Die Korrekturen an der rheinland-pfälzischen Kommunalverfassung Mitte der 1990er Jahre waren moderater Natur - wenigstens im Vergleich zum „revolutionären“ Umbruch, der parallel in Nordrhein-Westfalen stattfand, wo sich der Gesetzgeber nach über fünfzig Jahren endgültig von der britisch inspirierten norddeutschen Ratsverfassung verabschiedet hat.
Die von Hans-Georg WEHLING und Andreas KOST attestierte „starke Angleichung der kommunalen Verfassungssyteme in Deutschland“ (2003: 9) hat Rheinland-Pfalz weniger stark erschüttert als seinen nördlichen Nachbarn. Daher scheint es wenig verwunderlich, dass auf den ersten Blick die politik- oder kommunalwissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Folgen der institutionellen Umbrüche an den Hochschulen in Bochum, Hagen oder Köln wesentlich intensiver erfolgte als in Mainz oder Trier. Die empirisch fundierte Beantwortung der geradezu „klassischen Fragestellung“, die Untersuchung der Folgen der geänderten institutionellen Rahmenbedingungen auf die kommunalpolitischen Prozesse („does polity matter?“) haben Wissenschaftler in Nordrhein-Westfalen bereits in Angriff genommen. Für Rheinland-Pfalz steht die Beantwortung der Frage noch weitgehend aus.
Aber bedarf es überhaupt einer separaten, landesspezifischen Betrachtung? Können die nordrhein-westfälischen Ergebnisse nicht getrost übernommen werden? Wahrscheinlich nicht. Die Änderung oder Angleichung institutioneller Arrangements per Gesetz ist eine Sache, deren Auswirkung auf die kommunalpolitische Wirklichkeit eine völlig andere. Erst recht, wenn man bedenkt, dass der über 50 Jahre geübte Umgang mit tradierten institutionellen Arrangements seinerseits zur Herausbildung regionaler politischer Traditionen oder Handlungsmuster geführt haben dürfte. Polity, politics und policy sind auch innerhalb der Kommunalpolitik in ihrer Wirkungsweise interdependent.
Ziel dieser Arbeit ist daher, die bestehende Lücke zu schließen und für Rheinland-Pfalz die Auswirkungen der kommunalverfassungsrechtlichen Neuerungen auf die Konfliktregulierungsmuster in der Gemeinde zu untersuchen.
Inhaltsverzeichnis
1 Einführung
2 Erklärungfaktoren kommunaler Entscheidungsprozesse
2.1 Polity
2.1.1 Kommunalverfassung
2.1.1.1 Typologie der traditionellen Kommunalverfassungen
2.1.1.2 Einfluss der Kommunalverfassung auf kommunale Ent- scheidungen: Stand der Forschung
2.1.2 Gemeindegröße
2.2 Politics
2.2.1 Lokale politische Kultur
2.2.2 Lokaler Problemdruck
2.2.3 Geändertes Selbstverständnis der Akteure
2.3 Akteursorientierter Institutionalismus und lokale Politik?
3 Änderung der lokalpolitischen Konfliktregulierungsmuster durch die Direktwahl der Bürgermeister?
3.1 Ausgangslage: Änderungen der kommunalverfassungs- rechtlichen Rahmenbedingungen
3.1.1 Kommunale Gliederung und Kommunalverfassung in Rheinland-Pfalz
3.1.2 Die Kommunalverfassungsreform in Rheinland-Pfalz
3.2 Erwartungen der Landespolitik an die Direktwahl der Bür- germeister
3.3 Direktwahl der Bürgermeister und Parteipolitisierung in der politikwissenschaftlichen Diskussion
3.4 Hypothesenbildung
3.5 Entwicklung der Parteipolitisierung seit Beginn der 1990er Jahre: Eine empirische Analyse am Beispiel von 49 Gemein- den in Rheinland-Pfalz
3.5.1 Untersuchungsdesign
3.5.1.1 Mehrheits- oder Wettbewerbsdemokratie vs. Konsensdemo- kratie
3.5.1.2 Verhältnis von Parteipolitisierung und kommunalpoliti- schem Demokratietypus
3.5.1.3 Indikatorbildung
3.5.2 Ergebnisse
3.5.2.1 Bedeutung der Freien Wählergruppen
3.5.2.2 Fraktionalisierung des lokalen Parteiensystems
3.6 Fallstudien: Entwicklung des Abstimmverhaltens im Rat zweier ausgesuchter rheinland-pfälzischen Städte
3.6.1 Untersuchungsdesign, Indikatorbildung und Operationali- sierung
3.6.1.1 Untersuchungsdesign
3.6.1.2 Indikatoren und Operationalisierung
3.6.2 Die Fallstudienstädte
3.6.2.1 Auswahlkriterien
3.6.2.2 Strukturdaten
3.6.2.3 Ergebnisse der Ratswahlen in den Fallstudienstädten 1989 - 2004
3.6.3 Ergebnisse der Fallstudien
3.6.3.1 Stadt Bingen am Rhein
3.6.3.2 Stadt Cochem
4 Fazit
5 Bibliographie
1 Einführung
Die Korrekturen an der rheinland-pfälzischen Kommunalverfassung Mitte der 1990er Jahre waren moderater Natur - wenigstens im Ver- gleich zum „revolutionären“ Umbruch, der parallel in Nordrhein- Westfalen stattfand, wo sich der Gesetzgeber nach über fünfzig Jah- ren endgültig von der britisch inspirierten norddeutschen Ratsver- fassung verabschiedet hat.
Die von Hans-Georg WEHLING und Andreas KOST attestierte „starke Angleichung der kommunalen Verfassungssyteme in Deutschland“ (2003: 9) hat Rheinland-Pfalz weniger stark erschüttert als seinen nördlichen Nachbarn1. Daher scheint es wenig verwunderlich, dass auf den ersten Blick die politik- oder kommunalwissenschaftliche Auseinandersetzung2 mit den Folgen der institutionellen Umbrüche an den Hochschulen in Bochum, Hagen oder Köln wesentlich inten- siver erfolgte als in Mainz oder Trier. Die empirisch fundierte Be- antwortung der geradezu „klassischen Fragestellung“ (SCHU- BERT/BANDELOW, 2003: 6), die Untersuchung der Folgen der geän- derten institutionellen Rahmenbedingungen auf die kommunalpoli- tischen Prozesse („does polity matter?“) haben Wissenschaftler in Nordrhein-Westfalen bereits in Angriff genommen3. Für Rheinland- Pfalz steht die Beantwortung der Frage noch weitgehend aus.
Aber bedarf es überhaupt einer separaten, landesspezifischen Be- trachtung? Können die nordrhein-westfälischen Ergebnisse nicht getrost übernommen werden? Wahrscheinlich nicht. Die Änderung oder Angleichung institutioneller Arrangements per Gesetz ist eine Sache, deren Auswirkung auf die kommunalpolitische Wirklichkeit eine völlig andere. Erst recht, wenn man bedenkt, dass der über 50 Jahre geübte Umgang mit tradierten institutionellen Arrangements seinerseits zur Herausbildung regionaler politischer Traditionen oder Handlungsmuster geführt haben dürfte. P olity, politics und policy sind auch innerhalb der Kommunalpolitik in ihrer Wirkungs- weise interdependent (vgl. WEHLING/KOST, 2003: 10; BOGUMIL, 2001: 101).
Ziel dieser Arbeit ist daher, die bestehende Lücke zu schließen und für Rheinland-Pfalz die Auswirkungen der kommunalverfassungsrechtlichen Neuerungen auf die Konfliktregulierungsmuster in der Gemeinde zu untersuchen.
Zunächst werden dazu abstrakt die in der Literatur genannten Fak- toren herausgearbeitet, die die politics in den Kommunen beeinflus- sen. Im zweiten Schritt werden dann empirisch die Folgen der polity - Änderungen analysiert. Dazu wird zunächst eine Studie GABRIELS aus dem Jahr 1991, die insbesondere aus der Zusammensetzung der Räte der rheinland-fälzischen verbandsfreien Gemeinden Schlüsse zur kommunalpolitischen Konfliktregulierung zog, bis in die Ge- genwart fortgeschrieben. In zwei Fallstudien, die in Bingen am Rhein und Cochem durchgeführt wurden, werden dann die möglicherweise mit der Änderung des polity -Rahmens vor Ort eingetretenen Verän- derungen untersucht.
Mein Dank gilt Herrn Dr. Stephan Danzer und seinen Mitarbeitern vom Statistischen Landesamt Rheinland-Pfalz für die Bereitstellung der Kommunalwahlergebnisse seit 1984 sowie den Herren Siegfried Theobald (Stadtverwaltung Bingen am Rhein) und Wolfgang Hock
(Stadtverwaltung Cochem) für die freundliche Unterstützung der
Fallstudien vor Ort. Ferner danken möchte ich Herrn Bürgermeister Herbert Hilken, der durch seine Ausführungen zur Entwicklung der Kommunalpolitik in der Stadt Cochem viel zum Verständnis der Prozesse insgesamt beigetragen hat. Last, but not least danke ich Herrn Dr. Lars Holtkamp von der FernUniversität Hagen für seine stete Unterstützung und Beratung, die ich so an regulären Hoch- schulen nicht erlebt habe.
2 Erklärungfaktoren kommunaler Entscheidungsprozesse
Im folgenden Abschnitt werden zunächst die in der Literatur ge- nannten Faktoren identifiziert, die auf den kommunalpolitischen Entscheidungsprozess einwirken. Dabei werden die Faktoren den „klassischen“ Dimensionen des Politikbegriffes zugeordnet, auch wenn die Dreiteilung lediglich eine „konzeptionelle Differenzierung“ (SCHUBERT/BANDELOW, 2003: 5) darstellt 4. Die oben bereits erwähnte Interdependenz von polity, politics und policy erschwert dabei die eindeutige Zuordnung.
Kommunale Entscheidungsprozesse unterliegen, wie politische Prozesse insgesamt, einer Vielzahl von Einflussfaktoren:
„Kommunale Entscheidungsprozesse sind abhängig von einem Geflecht von Faktoren, zu denen die Gemeindegröße, das institu- tionelle Arrangement der GO, lokale politisch-kulturelle Faktoren und persönliche Konstellationen zählen.“ (BOGUMIL, 2001: 101).
Als ergänzende Faktoren, welche insbesondere die Parteipolitisierung lokaler Politik beg ü nstigen, nennt Bogumil darüber hinaus noch den gesteigerten Problemdruck in lokalen Politikfeldern, den flächendek- kenden Einzug der Gr ü nen in die Kommunalparlamente sowie das ge ä nderte Selbstverst ä ndnis insbesondere j ü ngerer Mandatstr ä ger (vgl.
BOGUMIL, 2002: 36 f.). BOGUMIL konzentriert sich damit bei der Darstellung der maßgeblichen Einflussfaktoren auf den „kommunalen Entscheidungsprozess im engeren Sinn“ (Bogumil, 2002: 7).
ANDERSEN/BOVERMANN ziehen den Kreis der einflussreichen Fakto- ren dagegen wesentlich weiter, indem sie insbesondere die „Interde- pendenz der verschiedenen politischen Systemebenen“ (2002a: 22) und damit den möglichen Einfluss bundes- oder landespolitischer Trends auf die Kommunalwahlentscheidung, die damit ihrerseits als Teil des kommunalen Entscheidungsprozesses gesehen wird, mit auf- nehmen. Dieser Zusammenhang zwischen den Systemebenen und insbesondere die anscheinend wesentliche Bedeutung der Bundes- politik wurde jüngst bei den nordrhein-westfälischen Landtagswah- len nach allgemeiner Lesart erneut überdeutlich und ist für das Ver- hältnis Bundepolitik - Landespolitik anerkannt (vgl. BURKHART: 2005). Entsprechendes gilt auch für das Verhältnis Bundespolitik - Kommunalpolitik bzw. Landespolitik - Kommunalpolitik (s. u.).
NAßMACHER (1998: 125 f) bezieht darüber hinaus noch „Institutionen lokaler Öffentlichkeit“ wie Vereine oder die lokalen Medien in seine Überlegungen zur kommunalpolitischen Willensbildung mit ein. Die nach der einschlägigen Literatur auf den kommunalpolitischen Ent- scheidungsprozess einwirkenden Faktoren erscheinen somit als sehr vielfältig. Die Einbeziehung sämtlicher genannter Erklärungsfakto- ren ist im Rahmen einer Magister-Arbeit nicht zu bewältigen. Daher liegt der Schwerpunkt der Darstellung auf den für den „kommuna- len Entscheidungsprozess im engeren Sinne“ (Bogumil, 2002: 7) maßgeblichen Faktoren.
2.1 Polity
2.1.1 Kommunalverfassung
Der Wirkungszusammenhang von Kommunalverfassung 5 (polity) und kommunalem Entscheidungsprozess wird bereits seit Ende der 1960er Jahre „mitdiskutiert“ (vgl. Bogumil, 2002: 8). Seit Mitte der 1970er Jahre werden vergleichende Analysen zu diesem Wirkungs- zusammenhang zwischen Kommunen, die verschiedenen Kommu- nalverfassungstypen unterworfen sind, unternommen. Daher wer- den, trotz der ausführlichen Darstellung in der Literatur, kurz die bis Mitte der 1990er Jahre in Westdeutschland vertretenen Kommunal- verfassungstypen mit ihren Besonderheiten vorgestellt:
2.1.1.1 Typologie der traditionellen Kommunalverfassungen
Idealtypisch ließen sich bis zur Reformwelle Mitte der 1990er Jahre die verschiedenen Kommunalverfassungen in den Flächenstaaten unter den alten Bundesländern wie folgt ordnen (WEHLING/KOST, 2003: 10; ähnlich: KLEINFELD/NENDZA, 1996: 75 ff.; abweichend: BOVERMANN6, 1999: 60 ff und BOGUMIL, 2001: 67 f.):
− Süddeutsche Ratsverfassung (Baden-Württemberg, Bayern)
− Bürgermeisterverfassung (Rheinland-Pfalz, Saarland, Landge- meinden Schleswig-Holsteins)
− Magistratsverfassung (Hessen, Städte Schleswig-Holsteins)
− Norddeutsche Ratsverfassung (Niedersachsen, Nordrhein- Westfalen)
Die S ü ddeutsche Ratsverfassung (auch s ü ddeutsche Rat-B ü rgermeister-
Verfassung) geht von einer dualistischen Kompetenzverteilung zwi- schen Rat und Bürgermeister 7 aus. D. h., dass beide als Organe der Gemeinde eigene Kompetenzen aus der Kommunalverfassung ab- leiten können. Der Bürgermeister ist gleichzeitig Ratsvorsitzender, alleiniger Verwaltungschef (sog. monokratische Verwaltungsfüh- rung), Repräsentant der Gemeinde und deren rechtlicher Vertreter. Zudem verfügt der Bürgermeister aufgrund der Direktwahl durch die Bürger der Gemeinde über eine eigene unmittelbare demokrati- sche Legitimation. Er kann durch den Rat nicht abberufen werden
(vgl. KLEINFELD/NENDZA, 1996: 76; BOGUMIL, 2001: 67 f.;
WEHLING/KOST, 2003: 10 f.).
Die (rheinische) B ü rgermeisterverfassung war 8 in ihren Grundzügen ähnlich der süddeutschen Ratsverfassung ausgestaltet. Während BOGUMIL (vgl. 2001: 67 f.) sie mehr oder weniger als Spielart der süddeutschen Ratsverfassung deklariert, wollen KLEINFELD/NENDZA (1996: 77) dennoch „markante Unterschiede“ zwischen beiden Sy- stemen erkennen. Für die nur indirekte Legitimation der Bürgermei- ster, die nicht von den Bürgern, sondern vom Rat gewählt wurden, sowie der möglichen Abwahl des Bürgermeisters mag man ebenso von einem gewichtigen Unterschied sprechen wie vom rheinland- pfälzischen Spezifikum des Stadtvorstandes, der in größeren Städten die Verwaltungsleitung dem Magistrats-Modell annähert. Die von ihnen sonst genannten Differenzen (z. B. beim Vorsitz in Ausschüs- sen, bei der Dauer der Wahlperioden etc.) sind dagegen m. E. eher marginal (vgl. KLEINFELD/NENDZA, 1996: 77; BOGUMIL, 2001: 67 f.; WEHLING/KOST, 2003: 12 f.). Die Ähnlichkeit von rheinischer Bür- germeisterverfassung und süddeutscher Ratsverfassung hat darüber hinaus bereits 1930 der deutsche Städtetag attestiert (vgl. BOVENSCHULTE/BUß, 1996: 25).
Die (unechte) Magistratsverfassung schließlich ist dualistisch orientiert (vgl. BOGUMIL, 2001: 68) und weist damit sowohl dem Rat (Stadtver- ordnetenversammlung, Stadtrat) als auch dem vom Rat gewählten Magistrat separate Kompetenzen zu. Der aus (mehrheitlich) ehren- amtlichen und hauptamtlichen Mitgliedern (Bürgermeister und Bei- geordnete) bestehende Magistrat führt die Verwaltungsgeschäfte der Kommune quasi als Stadtregierung. Der Bürgermeister fungiert im kollegial verfassten Magistrat lediglich als primus inter pares, d. h. er muss sich evtl. Mehrheitsentscheiden beugen. In Hessen waren und sind Rats- und Magistratsmitgliedschaft inkompatibel. Schließlich hält die Magistratsverfassung nach wie vor an der sog. Doppelköp- figkeit fest, d. h., dass der Stadtrat neben dem Magistrat einen sepa- raten Ratsvorsitzenden als „parlamentarischen Vorsitzenden“ (BUß, 2002: 123) wählt (vgl. KLEINFELD/NENDZA, 1996: 76 f.; BOGUMIL, 2001: 68; WEHLING/KOST, 2003: 11 f.).
Die norddeutsche Ratsverfassung war quasi „Gegentyp zur Süddeut- schen Ratsverfassung“ (WEHLING/KOST, 2003: 11). Die Kompetenzen wurden monistisch dem allzuständigen Rat zugeordnet, während die Verwaltung über keine originären Kompetenzen verfügte. Deut- lich wurde dieses Konstrukt und die hervorgehobene Stellung des Rates insbesondere an der Doppelspitze, personifiziert durch den ehrenamtlichen Bürgermeister (Ratsvorsitzender und Repräsentant der Gemeinde) und den hauptamtlichen Verwaltungsleiter (Ober- stadtdirektor o. ä., Rechtsvertreter der Gemeinde, monokratischer Leiter der Verwaltung). Sowohl der Bürgermeister als auch der Ver- waltungsleiter leiteten ihre Legitimation aus dem Rat ab, der beide auch jederzeit abberufen konnte (vgl. KLEINFELD/NENDZA, 1996: 75 f.; BOGUMIL, 2001: 67; WEHLING/KOST, 2003: 11).
2.1.1.2 Einfluss der Kommunalverfassung auf kommunale Ent- scheidungen: Stand der Forschung
Zum Zusammenhang zwischen Kommunalverfassung (polity) und kommunalpolitischen Prozessen (politics) gibt es in der Politikwis- senschaft eine längere Debatte (vgl. BOGUMIL, 2001: 95). Als „Klassi- ker“ gilt heute die Arbeit von DERLIEN u. a. aus dem Jahr 1976, auf die nahezu alle Darstellungen der Forschungsentwicklung rekurrie- ren (so KLEINFELD/NENDZA, 1996: 144 ff.; BOGUMIL, 2001: 96 ff.; BUß, 2002: 41 ff.). DERLIEN u. a. untersuchten in einer vergleichenden Stu- die den Zusammenhang zwischen „kommunalverfassungs- rechtlichen Strukturmerkmalen und den kommunalen Entschei- dungsprozessen“ (BOGUMIL, 2001: 95). Hierzu wählten sie vier Städte mit vergleichbaren Strukturdaten aus Bayern, Rheinland-Pfalz, Hes- sen und Nordrhein-Westfalen aus, um so alle tradierten Kommunal- verfassungstypen in den Vergleich einzubeziehen (vgl. BUß, 2002: 41). Da die Methodik der Studie bei KLEINFELD/NENDZA (1996), BOGUMIL (2001) und BUß (2002) umfassend rekapituliert wird, sollen hier nur kurz die Ergebnisse dargestellt werden:
− In allen Vergleichskommunen wurde eine Überlegenheit der Ver- waltung gegenüber der Vertretungskörperschaft attestiert, die sich mit dem allgemeinen Informationsvorsprung und der Beschluss- vorbereitung durch die Verwaltung erklären ließ;
− die Auswahl von Entscheidungsalternativen erfolgte grundsätz- lich (unter Beteiligung der großen Fraktionen) in der Verwaltung, nicht in der Vertretungskörperschaft;
− bei wachsender Politisierung der Dezernentenebene näherte sich die monokratische Verwaltungsleitung kollegialen Strukturen an; − über den Rückhalt der Wahlbeamten (Bürgermeister, Beigeord- nete) in ihren Fraktionen konnten die Fraktionen einen „sekundä- ren Kontrollmechanismus der Vorbereitungstätigkeit“ aufbauen; − das Plenum („Stadtparlament“) verlor durch Verlagerung der Arbeit in die Ausschüsse an Einfluß, insbesondere zum Leidwesen der kleineren Fraktionen, denen der Zugang zu Ausschüssen und politisch besetzten Positionen innerhalb der Verwaltung verwehrt bleibt. (vgl. KLEINFELD/NENDZA, 1996: 144 f., BOGUMIL, 2001: 96).
Insgesamt kam die Studie damit zum Ergebnis, dass die Kommunalverfas- sung die Entscheidungsprozesse keineswegs determiniert. Vielmehr kön- nen einzelne Elemente der Kommunalverfassung allgemeine Muster der Entscheidungsprozesse nur verstärken oder abmildern (vgl. KLEINFELD/NENDZA, 1996: 145 BOGUMIL, 2001: 96, BUß, 2002: 44).
Zu einem ähnlichen Ergebnis gelangte auch FLORSTEDT-BOROWSKI in ihrer Studie aus dem Jahr 1995, in der sie die Politikmuster in zwei den Strukturdaten nach vergleichbaren Kommunen in Hessen und Niedersachsen untersuchte:
„Resümierend sieht Florstedt-Borowski ihre Hypothese, daß kom- munalpolitische Entscheidungsverläufe weniger von unterschied- lichen Kommunalverfassungsstrukturen und mehr vom Handeln kommunalpolitischer Akteure geprägt seien, bestätigt. Die Be- deutung der Kommunalverfassungsstrukturen für kommunalpo- litisches Handeln ließe sich aber nicht negieren, da zumindest der formale Ablauf von Entscheidungsprozessen weitgehend durch sie geprägt werde. [...] Es müsse aber festgestellt werden, daß die Gemeindeordnungen den Akteuren in den Kommunen nur einen Rahmen für ihr Handeln vorgäben, ohne jedoch zu einem schnü- renden „Korsett“ zu werden. Wie der formale Rahmen praktisch genutzt werde, entschieden Verwaltung und Mandatsträger, Poli- tikergebnisse seien von der Gemeindeordnung wenig bis gar nicht beeinflußt.“ (BUß, 2002: 46. Hervorhebung im Original)
WINKLER-HAUPT (1988) dagegen erkennt, in Überprüfung der Thesen BANNERS (insbesondere 1984), der süddeutschen Ratsverfassung „größere Steuerungsstärken“ (Buß, 2002: 47) zu und bejaht damit den empirisch nachweisbaren Einfluss des Gemeindeordnungstypus.
BANNER selbst hatte der süddeutschen Ratsverfassung aufgrund des Eigengewichtes des zentralen Steuerungspolitikers (des Bürgermei- sters) eher die Fähigkeit attestiert, ausgeglichene Gemeindehaushalte hervorzubringen (vgl. BUß, 2002: 46). Damit befürtwortet er, ergeb- nisorientiert, nicht demokratietheoretisch argumentierend, nun die mit der süddeutschen Ratsverfassung seiner Ansicht nach verbun- dene Tendenz zur exekutiven F ü hrerschaft. Die unter der norddeut- schen Ratsverfassung erforderliche Einbeziehung der großen Zahl von Vorentscheidern dagegen führt seines Erachtens zum Führungs- verfall in der Verwaltung, mit der Konsequenz, dass die Kommunen dort mit größeren fiskalischen Problemen zu kämpfen haben (vgl. BOGUMIL, 2002: 21).
Allerdings weist BOGUMIL (2001: 97) auf die „methodischen Schwä- chen“ der Untersuchung WINKLER-HAUPTS hin. Ähnlich läßt sich auch die Beurteilung der Ergebnisse der Studie bei BUß (2002: 49) interpretieren: „Die Ergebnisse sind geeignet, die These [gemeint ist die Wirkung institutioneller Regelungen, D. D.] wieder in Zweifel zu ziehen“.
KUNZ/ZAPF-SCHRAMM stellen, ebenfalls in Überprüfung der Thesen BANNERS, im Gegensatz zu WINKLER-HAUPT im Jahr 1989 fest, daß die Gemeindeverfassung keinen messbaren Einfluß auf politics und policy der Gemeinde haben (vgl. BOGUMIL, 2001: 98 und BUß, 2002: 49 ff.).
Rüdiger VOIGT schließlich kommt in seiner Studie aus dem Jahre 1992 zum Ergebnis, dass, anders als zum Beispiel die süddeutsche Ratsverfassung mit ihrer Tendenz zur exekutiven Führerschaft, die norddeutsche Ratsverfassung gerade „keine eindeutigen Regelungen zur Zuweisung von Machtpotentialen im kommunalen Entschei- dungsprozess“ vornimmt (BOGUMIL, 2001: 99; BOGUMIL, 2002: 27).
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass nach wie vor der empiri sche Nachweis des unmittelbaren Wirkungszusammenhanges zwischen Kommunalverfassung und Kommunalpolitik nicht erbracht ist:
„Ein Nachweis des maßgeblichen Einflusses des Kommunalver- fassungssystems auf das lokale Entscheidungsverfahren [...] hat sich durch empirische Untersuchungen nicht führen lassen. Das Ergebnis der Studie von Derlien/G ü rtler/Holler/Schreiner [...] hat damit grundsätzlich Gültigkeit.“ (BUß, 2002: 52, Hervorhebung im Original).
„Die Struktur der Kommunalverfassung prägt zwar sowohl die politics als auch die policies, jedoch nicht absolut [...], sondern eher relativ bzw. tendenziell. Zwar ist eine grundsätzliche Überein- stimmung entweder vorhanden oder zumindest denkbar, aber die örtlichen strukturellen Verhältnisse und die Harmonie- oder Kon- fliktfähigkeit der einzelnen Akteure überlagern das Normenar- rangement der jeweiligen Kommunalverfassung. Insofern kom- men Faktoren der „politischen Kultur“ auch für die Analyse der verfassungsrechtlichen Wirkungen eine nicht zu unterschätzende Bedeutung zu.“ (KLEINFELD/NENDZA, 1996: 153, Hervorhebungen im Original).
Nun kann man nach diesem Befund sicherlich die Frage stellen, welchen Sinn die Überprüfung der Auswirkungen der rheinlandpfälzischen Gemeindeverfassungsreform auf die kommunalen Entscheidungsprozesse überhaupt noch macht. Denn wenn die Kommu nalverfassung allenfals marginalen Einfluss auf die grunds ä tzlichen ge meindlichen Entscheidungsmuster hat, dann sollten auch die Folgen insti tutioneller Detailver ä nderungen nur marginal sein.
Rekapituliert man aber die nach wie vor gültigen Ergebnisse der Studie von DERLIEN u. a., so fällt auf, dass der Befund dem Grunde nach nur Aussagen zur Machtverteilung zwischen Vertretungsk ö rper- schaft und Verwaltung trifft. Die Studie attestiert unter allen Kommu- nalverfassungstypen die grundsätzliche Dominanz der Verwaltung, repräsentiert durch den Bürgermeister (bzw. in der norddeutschen Ratsverfassung früher durch den Oberstadtdirektor). Damit wird allerdings noch keinerlei Aussage zur Machtverteilung und insbe- sondere zum Parteieinfluss innerhalb des Rates oder innerhalb der Ver- waltung getroffen. Zwischen den Organen der Gemeinde scheint die Machtverteilung eindeutig zu sein - aber wie steht es um die Macht- verteilung innerhalb der Organe? Es ist durchaus denkbar, dass in einem Verfassungstypus parteilich in hohem Maße eingebundene Bürgermeister primär die Verwaltung und damit sekundär den Rat dominieren, während in einem anderen Verfassungstypus eher un- abhängige Verwaltungschefs ihren Einfluß geltend machen. Insoweit stellt sich die Frage, ob Detailregelungen des Kommunalrechts oder insbesondere des Kommunalwahlrechts nicht doch erheblichen Ein- fluss auf die Beantwortung dieser Frage nehmen. Wenigstens für Nordrhein-Westfalen beantwortet zunächst BOVERMANN (1999: 296) diese Frage mit ja:
„Das im Kommunalwahlgesetz verankerte starre Listenwahlrecht der Ratsmitglieder wiederum fördert deren relativ feste Einbin- dung in die Fraktionen und trägt damit zur starren Mehrheitsbil- dung bei.“
Gemeinsam mit ANDERSEN folgert BOVERMANN (2002b: 255) entspre- chend:
„Wichtige Elemente, wie die Koppelung von von Rats- und Bür- germeisterwahlen und der Einfluss der Parteien bei der Kandida- tennominierung bedingen ein spezifisches institutionelles Profil.“
Auch BOGUMIL (2001: 102) erkennt die Bedeutung von kommunalverfassungsrechtlichen Detailregelungen an:
„So scheint es mir weitgehend unstrittig zu sein, dass es einen Zusammenhang zwischen der Entscheidungsstruktur in Form der GO und den Entscheidungsprozessen gibt. [...] Die Regelungen der GOen, insbesondere der Wahlmodus des Verwaltungschefs, die Verteilung der Kompetenzen, die Art der Verwaltungsführung und die Regelungen des Ausschussvorsitzes beeinflussen die Eigenschaften von Entscheidungsprozessen. Sie prägen die Entscheidungsregeln und die Verfahrensabläufe.“
Insoweit ist die Überprüfung der Folgen der institutionellen Änderungen der rheinland-pfälzischen Kommunalverfassung (s. u.) nach wie vor gerechtfertigt.
2.1.2 Gemeindegröße
BOGUMIL weist auch der Größe der Kommune 9 Einfluss auf die gemeindlichen Entscheidungsmuster zu (vgl. 2001: 102):
„Als wichtigster Einflussfaktor für Parteipolitisierung wird die Gemeindegröße angesehen: der Anteil der Freien Wähler an den Gemeinderatsmandaten verringert sich, die Hauptverwaltungsbe- amten und Dezernenten gehören Parteien an, allgemeinpolitische Debatten in den Gemeindevertretungen nehmen zu und die Rats- arbeit einschließlich des Selbstverständnisses der Ratsmitglieder tendiert in Richtung Parlamentarisierung.“ (Bogumil, 2001: 92)
Insgesamt steigen mit der Stadtgröße die Differenzierung und die Professionalisierung der Entscheidungsstrukturen. Diese Tendenz wird m. E. auch durch die Konzentration von Aufgaben (die in klei- nen Kommunen zwischen Gemeinde und Landkreis verteilt sind) in Großstädten und durch engere finanzielle Spielräume bedingt10. Den Zusammenhang zwischen Gemeindegröße und Parteipolitisierung begründet BOGUMIL (2001: 103) wie folgt: „Unter größeren Verhält- nissen löst sich Politik eher von ihrem Sozialgefüge ab, um ein Ei- genleben zu führen, als unter kleineren.“
BOGUMIL argumentiert hier insbesondere mit der Orientierungsfunk- tion, die den Parteien in größeren Gemeinwesen zukommt. In klei- nen Kommunen können die Bürger und auch die Ratsmitglieder die sich stellenden Problemlagen (z. B. Bau eines Spielplatzes oder Ver- abschiedung eines Bebauungsplanes) „selbst verarbeiten“. Bei kom- plexen, konfliktbeladenen und ideologisierbaren Sachverhalten, die in größeren Kommunen eher anfallen (wie z. B. dem Bau einer Müll- verbrennungsanlage oder aber der Ausweitung eines Flughafens) bieten die Parteien aufgrund ihrer programatischen Ausrichtung daher Orientierung.
Auch BUß (2002: 86 ff.) bestätigt im Rückgriff auf eine Veröffentli- chung von WEHLING/SIEWERT aus dem Jahr 1984, dass der Parteiein- fluss, aber auch die Akzeptanz des Parteieinflusses unter der Bevölke- rung proportional zur Gemeindegröße steigt. Interessant an ihrer Darstellung ist die Feststellung, dass zugezogene Einwohner eher bereit seien, den Parteieinfluss in der Kommune zu akzeptieren. Dies leuchtet unter Berücksichtigung der Argumentation BOGUMILS ein, da Zugezogenen in der Regel die Kenntnisse der kommunalen Gege- benheiten und der kommunalen Akteure fehlen dürften. Daher bie- ten die Parteien gerade für diese Personengruppe zusätzliche Orien- tierung.
Mit zunehmender Gemeindegröße nimmt gleichzeitig auch die Identifikation mit der Gemeinde ab und die mit den übergeordneten Politikebenen (Bund, Land) tendentiell zu (vgl. GABRIEL, 1994: 83). Daraus dürfte einerseits folgen, dass in größeren Gemeinden die Auswirkungen landes- und bundespolitischer Trends stärker durch- schlagen. Andererseits kann daraus gefolgert werden, dass mit zu- nehmender Gemeindegröße und abnehmender Identifikation die Konsensbereitschaft ab und die Akzeptanz konflikthafter Politikmu- ster und insbesondere der Parteipolitisierung zunimmt. Insoweit wird der Faktor „Gemeindegröße“ im weiteren Verlauf der Studie berücksichtigt werden.
2.2 Politics
2.2.1 Lokale politische Kultur
Der Begriff der politischen Kultur bezeichnet grundsätzlich die „subjektive Dimension der gesellschaftlichen Grundlagen politischer Systeme“ (BERG-SCHLOSSER, 1998: 499):
„Diese umfaßt die Gesamtheit aller politisch relevanten individuellen Persönlichkeitsmerkmale, latente in Einstellungen und Werten verankerte Prädispositionen zu politischem Handeln, auch in ihren symbolhaften Ausprägungen, und konkretes politisches Verhalten.“ (BERG-SCHLOSSER, 1994: 345)11.
Damit definiert BERG-SCHLOSSER die politische Kultur recht „eng“ und „traditionell“, da lediglich Gegebenheiten auf der Subjekt-Seite angesprochen werden. Vertreter eines „weiten“ Begriffes der politi- schen Kultur plädieren dagegen für die Einbeziehung objektiver Faktoren wie z. B. der politischen Ordnung (also insbesondere der verfassungsrechtlichen Regelungen) oder der historischen Prozesse in das Konzept (vgl. GABRIEL, 1994: 71). GABRIEL bemerkt hier zu- recht, dass damit einer„Vermischung von Beschreibungs- und Erklä- rungsproblemen“ bzw. der Vermischung der erklärenden und zu erklärenden Variablen Vorschub geleistet wird. Als Essenz aus dem „weiten Begriff“ lässt sich allerdings ableiten, dass sich institutionelle Faktoren und subjektive Komponenten wechselseitig beeinflussen dürf- ten. Daher werden sich abrupte institutionelle Änderungen wie z. B. der Abschied von der norddeutschen Ratsverfassung in NRW die dortige, über lange Jahre entwickelte spezifische politische Kultur nicht unmittelbar verändern.
Als lokale politische Kultur ist „die Verteilung der Einstellungen der Bevölkerung zur Gemeinde und zu ihren politischen Strukuren und Prozessen zu verstehen“ (GABRIEL, 1994: 77). Sie ist „[...] Überbleibsel vergangener Herrschaftsräume, die den darin lebenden Menschen einem gleichen Schicksal, gleichen Erfahrungen, gleichen Prägungen unterworfen hatten.“ (WEHLING, 2000: 31). Problematisch dabei scheint, wie weit der Fokus der Betrachtung zu ziehen ist. So argumen- tiert wenigstens Karl ROHE (1991: 21), der feststellt, dass der Begriff der regionalen politischen Kultur nur sinnvoll erscheint, „wenn wir unterstellen können, daß sich auf einer wie immer konkret zu be- stimmenden regionalen Ebene politisch relevante kulturelle Beson- derheiten [...] herausgebildet haben“.
Diese auf die regionale politische Kultur gemünzte Aussage scheint die Problematik der Beurteilung der Bedeutung lokaler politischer Kulturen für unterschiedliche kommunale Entscheidungsprozesse eher noch zu verstärken, wenigstens dann, wenn man „regional“ als den weiteren, „lokal“ dagegen als den engeren Begriff auffasst. So lassen sich beispielsweise unterschiedliche Politikmuster in zwei Nachbargemeinden mit jeweils 250 Einwohnern, nahezu identischer Sozialstruktur und gleicher politischer Historie mit Faktoren der politischen Kultur sicherlich nicht plausibel erklären. Denn auch die lokale politische Kultur „erfaßt als wesentliche Bestimmungsfaktoren Aspekte individueller politischer Sozialisation“ (BERG-SCHLOSSER, 1998: 499 f.). Die Hauptagenten politischer Sozialisation wie Familie, Schule, Gleichaltrigen-/ Arbeits-/ oder Berufsgruppe und Medien (vgl. DICKENBERGER, 1992: 369) sind, mit Ausnahme der Familien, in gemeindlich klein(st)räumig gegliederten Ländern wie z. B. Rhein- land-Pfalz (hier gibt es Ortsgemeinden mit zum Teil unter 200 Ein- wohnern) aber eben kaum lokal isierbar. Damit stellt sich zunächst die Frage, ab welcher Gliederungsebene in diesen Ländern die empiri- sche Nachweisbarkeit der Wirkungen lokaler politischer Kulturen gelingt. Schon auf der Ebene der Verbandsgemeinde? Auf Kreisebe- ne?
[...]
1 Die GemO Rh.-Pf. institutionalisierte bis zur Reform die französich inspirierte (rheinische) Bürgermeisterverfassung, die der Süddeutschen Ratsverfassung wesentlich näher stand als die norddeutsche Ratsverfassung.
2 Der Begriff „Kommunalwissenschaft“ ist aufgrund des überdisziplinären Interes- ses (von der Rechts- über die Verwaltungswissenschaft, von der Politikwissen- schaft über die Soziologie bis hin zur Architektur) an kommunalen Geschehnis-sen und Entwicklungen sicherlich nicht eindeutig, vgl. KLEINFELD, 1996: 22 ff.. 4
3 Vgl. beispielsweise der Sammelband von ANDERSEN/BOVERMANN (2002). 5
4 SCHUBERT/BANDELOW weisen a. a. O. zurecht darauf hin, daß in der Realität Form (polity), Prozeß (politics) und Inhalt (policy) „zusammenhängend gedacht werden müssen“.
5 Der Begriff der „Kommunalverfassung“ ist unter Juristen umstritten, da die Gemeindeordnungen als einfachgesetzliche Regelungen im staatsrechtlichen Sinne weder formelle noch materielle Verfassung sind. Der Terminus wird den-
noch der Einfachheit halber verwendet.
6 Bovermann stellt zwar auch die „herkömmliche Typologie“ der Kommunalverfassungen vor, entwickelt darüber hinaus jedoch auch eine eigene Typologie.
7 In der folgenden Darstellung wird aus Vereinfachungsgründen nur der Bürger- meister angesprochen. In den Landkreisen gilt gleiches grundsätzlich auch für die Landräte.
8 Der Tempus-Wechsel ist angesichts des nicht mehr in „Reinform“ bestehenden Kommunalverfassungstypus durchaus beabsichtigt.
9 Die Gemeindegröße wird hier der politiy-Dimension zugeordnet. Streng ge- nommen ist die Größe einer Kommune zwar kein „Verfassungsmerkmal“ im klassischen Sinne. SCHUBERT/BANDELOW (2003: 5) nennen als Merkmale der po-lity-Dimension „Organisation“, „Verfahrensregelungen“ und „Ordnung“. Die Gemeindegröße wird hier als Teil der „statischen“ Ordnung aufgefasst.
10 Die Stadt Köln hat nach dem Haushaltsergebnis 2003 ca 3,56 Mrd. Euro veraus- gabt, das Saarland (als kleinster Flächenstaat der BR Deutschland) 3,70 Mrd. Euro. Damit erreicht die Stadt Köln ca. 90,7% des Ausgabevolumens des Saar- landes - dem nach der bundesdeutschen Finanzverfassung ganz andere Ein- nahmequellen zur Verfügungs stehen (Angaben der Stadtverwaltung Köln (http://www.stadt-koeln.de/zahlen/finanzen/artikel/04790/index.html) bzw. des Finanzministeriums des Saarlandes (http://www.finanzen.saarland.de/medien/inhalt/Haushaltsrechnung_des_ Saarlandes_2003_2.pdf)
11 Die politische Kultur wird daher wegen Ihres engen Handlungsbezuges hier im Bereich der politics -Dimension verortet.
- Citation du texte
- Dominic Daub (Auteur), 2005, Studie zur Entwicklung kommunalpolitischer Konfliktregulierungsmuster und die institutionellen Rahmenbedingungen während der 1990er Jahre, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/46266
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