Hinter der ´Schlangenfrau´ Melus ine verbirgt sich eine schöne und furchterregende Gestalt, welche in vielen Volkssagen ausschließlich Aspekte des Sinnlich-Betörenden trägt. Doch die Melusine aus der geheimnisvollen Welt der Meerestiefen verkörpert in der Erzählung Thüring von Ringoltinge ns weitaus mehr als nur eine Loreley, eine Verführerin. „Ihr Wesen steht für ein echtes, die ganze Personalität umfassendes Liebesglück – deshalb ist [ihre] Verbindung [mit Reymund] [...] auch, was in diesem Motivkreis keineswegs die Regel, vielmehr die Ausnahme ist, die Form der Ehe.“1 Melusine ist eine selbstbewusste, charakterstarke Frau, die in allen Bereichen ihres Lebens Erfolg hat. Reymunds Liebe bedeutet ihr viel, die starke Zuneigung beruht auf beiden Seiten. Und doch kann ihre Ehe den aufkommenden Stürmen des Lebens nicht standhalten. Der Kern der Melusinensage enthält ein uraltes, in vielen Kulturen anzutreffendes Motiv: es ist die Verbindung eines sterblichen Menschen mit einem überirdischen Wesen. Diese Verbindung ist in jeder Sage an ein Tabu geknüpft, welches den Menschen in seiner Unvollkommenheit von den unsterblichen, allwissenden Götterwesen deutlich abgrenzt. Wird dieses Tabu verletzt, folgt eine Trennung. In dieser Hausarbeit wollen wir in erster Linie die kultur- und vorstellungsgeschichtlichen Hintergründe dieser Sage näher beleuchten, dabei werfen wir auch einen Blick auf die ökonomisch-politische Situation der Zeit. Die Frage, wodurch es zur Verschiebung des Motivkreises in der Darstellungsform der ´mer faye´ kommen konnte, weg von der sinnlich-betörenden Geliebten, hin zu einer humanen, christlichen Ehefrau, ist von zentraler Bedeutung. Gleichzeitig möchten wir auch die Frage klären, warum die Melusine des Thüring von Ringoltingens den christlich-mittelalterlichen Verständnishorizont sprengt und ein religiöses Problem evoziert. Um das Bild zu vervollständigen, wollen wir das Magieverständnis und den Standpunkt der Theologen im Mittelalter sowie in der frühen Neuzeit bezüglich der Dämonologie der Schlangenfrau skizzieren. Eine Exkursion in die Geschichte der Magie und Astrologie macht die Zusammenhänge in diesem Konflikt deutlicher.
Inhaltsverzeichnis:
1 Einleitung
2 Melusine
2.1 Melusine als Ahnfrau
2.1.1 Die Fee als Opfer der Liebesbeziehung
2.1.2 Die Problematik der Unsterblichkeit
2.2 Astrologie und Magie in der Melusinenerzählung
2.2.1 Die magische Welt der ´Meerfrau´
2.2.2 Der Spuk
2.2.3 Magie und Geschichte
2.2.4 Magie der Worte
2.2.5 Die Kunst der ´Astronomia´
2.3 Der heidnische Ursprung der Sage
2.3.1 Die ´ußzeichnung´- Herausgehobenheit im doppelten Sinne
2.3.2 Die Wiege der Melusinensage - Melusine als heidnische Göttin
3 Exkursion – Magie und Astrologie im Fluss der Zeit
3.1 Der archaisch denkende Mensch
3.2 Magie und Astrologie im alten Ägypten
3.3 Die babylonische Astrologie
3.4 Die hellenistische Astrologie
3.5 Astrologie im Römischen Reich
3.5.1 Der syrisch-römische Kulturaustausch
3.5.2 Astrologie und das frühe Christentum
3.5.3 Die ´christianisierte Astrologie´
3.5.4 Kampf ohne Kompromisse
3.5.4.1 Dämonologie
3.6 Magie und Astrologie in der Hochscholastik
3.6.1 Magnus und Aquino
3.6.2 Magie in der Medizin
3.6.3 Die Situation in Deutschland
3.7 Die Blütezeit der Astrologie
4 Die Frühe Neuzeit – Paracelsus, ein Mensch Mitten im Wandel der Zeit
4.1 Paracelsus als Visionär
4.2 Die Verwissenschaftlichung des Übernatürlichen
4.2.1 Die Elementargeister
4.2.2 Die Entzauberung von Dämonen
4.2.3 Das Licht der Natur
4.2.4 Die ärztliche Kunst
4.2.4.1 Die Lehre vom Mikro- und Makrokosmos
4.2.4.2 Das Heilprinzip
4.2.4.3 Die Auflösung der ´4-Säfte-Lehre´
5 Die Ökonomie der frühen Neuzeit
5.1 Die ökonomisch-politische Lage der europäischen Großstädte
5.2 Bürgertum – Kapitalismus – Rationalismus – Magie
5.3 Männlichkeit und Magie
6 Schlusswort
7 Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Hinter der ´Schlangenfrau´ Melusine verbirgt sich eine schöne und furchterregende Gestalt, welche in vielen Volkssagen ausschließlich Aspekte des Sinnlich-Betörenden trägt. Doch die Melusine aus der geheimnisvollen Welt der Meerestiefen verkörpert in der Erzählung Thüring von Ringoltingens weitaus mehr als nur eine Loreley, eine Verführerin. „Ihr Wesen steht für ein echtes, die ganze Personalität umfassendes Liebesglück – deshalb ist [ihre] Verbindung [mit Reymund] [...] auch, was in diesem Motivkreis keineswegs die Regel, vielmehr die Ausnahme ist, die Form der Ehe.“1
Melusine ist eine selbstbewusste, charakterstarke Frau, die in allen Bereichen ihres Lebens Erfolg hat. Reymunds Liebe bedeutet ihr viel, die starke Zuneigung beruht auf beiden Seiten. Und doch kann ihre Ehe den aufkommenden Stürmen des Lebens nicht standhalten.
Der Kern der Melusinensage enthält ein uraltes, in vielen Kulturen anzutreffendes Motiv: es ist die Verbindung eines sterblichen Menschen mit einem überirdischen Wesen. Diese Verbindung ist in jeder Sage an ein Tabu geknüpft, welches den Menschen in seiner Unvollkommenheit von den unsterblichen, allwissenden Götterwesen deutlich abgrenzt. Wird dieses Tabu verletzt, folgt eine Trennung.
In dieser Hausarbeit wollen wir in erster Linie die kultur- und vorstellungsgeschichtlichen Hintergründe dieser Sage näher beleuchten, dabei werfen wir auch einen Blick auf die ökonomisch-politische Situation der Zeit.
Die Frage, wodurch es zur Verschiebung des Motivkreises in der Darstellungsform der ´mer faye´ kommen konnte, weg von der sinnlich-betörenden Geliebten, hin zu einer humanen, christlichen Ehefrau, ist von zentraler Bedeutung.
Gleichzeitig möchten wir auch die Frage klären, warum die Melusine des Thüring von Ringoltingens den christlich-mittelalterlichen Verständnishorizont sprengt und ein religiöses Problem evoziert. Um das Bild zu vervollständigen, wollen wir das Magieverständnis und den Standpunkt der Theologen im Mittelalter sowie in der frühen Neuzeit bezüglich der Dämonologie der Schlangenfrau skizzieren. Eine Exkursion in die Geschichte der Magie und Astrologie macht die Zusammenhänge in diesem Konflikt deutlicher.
2 Melusine
2.1 Melusine als Ahnfrau
Wie schon in der Einleitung kurz angedeutet, vollzieht sich die Entwicklung der Melusinenfigur von der schönen, heimlichen Geliebten mit magischen Kräften über eine Frauengestalt mit zerstörerischen und lebensvernichtenden Potenzen bei Peter Staufenberg, hin zu einer christlich-humanen Frauengestalt mit einem sichtbaren Schlangenleib. Melusine ist die erste Frauenfigur in der deutschsprachigen Literatur, die dämonische Zeichen und christliche Lebensideale miteinander vereint und damit eine neue theologische Sicht über die Lehre der Dämonologie eröffnet. Das Motiv dieser Geschichte entnahm Ringoltingen seiner französischen Vorlage des Couldrette, welche zuerst im Jahr 1403 als Versroman erschienen ist. Die Fee Melusine nimmt in Ringoltingens Erzählung den Platz der Protagonistin ein, sie ist die Gründerin und Würdeträgerin eines ganzen Adelsgeschlechts. Zusätzlich macht sie ihre wundersame und geheimnisvolle Herkunft zu einer vollendeten Heldengestalt. „Das Übernatürliche wird zur Auszeichnung eines französisch – burgundischen Adelsgeschlechts, dessen Prominenz“2 bis zum 17. Jahrhundert außer Frage stand.
Angesichts der Tatsache, dass dieser ´Roman´ Mitte des 15. Jahrhunderts gedruckt worden ist, ist dies eine äußerst ungewöhnliche Darstellungsform der Frau, die keineswegs überall Akzeptanz finden konnte. Bea Lundt fasst dies so zusammen: „Mit Melusine waren Gedankenexperimente möglich, die die verbreiteten Verhaltensnormen transzendierten.“3 Thüring von Ringoltingen revolutioniert mit seiner Melusine das Bild der Ehe, indem er die Rolle der Frau aufwertet, und eröffnet gleichzeitig eine theologische Diskussion, da er, die paracelsische Sicht vertretend, sich gegen die theologische Zweiteilung der Welt ausspricht.
2.1.1 Die Fee als Opfer der Liebesbeziehung
In der Erzählung Ringoltingens wird Melusine dargestellt als eine Fee, die zum Opfer menschlichen Leichtsinns und männlichen Versagens wird.
Durch einen Fluch, den ihre Mutter Persine ihr und ihren Schwestern als Strafe auferlegt hatte für die eigenmächtige Bestrafung des wortbrüchigen Vaters, welche jedoch allein der Mutter zugestanden hätte, hat Melusine ihre Sterblichkeit verloren.
Sie gehört nun zu den seelenlosen Wesen, die den Elementen entstammen und außerhalb der Heilsgeschichte angesiedelt sind. Als Zeichen ihrer dämonischen Herkunft verwandelt sie sich jeden Sonnabend vom Nabel ab in einen ´hässlichen Wurm´, in eine Meeresschlange. Nur die Verbindung mit einem sterblichen Mann kann sie aus dieser Misere befreien, doch dieser heilsversprechenden Verbindung wird noch zusätzlich ein schwer einzuhaltendes Tabu auferlegt, ihr Gemahl darf sie an den besagten Sonnabenden nicht sehen. Überhaupt darf sie an diesem Tag von keinem Menschen erblickt werden.
Von außen betrachtet ist Melusine eine gewöhnliche Frau mit hohen Ambitionen und großen Fähigkeiten, sie gilt als die Urbarmacherin, die Ahnfrau, doch in Wirklichkeit ist ihre innere Freiheit sehr eingeschränkt. Sie ist erlösungsbedürftig und abhängig von der Güte und der Zuneigung ihres Ehegatten. Die zarte Liebe zwischen ihr und Raymund ist den Stürmen des Lebens nicht gewachsen. Raymund erweist sich als ein Mann ohne Standhaftigkeit und Charakterstärke. Die Verurteilung und Bestrafung des eigenen wortbrüchigen Vaters kommen auf sie zurück, sie muss schließlich mit ansehen, wie ihr geliebter Mann sie vor der ganzen höfischen Gesellschaft bloßstellt, indem er ihre wahre Natur offenbart und sie als einen ´schändlichen Wurm´ beschimpft. Zudem lastet der Fluch auch auf Melusines Nachkommenschaft. Acht von ihren zehn Kindern sind in der einen oder anderen Form missgestaltet. Trotz ihrer Dämonie wird sie als das Opfer dargestellt, als eine gepeinigte, eine mitleiderregende, zu Unrecht verurteilte Frau.
In der langen Zeit ihrer Ehe mit Reymund entstand eine tiefe und innige Liebesbeziehung zwischen den beiden. Melusine ist nicht diejenige, die das Unheil über diese Ehe bringt, und es ist nicht die negative Kraft ihrer Dämonie, die sich zerstörerisch auswirkt. Als ihr Ehemann sein Misstrauen ihr gegenüber zum Ausdruck bringt und sie heimlich an einem Samstag beobachtet und damit das erste Tabu bricht, kommt ein Stein ins Rollen, den Melusine nicht mehr aufhalten kann. Obwohl sie ihrem Ehemann nicht mehr vertrauen dürfte, beschließt sie trotzdem, ihm aus vollem Herzen zu vergeben. Doch der zweite Tabubruch lässt nicht mehr lange auf sich warten. Das Motiv der Intimität gewährt Reymund zwar eine zweite Chance, doch er kann diese nicht schätzen, kann seine Enttäuschung und Wut über die Tat eines seiner Söhne nicht länger verbergen, schiebt die ganze Schuld auf seine Frau und wählt den einfachsten Fluchtweg, heraus aus der Beziehung und aus seinem Versprechen.
2.1.2 Die Problematik der Unsterblichkeit
Für den Akt der eigenmächtigen Rechtssprechung bestraft Persine ihre Töchter mit einem Fluch, von dem sie jeweils nur ein sterblicher Mann erlösen kann. Wenn Melusine in der Lage ist, einen Mann zu finden, der sie annimmt, wie sie ist, der ihr ein Zuhause gibt, sie an seinem Leben teilhaben lässt, und mit dem sie Kinder haben kann, dann wird sie zum Ende ihrer irdischen Tage kommen und in Ruhe als eine sterbliche Frau in das Himmelreich eingehen können. Aus Melusines Sicht ist es ein Privileg des irdischen Menschen, dass er sterben und erlöst werden kann. In den Augen des irdischen Menschen ist es jedoch erstrebenswert und geheimnisvoll, unsterblich zu sein. Und genau hier liegt die Problematik des Paares Lusignan. Melusine begehrt es mit ihrem ganzen Sein, trotz aller Schmerzen, Entbehrungen, Unwissenheit und allen Leidens, die das Leben den Normalsterblichen bereitet, lieber ein Mensch zu sein.
Sie hat die Erkenntnis gewonnen, dass der Tod - die ewige Ruhe und die Erlösung, mehr Wert sind als das immerwährende Getriebensein des seelenlosen Daseins.
Die Tragik dieser Erzählung liegt darin begründet, dass der Mensch in seiner Schwachheit und Sehnsucht nach Macht, Gewinn und Unsterblichkeit kein Bündnispartner für eine Fee sein kann. Melusine muss schließlich erkennen, dass ihr Wunsch niemals in Erfüllung gehen kann. Kein Mensch ist so einer Verantwortung gewachsen, der Druck des Tabus auf Reymund war so groß, dass er schließlich aufgegeben und Melusines Vertrauen missbraucht hat.
2.2 Astrologie und Magie in der Melusinenerzählung
2.2.1 Die magische Welt der Fee
Die Welt der ´Melusine´ erscheint als ein sich ausbreitendes, erweiterndes Ganzes. Das Publikum bekommt diese Welt für sich eröffnet. Die Magie ist die Kraft, die diese Welt zusammenhält und sie erklärt. Somit ist Magie nicht nur Zauber und Wundersames, sondern sie ist die Wissenschaft von der Macht des Geistes über die Materie, welche dem Menschen Einsicht in die Naturabläufe gewährt. Sie liefert dem Menschen verborgene Kräfte, zeigt ihm die wahren Ursachen, die hinter Geschehnissen stehen. So zum Beispiel wird die Wirkungsweise der ungewordenen Geister, der Nymphen, erklärt. Melusine gehört zum Volk der seelenlosen Wesen. Sie entstammt dem Element Wasser, sie lebt in einer anderen Zeitdimension als die Menschen, ist unvergänglich, altert nicht und kann sich frei von dem einen Reich in das andere bewegen, aus dem Feenreich in das ´Menschenreich´ wechseln. Im Feenreich bekleidet sie eine hohe Position und hat Verfügungsrecht über andere seelenlose Wesen, wie es in der Hochzeitszene deutlich wird:
„... da sahe Reymund so viel schoenes Volcks / Frawen / Ritter und Knecht / Priester / und mancherley ehrliches Volcks / gar reich bekleidet. ... und [er] sprach: >> Wer oder von wannen ist das Volck alles? << da antwortet ihm die Frawe [Melusine] / und sprach: >> Es sol dich nicht wunder nemmen / denn sie seyn alle dein<< unnd kehret sich darmit umb zu dem Volck / und gebott in allen / daß sie dem Reymund gehorsam und underthan werden / als ihrem rechten Herren und Gebieter...“ 4
2.2.2 Der Spuk
Reymund und seine Familie sind sehr verwundert, als sie im Wald am Durstbrunnen einem riesigen Hochzeitsgelage, den Freunden und Verwandten Melusines, begegnen:
„... da sahen sie under den Felsen in den Baeumen / Auff dem gruenen Boden / gar viel schoener gezelt auffgericht / und bey dem Durstbrunnen / und auch allenthalben dem Walde / gar ein grossen Rauch auffgehen / und viel Volcks ohn alle zal. Sie gedachten alle/ diß mag wol nun ein Gespenst seyn. „5
Dieses Hochzeitsvolk erscheint für den zeitgenössischen Leser auf den ersten Blick als ein ganz gewöhnliches Bild einer Hochzeitsgesellschaft, doch in Wirklichkeit beschreibt Ringoltingen einen Spuk, die irdische Manifestation der geistlichen Wesen, der Feen und Nymphen. Ähnlich wie die Hochzeitsszenen ist auch die spätere Bautätigkeit Melusines in der Originalfassung Couldrettes von Spuk und Wunder umgeben. Es erscheint, als würde sie ein Schloss nach dem anderen nachtsüber aus dem Boden zaubern. In der deutschen Fassung ging die Spukhaftigkeit dieser Szenen ganz verloren. Außerdem ist Melusine in beiden Versionen, sowohl in der französischen wie auch in der deutschen, mit einer hellseherischen Fähigkeit ausgestattet, sie kann die Zukunft vorausdeuten und tragische Geschehnisse voraussehen. Dies wird daran deutlich, dass sie weise und vorausschauende Anweisungen an Reymund gibt und dieser ohne zu zögern ihre Worte in die Tat umsetzt, was sich später als die einzig richtige Entscheidung erweist.
Für Ringoltingen ist die Melusine eine Meerfee, eine wundersame, ungewöhnliche Naturerscheinung. Zwar nennt er sie auch ´gespönst´, aber überwiegend gebraucht er positiv klingende Adjektive wie: frömbd, wunder(-lich), aventürlich, seltzam . „Fremd und Wunder ist [in der ´Melusine´] alles, was von der alltäglichen Lebenserfahrung entfernt ist.“[1], wie Jan–Dirk Müller es in seinem Aufsatz: „Melusine in Bern“ feststellt. Thüring von Ringoltingen verhindert durch seine nüchterne Beschreibung, dass das Reich der Melusine dem Leser sich als eine rein dämonische Welt offenbart, er „drängt [...] alles zurück, was zu deutlich nach einem Spuk aussieht.“7
2.2.3 Magie und Geschichte
Im Mittelpunkt des Erzählinteresses steht in dieser Erzählung das Verhältnis der Magie und Astronomie zur Alltagserfahrung, zur Zeit und zur Geschichte, besonderes aber zum Prozess der Vergeschichtlichung. Auch geht es um die Wirkung von Vergangenem in der Gegenwart. Im Melusineroman ist dies die Geschichte der Lusignans, welche mit der Biographie ihrer Gründerin verknüpft wird. Außerdem legitimiert Magie in einer gewissen Weise den Herrschaftsanspruch dieser Familie. Melusines Ursprung und dessen Zeichen nennt Ringoltingen als eine ´ußzeichnung´ von Gott, welche ihre Herausgehobenheit und Herrschergröße bestätigen. Alle Prophezeiungen über die Lusignans, über ihre Zukunft, tragen dazu bei, dass das wundersame ´ harkommen ´ dieses Geschlechts ständig vor die Augen der Leserschaft geführt wird. Mit der Verheißung zur Erlösung der Schwestern Melusines bleibt die Symbiose von Magie und Geschichte innerhalb der Erzählung offen.
2.2.4 Magie der Worte
Als Persine ihren Töchtern Flüche auferlegt, beziehen diese bindenden Worte ihre Kraft aus der Magie. Sie werden wirksam, wenn sie öffentlich, das heißt rechtlich gültig, ausgesprochen worden sind. Durch die Kraft der Magie, welche nach mittelalterlichem Verständnis auf Zauber, Beschwörung und der Zubereitung von Giften beruht, verwandelt sich Melusine entgegen ihrem Willen in ein dämonisches Wesen und verliert ihre Seele. Damit verliert sie die wichtigste Eigenschaft, welche sie zu einem Menschen macht. Die Tragödie für den nach dem mittelalterlichen Prinzip denkenden Menschen ist die Tatsache, dass ihr so der Zugang zum Paradies verweigert wird, da sie nicht erlöst werden kann.
2.2.5 Die Kunst der ´Astronomia´
„Das Planvolle des Geschehens wird dem Leser am Anfang des Textes anhand einer Himmelsvision vor Augen geführt.“8 Der wohlhabende Onkel Reymunds, der Graf von Emmerich, „ein wohlgelehrter sinnreicher Herr / und besonderer in der Kunst Astronomia“9 gut bewandert, betrachtet bei einem Jagdausritt die Sternenkonstellation am Himmel und schließt daraus auf zukünftige Geschehnisse, die nicht lange auf sich warten lassen. An demselben Tag noch verwundet Reymund während der Jagd versehentlich seinen Onkel, so dass dieser stirbt. Kurze Zeit später wird der ´Mörder´ zum Erben seines ´Opfers´, Reymund tritt an die Stelle seines Onkels, des Grafen Emmerich. Es darf nicht unerwähnt bleiben, dass Reymund in keinen Mord, sondern in einen Jagdunfall verwickelt ist. Er tat es ohne Absicht. Somit ist die schicksalstreibende Kraft in dieser Szene nicht der menschliche Wille und die menschliche Vorsicht, denn nichts kann die prophezeite Tragödie verhindern.
Nach Ringoltingens Verständnis ist es Gott, der die ganze Situation herbeigeführt und sie im Griff hat. Reymund wird in seine göttliche Berufung hineingeführt, die von Anfang an ihm zugedacht war. Sein ´harkomen´ ist gesichert, so kann sein Aufstieg zu einem mächtigen Herrscher und Gründungsvater einer ganzen Dynastie als legitim gelten. Erst durch den Jagdunfall kann mit Melusine die glücksverheißende Verbindung in sein Leben Einzug finden.
2.3 Der heidnische Ursprung der Sage
2.3.1 Die ´ußzeichnung´ - Herausgehobenheit im doppeltem Sinne
Ringoltingen fügt christliche Motive ein, durch welche er zu betonen erreicht, dass kein Teufelswerk im Spiel sei, dass Melusine wahrlich als ein Geschöpf Gottes anzusehen ist. Sie ist ausgestattet mit frommen, christlichen Zügen, als sorgetragende Mutter ermahnt sie ihre Söhne, stets der Heiligen Kirche zu dienen und ihre Vorkämpfer gegen alle Bösegesinnten zu sein. Zudem gründet sie vielfach Kirchen, Klöster und Kapellen. In ihrem Gottesdienst ist sie kaum zu übertreffen. Karl Heisig macht in seinem Aufsatz ´Über den Ursprung der Melusinensage´ jedoch darauf aufmerksam, dass das Denkmotiv der Szene, in der Melusine in eine Schlange verwandelt unter großem Wehgeschrei davonfliegt, seinen Ursprung im hellenistisch – orientalischen Heidentum habe.
„Der griechisch gebildete Syrer Lukianos von Samosata,
der in der zweiten Hälfte des zweiten Jahrhunderts nach
Christo schrieb, berichtet, er habe in Phönizien – der Name
des Ortes wird nicht angegeben – ein Bild der syrischen
Göttin Derketo gesehen, auf dem sie in seltsamer Gestalt
dargestellt war: , denn sie ist zur oberen Hälfte Weib,
von den Schenkeln aber bis zu den Fußspitzen läuft sie in
einen Fischschwanz aus.´“10
[...]
1 Kurt Ruh, Die “Melusine“ des Thüring von Ringoltingen. München 1985 (MSB 1985, H.5) S.23
2 Gerhild Scholz-Williams, Magie entzaubert: Melusine, Paracelsus, Faustus. In: James F. S.60
3 Bea Lundt, Melusine und Merlin im Mittelalter: Entwürfe und Modelle weiblicher Existenz im
Beziehungs-Diskurs des Geschlechter; ein Beitrag zur historischen Erzählforschung,
München, 1991, S.172
4 Melusine, Thüring von Ringoltingen, S.20
5 ebd. S.23
6 aus: Jan-Dirk Müller, ´Melusine in Bern´ S.83
7 ebd.
8 Poag, James F./Fox, Thomas C., ´Entzauberung der Welt, Deutsche Literatur 1000-1800´, 1981 Tübingen,
Aufsatz von Gerhild William Scholz, ´Magie entzaubert: Melusine, Pracelsus, Faustus´ S.60
9 ´Melusine´ S. 4
10 Karl Heisig, Über den Ursprung des Melusinensage. In: Fabula 3, 1960, S.174
11 ebd. S.178
- Citar trabajo
- Andrea Nagy (Autor), 2000, Die Melusine von Thüring von Ringoltingen (1456) - Magie und Theologie im Fluss der Geschichte, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/46673
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