Dieses Essay befasst sich mit folgender Fragestellung: Die Arbeit entfremdet den Menschen; den Waren haftet ein Fetisch an. Wie kann Kunst unter diesen Vorzeichen der kapitalistischen Gesellschaft überhaupt noch bestehen oder gar entstehen?
Die Grundbedeutung des Entfremdungsbegriffes nach Karl Marx impliziert die Entäußerung oder den Verlust des Wesens, bzw. mehrerer wesentlicher Eigenschaften des Wesens. Es handelt sich dabei um eine Entfremdung, die dazu führt, dass sich das menschliche Wesen "nicht adäquat entfalten kann" . Der Arbeiter produziert in der Konsumgesellschaft zunehmend einen immer größeren, ihm fremden Reichtum, in Form von Privateigentum.
Die Kunst als Ausweg aus der Entfremdung?
Der Entfremdungsbegriff nach Marx
Die Grundbedeutung des Entfremdungsbegriffes nach Karl Marx impliziert die Entäußerung oder den Verlust des Wesens, bzw. mehrerer wesentlicher Eigenschaften des Wesens. Es handelt sich dabei um eine Entfremdung, die dazu führt, dass sich das menschliche Wesen „nicht adäquat entfalten kann“1. Der Arbeiter produziert in der Konsumgesellschaft zunehmend einen immer größeren, ihm fremden Reichtum, in Form von Privateigentum.
„Der Arbeiter wird um so ärmer, je mehr Reichtum er produziert […]. Der Arbeiter wird eine um so wohlfeilere Ware, je mehr Ware er schafft. Mit der Verwertung der Sachenwelt nimmt die Entwertung der Menschenwelt in direktem Verhältnis zu. Die Arbeiter produzieren nicht nur Waren; sie produzieren sich selbst und den Arbeiter als eine Ware […].“2
In seinem Ökonomisch-philosophischen Manuskript zeigt Marx, wie die Arbeit im Kapitalismus den Arbeiter vom Produkt seiner Arbeit entfremdet, wie sie den Arbeiter von der Arbeit entäußert, wie sie den Menschen sich selbst und wie sie die Menschen untereinander entfremdet. Die Arbeit ist unter kapitalistischen Bedingungen letztlich nur noch ein Mittel, um menschliche Bedürfnisse zu befriedigen.3 Die von Marx beschriebene Entfremdung äußert sich in vier Formen: Zum einen entsteht eine Entfremdung des Arbeiters von dem Produkt seiner Arbeit. Das bedeutet das Produkt erscheint ihm gegenüber als ein ‚fremder Gegenstand‘, der Arbeiter kann sich nicht mehr mit seinem Produkt identifizieren. Marx beschreibt die Produktion als ein ‚Kräfteungleichgewicht‘. „Je mehr der Arbeiter sich ausarbeitet, um so mächtiger wird die fremde, gegenständliche Welt, die er sich gegenüber schafft, um so ärmer wird er selbst, seine innere Welt, um so weniger gehört ihm zu eigen“4. Die zweite Form besteht darin, dass eine Entfremdung des Arbeiters von seiner Arbeit stattfindet. Das Produkt ist das Resümee der Tätigkeit, das heißt, sobald das Produkt die Entäußerung ist, so ist die Produktion die aktive Entäußerung. Diese Entfremdung der Tätigkeit verhindert, dass die Arbeit eine Wesensäußerung des Menschen werden kann. Dadurch fühlt sich der Arbeiter in seiner Tätigkeit nicht bejaht, sondern verneint und durch seine Arbeit unzufrieden. Marx zufolge müsste Arbeit allerdings die Befriedigung eines Bedürfnisses sein. In der Konsumgesellschaft ist sie allerdings nur ein Mittel, um Grundbedürfnisse zu befriedigen. Dies führt bereits zu der nächsten Form, Entäußerung. Dadurch, dass die Arbeit nur „ein Mittel zur Befriedigung eines Bedürfnisses, des Bedürfnisses der Erhaltung der physischen Existenz“5 darstellt, findet eine Entfremdung von sich selbst statt. Dies impliziert, dass sich das Lebensinteresse des Arbeiters so formiert, dass er außerhalb seiner beruflichen Tätigkeit bei sich, und „in der Arbeit außer sich“6 ist. Das Leben auf der Arbeit erscheint nur als ‚Lebensmittel‘. Die Tätigkeit des Arbeiters stellt somit keine Selbsttätigkeit dar, sondern führt dazu, dass der Mensch sich selbst verliert.7 Die letzte Form, die Marx beschreibt, ist die Entfremdung des Menschen vom anderen Menschen. Dadurch, dass sich der Arbeiter von sich selbst und somit seinem Gattungswesen entfremdet, entfremdet er sich gleichzeitig von seiner Gattung und dies impliziert die Entfremdung von seinen Mitmenschen.
Der Ausgangspunkt dieser Entfremdung findet sich zum einen in der bereits beschriebenen Produktion von Privateigentum, mit dem der Arbeiter sich selbst nicht identifizieren kann. Ein weiterer Punkt, der für diese Entäußerung entscheidend ist, ist das Faktum, dass die heutige Produktionsgesellschaft von Arbeitsteilung geprägt ist. Diese Arbeitsteilung unterstützt die Entfremdung letztlich auf enorme Weise. Der Arbeiter stumpft aufgrund der monotonen Arbeitsschritte ab und das Individuum kann sich nur noch einseitig entwickeln8. Somit wurden der Genuss und die Freude von der Arbeit getrennt und die Produktionsschritte sind letztlich nur noch ein Mittel zum Zweck.
„Der Reichtum der Gesellschaft, in welcher kapitalistische Produktionsweise herrscht, erscheint als eine ‚ungeheure Warenansammlung‘, die einzelne Waren als seine Elementarform.“9. Infolge dessen legt Marx seinen Fokus auf die Analyse der Ware in der kapitalistischen Gesellschaft. Jede Ware ist auf eine gewisse Weise nützlich und befriedigt durch seine Eigenschaften menschliche Bedürfnisse. Jede Ware besitzt demzufolge einen Gebrauchswert, der den stofflichen Inhalt des Reichtums bildet. „Eine Ware scheint auf den ersten Blick als ein selbstverständliches triviales Ding. Ihre Analyse ergibt, dass sie ein sehr vertracktes Ding ist, voll metaphysischer Spitzfindigekeit und theologischer Mucken.“10. Der Kapitalismus wird nach Marx dadurch charakterisiert, dass in ihm alle Arbeitsprodukte zu Waren werden, also über einen Markt getauscht werden. Der Warenwert setzt sich durch die benötigte Arbeitszeit und das Austauschverhältnis zweier Waren zusammen. Wird zur Produktion von einem Tisch X doppelt so viel Arbeitszeit aufgewandt wie zur Produktion von Stuhl Y, so stehen sie im Verhältnis 1:2. Dieses Austauschverhältnis bestimmt den sogenannten ‚Wert‘ der Ware und wird in der Gesellschaft durch einen bestimmten Geldwert ausgedrückt. Marx beschreibt die Ware als ein geheimnisvolles Produkt und weist ihr einen Fetischcharakter zu. Durch die arbeitsteilige Produktion wird die Entstehung der Ware unabhängig und variabel. Die Produzenten beziehen sich nicht direkt aufeinander, sondern nur vermittelt durch Waren.
„Erst innerhalb ihres Austauschs erhalten die Arbeitsprodukte eine von ihrer sinnlich verschiednen Gebrauchsgegenständlichkeit getrennte, gesellschaftlich gleiche Wertgegenständlichkeit. […] Die Menschen beziehen also ihre Arbeitsprodukte nicht aufeinander als Werte, weil diese Sachen ihnen als bloß sachliche Hülle gleichartig menschlicher Arbeit gelten. Umgekehrt. Indem sie ihre verschiedenen Produkte einander im Austausch als Werte gleichsetzen, setzen sie ihre verschiednen Arbeiten einander als menschliche Arbeit gleich.“11
Die Warenform erscheint als Naturgesetzlichkeit, obwohl sie logisch erklärbar und auch auflösbar ist. Der Warenfetisch besteht also drin, dass den Produkten die Eigenschaften, Ware zu sein und Wert zu besitzen, als dingliche Eigenschaften zugesprochen wird, während es sich in Wirklichkeit bei ‚Ware‘ und ‚Wert‘ um gesellschaftlich bestimmte Zuschreibungen handelt.12 Zur Aufhebung des Warenfetischs setzt Marx die Aufhebung der Warenproduktion selbst voraus.
Aber was bedeutet diese Entfremdung der Arbeit für die Kunst in der kapitalistischen Gesellschaft? Kunst benötigt eine bestimmte und angemessene Konsumweise, um ihre Existenz zu garantieren. Marx kritisiert Privateigentum, weil es uns so „dumm und einseitig“ gemacht hat. Ein Produkt ist erst unser eigen, wenn er „als Kapital für uns existiert oder von uns unmittelbar besessen, gegessen, getrunken, an unsrem Leib getragen, von uns bewohnt etc., kurz, gebraucht wird“13. Auch Kunst bringt Konsum mit sich. Wird Kunst allerdings nur als Gebrauchsgegenstand konsumiert, zeigt es, dass es sich nicht um ein Kunstwerk in Reinform handelt. Kunstwerke lassen sich nicht wie andere Produkte ohne weiteres als Gebrauchsgegenstände konsumieren, sie sind nicht für den einseitigen Konsumgenuss geeignet. Marx versteht künstlerische Schöpfung als freie Tätigkeit und als adäquate Erfüllung des reichen menschlichen Wesens, somit sei Kunst ein Selbstzweck und kein Mittel zu einem ihr äußerlichen Zweck. Auch durch Arbeitsteilung wird sie negativ beeinflusst. Die Produzenten und Künstler werden ersetzbar. Marx zufolge ist es wichtig, genau dies aufzuheben und zu überwinden. Kunst sei nur eine besondere Art der Produktion und es sei nötig, „die Rückkehr des Menschen aus Religion, Familie, Staat etc. in sein menschliches, d.h. gesellschaftliches Dasein“14 herzustellen. Kunst müsse, genau wie die ‚entfremdete Wissenschaft‘, sein Entfremdetsein verlieren und sich wieder zu einer ‚menschlichen Wissenschaft‘ wandeln.
Schiller sagte dazu, dass Kunst die Form der Arbeit sei, die die zwei entscheidenden Urtriebe der Menschen verbinden könne. Zum einen besäße der Mensch den sogenannten Formtrieb, der ‚aktive‘ Trieb, der auf persönliche Freiheit und das Geistige ausgelegt ist. Dem entgegen steht der Stofftrieb, der als passiver Trieb gilt und auf Materiellem basiert. Durch ihn befriedigt er das Notwendige. Um der Entfremdung entgegenzuwirken, sei es unumgänglich, diese beiden Triebe wieder in eine gegenseitige, harmonische Wechselwirkung zu bringen. Schiller benennt diese Wechselwirkung als ‚Spieltrieb‘. Er ist ein „kreativer Trieb, der auf die Schaffung von Schönheit ausgerichtet ist“15 und eine Kombination aus Stofftrieb und Formtrieb darstellt. In der Kunst gelangt der Mensch durch seine Sinne zum Geistigen und durch seinen Geist zum materiell Sinnlichen. So wird in der Kunst das Geistliche mit dem Sinnlichen verbunden. Dies sei beispielsweise durch Farbe und Pinsel, aber auch durch Wörter, Rhythmus und Klang möglich. Dadurch sei jede einseitige Rationalität oder Sinnlichkeit durch die Schönheit aufgehoben. Auch Marx spielte mit einem ähnlichen Gedanken: Er spricht von einem „unglückliche[n] Kampf zwischen dem geistigen und körperlichen Prinzip“. Marx fordert, die kämpfenden Elemente zur Ruhe zu bringen, denn aus der Ruhe heraus „können große und schöne Taten emportauchen“16.
Letztlich kann Kunst in einer Konsumgesellschaft zwar noch entstehen, doch die entstandenen Kunstwerke entsprechen nicht mehr dem künstlerischen Ideal mit der eigentlichen Intention von Kunst. Um die Kunst vor der Entfremdung zu schützen, ist es nötig, sie dem ‚reinen Produzieren‘ zu entziehen. Mit Kunst sollte Schönheit geschaffen werden und mit Schönheit muss ‚gespielt‘ werden, um die Entfremdung des Menschen aufzuheben.
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1 Vgl. Van Herpen, S. 328.
2 Vgl. Marx 1844, S. 80.
3 Vgl. Röhrich, S. 20.
4 Marx 1844, S. 512.
5 Marx 1844, S. 78.
6 Ebd.
7 Vgl. Röhrich, S. 22f.
8 Vgl. Van Herpen, S. 331.
9 Marx 1844, S. 49.
10 Ebd., S. 85.
11 Vgl. Marx 1844, S. 87f.
12 Vgl., ebd., S. 86.
13 Ebd., S. 539.
14 Ebd., S. 537.
15 Van Herpen, S. 333.
16 Marx 1837 – 1844, S. 592.
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- Sophie Hohmann (Author), 2016, Die Kunst als Ausweg aus der Entfremdung?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/462139