Seit den 1980er Jahren zeigt sich in Europa wie in anderen Teilen der Welt ein Phänomen im Umgang mit der (eigenen) Vergangenheit, das Pierre Nora als „Konjunktur des
Gedächtnisses“ oder „Epoche des Gedenkens“ charakterisiert. Diese „Ära des leidenschaftlichen, konfliktbeladenen, fast zwanghaften Gedenkens“ ist gekennzeichnet durch die kritische Auseinandersetzung mit offiziellen Geschichtsdarstellungen und Aufarbeitung des Vergessenen, Verdrängten oder Unterdrückten. In Europa spielt dabei die Geschichtserinnerung an den 2. Weltkrieg und den Holocaust eine besondere Rolle - sie steht mit im Zentrum politischer, kultureller und pädagogischer Bemühungen der EU und wird in einigen Fällen offenbar geradezu als Ausgangspunkt des heutigen Europas verstanden. Zugleich zeigt sich in Arbeiten mit vergleichender oder transnationaler Perspektive sowie in der Bildung europäischer Forschungs- und Förderungsnetzwerke eine „Europäisierung“ der Forschung. Am Anfang des 21. Jahrhunderts steht, wie Henry Rousso festhält, insbesondere die Zeitgeschichtsschreibung vor neuen Herausforderungen: Zum einen werden nach wie vor oft nationale Besonderheiten und Einzigartigkeiten betont. Gerade bei transnationalen Phänomenen wie der Periode des Nationalsozialismus, des Faschismus und der Weltkriege scheint es aber sinnvoll, größere Zusammenhänge zu betrachten. Zum anderen erfordern die Veränderungen, die mit dem Zusammenbruch des Sowjet-Kommunismus, dem Ende des Kalten Krieges sowie der Integration der osteuropäischen Länder einhergehen, neue Perspektiven und die Revision der bisher eher westlich geprägten Europavorstellungen. Die vorliegende Hausarbeit beschäftigt sich mit der Geschichtserinnerung in Litauen, insbesondere mit Blick auf den 2. Weltkrieg und den Holocaust, wobei es unumgänglich ist, auch die kommunistische Vergangenheit mit einzubeziehen.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Begriffsklärung: Formen des Gedächtnisses und der Erinnerung
- Judenmord in Litauen
- Phasen der Geschehensdeutung und Geschichtserinnerung in Litauen
- Zweiter Weltkrieg: „Bolschewismus und Juden ist ein und dieselbe, nicht zu trennende Sache."
- Exil: „___allgemein haben die Litauer es nicht zugelassen: dass sie in die deutsche Politik und ihre Taten hineingezogen "urdem"
- Sowjetzeit: „Der blutige Terror traf zuerst Kommunisten: Komsomolzen und Sowjetangestellte__"
- Litauische Republik: , zl)ie Verschränkung___zwischen Okkupation und Judenmord stellt das eigentliche Problem dar.
- Fazit
- Anhang
- Abkürzungsverzeichnis
- Literatu rveneichnis
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Hausarbeit untersucht die Geschichtserinnerung in Litauen, insbesondere mit Blick auf den 2. Weltkrieg und den Holocaust, wobei auch die kommunistische Vergangenheit mit einbezogen wird. Die Arbeit analysiert die verschiedenen Phasen der Geschehensdeutung und Geschichtserinnerung in Litauen und untersucht, wie die litauische Bevölkerung mit der Erinnerung an die eigene Vergangenheit umgeht. Dabei werden die Ansätze von Maurice Halbwachs, Jan und Aleida Assmann sowie Henry Rousso herangezogen, um die komplexen Prozesse der Erinnerungskultur zu beleuchten.
- Die enge Verflechtung von antisowjetischem Befreiungskampf und antisemitischen Mordaktionen in Litauen während des 2. Weltkriegs.
- Die Entwicklung unterschiedlicher Geschichtsbilder im Exil, die zwischen Opfer- und Tätergedächtnis oszillieren.
- Die Konstruktion eines kollektiven Gedächtnisses in der Sowjetzeit, das den Holocaust und die litauische Beteiligung daran verdrängt und uminterpretiert.
- Die Herausforderungen der Aufarbeitung der Vergangenheit in der unabhängigen litauischen Republik, die mit dem Erbe zweier totalitärer Systeme konfrontiert ist.
- Die Rolle von Mythen, Stereotypen und Denkmälern in der litauischen Erinnerungskultur, die das Streben nach Souveränität und die Furcht vor dem erneuten Verlust der Unabhängigkeit widerspiegeln.
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung führt in die Thematik der Geschichtserinnerung in Litauen ein und beleuchtet die Bedeutung des 2. Weltkriegs und des Holocaust für die litauische Gesellschaft. Sie stellt die drei zentralen Gesichtspunkte vor, die die Arbeit durchziehen: die Dimension des Holocaust in Litauen, die enge Verschränkung von sowjetischer Okkupation und Judenmord sowie die Erinnerung an die fünfzig Jahre Fremdherrschaft unter dem kommunistischen Regime.
Das zweite Kapitel behandelt die verschiedenen Formen des Gedächtnisses und der Erinnerung, indem es die Ansätze von Maurice Halbwachs, Jan und Aleida Assmann sowie Henry Rousso vorstellt. Es werden das individuelle, das kommunikative, das Generationen-, das kollektive und das kulturelle Gedächtnis sowie die Erinnerungskultur erläutert und ihre Bedeutung für die Analyse der litauischen Geschichtserinnerung hervorgehoben.
Das dritte Kapitel widmet sich dem Judenmord in Litauen und beschreibt die erschreckenden Dimensionen des Holocaust in einem Land mit einer kleinen jüdischen Bevölkerung. Es werden die Besonderheiten des Holocaust in Litauen, die Beteiligung der litauischen Bevölkerung an den Vernichtungsaktionen sowie die Ursachen für den Hass auf die Juden während der Sowjetzeit beleuchtet.
Das vierte Kapitel analysiert die verschiedenen Phasen der Geschehensdeutung und Geschichtserinnerung in Litauen, beginnend mit der Zeit des 2. Weltkriegs. Es werden die Deutungsmacht des Exils, die Konstruktion eines kollektiven Gedächtnisses in der Sowjetzeit und die Herausforderungen der Aufarbeitung der Vergangenheit in der unabhängigen litauischen Republik beleuchtet.
Schlüsselwörter
Die Schlüsselwörter und Schwerpunktthemen des Textes umfassen die Geschichtserinnerung, den Holocaust, den 2. Weltkrieg, die sowjetische Okkupation, Litauen, Opfergedächtnis, Tätergedächtnis, Erinnerungskultur, kollektives Gedächtnis, kulturelles Gedächtnis, Maurice Halbwachs, Jan Assmann, Aleida Assmann, Henry Rousso, Antisemitismus, Deportationen, Partisanen, Waldbrüder, Sajudis, Unabhängigkeit, Identität, Kontinuität, Trauma, Verdrängung, Aufarbeitung.
- Quote paper
- Anne Krenzer (Author), 2005, Erinnerung an den 2. Weltkrieg und Holocaust in Litauen: Zwischen Opfer- und Tätergedächtnis, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/46398
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