat. Sie machte abermals einen großen Schritt in Richtung französische Position, denn die Erklärung interpretierte die VN-Resolutionen 242 und 338 (vom Oktober 1973) in einer sehr pro-arabischen Weise: Unter anderem wurde erneut gefordert, daß Israel die seit dem Sechstagekrieg besetzten Gebiete zurückgab, und das arabisch-israelische Verhandlungen im Rahmen der VN stattfänden (obwohl Israel nach wie vor die VN-Resolutionen ablehnte). Außerdem sei Frieden nur möglich, wenn die ‚legitimen Rechte der Palästinenser’ gewahrt werden würden. Diese spezielle Terminologie war bis dato nur von arabischen Staaten benutzt worden.[29]
Die Erklärung verfehlte nicht ihr Ziel. Beim ‚6th Arab summit’, einem Treffen der arabischen Staatschefs in Algerien wenige Tage später, wurde prompt die „tiefe Verbindung der Zivilisationen über das Mittelmeer hinweg“[30], das Vertrauen und die gegenseitige profitable Zusammenarbeit mit Europa gelobt. Das Ölembargo wurde größtenteils aufgehoben.[31]
In Europa selbst waren die Reaktionen kritischer. Die jüdischen Gemeinden in Frankreich und Großbritannien waren bestürzt, insbesondere in Deutschland, den Niederlanden und Dänemark wurden von empörten Parlamenten Erklärungen für das Verhalten ihrer Außenpolitiker gefordert. Trotzdem waren diese zumindest aufgrund einer Tatsache zufrieden mit der Erklärung: Es war ihnen zum ersten mal gelungen, auf einem sehr wichtigen und akuten Politikfeld eine gemeinsame Erklärung abzugeben, ein erstes konkretes Ergebnis des politischen Kooperationsprozesses. Darüber hinaus illustrierte die Erklärung vom 6. November (gerade vor dem Hintergrund der Proteste in den einzelnen Staaten) einen weiteren Fortschritt: „namely the ability [of the EPC] to shift the forum of foreign policy-making outside the national capitals thereby avoiding possible internal restraints and more importantly raising the reflexive element (European Unitiy etc.) as a justification for a posture which might not not have been possible for a government to adopt independently at home.”[32]
Die israelische Antwort auf die Erklärung war scharf: In einem Communiqué erklärte Außenminister Abba Eban am 9. November, die Erklärung meine ‚Öl für Europa’ und nicht ‚Friede für den Nahen Osten’.
Die ‚6 November EPC Declaration on the Middle East’ und die darauf folgende Reaktion der arabischen Staaten ebneten den Weg für den Euro-Arabischen Dialog.
2.4 Der EG-Gipfel von Kopenhagen
Trotz des kurzfristigen Abwendens der ressourcenbedingten Katastrophe, war die Energiepolitik nun Thema in Europa. Das Europäische Parlament verabschiedete in einer nächtlichen Sitzung vom 12. auf den 13. November eine Resolution, die dem Rat und den Mitgliedsstaaten nahelegte, eine ‚Common Energy Policy’ ins Leben zu rufen, weiter Lösungen für das globale Energieproblem zu finden, sowie neue Energiequellen zu erschließen.[33] Dieser Ansatz scheiterte jedoch. Auf der regulären Gipfelkonferenz von Kopenhagen vom 14. und 15. Dezember 1973 wurde keine Einigkeit in der Energiefrage erreicht. Das lag unter anderem daran, daß die Interessenlage von Staaten, die große Ölkonzernen beherbergten (Großbritannien, Frankreich, die Niederlande), und die deshalb eine liberale Ölpolitik befürworteten, mit denen die eine dirigistische Politik im Vordergrund sahen, stark divergierte.
Auf dem EG-Gipfel wurde auf Initiative Großbritanniens und Frankreichs hin weiter vereinbart, daß eine ‚spezielle Beziehung’ zu den arabischen Staaten aufgebaut werden sollte. Außerdem wurde die ‚6 November EPC Declaration on the Middle East’ nochmals abgesegnet und gefordert, Verhandlungen mit den OPEC-Staaten zu eröffnen: „their Heads of State and Government attached great importance to opening negotiations with the oil producers on overall arrangements including a wide range of co-operation...“[34]. In Anbetracht der Tatsache, daß die Vereinigten Staaten nur wenige Tage zuvor einen Versuch gestartet hatten, eine ‚consumers’ front’[35] gegen die OPEC zu formieren, können diese Politikziele als herausragende Ergebnisse kontra-amerikanischer französischer Diplomatie gesehen werden.[36]
[...]
[1] Sterzing, Christian (2004): Bewährungsprobe für die GASP. Die EU und der Nahe Osten, Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik e.V., http://www.weltpolitik.net/print/885.html [6.7.04].
[2] Schäfer, Isabell (2004): Die Europäische Union und der Nahostkonflikt, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 20/04, Bonn, S. 46.
[3] Ebenda, S. 46f.
[4] Kloke, Martin (2005): 40 Jahre deutsch-israelische Beziehungen, in: Informationen zur politischen Bildung aktuell Nr. 286, Bonn, S. 19.
[5] Schäfer, Isabell (2004): Die Europäische Union und der Nahostkonflikt, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 20/04, Bonn, S. 46f.
[6] Schäfer, Isabell (2004): Die Europäische Union und der Nahostkonflikt, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 20/04, Bonn, S. 46.
[7] Das hieß konkret: keine militärische Unterstützung für diejenigen Länder, die den Sechstagekrieg bestritten – inklusive Israel, die aus Konsequenz dessen Frankreich ihr Vertrauen komplett entzogen.
[8] Greilsammer, Ilan/Weiler, Joseph (1984): European Political Cooperation and the Palestinian-Israeli conflict. An Israeli perspective, in: Allen, David/Pijpers, Alfred (1984): European foreign Policy-Making and the Arab-Israeli Conflict, Den Haag, S. 131.
[9] Die BRD bezahlte seit den 1950er Jahren mehr als 1 Milliarde Dollar an Reparationszahlungen für Holocaustopfer in Israel.
[10] Dosenrode, Soeren/Stubkjaer, Anders (2002): The European Union and the Middle East, New York, S. 61.
[11] Vgl. ‚Exodus’-Affäre, während der kurz nach dem Zweiten Weltkrieg ein mit deutschen Juden belegtes Flüchtlingsschiff von den Briten vor der Israelischen Küste abgefangen und zurückgeschickt wurde.
[12] Dosenrode, Soeren/Stubkjaer, Anders (2002): The European Union and the Middle East, New York, S. 65.
[13] Ifestos, Panayotis (1987): European Political Cooperation: Towards a Framework of Supranational Dipolmacy?, Avebury, S. 420.
[14] Luxemburger Bericht (1970), 2. Teil, Ziffer I.
[15] Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (1984; Hrsg.): Europäische Politische Zusammenarbeit (EPZ), Bonn, S. 13.
[16] Luxemburger Bericht (1970), 1. Teil, Ziffer 8.
[17] Dosenrode, Soeren/Stubkjaer, Anders (2002): The European Union and the Middle East, New York, S. 81.
[18] Benannt nach dem damaligen französischen Außenminister Maurice Schumannn.
[19] Voorhoeve, Joris (1985): Peace, Profits and Principles, Dordrecht, S. 237.
[20] Ursprünglich sollte das Dokument sogar wegen Vorbehalten Deutschlands, Italiens und der Niederlande geheimgehalten werden, dennoch wurde es von der Springer-Presse, die ihm extrem ablehnend gegenübergestellt war, veröffentlicht.
[21] Dosenrode, Soeren/Stubkjaer, Anders (2002): The European Union and the Middle East, New York, S. 82.
[22] Greilsammer, Ilan/Weiler, Joseph (1984): European Political Cooperation and the Palestinian-Israeli conflict. An Israeli perspective, in: Allen, David/Pijpers, Alfred (1984): European foreign Policy-Making and the Arab-Israeli Conflict, Den Haag, S. 133.
[23] Ebenda, S. 134.
[24] Greilsammer, Ilan/Weiler, Joseph (1984): European Political Cooperation and the Palestinian-Israeli conflict. An Israeli perspective, in: Allen, David/Pijpers, Alfred (1984): European foreign Policy-Making and the Arab-Israeli Conflict, Den Haag, S. 134.
[25] Khader, Bichara (1984): Europe and the Arab-Israeli conflict. An Arab perspective, in: Allen, David/Pijpers, Alfred (1984): European foreign Policy-Making and the Arab-Israeli Conflict, Den Haag, S. 164.
[26] Obwohl die EG-Kommission mehrere Versuche unternommen hatte, die Regierungen zu warnen.
[27] Dosenrode, Soeren/Stubkjaer, Anders (2002): The European Union and the Middle East, New York, S. 85.
[28] Rybczynski, T.M./Ray, George F. (1976): Historical Background to the World Energy Crisis, in: Rybczynski, T. M. (Hrsg.): The Economics of the Oil Crisis, London, S. 2.
[29] The European Community Foreign Ministers (1973): Statement by The European Community Foreign Ministers, Brussels, 6 November, 1973, in: Lukacs, Yehuda (1992): The Israeli-Palestinian conflict. A documentary redord 1967-1990, Cambridge, S. 13.
[30] EC Commision (1984): The European Community and the Arab World, Luxemburg, S. 135.
[31] Die Niederlande wurden weiterhin boykottiert, obwohl auch sie die Erklärung vom 6. November unterschrieben hatten.
[32] Greilsammer, Ilan/Weiler, Joseph (1984): European Political Cooperation and the Palestinian-Israeli conflict. An Israeli perspective, in: Allen, David/Pijpers, Alfred (1984): European foreign Policy-Making and the Arab-Israeli Conflict, Den Haag, S. 135.
[33] Als Vorraussetzung dessen wurde aber für nötig gehalten, den Gemeinschaftsinstitutionen mehr Macht zu gewähren.
[34] EC Commision (1984): The European Community and the Arab World, Luxemburg, S. 28.
[35] Die Erklärung, die dem Gipfel folgte, ermöglichte es den europäischen Staaten sowohl bei der ‚consumers’ front’ zu partizipieren, als auch die ‚6 November EPC Declaration’ zu beachten. Eine Gelegenheit, die sich alle EG-Mitgliedsstaaten außer Frankreich nicht nehmen ließen.
[36] Dosenrode, Soeren/Stubkjaer, Anders (2002): The European Union and the Middle East, New York, S. 89.
- Quote paper
- Tobias Senzig (Author), 2005, Die Nahostpolitik der Europäischen Union, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/46831
-
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X.