1.Einleitung, Ziel der Arbeit, Vorgehen
Angesichts massiver gesellschaftlicher Veränderungen, die sich vor allem in den Begriffen Globalisierung, Wertewandel, Enttraditionalisierung, Individualisierung und Risikogesellschaft widerspiegeln, scheint die Gesellschaft in einer Orientierungskrise zu stecken. Traditionelle Pflicht- und Gemeinschaftsorientierungen verblassen zunehmend und an ihre Stelle treten individuelle Freiheiten, der Drang oder auch Zwang nach Selbstverwirklichung und auch geistiger Wandel. Gleichzeitig treten virulente gesellschaftliche Probleme wie Wirtschaftskrisen und Arbeitslosigkeit auf und nicht zu vergessen, die Gefahr angesichts der ökologischen Zerstörung die Lebensgrundlage kommender Generationen aufs Spiel zu setzen. Die Bedrohung durch neue Kriege und das trotz des Endes des Kalten Krieges immer noch vorhandene Zerstörungspotential nuklearer, chemischer und biologischer Waffen, versetzt die Menschen in Besorgnis. All diese Risiken und Bedrohungen überfordern den Einzelnen zunehmend und so richten viele ihre Hoffnungen auf die Handlungsfähigkeit der Politik. Doch diese erweist sich angesichts der mannigfaltigen Probleme als überfordert und überlastet und so wird vieles auf die Zeitschiene gesetzt bzw. die eigene Ohnmacht mit bloßer Rhetorik kaschiert. Die Folgen davon lassen sich an der Verdrossenheit der Wähler ausdrücken und messen. Parallel zu diesen Entwicklungen entstehen Netzwerke und Bündnisse, die eine neue Form der Vergemeinschaftung jenseits der traditionellen Familie darstellen und die ein Solidaritäts- und Identifikationsangebot vorhalten, so dass viele bereit sind sich an diesen neuen Formen der Bewegung zu beteiligen und ein beträchtliches Maß an Engagement unter der Zielsetzung zu investieren, etwas an den gesellschaftlichen Zuständen und Problemen zu ändern. Die Rede ist von den neuen sozialen Bewegungen (künftig: NSB), wie etwa die der Globali-sierungskritiker von Attac, die Frauenbewegung, die Anti-AKW-Bewegung. Es scheint so, als seien sie die Hoffnungsträger vieler Menschen, in ihrem Kampf um Identität und Problembewältigung. Diese Umbruchsituation ist es auch, die mich momentan selbst beschäftigt und insofern wollte ich einen theoretischen Zugang zu diesem Phänomen gewinnen. Ich erhoffte mir vor allem von der Systemtheorie Antworten auf meine Fragen bezüglich der NSB, da sie ja den Anspruch vertritt eine universale Gesellschaftstheorie zu sein und insofern für alles Soziale Zuständigkeit zu reklamieren.
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Inhaltsverzeichnis
- EINLEITUNG, ZIEL DER ARBEIT, VORGEHEN
- Das Neue der NSB.
- Definition der NSB und Problematisierung
- PARADIGMENVIELFALT DER BEWEGUNGSFORSCHUNG.
- DER GESELLSCHAFTSBEZUG DER NEUEN SOZIALEN BEWEGUNGEN
- Die moderne Gesellschaft
- Folgeprobleme funktionaler Differenzierung
- Zusammenfassung.
- Funktionsbestimmung der neuen sozialen Bewegungen.
- Die Beobachtung der organisierten Unverantwortlichkeit durch die neuen sozialen Bewegungen.
- Einheitliche Selbstbeschreibung der Gesellschaft.
- NSB als Angebot der Identitätsstiftung.....
- Neue soziale Bewegungen als Immunsystem der Gesellschaft.
- Zusammenfassung
- NSB als soziale Systeme.....
- Die Operationsweise der NSB.
- Das Zugleich von Geschlossenheit und Offenheit.
- NSB Interaktionssystem oder Organisation?.
- Die soziale Basis der NSB
- SCHLUSSBEMERKUNGEN.
- Erfolg der NSB.
- Würdigung der systemtheoretischen Ansätze zu NSB...
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit zielt darauf ab, die systemtheoretischen Ansätze zur Analyse neuer sozialer Bewegungen (NSB) zu verstehen, zu strukturieren und die Frage zu beantworten, ob NSB als autopoietische Systeme beschrieben werden können. Die Arbeit analysiert die NSB im Kontext der modernen Gesellschaft und ihrer funktionalen Differenzierung, wobei insbesondere die Folgeprobleme dieser Differenzierung beleuchtet werden.
- Das Neue der NSB und ihre Unterscheidung von „klassischen“ sozialen Bewegungen.
- Die unterschiedlichen Paradigmen der Bewegungsforschung, insbesondere der Resource Mobilization-Ansatz und der New Social Movement-Ansatz.
- Der Gesellschaftsbezug der NSB und ihre Funktion in einer funktional differenzierten Gesellschaft.
- Der Systemstatus der NSB, ihre Operationsweise und soziale Basis.
- Die Erfolgsaussichten der NSB und eine kritische Würdigung der systemtheoretischen Ansätze.
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung beleuchtet den gesellschaftlichen Hintergrund der NSB, beschreibt die Zielsetzung der Arbeit und skizziert das Vorgehen. Kapitel 1.1. analysiert die Kennzeichen neuer sozialer Bewegungen und ihre Abgrenzung von „klassischen“ Bewegungen. Kapitel 1.2. setzt sich mit der Problematik der Definition von NSB auseinander und stellt eine Definition von Rucht vor. Kapitel 2. gibt einen Überblick über die Vielfalt der Theorien der Bewegungsforschung, insbesondere den Resource Mobilization-Ansatz und den New Social Movement-Ansatz. Kapitel 3.1. beschreibt die moderne Gesellschaft als funktional differenziertes System. Kapitel 3.2. betrachtet die Folgeprobleme der funktionalen Differenzierung.
Schlüsselwörter
Neue soziale Bewegungen (NSB), Systemtheorie, Funktionale Differenzierung, Autopoiesis, Resource Mobilization-Ansatz (RM), New Social Movement-Ansatz (NSM), Globalisierungskritik, Frauenbewegung, Anti-AKW-Bewegung.
- Citar trabajo
- Holger Bertsch (Autor), 2005, Systemtheorie und neue soziale Bewegungen - Beiträge der Systemtheorie zur Bewegungsforschung, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/46737