In seinem Werk „Nikomachische Ethik“ diskutiert Aristoteles die Frage nach dem höchsten Gut des Menschen, und wie dieses zu erreichen sei. Das höchste Gut, die Glückseligkeit, ist nach Aristoteles nur dann zu erreichen, wenn der Mensch die „Tätigsein der Seele im Sinne der ihr wesenhaften Tüchtigkeit“ ausübe, und zwar ein Leben lang. „Denn eine Schwalbe macht noch keinen Frühling und auch nicht ein Tag. So macht auch nicht ein Tag oder eine kleine Zeitspanne den Menschen glücklich und selig“2. Nun stellt sich die Frage, welche Handlungen der Mensch nun stetig ausüben muss, wenn er glücklich werden will. Obwohl Aristoteles seine philosophischen Gedanken klar auf die Praxis ausrichtet, - „wir philosophieren nämlich nicht, um zu erfahren, was ethische Werthaftigkeit sei, sondern um wertvolle Menschen zu werden“3- bleibt er, so scheint es, konkrete Handlungsanweisungen schuldig. Aufgrund der Einzigartigkeit jeder Situation aber ist es schlicht unmöglich, die angemessene, tugendhafte Reaktion im Vorhinein festzulegen. Daher muss die aristotelische Ethik, wie jede andere Ethik auch, auf einem relativ abstrakten Niveau verharren. Aus diesem Grund führt er die, trotz gewisser Abstraktheit recht anschaulichen Konzepte der ethischen und intellektuellen Tugenden ein, die ethischen und dianoetischen aretai. Diese erachtet er als notwendig, um ein wertvoller Mensch und somit glückselig zu werden. Sind die ethischen aretai unmittelbar mit dem Strebevermögen verknüpft, und wirken so auf die Ziele des guten Handelns, der eupraxia, so sind Teile der intellektuellen Tugenden ausschlaggebend für die konkrete Planung der jeweiligen Handlung. Hierfür scheint Aristoteles die „phronesis“, die Klugheit besonders wichtig zu sein. Diese möchte ich in vorliegender Arbeit näher beleuchten, und sie in der aristotelischen Konzeption von Tugendhaftigkeit verorten. Ausserdem werde ich auf einige Kritikpunkte aus der Sekundärliteratur - hier solche von Ursula Wolf - eingehen.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die ethischen und die dianoetischen Tugenden
2.1. Die Klugheit
2.2. Klugheit, Wissenschaft und praktisches Können
3. Stellungnahme zu Ursula Wolfs Kritik
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
In seinem Werk „Nikomachische Ethik“ diskutiert Aristoteles die Frage nach dem höchsten Gut des Menschen, und wie dieses zu erreichen sei. Das höchste Gut, die Glückseligkeit, ist nach Aristoteles nur dann zu erreichen, wenn der Mensch die „Tätigsein der Seele im Sinne der ihr wesenhaften Tüchtigkeit“[1] ausübe, und zwar ein Leben lang. „Denn eine Schwalbe macht noch keinen Frühling und auch nicht ein Tag. So macht auch nicht ein Tag oder eine kleine Zeitspanne den Menschen glücklich und selig“[2]. Nun stellt sich die Frage, welche Handlungen der Mensch nun stetig ausüben muss, wenn er glücklich werden will. Obwohl Aristoteles seine philosophischen Gedanken klar auf die Praxis ausrichtet, - „wir philosophieren nämlich nicht, um zu erfahren, was ethische Werthaftigkeit sei, sondern um wertvolle Menschen zu werden“[3] – bleibt er, so scheint es, konkrete Handlungsanweisungen schuldig. Aufgrund der Einzigartigkeit jeder Situation aber ist es schlicht unmöglich, die angemessene, tugendhafte Reaktion im Vorhinein festzulegen. Daher muss die aristotelische Ethik, wie jede andere Ethik auch, auf einem relativ abstrakten Niveau verharren. Aus diesem Grund führt er die, trotz gewisser Abstraktheit recht anschaulichen Konzepte der ethischen und intellektuellen Tugenden ein, die ethischen und dianoetischen aretai. Diese erachtet er als notwendig, um ein wertvoller Mensch und somit glückselig zu werden. Sind die ethischen aretai unmittelbar mit dem Strebevermögen verknüpft, und wirken so auf die Ziele des guten Handelns, der eupraxia, so sind Teile der intellektuellen Tugenden ausschlaggebend für die konkrete Planung der jeweiligen Handlung. Hierfür scheint Aristoteles die „phronesis“, die Klugheit besonders wichtig zu sein. Diese möchte ich in vorliegender Arbeit näher beleuchten, und sie in der aristotelischen Konzeption von Tugendhaftigkeit verorten. Ausserdem werde ich auf einige Kritikpunkte aus der Sekundärliteratur – hier solche von Ursula Wolf - eingehen.
2. Die ethischen und dianoetischen Tugenden
Um die wechselseitige Bedingtheit der ethischen und intellektuellen Tugenden transparenter zu machen, lohnt es sich, einen Blick auf die ethischen Tugenden zu werfen, bevor wir uns den intellektuellen Tugenden im allgemeinen, und der Klugheit im speziellen zuwenden.
Zunächst: Was bedeutet überhaupt Tugend? Aristoteles behauptet, eine Tugend sei eine Fähigkeit (dynamis), die einem von Natur zukommt und durch stetige Wiederholung und Bekräftigung zum Habitus, zur Grundeinstellung (hexis) wird. Jedoch trifft dies nur auf die ethischen Tugenden zu, daher der Name „ethisch“ von ethos, gr. die Gewöhnung. Einige Beispiele für eine ethische Tugend könnten sein: die Tapferkeit, die Besonnenheit, die Großzügigkeit. Auch die dianoetischen Tugenden werden im Laufe eines Lebens allmählich zur Grundeinstellung, sie sind jedoch keine Fähigkeit im vorgenannten Sinn, sondern entwickeln sich größtenteils durch Belehrung und Übung. Zu den dianoetischen aretai gehören z.B. die Weisheit (sophia) und die Klugheit (phronesis). Unerlässlich dafür, daß die intellektuellen Fähigkeiten zu einer Tugend werden ist deren Ausrichtung auf das höchste Gut, die höchste Wahrheit.
Aristoteles unterscheidet zunächst zwischen zwei Teilen der Seele (psychēe). Ein Teil ist vernunftlos (alogon), er enthält alle lebenserhaltenden, vegativen Funktionen, sowie das Strebevermögen (orektikon). Aus dem Strebevermögen entspringen die aretē ethikē, die im Zusammenspiel mit der Klugheit das gute Handeln ermöglichen. Die Klugheit stammt jedoch aus dem anderen Seelenteil, dem vernunftbegabten (logos). Dieser ist unterteilt in den überlegenden Teil (logistikon), den er manchmal auch als den meinenden Seelenteil (doxastikon) bezeichnet, sowie den denkenden Teil (epistemonikon). Der überlegende Teil der Seele ist verantwortlich für das Hervorbringen (poiesis) sowie das Handeln (praxis). Für das Handeln maßgeblich ist die Klugheit. Der denkende Teil soll uns an dieser Stelle nicht beschäftigen, wiewohl er in der Gesamtkonzeption Aristoteles’ einen wichtigen Platz einnimmt, denn aus ihm entsteht die theoria, die Betrachtung/Schau, die aus wissenschaftlichem Denken (episteme) und intuitivem Denken (nous) entspringt und zusammen mit der eupraxia, dem guten Handeln die Glückseligkeit des Menschen ausmacht. Auch ist dieser Seelenteil Aristoteles zufolge in seiner Wertigkeit höher angesiedelt, als als der praktische intellektuelle Teil. Dies hat für Aristoteles seine Begründung in den Seins-Bereichen, mit denen diese Seelenteile Berührung haben. So beschäftigen sich episteme und nous mit dem Unveränderlichen, Ewigen, welches göttlicher und somit höherstehend ist, während sich praxis und poiesis mit dem Kontingenten, dem Veränderlichen befassen. Und obwohl die Tugenden des denkenden Teils der Seele keine direkten Auswirkungen auf das gute Handeln haben, stehen sie in der aristotelischen Gesamtkonzeption der Glückseligkeit als zumindest gleichwertige Form der eudaimonia neben der eupraxia, dem guten Handeln.
[...]
[1] NE, Buch I, Kap. 6, 1098a 15
[2] NE, Buch I, Kap. 6, 1098a 18f.
[3] NE, Buch II, Kap. 2, 1103b 26f.
- Citation du texte
- Leonard Ameln (Auteur), 2004, Die Klugheit in Aristoteles' Nikomachischer Ethik, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/46684
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