In dieser Arbeit geht es darum, einen Überblick über die bestehenden Herausforderungen bezüglich der Jugendkriminalität in Luxemburg zu erhalten, zu analysieren und vor dem Hintergrund eines Vergleichs mit dem deutschen Rechtssystem die Möglichkeiten der Implementierung von Modellen zu eruieren. Somit werden hier bewährte Modelle zur Koordination des Umgangs mit Jugendkriminalität, Jugendstrafvollstreckung und Resozialisierung mit deren Wirksamkeit vorgestellt und auf eine Implementierung ins Luxemburgische System als Möglichkeit für die Zukunft geprüft.
Luxemburg hat ein gesellschaftliches Problem der Jugendkriminalität zu vermerken. Die luxemburgische Kriminalstatistik zeigt, dass sich die Jugendkriminalität über die letzten fünf Jahre in Luxemburg zwar nur unwesentlich verändert hat, aber trotz gleicher Zahlen eine dramatisierende Thematisierung der Jugendkriminalität stattfindet. Vor allem nach spektakulären Einzeltaten wird seitens der Bevölkerung und der Politik mehr Härte und Strafe des Staates erwartet. Dabei verspricht dies wenig Erfolg.
Gewalttaten von jungen Menschen dienen nicht als Beleg für eine Verrohung der Jugend und für die Begründung der Forderung nach Verschärfungen des Jugendrechtssystem. Durch rein repressive Maßnahmen wird die Lage der jungen Menschen eher verschlechtert. Dies zeigen zahlreiche kriminologische Studien. Jugendkriminalität ist ein gesellschaftliches Problem, welches differenziert betrachtet werden muss und worauf vor allem rational reagiert werden muss.
Doch es stellt sich die Frage nach dem allgemeinen Umgang mit Jugendkriminalität in Luxemburg und den Herausforderungen, die dabei entstehen. Durch einen aktuell starken Fachdiskurs in Luxemburg werden drei unterschiedliche Probleme in Bezug auf das Jugendrechtssystem und den Umgang mit jungen Straftätern im Land genannt. Erstens existiert in Luxemburg kein Jugendstrafgesetz, sondern nur ein Jugendschutzgesetz, an welchem gezweifelt wird. Zweitens besteht die Möglichkeit, dass Minderjährige im Erwachsenenstrafvollzug untergebracht werden können und es fehlen alternative Unterbringungseinrichtungen für junge Straftäter, vor allem wenn die Kapazitätsgrenze anderer Einrichtungen erreicht wurde . Drittens gibt es in Luxemburg weder einen Jugendarrest noch einen Jugendstrafvollzug und somit kann eine adäquate Unterbringung von jungen Straftätern in Frage gestellt werden.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Allgemeiner Umgang mit Jugendkriminalität in Luxemburg
2.1. Jugendschutzgesetz und Maßnahmen im Umgang mit Jugendkriminalität
2.2. Probleme und Herausforderungen im Umgang mit Jugendkriminalität
2.3. Vergleich der Rechtssysteme Deutschland und Luxemburg
2.4. Möglichkeiten alternativer Handlungsstrategien
3. Bewährte Modelle zur Koordination des Umgangs mit Jugendkriminalität, Jugendstrafvollstreckung und Resozialisierung
3.1. Koordinationsstelle zum Umgang mit Jugendkriminalität am Beispiel des Hauses des Jugendrechts
3.2. Jugendarrest in Deutschland
3.3. Jugendstrafvollzug in Deutschland
3.4. Jugendstrafvollzug in freien Formen
3.5. Jugendbewährungshilfe in Deutschland
3.6. Modelle zur Resozialisierung am Beispiel des Projekt BASIS, Training sozialer Kompetenzen und Täter-Opfer-Ausgleich
4. Feststellung der Übertragbarkeit von Modellen ins luxemburgische System.
4.1. Entwicklung eines Hauses des Jugendrechts
4.2. Entwicklung eines Jugendstrafvollzugs, Jugendarrests und Jugendstrafe in freien Formen
4.3. Entwicklung einer Jugendbewährungshilfe und erweiterte Modelle zur Resozialisierung
5. Diskussion
6. Literatur
1. Einleitung
Luxemburg hat mit seinen rund 620 000 Einwohnern auch ein gesellschaftliches Problem der Jugendkriminalität zu vermerken (vgl. Statec, 2018, S. 9). Die luxemburgische Kriminalstatistik zeigt, dass sich die Jugendkriminalität über die letzten fünf Jahre in Luxemburg zwar nur unwesentlich verändert hat (vgl. Police Grand-Ducale Luxembourg, 2017, S. 18), aber trotz gleicher Zahlen eine dramatisierende Thematisierung der Jugendkriminalität stattfindet. Vor allem nach spektakulären Einzeltaten wird seitens der Bevölkerung und der Politik mehr Härte und Strafe des Staates erwartet. Dabei verspricht dies wenig Erfolg (vgl. Gabriel, Holthusen, Lüders, & Schäfer, 2003, S. 317). Gewalttaten von jungen Menschen dienen nicht als Beleg für eine Verrohung der Jugend und für die Begründung der Forderung nach Verschärfungen des Jugendrechtssystem (vgl. Spiess, 2013, S. 9). Durch rein repressive Maßnahmen wird die Lage der jungen Menschen eher verschlechtert. Dies zeigen zahlreiche kriminologische Studien (vgl. Hosser, Taefi, & Giebel, 2011, S. 456; Müller, 1995, S. 141; Heinz, 1996, S. 344). Jugendkriminalität ist ein gesellschaftliches Problem, welches differenziert betrachtet werden muss und worauf vor allem rational reagiert werden muss. Die repressive Prävention, also eine Kombination aus präventiven und repressiven Maßnahmen hat sich bewährt (vgl. Pütter, 2007, S. 5; Feltes, 2008, S. 255f.). Strafe und Hilfe müssen sich keineswegs ausschließen, sondern Bestrafung kann zum Teil als helfende Intervention verstanden werden, etwa wenn einem Drogenkonsument durch rigide Maßnahmen Hilfe zugutekommt. Punitivität und Unterstützungswünsche können so gleichzeitig auftreten (vgl. Reuband, 2010, S. 526). Doch es stellt sich die Frage nach dem allgemeinen Umgang mit Jugendkriminalität in Luxemburg und den Herausforderungen die dabei entstehen.
Durch einen aktuell starken Fachdiskurs in Luxemburg, werden drei unterschiedliche Probleme in Bezug auf das Jugendrechtssystem und den Umgang mit jungen Straftätern im Land genannt. Erstens existiert in Luxemburg kein Jugendstrafgesetz, sondern nur ein Jugendschutzgesetz, an welchem gezweifelt wird (vgl. Remesch, 2017, S. 1). Zweitens besteht die Möglichkeit, dass Minderjährige im Erwachsenenstrafvollzug untergebracht werden können und es fehlen alternative Unterbringungseinrichtungen für junge Straftäter, vor allem wenn die Kapazitätsgrenze anderer Einrichtungen erreicht wurde (vgl. Monti, 2018, S. 1). Drittens gibt es in Luxemburg weder einen Jugendarrest noch einen Jugendstrafvollzug und somit kann eine adäquate Unterbringung von jungen Straftätern in Frage gestellt werden (vgl. Remesch, 2017, S. 1). Aufgrund dieser aktuell diskutierten Probleme ist eine Bestandsaufnahme des Luxemburgischen Jugendrechtssystems zurzeit angebracht. In diesem Beitrag geht es darum einen Überblick über die bestehenden Herausforderungen bezüglich der Jugendkriminalität in Luxemburg zu erhalten, zu analysieren und vor dem Hintergrund eines Vergleichs mit dem deutschen Rechtssystem, die Möglichkeiten der Implementierung von Modellen zu eruieren. Somit werden hier bewährte Modelle zur Koordination des Umgangs mit Jugendkriminalität, Jugendstrafvollstreckung und Resozialisierung mit deren Wirksamkeit vorgestellt und auf eine Implementierung ins Luxemburgische System als Möglichkeit für die Zukunft, geprüft.
Dies erweitert grundsätzlich auch den Blick auf das Thema des Umgangs mit Jugenddelinquenz. Dabei stellt sich die Frage, welche Maßnahmen am effektivsten sind. Dies ist ein ständiges Diskussionsthema, zu dem wohl nie die „richtige Lösung“ gefunden wird. Trotzdem ist bereits ein bedeutsamer Trend zu vermerken, der mehr zu präventiven als zu repressiven Maßnahmen neigt. Die Rechtfertigung liegt vor allem im Prinzip des Erziehungsgedankens im Jugendrecht. Der Jugendliche soll als Person im Mittelpunkt stehen und nicht die Tatschuld. Der Strafgedanke im Sinne von Vergeltung und Sühne steht im Hintergrund. Der Jugendliche soll vor allem so wenig wie möglich in seiner Entwicklung beeinträchtigt werden und bei Sozialisationsdefiziten Hilfe in Anspruch nehmen können (vgl. Dollinger & Schabdach, 2013, S. 237-243). In Luxemburg ist das einzige Gesetz zum Umgang mit Jugenddelinquenz, das Jugendschutzgesetz vom 10. August 1992. Dieses legt fest, welche Maßnahmen im Sinne eines Minderjährigen zu treffen sind (vgl. Schenk & Meyers, 1997, S. 80). Das Jugendgericht kann Erziehungsmaßnahmen, Aufsichtsmaßnahmen oder Schutzmaßnahmen einleiten. Dies kann das Einsetzen eines Erziehungsbeistands sein oder ein Jugendlicher kann unter die Aufsicht einer Einrichtung gestellt werden. Weiterhin ist es möglich, den Jugendlichen in einer spezialisierten Einrichtung im Ausland unterzubringen. Des Weiteren ist es möglich, Jugendliche in einem staatlichen Erziehungsheim unterzubringen (vgl. Mémorial N° 70 (1992), 2018, S. 3). Wenn dies nicht ausreicht, kann der Jugendliche als ultima ratio in die Disziplinarabteilung des Erwachsenenvollzugs nach Art. 6 des Jugendschutzgesetzes eingewiesen werden (vgl. Schenk & Meyers, 1997, S. 88). Wie auch Goniva (2009) anmerkt, wird im Umgang mit Jugenddelinquenz in Luxemburg von der Staatsanwaltschaft und Jugendgericht auf Präventionsmaßnahmen gesetzt. Sie können schon agieren, wenn nachzuweisen ist, dass der Jugendliche in Gefahr ist, in Zukunft kriminell zu werden. Im Jugendschutzgesetz ist nicht die Rede von einer Bestrafung oder Strafmaß. Es wird von einer „Reaktion auf ein Delikt im Sinne einer Maßnahme“ (Goniva, 2009, S. 986) geredet. Durch die flexible Gestaltung eines jeden Falles soll die Kriminalität abnehmen und so eine erfolgreiche Resozialisation herbeigeführt werden (vgl. Goniva, 2009, S. 986).
Unter Fachleuten wird sich zum Teil gegen das Gesetz ausgesprochen. Der Erfolg dieses rein schützenden Systems wird in Frage gestellt. Begründet wird dies durch die Tatsache, „dass ein großer Teil der Insassen des Erwachsenenvollzug vorher Opfer der betreuenden Aufmerksamkeit des Staates war“ (Peters & Hansen, 2008, S. 13), z.B. eines staatlichen Erziehungsheimes. Ein Blick auf die staatlichen Erziehungsheime „Centres socio-éducatifs de l´État“ (CSEE) zeigt, dass sowohl kriminelle Jugendliche als auch Jugendliche mit anderen Problemen in einem solchen Heim zusammentreffen können. Dies kann die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass Jugendliche im Heim von delinquenten Jugendlichen beeinflusst werden (vgl. Andrich-Duval, 2003, S. 46f.). Also gerade was delinquente und gewaltbereite Jugendliche angeht, stößt das luxemburgische System an seine Grenzen. Es bedarf einer genauen Analyse und nicht einer unkoordinierten Ausweitung von Angeboten. Neue Maßnahmen müssen von Grund auf zum Rechtssystem passen. Zentral ist dabei die Schaffung eines klaren Systems im Umgang mit Jugendkriminalität. Bei der Schaffung der geschlossenen Unterbringungsabteilung „Unité de sécurité“ (UNISEC) für straffällig gewordene Jugendliche wurde sich nicht mit Themen wie „Erziehung unter Zwang“ und „geschlossene Unterbringung und ihre Alternativen“ (Peters, 2009, S. 30) auseinandergesetzt. Die Regierung hat aufgrund nationaler und internationaler Forderungen beschlossen die UNISEC mit zwölf Plätzen, neben dem staatlichen Heime CSEE zu eröffnen (vgl. Soisson, 2003, S. 36). Die Einrichtung wurde nicht ausreichend in das Jugendschutzgesetz eingebettet. Trotz des neuen Projektes des Jugendschutzgesetzes von 2018, liegt es weiterhin im Ermessen des Richters, welche Jugendlichen respektiv bei welchen Taten sie in den Erwachsenenvollzug oder die UNISEC übermittelt werden. Eine Unterbringung ab 16 Jahren im Erwachsenenvollzug ist weiterhin möglich (vgl. Braz & Meisch, 2018, S. 2; Monti, 2018, S. 1). Seit der Eröffnung der UNISEC im November 2017 wurden die Jugendlichen aus dem Erwachsenenvollzug entlassen oder in die UNISEC verlegt. Seit Mai 2018 ist somit kein Jugendlicher mehr im Erwachsenenvollzug (vgl. ORK, 2018, S. 124). Von Wissenschaftlern wird „die Möglichkeit des unterschiedlichen pädagogischen und strafenden Umgangs mit Opfern und jugendlichen Tätern und die Absicherung von Strafen im Kontext eines Jugendstrafrechts, was bisher in Luxemburg fehlt“ gefordert (Soisson, 2003, S. 34).
Soisson (2003) weist darauf hin, dass es nicht zulässig sein kann, dass Jugendliche in den Erwachsenenvollzug eingewiesen werden können. Delinquentes Verhalten wird nämlich dadurch eher erlernt und aufrechterhalten, anstatt durch alternative Handlungsweisen ersetzt zu werden (vgl. Soisson, 2003, S. 36). Junge Insassen halten sich an herrschende Subkulturen und sind grundsätzlich gefährdeter in die Opferrolle zu geraten. Die dadurch ausgelöste Angst verringert die Behandlungs- und Resozialisationsmotivation und es entsteht eine höhere Rückfallquote (vgl. Kury & Smartt, 2002, S. 331). Die Subkulturen haben spezifische Normen und gewisse Organisationen. Diese entstehen als Reaktion auf den Freiheitsentzug und zur Bewältigung der mit der Haft verbundenen Lebenssituation. In der Subkultur werden verbotene Mittel angewendet, unerlaubte Ziele verfolgt und so eine gewisse „Freiheit in Unfreiheit“ erlangt (vgl. Müller-Marsell, 2004, S. 287). Eine Strafvollzugsanstalt muss dem Auftrag gerecht werden, den schädlichen Folgen einer Haft entgegenzuwirken (§ 3 StVollzG). Der Subkulturbildung, wie sie im Erwachsenenstrafvollzug vermehrt vorkommt, ist jedoch in einem reinen Jugendstrafvollzug Grenzen gesetzt. Die Fluktuation der Gefangenen ist aufgrund der im Mittel niedrigen Haftzeit höher (vgl. Hosser & Greve, 2001, S. 7-9).
Trotz dieser Widersprüche und Lücken, findet kaum eine Hinterfragung des Systems statt. Laut Kurschat sind „straffällige Jugendliche von jeher Stiefkinder in der öffentlichen Wahrnehmung, über die Medien oft erst berichten, wenn etwas vorgefallen ist“ (Kurschat, 2016c, S. 1). Dieses Hindernis ist zum einen auf das Ministerium zurückzuführen, weil es sich nicht mit den Jugendgerichten interferiert und gleichzeitig einer Grundsatzdebatte ausweicht. Zum anderen ist aber auch der konventionelle Sektor verantwortlich. Er tut sich trotz großer Bereitschaft und vielversprechender Ansätze weiterhin schwer, systematisch gewöhnliche Praktiken nach aktuellen kriminologischen, kriminal- sowie sozialpolitischen und psychotherapeutischen Erkenntnissen zu evaluieren. Dies zum Teil, weil die Mittel aber auch das Wissen, der Wille und Mut dazu fehlen (vgl. ebd., S. 3). Die letzten Jahre hätten dafür genutzt werden können, die Effekte zu untersuchen, die von Jugendschutz und Jugendhilfe ausgehen. So würde zumindest auf der Grundlage von Fakten debattiert werden. Aber bis heute fehlt eine Analyse zu Folgen und Wirksamkeit gerichtlicher Erziehungs- und Schutzmaßnahmen (vgl. Kurschat, 2016b, S. 1).
Im Rahmen einer ersten Auseinandersetzung mit dem luxemburgischen Jugendrechtssystem im Hinblick auf Jugenddelinquenz erfolgt auch eine fundierte Recherche zu den bestehenden Maßnahmen in Luxemburg. Es existieren wenige wissenschaftliche Beiträge und Studien, die sich mit den Themen des Jugendschutzes, Jugendhilfe, Jugendkriminalität oder der Situation krimineller Jugendlicher im Strafvollzug in Luxemburg auseinandersetzen. Da die öffentliche Diskussion weiter wächst, wird die Notwendigkeit einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung verstärkt.
In dem folgenden Beitrag wird sich mit straffälligen jungen Menschen in Luxemburg auseinandergesetzt und verfolgt, wie dem Phänomen Jugendkriminalität in Luxemburg begegnet wird, sowohl auf der juristischen als auch auf der konzeptuellen Ebene. Erstens wird der Frage nachgegangen, wie das luxemburgische Jugendrechtssystem aufgebaut ist und auf welche Probleme das System heute trifft. Am Beispiel des Jugendschutzgesetzes wird sich mit den situativen Bedingungen des Umgangs mit Jugendkriminalität in Luxemburg befasst. Die Probleme und Herausforderungen des Jugendschutzgesetzes werden eruiert. Es wird über den repressiv-präventiven Umgang mit Jugendkriminalität diskutiert, welches ein eher unerforschtes Themengebiet in Luxemburg ist. Dazu wird das deutsche Rechtssystem mit dem luxemburgischen verglichen. Dabei werden die Möglichkeiten für alternative Handlungsstrategien herausgearbeitet. Die Frage, warum neben dem staatlichen Erziehungsheim und der UNISEC keine anderen Modelle in Luxemburg existieren, soll untersucht werden.
Zweitens wird der Frage nachgegangen, ob der luxemburgische Staat mit Jugendstraftätern klarer und konsequenter umgehen kann, indem ein Jugendstrafrecht, eine Koordinationsstelle, ein Jugendstrafvollzug sowie Modelle zum alternativen Strafen und zur Resozialisierung ins luxemburgische Rechtssystem implementiert werden. Dies mit dem Ziel, dass Jugendstraftäter die bestmöglichsten Hilfsangebote bekommen um in Zukunft straffrei zu bleiben. Dazu erfolgt die Darstellung bewährter Modelle aus Deutschland, anhand bestehender Literatur und deren Analyse mit Hilfe von Forschungsergebnissen aus aktuellen Evaluationsstudien. Als übergeordnete Koordinationsstelle wird das Haus des Jugendrechts vorgestellt. Im Bereich der Jugendstrafvollstreckung werden insbesondere relevante Faktoren für die Wirksamkeit des Jugendarrestes und Jugendstrafvollzuges aufgezeigt. Dies wird mit positiven Beispielen der Umsetzung in Deutschland dargelegt. Als Beispiel für alternative Strafe wird das Projekt Chance aus Deutschland beschrieben. Im Bereich der Resozialisierung werden relevante Faktoren für die Wirksamkeit der Jugendbewährungshilfe, Täter-Opfer-Ausgleich, Projekt BASIS und Training sozialer Kompetenzen aufgezeigt.
Abschließend werden die Möglichkeiten einer Implementierung in Luxemburg, also wo und in welchen Bereichen Positivbeispiele greifen könnten, aufgezeigt. Kurz wird auf die Möglichkeiten eines differenzierteren Jugendstrafrechts in Luxemburg eingegangen. Es wird sich aber vorrangig fachlich mit den Möglichkeiten der Implementierung von bewährten Modellen auseinandergesetzt. Dabei wird die Zielsetzung des bestehenden Gesetzes genannt und spezifisch konzeptualisierte Ansätze begründet. Da es in Luxemburg keinen Jugendstrafvollzug gibt, werden die Möglichkeiten aufgezeigt, wie in Luxemburg ein Jugendstrafvollzug, an die luxemburgischen Bedürfnisse angepasst, umgesetzt werden könnte. Zusätzlich werden auch andere bewährte Modelle zum alternativen Strafen und zur Resozialisierung auf ihre Implementierung ins luxemburgische System geprüft.
2. Allgemeiner Umgang mit Jugendkriminalität in Luxemburg
2.1. Jugendschutzgesetz und Maßnahmen im Umgang mit Jugendkriminalität
In Luxemburg wird der Jugendkriminalität mit dem Jugendschutzgesetz begegnet (vgl. Goniva, 2009, S. 981f.). Das Jugendschutzgesetz vom 10. August 1992 definiert, welche Konsequenzen einen auffälligen Minderjährigen treffen. Es sichert einerseits die Vorgehensweise im Falle einer Kindeswohlgefährdung, d.h. bei moralischem oder psychischem Missbrauch von Minderjährigen, als auch andererseits den Umgang mit Delinquenz (vgl. Schenk & Meyers, 1997, S. 80). Das Jugendgericht kann Erziehungsmaßnahmen, Aufsichtsmaßnahmen oder Schutzmaßnahmen einleiten. Anfangs sollen die Jugendlichen durch diese Maßnahmen zurecht gewiesen werden. Der Verbleib in der Familie wird primär angestrebt. Des Weiteren kann eine Erziehungshilfe eingesetzt werden oder in schlimmeren Fällen die Aufsicht einer Einrichtung oder einer vertrauensvollen Person gegeben werden. Auch in Einrichtungen im Ausland können Jugendliche übermittelt werden. Aus diversen Gründen kann das Jugendgericht eine Maßnahme einleiten. Dazu zählt Unzucht, Schulschwänzen, Glücksspiel, Prostitution, illegaler Handel, Delinquenz oder wenn die „physische und/oder mentale Gesundheit sowie die erzieherische, soziale und moralische Entwicklung des Jugendlichen gefährdet ist“ (Mémorial N° 70 (1992), 2018, S. 4, Art. 7). Laut dem Jugendschutzgesetz kann der Jugendrichter Jugendliche ausschließlich zu Sozialarbeit verurteilen oder direkt in ein staatliches Erziehungsheim „CSEE- Centre socio-éducatif de l’Etat“ oder Kinderheim „MEE- Maison d‘enfants de l’Etat“ einweisen (vgl. Schmit, 2009, S. 773f.; Mémorial N° 70 (1992), 2018, S. 30, Art. 1). Dies soll eigentlich das ultima ratio sein, welches das Jugendschutzgesetz in Art.1 vorsieht. Beim Scheitern einer solchen Maßnahme ist es darüber hinaus aber noch möglich, den Jugendlichen in der „UNISEC- Unité de sécurité“ oder der Disziplinarabteilung des Erwachsenenvollzugs nach Art. 6 des Jugendschutzgesetzes unterzubringen (vgl. Schenk & Meyers, 1997, S. 88; Mémorial N° 70 (1992), 2018, Art. 6, 24).
Ab dem 18. Lebensjahr werden alle Delikte vor dem Strafgericht verhandelt. Für Delikte vor dem 18. Lebensjahr ist das Jugendgericht verantwortlich. Ab dem 16. Lebensjahr können schwere Delikte vor dem Strafgericht für Erwachsene verhandelt werden (vgl. Becsky & Muller, 2000, S. 13; Goniva, 2009, S. 984) und wenn sie in Zwischenzeit volljährig sind, können sie von jenem auch nach diesem Strafrecht belangt werden (vgl. Goniva, 2009, S. 984).
Laut Goniva liegt das Hauptaugenmerk im Umgang mit Jugendkriminalität in Luxemburg auf Präventionsmaßnahmen. Dieser Präventionsgedanke ist im Art.7 des Jugendschutzgesetzes festgelegt. Bei der Maßnahmenfindung werden familiäre Konstellationen und individuelle Faktoren beachtet (vgl. ebd., S. 984f.). Die Maßnahmen sollen den Jugendlichen helfen, ihren Platz in der Gesellschaft ohne Kriminalität zu finden. Die Kriminalität soll durch die individuell flexible Gestaltung eines jeden Falles reduziert werden und somit eine gute Resozialisation ermöglicht werden (vgl. ebd., S. 986). Das System des Jugendschutzes zielt darauf ab, Minderjährige die sich in Schwierigkeiten befinden, zu schützen und zu unterstützen. Diese Schwierigkeiten sind vielfältig, sei es im sozialen, familiären oder schulischen Bereich und gefährden die Entwicklung der Minderjährigen. Diese Notlage kann auf verschiedene Arten ausgedrückt werden, wie z.B. Gewalt oder Missbrauch psychotroper Substanzen. Laut dem Justiz- und Bildungsministeriums, sei der „Zweck des professionellen Eingreifens im Umgang mit diesen in Not geratenen jungen Menschen, dass über das unmittelbare Symptom hinausgegangen wird und mit ihnen Vertrauensbeziehungen aufgebaut werden, welche für die Entwicklung von Zukunftsaussichten förderlich sind. Diese Jugendlichen sollen in der Gesellschaft integriert werden und nicht marginalisiert werden“ (Braz & Meisch, 2018, S. 3). Diese Hilfe kann auch einen Zwangscharakter haben, so wie z.B. das Einsperren in die UNISEC. Hauptziel bleibt die Prävention eines kriminellen Rückfalls und Resozialisierung (vgl. Kurschat, 2018, S. 2).
Bei delinquenten Jugendlichen wird einerseits zwischen unterstützenden Maßnahmen, also Hilfestellungen in der Familie und andererseits schützenden Maßnahmen, also Unterbringung außerhalb der Familie zum Schutz des Minderjährigen, unterschieden. Die Maßnahmen werden vom „Service d’aide à l’enfance“ und vom „Office national de l’enfance (ONE)“ vermittelt. Im Rahmen von unterstützenden Maßnahmen (ambulanter Hilfen) gibt es in Luxemburg vor allem die Familienhilfe, welche innerhalb der Familie Hilfestellungen gibt, aber auch eine psychologische, soziale und erzieherische Betreuung anbietet. Auch psychologische und psychotherapeutische Behandlungen für Jugendliche sind möglich. Hierzu zählt z.B. eine ambulante Drogentherapie (IMPULS), Psychotherapie (Psy-Jeunes), Therapie von Gewalttätern (Riicht Eraus) und Mediation (Restorative justice). Größtenteils werden diese Maßnahmen alle von freien Trägern angeboten und durchgeführt (vgl. MEN Luxemburg, 2018a, S. 1-2). Als schützende Maßnahmen (stationäre Hilfen) gibt es in Luxemburg folgende: schulische Internate, sozialpädagogisch oder sozialtherapeutisch stationäre Einrichtungen mit unterschiedlichen Schwerpunkten, Notunterkünfte für Junge Menschen in Krisensituationen, geschlossene Heimunterbringung, Jugendpsychiatrien, betreutes Wohnen und Pflegefamilien (vgl. MEN Luxemburg, 2018b, S. 1-3). Zusätzlich finden etliche kriminalpräventive Maßnahmen statt. Diese werden von der luxemburgischen Polizei in Zusammenarbeit mit freien Trägern durchgeführt. Dazu zählen im Bereich von Jugendkriminalität vor allem Präventionsstunden an Schulen oder in Heimen zu den Themen Drogen und Mobbing, Anti-Gewalt-Trainings, Selbstbehauptungskurse und pädagogische Projekte (vgl. Police Grand-Ducale Luxembourg, 2018, S. 1).
Bereits 2008 gab es Diskussionen um das Jugendschutzgesetz, welche gekennzeichnet waren durch den „Gedanken der Hilfestellung“. Deshalb wurde neben dem Jugendschutz ein ergänzendes Gesetz aufgebaut, welches sich auf die Familienhilfe konzentriert (vgl. Peters & Hansen, 2008, S. 12ff.). In dem neuen „Kinder- und Familienhilfegesetz“ vom 16. Dezember 2008, welches das Ziel der Schaffung des ONE verfolgte (vgl. Mémorial N°192 (2008), 2018; Office national d´enfance, 2018, S. 1), konnte so von Experten als ein erster Ansatzpunkt gesehen werden, dass Strafe und Hilfe in Zukunft besser differenziert würden (vgl. Peters & Hansen, 2008, S. 14). Das ONE besteht seit 2011 (vgl. Jäger & Peters, 2017, S. 8). Die luxemburgische Kinder- und Jugendhilfe vollzog durch diese neue Gesetzgebung einen großen Wandel und das bisherige System hat sich geändert. Im April 2018 waren rund 75% aller stationären Unterbringungen in Luxemburg vom Gericht verordnet (in Einrichtungen im Ausland 61%, therapeutisch stationäre Einrichtungen 73%, klassisch stationäre Einrichtungen 81%, Notunterkünfte 90%, CSEE 100%) (vgl. Office national d´enfance, 2018, S. 1).
Mit Blick auf die staatlichen Erziehungsheime (CSEE) und das Vorgehen des Jugendschutzgesetzes kann festgehalten werden, dass sowohl kriminelle Jugendliche, aber auch Jugendliche mit anderen Problemen im CSEE zusammentreffen können. Eine große Rolle wird der Justiz im Entscheidungsprozess zugeschrieben. Andrich-Duval sagt dazu: „Kinder und Jugendliche, die ausgesprochen starke Verhaltensstörungen aufweisen, werden in den sozial-erzieherischen Zentren des Staates betreut. In diesen Zentren werden auch jene Jugendliche aufgenommen, die sich unter disziplinarischen Gesichtspunkten einer strengen Ordnung unterwerfen müssen“ (Andrich-Duval, 2003, S. 46f.). Im März 2018 waren z.B. im CSEE 59 Jungen und 23 Mädchen mit unterschiedlichen Problematiken untergebracht. In der Überarbeitung des Jugendschutzgesetzes wurde darauf hingewiesen, dass diese Struktur aufgeteilt werden soll. Im Fokus stehen Wohngruppen, wo Jugendliche mit vergleichbaren Hintergründen untergebracht werden. Es sollen verschiedene Modelle entwickelt werden für, einerseits Jugendliche mit einem intensiven Betreuungsbedürfnis und, andererseits für Jugendliche, welche aus einem anderen Heim kommen (vgl. Braz & Meisch, 2018, S. 2).
Ganz aktuell in der Diskussion ist die neue Struktur „Unité de sécurité (UNISEC)“ auf dem Gelände des Erziehungsheimes CSEE. Dies ist eine Sicherheitsabteilung für jugendliche Straftäter. Der Bau wurde seit 1992 diskutiert. 2002 teilte das CPT „Europäisches Komitee zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe“ mit, dass dem Bau der UNISEC größte Priorität eingeräumt werden müsse (vgl. ORK, 2003, S. 41). Obwohl sich das „Ombuds-Komitee für die Rechte vom Kind“ (ORK) gegen diese Sicherheitsabteilung neben dem CSEE aussprach (vgl. ebd., S. 45; ORK, 2005, S. 27), wurde sie auf dem Gelände errichtet (vgl. Boevinger, 2003, S. 85). Seit der Eröffnung der UNISEC im November 2017 wurden, in einer Übergangsphase, drei Jugendliche aus dem Erwachsenenvollzug in die UNISEC übermittelt, zwei haben ihre Reststrafe noch im Erwachsenenvollzug abgesessen, einer kam in ein anderes Heim und einer wurde volljährig. Seit Mai 2018 ist somit keine Jugendlicher mehr im Erwachsenenvollzug (vgl. ORK, 2018, S. 124). Im November 2018 waren elf Jugendliche in der UNISEC untergebracht, wovon vier zur Erprobung in ihrem familiären Umfeld lebten. In dem ersten Jahr haben 29 Jugendliche die Einrichtung durchlaufen. Die Jugendlichen waren zwischen 12 und 17 Jahren alt, wobei die jüngsten jedoch im Durchschnitt nur einen Monat dort waren. Mit 18 Jahren wurden sie entlassen. Im Durchschnitt waren sie 15,7 Jahre alt und blieben 52 Tage in der UNISEC. 20% davon waren Mädchen (vgl. ORK, 2018, S. 125). Diese geschlossene Unterbringung kann nur vom Richter angeordnet werden. Es werden dort höchstens zwölf Jugendliche untergebracht und die Maßnahme dauert maximal drei Monate und kann nur auf richterlichen Beschluss verlängert werden. Das Ziel der UNISEC ist die Stabilisierung, also Kontakt mit dem Jugendlichen aufnehmen und eine Beziehung aufbauen um angrenzende Maßnahmen anzubieten (vgl. Mémorial N°816 (2017), 2018, Art. 1).
Seit Jahren wird über eine Überarbeitung des Jugendschutzgesetzes gesprochen. Im März 2018 wurde ein erstes Projekt der Überarbeitung vom Justizminister vorgestellt. Die Überarbeitung des Gesetzestextes, erhält Änderungen, durch die Jugendliche besser geschützt werden können. „Das Justizministerium sei sich sicher, dass es besser sei über ein Jugendschutzgesetz zu handeln, als über ein Jugendstrafgesetz“ und „so würden Minderjährige zuerst als Opfer und Schutzbedürftig eingestuft werden, auch wenn sie eine Straftat begangen haben“ (Braz & Meisch, 2018, S. 1). „Weiterhin wäre es erlaubt, Minderjährige ab 16 Jahre nach dem Erwachsenenstrafrecht zu verurteilen“ (ebd., S. 1). Einer der wichtigsten Aspekte des neuen Projektes über den Jugendschutz, sind kumulative Bedingungen während einer Übergangsphase. Dies würde es ermöglichen, dass auch ein Jugendlicher in den Erwachsenenvollzug inhaftiert werden kann. Einerseits kann der Jugendrichter dies entscheiden, wenn eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit besteht. Andererseits kann ein Jugendlicher auch im Erwachsenenvollzug inhaftiert werden, wenn seine Strafe höher als zwei Jahre ist. Es muss aber eine absolute Notwendigkeit vorliegen, wie z.B. dass die Bedingungen einer Unterbringung in der UNISEC nicht ausreichen (vgl. ebd., S. 2). Angesichts der Heterogenität junger Menschen in Notlagen müssen die Handlungsstrategien vielfältig sein und an die unterschiedlichen Profile junger Menschen angepasst werden. Das politische Ziel besteht darin, die Bedingungen für die Entwicklung solcher Handlungsstrategien auf der Ebene von Konzepten, Infrastrukturen und Rahmenbedingungen selbst zu schaffen. Im Rahmen der Überarbeitung des Gesetzestextes, wurden verschiedene Arten von Strukturen diskutiert, die vorhanden sein müssten, um diesen Jugendlichen wirksame Maßnahmen zu ermöglichen (vgl. ebd., S. 3).
2.2. Probleme und Herausforderungen im Umgang mit Jugendkriminalität
Die Staatsanwaltschaft äußert sich im Hinblick auf die Diskussion um das Jugendschutzgesetz so, dass „ein Jugendstrafgesetz eine viel restriktivere Option“ wäre da „es beruht auf einer mathematischen Doppelgleichung: Straftat = Problem und Bestrafung = Lösung. Doch damit werden nur Symptome bekämpft und nicht die Ursache“ (Remesch, 2017, S. 1). Ein Jugendschutzgesetz lässt hingegen neben der Bestrafung noch eine ganze Reihe von anderen Möglichkeiten zu. Es erlaubt z.B. den Behörden, mit Jugendlichen zu arbeiten, um sie wieder auf den rechten Weg zu bringen. Denn die Justizbehörden sind auch davon überzeugt, dass wenn Minderjährige Straftaten begehen, es in den allermeisten Fällen einen Grund dafür gibt (vgl. ebd., S. 1).
Das Vorgehen des Jugendschutzgesetzes, welches ursprünglich aus Belgien und Frankreich kommt, erlaubt dem Jugendrichter Entscheidungen nach eigenem Ermessen zu treffen. Der Richter entscheidet dabei, welche Maßnahmen für einen straffälligen oder verhaltensauffälligen Minderjährigen angeordnet werden. Häufig sind sie zeitlich unbegrenzt. Nebensächlich sind dabei generalpräventive Aspekte sowie der Gedanke dass der Jugendliche Verantwortung für seine Tat übernehmen soll. Seit 30 Jahren wird diese Logik vermehrt in Frage gestellt (vgl. Kurschat, 2016c, S. 2). Das Justizministerium scheint grundsätzlich der Begründung von Staatsanwaltschaft und Jugendgericht zu folgen: „Sie wehren sich vehement gegen die Einführung eines Jugendstrafrechts nach deutschem Vorbild, wollen sich zugleich aber eine Hintertür offenhalten, um jugendliche Intensivtäter doch im Erwachsenenvollzug einsperren zu können“ (ebd., S. 1). Mit der Reform des Jugendschutzgesetzes bleibt diese Möglichkeit bestehen, wenn die Strafe des Jugendlichen höher als zwei Jahre ist. Dies ist problematisch, weil dies nicht nur auf Intensivtäter abzielt. Laut dem luxemburgischen Strafrecht stehen bereits auf Diebstahl ohne Gewaltanwendung oder Cannabisverkauf in der Schule ein bis fünf Jahre Freiheitsstrafe. Es scheint, dass Luxemburg delinquente Jugendliche strenger beurteilen als Erwachsene (vgl. Kurschat, 2018, S. 2).
Seligmann kritisiert das Jugendschutzgesetz, weil es insbesondere bei delinquenten Jugendlichen eine Herangehensweise ermöglicht, welche wohl das Alter des jugendlichen Täters berücksichtigt, aber das bedrohte Kind nicht schützt (vgl. Seligmann, 1998, S. 96). Das Jugendschutzgesetz wird als ein „Wächteramt mit paternalistischen Zügen“ (Peters & Hansen, 2008, S. 12) beschrieben. Das Jugendgericht würde in seinen Maßnahmen zu sehr auf Leitlinien des Schutzes, Kontrolle, Zurechtweisung und Mahnung beharren. Problematisch sei, dass nur die Justiz Entscheidungen trifft und so Fälle nicht adäquat pädagogisch-psychologisch betrachtet werden (vgl. ebd., S. 13). Dies führe dann zu zahlreichen gerichtlichen Einweisungen (rund 75%) (vgl. Office national de l´enfance, 2018, S. 1). Der Versuch mit der Gesetzesreform den Einfluss der Justiz bei der Arbeit mit Jugendlichen in Not mit dem Einfluss der Jugendhilfe gleichzustellen scheiterte, weil die Ansichten von Justiz und Jugendhilfe so gegensätzlich waren (vgl. Kurschat, 2018, S. 2). Kriminologische Studien zeigen, dass Jugendliche, welche schon einmal straffällig wurden und durch staatliche Kontrollinstanzen verurteilt wurden, weiterhin riskieren stigmatisiert zu werden und danach auch verurteilt zu werden (vgl. Stelly, Thomas, Vester, & Schaffer, 2014, S. 267). Der Jugendschutz betrachtet die Problemlagen nicht aus der Sicht von Hilfe und Strafe, sondern behandelt alle nach den gleichen Prinzipien. Fachleute stellen den Erfolg des schützenden Systems in Frage, weil „ein guter Teil der Insassen des Erwachsenenvollzugs vorher Opfer der betreuenden Aufmerksamkeit des Staates war“ (Peters & Hansen, 2008, S. 13). Es wurden zur Beruhigung der Kritik, Notunterkünfte gesucht (vgl. Peters, 2009, S. 30). Damit hat Peters auch die staatlichen Erziehungsheime und die UNISEC angesprochen. Des Weiteren weist Soisson darauf hin, dass es unmöglich wäre, dass Jugendliche im Erwachsenenvollzug inhaftiert werden können. Er erwähnt auch, dass die Regierung nur wegen nationaler und internationaler Forderungen beschlossen hat, die UNISEC zu entwickeln und bezeichnet die bis zur Eröffnung gängige Praxis des „zeitweisen Einsperrens“ im Erwachsenengefängnis als „Skandal“ (Soisson, 2003, S. 36). Dort beanstandet er die mangelnde Qualifikation des Personals, sowie die nicht erfolgte Klärung, „ob das Einsperren hier als Erziehungsmaßnahme oder als Bestrafung definiert wird. Alternativen zum Einsperren wie Erlebnispädagogik oder restaurativer Justiz wurden kaum in Erwägung gezogen“ (ebd., S. 36).
In- und ausländische Menschenrechtler verurteilen vor allem die Praxis, Jugendliche in den Erwachsenenvollzug zu inhaftieren, scharf. Diese Praxis ist nicht vereinbar mit der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen. Dies scheint die Verantwortlichen nicht zu stören. Das Einsperren mit Erwachsenen ist kaum mit dem Schutz- und Erziehungsgedanken zu vereinbaren, weil es im Erwachsenenvollzug keine geeigneten erzieherisch-therapeutischen Angebote für Minderjährige gibt aber auch, da sie dort nicht unbedingt positive Rollenvorbilder finden (vgl. Kurschat, 2016b, S. 1). Es ist unmöglich, Minderjährige im Erwachsenenvollzug ganz von den erwachsenen Häftlingen zu trennen, dies vor allem aus „logistischen und architektonischen Gründen“ (Kurschat, 2018, S. 2). Das Jugendgericht begründet dies wie folgt: „Es gebe jugendliche Schwersttäter, für die selbst die geschlossene Unterbringung nicht ausreichend sei, deren zwölf Plätze ohnehin zu knapp bemessen seien“ (Kurschat, 2016b, S. 1). Aber wenn die UNISEC nicht ausreicht, stellt sich die andere Frage, ob das Jugendschutzgesetz überhaupt ausreicht, um Straffälligkeit bei jungen Menschen zu begegnen, oder ob das Jugendschutzgesetz durch ein Jugendstrafrecht ergänzt werden muss. Die Richter wollen am jetzigen Stand nichts verändern, obschon Jugendliche berichten, ihren Gefängnisaufenthalt eher als Strafe zu erleben, denn als Erziehung (vgl. ebd., S. 1). Sozialpädagogen beschreibt das Auseinanderklaffen zwischen Anspruch und Wirklichkeit als „protektive Rhetorik und punitive Praxis“ (ebd., S. 1).
Mit Blick auf das „Kinder- und Familienhilfegesetz“ vom 16. Dezember 2008 argumentiert Peters weiterhin: „Gerade was schwierige Jugendliche angeht, stößt das luxemburgische System seit Jahren an Grenzen“ (Peters, 2009, S. 30). Dies sei an den Auslandsüberweisungen, Schulverweigerung, sowie aus den Zahlen zu delinquenten und gewaltbereiten Jugendlichen zu erkennen. Dies bedarf einer Analyse und kann nicht nur mit einer unkoordinierten Ausweitung von Maßnahmen beantwortet werden. Lange wurde diskutiert an welchem Ort die UNISEC errichtet werden könne (vgl. ebd., S. 30). Zusätzlich mussten viele Gesetze an die UNISEC angepasst werden, z.B. dass auch Vollzugsbeamte in sozialen Einrichtungen arbeiten dürfen. Ein weiterer Grund, warum die Eröffnung der UNISEC länger dauerte, war die Unklarheit darüber, ob sie eine „Endstation für jugendliche Schwersttäter ist, ein Erziehungsheim für schwer verhaltensauffällige Jugendliche oder ob nicht doch Minderjährige im Erwachsenengefängnis eingesperrt werden können“ (Kurschat, 2016a, S. 1). Um diese Unklarheit zu lösen, könnte die Verabschiedung der Reform des Jugendschutzgesetzes hilfreich sein. Es gibt Herangehensweisen im Jugendschutz, die aus Sicht von Kinderrechtlern überholt sind, wie z.B. der automatische Entzug des elterlichen Sorgerechts bei einer gerichtlichen Heimeinweisung (vgl. Kurschat, 2016a, S. 1).
Zur Prüfung der Wirksamkeit des Jugendschutzgesetzes und deren Maßnahmen können verschiedene Statistiken, welche den Verlauf und Umgang mit Jugendkriminalität in Luxemburg darstellen, herangezogen werden. Nicht alle Informationen zu kriminellen Jugendlichen sind öffentlich. Zum Beispiel ist eine Kommission aus dem Justiz- und Erziehungsministerium zuständig, freiheitsberaubende Zwangsmaßnahmen in der luxemburgischen Jugendhilfe akribisch zu kontrollieren. Sie müsste genaue Daten darüber haben, welche Jugendliche, wegen welchen Taten, für wie lange und unter welchen Auflagen, eingesperrt werden. Doch diese Berichte sind unveröffentlicht (vgl. Kurschat, 2016c, S. 2).
Die Statistik der luxemburgischen Polizei zeigt, dass die Jugendkriminalität (<18 Jahre) von 2010 bis 2015 kontinuierlich abnahm (12,4%- 8,4%). Seit 2016 nimmt die Jugendkriminalität jedoch wieder zu, bis heute auf 9,4% (2220 Tatverdächtige <18 Jahre). Insgesamt wurden im Jahr 2017, 36,3% (5148 Straftaten) der Taten in Luxemburg von jungen Menschen unter 25 Jahren begangen (9,4% von Jugendlichen unter 18 Jahren). Die meisten Delikte sind dabei Drogendelikte (55,6%), Diebstähle mit Gewaltanwendung (53,6%), Einbrüche (48,7%), Fahrzeugdiebstähle (37,8%) und Vandalismus (36,8%). Statistisch ist jeder dritte in der polizeilichen Kriminalstatistik registrierte Tatverdächtige im jugendlichen- oder heranwachsenden Alter (unter 25 Jahre) (vgl. Police Grand-Ducale Luxembourg, 2017, S. 18-19). Gemessen an ihrem niedrigen Bevölkerungsanteil (etwa 12,8 %) (Statec, 2018, S. 10) sind sie also maßgeblich am Kriminalitätsgeschehen beteiligt.
Anhand der Statistik des luxemburgischen Justizministeriums lässt sich zeigen wie viele Fälle vom Jugendgericht bearbeitet werden können und welche Maßnahmen laut dem Jugendschutzgesetz angeordnet werden. Laut dem Jahresbericht von 2017 wurden vom Jugendgericht 1703 neue Verfahren von Jugendlichen eröffnet. Dabei wurden 2155 Delikte bearbeitet (vgl. Ministère de la Justice, 2018, S. 142,177-178). Bei 202 Delikten wurden 72 Jugendliche unter 18 Jahren zu Sozialarbeit verurteilt (durchschnittlich 80 Stunden). Von 202 Straftaten handelt es sich im Großteil um Drogendelikte (39%), Körperverletzungen (26%) und Diebstähle (22%). 2011 gab es einen Höhepunkt mit 159 Verurteilungen zu Sozialarbeit und in den folgenden Jahren nahmen die Verurteilungen zwar kontinuierlich ab, jedoch ohne dass die Jugendkriminalität abnahm (vgl. ebd., S. 261-267). Insgesamt ist eine Steigerung der Drogendelikte und Körperverletzungen zu vermerken (vgl. ebd., S. 263-264). Wie die Jugendlichen in den anderen 1953 Fällen behandelt wurden, ist nicht aus der Statistik zu entnehmen. Im Durchschnitt benötigt das Jugendgericht zwischen sechs Monaten und zwei Jahren für die Bearbeitung einer Straftat und Verurteilung eines jungen Straftäters. Zuständig für ganz Luxemburg sind drei Jugendrichter (vgl. ebd., S. 261-267). In der Reform des Jugendschutzgesetzes, wurde mitgeteilt, dass weitere vier Jugendrichter eingestellt werden, um den Anforderungen gerecht zu werden und eine schnellere Bearbeitung von Fällen zu garantieren (vgl. Braz & Meisch, 2018, S. 2). Dazu kommen die weiteren 27% der Straftaten, welche von jungen Menschen zwischen 18 und 25 Jahren begangen wurden und die nicht in dieser Statistik aufgenommen wurden, da das Jugendgericht ab dem 18ten Lebensjahr keine Maßnahmen nach dem Jugendschutzgesetz anordnet. Dadurch wird klar, dass einerseits die Bearbeitung von Fällen lange dauert, proportional wenige Maßnahmen bei Straftaten von Jugendlichen verordnet werden und dass Heranwachsende fast ganz im System verschwinden. Die Statistik lässt auch erkennen, dass das Gericht nur Sozialarbeit, eine Zwangsunterbringung in einem Erziehungsheim oder Jugendpsychiatrie und als härteste Strafe eine Unterbringung im Erwachsenenvollzug anordnet.
In der Statistik der Justizvollzugsanstalt Luxemburg sind weitere Zahlen zu heranwachsenden und jungerwachsenen Straftätern zu finden. Rund 700 männliche und weibliche Untersuchungshäftlinge und Verurteilte sind dort inhaftiert. In seltenen Fällen werden auch Jugendliche dort inhaftiert. Seit dem ersten November 2017 haben die Jugendrichter aber auch die Möglichkeit Jugendliche in der UNISEC unterzubringen (vgl. Ministère de la Justice, 2018, S. 392). In der Justizvollzugsanstalt Luxemburg waren 2017 0,6% Jugendliche unter 18 Jahren inhaftiert (2016: 0,8%). Der Jüngste war 16 Jahre alt. Die Heranwachsenden von 18 bis 21 Jahren machten 3,7% (2016: 3,0%) aus und die Jungerwachsenen von 21 bis 25 Jahren machten 7,9% (2016: 10,8%) aus. Insgesamt sind 12,2 % (2016: 14,6%) der Strafgefangenen unter 25 Jahren (vgl. Ministère de la Justice, 2018, S. 396). Im ganzen Jahr 2017 befanden sich 17 Jugendliche unter 18 Jahren im Erwachsenenvollzug. Ein Höhepunkt gab es 2011 mit insgesamt 28 Jugendlichen. Ein Großteil war bis zu zwei Monate inhaftiert aber ein kleiner Teil war auch bis zu einem Jahr inhaftiert (vgl. ORK, 2018, S. 124). Die Anzahl von jungen Menschen unter 25 Jahren im Erwachsenenvollzug nahm von 2016 auf 2017 um 2,4% ab. Daraus lässt sich schließen, dass bei jeder dritten Straftat (<25 Jahre) eine Inhaftierung in den Erwachsenenvollzug folgt (vgl. Ministère de la Justice, 2018, S. 396). Es zeigt sich auch, dass viele junge Straftäter zwischen 18 und 25 Jahren im Erwachsenenvollzug inhaftiert sind. Dies würde die Aussage von Peters und Hansen bestätigen, „dass ein großer Teil der Insassen des Erwachsenenvollzug vorher Opfer der betreuenden Aufmerksamkeit des Staates war“ (Peters & Hansen, 2008, S. 13). Vor dem Hintergrund der dargestellten Statistiken lässt sich konstatieren, dass sich etwas am System ändern muss, wenn es nicht nur darum gehen soll, die Jugendkriminalität zu verringern, sondern auch den jungen Menschen im Erwachsenenalter eine straffreie Zukunft zu ermöglichen.
Dass so viele junge Menschen im Erwachsenenvollzug sind, verdeutlicht auch, dass das Jugendschutzgesetz sich nur auf Jugendliche unter 18 Jahren konzentriert und ab dem 18. Lebensjahr nach dem allgemeinen Strafrecht verurteilt wird. Studien zeigen aber, dass Jugendkriminalität am akutesten bei Männern zwischen dem 18. und 21. Lebensjahr ist und dann wieder abklingt. So wie sie in die Jugenddelinquenz hineingeraten sind, so wachsen sie auch wieder aus ihr heraus. Dies ist eine jugendtypische Phase und ein normaler Prozess. Oft erfolgt eine Spontanbewährung, so dass sie ohne Einfluss von außen wieder aus dieser Phase heraus kommen (vgl. Boers, 2010, S. 60). Wenn formelle Strafen also nicht notwendig sind, soll auf sie verzichtet werden. Dies ist auch der tiefere Grund für die jugendstrafrechtliche Strategie, eine frühzeitige Inhaftierung zu vermeiden. Die jungen Menschen sollen über dieses kritische Alter gebracht werden, ohne sie zu stigmatisieren und ihre Entwicklungschancen zu beeinträchtigen (vgl. McAra & McVie, 2007, S. 319). Deswegen ist das Jugendgerichtsgesetz auch für Jugendliche bis 21 Jahre verantwortlich wenn eine Reifeverzögerung oder Jugendverfehlung nach § 105 JGG vorliegt. Aus der davor vorgestellten Statistik lässt sich aber feststellen, dass in Luxemburg die Mehrheit der straffällig gewordenen Heranwachsenden nach dem Strafrecht verurteilt werden, obwohl sie auch bis 21 Jahre nach dem Jugendschutzgesetz verurteilt werden könnten (vgl. Mémorial N° 70 (1992), 2018, Art. 3). In Deutschland hingegen wird bei 60-90% der Heranwachsenden, Jugendstrafrecht angewendet (vgl. Putzke & Feltes, 2012, S. 26). Für Luxemburg ist anzumerken, dass fast alle Maßnahmen des Jugendschutzgesetzes nur bis zum 18ten Lebensjahr zugänglich sind (z.B. CSEE, UNISEC) (vgl. Braz & Meisch, 2018, S. 3-4).
Gefordert wird „die Möglichkeit des unterschiedlichen pädagogischen und strafenden Umgangs mit Opfern und jugendlichen Tätern und die Absicherung von Strafen im Kontext eines Jugendstrafrechts“ (Soisson, 2003, S. 34). Psychologen und Pädagogen bemängeln, das Jugendschutzgesetz sei entsprechend der Unterbringungsdauer und der unpräzisen Differenzierung von Straf- und Erziehungsmaßnahmen, sowie bei jugendlichen Intensivtätern überholungsbedürftig. Aber auch unter ihnen sind welche, die über ein Jugendstrafrecht nicht nachdenken wollen. Sie befürchten, damit die Position der „als strafend und stigmatisierend kritisierten“ Justiz zu intensivieren (vgl. Kurschat, 2016c, S. 2).
Der Jugendschutzgedanke war vor 30 Jahren progressiv, ist es heute aber eher nicht mehr. Jugendliche werden in Luxemburg viel öfter als in anderen Ländern in Europa gerichtlich in einem Erziehungsheim zwangsplatziert (75%) (vgl. Office national de l´enfance, 2018, S. 1). Kriminologen, Psychologen, Pädagogen und Kinderrechtler warnen seit Jahren vor der Stigmatisierung durch gerichtliche Heimeinweisungen. Auch mit der Einführung des Jugendhilfegesetzes hat sich wenig am großen Einfluss der Justiz auf die Wiedereingliederung schwer erziehbarer Jugendlicher geändert (vgl. Kurschat, 2016a, S. 1). „Vielmehr sieht es so aus, als würde unter dem Deckmantel, Jugendliche vor sich und anderen zu schützen, in Wirklichkeit oftmals eine Bestrafung stattfinden“ (ebd., S. 1). Umso wichtiger ist eine unabhängige Analyse über punitive Effekte des luxemburgischen Jugendschutzes. Genau diese Unklarheiten führten dazu, dass immer mehr Fachleute das Jugendschutzgesetz kritisch hinterfragten (vgl. ebd., S. 1). Dass der Gedanke des Jugendschutzes an seine Grenzen kommt, zeigt die Evolution in Belgien. Dort wurde das Jugendschutzgesetz 2006 unter Beteiligung von Kriminologen und Sozialarbeitern reformiert. Der Verantwortlichkeit von jungen Straftätern und dem Opferschutz sollte besser Rechnung getragen werden. Diese Reform führte zu einer Neureglung der Erziehungs- und Strafmaßnahmen (vgl. Moreau, 2006, S. 4-6). Dabei wurden mehrere „Centres fermés pour jeunes“ errichtet um jugendliche Straftäter, solche mit kurzen Strafen (bis drei Monate) aber auch solche die mit 16 Jahren nach dem Erwachsenenstrafrecht verurteilt wurden, zu inhaftieren. Zusammen haben diese Einrichtungen Platz für mehr als 200 Jugendliche und vergleichbar mit dem Erwachsenenvollzug in Belgien jedoch mit größerem Blick auf erzieherische Aspekte (vgl. Service public fédéral Justice, 2018, S. 1). In Belgien sank die Jugendkriminalität seither (2011-2016) um 28% (vgl. RTL Info, 2018). Diese Zahlen zeigen, dass die Maßnahmen in Belgien wirken, aber auch eine Resozialisierung stattfindet. In Luxemburg glauben die Richter anscheinend nicht, dass der „Erziehungsgedanke“ überwiegt, sonst würden sie wohl kaum daran festhalten, Jugendliche in den Erwachsenenvollzug zu inhaftieren, für den noch immer keine Richtlinien vorliegen. Das ist ein offensichtlicher Verstoß gegen die UN-Kinderrechtskonvention. Insofern, sind in Luxemburg inhaftierte Minderjährige schlechter gestellt als Haftinsassen im Erwachsenenvollzug (vgl. Kurschat, 2016c, S. 2).
Nach so langer Diskussion um das Jugendschutzgesetz fällt es den Beteiligten weiterhin schwer, sich zu einigen und so viel Druck aufzubauen, dass im Hinblick auf kriminelle Jugendliche neue Wege gegangen werden können und dies ohne Konkurrenzdenken (vgl. ebd., S. 3). Dazu passt die Aussage von Engel: „Eine korrekte und komplette Anwendung des Übereinkommens über die Rechte des Kindes bietet die Garantie, eine Gesellschaft zu schaffen, die Kinder respektiert. Und nur eine Gesellschaft, die alle ihre Kinder respektiert, wird Kinder großziehen, die die Gesellschaft respektieren“ (Engel & Gürber, 2007, S. 11 ff.). Aufgrund der Argumente die gegen oder für ein Jugendschutzgesetz sind, erweist es sich als interessant im Folgenden die Unterschiede des luxemburgischen zum deutschen Jugendrechtssystem zu analysieren.
2.3. Vergleich der Rechtssysteme Deutschland und Luxemburg
Kriminologen, Psychologen, Pädagogen und Kinderrechtler fordern eine Möglichkeit in der mit Opfern und jungen Tätern unterschiedlich pädagogisch und strafend umgegangen werden kann. Eine Absicherung von Strafen sind für sie im Kontext eines Jugendstrafrechts wichtig (vgl. Soisson, 2003, S. 34). Das deutsche Jugendgerichtsgesetz (JGG) wird hier als Beispiel genauer vorgestellt und mit dem luxemburgischen Jugendschutzgesetz verglichen, um zu verdeutlichen, dass die für Luxemburg wichtigen Ansatzpunkte auch im Jugendgerichtsgesetz vorhanden sind und darüber hinaus noch weitere Vorteile mit sich bringen.
Als Jugendstrafrecht wird ein System von Normen bezeichnet, welches z.B. im Jugendgerichtsgesetz enthalten ist. Mit § 2 Abs. 1 S. 2 JGG beinhält das Jugendgerichtsgesetz eine Definition des Jugendstrafrechts. Ziel ist die Verhinderung erneuter Straffälligkeit (vgl. Ostendorf, 2005, S. 415). Das luxemburgische Jugendschutzgesetz zielt hingegen darauf ab, Minderjährige zu schützen und zu unterstützen, die sich in Schwierigkeiten befinden (vgl. Braz & Meisch, 2018, S. 3). Nach dem deutschen Jugendgerichtsgesetz ist es aber wichtig, dass die Rechtsfolgen und das Verfahren in erster Linie am Erziehungsgedanken ausgerichtet sind. Da Normverletzungen Minderjähriger oft ein Ausdruck von Erziehungsdefiziten sind, wird an diesem Erziehungsgedanken als unerlässliches „Leitprinzip des Jugendstrafrechts“ festgehalten. Das Jugendgerichtsgesetz nimmt in vielen Normen auch Bezug auf die Erziehung (vgl. Laubenthal, Baier, & Nestler, 2015, S. 2). Der Bundesgerichtshof unterstreicht in Rechtsprechungen das „Primat der Erziehung“ als „Basis aller Regelungen des Jugendstrafrechts“ (Bringewat, 1991, S. 42). Dies ähnelt sehr dem luxemburgischen Jugendschutzgesetz, welches laut Artikel 1 mit seinen Schutz-, Erziehungs- oder Aufsichtsmaßnahmen, auch dem Erziehungsgedanken als Leitprinzip folgt (vgl. Mémorial N° 70 (1992), 2018, S. 30). Aber wie das Jugendgerichtsgesetz in § 2 Abs. 1 S. 1 JGG erkennen lässt, ist nicht alleinig die Erziehung, sondern auch das Verhindern erneuter Straftaten Ziel des Jugendstrafrechts.
Das Ziel der Ausrichtung am Erziehungsgedanken soll garantiert werden indem beim Einsatz des materiellen und formellen Jugendstrafrechts, kriminologische, pädagogische, psychologische und weitere fachliche Erkenntnisse besonders beachtet werden (vgl. Ostendorf, 2005, S. 415). Die Bedeutung des Erziehungsgedanken liegt darin, dass „zur Erreichung des Ziels künftiger Legalbewährung primär erzieherische Mittel eingesetzt werden sollen und dass auch im Übrigen nach Möglichkeit erzieherische Gesichtspunkte berücksichtigt werden müssen“ (ebd., S. 415). Gesetzlich vorgeschriebene Rechtsfolgen haben nicht nur erzieherische Einwirkungen sondern sind auch spürbare Strafen. Das Jugendgerichtsgesetz ist somit kein Erziehungsrecht sondern ein Strafrecht. Das Einstehen müssen für eine Straftat kann als eine den Sozialisationsprozess befördernde Lebenserfahrung gesehen werden (vgl. Laubenthal, Baier, & Nestler, 2015, S. 3).
Da das Jugendschutzgesetz nicht von Bestrafung spricht, sondern einer „Reaktion auf ein Delikt im Sinne einer Erziehungsmaßnahme“ (Goniva, 2009, S. 986), gibt es einen weiteren Unterschied zwischen dem luxemburgischen und dem deutschen Gesetz. Durch die undifferenzierte Gesetzeslage in Luxemburg fällt es schwer die Anordnungen von Maßnahmen nach Art. 1 wegen sozialer Problemlagen und solchen als Rechtsfolge eines Verstoßes gegen das Strafgesetz voneinander abzugrenzen. Eine solche Unklarheit des Ursprungs der Maßnahmen im Jugendschutzgesetz führt zu einem intransparenten Verfahren beim Jugendgericht und macht die richterlichen Reaktionen für Jugendliche oft schwer nachvollziehbar (vgl. Nitschmann, 2001, S. 1). Im deutschen Jugendgerichtgesetz gibt es diese differenzierte Gesetzeslage und Klarheit des Ursprungs von Maßnahmen als Rechtsfolgen einer Straftat, wie unter anderem §§ 5, 13 Abs. 1, 17 JGG erkennen lässt.
Hinsichtlich des Jugendschutzgedankens, dass der Minderjährige erst einmal der repressiven Gerichtsbarkeit vorenthalten werden soll, muss der Jugendrichter laut dem Art. 2 des luxemburgischen Jugendschutzgesetzes auf die im Art. 1 aufgeführte Maßnahmen zurückgreifen. Dadurch ist der Minderjährige aber auch gleichzeitig den klaren Grundsätzen und Strukturen des Strafverfahrens vor den Strafgerichten entzogen. Nach Art. 32 kann in bestimmten Einzelfällen ab dem 16ten Lebensjahr eine Straftat eines Jugendlichen vor dem allgemeinen Strafgericht verfahren und verurteilt werden (vgl. ebd., S. 1). Dies ist nach dem deutschen Jugendgerichtsgesetz nicht möglich. Dort ist das laut §§ 1, 105 erst bei 18-jährigen möglich. So dient der Art. 1 des luxemburgischen Jugendschutzgesetzes dem Jugendrichter sozusagen als Generalklausel in Verfahren gegen Jugendliche und weist somit keine strafrechtsspezifischen Bezüge auf. Allerdings können aus ihm rechtliche Folgen wie Freiheitsentzug, erwachsen. Im Hinblick auf das im Art. 14 der luxemburgischen Verfassung garantierte Gesetzlichkeitsprinzip, ist dies fragwürdig. Dieses besagt nämlich, dass eine Straftat nur bestraft werden kann, wenn vor Tatbegehung die Strafbarkeit gesetzlich definiert war. „Nulla poena, nullum crimen sine lege scripta”. Der Schutz des Jugendlichen vor willkürlicher Ausübung und Ausweitung der staatlichen Strafgewalt, wie auch die Wahrung seines Freiheitsrechts aus Art. 12 der Verfassung „Individual Freedom“ können nämlich so nicht gewährleistet werden (vgl. ebd., S. 1).
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