Zunächst beginne ich mit einer klassischen Textanalyse, in der Erzählverhalten und Erzählhaltung untersucht werden sollen. Dabei möchte ich auf die besondere Sprechsituation eingehen, welche die „Spiegelgeschichte“ zur ungewöhnlichen und einzigartigen Erzählkunst macht. Um die Sprechsituation erschließen zu können, muss die Erzählung über die Textanalyse hinaus, in einen spezifischen literaturhistorischen Kontext gesetzt werden.
Ich möchte untersuchen, inwiefern Aichingers neue Erzählkunst, die den Kahlschlag ablöst, als kafkaesk bezeichnet werden kann und einem Muster folgt, das charakteristisch ist für die österreichische Sprachskepsistradition. Zur Annäherung an Aichingers transitorischen Ort des Poetischen möchte ich außerdem detailliert auf die Symbolik in „Spiegelgeschichte“ eingehen. Eine zentrale Bedeutung fällt dem Motiv des Spiegels zu, der nicht nur die biologische Ordnung auf den Kopf stellt, sondern auch die sprachliche. Es soll deutlich werden, dass der Spiegel als Schlüssel zur Eröffnung einer poetologischen Dimension dient. Neben dem Spiegel gibt es noch weitere wichtige Motive, deren Funktion ich ebenfalls erörtern möchte.
Mein weiterführendes Ziel ist es, die wichtigsten Voraussetzungen zu benennen, welche für Aichingers Dichtung gelten. Damit klärt sich die Frage, weshalb ein Großteil der intellektuellen Bevölkerung der westlichen Hemisphäre und der Literaturkritiker, ihr skeptisch gegenüberstehen und ihre Texte dennoch zum festen Bestandteil der heutigen Schullektüre gehören.
Inhaltsverzeichnis:
1 Einleitung
2 Spiegelgeschichte
2.1 Eine Lebensgeschichte im Spiegel
2.2 Der Du-Erzähler
2.3 Erzählverhalten und Erzählhaltung
3 Symbolik
3.1 Der Spiegel
3.1.1 Der Spiegel - Die Infragestellung von Autorschaft
3.2 Kindtopos
3.3 Die Weiblichkeit
3.4 Das Meer
4 Zeitlichkeit und Glück - Zukunftsverhältnis
5 Schreiben zur Stunde Null
5.1 Sprache als Anarchie
5.2 Fremdwörter
5.3 Der Schriftsteller und die Wirklichkeit
5.4 Das Schreiben „vom Ende her“
5.5 Hinwendung zur Kurzprosa
6 Die absurde Prosa
6.1 Das Kafkaeske
7 Die Überwindung des klassischen Weltbildes
7.1 Der Glaube an die Gleichheit
7.2 Die negative Schöpfungstheorie
7.3 Wiener Empiriokritizismus
7.3.1 „Das Ich ist unrettbar“
8 Schluss
9 Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Als Ende der Zeit des „Schreiben-Lernens“, der Kahlschlag-Periode, wird zumeist die Tagung der Gruppe 47 1952 in Niendorf genannt, auf der sich die junge deutsche Literatur der Moderne, beginnend mit Paul Celan, Ingeborg Bachmann und Ilse Aichinger, vorstellte. Der Charakter der Prosaliteratur hat sich gewandelt. „Für die Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs musste erst eine Sprache gefunden werden, eine, die sich der Sprachregelung des Dritten Reichs verweigerte, zugleich aber die Erfahrungen der Zeit in sich aufnehmen und in Sprache umwandeln konnte.“[1]
Worte, die den Schriftstellern einst Zuflucht und Heimat waren, wendeten sich jetzt gegen sie. Entschwinden der utopischen Sicht und Entfremdung beherrschen die neue Sprache, die sich von den angelsächsischen Vorbildern wie Hemingway und Dos Passos gänzlich löst[2]. Für Ilse Aichinger, der Tochter einer jüdischen Ärztin und eines österreichischen Lehrers, ist der Krieg nach 1945 noch lange nicht zu Ende. Am Beginn des Wiederaufbaus sprechen ihre Erzählungen vom Ende, von Tod und Erstarrung. Um sich ganz der Schriftstellerei zu widmen, bricht sie ihr Medizinstudium ab, welches sie wegen den Rassengesetzen erst nach Kriegsende beginnen konnte. In dieser Zeit entsteht ihr erster Roman ,,Die größere Hoffnung", von dessen Sprache Ingeborg Bachmann so fasziniert und aufgerüttelt ist, dass sie Aichinger mehrmals aufsucht. Besonders großen Erfolg hat Aichinger mit „Spiegelgeschichte“, die ihr im Mai 1952 den Preis der Gruppe 47 einbringt, und heute zur festen Schullektüre gehört. Die damals 31-jährige überrumpelt ihre fachkundigen Zuhörer so sehr, dass diese sich erst gar nicht kritisch auslassen, sondern einfach applaudieren. „Spiegelgeschichte“ wird zum Muster einer neuen Erzählkunst erklärt.
Diese Erzählkunst möchte ich in dieser Hausarbeit anhand von „Spiegelgeschichte“ darstellen. Mein Hauptziel ist es den Versuch zu unternehmen am Beispiel der Prosa Aichingers folgende zentrale Frage zu beantworten: Wie kann der Schriftsteller eine Überwindungsstrategie für die Wirklichkeit finden, wenn die wirkliche Wirklichkeit verloren ist. Zunächst beginne ich mit einer klassischen Textanalyse, in der Erzählverhalten und Erzählhaltung untersucht werden sollen. Dabei möchte ich auf die besondere Sprechsituation eingehen, welche die „Spiegelgeschichte“ zur ungewöhnlichen und einzigartigen Erzählkunst macht. Um die Sprechsituation erschließen zu können, muss die Erzählung über die Textanalyse hinaus, in einen spezifischen literatur-historischen Kontext gesetzt werden. Ich möchte untersuchen, inwiefern Aichingers neue Erzählkunst, die den Kahlschlag ablöst, als kafkaesk bezeichnet werden kann und einem Muster folgt, das charakteristisch ist für die österreichische Sprachskepsistradition.
Zur Annäherung an Aichingers transitorischen Ort des Poetischen möchte ich außerdem detailliert auf die Symbolik in „Spiegelgeschichte“ eingehen. Eine zentrale Bedeutung fällt dem Motiv des Spiegels zu, der nicht nur die biologische Ordnung auf den Kopf stellt, sondern auch die sprachliche. Es soll deutlich werden, dass der Spiegel als Schlüssel zur Eröffnung einer poetologischen Dimension dient. Neben dem Spiegel gibt es noch weitere wichtige Motive, deren Funktion ich ebenfalls erörtern möchte. Mein weiterführendes Ziel ist es, die wichtigsten Voraussetzungen zu benennen, welche für Aichingers Dichtung gelten. Damit klärt sich die Frage, weshalb ein Großteil der intellektuellen Bevölkerung der westlichen Hemisphäre und der Literaturkritiker, ihr skeptisch gegenüberstehen und ihre Texte dennoch zum festen Bestandteil der heutigen Schullektüre gehören.
2 Spiegelgeschichte
2.1 Eine Lebensgeschichte im Spiegel
Die Autorin fasst den Inhalt ihrer Erzählung mit folgenden Worten zusammen: „[In der Geschichte] gibt es ein Mädchen, das im Sterben sein Leben wie im Spiegel wieder erlebt, das einem Freund, als es ihn zum letzten Mal sieht, begegnet, und sich von ihm, als es ihn zum ersten Mal sieht, trennt, dem zuletzt die Zöpfe wieder wachsen und das bei jeder Prüfung immer mehr von dem, was es wusste, vergessen haben muss, bis es endlich im Augenblick des Todes zur Welt kommt.“[3] Mit streng komponierter, treffsicherer Sprache erzählt „Spiegelgeschichte“ von einer tragisch endenden Abtreibung und zieht den Leser mit einer konsequent verwendeten Du-Anrede in ihren Bann. Im Augenblick des Todes läuft die Protagonistin in ihr Leben zurück, um es an den entscheidenden Punkten zu verändern. Die übliche Blickrichtung des Lebens wird umgekehrt, ein altes Mythenmotiv, der Tod als Rückgang in den Mutterleib, klingt hier an.
2.2 Der Du-Erzähler
Besonderes auffallend ist in Aichingers „Spiegelgeschichte“ der in Du-Anrede geführte innere Dialog. Dieser Dialog führt durch den gesamten Text und wirkt sich auf den Leser befremdend aus. Die Erzählung beginnt mit einer direkten Anrede, jedoch wird kein Adressat genannt. „Wenn einer dein Bett aus dem Saal schiebt, wenn du siehst, dass der Himmel grün wird, ... so ist es Zeit für dich, aufzustehen...“ Der Eindruck, der Erzähler würde den Leser ansprechen, lässt sich zu Beginn der Erzählung nicht verleugnen. Je weiter die Handlung jedoch voranschreitet, umso deutlicher zeichnet sich die eigentliche Hauptfigur des Geschehens ab. Durch das Verschweigen des Dialogpartners wird Spannung und gleichzeitig ein besonderer Moment der Entfremdung erzeugt. Aus den Du-Anreden wird schließlich auch für den Leser ablesbar, dass der Erzähler der Sterbenden sehr nahe steht und mit allen Details ihrer Lebensgeschichte vertraut ist, diese sogar voraussagen kann: „Du wirst es später lange nicht mehr fertig bringen, so still zu liegen“[4]
Ulrich Henry Gerlach[5] und Marion Schmaus[6] gehen davon aus, dass die Du-Anrede die Aufspaltung der Erzählstimme in erlebendes und erzählendes Ich signalisiert. Werner Eggers sieht im Erzähler das sprechende Ich, welches sich zum Rücklauf selbst antreibt, indem es sein Spiegelbild in der zweiten Person anredet.[7]
Ob man die Sprechsituation, so realistisch wie Gerlach, die letzten Worte einer im Fiebertraum liegenden Frau deuten kann, zweifelt Schmaus an. Sonst würde man die mühsam konstruierte Gegenwirklichkeit mit ihrer eigenen Sprachordnung und Raum-Zeit-Kategorien wieder auf die Wirklichkeit reduzieren. Aber genau davon möchte sich die weibliche Erzählstimme lossagen. Fest steht, dass der Du-Erzähler aus einer anderen Zeitdimension das Geschehen betrachtet. Diese Zeitdimension, die als ein Teil der Spiegelmetapher zu verstehen ist, steht im übergeordneten Verhältnis zur Wirklichkeit und deren Zeitmessung. Auf den ersten Blick scheint der Du-Erzähler die Funktion des Bewusstseins der Sterbenden zu erfüllen. Wie sich jedoch am Ende der Erzählung herausstellt, ist er nicht mit ihr identisch. „Es ist der Tag deiner Geburt. Du kommst zur Welt und schlägst die Augen auf und schließt sie wieder vor dem starken Licht. […] Dein Vater beugt sich über dich.“ Schon am Tag ihrer Geburt musste demnach das Bewusstsein der jungen Frau so aufnahmefähig und das Erinnerungsvermögen so weit entwickelt gewesen sein, wie knapp 15 Jahre später. Es kann sich unmöglich um das erlebende und erzählende Ich allein handeln. Außerdem fällt auf, dass die junge Frau nicht in die gleiche Vergangenheit zurückgeführt wird, die sie bereits erlebt hat. Der Erzähler begleitet sie vom Grab bis zur Geburt, navigiert sie aber in eine neue vergangene Zukunft. Diese entsteht durch die verkehrte Kausalverkettung der Ereignisse und stellt die alte Vergangenheit in Frage. Die Sterbende scheint auf diese Führung angewiesen zu sein, alleine könnte sie ihre Schwäche und Unmündigkeit, die zuvor zum Tod geführt haben, nicht überwinden. Die eigentliche Erkenntnis der Gründe ihres misslungenen Lebens bleibt ausgeblendet, ihr Bewusstsein spiegelt nur das Vergangene mechanisch wider. Nicht die Protagonistin, sondern die Erzählstimme ist es, der die Gefahren ununterbrochen ,bewusst werden: „Heb lieber deinen Blick vom Boden, sonst…“,“Warte noch!“, „Lauf nicht zu schnell!“. So wie die Sterbende in ihrem Leben gegen den Willen anderer machtlos zu sein schien, so wäre sie ohne ihren Dialogpartner auch in der vergangenen Zukunft dem Geschehen ausgeliefert.
2.3 Erzählverhalten und Erzählhaltung
Es lässt sich nicht eindeutig feststellen, ob das Erzählverhalten in „Spiegelgeschichte“ auktorial oder personal ist.[8] Da die Du-Form jedoch von Natur aus in gewisser Weise ein auktoriales Gepräge besitzt, und die Zeitform Präsens typisch für das auktoriale Erzählen ist, vermutet Jürgen H. Petersen einen auktorialen Erzähler. Diese Vermutung liegt nahe, da beim auktorialen Erzählverhalten der Erzähler in den Erzählvorgang eingreift, sei es durch Kommentare, allgemeine Reflexionen oder Urteile über Personen. Dies alles trifft auf das Erzählverhalten in „Spiegelgeschichte“ zu. Der einzige Unterschied zwischen dem klassischen auktorialen Erzähler und dem in „Spiegelgeschichte“ ist, dass Zweiterer bemüht ist nicht den Leser durch das Geschehen zu führen, sondern die Protagonistin.
Bezeichnend für die Erzählhaltung in „Spiegelgeschichte“ ist außerdem der eingeschränkte Einblick des Erzählers in die Gedanken und Gefühle der Figuren. Obwohl er zu wissen scheint, warum der junge Mann, der Vater des Ungeborenen am Bett der Toten weint, distanziert er sich von ihm. „Warum weint er?“ Zuvor heißt es: „Und weil ihm der Regen keine Tränen gibt, starrt er ins Leere.“ Angestrebte Distanz könnte die Erklärung dafür sein, warum an manchen Stellen auktoriales durch neutrales Erzählverhalten abgelöst wird. „Und sie nehmen den Kranz vom Deckel und geben ihn dem jungen Mann zurück, der mit gesenktem Kopf am Rand des Grabes steht. Der junge Mann nimmt seinen Kranz und streicht verlegen alle Bänder glatt, er hebt für einen Augenblick die Stirne, und da wirft ihm der Regen ein paar Tränen über die Wangen. Dann bewegt sich der Zug die Mauern entlang wieder zurück.“[9]
Eine Untersuchung darüber, welche Haltung der Erzähler zum Geschehen und zu den einzelnen Figuren einnimmt, führt zu dem Ergebnis, dass sich der Erzähler immer dann von einer Figur distanziert, wenn diese die Protagonistin in ihrer persönlichen Freiheit beraubt. Zu solchen zählen unverkennbar der Junge Mann, aber auch der Vater der Sterbenden. ,,Und weil der Regen ihm keine Tränen gibt, starrt er ins Leere und dreht die Mütze zwischen seinen Fingern."[10] dokumentiert, dass der Liebhaber zwar gefühlskalt ist, sich aber doch am Tod seiner Geliebten schuldig fühlt. Distanz drückt sich aber auch durch Kritik und Warnung aus: „Gib acht, jetzt beginnt er bald von der Zukunft zu reden, von den vielen Kindern und vom langen Leben."[11]
,,Kann denn das sein? Bevor er weiß, dass du das Kind erwartest, nennt er dir schon die Alte, bevor er sagt, dass er dich liebt, nennt er die Alte.“[12] Obwohl Kritik nie direkt ausgesprochen wird, ist sie dennoch der Grundton in jeder Zeile. Der Erzähler greift nicht die Abtreibung als solche an, sondern die offenbar unüberlegte Reaktion der jungen Frau, die mechanisch, wie ihr das sexuelle Verhältnis geschah, auch mechanisch zu der Lösung, die sie vor den Augen aller reinwaschen soll, greift.
3 Symbolik
3.1 Der Spiegel
Beim Betrachten des Titels „Spiegelgeschichte“ kündigt sich schon die Auseinandersetzung mit einem Spiegelbild an. Dass der Spiegel jedoch als Figuration des Textes dient, überrascht den Leser. Was auf der Leinwand durch das Zurückspulen möglich ist, kann in einem Prosatext nur schwer umgesetzt werden. Die Bilder im Film sind vorgegeben, im Prosatext entstehen und leben sie in der Phantasie der Leser. Damit Texte auch rückwärts erzählt einen Sinn ergeben, darf die Kausalverkettung der Ereignisse nicht aufgehoben werden. Genau das hat Aichinger in „Spiegelgeschichte“ erreicht. In der Spiegelung des Lebens der Protagonistin entwirft die Autorin einen neuen, tiefgründigen Sinn. Die alten Kausalzusammenhänge werden durch neue ersetzt. Sie hält die Geschichte in einen „magischen Spiegel“ mit dem Ziel die verdorbenen Worte auf ihren ursprünglichen Sinn zurückzuführen. „Spiegelgeschichte“ meint im wortwörtlichen Sinne eine gespiegelte Geschichte, in der auf der einen Seite die Wirklichkeit steht, auf der anderen die rückwärtslaufende Spiegelung im Bewusstsein der Sterbenden. Spiegelungspunkt und Auslöser ist der Tod. Die Sterbende entwickelt im Spiegel eigene Kräfte, selbst innerhalb von Schranken und Fesseln des Todes. „Blind“ ist der Spiegel, weil er nicht nur einfach widerspiegelt und rückwärts erzählt, sondern vielfach verzerrt, indem er [mit magischer Kraft] die realen Ordnungen der Welt und Sprache verfremdet. Er stellt die biologische Ordnung völlig auf den Kopf und lässt die junge Frau verlangen, was noch keine zuvor verlangt hat: „Mach es lebendig, sonst stoß ich deine gelben Blumen um…“[13] Die Engelmacherin erfüllt ihren Wunsch und pflanzt ihr das ungeborene Leben wieder ein. Die Spiegelung der Abtreibung zeigt eine „unbefleckte“ Empfängnis.
Der Spiegel ist nicht nur ein Ort der Wunder, er dient auch als Figuration des Textes. Was im Text als fortschreitende Handlung erscheint, ist die rückwärtslaufende Spiegelung. Im Spiegel ist die Erzählwirklichkeit. „Alles ist im Spiegel:“ „Als Wort in der Mitte des Textes angesiedelt, korrespondiert dem Spiegel der Tod, der zu Beginn die Erzählung auslöst, von dem aus jedoch in einem Prozess der Spiegelung das Leben fortläuft bis hin zur Geburt.“[14] In der biographischen Zeit der Erzählgegenwart ist der Tod in der Mitte des Lebens situiert und gehört zur Erinnerung an die Vergangenheit. Durch die Rückwärtserzählung wird neben der biologischen Ordnung auch die sprachliche auf den Kopf gestellt. Dieser ungewöhnlichen Verkehrung verdankt die Erzählung ihre Wirkung. Es wird nicht wie gewöhnlich erzählt, um zu erinnern, sondern es wird erzählt, um zu vergessen und um sich loszulösen. „Am Anfang nimmt man Abschied.“[15] In „Spiegelgeschichte“ geht es auch um die Loslösung von der weltlichen Ordnung, die in erster Linie aus geliebten Menschen und der Muttersprache besteht. Der Todeskampf mit den Fieberträumen wird nur im Hintergrund angedeutet. „Was flüstern die in ihren hellen Hauben? Die lasst nur reden […] Still, laß sie reden.“
[...]
[1] Reichensperger, Richard: Die Bergung der Opfer in der Sprache. Über Ilse Aichinger-Leben und Werk. Fischer, F.a.M 1991
[2] vgl. Arnold, Heinz Ludwig (Hrsg.) Text+Kritik: Die Gruppe 47, Edition Text+Kritik, München 1987, S.95
[3] Aichinger: Der Gefesselte, S.10
[4] Spiegelgeschichte, S.65
[5] Gerlach, Ulrich Henry: Ilse Aichingers ‚Spiegelgeschichte’: eine einzigartige Erzählung. In: Österreich in
Geschichte und Literatur mit Geographie 40, 1996, S.82
[6] Schmaus, Marion: Die Autorin tritt aus dem Spiegel. Infragestellung von Autorschaft in Ilse Aichingers Werk.
In: Hermann/Thums: Was wir einsetzen können, ist Nüchternheit, Königshausen & Neumann, Würzburg 2001,
S.82
[7] vgl. Eggers, Werner: Ilse Aichinger. In: Deutsche Literatur seit 1945. In Einzeldarstellungen. Hrsg. Von
Dietrich Weber. Stuttgart: Kröner 1968, S.254
[8] Petersen, Jürgen H: Erzählsysteme. Eine Poetik epischer Texte. Stuttgart und Weimar: Metzler 1993, S.69
[9] Aichinger: Spiegelgeschichte, In: Reichensperger (Hrsg.) Werke, Fischer, F.a.M, 1991, S.63
[10] ebd.
[11] ebd, S.70
[12] ebd, S.69
[13] ebd, S.68
[14] Schmaus, S.82
[15] Spiegelgeschichte, S.69
- Quote paper
- Andrea Nagy (Author), 2004, 'Spiegelgeschichte' von Ilse Aichinger. Eine Analyse, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/46674
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