Innerhalb seiner wissenschaftlichen Ausführungen beschäftigt sich (Sebastian Oswald) mit der Darstellung von digitalen Tieren in Computerspielen. Dabei stellt er sich die Frage, inwiefern diese Tiere die Wahrnehmung des Spielers von realen Tieren beeinflussen können. Haben digitale Wesen einen Einfluss auf den Spieler oder ist für diesen alles nur ein Spiel? Kann es sogar zu einer emotionalen Bindung zwischen digitalem Tier und Spieler kommen? Weiterhin erfolgt eine Kategorisierung verschiedener Darstellungen von Tieren innerhalb von Computerspielen. Wie kommen Tiere eigentlich in Spielen vor? Gibt es einen Unterschied zwischen den Tieren von Grand Theft Auto V und Monster Hunter World? Wie werden sie von Entwicklern eingesetzt und zu welchem Zweck?
Um diese Fragen zu beantworten, beschäftigt sich der Autor zunächst mit grundlegenden Texten der Game Studies und mit Forschungsansätzen über den Umgang mit Tieren und ihren Einfluss auf die menschliche Kultur und Gesellschaft. Daraufhin werden Ergebnisse beider Forschungsbereiche zusammengeführt und anhand von Beispielen der Computerspielgeschichte ausgeführt. Diese Arbeit soll als Grundlage für weitere Forschungen im Bereich der Game Studies dienen und zu weiterführenden Diskussionen anregen, deren Fokus auf animalische Darstellungen liegt.
Wie haben sich Tiere innerhalb des Mediums bisher entwickelt und was wird im Laufe weiterer Jahre möglich sein? Eine wichtige Rolle dabei spielt die künstliche Intelligenz. Ist eine KI bereits jetzt in der Lage das Verhalten eines Tieres perfekt zu kopieren? All diese Fragen versucht die vorliegende wissenschaftliche Arbeit zu untersuchen und zu beantworten.
Inhalt
1. EINLEITUNG
2. GAME STUDIES
2.1. Der Raum
2.1.1. Von 2D zu 3D
2.1.2. Die Beschaffenheit des Raumes
2.2. Die Spielwelt
2.2.1. Der Aufbau der Spielwelt
2.2.2. Die Ebenen der Spielwelt
2.3. Der Avatar
2.3.1. Das Avatar-lose Spiel
2.4. Die Spiel-KI
2.4.1. Representation und Utility
2.4.2. Skripts
2.4.3. Pathfinding
2.4.4. Human-Level-AI
2.5. Die Involvierung des Spielers
2.5.1. Die aktionale, sensomotorische und audiovisuelle Involvierung
2.5.2. Die räumliche, narrative und temporale Involvierung
2.5.3. Die soziale, ökonomische und emotionale Involvierung
3. DAS TIER ALS TEIL DER MENSCHLICHEN GESELLSCHAFT
3.1. Das Tier
3.2. Die Umwelt des Tieres
3.2.1. Die Wahrnehmungsräume
3.3. Tierisches Verhalten
3.4. Zoosemiotik
3.5. Domestikation
3.5.1. Vertrauen und Unterwerfung
3.5.2. Die Phasen des Kennenlernens
3.6. Die Ontologien der Gesellschaft . 42
3.6.1. Animismus
3.6.2. Totemismus
3.6.3. Naturalismus
3.6.4. Analogismus
4. ANIMALISCHE DARSTELLUNGEN IN COMPUTERSPIELEN
4.1. Arten animalischer Darstellungen
4.2. Der animalische Avatar ..
4.2.1. Einfluss auf das Spiel
4.2.2. Einfluss auf die Spielwelt
4.2.3. Der animalische Avatar als erweiterte Spielmechanik
4.2.4. Der animalische Avatar als Gegner des Naturalismus
4.2.5. Die Hybridisierung des Spielers
4.2.6. Die Hybridisierung durch den Avatar-Wechsel
4.3. Die animalische KI
4.3.1. Der animalische Antagonist
4.3.2. Animalische (Spiel-)Umwelt
4.3.3. Der animalische Gefährte
5. FAZIT
6. QUELLENVERZEICHNIS
6.1. Literatur
6.2. Internet-Seiten
6.3. Computerspiele
1. Einleitung
Weite malerische Landschaften, raue gnadenlose Schusswechsel, der wilde ungebändigte Westen – und schrumpfende Pferdetestikel: Im aktuell erschienenen Computerspiel RED DEAD REDEMPTION 2 von Rockstar, welches dem Spieler1 die Möglichkeit bietet, Abenteuer im Stil des amerikanischen Wild West des 19. Jahrhunderts zu erleben, sind Pferde eines der zentralen Elemente des Gameplays. Sie sollen an der Seite des Spielers sein, um diesen zu transportieren, seine Waffen zu tragen und sein Verbündeter zu werden. Das Spiel möchte neue Maßstäbe für den dargestellten Realismus setzen, wodurch es im Verlauf der Produktion u.a. zu einem Motion Capture von Pferden kam. Dabei handelt es sich im Normalfall um eine Technik, welche die Bewegungen eines Menschen exakt auf eine digitale Figur überträgt. Damit die Animation der Pferde innerhalb des Spiels so identisch wie aktuell möglich aussehen, wurde einem Pferd ein speziell angefertigter Anzug übergezogen, mit dem es eine Reihe von Bewegungen und Kunststücken unter genauer Beobachtung durchführte.2 Die Entwickler gingen sogar so weit, dass sie eine Animation der Pferdehoden einfügten, die die Größe durch verschiedene Witterungsbedingungen verändert darstellt.3 Neben dem Erlernen von Kunststücken, eine Möglichkeit der optischen Anpassung und noch weiteren besonderen Animationen, erhoffen sich die Entwickler, dass der Spieler eine enge Verbindung zu seinem Reittier knüpft. Doch warum bewirken Animationen, die in diesem Spiel ein neue Ebene von Detailtiefe erreichen, bei dem Spieler das Aufkommen einer Empfindung gegenüber einer digitalen animalischen Präsenz?
In der vorliegenden wissenschaftlichen Arbeit soll untersucht werden, wie genau solche Techniken innerhalb von Computerspielen dazu führen, dass der Spieler von digitalen Tieren beeinflusst wird und zwar in solchem Maße, dass er eine emotionale Bindung zu diesen Tieren aufbauen kann. Daraus entwickelt sich folgende These für diese Arbeit: Durch die Darstellung digitaler Tiere innerhalb von Computerspielen kann die Wahrnehmung des Spielers von realen Tieren beeinflusst werden.
Um diese These zu belegen, verfolgt diese wissenschaftliche Ausarbeitung zwei zentrale Ziele: Zum einen soll ein Überblick darüber geschaffen werden, welche Formen und Arten von Tieren innerhalb von Computerspielen vorzufinden sind. Tiere sind ein nicht mehr wegzudenkender fester Beststandteil von Computerspielen. Ob es dabei um ikonische Figuren geht oder um einfache Reittiere: ohne sie würde Computerspielen ein wesentliches Element fehlen.
Zum anderen soll anhand einer gewissen Anzahl von Untersuchungsgegenständen gezeigt werden, welche Möglichkeiten Computerspiele besitzen, um dem Spieler tierisches Verhalten glaubhaft zu vermitteln und damit seine Wahrnehmung von realen Tieren zu beeinflussen.
Um diese Punkte darzulegen, existieren innerhalb dieser Arbeit drei Themenschwerpunkte. Zunächst wird innerhalb des zweiten Kapitels ein Überblick über allgemeine Forschungsansätze der sogenannten Game Studies geboten. Der Fokus darin liegt auf Theorien zur Analyse des Computerspielraums, der Spielwelt, des Avatars und der künstlichen Intelligenz. In diesen Abschnitten geht es vor allem um die Untersuchung technischer Elemente, die zu großen Teilen das Gameplay eines Computerspiels ausmachen und notwendig sind, damit dieses als Medium existieren kann. Abgeschlossen werden diese Darstellungen mit den Techniken des Involvements nach Britta Neitzel, die gezielt zusammenfassen, welche Möglichkeiten in Computerspielen angewandt werden, um den Spieler in das Spielgeschehen zu integrieren. Da das Ziel dieser Arbeit darin besteht, den Einfluss animalischer Aspekte auf den Spieler hervorzuheben, ist es notwendig zu erfahren, über welche Wege Computerspiele überhaupt auf den Spieler wirken können.
Der Schwerpunkt des dritten Kapitels liegt auf allgemeinen Forschungsansätzen im Umgang mit Tieren und ihrem Einfluss auf die menschliche Kultur und Gesellschaft. Zunächst erfolgt eine kurze Definition des Tiers, um die Frage zu beantworten, welche digitalen Tiere innerhalb dieser Arbeit eine Grundlage für die Untersuchungen bilden. Daraufhin erfolgt ein Einblick in die Umwelt von Lebewesen nach den Forschungen durch Jakob von Uexküll und Forschungen im Bereich des tierischen Verhaltens nach Charles Darwin. Beide Theorien bieten ein grundlegendes Verständnis über die Funktion eines Tiers, die sich auf die technischen Möglichkeiten digitaler Tiere übertragen lassen. Weiterhin nimmt der Forschungsbereich der Zoosemiotik eine wichtige Position ein, die darstellt, wie sich die Kommunikation von Tieren verhält. Die Kommunikation wird zu großen Teilen eine Rolle spielen, wenn Spieler und Tier aufeinandertreffen und zusammen interagieren müssen. Weiterhin wird der Domestikationsbegriff nach dem Verständnis von Tim Ingold und das Verhältnis von Vertrauen und Dominanz näher erläutert. Beide Formen werden auch innerhalb der Untersuchungsgegenstände wieder vorkommen und eine Perspektive auf die Möglichkeit des Zähmens von Tieren innerhalb von Computerspielen bieten. Der Abschnitt endet mit der Darstellung der vier Ontologien: Animismus, Totemismus, Naturalismus und Analogismus, die laut Philippe Descola in verschiedener Weise Einfluss auf die Wahrnehmung von Tieren innerhalb der Menschheitsgeschichte genommen haben und nehmen werden.
Das vierte große Kapitel der wissenschaftlichen Ausführungen steht ganz im Zeichen der Darstellung und Untersuchung von animalischen Formen innerhalb von Computerspielen. Die zuvor dargelegten Theorien der Game Studies und der Zoologie werden hier genutzt, um Computerspiele zu untersuchen, in denen animalische Darstellungen im Zentrum der Spielmechanik liegen. Die Themenschwerpunkte liegen dabei auf dem animalischen Avatar, was dem Spieler entspricht, der die Rolle eines Tieres übernimmt und auf der animalischen KI, was dagegen dem Computer entspricht, der die Rolle der digitalen Tiere übernimmt.
So wird der animalische Avatar zunächst hinsichtlich seines Einflusses auf das Computerspiel und auf die Spielwelt anhand von SHELTER untersucht. Der spezielle Fall des animalischen Avatars als erweiterte Spielmechanik zeigt an Beispielen wie GRAND THEFT AUTO V, FAR CRY PRIMAL und ASSASSIN‘S CREED ORIGINS, welchen Nutzen das Spiel von einem temporären Avatar-Wechsel zwischen Mensch und Tier besitzt. Anhand des Spiels SHELTER 2 werden zuletzt Schlussfolgerungen hinsichtlich der Bedeutung des animalischen Avatars für den Naturalismus nach Descola gezogen.
Die animalische KI lässt sich weiterhin in den animalischen Antagonisten, in die animalische (neutrale) Umwelt und in den animalischen Gefährten unterteilen. Anhand des animalischen Antagonisten werden Eigenschaften an Tieren der realen und der digitalen Welt aufgezeigt, die diesen als Antagonisten charakterisieren und welche Auswirkungen diese auf den Spieler haben können. Das Spiel ALIEN: ISOLATION besitzt einen der herausforderndsten animalischen Antagonisten, wodurch der Fokus auf dem Einsatz des Aliens und der Beziehung zwischen Spieler und Antagonist liegt. Das neutrale Tier wird unter anderem anhand von GRAND THEFT AUTO V, MONSTER HUNTER: WORLD und MARVEL‘S SPIDERMAN dargestellt. Es stellt sich heraus, dass selbst Tiere, die nur im Hintergrund des Spielgeschehens existieren, einen wesentlichen Einfluss auf den Spieler und die Spielwelt besitzen. Der größte Abschnitt der Untersuchung widmet sich dem animalischen Gefährten. Darin wird zunächst eine allgemeine Übersicht darüber geboten, welche Eigenschaften den Charakter eines animalischen Gefährten innerhalb von Computerspielen ausmachen können. Im Anschluss kommt es zu einer Gegenüberstellung der Titel FAR CRY PRIMAL und THE LAST GUARDIAN, um die Vorteile einer glaubhaft inszenierten Tier-Mensch-Beziehung für das Medium hervorzuheben und den damit einhergehenden Einfluss auf den Spieler zu verdeutlichen.
Nachdem die Theorien der Game Studies und der Zoologie und Zoosemiotik genutzt wurden, um anhand einiger Computerspiele die animalischen Figuren darzustellen, folgt im fünften Kapitel die abschließende Zusammenführung der Ergebnisse. Daraufhin soll die Frage beantwortet werden, inwiefern die Darstellung digitaler Tiere innerhalb von Computerspielen die Wahrnehmung des Spielers realer Tiere beeinflusst. Darüber hinaus werden Möglichkeiten für weitere Forschungsansätze anderer Darstellungsformen von Tieren innerhalb von Computerspielen geboten.
2. Game Studies
Die Game Studies sind ein Feld der Wissenschaft, das erst innerhalb der letzten 20 Jahre entstanden ist und sich Stück für Stück etablieren konnte. Computerspiele als Forschungsgegenstände stießen zunächst auf Widerstand. Gründe dafür waren u.a. immer wieder aufkommende Killerspiel -Debatten und eine zunächst relativ junge Konsumentengruppe.4 Hinzu kam, dass Computerspiele als ein eher fragwürdiges Medium in Bezug auf ihre Ernsthaftigkeit angesehen wurden und kein großer Teil der Gesellschaft vor der Jahrtausendwende in diese Thematik involviert war. Doch wie die Medienwissenschaftlerin Britta Neitzel anmerkt, sind Computerspiele ein sehr dynamischer Forschungsgegenstand, da dieser sich innerhalb kürzester Zeit auf verschiedenen Ebenen stark weiterentwickelt hat und dieser Prozess auch jetzt noch nicht beendet ist.5 Ebenfalls die erste große Debatte, die innerhalb der Games Studies geführt wurde - nämlich jene zwischen Narratologie und Ludologie - sorgte dafür, dass sich die Forschungsrichtung zuerst nicht vollständig etablieren konnte. Die Frage ob Spiele eher hinsichtlich ihrer Erzählungen oder in Bezug auf ihre Spielmechaniken erforscht werden sollten, schien die Forschung in zwei Lager zu trennen. Doch wie Neitzel zu dieser überholten Debatte anmerkt, sind Computerspiele auf keinen Fall einer dieser Kategorien zuzuordnen, da sie nie gleichartig strukturiert sind oder gleichartig operieren.6 Weiterhin sagt sie: „[Der Computer] ist ein hybrides Medium, das verschiedene Formen anderer Medien integriert und dabei Grenzen zwischen ihnen auflöst.”7
Hiervon ausgehend werden in dieser Arbeit zu keiner Zeit Grenzen zwischen ludischen und narrativen Aspekten gezogen, da der Fokus innerhalb der Arbeit je nach Forschungsgegenstand variabel ist und hinsichtlich des Ziels der Arbeit Fragen gestellt werden, die sich sowohl mit der narrativen Darstellung sowie mit der spielerischen Umsetzung von animalischen Spielfiguren auseinandersetzen. Dabei ist zu beachten, welche Gewichtung die Spiele selbst für ihren tierischen Charakter erkennen lassen, z.B. ob es sich um einen der Hauptcharaktere handelt oder das Tier nur am Rande innerhalb eines kurzen Spiel-Moments erscheint.
Im Folgenden werden nun einige der wichtigsten Begrifflichkeiten und Ansätze der Computerspiel Analyse aufgezeigt. Dabei handelt es sich nicht um eine vollständige Aufzählung aller analytischen Kernpunkte. Der Schwerpunkt liegt auf denjenigen, die für die kommenden Analysen der Forschungsbeispiele eine solide Basis darstellen. Darunter zählen zum einen der Raum, die Welt, der Avatar und die KI der Computerspiele. Zuletzt wird die emotionale Involvierung des Spielers als angestrebtes Ziel eines Computerspiels im Fokus stehen.
2.1. Der Raum
Der Raum ist einer der wichtigsten und zentralsten Begriffe, der innerhalb der Game Studies häufig aufgegriffen und als Basis für Analysen genutzt wird. Aufgrund seiner unterschiedlichen Darstellungsmöglichkeiten bietet er einen facettenreichen Interpretationsspielraum für Computerspiele. Zudem ist es mit seiner Hilfe möglich, verschiedene Disziplinen der Medienforschung mit jenen der Games Studies zu verbinden. Es zeigen sich weiterhin Elemente der traditionellen Kunstgeschichte, sowie aktuelle bildwissenschaftliche Forschungsansätze.8 Weitere Aspekte finden sich in der Architektur, dem Zeitgeist, der Gesellschaft und dem Aufbau der Spielwelt wieder.
Für Neitzel besitzt der Raum zwei wichtige Eigenschaften: Zum einen rahmt er das Spiel als eine Art Spielfeld ein und gibt die Regeln und die Physik des Spiels vor. Zum anderen ist der Raum der Zugang, durch den ein Spieler in die Welt des Spiels eintauchen kann. Der Raum ist eine der Brücken, die den Zutritt und das Verständnis der virtuellen Realität des Spiels ermöglicht.9
Weiterhin ist der Raum „der Versuch des Spiels seine eigene Immaterialität auszugleichen […]“10, denn ohne ihn würde ein Spiel nicht existieren und wäre nicht greifbar. Das Medium möchte, so Neitzel, sich selber in das Sein bringen - nicht allein um etwas darzustellen, sondern um überhaupt zu existieren. So wird der Raum erschaffen und genutzt, damit das Spiel optisch und narrativ überhaupt gespielt und erlebt werden kann.11
Neben den Räumen, die sich innerhalb eines Spiels eröffnen, zählen auch Räume als Forschungsobjekt, die sich zwar außerhalb des Mediums, jedoch mit dem Computerspiel als Mittelpunkt um dieses herum bilden. So weist Günzel z.B. auf den Spielraum als fest integrierten Raum des Alltags innerhalb des Wohnzimmers hin - also den Raum, der sich bildet, wenn ein Spieler mit der Konsole oder an seinem PC ein Computerspiel betritt.12
Neitzel verweist in diesem Zusammenhang auf den Begriff der „,Bilokation‘, also eine Erfahrungsform, in der sich der Spieler einerseits am physikalischen Ort des Spielmediums befindet und andererseits in eine narrativ-funktionale und kommunikative Spielwelt eintritt.”13
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Raum innerhalb eines Computerspiels dessen Grundgerüst ist, auf welchem alle weiteren Elemente aufbauen. Eines davon ist für den Medienwissenschaftler Benjamin Beil zunächst die Perspektive des Raums. Ein Computerspiel kann sowohl in einem 2D-, als auch in einem 3D-Raum stattfinden.
2.1.1. Von 2D zu 3D
Ein Spiel in 2D-Grafik wird entweder als Bildschirmcontainer oder als Multiscreen dargestellt. Beim ersteren sieht man die gesamte Spielfläche auf dem Monitor, wie es etwa beim Klassiker PONG der Fall ist. Bei der zweiten Variante existieren mehrere Ansichten einer Spielfläche, zwischen denen per Umschalten oder Scrolling gewechselt wird.14 Als Beispiel lässt sich hier der sogenannte Side-Scroller SUPER MARIO BROS. nennen.
Weiterhin gibt es Unterkategorien, z.B. die sogenannte isometrische Ansicht. Dabei handelt es sich um eine „Parallelprojektion, die über keine Fluchtpunkte verfügt und alle drei räumlichen Ebenen gleichwertig darstellt.“15 Der Spieler überblickt das Geschehen in einem Winkel von 30 Grad ausgehend von einem festen Punkt zur horizontalen Ebene. Dadurch wird suggeriert, eine allumfassende Übersicht zu besitzen. Schien diese Art der Darstellung zunächst eine Übergangphase von 2D zu 3D gewesen zu sein, etablierte sie sich vor allem im Bereich der Strategiespiele, wie AGE OF EMPIRE oder STARCRAFT 2. Auch sogenannte Multiplayer-Online-Battle-Arena Spiele (kurz: MOBA) wie LEAGUE OF LEGENDS oder DOTA 2 machen von der isometrischen Ansicht Gebrauch.
Eine weitere Unterkategorie ist das sogenannte Fake-3D oder auch 2.5D, welches mit visuellen Tricks der 2D-Grafik innerhalb des Raums Tiefe erzeugt. Beil stellt hier besonders die Technik des Parallax Scrollings heraus, welches sich den Umstand zu Nutze macht, dass Objekte in der Ferne sich langsamer bewegen als Objekte in der Nähe. Innerhalb der Spielansicht werden Objekte auf mehreren Ebenen verteilt, so als würden mehrere Blätter übereinandergelegt werden. Obwohl sich an der grundsätzlichen Geschwindigkeit des Spiels nichts verändert, bewegt sich nun z.B. die hintere Landschaft bei einem Jump’n’Run -Spiel langsamer als die Ebene, auf der sich die Spielfigur befindet. Hierdurch wird der Effekt der räumlichen Tiefe erzeugt.16
Die endgültige 3D-Grafik lässt sich am besten durch die Platzierung der virtuellen Kamera analysieren. Während bei 2D-Spielen in der Regel eine feste Sicht von einer einzigen Perspektive (frontal oder seitlich) existiert, so besitzen 3D-Spiele entweder eine Third-Person - oder eine First-Person -Perspektive. Bei der Third-Person-Perspektive handelt es sich um einen Blickwinkel, der dem Spieler eine Sicht auf den Rücken seiner Spielfigur und auf die nähere Umgebung erlaubt. Meist ist es zudem möglich, die Kamera um die Spielfigur im 360°-Winkel herumzudrehen, um in jede Richtung schauen zu können. Die First-Person-Perspektive ermöglicht dem Spieler, das Spiel aus der Position seiner Spielfigur heraus zu erleben. Man sieht nur das, was auch die Spielfigur sehen kann. Das Spielprinzip des First-Person-Shooter basiert auf dieser Art der Perspektive. Das Blickfeld des Spielers ist zwar etwas eingeschränkter, doch soll diese Perspektive eine stärkere Bindung zwischen Spieler und Spielfigur ermöglichen, worauf später noch näher eingegangen werden soll.17
2.1.2. Die Beschaffenheit des Raumes
Die wichtigste Rolle spielt der Raum für den Spieler. Es stellt sich zu Beginn einer jeden Untersuchung die Frage: Wie interagiert der Spieler mit der Umwelt des Spielraums? Was kann er darin machen und was nicht? Wie ist die physikalische Beschaffenheit? Was ist zu sehen und welche Teile des Raums kann er beeinflussen? Weiterhin ist es wichtig, zu untersuchen, inwiefern die Spielfigur des Spielers in die Welt und ihre Narration integriert ist. Existieren innerhalb der Spielwelt weitere Figuren? Wenn ja, sind diese Feinde oder Freunde?
Als letzten wichtigen Punkt fügt Rauscher die Beschaffenheit des Spielraums an. Handelt es sich dabei um ein Spiel, in dem sich der Spieler frei bewegen kann und den Verlauf selbst bestimmt - ein sogenanntes Open-World- Spiel - oder wird der Spieler durch Schlauchlevel geschickt und gelenkt, also durch eine feste Vorgabe von narrativen und spielerischen Ereignissen?18
Ebenso existieren Spiele, die Elemente beider Kategorien besitzen und nicht deutlich zugeordnet werden können. So kann es Schlauchlevel-Spiele geben, die einem zwar einen festen Weg vorgeben, aber dennoch stellenweise oder komplett frei zu erkunden sind oder Open-World-Spiele, die an manchen Momenten dem Spieler feste Levelabschnitte vorgeben, von denen dieser nicht abweichen kann. Ein Beispiel für den ersten Punkt wäre z.B. das Spiel DARK SOULS. Ein Großteil des Spielraums ist dem Spieler bereits zu Beginn frei zugänglich, doch muss sich dieser zunächst durch verschiedene Areale und Dungeons kämpfen, um in der Narration weiter voranzuschreiten und damit neue Teile des Raums zu erschließen oder bestehende zu verändern. Andersherum verhält es sich in FAR CRY 5 . Hier gibt es innerhalb eines komplett offenen Spielraums hin und wieder fest eingeplante narrative Video-Sequenzen, die der Spieler gezwungen ist zu passieren, z.B. wenn er von seinen Feinden entführt wird, um sich danach wieder in der offenen Welt bewegen zu können.
Zuletzt darf bei all diesen Raumkonzepten eines nicht vergessen werden: der eigenständige Spieler.19 Denn es ist zu jeder Zeit von Bedeutung, wie der individuelle Spieler das Spiel erleben möchte. Selbst ein klassisches Open-World -Spiel wie GRAND THEFT AUTO V kann ein einziges Schlauchlevel-System darstellen, wenn der Spieler sich streng an die Narration und die vorgegeben Missionen hält und diese in einem Stück durchspielt ohne sich dabei selbst frei innerhalb des Raums zu bewegen. Demzufolge kann ein und dasselbe Spiel durch unterschiedliche spielerische Wahrnehmungen räumlich anders erfahren werden.20 Laut Rauscher hat man innerhalb solcher Spiele die Möglichkeit, eine Simulation - also das virtuelle Durchführen von alltäglichen Tätigkeiten, wie Fahrrad fahren oder Golf spielen - oder einen fest vorgeschriebenen Themenpark zu durchlaufen.21
Doch wie auch immer der Spieler die Begebenheiten des Spiels erfahren möchte, wichtig ist, dass der Raum ihm dies zunächst ermöglichen muss. Der Rahmen zum Eintritt in die Spielwelt wird erst durch den Raum ermöglicht.
2.2. Die Spielwelt
Der Begriff der Welt innerhalb eines Computerspiels ist ohne den des Raumes nicht greifbar, sind beide Konzepte doch eng miteinander verknüpft. Die Welt benötigt den konstruierten Raum als Grundlage, ähnlich wie das Skelett das Gerüst des menschlichen Körpers ist. Sie lebt von den Regeln, den physikalischen Gesetzen und den Darstellungsmöglichkeiten des Spielraums. Nur aufgrund dieser durch den Raum gegebenen Elemente ist es ihr möglich, sich innerhalb des Spiels auszubreiten und zu festigen.
Die Welt des Spiels basiert auf zwei zentralen Ebenen: der Ebene der Narration und der Ebene des Designs bzw. der Architektur.22 Die Narration der Welt ist die Geschichte. Dieser Satz mag zunächst irrelevant klingen, da Narration nur ein Synonym von Geschichte sein kann, doch in dem Wort Geschichte steckt nicht nur die Bedeutung einer Erzählung. In der Geschichte steckt die Vergangenheit ebenso wie die Gegenwart. Wo und wann spielt das Spiel? Wer sind die darin existierenden Charaktere? Welche Geschichte spielt im Hintergrund und welche Geschichte erlebt der Spieler?
Das Design hingegen beschäftigt sich gänzlich mit der optischen und ebenso der akustischen Darstellung jener Welt. Die Architektur der Welten stellt sich ähnliche Fragen wie die Narration, allerdings von der Perspektive der Darstellung aus. Wie sieht die Welt zum aktuellen Zeitpunkt des Spielgeschehens aus? Wie sind die Figuren gekleidet? Welche Gebäude gibt es? Wie sollen die Räume aussehen, durch die sich der Spieler bewegt?
Beide Ebenen koexistieren mit- und beziehen sich aufeinander. Das sogenannte Worldbuilding für Computerspiele unterscheidet sich nicht grundlegend von der Erschaffung einer literarischen Welt innerhalb eines Romans. Die Unterschiede werden hinsichtlich des materiellen Aufwands deutlich, wenn man sich die Produktionskosten mancher AAA-Titel wie z.B. GRAND THEFT AUTO V von 265 Millionen Euro vor Augen führt.23 Weiterhin ist es möglich, dass sich Computerspielwelten außerhalb ihres anvertrauten Mediums weiterentwickeln und eine Intermedialität entstehen kann. So gibt es z.B. Filme zu Spielen, genauso wie es Spiele zu Filmen gibt. Was das Computerspiel als Medium nahezu einzigartig macht, ist die Integration des Spielers als interaktive Person und dessen Entscheidungsfreiheit darüber, wie die Welt erkundet werden soll. Dies geschieht letztendlich durch die ludischen Elemente, das heißt welche Möglichkeiten der Spieler besitzt, um sich innerhalb dieser geschaffenen Welt zu bewegen. Das sogenannte Gameplay bzw. die Spielmechanik als Summe der ganzen Entwicklung, ist letztendlich das, was der Spieler am Ende von einem Computerspiel erleben und spielen kann. Das Ziel eines jeden Spieleentwicklers ist es daher, eine nahezu perfekte Balance zwischen diesen Ebenen herzustellen.24
2.2.1. Der Aufbau der Spielwelt
Der Kunstwissenschaftler Marc Bonner hat sich ebenfalls mit der Welt innerhalb von Computerspielen auseinandergesetzt. Er beschreibt die Spielwelt als einen einzigen großen Themenpark, in dem alles, was innerhalb der Welt zu sehen ist, absichtlich an die Stelle platziert wurde, an der es zu finden ist, sofern sie frei von Fehlern oder die Welt nicht von einer KI generiert ist, worauf später noch eingegangen wird. Spielwelten sind laut Bonner komplett durchkonstruiert und alles sieht exakt so aus, wie es von den Entwicklern gewollt ist.25 Jedes Haus, jeder Stein, jede gegnerische Spielfigur wurde bewusst und mit einem bestimmten Grund an der dafür vorgesehenen Stelle platziert. Nicht zu vergessen sind in diesem Bereich neben physischen und optisch-anwesenden Elementen auch akustischen Bestandteilen, wie z.B. Gesang von Vögeln, Motorenlärm, gesprochene Dialoge von Passanten und auf einer noch höheren Ebene: der Score. Bonner selbst bezieht sich nicht auf den Klang eines Spiels, doch sind Begleitmusik und Umgebungsgeräusche wichtige Bedingungen, um der Welt eine Atmosphäre zu geben und sie lebendig erscheinen zu lassen.26 Hinzu kommen akustische Hinweise, die für bestimmte Interaktionen mit der Welt stehen. Man denke z.B. an das ikonische Klimpern beim Einsammeln einer Münze in SUPER MARIO WORLD.
Ein wichtiges Merkmal von architektonischen Bestandteilen sowie umweltbeschreibenden Objekten ist, dass ihre Platzierungen zu jeder Zeit mit den Elementen des Spielcharakters konform gehen müssen.27 Handelt es sich bei dem Computerspiel z.B. um einen Vertreter des Ego-Shooter-Genres, dann sollten darin in häufiger Anzahl Passagen existieren, in denen der Spieler mit angreifenden Gegnerhorden konfrontiert wird und das Terrain für einen gegenseitigen Schusswechsel geeignet ist. Das Gebiet sollte vom Aufbau einer Arena nahekommen, mit Objekten, die dem Spieler als Deckung dienen können. Ein Action-Adventure -Spiel wie THE LAST OF US hingegen, kann ebenfalls mit solchen Kampfmomenten ausgestattet sein, sollte allerdings Areale besitzen, die der Spieler erkunden und entdecken kann. Hier würden sich verstecke Gegenstände oder territoriale Besonderheiten eignen, um das Gameplay zu vertiefen.
Platzierte Objekte können noch viele weitere Aufgaben besitzen, wie Bonner feststellt. Dazu gehören unter anderem die „Rhythmisierung des Gameplays, Generierung von Stimmung und Atmosphäre sowie Ermunterung zu Wettkampf und Kooperation.“28
Von Vorteil kann es zudem für das jeweilige Genre sein, wenn auf Zeichensysteme der realen Welt zurückgegriffen wird. Der Spieler ist dann ist der Lage, diese als bekannte Objekte zu erkennen und dadurch ihren Nutzen innerhalb der digitalen Welt festzustellen.29 Dadurch kann die digitale Spielwelt der realen Welt des Spielers innerhalb mancher Genres sehr ähnlich sein, jedoch - so merkt Bonner erneut an - ist sie innerhalb des Spiels immer auf das Gameplay optimiert.30
2.2.2. Die Ebenen der Spielwelt
Von kleinen speziell platzierten Objekten geht es weiter zu dem grundlegenden Aufbau einer klassischen Spielwelt. Als ihre Grenze beschreibt Bonner die sogenannte Skybox. Sie ist die implizierte Landschaft eines Spiels, da sie für den Spieler die unerreichbare Ferne oder simpel den Himmel darstellt. Sie suggeriert dem Spieler einen weiten Raum und wesentlich mehr Welt bzw. Architektur als tatsächlich im Spiel vorhanden und erreichbar ist. In Open-World-Spielen existiert in der Regel eine Skybox, bei Schlauchlevel-Spielen können für die einzelnen Passagen durchaus mehrere kleinere bestehen.31 Grundlegend lässt sich die Skybox auch als die Schale einer Frucht vorstellen, welche die Spielwelt umschließt.
Innerhalb dieser Schale befindet sich das Fruchtfleisch oder auch: die passive und periphere Levelstruktur.32 Dabei handelt es sich um die Kulisse, innerhalb derer der Spieler sich aktuell befindet. In der Regel ist diese auch nicht passierbar, wird jedoch vom Spieler bereits als unmittelbare Nähe erkannt. Darunter zählen z.B. die hohen leeren Gebäude einer Stadt in THE LAST OF US, die sich hinter den Gebäuden befinden, die man als Spieler betreten kann. In neueren Spielen wie DARK SOULS 3 ist es möglich nahezu jedes Areal zu betreten, welches aus der Ferne erblickt werden kann. Auch dabei handelt es sich im Endeffekt um eine Frage der technischen und architektonischen Umsetzung der Spieleentwickler. Zudem ist hier die Frage, ob erst passiv erscheinende Levelstrukturen fest daran gebunden sein müssen oder sich im Verlauf des Spiels als letzte Ebene entpuppen können.
Der Kern der Spielwelt ist die aktive Levelstruktur, durch welche sich der Spieler im Rahmen der Regeln des Spiels frei bewegen kann. Auf dieser trifft er auf Gegner, findet Objekte und hat Ausblick auf die beiden umrahmenden Ebenen der Spielwelt. Hier ist ebenfalls wieder von Bedeutung, ob es sich bei dem Spiel um ein Open-World oder ein Schlauchlevel-Spiel handelt, denn daraus lässt sich die Größe und Bedeutung für den Spielverlauf ableiten.33
Wie der Spieler sich nun innerhalb dieser Welten bewegen kann, steht ihm zwar theoretisch frei, doch ist er dafür an die physikalischen Gegebenheiten des Raums gebunden sowie an seinen Avatar.
2.3. Der Avatar
Betritt der Spieler den Raum des Spiels, so benötigt er eine Figur, mit der er sich innerhalb der Spielwelt bewegen und mit den ihm gebotenen Objekten interagieren kann. Diese Spielfigur wird als Avatar bezeichnet. Neitzel eröffnet zu diesem Thema zwei verschiedene Theorien. Die erste Theorie, die sogenannte Repräsentationsthese, begreift den Avatar als Stellvertreterfigur des Spielers.34 Der Spieler übernimmt den Avatar, um in die Welt des Spiels zu gelangen und so als handelnder Charakter in ihr präsent zu sein. Als Gegendarstellung steht die Extensionsthese, die den Avatar zu einem reinen Werkzeug des Spielers degradiert.35 Sie beschreibt, dass der Spieler selbst nicht zum Teil der Spielwelt wird, sondern darin lediglich die Rolle eines Zuschauers einnimmt. Den aktiven Part übernimmt der vom Spieler gesteuerte Avatar. Die strikte Teilung der beiden Theorien unterschätzt die Komplexität des Avatars, da er aufgrund seiner Eigenschaft als „[e]in Kulminationspunkt, an dem Repräsentation, Interaktivität und Immersion sowie auch Fragen nach der Identität zusammenlaufen, […]“36 untrennbar Fähigkeiten von beiden Thesen zusammenführt.
Beil und Rauscher befassen sich ebenfalls mit dem Konzept des Avatars. Sie ergänzen weitere wichtige Eigenschaften, die ihn von anderen Elementen des Spiels abgrenzen. Für sie ist es wichtig, den Avatar als Teil, meist sogar als Mittelpunkt, des audiovisuellen Bildes des Computerspiels zu betrachten und nicht nur als einen aus dem Spiel gelösten Charakter einer Handlung. Der Avatar ist das „zentrale […] Element der Bild-Spieler- Schnittstelle.“37
Trennt man Avatar und Spiel, um z.B. die Hauptfigur hinsichtlich ihrer Charaktereigenschaften zu untersuchen, entsteht der Eindruck, es würde sich bei einem Avatar verstärkt um eine narrative Figur handeln. Dadurch kommt ihm die direkte Verknüpfung zum Spieler abhanden. Durch die Unterbrechung der Spieler-Spielfigur- Verknüpfung, wird die Aufgabe des Avatars - einem Spieler Zugang zum Spiel zu gewähren - in den Hintergrund der handlungstragenden Figur gerückt.38 Ebenso würde das Gameplay weniger im Fokus der Untersuchungen stehen, obwohl gerade dieser Teil essentiell für die Analyse eines Computerspiels ist. Eine Trennung des Avatars vom Spiel ist deswegen nicht ratsam, da seine zentrale Eigenschaft die Vermittlung von Gameplay und Darstellung beinhaltet.39 Um einen vereinfachten Einstieg in die Interaktion mit der Spielweltumgebung zu ermöglichen, wird in der Regel das Design an die Fähigkeiten der Spielfigur angepasst, damit sofort ersichtlich wird, wozu der Spieler mithilfe des Avatars in der Lage ist. Beispielsweise wird eine humanoide Figur, die ein Schwert in der Hand hält, mit diesem auch einen Schlag ausführen können. Wie bei der Spielwelt wird hier mit Zeichensystemen und Assoziationen aus der realen Welt gearbeitet.
Eine weitere wichtige Eigenschaft des Avatars sollte die Möglichkeit einer Anthropomorphisierung, also die Identifikation für den Spieler über eine figürliche Erscheinung, sein.40 Hier stellt sich innerhalb des Mediums Computerspiel allerdings die Frage, ob Figuren existieren, die diesem Faktor nicht gerecht werden. In dem Spiel I AM BREAD ist der Avatar eine Scheibe Weißbrot, die durch eine Küche wandert. Hier genügen bereits die simplen Bewegungsanimationen des Brotes, die sich in dem Dehnen und Knicken der Brotkanten äußern. Interessanterweise kann hier die Akzeptanz und Identifikation nur über das Bewegtbild des Spiels stattfinden, da in einem Standbild die Scheibe Brot keinerlei anthropomorphische Eigenschaften besitzt, weil die Animation der Bewegungsmöglichkeiten fehlen. Es reichen also bereits simple Veränderungen der Realität, damit der Spieler sich mit einer Scheibe Brot identifizieren kann. Das Spiel beweist damit, dass die Akzeptanz des Spielers weniger von dem Design des Avatars als mehr von der individuellen Offenheit des Spielers gegenüber ungewöhnlichen Spielerfahrungen abhängig zu sein scheint.
Eine weitere Eigenschaft, die ein Avatar erfüllen sollte, ist seine narrative Integration innerhalb des Spiels. In I AM BREAD besteht diese in dem höheren Ziel des Brotes, zu einem Toast zu werden und sich aus diesem Grund auf eine gefährliche Reise zu begeben. Dadurch besitzt das Spiel eine narrative Überspannung, die das Brot als Teil der diegetisch geschlossenen Spielwelt integriert. Dieser narrative Rahmen reicht schon aus, die Intentionen des Brotes glaubhaft an den Spieler zu vermitteln und in ihm den Ehrgeiz zu wecken, gemeinsam mit dem Brot dessen Ziel zu erreichen.
2.3.1. Das Avatar-lose Spiel
Innerhalb mancher Spiel-Genres existieren Bedienelemente, die mit der Definition eines Avatars nicht konform gehen, obwohl der Spieler sie benötigt, um mit ihnen innerhalb der Spielwelt zu agieren. Beil und Rauscher führen hier den Mauszeiger und einen Block aus dem Spiel TETRIS an. Beide besitzen weder eine figürliche Erscheinung, noch sind sie Teil einer rahmenden Narration.41
Bei dieser Untersuchung wird zunächst ein wichtiger Punkt gänzlich außer Acht gelassen. Es sollte nämlich nicht vergessen werden, dass Computerspiele existieren, die ohne den Gebrauch eines Avatars auskommen. Zu sehen ist dies unter anderem bei dem sogenannten TABLETOP SIMULATOR. Dabei handelt es sich um ein Spiel, welches online das Spielen von Brettspielen mit realen Mitspielern ermöglicht. Die Spieler werden hier lediglich durch ihren Mauszeiger in Form einer Hand, ihren Namen und ihre Profilbilder der Internet-Verbtriebsplattform Steam, über welche sie sich mit dem Spiel gemeinsam verbinden können, dargestellt. Die Bilder und Namen schweben am Rand des digitalen Spieltisches, damit die Spieler sich gegenseitig verorten können. Wahlweise kann über einen Text- oder einen Voice-Chat miteinander kommuniziert werden, während man z.B. seine Schachfiguren über das Spielfeld zieht.
TETRIS und weitere Vertreter des Puzzlespiel-Genres verzichten ebenfalls auf einen Avatar, da der Spieler keine Figur benötigt, um in die Spielwelt einzugreifen. Dazu ist er mithilfe der ihm gebotenen Steuerungswerkzeuge wie z.B. Pfeiltasten oder dem Mauszeiger eigenständig in der Lage. Somit lässt sich der Mauszeiger in der Tat als einfaches Werkzeug beschreiben, wodurch er direkt in die Extensionsthese zum Avatar passt. Der einzige Zweck des Mauszeigers besteht darin, Objekte innerhalb einer Spielwert zu markieren und auszuwählen. In manchen Spielen wird er genutzt, um dem Avatar den Weg in der Spielwelt zu weisen und er kann als Steuerungseinheit des Inventars- und Optionsmenüs fungieren. Die Steuerung vieler Strategie-Spiele basiert auf dem Mauszeiger, da nur er dazu in der Lage ist, schnell und effizient zwischen den Einheiten hin und her zu wechseln.
Beschreibt man nun einen Mauszeiger als Werkzeug, lässt sich die Schlussfolgerung ziehen, dass ein Avatar innerhalb einer Spielwelt einen höheren Wert besitzt. Er entspricht somit nicht der sogenannten instrumental agency 42, welche dem Avatar lediglich eine Stellung als Interface-Element zuweist. Zwar besteht eine seiner wichtigsten Aufgaben darin, dem Spieler Interaktionen innerhalb der Spielwelt zu ermöglichen, doch Beil und Rauscher argumentieren gegen diese Kategorisierung. Sie schreiben, dass die Spielwelt ebenfalls einen starken Einfluss auf den Avatar besitze, da dieser u.a. von den äußeren Einwirkungen der Spielwelt verletzt und sogar getötet werden könne. Zudem wurde die narrative Ebene innerhalb dieser Theorie insgesamt außer Acht gelassen, da der Avatar als Charakter in der Regel innerhalb der Handlung des Spiels stets eine tragende Rolle übernimmt und das Erlebte mit dem Spieler teilt. Somit wird die reine instrumental agency mindestens noch um eine fictional agency erweitert, welche dem Avatar die Fähigkeit als „Person gewordene Betrachteranweisung“43 zuspricht. Dem Spieler wird mithilfe des Avatars ermöglicht, an der Handlung und den Ereignissen des Spiels teilzunehmen und diese - in Abhängigkeit vom Genre - zu beeinflussen.
All die genannten Eigenschaften des Avatars zeigen schlussendlich, dass dieser nicht als alleinstehender Faktor innerhalb der Spielwelt existieren kann. Zusammen mit dem Spieler wird seine aktive Teilnahme erst ermöglicht, wodurch beide gemeinsam einen neuen verletzlichen Körper generieren.44 So kommt es zu einem Rückkopplungsverhältnis. Der Avatar hat im gleichen Verhältnis einen Einfluss auf den Spieler, wie der Spieler auf seinen Avatar. Der Spieler bestimmt die Steuerung seines Körpers, die Richtung durch die Spielwelt und in manchen Spielen sogar das optische Auftreten des Avatars. Der Avatar hingegen ermöglicht die Betrachtung der Welt, das Erleben der Narration und die Empfindung von emotionalen Reaktionen für den Spieler aufgrund einer virtuellen Verletzung oder des Todes. Avatar und Spieler benötigen sich gegenseitig, damit der aktive Prozess des Spielens überhaupt erst ermöglicht wird, sofern ein Avatar als feste Spielmechanik vom Spiel vorgegeben wird.
Für diese wissenschaftliche Arbeit ist es notwendig, ein grundlegendes Verständnis für die Funktionen und Möglichkeiten von KI in Computerspielen zu erhalten. Denn diese steuert die tierischen Figuren und imitiert ihr Verhalten. Von mindestens genauso großer Wichtigkeit ist es, dass die KI Entscheidungen trifft, die das Verhalten der Figuren glaubhaft und den Charakter insgesamt stimmig machen. Es würde den Rahmen dieser wissenschaftlichen Arbeit sprengen auf sämtliche progammiertechnischen Möglichkeiten der KI-Entwicklung der letzten Jahre einzugehen. Aus diesem Grund wird die KI im Folgenden lediglich in ihren Grundzügen erklärt und verschiedene Potentiale aufgezeigt. Das Gehirn eines Computerspiels ist die künstliche Intelligenz (kurz: KI). Diese wird für den Gebrauch eines Spiels mit den jeweiligen Bedingungen so programmiert, dass sie in der Lage ist, das Spiel zu kontrollieren und einen flüssigen Verlauf der Spielerfahrung für den Spieler zu gewährleisten. Ihre Kernaufgabe ist es in der Regel, die Steuerung der Nicht-Spieler-Charaktere, kurz NSC (oder englisch: non-player character – NPC), zu übernehmen.45 Der Spiele-KI-Forscher Sander Bakkes definiert die Spiel-KI (Game AI) wie folgt: „Game AI is defined as the decision-making algorithms of game characters, that determine the character’s behaviour.”46
Die KI-Forscher Yannakakis und Togelius haben sich in ihrem Werk „Artificial Intelligence and Games“47 detailliert mit den komplexen Möglichkeiten der Programmierungen einer Spiele-KI auseinandergesetzt. Durch sie lassen sich Bakkes Definition noch weitere wichtige Werte wie Logik, Symbolismus, Präsentation von Wissen und Planung hinzufügen.48 Dabei handelt es sich um wichtige Faktoren, die ein intelligentes Denken und Handeln voraussetzen und definieren. Als Vorbild dient KI- Entwicklern somit stets die menschliche Intelligenz, was sich an den folgenden Details zeigen lässt.
2.4.1. Representation und Utility
In der KI-Forschung gibt es zwei verschiedene Komponenten, auf denen nahezu alle KI- Methoden basieren: Representation und Utility.
Die Fähigkeit von Representation besteht darin, vorprogrammiertes Wissen, das zur Lösung einer Aufgabe führt, zu speichern und bei Bedarf in einer für den Computer lesbaren Datenstruktur zu präsentieren. Dies funktioniert mit unterschiedlichen Methoden, z.B. Graphen, formaler Grammatik oder Entscheidungs- bzw. Verhaltensbäumen. Erst wenn eine KI dazu in der Lage ist, besitzt sie die Grundlage dafür, sich neues Wissen aneignen und lernen zu können.49
Bei Utility hingegen handelt es sich um die „Messung von rationalen Entscheidungen beim Spielen eines Spiels.“50 Anders ausgedrückt, ist dieser Algorithmus in der Lage sich aus der Bedingung verschiedener Begebenheiten und aus den ihm bereitstehenden Informationen heraus für die günstigste Lösung zu entscheiden und dies einem Such- Algorithmus mitzuteilen.
Representation und Utility stellen nun die oberen Kategorien dar, nach denen sich unterschiedliche Methoden und Algorithmen richten. Einige beschäftigen sich nur mit dem Darstellen und Wiedergeben von Wissen, andere damit, Entscheidungen zu treffen. Weitere versuchen beides zu kombinieren oder demzufolge mehrere Methoden miteinander zu verbinden. Im Laufe der Zeit haben sich in der Geschichte der Spiele- und KI-Entwicklung einige Methoden herauskristallisiert, die als Grundlage angesehen werden. Andere wiederum sind wesentlich komplexer und befinden sich in der Entwicklungsphase.51
Einige der grundlegenden Methoden sollen im Folgenden nun kurz erwähnt und erläutert werden, um ein Verständnis für die Funktionsweisen von computergesteuerten Figuren innerhalb einer Spielwelt zu bekommen.
2.4.2. Skripts
Die geläufigste Variante der KI-Entwicklung geschieht durch das Verfassen von sogenannten Skripts. Diese speziell codierten Textzeilen werden innerhalb des Spiels implementiert, um bestimmte Ereignisse als Folge diverser Handlungen des Spielers auszulösen. Betritt der Spieler z.B. einen neuen Raum, so sorgt ein Ereignis-Auslöser dafür, dass er von einer computergesteuerten Figur angesprochen oder angegriffen wird. Da es sich dabei meist um statische und feste Abläufe innerhalb der Diegese des Spiels handelt, sind diese Ereignisse oft streng an die Narration des Spiels geknüpft. Andere Skripts können sogar ganze Ereignis-Ketten nach sich ziehen, wie es z.B. in Strategiespielen oder einem Schachcomputer der Fall ist.52
Skripts sind die Grundlagen der Computerspielprogrammierung. Da es sich bei ihnen um festgeschriebene Abläufe handelt, findet hier weder ein eigenständiger Entscheidungs- noch ein Lernprozess statt. Der Soziologe Jonathan Hart spricht dieser Methode aufgrund des vorgeschriebenen Handelns noch keine Intelligenz zu, da kein selbstständiger Lösungsfindungsprozess stattfindet.53
2.4.3. Pathfinding
Eines der bekanntesten Skripts ist das Pathfinding. Dabei handelt es sich um die Vorgabe eines Pfades, der von einem NPC verfolgt wird. Die Karte des Spiels liegt auf einem Raster, anhand dessen Wegpunkte gesetzt werden. Diese Wegpunkte werden in den Algorithmus des NPCs angegeben, woraufhin dieser sie Punkt für Punkt abläuft. Ein interessantes Beispiel für diese Methode bietet z.B. das Spiel HORIZON ZERO DAWN . Dem Spieler ist es hier aufgrund einer Spielmechanik möglich, zu sehen, wie sich die Gegner bewegen und kann so unbemerkt an ihnen vorbeikommen. Der Pfad der Gegner wird leuchtend hervorgehoben und mit Pfeilen wird ihre Richtung angezeigt. Deutlich zu sehen ist dabei, dass die Gegner, solange sie nicht in irgendeiner Weise abgelenkt werden, konsequent nur ihren Pfad verfolgen. In der Regel handelt es sich dabei um Patrouillen- Gänge, sodass sie stetig den gleichen Weg ablaufen.
2.4.4. Human-Level-AI
Jonathan Harths Begriff der Human-Level-AI vereint alle Methoden, die auf der Basis von Representation und Utility entwickelt wurden. Gemeint sind damit zunächst grundlegend Algorithmen, die eine größere Auswahl an vorgegeben Lösungswegen besitzen und somit in der Lage sind, auf die Interaktionen des Spielers individuell zu reagieren. Diese funktionieren entweder nach dem Prinzip von Top-Down oder Bottom- Up: „Während der Top-Down-Zugang spezifische (Re-)Aktionsweisen "von oben herab" im Vorhinein festlegt (also etwa das Spielziel und die Gänze an Möglichkeiten zu dessen Erreichung innerhalb der Spielregeln), zielt der Bottom-Up-Zugang mehr auf die konkreten (Re-)Aktionen im Spielfluss selbst, die nicht vorab antizipiert werden können.“54
Anders ausgedrückt könnte Top-Down für ein bereits festgelegtes Ereignis stehen, während Bottom-Up die direkte und wählbare Reaktion auf ein Ereignis darstellt.
Die Gegner von HORIZON ZERO DAWN werden beispielsweise bei Sichtkontakt mit dem Spieler aus ihrem vorgegebenen Pfad ausweichen und diesen in einen Kampf verwickeln. Ausgedrückt in Representation und Utility – der erste Algorithmus wird den Spieler als Gegner basierend auf seinem vorprogrammierten Wissen erkennen, dieses Wissen lesbar für einen weiteren Algorithmus darstellen und dieser trifft die Entscheidung, den Zustand des Patrouillierens zu beenden, um den Zustand des Angriffs zu starten, was in diesem Fall dem Prinzip von Bottom-Up entspricht. Dabei handelt es sich je nach Komplexität der erforderlichen NPC-Fähigkeiten um eine unterschiedliche Anzahl von Algorithmen, die ineinandergreifen, zusammenarbeiten und miteinander interagieren müssen. Ist einer dieser Algorithmen fehlerhaft codiert, kommt es zum Fehlverhalten der KI, was sich in sogenannten KI- Bugs äußert. Wie problembehaftet ein einzelner Schreibfehler innerhalb des Codes sein kann, zeigt sich z.B. an dem Spiel ALIENS: COLONIAL MARINES. Erst fünf Jahre später entdeckte ein Programmierer den Tippfehler »Teather« anstatt des benötigten »Tether« im Code des Spiels, der dafür sorgte, dass die Alien-Gegner sich unpassend dem Ego-Shooter-Setting gegenüber verhielten, wodurch das Spiel viel negative Kritik erhielt.55 Nachdem der Fehler behoben wurde, waren ihre Angriffe innerhalb des Spielverlaufs wesentlich strukturierter und flüssiger.
Insgesamt zeigt sich, dass einige der KI-Methoden auf recht simplen Kausalketten basieren und andere wiederum in der Lage sind, sich Wissen während des Spielverlaufs anzueignen, dieses zu speichern und auf diesem fußend im späteren Spielverlauf Entscheidungen zu treffen. Dadurch werden Zahlenwerte generiert, in welcher Art und Weise die KI, z.B. wenn sie die Rolle eines Gegenspielers besitzt, in der nächsten Situation die richtige Entscheidung trifft. Wieder andere Methoden sind extra darauf ausgelegt, nicht zu lernen, sondern durch eine zufällige Auswahl von Reaktionen für unvorhersehbare Situationen zu sorgen, damit der Spieler sie nicht vorhersehen kann.56
Eine sehr vielversprechende Methode ist das sogenannte Procedural content generation (PCG), welche dazu in der Lage ist, ganze Spielwelten basierend auf einer großen Menge an Daten zu erschaffen. Dies geschieht z.B. über das Aussehen von Objekten, welche in zufälliger, jedoch zusammenpassender Anordnung während des Spielverlaufs kombiniert werden. Zu sehen ist dies z.B. innerhalb des Computerspieles NO MAN’S SKY, welches eine Anzahl von 18 Trillionen für den Spieler besuchbare Planeten besitzt - jeder einzelne durch die KI des Spiels kreiert. Da es sich hierbei häufig um Terrain- oder Level-Designs handelt, besteht der Wunsch der Entwickler darin, in der Zukunft diese KI soweit konzipieren zu können, dass sie in der Lage ist, Verhalten von NPCs oder ganze Spiele selber zu generieren.57
2.5. Die Involvierung des Spielers
Das Rückkopplungsverhältnis, welches bereits beim Avatar-Spieler-Körper existiert, lässt sich ohne große Veränderungen auf verschiedene Faktoren des gesamten Computerspiels transferieren. Für Neitzel „spielt der Spieler mit dem Spiel und das Spiel spielt mit dem Spieler.“58 Das daraus entwickelte Verhältnis ist auf beiden Seiten zugleich aktiv und passiv. Während der Spieler aktiv seinen Avatar steuert, besitzt das Spiel neun verschiedene Techniken des Involvements, die den Spieler dazu bringen sollen, das Computerspiel zu spielen.59
2.5.1. Die aktionale, sensomotorische und audiovisuelle Involvierung
Die erste Technik beschreibt das aktionale Involvement, mit der die Möglichkeit des Handelns innerhalb des Spiels beschrieben wird. Der Spieler wird vor die Aufgabe gestellt, einer bestimmten Handlungsaufforderung Folge zu leisten und Handlungsketten zu absolvieren. Dabei besteht der Anreiz für den Spieler meist darin, komplexere Handlungsabläufe selbst zu erkennen und zu lösen, nachdem er meist in einem Tutorial die grundlegenden Fähigkeiten seiner Figur kennengelernt hat.60
Die nächste Theorie beinhaltet das Involvement der Sensomotorik. Dabei handelt es sich grundlegend um die Möglichkeiten der Steuerung. Mit welchen technischen Systemen kann der Spieler Einfluss auf das Spiel nehmen? Hierbei handelt es sich um eine große Anzahl von Möglichkeiten, die bei der einfachen Computermaus und Tastatur anfangen, über eine große Anzahl unterschiedlicher Controller reichen und bis hin zur Fußbedienung durch druckempfindliche Bodenmatten und -geräte, wie z.B. dem Wii-Fit- Balance-Board reichen. Doch mit all diesen materiellen Steuerungseinheiten geht es laut Neitzel stetig um „die Taktilität und den Zugang zu den Sinnen.”61 Hierbei ist es nicht notwendig, die Bewegungen des Spiels auf die Bewegungen des Spielers zu übertragen, sondern es gilt: je einfacher die Bedienung, desto stärker die Involvierung. Da die sensomotorische Involvierung neben der aktionalen zur Grundlage des Spiels gehört, muss hier die Grenze zur digitalen Welt für den Spieler schnell und einfach zu überqueren sein.62
Die audiovisuelle und die sensomotorische Involvierung sind beide voneinander abhängig, da die audiovisuellen Objekte innerhalb des Spiels mithilfe der sensomotorischen Eingabegeräte gesteuert werden. Doch damit dies geschehen kann, müssen diese Objekte zunächst in audiovisueller Form dargestellt werden. Grundlegend geht es bei dieser Form der Involvierung dementsprechend um die Darstellung der Spielwelt. Dies kann - wie bereits in dem Kapitel »Die Spielwelt« geschrieben - mithilfe von verschiedenen grafischen Darstellungen, z.B. 2D oder 3D-Grafik, und der Perspektive, wie z.B. der Third-Person- oder der First-Person-Perspektive geschehen.63
2.5.2. Die räumliche, narrative und temporale Involvierung
Aus der audiovisuellen und der sensomotorischen Involvierung, entsteht nun das Konzept der räumlichen Involvierung. Denn durch die physische Steuerung eines digitalen Körpers, wird laut Neitzel „eine Verschränkung von physischer und digitaler Welt vorgenommen.”64 Der reale Körper des Spielers wird innerhalb des Spiels als Datenkörper wiedergegeben, z.B. in Form eines Avatars, „welcher dabei als eine arbiträre, symbolische (Re-)Konstruktion von Blickwinkel und Bewegung des physischen Körpers agiert.“65 Aber auch der Aufbau des digitalen Spielraums fällt unter diese Kategorie der Involvierung. Wie ist dieser aufgebaut? Welche Regeln gibt es? Wie kann der Spieler diesen Raum nutzen?
[...]
1 Im Folgenden wird der Begriff des Spielers im Sinne einer geschlechterneutralen Bezeichnung verwendet und schließt alle Geschlechter in gleichberechtigter Weise mit ein.
2 Vgl. Radulovic, Petrana (2018): https://www.polygon.com/red-dead-redemption/2018/10/23/17983012/red-dead-redemption-horse- motion-capture-rockstar, Stand: 26.10.2018.
3 Vgl. Morrison, Matt (2018): https://screenrant.com/red-dead-redemption-2-horse-balls-shrink/, Stand: 26.10.2018.
4 Vgl. Neitzel/Nohr (2010): Game Studies. S. 416.
5 Vgl. ebd., S. 416 f.
6 Vgl. Neitzel/Nohr (2010): Game Studies. S. 417 ff.
7 Ebd., S. 419.
8 Vgl. Rauscher (2018): Raum. S. 3.
9 Vgl. Neitzel/Nohr (2010): Game Studies. S. 416.
10 Ebd., S. 423.
11 Vgl. ebd.
12 Vgl. Günzel (2013): Computerspielraum. S. 65 ff.
13 Neitzel/Nohr (2010): Game Studies. S. 423.
14 Vgl. Beil (2013): Game Studies. S. 47.
15 Ebd., S. 51.
16 Vgl. ebd., S. 54 ff.
17 Vgl. Beil (2013): Game Studies. S. 54 ff.
18 Vgl. Rauscher (2018): Raum. S. 5 f.
19 Vgl. Rauscher (2018): Raum. S. 7.
20 Vgl. ebd.
21 Ebd., S. 8 f.
22 Vgl. Bonner (2018): Welt. S. 129 f.
23 Vgl. Michelsen, Jan / Plass-Fleßenkämper (2018): https://www.computerbild.de/artikel/cbs-News-GTA- 5-Verkaufszahlen-Rekord-Kinofilm-Avatar-8771028.html, Stand: 27.10.2018.
24 Vgl. Thon (2007): Fiktionale Welten. S. 68 ff.
25 Vgl. Bonner (2018): Welt. S. 129 f.
26 Vgl. Fritsch (2018): Musik. S. 98 f.
27 Vgl. Bonner (2018): Welt. S. 130 ff.
28 Ebd., S. 129.
29 Vgl. Bonner (2018): Welt. S. 132.
30 Vgl. ebd.
31 Vgl. ebd., S. 133 ff.
32 Vgl. ebd.
33 Vgl. Bonner (2018): Welt. S. 133 ff.
34 Vgl. Neitzel/Nohr (2010): Game Studies. S. 428.
35 Vgl. ebd.
36 Ebd.
37 Beil/Rauscher (2018): Avatar. S. 203.
38 Vgl. Beil/Rauscher (2018): Avatar. S. 203.
39 Vgl. ebd., S. 202.
40 Vgl. ebd., S. 204.
41 Vgl. Beil/Rauscher (2018): Avatar. S. 205 ff.
42 Vgl. Beil/Rauscher (2018): Avatar. S. 207 f.
43 Ebd., S. 202.
44 Vgl. ebd., S. 207 f. 24. Die Spiel-KI
45 Vgl. Harth (2014): Spielfiguren. S. 64.
46 Bakkes (2010): Rapid Adaptation. S. 3.
47 Yannakakis/Togelius (2018): AI Games. Titel.
48 Vgl. ebd., S. 7.
49 Vgl. Yannakakis/Togelius (2018): AI Games. S. 30 f.
50 Vgl. ebd., S. 31 f.
51 Vgl. ebd., S. 29 ff.
52 Vgl. Harth (2014): Spielfiguren. S. 67 f.
53 Vgl. ebd., S. 68.
54 Vgl. Harth (2014): Spielfiguren. S. 68.
55 Vgl. Wood, Austin (2018): https://www.pcgamer.com/amp/all-this-time-aliens-colonial-marines-stupid- ai-may-have-been-caused-by-a-single-typo/, Stand: 27.10.2018.
56 Vgl. Yannakakis/Togelius (2018): AI Games. S. 29 ff.
57 Vgl. ebd., S. 151 ff.
58 Neitzel (2018): Involvement. S. 219.
59 Vgl. ebd., S. 224 ff.
60 Vgl. ebd., S. 225 f.
61 Neitzel (2018): Involvement. S. 226.
62 Vgl. ebd.
63 Vgl. ebd., S. 227.
64 Ebd.
65 Neitzel (2018): Involvement. S. 227.
- Citation du texte
- Sebastian Oswald (Auteur), 2018, Tiere in Computerspielen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/465382
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