Die vorliegende Arbeit behandelt Quellen aus dem Prozess der Rückerstattung des Kaufhauses Ganz, ehemals Jacoby, einem ursprünglich jüdischen Kaufhaus im hessischen Bensheim. Ziel dieser Arbeit ist es, eine kontextuelle Einordnung und Aufklärung der Quelle des Ergänzungsantrages zum Fall Jacoby zu leisten.
Die Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 sowie der zweite Weltkrieg waren das wohl erschütterndste und schwerwiegendste zeitgeschichtliche Ereignis im zwanzigsten Jahrhundert. Die Verbrechen des Dritten Reiches forderten nicht nur unzählige Todesopfer, auch viele anderweitig Geschädigte mussten mit den Folgen der verbrecherischen Handlungen der Nationalsozialisten nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes 1945 leben. Die Opfer, die das totalitäre Regime überlebten, verfügten aufgrund von vorhergegangenen Arisierungsmaßnahmen oftmals über kein Eigentum mehr. Ehemals jüdisches Eigentum wie Geschäfte und Wohnungen, Möbel und Warenlager, aber auch Wertgegenstände und Finanzmittel war danach zerstreut und teilweise bereits seit Jahren in der Hand eines neuen Besitzers. Aus diesem Umstand ergab sich im besetzten Nachkriegsdeutschland die gewaltige Aufgabe der Rückerstattung und Wiedergutmachung von Arisierungsmaßnahmen, um die ursprünglichen Eigentumsverhältnisse wiederherzustellen oder zumindest finanziell ausgleichen zu können.
Inhaltsübersicht
1. Einleitung
2. Rückerstattungsantrag des Falls Jacoby
2.1 Quellenbeschreibung
2.2 Kontextuelle Einordnung
2.2.1 Rechtlicher Rahmen
2.2.2 Treuhandverwaltung und Rückerstattungsansprüche
2.2.3 Transfermodalitäten und Wertermittlung
2.3 Quelleninterpretation
2.3.1 Beteiligte Parteien im Fall Jacoby
2.3.2 Inhalt und Text des Antrages
3. Fazit
4. Bibliographie
4.1. Quellen
4.2. Literatur
5. Quellenanhang: Ergänzungsantrag, HHStAW, 519/A DA 26635
1. Einleitung
Die Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 sowie der zweite Weltkrieg waren das wohl erschütterndste und schwerwiegendste zeitgeschichtliche Ereignis im zwanzigsten Jahrhundert. Die unzähligen Verbrechen des Dritten Reiches forderten nicht nur unzählige Todesopfer, auch viele anderweitig Geschädigte mussten mit den Folgen der verbrecherischen Handlungen der Nationalsozialisten nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes 1945 leben1. Diejenigen Opfer, die das totalitäre Regime überlebten, verfügten aufgrund von vorhergegangenen Arisierungsmaßnahmen oftmals über kein Eigentum mehr. Ehemals jüdische Geschäfte und Wohnunen, Möbel und Warenlager, aber auch Wertgegenstände und Finanzmittel – all das, was einst rechtmäßig den Verfolgten gehörte, war nun überall zerstreut und seit teilweise sehr vielen Jahren schon in der Hand eines neuen Besitzers. Ämter, Staatsapparate, Organisationen und öffentliche Einrichtungen profitierten einst davon, aber genauso auch „arische“ Privatpersonen, Unternehmer, Industrielle und Kaufleute2. Aus diesem Umstand ergab sich im besetzten Nachkriegsdeutschland die gewaltige Aufgabe der Rückerstattung und Wiedergutmachung von Arisierungsmaßnahmen, um die ursprünglichen Eigentumsverhältnisse wiederherzustellen oder zumindest finanziell ausgleichen zu können.
Die vorliegende Arbeit behandelt Quellen aus dem Prozess der Rückerstattung des Kaufhauses Ganz, ehemals Jacoby3, einem ursprünglich jüdischen Kaufhaus im hessischen Bensheim. Der Prüfungsausschuss für arisierte Unternehmen stellte dazu fest:4 „die Firma Ganz & Birkenmeier, vormals Zacharias Jacoby, Bensheim an der Bergstraße, ist als arisiert zu betrachten und es hat eine Sperre zu erfolgen. Der gegenwärtige Eigentümer hat die Firma unter Umständen erworben, die den Rechten und Interessen der früheren nichtarischen Eigentümer abträglich waren.“ Ziel dieser Arbeit ist es, eine kontextuelle Einordnung und Aufklärung der Quelle des Ergänzungsantrages zum Fall Jacoby zu leisten.
2. Rückerstattungsantrag des Falls Jacoby
2.1 Quellenbeschreibung
Bei der ausgewählten Quelle handelt es sich um einen Ergänzungsantrag der Hessischen Treuhandverwaltung GmbH an das Amt für Vermögenskontrolle und Wiedergutmachung zwecks Ausdehnung auf den Geschäftsbetrieb der Firma Jacoby sowie das Warenlager. Dieser Antrag stammt vom 13. September 1951. Darin festgehalten wurden zudem die Modalitäten des Kaufvertrages vom 1.4.1936 sowie der Umsatz vor und nach der Arisierung durch die Antragsgegner. Desweiteren finden sich Verweise zur Anmeldung von der Jewish Restitution Successor Organization (nachfolgend JRSO) samt Aktenzeichen. Die Quelle liegt in digitaler Form vor und ist zusätzlich dem Anhang dieser Arbeit beigefügt.5
2.2 Kontextuelle Einordnung
2.2.1 Rechtlicher Rahmen
Durch die Besatzungsdirektive JCS 1067 war der Oberbefehlshaber der amerikanischen Streitkräfte, General Eisenhower, angewiesen, in Deutschland geraubtes und arisiertes Vermögen sicherzustellen und den rechtmäßigen Besitzern zurückzuerstatten6. Daraufhin wurde am 10.11.1947 das amerikanische Militärregierungsgesetz Nr. 59 erlassen. Im Gegensatz zu anderen Wiedergutmachungsmöglichkeiten, wie beispielsweise die Soforthilfe zur Wiedergutmachung der Zonal Policy Instruction No. 20 in der britischen Besatzungszone7, hatte die Rückerstattung eine besondere Funktion: während die Leistungen im Rahmen der Entschädigungsprogramme vollständig durch die Steuerzahler getragen wurden, hatten im Gegensatz dazu die direkten Profiteure der Arisierungspolitik bei der Rückerstattung die entsprechende Leistung zu erbringen.8 Auch für den Fall Jacoby ist dies von besonderer Bedeutung, da hierdurch die gesetzliche Grundlage geschaffen wurde, die neuen Besitzer Ernst Ganz und Karl Birkenmeier persönlich haftbar zu machen.
2.2.2 Treuhandverwaltung und Rückerstattungsansprüche
Das Land Hessen gründete am 1. April 1951 die Hessische Treuhandverwaltung GmbH mit Sitz in Wiesbaden, um abgetretene Ansprüche der JRSO wahrnehmen zu können. Mit der Zeit erweiterte sich das Aufgabengebiet auf die Verwaltung staatlicher Kredite und die Wirtschaftsförderung im Land Hessen, beispielsweise durch öffentliche Finanzierungsprogramme für mittelständische Unternehmen oder Analysen regionaler Wirtschaftsstrukturen. Zunächst aber wurde die Gesellschaft eingesetzt, um dem bereits im Wiederaufbau befindlichen Land die Sicherheit zu geben, dass erstattungspflichtige Betriebe und Privatleute nicht mehr mit individuellen Forderungen von Arisierungsopfern rechnen mussten und die Existenz somit nicht gefährdet wurde.9 Hessen erwarb im Wesentlichen alle Ansprüche der JRSO gegen Dritte einschließlich der Ansprüche gegen das Land, gegen das Reich und gegen die Stadtgemeinden. Durch die Abtretung dieser Ansprüche gegen private Profiteure der Arisierung gerieten die Länder in die Position des Rückerstattungsberechtigten und mussten nun die Ansprüche gegen die ehemaligen „Ariseure“ durchsetzen.10 Hatte Hessen von der JRSO Rückerstattungsansprüche auf Grundstücke zum Spottpreis von 20 Prozent bzw. 45 Prozent des Einheitswertes erworben, wollte das Land in den ca. 14.000 Rückerstattungsverfahren 30 Prozent bzw. 60 Prozent des Einheitswertes erzielen. Insgesamt gesehen war es dem Land gelungen, die Forderungen der JRSO von zunächst 53 Mio. DM auf ca. 25 Mio. DM zu reduzieren.11 Viele der „Ariseure“ waren davon ausgegangen, dass sie durch den Übergang der Rückerstattungsberechtigung auf das Land Hessen von der Rückgabe ihrer günstig erstandenen Grundstücke, Häuser, Betriebe und Unternehmen vollständig befreit werden. Als das Land jedoch wider Erwarten die Rolle des Rückerstattungsberechtigten übernahm und die betroffenen Grundstücke von den Profiteuren der nationalsozialistischen Arisierungsmaßnahmen zurückforderte, hofften diese, dass die Rückerstattung durch die Zahlung eines geringen Aufschlages zum damaligen Kaufpreis vollzogen werden könnte. Da der Landesfiskus politische Proteste und Vorwürfe der Ausbeutung befürchtete, änderte er seine generelle Politik. Die „Ariseure“ hatten lediglich eine Nachzahlung zu leisten, die zusammen mit dem damaligen Kaufpreis dem Betrag entsprach, den das Land zuvor der JRSO gezahlt hatte.12 Da der Betrag an die JRSO bereits einem Spottpreis im Vorfeld entsprach, wirkte sich der niedrige Preis auch dementsprechend auf die zu erbringenden Nachzahlungen aus.
2.2.3 Transfermodalitäten und Wertermittlung
Einer der wichtigsten Aspekte eines betrieblichen Verkaufs ist die Wertermittlung der betroffenen Unternehmung. Während sich Einflussfaktoren wie zum Beispiel materielle Güter, Grundstücke oder Immobilien noch relativ gut bemessen ließen, bereiten andere Faktoren während der NS-Zeit enorme Probleme aus der Verkäuferperspektive zugunsten der Käufer.
Das in der Regel am häufigsten verwendete Verfahren zur Wertermittlung, das Ertragswertverfahren, bemisst den Wert eines Unternehmens hauptsächlich durch die zu erwartenden Gewinne. Diese müssen den Kaufpreis nach einer gewissen Zeitspanne samt Verzinsung amortisieren. Entscheidend für die Berechnung der zukünftigen Erträge sind daher die Werte der Vergangenheit13.
Berücksichtigt man diese wirtschaftliche Regel während der NS-Zeit, so stellt man schnell fest, dass die vergangenen Umsatzwerte bei Arisierungsfällen für einen drastischen Preisverfall verantwortlich waren. Die dirigistischen Bedingungen des NS-Wirtschaftssystems samt Boykotten und Gewaltanwendungen gegenüber jüdischen Gewerbetreibenden führten zu weit auseinanderliegenden Einschätzungen über den Wert der zu verkaufenden Betriebe und Unternehmen14. Den Umständen entsprechend war es für die jüdischen Gewerbetreibenden demnach fast unmöglich, in den Jahren nach Hitlers Wahl 1933 einen regulären Umsatz und somit einen angemessenen Verkaufspreis zu erzielen.
Für die Wertermittlung gilt es ebenfalls, die Umstände des Verkäufers unabhängig der wirtschaftlichen Faktoren zu berücksichtigen. Viele Juden waren beispielsweise durch eine Flucht vor den Maßnahmen der Nazis ins Ausland zum Verkauf ihrer hiesigen Unternehmen gezwungen. Auch diese Faktoren sind von besonderer Bedeutung sowohl für den ursprünglichen Verkaufspreis als auch die unter anderem darauf basierende finanzielle Wiedergutmachung in der Nachkriegszeit.
2.3 Quelleninterpretation
2.3.1 Beteiligte Parteien im Fall Jacoby
Der Ergänzungsantrag im Fall Jacoby/Ganz weist verschiedene beteiligte Parteien auf. Absender des Schreibens ist die Hessische Treuhandverwaltung GmbH in Wiesbaden als Antragssteller. Auch dieser Rückerstattungs-Fall muss demnach ursprünglich von der JRSO angemeldet und erst später in die Verwaltung der Hessischen Treuhandverwaltung GmbH übergeben worden sein, wie im Kapitel der kontextuellen Einordnung bereits beschrieben. Entsprechend weist der einleitende Satz des Antrages auf die Übertragung des Rückerstattungsanspruches von der JRSO auf die Hessische Treuhandverwaltung hin. Weitere Anzeichen für die Registrierung durch die JRSO bieten die auf dem Antrag vermerkten JRSO-Anmeldungsnummern. Des Weiteren findet sich ein Hinweis des Sachbearbeiters, dass die JRSO-Anmeldungen redundant seien und daher vorläufig unberücksichtigt beziehungsweise nach Verfahrensabschluss als Duplikat zurückgezogen werden.15 Dies war eine gängige Praxis der damaligen Rückerstattungspolitik sowohl seitens der Länder als auch der JRSO selbst.
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1 Pötzsch, 2006, Deutsche Geschichte von 1945 bis zur Gegenwart, S. 20
2 Meinl & Zwilling, 2004, Legalisierter Raub. Die Ausplünderung der Juden im Nationalsozialismus durch die Reichsfinanzverwaltung in Hessen, Frankfurt, S. 49-70
3 Anzeige im Bergsträßer Anzeiger vom 6.4.1936
4 Urteil des Prüfungsausschusses für arisierte Unternehmen zum Kaufhaus Ganz & Birkenmeier, HHStAW, Abt. 519/V Nr. 3131-556
5 Ergänzungsantrag zwecks Ausdehnung des Rückerstattungsanspruches, HHStAW, 519/A DA 26635
6 Cornides & Volle (Hrsg.), Um den Frieden mit Deutschland. Dokumente zum Problem der deutschen Friedensordnung, 1948, S. 72.
7 Vgl. Schraftstetter, Von der Soforthilfe zur Wiedergutmachung: die Umsetzung der Zonal Policy Instruction No. 20 in der britischen Besatzungszone, 2014, S. 309-334
8 Lillteicher, 2002, Die Rückerstattung jüdischen Eigentums in Westdeutschland nach dem Zweiten Weltkrieg, S. 2
9 Meinl & Zwilling, 2004, Legalisierter Raub. Die Ausplünderung der Juden im Nationalsozialismus durch die Reichsfinanzverwaltung in Hessen, Frankfurt, S. 551-553
10 Lillteicher, 2002, Die Rückerstattung jüdischen Eigentums in Westdeutschland nach dem Zweiten Weltkrieg, S. 311
11 Bericht des Finanzbeamten Weller über eine Besprechung der Referenten der Finanzministerien der Länder der britischen Zone beim Finanzminister in Hannover am 29.1.1952, vom 31.1.1952, StAHH, 311-3, Abl. 1959-410-15-2/1 Band I, Blatt 70.
12 Pauschalabkommen mit der JTC, Kurzbericht über ein Gespräch mit dem Referenten beim Senator für Finanzen in Bremen am 31.1.1952 durch den Finanzbeamten Weller vom 1.2.1952, StAHH, 311-3, Abl. 1959-410-15-2/1 Band I.
13 Kempert, 2008, Welchen Wert stellt Ihr Unternehmen dar?, S. 151-152
14 Köhler, 2010, Werten und Bewerten. Die kalte Technik der Arisierung 1933 bis 1938. In H. Berghoff, J. Kocka, & D. Ziegler, Wirtschaft im Zeitalter der Extreme. Beiträge zur Unternehmensgeschichte Deutschlands und Österreichs, S. 316-336
15 Ergänzungsantrag zwecks Ausdehnung des Rückerstattungsanspruches, HHStAW, 519/A DA 26635
- Citation du texte
- Christian Meradji (Auteur), 2018, Der Rückerstattungsprozess des arisierten Kaufhauses Jacoby, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/468206
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