„Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt“ (Art. 1 Abs. 1 GG). Aber was ist, wenn das Leben eines Menschen, bedingt durch Schmerz, nicht mehr würdevoll ist?
Gerade in Bereichen der Sozialen Arbeit werden sowohl Klienten mit ihren Angehörigen als auch die zuständigen Betreuer immer häufiger mit dieser Thematik konfrontiert. Eine Diskussion vor diesem Hintergrund soll die vorliegende Arbeit darlegen.
Wissenschaftliches Essay Menschenrechte- Sterbehilfe und Immanuel Kant
„Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt“ (Art. 1 Abs. 1 GG). Aber was ist, wenn das Leben eines Menschen, bedingt durch Schmerz, nicht mehr würdevoll ist?
Das stark umstrittene Thema der Sterbehilfe, vor allem wenn es um die Fragen nach Autonomie, Moral, Gerechtigkeit und der Umsetzung geht, bietet ständig neue Diskussionsmöglichkeiten.
Bereits Immanuel Kant beschäftigte sich, zu Beginn der Aufklärung, mit vielen Fragen der Ethik, Moral, Würde und der Sterbehilfe.
Dieses Thema reicht unter anderem auch in viele Gebiete der Sozialen Arbeit und gilt für diese als besonders wichtig, da sich die Diskussionen um die Frage der Sterbehilfe mit vielen Themenbereichen der Sozialen Arbeit auseinander setzen müssen. Dazu gehören sowohl die rechtliche Rahmenbedingungen, als auch Themen der Moralität, Partizipation, Autonomie, Würde und Gerechtigkeit.
Es stellt sich somit die Fragestellung, ob die Sterbehilfe weiterhin umstritten bleiben sollte und ob man diese schon bereits mit Kants ersten Ansätzen befürworten kann.
Vorab lässt sich darlegen, dass sich in Deutschland jährlich etwa 10.000 Menschen für eine Art der Selbsttötung entscheiden und rund 100.000 diese versuchen, ohne, dass dieser Versuch tatsächlich ihr Leben beendet. Bei Meinungsumfragen der Bevölkerung lag die Befürwortung der aktiven Sterbehilfe zuletzt bei über 60 Prozent (Buecker, 2016). Also was genau spricht für viele dagegen, dass man Menschen in extremen Ausnahmezuständen Sterbehilfe leisten kann, damit für diese die Möglichkeit besteht, auf eine sichere, legale und vor allem schmerzfreie Art und Weise zu sterben?
Bereits Kant sagte, dass man seine Handlungen nach denjenigen Maximen ausrichten muss, damit diese Allgemeingültigkeit besitzen und ein allgemeines Gesetz werden können. Also Handlungen, welche unabhängig von erstrebenswerten Wirkungen und ohne konkrete Absichten sind, nicht bloß der eigenen Bedürfnisbefriedigung und Neigungen entsprechen, sondern um der guten, beziehungsweise moralischen Handlung selbst wegen getätigt werden (Paton,1962, zitiert nach Kant).
Damit beschreibt er das Handeln nach formalen und nicht nach materiellen Maximen (Paton,1962, zitiert nach Kant).
Denn die Menschenwürde liegt nach Kant darin begründet, niemanden nur als Mittel zur eigenen Zielerreichung zu benutzen, sondern, dass der Mensch immer Selbstzweck bleiben muss (Kant,1999, zitiert nach Mührel & Röh, 2013, S.98).
Trotz alledem müssen oftmals auch materielle Maximen berücksichtigt werden, um die Umstände beurteilen zu können. Denn auch bei einer höchst moralischen Handlung kann es notwendig sein, diese Umstände mit zu berücksichtigen, wenn die materielle Maxime auch einen formalen Nutzen besitzt (Paton,1962, zitiert nach Kant).
Geht man nun auf die Sterbehilfe ein, muss man zugegebenermaßen sagen, dass es dem leidenden Menschen in erster Linie um sein eigenes Wohl und seinen eigenen Willen geht. Dass dieser sich eine Handlung hervor wünscht, welche seinen eigenen Neigungen entspricht, unabhängig davon, was diese für die Allgemeinheit bedeutet und unabhängig davon, ob jemand nur als Mittel zum Zweck benutzt wird.
Dennoch kann man in der Sterbehilfe, mit Rücksicht auf die Allgemeinheit, das allgemeine Gesetz erkennen, extrem leidenden Menschen dieses Leid zu verkürzen, also allgemeine Schmerzen und Leid zu verringern. Denn rund 95% der Menschen sterben durch eine Krankheit. Aber der Tod steht hierbei erst am Ende des Sterbeprozesses (Holz 2013). Durch die Sterbehilfe kann diesem Leid somit nur schneller ein Ende gesetzt und der Selbstbestimmungswunsch des Menschen respektiert werden.
Kant richtet sich zwar gegen Selbstmord, wobei Paton (1962) deutet, dass er diese Ansicht nur aus den Gründen vertritt, da er davon ausgeht, dass Selbstmord an sich unmoralisch ist. Befürwortet diesen dennoch unter dem Aspekt, wenn absolut keine Möglichkeit mehr besteht, ein sittliches Leben zu führen und bekennt darin den Moralischen Wert.
Dazu gehört bei Kant ebenfalls der Aspekt der Selbstliebe, die zur Beförderung, das Leben anzutreiben, dient. Allerdings, wenn es einen Instinkt gibt, welcher zum Erhalt des Lebens dient, muss es ebenfalls einen geben, welcher zum Tod führen kann, wenn das Leben nur noch aus Schmerz besteht (Paton, 1969).
Damit ist gemeint, dass ein gesunder Mensch, welcher sein Leben schätzt und würdigt, den Wunsch besitzt, dieses Leben weiter zu führen.
Dazu gehört ebenso, dass ein kranker und leidender Mensch gleichzeitig den Wunsch besitzen kann zu Sterben, wenn er die Meinung vertritt, dass keine Möglichkeit mehr auf ein sittliches Leben besteht.
Die Würde des Menschen ist allerdings ausschließlich in seiner selbst begründet (Tiedemann, 2006, zitiert nach Mührel & Röh, S.96).
Was bedeutet, dass auch ausschließlich dieser Mensch über sein Empfinden und seine Würde in der Lage ist, zu urteilen.
Außerdem stünde das Prinzip der Selbstliebe, unter Abwägung zwischen Wohlbefinden und Schmerz im Widerspruch, wenn es nicht variabel wäre (Paton, 1969).
Denn sowohl das Leben, als auch das Sterben und der Tot gehören zur menschlichen Existenz und sind somit gleichgesetzt.
Somit hängt der Selbstbestimmungsaspekt sowohl vom Leben, als auch vom Sterben ab (Holz, 2013).
Infolgedessen muss die Sterbehilfe ebenfalls als eine allgemeine Gesetzmäßigkeit angesehen werden, wenn das Leben mehr durch Schmerz als Wohlbefinden bedingt wird, unter Anbetracht, dass das Leben und der Tod gleichgesetzt sind und Leid verringert werden kann.
Um dem Grundgesetz, die Würde des Menschen zu sichern, zurecht zu werden, darf man nicht außer acht lassen, dass sowohl das Leben als auch der Tod Würde besitzen und dass man bei seinem Handeln beides berücksichtigen muss, wenn es der Wunsch des betroffenen Menschen ist.
Denn dabei sollte man bedenken, dass gerade der Tod durch eine unheilbare Krankheit ein unausweichlicher Prozess ist.
Des weiteren gibt es eine subjektive Freiheit, welche sich aus autonomen Regeln und der praktischen Vernunft gründet. Das Freiheitsrecht ist die gleichmäßige Unabhängigkeit von einander, was bedeutet, dass niemand einem fremden Willen unterworfen sein sollte (Lutz- Bachmann, 2014).
Außerdem kommt dem Menschen das Recht zu, nicht leiden zu müssen (Holz, 2013). Aber wie frei ist ein Mensch, welcher nicht mehr dazu in der Lage ist, ein sittliches und würdevolles Leben zu führen, wenn man diesem die einzige Freiheit, über sein Leben, beziehungsweise Tod zu entscheiden nimmt?
Es stellt sich außerdem die Frage, wer dazu befugt werden darf, über das Leid und Wohlempfinden und somit den Erhalt des Lebens, des Betroffenen zu urteilen, wenn diesem dieses Recht nicht selbst zu kommt.
Darüber hinaus gilt es zu klären, wessen Wille letzten Endes zählt und der betroffene Mensch nicht einem fremden Willen unterworfen wird, indem man diesem seinen eigenen verweigert.
Dieser Mensch würde dies bezüglich abhängig von der Meinung der anderen sein, unter extremem Leid sogar von Tabletten oder ärztlichen Maschinen, um sein Leben um der Leben selbst willen zu erhalten.
Man würde dabei aber vollkommen außer acht lassen, in wie weit dieses Leben an sich noch lebenswert ist und ebenfalls der Autonomie des Betroffenen keinen Respekt und Achtung mehr zu erteilen.
Bezieht man sich noch einmal auf den Kategorischen Imperativ, lässt sich hier in gleicher Weise die Frage aufwerfen, welche allgemeine Gesetzmäßigkeit erreicht werden soll, wenn man dem Menschen seinen freien Willen einerseits einschränkt und andererseits Leid befördert, um das Leben an sich selbst zu erhalten.
Wie schon des öfteren angeschnitten und besonders fundamental für Kants Theorie und zur Begründung der Sterbehilfe ist vor allem der Faktor der Autonomie.
Hervorzuheben ist hierbei nochmals, dass die Menschenwürde vor allem in der Selbstbestimmung anerkannt wird und innerhalb des Menschen selbst begründet liegt (Holz, 2013).
Da die Menschenwürde zu einem der Grundgesetze gehört, bleibt nicht nachvollziehbar, wie man einem Menschen diese Würde absprechen kann, indem man ihm in besonderen Ausnahmezuständen verweigert, über sich selbst zu entscheiden.
In vielen Ländern wird über dieses Thema anders geurteilt und somit argumentiert die Organisation EXIT genau mit diesen Aspekten der Selbstbestimmung, sowohl im Leben, als auch im Tod, der Selbstbestimmung als Ausdruck der Menschenwürde, Anerkennung dieses Rechts und einer humanen Sterbekultur.
Sie begleitet die Menschen, auf deren ausdrücklichen Wunsch, die wegen einer schwerer körperlicher Krankheit, Behinderung oder enormen Altersbeschwerden so sehr leiden, dass sie in ihrer Existenz keinen Sinn mehr erkennen.
Dies geschieht wiederum während vielen persönlichen und fachlichen Beratungen, mit Rücksichtnahme auf das geltende Recht.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Kants Theorie sich auf einen funktionierenden Staat beschränkt und Maximen um Handlungsmöglichkeiten für ein moralisches Handeln liefert, unter Anbetracht von Gerechtigkeit, Autonomie, Freiheit und Gleichheit. Dabei werden zwar gewisse Ausnahmezustände, wie zum Beispiel das Verhältnis zwischen Armen und Reichen ansatzweise mit einbegriffen, aber der konkrete Aspekt eines sittlichen und menschenwürdigen Lebens nicht genauer definiert.
Seine Theorie liefert somit keine klare Aussagen und Schlüsse über sein Denken zum
Thema Sterbehilfe, wenn es dem Menschen nicht mehr möglich ist, würdevoll am Leben teilzunehmen.
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- Citation du texte
- Evelyn Fleig (Auteur), 2017, Immanuel Kant und die Sterbehilfe, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/465998