Das 1. Kapitel ist der Erschließung der Bedeutung von Sport und Bewegung für Schüler gewidmet. Ausgehend von Begriffsdefinitionen werden Zusammenhänge von Sport, Bewegung und Gesundheit durch einschlägige Literatur beschrieben. Den Potenzialen sportlicher Betätigung wird die sog. „Defizit-Hypothese“ gegenübergestellt . Es wird eine Fülle sportwissenschaftlicher Untersuchungen aufgegriffen, die diese Defizit-Hypothese belegen und die zentralen Diskurslinien prägnant zusammengefasst.
Das 2. Kapitel ordnet den „organisierten Sport“ gesellschaftlich ein, um dessen (mögliche) Beiträge im Bildungsbereich zu untersuchen. Der historische Abriss zur Entwicklung von Sportvereinen ist eher kursorisch.
Das 3. Kapitel widmet sich der Klärung der schulischen Säule. Die Entwicklung von GTS und ihre Sportangebote werden übersichtlich dargestellt, dann der Forschungsstand zu Kooperationen von GTS und Vereinssport in Deutschland ausführlich behandelt. Daran schließen sich Zusammenfassungen zum Schulsport/Sportunterricht, zur historischen Entwicklung des Schulsports einschließlich dessen Aufgaben und Konzepte an. Diese münden in Analysen zur gesellschafts- und bildungspolitischen Funktion von Ganztagsschulen unter dem Aspekt ihrer lebensweltlichen Öffnung. Die Argumentation wird sodann auf Bedingungen der Möglichkeiten fokussiert und schließlich mögliche Wirkungsbereiche der Vereine skizziert.
Das 4. Kapitel stellt das Hauptkapitel der Master-Thesis dar. Ziel ist hier die Erschließung möglicher Schnittmengen zwischen Ganztagsschulen und Sportvereinen im Rahmen des Schulsports. Auf den historischen Überblick der Zusammenarbeit zwischen Schule und Verein folgen die Einordnung in ein Phasenmodell und die Formulierung von Kooperationsbedingungen und -Zielen, sowie deren modellhafte Darstellung. So werden Ansprüche zur nachfolgenden bewertenden Analyse und dem Vergleich ausgewählter Schulprofile formuliert und interpretiert.
Das 5. Kapitel dient der Diskussion möglicher „Synergieeffekte“ in der Ganztagskooperation. Angestrebt ist die „objektive Sicht“. Es erfolgt ein Rückbezug auf Kap. 1-4 und so die Betrachtung eines breiten Inhaltes, erweitert im Blick auf die aktuelle wie potenzielle Schulraumentwicklung und eine Einbettung von solchen Kooperationen in die Schul- und Kommunalentwicklung.
Das Schlusskapitel fasst die Ergebnisse zusammen und reflektiert sie inhaltlich und methodisch. Es folgt der Ausblick auf Forschungsdesiderate und mögl. Kooperationsstrukturen.
Inhaltsverzeichnis
Vorwort und Danksagung
Abkürzungsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Einleitung
1 Die Bedeutung von Sport und Bewegung für Schüler
1.1 Begriffsdefinitionen
1.1.1 Gesundheit
1.1.2 Gesundheitsförderung
1.1.3 Bewegung vs. Sport
1.1.4 Kinder und Jugendliche bzw. Schüler
1.2 Sport, Bewegung und Gesundheit
1.2.1 Entwicklung motorischer Fähigkeiten
1.2.2 Körpergesundheit und Bewegung
1.2.3 Psychische Gesundheit, Sozialisation und Sport
1.2.3.1 Individuelles Empfinden der Wellness
1.2.3.2 Entwicklung des Selbstkonzepts
1.2.3.3 Entwicklung des Sozialverhaltens
1.2.4 Bewegungsmangel: Risiken für Kinder und Jugendliche
1.3 Die Lebenswelt von Schulkindern
1.3.1 Familienstrukturen und soziale Hierarchien: Bedeutung für den Sport
1.3.2 Bewegungsverhalten
1.3.3 Medienkonsum
2 Die Situation der Sportvereine in Deutschland
2.1 Historischer Überblick der Entwicklung von Sportvereinen
2.2 Definition und Merkmale von Sportvereinen
2.3 Sportverein und Gesellschaft heute
3 Sport und Bewegung in der GTS
3.1 Definition und Entwicklung der GTS in Niedersachsen
3.2 Schulische Ganztagsangebote
3.3 Forschungsstand: Studien zu GTS und (Vereins-) Sport in Deutschland
3.4 Schulsportunterricht in der GTS
3.4.1 Geschichte und Entwicklungsphasen von Schulsport
3.4.2 Die Aufgaben von Schulsport und die Rolle der Schule
3.4.3 Konzepte schulsportlichen Unterrichts
3.4.4 Schulöffnung und Aufgabe der originären Funktion der GTS
3.4.5 Personalstrukturen
3.4.6 Finanzierung und Versicherung (außer-)schulischer Vereinsangebote
3.5 Rahmenbedingungen von BeSS in der GTS
3.6 BeSS in der GTS: Wirkungsbereiche der SV
4 Kooperation von Schule und Verein
4.1 Historische Entwicklung
4.2 Vereinskooperation in GTS: Die aktuelle Lage
4.3 Kooperation in der GTS
4.4 Bedingungen der Zusammenarbeit
4.5 Ziele von Kooperation
4.5.1 Bewegungsmangel: ein Motiv mit Gesellschaftsbezug
4.5.2 Ziele und Motive der GTS
4.5.3 Ziele und Motive der SV
4.5.4 Ziele und Motive zur Beteiligung der Schülerschaft
4.6 Kooperationsmodelle
4.6.1 Das additiv-duale Modell
4.6.2 Das additiv-komplementäre Modell
4.6.3 Das integrative Modell
4.7 Beispielschulen: Bewegungskonzepte der GTS
4.7.1 Die KGS Waldschule in Schwanewede
4.7.2 Die KGS Rastede
4.7.3 Die KGS Hemmingen
4.7.4 Die IGS in Peine
4.8 Zwischenfazit: Umsetzung von BeSS-Angeboten in der GTS
5 Diskussion: Synergieeffekte der Kooperation von GTS und SV
5.1 BSS-Angebote in der Schule: Die Perspektive der Verbände und SV
5.2 Gesundheitsförderung und Sport
5.3 Verflechtung kognitiver und motorischer Prozesse
5.4 BSS-Angebote als Instrument zur Schulung sozialer Kompetenz
5.5 Schulraumentwicklung: Der äußere Rahmen für BSS-Angebote
5.6 Schul- und Kommunalentwicklung: Kooperation als Chance für SV?
6. Zusammenfassung der Ergebnisse, kurze Reflexion und Ausblick
Literaturverzeichnis i
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Mitgliederentwicklung des DSB / DOSB. Quelle: eigene Ableitung aus den Bestandserhebungen des DOSB S.
Abbildung 2: Der Dritte Sektor zwischen Staat, Markt & informellem Sektor S.
Abbildung 3: BeSS-Möglichkeiten im Kinder- und Jugendalter. S.
Abbildung 4: Additive und Integrative Kooperationsmodelle in der GTS S.
Vorwort und Danksagung
Als Kind einer fünfköpfigen, finanzschwachen Familie mit alleinerziehendem Elternteil, konnte ich aus finanziellen Gründen kein Mitglied eines örtlichen Sportvereins sein. Wenn unsere Mutter es ermöglichen konnte, besuchten wir jedoch die Abenteuerspielplätze des Stadtparks, spielten Federball, Fußball oder Laufspiele und nutzten die Klettergerüste für äußerst kreative Spielideen. Erst mit dem Beginn der Schullaufbahn wurde ich organisiert an die breitensportlich-koordinativen Elemente einer gesunden Kindheit herangeführt.
In der Freizeit traf ich mich mit Geschwistern und Freunden aus der Nachbarschaft, um an einem naheliegenden Teich, einem abgestorbenen Flusszweig oder auf dem Abenteuer-Spielplatz zu spielen oder voneinander gegenseitig Rad und Rolle zu lernen. Mit Spaß am Spiel wurde nicht hinterfragt, ob diese Aktivitäten unser späteres Verhalten beeinflussen würden oder ob die so gelernten koordinativen Fähigkeiten uns später im sportlichen Lernen unterstützen. Das Spielen war selbstverständlich.
Als Jugendliche verdiente ich früh mein eigenes Geld und leistete mir damit den extracurricularen Eintritt in die Welt des organisierten Sports – zunächst beim Rudern, später folgten Kampfkunst und Kampfsport. Hierdurch wurde mir schon früh bewusst, dass gemeinsame, familiär-sportliche Aktivitäten keine Selbstverständlichkeit sind.
Dieses Bewusstsein hat sich im Zuge meiner Trainerinnentätigkeit im Sportverein und in der Gestaltung sportlicher Freizeitaktivitäten (Sport-AGs) in Schulen in Bremen und Niedersachsen noch verschärft: Kaum sieht man noch spielende Kinder draußen im Freien. Wenn sie sich treffen, ist das Handy stets in Reichweite und schon überraschend früh wird nur über dieses Medium kommuniziert. Sportliche Fähigkeiten, die Kinder mit sich bringen, wenn sie im Grundschulalter und oft auf Anraten der Sportlehrkräfte in die regionalen Vereine kommen, sind erschreckend gering: Sie können nicht auf Fersen und Innenkanten der Füße oder auf Zehenspitzen laufen, nicht Seil hüpfen, weisen eine überwiegend nur geringe Dehnbarkeit auf und werden schnell müde.
Eine seinerzeit von uns noch „nebenbei“ erlernte Rolle kann im heutigen Turnunterricht ein großes Hindernis sein. Die Kinder verfügen einerseits nicht mehr über die zur Übung nötige Körperbeherrschung, andererseits haben sie oftmals Angst vor unbekannten Bewegungen und stehen sich daher selbst im Weg. Daher verwende ich im Training stets neue spielerische Übungen, um Kinder behutsam in eine sportliche Richtung zu führen.
Meine Arbeit im Sportverein habe ich in vier Jahren durch meinen Posten als Referentin für Schulsport und Soundkarate des Landesverbandes Bremen noch intensiviert. Immer mehr bin ich insbesondere im Bereich der zielgerichteten, koordinativen Ausbildung von Kindern im Sportverein tätig.
Aber auch in übergreifenden Bereichen hat sich mein Interesse im Rahmen der universitären und persönlichen Ausbildung weiter vertieft: durch die immense Diskussion um Ganztagsschulen in Deutschland, den gesundheitlichen Zustand der eigenen und der Vereinskinder und durch die Herausforderungen, die im schulischen Umfeld immer neu entstehen.
Meinen besonderen Dank möchte ich an meinen Betreuer Prof. Dr. Till-Sebastian Idel richten. Er hat mir in der gesamten Zeit von der Entstehung des Forschungsthemas und der Leitfragen bis zur endlichen Fertigstellung dieser Arbeit, unterstützend zur Seite gestanden. Durch neue Ideen und Denkanstöße hat er Lücken im Forschungsprozess geschlossen und mir bei der Erstellung der Arbeit und der lesergerechten Gliederung geholfen.
Ebenfalls bedanke ich mich bei Dr. Lutz Müller, der bereitwillig im letzten Moment eingesprungen ist und gerne das Zweitgutachten meiner Master These übernommen hat, als ich in großer Not war.
Dank gilt Dipl. Päd. Gabi Meihswinkel dafür, mir die wissenschaftlicher Forschung nahegebracht zu haben. Ihre Ruhe und Gelassenheit bei der Beantwortung meiner Fragen und die große Geduld bei der Suche nach dem „roten Faden“ haben mich stets von größeren Problemen ferngehalten.
Bedanken möchte ich mich bei meiner Vereinskollegin Dr. Sonja Kerth und meiner Freundin und Linguistin Kristina Beyer M.A. für themenzentrierte Gespräche und die Unterstützung zum äußerlich letzten Schliff meiner Arbeit.
Schließlich bedanke ich mich bei meinem Mann und meinen Kindern, die jederzeit hinter mir stehen. Ihr habt sehr viel Geduld und Verständnis gezeigt, habt mein Jammern ausgehalten und mir zur nötigen Motivation verholfen, die zum Beenden dieser Arbeit so bitter nötig wurde.
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Funktionsstrukturen und -Merkmale von Sport in Schule und Verein S. 49
Tabelle 2: Kooperationsformen von Schule und Sportverein S. 63
Tabelle 3: Gegenüberstellung der Schulprofile. S. 78
Einleitung
„In den meisten westlichen Industrienationen ist der Ganztagsunterricht, in der Bundesrepublik dagegen der Halbtagsunterricht die Regel. […] Nicht zuletzt sind im Ganztagsunterricht auch Zeit und Möglichkeiten vorhanden, die Schüler auf ein sinnvolles Freizeitverhalten vorzu-bereiten. Damit kann die Schule eine sozialpädagogische Aufgabe erfüllen, die sich ihr in einer Gesellschaft mit wachsender Freizeit notwendig stellt.“ (Deutscher Bildungsrat, 1969, 13 ff)
Dieser Auszug aus dem Bericht des Deutschen Bildungsrates von 1968 demonstriert: Mehr als vier Jahrzehnte mussten verstreichen, bis Barrieren aus dem Weg geräumt wurden und die Umsetzung der Idee von Ganztagsschule (nachfolgend GTS) im Land angekommen ist. Auch die selbstständige Freizeitgestaltung der Schülerschaft findet nun die nötige Beachtung.
Kritiker bemerken, die Belebung des GTS-Gedankens habe nicht primär pädagogische Gründe, sondern sozialpädagogische und gesellschaftliche Entwicklungen seien ursächlich für den Anschub der Schulentwicklung. Bundesländer und Kommunen stellen sich trotz schlechter Finanzlagen den neuen Bedürfnissen der Bevölkerung, um u.a. jugendpolitischen Problemen in Städten zu begegnen (vgl. Wolf, B., 2011, S. 149).
Wie weit hier die Entwicklung der GTS helfen kann, lässt sich aufgrund des aktuellen Forschungsstandes bisher nicht belegen. Da jedoch bereits 50% aller Schulkinder unter Schulangst leiden und 78% Erfahrungen mit psychotrop wirkenden Medikamenten haben, (Appel & Rutz, 2009, S.18) können eine Umstrukturierung des Schultages und die Verlegung des Lernpensums, sowie die Möglichkeiten individueller Betreuung und Freizeitgestaltung in GTS erste Schritte in die richtige Richtung sein.
Untersuchungsgegenstand
Während des Studiums in der Lehrerbildung hat sich die Autorin intensiv mit den Bereichen Bewegung, Schülergesundheit und Schulsport beschäftigt. Kinder bedeuten die Zukunft und sind daher in der Bildungs- und kulturellen Gesundheitsforschung besonders zu berücksichtigen. Eine Studie von K. Bös zeigt, dass die motorische Leistung von Kindern und Jugendlichen in vergangenen Jahren um mehr als 10 % gesunken ist. (Bös, 2003, S.102). Wie haben sich Kinder entwickelt, dass sie einfachste Bewegungsaufgaben nicht mehr lösen können? Welchen Beitrag leisten Sportvereine (SV) und GTS zur Bewältigung dieses Problems? Und welche Möglichkeiten könnte es geben, um die Gesundheit unserer Kinder und Jugendlichen weiter zu verbessern?
Gesellschaftliche Bedürfnisse haben zu einer Art paralleler Entwicklung von Schule und SV geführt: Kinder und Jugendliche verbringen immer mehr Zeit in der Schule. Der SV kann oft nur reagieren, indem er sich den Bedingungen anpasst. Vielerorts lässt sich der Trainingsbetrieb der SV immer schwieriger organisieren: Trainingszeiten werden durch ausgelastete Hallenkapazitäten stark begrenzt, abendliche Zeiten durch für SV unentbehrliche Kurse für Erwachsene genutzt. Die Jugend kann wegen schulischer Pflichten in der Woche oft erst ab 16 Uhr trainieren. So entsteht ein Spannungsfeld durch den Interessenkonflikt von GTS und SV.
Da der Nutzen der SV für das Gemeinwohl nicht von der Hand zu weisen ist, könnte eine gut gestaltete Kooperationeinemögliche Lösung der gesellschaftlichen Herausforderung sein. Im Fokus muss dabei die Nutzung vorhandener Ressourcen von GTS und SV zur Verfolgung gemeinsamer Ziele stehen. Besonders im Bereich offener Ganztagsschulen (OGATA) werden externe Anbieter wie Vereine, mit der Durchführung nachmittäglicher Angebote betraut. Dabei sind sehr differierende Ausgangslagen, Herausforderung und Grenzen, aber auch Herausforderungen außerunterrichtlicher Bewegungsangebote zu beobachten. Nachfolgende These lässt sich aus diesen Beobachtungen entwickeln:Das Potenzial von Kooperationen zwischen GTS und SV wird bisher noch nicht richtig genutzt, geschweige denn ausgeschöpft.
Es gilt daher, die aktuelle Entwicklung der GTS unter besonderer Berücksichtigung des sportlichen Bereiches u.a. von Vereinsangeboten, zu untersuchen. Betrachtet werden hier der Schulsport und kooperative Angebote, die vor allem im nachmittäglichen Schulbetrieb realisiert werden können (s. Kap. 3-5), und die Bedingungen, die überhaupt zur Aufnahme der Sportangebote führen – auch aus gesundheitspädagogischer Perspektive.
Fragestellungen, Untersuchungsmethode
Aus oben erwähnter These ergibt sich die zentrale Fragestellung, was aus dem Vereinssport wird, wenn er in die Schule kommt. Weitere Leitfragen zur Bearbeitung des Themas sind die Frage nach der Bedeutung des Sports im Allgemeinen und von Schulsport im Besonderen und die Frage nach der Legitimation von Kooperationen zwischen Schule und Sportverein. Was sind die Gründe für Sportkooperationen und welchen Herausforderungen müssen sich Schulen und Sportvereine stellen? Was sind die durch Kooperation entstehenden Synergieeffekte für GTS und SV? Welche Probleme und Grenzen, aber auch Chancen werden mit der Bearbeitung des Themas sichtbar? Um diese Bereiche herauszuarbeiten werden Rahmenbedingungen und Verzahnungsmöglichkeiten sportiver Angebote in den Ganztagsbetrieb erläutert und hinterfragt.
Zur Erforschung der Thematik stehen die Sichtung und Diskussion verschiedener programmatisch - konzeptioneller Texte zur Förderung des Schulsports, Erfahrungsberichte und bestehende empirischen Studien sowie Schulprofile zur Verfügung. Die zugrunde-liegenden Texte wurden primär nach den Kriterien Aktualität und Zugänglichkeit ausgewählt. Im nächsten Schritt werden die Texte hinsichtlich der eigenen Fragestellung analysiert und es wird ein Vergleich der verschiedenen Kooperationsmodelle vorgenommen. In der Rezension der Schulprofile werden schließlich eigene Schlussfolgerungen generiert.
Gang der Untersuchung und Erkenntnisinteresse
Um Antwort auf die zentrale Forschungsfrage nach den Veränderungen des Vereinssports im schulischen Umfeld zu finden, werden einleitend die theoretischen Hintergründe des Schulsports erörtert. Warum ist Bewegung auch in der Schule so wichtig und welche Wirkung hat sportliche Betätigung auf Schüler? Diesen Fragen geht das erste Kapitel nach.
Es folgt die Darstellung der aktuellen Situation von Sportvereinen in Deutschland und der Wirkung des Vereinssports auf die deutsche Sportlandschaft. Der dritte Teil beschäftigt sich mit dem Bereich des Sports in der GTS - vor allem in Niedersachsen.1Im vierten Abschnitt wird die Kooperation zwischen Schule und SV thematisiert. Im Rahmen der Thematik werden Profile von GTS in Niedersachsen, ausgewählt nach dem Kriterium des Integrationsmodells von Vereinssport in die Schule, beschrieben und analysiert. In einer anschließenden Gegenüberstellung werden die Schulprofile verglichen.
Das fünfte Kapitel beschäftigt sich mit den Chancen und Probleme von Sportangeboten in der GTS, die auf der Basis vorangegangener Texte herausgearbeitet werden. Ihren Abschluss findet die Arbeit in einer Zusammenfassung der Ergebnisse, der erkannten Desiderate, einer kurzen Reflexion der Autorin und der perspektivischen Entwicklung von Sportkooperationen mit deren Eingang in die Schulsportforschung.
Die Untersuchung stützt sich hauptsächlich auf aktuelle Forschungsergebnisse, insbesondere die Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen (nachfolgend StEG2) sowie die Studien zur Entwicklung von Bewegung, Spiel und Sport in der GTS (StuBSS) und der Vereinskooperationen in Niedersachsen. Zum Forschungsstand s.a. Kap. 3.1.
Die Themenwahl fokussiert die Untersuchung der Synergieeffekte, die durch Kooperationen von GTS und SV im Zusammenhang mit dem Bildungsauftrag und der Körpergesundheit von Schülern entstehen. Zu analysieren ist, wie und wann beide Organisationen bereits zusammen agieren, um so eine Zukunftsperspektive der Vereinsarbeit zu generieren.
1 Die Bedeutung von Sport und Bewegung fürSchüler
Aus pädagogischer und medizinischer Perspektive bildet der natürliche Bewegungsdrang der Jugend die Basis ihres geistigen und körperlichen Wohlbefindens. Denn der menschliche Organismus benötigt ein Mindestmaß regelmäßiger körperlicher Beanspruchung, um seine Funktions- und Leistungsfähigkeit sicherzustellen. Die Lebensbedingungen der heute aufwachsenden Kinder und Jugendlichen verändern sich allerdings zunehmend, sodass durch sehr unterschiedliche Einflüsse ihr Lebens- und Erfahrungsraum stetig modifiziert wird.
Bevor die heutige Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen betrachtet wird (1.3), ist es notwendig, einige grundlegende Begriffe zu definieren (1.1) sowie die Beziehungen von Gesundheit und Bewegung zu erläutern (1.2), um so eine theoretische Ausgangsbasis für den Untersuchungsgegenstand zu schaffen.
1.1 Begriffsdefinitionen
Zum besseren Verständnis der Arbeit und auch zur Begrenzung der Thematik werden im Folgenden die Begriffe derGesundheit, derGesundheitsförderung, und derBewegunggegenüber dersportlichen Bewegungerläutert, sowie eine in dieser Arbeit verwendete Definition desKindesundJugendlichenbzw. desSchülersgegeben.
1.1.1 Gesundheit
Obwohl es grundsätzliches Ziel jedes Individuums ist, gesund zu sein, ist es nicht leicht, den Begriff derGesundheitwegen seiner Komplexität zu definieren. Ältere Definitionen beschreiben Gesundheit lediglich im Kontrast zu Krankheit: De Marées & Mester (1991, S. 141) bezeichnen Gesundheit als „das Freisein von Krankheiten“. Sie sind der Meinung, „[...] diese Beschreibung steht und fällt z. B. mit einer frühzeitigen Krankheitsdiagnose“, bezeichnen Gesundheit aber auch als „Zustand [...] des Funktionsgleichgewichts“. Auch das optimale Zusammenspiel aller physiologischen und psychischen Funktionen des menschlichen Organismus heben sie hervor
Da dies eine negativ belastete Aussage ist, wurde hier nach einem positiven Ansatz gesucht. Eine solche positive Erklärung findet sich nach Lohaus (vgl. Lohaus, 1993, S.7) in der Aussage der World Health Organization (WHO).
„Gesundheit ist ein Zustand des umfassenden körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht lediglich das Freisein von Krankheit und Schwäche.“ (“Health is a state of complete physical, mental and social well-being and not merely the absence of disease or infirmity.“) (WHO, 2007, S.35).
Jedoch kritisiert Lohaus diese Definition, da Gesundheit hier als etwas Statisches angesehen werde. Laut ihm sei Gesundheit eher ein aktiver Prozess, in dem der Versuch unternommen werde, möglichst nah an ein Optimum zu gelangen. Weicht man vom Optimum ab, führt das zu einem Anpassungsprozess des Körpers. Zudem würden in der Definition subjektive Aspekte betont, objektive Aspekte aber vernachlässigt. Dies widerspreche Situationen, in denen man sich subjektiv wohlfühlt, objektiv aber Gefahren für die Gesundheit vorliegen können. Daher schlägt Lohaus vor, die Dynamik des Gesundheitsgeschehens, die objektivierten Daten und die Relativierung des subjektiven Wohlbefindens in Bezug auf eigene Möglichkeiten in die Definition einzubeziehen (vgl. Lohaus, 1993, S.7–8).
Das Modell der Salutogenese3nach Antonovski hinterfragt die Bedingungen der Gesundheit: Außerdem widmet er seine Arbeit der Heilung des menschlichen Organismus. Nach seinem Modell befindet sich der Mensch nicht im passiven Gleichgewichtszustand sondern in einem sich dynamisch4regulierenden Geschehen des Auslotens der systemischen Funktionen des Organismus.
Im Kern geht es dabei um die Bestimmung der individuellen Grundhaltung durch eine als „Kohärenzgefühl“5(Sense of coherence, SOC) bezeichnete Einstellung gegenüber Welt und eigener Existenz. Es handle sich hierbei um eine globale Orientierung, die das Ausmaß des Vertrauens beschreibe, dass
-Anforderungen aus der Erfahrungswelt während eines Lebens strukturiert und ergo vorherzusehen und erklärbar sind. (Konzept der Verständlichkeit: sense of comprehensibility).
- die zur Bewältigung der Anforderungen nötigen Ressourcen verfügbar sind (Konzept der Bewältigungsmöglichkeit: sense of manageability).
-die Anforderungen zu ihrer Bewältigung Investitionen und Engagement herausfordern. (Konzept der Sinnhaftigkeit: sense of meaningfulness).
Das Kohärenzgefühl werde durch gesammelte Erfahrungen beeinflusst. Es entwickle sich im Laufe der Kindheit und Jugend. Es lässt sich auch als gesundes Selbstwertgefühl bezeichnen.
Brodtmann (1984, S.15). definiert Gesundheit „als [die] Fähigkeit von Menschen […], Alltagsbelastungen ohne wesentliche Einbußen des körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefindens bewältigen zu können.“ Da das tägliche Erleben sportlicher Aktivität durch die Schülerschaft in und außerhalb der Schule in dieser Arbeit von zentraler Bedeutung ist, trifft Brodtmanns Definition weitgehend den Kern der Thematik und wird daher verwendet.
1.1.2 Gesundheitsförderung
Durch moderne Lebensverhältnisse mit weniger Bewegungsreichtum ist die Schülerschaft mehr gefährdet als andere Altersgruppen. Untersuchungsergebnisse besagen, dass Kinder sich meist zu wenig bewegen und dies – verbunden mit Faktoren wie einer ungesunden Ernährungsweise – schwerwiegende Konsequenzen für ihre Entwicklung und das Wohlbefinden haben kann, wie z. B. Haltungsschwächen oder ein leistungsschwaches Herz-Kreislauf-System. Muskuläre Defizite und Bewegungsmangel werden dazu oft in Bezug gesetzt (s. a. Kap. 1.3). Angesichts dieser Entwicklungen wird es zunehmend zu einer gesellschafts- und bildungspolitischen Aufgabe, durch attraktive, ausreichende Bewegungs- und Sportangebote Haltungsschwächen zu verhindern und präventiv auf eine evtl. gesund-heitliche Gefährdung einzuwirken.
Ein Prozess soll eingeleitet werden, um den Menschen eine größere Selbstbestimmung von Lebensumständen und Umwelt zu ermöglichen und sie für die Stärkung ihrer Gesundheit zu rüsten (vgl. WHO, 1986, S.4). Gesundheit wird von Menschen und durch die sie umgebende Gesellschaft selbst erschaffen und erlebt. Sie ist ein wichtiger Teil der Lebenswelt, denn sie entsteht durch die Sorge um sich und andere, sowie durch die Befähigung, Entscheidungen zu treffen und das Geschehen zu kontrollieren.
Nach Hurrelmann et. al. (2014, 14 ff.). sind all jene „vorbeugenden Aktivitäten und Maßnahmen“ in den Bereich derGesundheitsförderungeinzubeziehen, die
„die gesundheitsrelevanten Lebensbedingungen und Lebensweisen von Menschen zu beeinflussen suchen. [...] Die Adressaten der Gesundheitsförderung sind [hier] nicht wie bei der Prävention [die] Risikogruppen, sondern alle Gruppen der Bevölkerung, vor allem auch die Gesunden.“
Zweck der Gesundheitsförderung ist es demnach, Menschen die Entwicklung von Ressourcen zu ermöglichen, damit sie ihre Gesundheit erhalten und fördern können. Sie sollen so mehr selbstbestimmten Einfluss auf die eigene Gesundheit nehmen können. Außerdem muss der Fokus auch auf einer gesundheitsgerechten Umweltgestaltung liegen.
Gesundheit ist sozial-ökologisch betrachtet Mittel zur Befähigung der Menschen, zur Realisierung eines positiven, individuellen und gesellschaftlichen Lebens. Auf dieser Grundlage ergeben sich zwei greifbare Ansätze der Gesundheitsförderung, nämlich dieEntwicklung einer gesundheitsförderlichen Lebensart6und dieAusgestaltung gesundheitsförderlicher Lebensbedingungen.7Beide Ziele beziehen sich eng aufeinander und stellen eine gegenseitige Ergänzung dar. Zudem werden Lebensbedingungen häufig als Basis gesundheitsförderlicher Lebensarten betrachtet, da sie den Auslöser zur Wahl einer gesünderen Alternative für den Menschen darstellen (vgl. WHO, 1986, S.5–6).
1.1.3 Bewegung vs. Sport
Bewegung und Sport fallen in Erfahrung und Handeln der Kinder oft zusammen. Dennoch beschreiben diese Begrifflichkeiten teilweise differierende Erscheinungsformen menschlicher Handelungsweisen, die daher im Folgenden zueinander in Beziehung gesetzt und voneinander abgegrenzt werden müssen.
Bewegungist zunächst der allgemeinere und alles umfassende Begriff, der als die Veränderung eines Körpers durch Raum und Zeit oder auch des Gemütszustandes gesehen werden kann. Bewegung ist aber noch viel mehr: Sie ist die Grundlage menschlicher Existenz, vermittelt zwischen den sich bewegenden Menschen und deren Welt und ist gleichzeitig Medium der Erfahrung und Medium des Ausdrucks (vgl. Tamboer, 1979, S.14). Bewegung beinhaltet grundlegende Tätigkeiten wie z. B. Gehen, Springen, Balancieren oder Schaukeln.
Auch werden im Trend liegende Spiel- und Freizeitgeräte wie Inline-Skates oder beispielsweise Skateboards zu den Bewegungsmöglichkeiten gezählt. Diese Erklärung genügt aber noch nicht, um das Bedeutungsspektrum von Bewegung zu erfassen:
„Man bewegt sich, man ist bewegt, [...] hat bewegte Erlebnisse; oder: jemand ist geistig beweglich, motorisch unbeweglich; oder: man sieht fremde Bewegungen, vollzieht und erlebt Selbstbewegungen, man bewegt einen Gegenstand, man wird von anderen (Kräften) bewegt u. a. m. Darüber hinaus können menschliche Bewegungen instrumentelle (z. B. etwas herstellen), erkundende, soziale und personale Bedeutungen haben.“ (Grupe, 1987, S.9).
Das Zitat verdeutlicht, dass der Begriff der Bewegung in vielen Variationen benutzt wird. Des Weiteren lässt sich nach dem Zweck der Bewegung die Alltags-, Arbeits-, Ausdrucks- und eben auch dieSportbewegungunterscheiden (vgl. Grosser et. al., 1987, S.13).
Sportkann also als Unterart der Bewegung betrachtet werden, die einen bestimmten Zweck erfüllt. Nach Grosser et.al. (1987, S. 10) beinhaltet sportliche Bewegung immer zwei Aspekte: Alle Bewegungen und Handlungen haben vorgegebene Ziel- und Aufgabenstellungen und die beteiligten Objekte8erfahren stets eine raum-zeitliche Veränderung. Ferner ist Sport eine um ihrer selbst willen ausgeführte und in sich belohnte Tätigkeit (vgl. Zimmer, 1998, S. 14).
DasSpielenzählt ebenso zu den Möglichkeiten von Bewegung, obschon es auf den ersten Blick im Gegensatz zum Sport zu stehen scheint. „[W]ährend der Sport als festgelegteres, reglementiertes, geschlossenes Bewegungshandeln aufgefasst wird“, stellt Spielen die „offenere gegenwartsbezogene, zwecklose Form des Sich-Bewegens dar“ (Zimmer, 1998, S.13). Jedoch sind die Übergänge zwischen diesen zwei Teilbereichen fließend: Eine zunächst spielerische Bewegung kann sich zu einer sportlichen Bewegung wandeln, sobald der Bewegungsablauf festgelegt und somit wiederholbar, vergleichbar und messbar wird.
1.1.4 Kinder und Jugendliche bzw. Schüler
Nach § 7 Satz 1 des Kinder- und Jugendhilfeschutzgesetzes (KJHG) gilt alsKind, wer noch nicht 14 Jahre alt ist.Jugendlichehaben bereits das 14., jedoch noch nicht das 18. Lebensjahr erreicht. (Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, 1990, S.10). AlsSchüler und Schülerin (SuS) bzw. Schülerschaftim Sinne dieser Arbeit werden jene Menschen zwischen dem 6. und 18. Lebensjahr betrachtet, die eine allgemeinbildende Ganztagsschule innerhalb der bundesdeutschen Grenzen besuchen, sofern keine anderen Begrenzungen erwähnt werden.
Während des Erwachsenwerdens der Schüler liegt der Fokus der Schule auf verschiedenen Aufgabenbereichen, die sich aus der der altersbezogenen Reifung ableiten lassen. Im Grundschulalter (5./6.-10. Lebensjahr) ist das menschliche Zentralnervensystem in weiten Bereichen bereits ausgeprägt, die motorische Lern- und Leistungsfähigkeit ist auf hohem Niveau. Allerdings lernt man am besten im Alter der späten Kindheitsphase (10. Lebensjahr bis zum Einsetzen der Pubertät) (vgl. Weineck, 2010, S. 455; s. a. Kap. 1.2.1).
In der ersten puberalen Phase, der Pubeszenz, die bei Mädchen in etwa zwischen dem 12. und 14. und bei Jungen zwischen dem 13. und 15. Lebensjahr liegt, kommt es wegen der deutlichen physischen Veränderungen zu einer labilen Entwicklungsphase der menschlichen Psyche. Das wird noch verstärkt durch die hormonell instabile Lage. Die Kinder müssen ihren Körper „neu“ kennenlernen und seine Veränderungen psychisch verarbeiten.
Die Pubeszenz zeichnet sich durch die beginnende Ablösung vom Elternhaus, prekäre Verhaltensmuster, zunehmende Konflikte mit Erwachsenen und eine Distanzierung von Eltern, Lehrern und Trainern aus, was gleichzeitig zu einer verstärkten Hinwendung zu Gleichaltrigen führt (vgl. Weineck, 2010, S. 457 f.).
Mit den beschriebenen Veränderungen geht die Entwicklung neuer Interessen einher. Die Beziehungen zu Gleichaltrigen rücken in der Prioritätenliste weit nach oben, während das Sportinteresse plötzlich stark absinkt. Häufig kommt es zum bekannten Phänomen des „Drop-out“. Weineck (2010, S. 457 f.) merkt dazu an:
„Fehler in der Belastungsgestaltung und vor allem in der Führung des Jugendlichen stehen an der Spitze des Ursachenkatalogs, warum ein nicht unbeträchtlicher Teil der Jugendlichen gerade in einer Zeit, in der sportliche Entwicklungsreize von besonderer Wichtigkeit wären, die sportlichen Betätigung einstellt.“
In der zweiten puberalen Lebensphase, der Adoleszenz, die Mädchen etwa mit dem 18., Jungen mit dem 19. Lebensjahr beenden, wird die körperliche Entwicklung abgeschlossen. Zudem führen die Einflüsse von Schule, Familie und Gesellschaft zur Formung der eigenen Persönlichkeit und der sozialen Integration (vgl. Weineck, 2010, S. 460 f.).
1.2 Sport, Bewegung und Gesundheit
Illi & Zahner (1999, S. 23 ff.) stellen in ihrem Werk „Bewegte Schule - gesunde Schule“ fest, dass Bewegung Leben ist. Keine leere Phrase, da Bewegung einen wesentlicher Faktor mit positivem Einfluss auf die geistige und seelische Leistungsfähigkeit des Menschen darstellt. Sport und Bewegung haben vielerlei Wirkung für die körperliche und geistige Gesundheit des Menschen. Besonders während der Phase des Erwachsenwerdens ist die sportliche Betätigung unerlässlich (vgl. Becker et al., 2011, o. S.).
Natürlich sind die Ideen zu Sport und Bewegung in der GTS nicht neu, jedoch scheinen sie im Zuge der heutigen Lebenswelt der Schülerschaft immer noch nicht an Aktualität verloren zu haben. Das Wissen um die Vorzüge regelmäßigen Sporttreibens ist bei diesem immer größeren Personenkreis angekommen. Ihnen ist bewusst, dass
- die Schulung der Bewegungskoordination die Kinder und Jugendlichen befähigt, motorische Aktionen in vorhersehbaren und unvorhergesehenen Situationen zu meistern.
- wiederkehrendes Sporttreiben die körperliche Entwicklung fördert und sich positiv auf die Gesundheit auswirkt. Das Herz-Kreislauf-System wird gestärkt und verbessert, die Muskulatur gekräftigt und nebenbei noch das körpereigene Immunsystem unterstützt.
- das Sozialverhalten der Schulkinder in mehrfacher Hinsicht gefördert wird.
- durch die „freizeitlichen Aktivitäten“ innerhalb des schulischen Geschehens das individuelle Wohlgefühl gesteigert und das Schulklima nachhaltig gestärkt wird.
- der in jüngeren Studien belegte Zusammenhang einer positiven Entwicklung kognitiver Fähigkeiten mit sportlicher Bewegung für das Schulleben dringlich genutzt werden muss (vgl. Reinschmidt, C. & Reinschmidt, 2010, S. 6 ff.).
Ein wachsender Personenkreis der an Bildung und Bildungspolitik beteiligten Menschen hat die Bedeutung der Bewegung für die motorische, kognitive, emotionale und soziale Entwicklung der Schulkinder erkannt. Die aus dieser Erkenntnis resultierende Notwendigkeit der Implementierung von Sport und Bewegung in den schulischen Alltag ist o. a. Personen gegenwärtig (vgl. Reinschmidt, C. & Reinschmidt, 2010, S. 6).
1.2.1 Entwicklung motorischer Fähigkeiten
Nach Weineck (2010, S. 451) istMotorikdie Menge der „Steuerungs- und Funktionsprozesse“, die für Haltung und Bewegung begründend sind. Sie hat die Aufgabe, das Verhältnis von angemessener Körperhaltung und den darauf aufbauenden Bewegungen des Körpers zu kontrollieren. Wenn der Mensch sitzt, geht, hüpft oder etwas ergreift, laufen im Körper diese motorischen Steuerungs- und Regelungsvorgänge ab.
Zum Zeitpunkt der Geburt beruhen die lebenswichtigen Bewegungen auf Reflexen und Reaktionen. Innerhalb der Babyphase bis etwa zum 18. Lebensmonat adaptiert das Kind zielführende Bewegungs- und Verhaltensmuster. Das Sich-Bewegen und das Erfassen der Umwelt (sich und kleine Gegenstände bewegen, krabbeln, etc.) hat dabei eine grundlegende Bedeutung.
Bis zum Alter des Schuleintritts wird die Herstellung des Gleichgewichts zwischen Stabilität und Mobilität erlernt. Es wird möglich, motorische Abläufe mit Gegenständen zu koordinieren
(z. B. rutschen und schaukeln) und Bewegung den Anforderungen anzupassen (z. B. das Gleichgewicht auf Roller und Fahrrad zu halten). Zudem kann das Kind nun senso-motorische Informationen in den Bewegungsauflauf integrieren (z. B. die Bewegung von Bällen oder des Springseils abzuschätzen) und entsprechend darauf reagieren (vgl. Weineck, 2010, S. 451 ff.).
Nach der ersten Entwicklung und Ausbildung des zentralen Nervensystems in der grobmotorischen Phase der ersten Lebensjahre folgt in der Primarstufe (5/6-10 Jahre) eine Reifeperiode: Sie äußert sich durch ungestüme Bewegungen, eine funktionierende Grob- und Sensomotorik und eine begeisterte, jedoch kritiklose Aneignung von Kenntnissen und Fertigkeiten. Bewegungen können leicht erlernt, müssen aber auch noch sehr oft wiederholt werden (vgl. Weineck, 2010, S. 455).
Wie in 1.1.4 bereits angedeutet, lernt man am besten im Alter der späten Kindheitsphase.
Durch „vermehrtes Breitenwachstum, Optimierung der Proportionen und relativ ausgeprägte[n] Kraftzuwachs[...] bei geringer Größen- und Massenzunahme verbessert sich das Verhältnis zwischen Kraftaufwand und vorhandenen Ressourcen. Die Kinder verfügen daher über eine ausgezeichnete Körperbeherrschung und nutzen diese zur Befriedigung des immer noch ausgeprägten Drangs nach Bewegung.“ (vgl. Weineck, 2010, S. 456).
Diese Reifeperiode ist geprägt von der Ausbildung der Feinmotorik in Bewegungen und Kombinationsmöglichkeiten verschiedener Bewegungsmuster, was durch die o. a. Körper-merkmale, das Ansteigen der Konzentrations- und motorischen Merkfähigkeit und eine hohe Aufmerksamkeit für neue Informationen stark begünstigt wird.
Die späte Kindheit ist der wohl wichtigste Abschnitt der motorischen Entwicklung. Parallel zu einer weitergehenden Verbesserung und der Verfügung über elementare Bewegungsformen bauen Kinder ein stetig wachsendes Repertoire sportbezogener Bewegungen auf. Koordinative und insbesondere konditionelle Fähigkeiten unterliegen einer deutlichen Verbesserung (Scheid, V., 1994, S. 277 ff.). Durch die motorischen Fertigkeiten erhalten die Kinder Zugang zu einer effektiveren Auseinandersetzung mit ihrer Umwelt.
Die Förderung koordinativer Fähigkeiten bei Schulkindern (dazu gehören räumliche Orien-tierung, Reaktanz, Rhythmusgefühl und Gleichgewicht) gilt als entscheidende Vorbedingung zum späteren Erlernen sportlicher und motorischer Fähigkeiten (vgl. Bös et al., 2001, S. 6 ff.). Motorische Fähigkeiten sind dabei all jene Strukturen und Funktionen, die bestimmend sind für Erwerb und Entstehen von Bewegungshandlungen. Dazu gehören Kraft, Ausdauer, Schnelligkeit, Koordination, Flexibilität der Gelenke und Dynamik.
Die Qualität der ausgeführten Bewegungen in beobachtbaren Fertigkeiten (der sichtbare Vollzug einer Bewegungshandlung) der Entwicklung, des Lernens und der Leistungen wird bestimmt durch die Ausprägung motorischer Fähigkeiten (vgl. Bös et al., 2001, S. 6 ff.). Laufen, Hüpfen, Klettern, Balancieren, usw. gehören zum Bereich der Grundfertigkeiten. Dribbeln, Passen, Turnübungen, Rollschuhlaufen und Radfahren hingegen sind Teil der komplexen sportmotorischer Fertigkeiten. Ihr Niveau und die Qualität werden durch die motorischen Fähigkeiten definiert.
Es wird sichtbar, dass wechselseitige Beziehungen zwischen motorischen Fähigkeiten und Fertigkeiten bestehen. Fähigkeiten drücken sich auf der Ebene von Beobachtung und Tests in Fertigkeiten aus. Kongruent dazu werden die Fertigkeiten durch Üben der Gesamtheit der Fähigkeiten beeinflusst.
Bewegungsanreize alltäglicher Lebenssituationen führen zu einer Adaption des Haltungs- und Bewegungsapparates und damit zum Ausbilden und Gestalten der Muskulatur und zur Stabilisierung der Herz-Lungen-Funktionen (vgl. Weineck, 2010, S. 162 ff.; 265 ff.; s. a. Kap. 1.2.1). Unzulängliche Gelegenheiten zur Bewegung und Bewegungsmangel können hingegen zu Haltungsschäden und Bewegungsstörungen führen (Weineck, 2010, S. 236 ff.; s. a. Kap. 1.2.4).
Während der Pubeszenz (12/13-14/15 Jahre) müssen die Kinder bereits erlernte Bewegungs- und Handlungsmuster an die Veränderungen ihres Körpers anpassen. Es ist daher von großer Wichtigkeit, dass sie in dieser Lebensphase weiter Sport treiben.
Forscher und Wissenschaftler gehen davon aus, dass das motorische und das sportmotorische Bewegungslernen im Großen und Ganzen mit dem Eintritt in die adoleszente Lebensphase abgeschlossen sind. „Was in dieser Lebensphase nicht gelernt [wurde], ist später nur schwer nachzuholen“ (Weineck, 2010, S. 456).
1.2.2 Körpergesundheit und Bewegung
Seit Menschen auf Erden leben, gehört die Bewegung zu ihrem Überleben dazu (Schlicht & Brand, 2007, S. 9 f.). Körperliches Training fördert die körperliche Gesundheit, weil der Organismus leistungsfähiger wird. Zur Zeit lebt die erste menschliche Generation, die diesem biologischen Grundsatz nicht mehr gerecht wird. Und das, obwohl als bekannt vorausgesetzt werden kann, dass durch wachsende Bewegungsarmut die ganzheitliche Entwicklung (u. a. das Lernen) negativ beeinflusst wird (Becker et al., 2011, o. S.; s. a. Kap. 1.2.4).
Die WHO (1986, S.3) meint dazu:
„Die sich verändernden Lebens-, Arbeits- und Freizeitbedingungen haben entscheidenden Einfluss auf die Gesundheit. Die Art und Weise, wie eine Gesellschaft die Arbeit, die Arbeitsbedingungen und die Freizeit organisiert, sollte eine Quelle der Gesundheit und nicht der Krankheit sein. Gesundheitsförderung [durch Bewegung] schafft sichere, anregende, befriedigende und angenehme Arbeits- und Lebensbedingungen.“
Nach Emrich et al. (1997, S. 88 ff.) zeigen sich gegenwärtig bei Kindern und Jugendlichen oft Haltungs-, Koordinations-, Muskel-, oder Herz- und Kreislaufschwächen. Experten fordern daher eine tägliche Bewegungszeit im schulischen Alltag. Sofern es einen Zusammenhang zwischen der geistigen und körperlichen Leistungsfähigkeit gibt, scheint diese unumgänglich. Denn Bewegung, Spiel und Sport (BeSS) machen nicht nur Spaß, sie sind Teil von Leben und Lernen der Menschen. Gehirnforscher berichten seit langem von einem leichteren Lernen mit Bewegung: Bei körperlicher Aktivität entstehen neue Gehirnzellen, so dass mehr Information aufgenommen werden kann. Zudem regt die moderate Bewegung den Körperkreislauf an und sorgt so wiederum für eine bessere Leistungsfähigkeit unseres Gehirns.
Wissenschaftliche Ergebnisse weisen nach, dass bei gleichzeitiger körperlicher und geistiger Aktivität die geistige Leistungsfähigkeit deutlich höher liegt als bei körperlich statischer Arbeit. Die Kapazität des Kurzspeichers im menschlichen Gehirn steigt gegenüber dem Zustand der Ruhe um 20 %. Zudem ist die Problemlösungsfähigkeit unter großer Anspannung und im Zustand der Entspannung gering – ein leicht nervöser Erregungszustand führt oft zur besten Leistung. Das Schlagwort in diesem Zusammenhang lautetWachheit. Diese wird durch Gleichgewichtsübungen gefördert. Bei Anspannung und Stress sind daher oft das Gleichgewicht einbeziehende Entspannungsübungen sinnvoll (vgl. Jasper, 1999, S. 252 f.).
Aufgrund ihrer zentralen Bedeutung wird Bewegung auch in der Wissenschaft stärker erforscht. Als Beispiel dafür mag an dieser Stelle das Erasmus ProjektKarate Sport at Schoolunter deutscher Beteiligung dienen, das sich mit kognitiven Leistungszuwächsen von Kindern des zweiten Schuljahres beschäftigt (vgl. FIJLKAM, 2016, o. S.).9Zudem ermöglicht eine durch Sport verursachte, positive Persönlichkeitsentwicklung der Lernenden insgesamt eine Verstärkung der Lernleistungen.
Kinder spielen immer noch, jedoch mangelt es an Möglichkeiten durch fehlende natürliche Spielräume bzw. Räumlichkeiten. Zudem nimmt spielerisches Kämpfen und Raufen einen immer größeren Bereich frei gestalteten sportlichen Spielens ein. Die Haltung der Schulkinder ist dabei unverändert: Sie wollen in aktiver Freizeitgestaltung nichts anderes als ihren Spaß. Daher muss das Interesse der Kinder und Jugendlichen am Sport durch erlebnisreiche, spielbetonte und abenteuerliche Stunden geweckt werden (vgl. Emrich et al., 1997, S. 88 ff.).
Ein regelmäßiges Trainieren über die Grenze körperlicher Zumutbarkeit hinaus führt aber zum Absinken der geistigen Leistung. Das Training ist daher planvoll und mit Bedacht auszuüben. Besonders Übungen der Feinmotorik wirken positiv auf die geistige Leistungsfähigkeit. Ferner hat regelmäßige körperliche Bewegung positive Folgen für das allgemeine Wohlgefühl – eine elementare Bedingung geistiger Leistungsfähigkeit (vgl. ebd. S. 254 ff.; Kap. 1.2.3.1).
Spielt sich die Bewegung in der Gruppe ab, erfolgt ein zusätzlicher leistungssteigernder Einfluss (vgl. Jasper, 1999, S. 256). Es lässt sich daher festhalten, dass ein Sporttreiben im schulischen Rahmen des Schulbetriebs im GT sehr geeignet ist, um einerseits das gesellschaftlich elementare Ziel der Gesundheitserhaltung zu realisieren und andererseits die Leistungen der beteiligten Schulkinder längerfristig zu erhöhen.
1.2.3 Psychische Gesundheit, Sozialisation und Sport
Neben seinem entscheidenden Einfluss auf die Körpergesundheit kommt dem Sport auch eine zentrale Rolle für das geistige Wohlergehen zu: Nach Schlicht & Brand (2007, S. 83) trägt „sportlich-körperliche Aktivität [.] zu einer verbesserten psychischen Gesundheit bei“. Wissenschaftliche Untersuchungen der Vergangenheit haben festgestellt, dass sporttreibende Jugendliche mit ihrem Körper zufriedener sind und ein sehr differenziertes Bild von Körper und Leistungsfähigkeit besitzen (vgl. Sack, 1989, S. 86 ff.). Auch in Bezug auf Identitäts-bildung und Sozialisation von Kindern und Jugendlichen ist Sport ein basaler Faktor.
1.2.3.1IndividuellesEmpfinden der Wellness
Regelmäßige körperliche Aktivität und vor allem Sporttreiben verbessern das individuelle Gefühl des Wohlergehens10und nehmen somit auch positiven Einfluss auf die psychische Gesundheit (Brand, 2010, S. 72). In vielen Definitionen von Gesundheit spielt das subjektive Wohlbefinden (= SWB) eine entscheidende Rolle (vgl. Gesundheitsdefinition der WHO in Kap. 1.1.1) (Schlicht & Brand, 2007, S. 72). „Man versteht darunter die Summe der Bewertungen des eigenen Lebens sowie das Verhältnis von angenehmen und unangenehmen körperlichen und psychischen Empfindungen“ (Diener, 2001, zit. n. Brand 2010, S. 51). Es ist also ein Konstrukt, das aus mindestens einer individuellen, kognitiv-bewertenden und einer affektiv-emotionalen Komponente besteht. Zudem unterscheidet man nach dem aktuellen (SWB-State) und dem allgemeinen Zustand (SWB-Trait) des Wohlseins (Brand, 2010, S. 51).
Erlebt man mehr positive und nur selten negative Stimmungen und Emotionen, so verfügt man über ein hohes affektives subjektives Wohlbefinden. Ist man jedoch mit der aktuellen Lebenssituation generell unzufrieden und gibt es auch spezielle Faktoren (wie z. B. die familiale Situation), mit denen jemand unzufrieden ist, wird diese Person ihr Wohlgefühl weniger gut beschreiben (vgl. Schlicht & Brand, 2007, S. 85).
Körperliche Bewegung eignet sich gut zur Steigerung des Wohlseins. So berichten 66 von 100 moderat sportlich aktiven Frauen zwischen 31 bis 50 Jahren, es gehe ihnen nach sportlicher Aktivität besser. Im Vergleich konnten dies nur 34 von 100 eher inaktiven Frauen berichten. Interessant ist, dass die Art der Aktivität keine Rolle spielt. Männer selbigen Alters hingegen benötigen stärkere Formen des Ausdauersports zur Erfahrung psychischer Gesundheitsfolgen und zur Senkung etwaiger Gesundheitsrisiken (vgl. Schlicht & Brand, 2007, S.70).
Abele & Brehm führten von 1984 bis 1987 Untersuchungen zum Einfluss des Sporttreibens auf das Wohlbefinden durch. Ihre Ergebnisse zeigen, dass sich Sportler nach der Betätigung ausgeglichener, zuversichtlicher und unternehmenslustiger präsentierten als vor dem Sport. In geringerem Maße reduzierten sich negative Merkmale des Wohlseins. Durch Sport entsteht eine körperliche Energetisierung und Aktivierung. Gleichzeitig breiten sich Emotionen von Gelöstheit und guter Laune aus (vgl. Abele & Brehm, 1985, S. 263 ff.; 1989, S. 114 ff.).
Die Studie von Brettschneider & Gerlach (2004, S. 100 f.) untersucht teilweise ebenso das psychosoziale Wohlsein. Darunter fassen sie
„eine geringe Ausprägung von traurigen Stimmungen (Depressivität), das Vorkommen von freudigen Ereignissen im Alltag der Kinder (Lebensfreude), die positive Bewertung und Akzeptanz der eigenen Person (Selbstwertgefühl) sowie die Abwesenheit von langfristigen Stressfolgen (psychosomatische Beschwerden).“ (ebd.)
zusammen. Sie konstatieren ein besseres Ergebnis der sportlich talentierten Kinder; wie oben schon die Frauen profitieren auch hier insbesondere Mädchen von ihrem Talent.
Individuelle Grenzen begrenzen den Anstieg des Wohlseins. Nach Eintreten gravierender Erlebnisse (z. B. ein schwerer Unfall) pendelt sich das Wohlbefinden bald wieder auf dem Ausgangsniveau ein (Brickman et.al., zit. n. Schlicht & Brand, 2007, S. 85 f.), so dass es sich längerfristig betrachtet stabil verhält. Tellegen et. al. (zit. n. Schlicht & Brand, 2007, S. 86) vermuten hier eine genetische Veranlagung. Sie gehen von einem von Geburt an festgelegten Korridor des menschlichen Organismus aus, in dem sich das individuelle Wohlgefühl bewegt. Wird körperliche Aktivität zur eigenen Regulierung genutzt, könne man diesen Korridor verändern. Jedoch sei auch die Fähigkeit zur Selbstregulierung von der Person abhängig (ebd.).
Das bedeutet, dass die psychische Gesundheit des Menschen nicht einfach zu beschreiben und zu messen ist, was einerseits aus der individuellen Interpretation möglicher Folgen von Situationen resultiert. Andererseits lässt sich bei psychischen Prozessen meist der genaue Grund zur Änderung des Wohlgefühls nicht eindeutig definieren.
Sehr häufig beeinflussen viele miteinander zusammenhängende psychische und physische Faktoren die subjektive Wellness (vgl. Schlicht & Brand, 2007, S 67 f.). Festzuhalten ist aber, dass sie sich durch Sport und Bewegung immer positiv beeinflussen lässt.
1.2.3.2 Entwicklung des Selbstkonzepts
„Das Selbstkonzept ist [...] das Bild, das sich eine Person über sich selbst macht“ (Brand, 2010, S. 79). Kinder und Jugendliche wollen ihre Persönlichkeit entwickeln, indem sie sich selbst erfahren und der Umwelt in spannenden und abenteuerlichen Erlebnissen aktiv begegnen. Sport und Spiel bieten dazu vielfältige Gelegenheiten und gehören daher zu den bevorzugten Freizeitaktivitäten (vgl. Zimmer, 1998, S. 9 ff.).
Das Selbstkonzept wird häufig als die Wahrnehmung der eigenen Person oder auch als Summe der Erfahrungen über das Selbst bezeichnet (vgl. Schwarzer, 2000, S. 68 ff). Ob sich Kinder und Jugendliche als stark oder schwach erkennen, ob sie Vertrauen in sich haben oder an sich selbst zweifeln, ob sie aktiv auf andere zugehen oder sich eher zurückhalten – all dies ist abhängig von ihrem Selbstbild (Brettschneider & Gerlach, 2004, S. 81).
Nach der Sozial-Kognitiven Theorie (SKT) lernen Menschen durch eigene Erfahrungen. Jedoch können sie auch mittels reflektierter Beobachtung von Anderen lernen. In Bewegungs-handlungen nimmt der Mensch die Wirksamkeit eigenen Verhaltens und eigener Handlungen (Selbstwirksamkeit) im Umgang mit anderen Personen und Gegenständen wahr.
„Unter Selbstwirksamkeit wird die subjektive Überzeugung, selbst etwas bewirken und verändern zu können, verstanden. Dazu gehört die Annahme, selbst Kontrolle über die jeweilige Situation zu haben, sich kompetent zu fühlen und durch eigene Handlungen Einfluss auf die materiale und soziale Umwelt nehmen zu können.“ (Zimmer, 1998, S. 27).
Die SKT beschreibt dies als das Konzept der Überzeugung der Selbstwirksamkeit (self-efficacy): Die Einschätzung eigener Fähigkeiten eine zum Ziel gesetzte (oder beobachtete) Leistung zu erreichen, oder die subjektive Überzeugung in der Lage zu sein, ein bestimmtes Verhalten erfolgreich durchführen zu können (Seibt, 2016, S. 7 f.). In Bewegung erfahren Kinder den Körper und erhalten Informationen über sich und ihre Umwelt. Sie können sich Vorstellungen zur eigenen Person bilden, die sich wieder unter dem Begriff des Selbst-konzepts subsumieren lassen, was auch als„Motor der Persönlichkeitsentwicklung und -stabilisierung“(vgl. Brettschneider & Gerlach, 2004, S. 81 f.) bezeichnet wird.
Jugendliche testen vieles aus, bevor sie sich im Erwachsenenalter in einer Rolle festlegen. Eigene Grenzen werden durch Extremverhalten (riskantes Fahren oder Extremsport) und den Konsum legaler und illegaler Drogen erprobt, wodurch auch nach Selbstbestätigung gesucht wird (vgl. Pinquart & Silbereisen, 2002, S. 876). Sich selbst zu finden ist ein wichtiger Abschnitt des Jugendalters und beginnt häufig mit dem Einsetzen der Pubertät. Jugendliche sollen erkennen, dass sie individuell verschieden und damit einmalig und unverwechselbar sind. Eine wichtige Voraussetzung dazu ist die Erweiterung des Bewusstseins im Nachdenken über sich selbst (Schenk-Danzinger, 1995, S. 313 f.).
Jugendliche orientieren sich durch Ausprobieren neu in der Gesellschaft und erweitern ihren Horizont. Dies ist zur individuellen Selbstfindung unerlässlich. Eine zentrale Rolle spielen dabei Situationen von Spaß haben und Genießen, von Spannung und Erregung (Pinquart & Silbereisen, 2002, S. 876). Drogen- und zu hoher Alkoholkonsum sowie eine hohe Rate von Unfällen und Suiziden bestimmt von Fehleinschätzungen kennzeichnen diese Phase, wobei Jungen anfälliger sind, als Mädchen, da das Image des „starken Mannes“ gewahrt werden muss. Im Leben von Jugendlichen ist oft kein Platz für negative Emotionen (v.a. Angst und Trauer).
Ein Trend wird verfolgt, nach dem die klassische Rolle des Mannes und der Frau, stetig aufgeweicht wird. Wichtige Anker des festen Halts für Jugendliche gehen verloren, so dass sie etwas isoliert werden und das Selbstexperimentieren an und mit ihrem Körper zur Selbstfindung benötigen (Pinquart & Silbereisen, 2002, S. 876 f.).
Ein ausgeprägtes Bild des Selbst ist Grundlage eines psychisch stabilen Inneren. Man empfindet dies als „Stärke“ und kann dadurch selbstbestimmt handeln, eine Position beziehen und eigene Normen und Wertmaßstäbe aufstellen. Auch kann man nur aufgrund des Selbstkonzepts Rücksicht auf Schwächere nehmen und sich für andere einsetzen. Brettschneider & Gerlach (2004, S. 99) haben herausgefunden, dass Kinder und Jugendliche umso besser ihre Fähigkeiten einschätzen und ihre schulischen Leistungen steigern können, je talentierter sie im Sport sind.
Auch Brand (2010, S. 80) meint dazu, dass positives Bewegungshandeln das Kompetenzerleben stärkt und also auf Dauer die allgemeine Erwartungshaltung der Selbstwirksamkeit steigert.
1.2.3.3 Entwicklung des Sozialverhaltens
Unter Sozialisation versteht man den Prozess der Entstehung und Entwicklung sowie der Positionierung der Kinder und Jugendlichen innerhalb der Gesellschaft. Dies geschieht in Abhängigkeit von sozialen und materiellen Lebensbedingungen (Hurrelmann, 1998 zit. n. Lohaus, 1993, S. 14). Da das soziale Gefüge im SV und erst recht in der GTS eine große Rolle spielt, wird es hier ausführlich beschrieben.
Durch Bewegungen können sich schon Babies mit der gegenständlichen und sozialen Umwelt auseinandersetzen. Es fällt auf, dass Kinder einen großen Bewegungsdrang aufweisen. Sie ist die Grundlage motorischen Lernens. Im Mannschaftssport können Kinder und Jugendliche ein Gefühl der Gemeinschaft erfahren (Huber, 1988, S. 144 f.), soziale Verbindungen aufbauen und sie stärken. Zudem kann Sporttreiben in der Gruppe zum Erlernen sozial kompetenten Verhaltens und zum Kennenlernen sozialer Werte, wie Offenheit, gegenseitiger Achtung, Fairness, Vorurteilsfreiheit, Kritikfähigkeit usw. beitragen. Das Kind gewinnt in der Mannschaft Einsicht in die Regeln sozialen Lebens und sozialer Kommunikation. Das Spiel fördert Ich-Entwicklung, Sozialverhalten und die Kontrolle sozialer Handlungen.
Bereits als Kinder identifizieren sich Jugendliche mit sozialen Werten von Eltern und Lehrern (Schenk-Danzinger, 1995, S. 356). Bei entsprechender Beachtung und positiver Bestärkung können Eltern daher die Interessen eines Kindes und folglich dessen Fähigkeiten beeinflussen. Als Beispiel wird das Sportengagement genannt: „Ein sportlich begeisterter Vater wird der sportlich-athletischen Kompetenz seines Kindes eine größere Bedeutung beimessen, als dies weniger sportlich engagierte Eltern tun.“ (Brettschneider & Gerlach, 2004, S. 82).
In der Phase des Erwachsenwerdens stimmen Jugendliche den vermittelten Werten zu oder stellen diese in Frage. Sie verletzen absichtlich Normen und Regeln und widersetzen sich der Autorität, um ihre Unabhängigkeit unter Beweis zu stellen (Pinquart & Silbereisen, 2002, S. 876).
Sozial gefestigte Beziehungen stellen für Jugendliche einen stabilen Untergrund in proble-matischen Situationen dar (vgl. Brettschneider & Gerlach, 2004, S. 88 f.). Kinder lösen sich mit dem Älterwerden stetig von der Familie ab und suchen Anerkennung in der Gruppe, in der ihr Handeln bestätigt oder verneint wird (vgl. Schenk-Danzinger, 1995, S. 278). Jugendliche wollen Teil der Gruppe sein, um Anerkennung unter Gleichaltrigen zu erlangen. Umgekehrt erhalten sie als Gruppenmitglieder Anerkennung und steigen im sozialen Status auf. Die Gruppen-zugehörigkeit wird meist offen zur Schau gestellt, z. B. durch gemeinsames Auftreten nach außen (Pinquart & Silbereisen, 2002, S. 875).
Darüber hinaus sind soziale Beziehungen entscheidend für die Entwicklung subjektiver Wellness, des Selbstkonzepts und einer psychosozialen Gesundheit (Brettschneider & Gerlach, 2004, S. 88 f.). Demnach bilden die soziale Integration, Kooperationsbereitschaft, Konfliktlösungsfähigkeit sowie die Anerkennung und Unterstützung von Freunden eine wichtige Basis kompetenten Sozialverhaltens.
Die situationsbezogene Überforderung, eine ungünstige Wahrnehmung und Reaktion auf soziale Situationen und ungünstige emotionale Prozesse können sich hingegen in einem sozial inkompetenten Verhalten äußern, wie beispielsweise Aggression oder Hyperaktivität. Aber auch eine motorisch nicht ausgereifte Entwicklung kann zu sozial auffälligem Verhalten führen.
Brettschneider & Gerlach haben herausgefunden, dass sich sportliche Kinder besser integrieren können, als andere Kinder, da sie leichter soziale Fähigkeiten entwickeln:
„Sportliche Aktivität kann als Möglichkeit gesehen werden, soziale Kontakte zu knüpfen, [...] Insgesamt verfügen Kinder, die sportlich aktiv sind, über positivere Persönlichkeitseigenschaften. Je niedriger das sportliche Talent ist, desto problematischer [ist] die [Bildung] der Persönlichkeit.“ (Brettschneider & G, 2004, S. 100 ff., 131).
Hingegen wird ein den sportlichen Anforderungen der Gruppe nicht entsprechendes Kind als Belastung angesehen und vernachlässigt oder sogar abgelehnt (Dordel, 1982 zit. n. Weineck, 2010, S. 484).
Gravierende Einflussfaktoren der Sozialisation im und durch Sport sind die soziale Herkunft, die Qualität der BeSS-Angebote im SV, die Gruppe gleichaltriger Bezugspersonen und die Familie. Besonders für Mädchen spielt nach Brand (2010, S. 76 f.) auch das Vorbild der Eltern eine große Rolle.
1.2.4 Bewegungsmangel: Risiken für Kinder und Jugendliche
Mangelt es an ausreichender Bewegung können für Kinder und Jugendliche gesundheitliche Risiken entstehen. Diese können durch individuelle Faktoren wie beispielsweise genetische Vorbelastungen noch verstärkt werden.
Im Zuge voranschreitender Technisierung wird den Kindern und Jugendlichen fast alle Arbeit und oft sogar die Fortbewegung genommen (vgl. Huber, 1988, S. 136). Gleichzeitig entsteht Stress, mit einem erhöhten Adrenalinausstoß. Dieses wird wegen Bewegungsmangel oft nicht mehr ausreichend abgebaut. Es kann sich sogar krankheitserregend auswirken. Weineck (2010, S. 488) äußert dazu: „Durch Bewegungsmangel kommt es zur Abnahme der Leistungsfähigkeit aller die organismische Gesamtleistungsfähigkeit sichernden Systeme“. Huber (1988, S. 136) geht sogar noch einen Schritt weiter und meint, dass jedes Organsystem, das nicht seiner Funktion entsprechend gefordert werde, mit der Zeit verkümmere. Auch Herz und Kreislauf würden durch ständige Nichtbelastung leistungsschwach und anfällig für Krankheiten (vgl. ebd.). Dies bekräftigen Thomas et. al. (2003, S.638) in ihren Untersuchungen.
In der Zeit ihrer Pubertät neigen Kinder und Jugendliche zu einem ohnehin labilen Kreislauf. Das wird durch Bewegungsmangel noch gefördert. Laut Huber (1988, S. 137) kann Bewegung diesem Umstand besser entgegen wirken als eine Medikation. Zudem wirkt sich die sportliche Betätigung leistungsfördernd auf Atmung und Lungenfunktion sowie auf die Adaption der Jugendlichen an ihren „neuen“ Körper aus.
Mit regelmäßigem Training verbessert sich die Leistungsfähigkeit, durch Mangel an sportlicher Bewegung verschlechtert sie sich und kann körperliche Defizite wie Haltungs- und koordinative Schwächen sowie schwächere Leistungen der Organe zur Folge haben (Weineck, 2010, S. 484 ff.). Haltungsschwächen und Haltungsfehler sind die Folge von schwindendem Muskelgewebe (Bachl, 1994, S, 116), die häufig Schmerzen in der Wirbelsäule, den Knien oder Füßen verursachen, aber auch passive Strukturen der Wirbelsäule belasten (vgl. Weineck, 2010, S. 490 f.).
Weineck (2010, S. 492 f.) führt weiter aus, dass Haltungsschäden durch Bewegungsmangel auch ursächlich für Schwächen der Organe sein können. Mit einer negativen Entwicklung der neuro-muskulären Steuerung entstehen zudem koordinative Schwächen. Diese führen zum Abbau von Gehirnzellen oder zu mangelhafter Verknüpfung der Verbindungen zentraler Nervenbahnen im Gehirn v. a. im früheren Kindesalter. Auch kann Bewegungsmangel Ursache vegetativer Störungen (z. B. Schlaflosigkeit) sein (vgl. Weineck, 2010, S. 493).
Eine außerordentlich große Rolle als Risikofaktor gesunder Entwicklung in der Jugend spielen Übergewicht und Adipositas (vgl. Reilly, 2003, S. 749). Sie führen zu funktioneller wie individueller Einschränkung, psychosozialer Beeinträchtigung und einer höheren Komorbidität im Vergleich zu normalgewichtigen Personen. Insbesondere psychosoziale Probleme, verursacht durch Diskriminierung und Stigmatisierung, können sich negativ auf Psyche und Lebensqualität der Jugendlichen auswirken (vgl. Puhl & Latner, 2007, S. 557 f.). Solche Probleme äußern sich beispielsweise in körperlicher Unzufriedenheit, Essstörungen und ungesunden Kontrollmaßnahmen zur Gewichtsreduktion (vgl. Neumark-Sztainer et al., 2002, S. 123 ff.), in schlechten schulischen Leistungen oder dem Abbruch der schulischen bzw. der beruflichen Ausbildung (vgl. Bethell et. al. 2010, S. 348 ff.).
Übergewicht und Adipositas von Kinder und Jugendlichen beeinträchtigen Gesundheit, Wohlbefinden und Leistungsfähigkeit dieser Personen im späteren Leben. Darauf weisen Längsschnittuntersuchungen hin (Whitaker et. al., 1997, S. 869). Übergewichtige und adipöse Jungen und Mädchen zeigen sich im Vergleich zu normalgewichtigen Gleichaltrigen in späteren Lebensphasen häufiger psychosozial benachteiligt. Das äußert sich z. B. in geringeren Schul- und Ausbildungsabschlüssen, einem geringeren Einkommen oder in instabileren Partnerschaften (vgl. Koletzko et. al., 2010, S. 667). Zudem weisen übergewichtige Jugendliche unabhängig vom späteren Gewicht ein erhöhtes Morbiditäts- und Mortalitätsrisiko auf (Blair & Brodney, 1999, S. 649 ff.).
In Deutschland wird seit 2003 eine Langzeitstudie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen (KiGGS) durchgeführt, allerdings fehlen kohärente Daten weiterer, repräsentativer Studien, so dass der Forschungsstand noch als unzureichend bezeichnet werden muss (vgl. z. B. Schulz et. al., 2010, S. 97 f.; Finne et. al. 2013, S. 561; Roth et. al 2008, S. 163 ff.; s.a. Kap. 1. 2.2 und 1.2.3). Jedoch ist es auf Basis der in KiGGS erhobenen Daten möglich, einen Überblick über den Gesundheitszustand adipöser und übergewichtiger Heranwachsender zu geben.
Schulsportunterricht reicht demnach nicht aus, um dem täglichen Bewegungsbedarf von Kindern und Jugendlichen zu entsprechen. Ganz im Gegenteil verschlechtern sich Haltungsschäden und andere auf Bewegungsmangel zurückzuführende Krankheiten während der Schulzeit. Wasermund-Bodensted & Braun (1983, S. 17, zit. n. Weineck 2010, S. 485) schlagen Alarm angesichts der Tatsache, dass negative Veränderungen der Körperhaltung schon zwei Jahre nach Schuleintritt erkennbar sind. Aktuelle Trends in den Schulen, die zu wenig Sportunterricht (SU) anbieten geben aufgrund der aktuellen Situation der Kinder und Jugendlichen zusätzlich Anlass zur Sorge.
Vor allem Ausdauersportarten wie Wandern, Laufen, Radfahren, Schwimmen, Rudern und Kanusport sind geeignet, Mängelerscheinungen des Herz-Kreislaufsystems entgegenzuwirken. Kraftsportarten wie Gymnastik, Karate und andere Budo-Sportarten, Tanzen, Alpin Ski und Reiten erzeugen die Kräftigung der Muskulatur als Bedingung der gesunden Haltung.Bei Sportarten, wie Volley- und Basketball, aber auch Tischtennis und Badminton liegt der Fokus auf der Sozialisation: Kinder und Jugendliche können Spaß haben und gleichzeitig den Zusammenhalt ihrer Freunde in der Gruppe empfinden (vgl. Bachl 1994, S. 121).
Gut geeignet, um dem drohenden Bewegungsmangel Jugendlicher vor allem in der Zeit des Drop-out-Phänomens entgegenzuwirken, sind Trendsportarten. In ihnen können die Jugendlichen ihren Körper in den Fokus rücken, können sich testen und damit ihre Konfliktfähigkeit steigern. Sie können sich selbst gestalten, sich durch den Sport definieren und so aus der Masse herausheben. Trendsport hilft ihnen dabei, sich von der Welt der Erwachsenen zu lösen, denn es gibt keine klar vorgegebenen Strukturen. Von Mode bis Medien – die Palette der Trendsportarten ist breit gefächert (vgl. Paletta, 2001, S. 90 f.).
1.3 Die Lebenswelt von Schulkindern
2006 wurde Johannes Rau, Schirmherr der Kampagne „Sport tut Deutschland gut“, in der Allgäuer Zeitung mit den Worten zitiert: “Wir leben in einer Zeit, in der die Gefahr besteht, dass manche schon das Klicken mit dem Zeigefinger auf der Tastatur des Computers oder der Fernbedienung für die lebhafteste Bewegung halten.“ Zwar mag mancher die Lage noch nicht so ernst sehen, doch sei die Frage erlaubt, wie es wirklich um unsere Schülerschaft bestellt ist?
Aktuellen Zahlen nach bewegen sich Kinder wieder etwas mehr als noch vor wenigen Jahren und weniger Erstklässler starten übergewichtig in die Schule. Ein Grund zum Aufatmen sei das aber nicht, kritisierte Woll vom Institut für Sport und Sportwissenschaft Karlsruhe gegenüber der Zeitschrift Der Spiegel (DER SPIEGEL, 2017, o. S.), denn die Kluft zwischen sehr fitten und recht unbeweglichen Kindern werde breiter und es gebe zunehmend motorisch auffällige Kinder. Diesbezüglich werden im nun gesellschaftliche Hintergründe beleuchtet, die zu dieser Situation mit einem mangelhaften Erscheinungsbild von Sport und Bewegung geführt haben.
1.3.1 Familienstrukturen und soziale Hierarchien: Bedeutung für den Sport
Die Familie ist die zentrale Instanz und der äußere Rahmen erster sozialer Erfahrungen im Kindesalter. Hier lernen Kinder, dass der Einzelne nicht schutzlos allem ausgeliefert ist und Lasten gemeinsam getragen werden. Durch das Erleben von Geborgenheit werden sie parallel behutsam an Toleranz, Verantwortungsbewusstsein und Rücksichtnahme herangeführt. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde von Lehrerinnen und Lehrern (LuL) die Halbtagsschule (HTS) gefordert und im Rahmen der Bildungspolitik auch eingeführt, weil man auf die Funktionsfähigkeit der Familien vertraute (vgl. Baumert et. al. 2008, S. 103).
Dollase (2000, S. 176) stellt fest, dass Eltern noch vor Vorbildern aus den Medien genannt werden, falls Kinder und Jugendliche überhaupt ein Leitbild verfolgen. Dass Eltern oft als Idol gelten ist auch wichtig, weil Entwicklungspsychologen die frühe Bindung zu wenigstens einer erwachsenen Person als Bedingung gesunder Entwicklung betrachten. Verhaltensweisen zum Umgang mit dem eigenen Körper, mit der Gesundheit, gesundheitlichen Störungen und dem eigenen Einfluss auf die Gesundheit werden dem Kind hier dargebracht und von ihm gelernt. Dies wird auch in den Ausführungen zur Beziehung zwischen Familie und Gesundheit von Kolip & Lademann (2006, S. 625) bekräftigt:
„Der Familie wird bei der Verhütung, Entstehung, Entwicklung und Bewältigung von Krankheiten eine zentrale Rolle zugesprochen. Die protektive Wirkung lässt sich auf unterschiedliche Faktoren zurückführen. So ist die Familie [...] eine bedeutende Quelle sozialer Unterstützung: Familienmitglieder geben Hilfen bei der Bewältigung emotionaler belastender Situationen und vermitteln ein Gefühl von Wertschätzung, Liebe und Zugehörigkeit, das sich positiv auf das Wohlbefinden auswirkt. Das Eingebundensein in eine Familie schützt mehr als alle anderen Sozialbeziehungen vor psychischen Störungen und auch bei anderen gesundheitlichen Beeinträchtigungen wirkt die Familie als protektiver Faktor.“ (vgl. ebd.).
In dieser Welt steter Zuwanderung von Kindern anderer Länder, einer steigenden Anzahl von Mehrverdienerhaushalten und der breiten Kluft in einer „Zweiklassengesellschaft“ können das Erleben früher in der Familie durchlebter Sozialisationserfahrungen heute in großen Teilen nicht mehr gesichert werden (vgl. Baumert et al., 2008, S. 101).
Noch dazu ändert sich der familiale Kontext stetig: Kleinfamilien bzw. Familien mit nur einem Elternteil nehmen zu. Neben der traditionellen Eltern-Kind-Familie treten immer mehr andere Formen von Familie auf. Und: Beinahe 20% aller Familien mit Kindern bis 10 Jahren haben nur ein Kind (vgl. Statistisches Bundesamt, 2018, o. S.). Spielkameraden, die früher wie selbstverständlich zur Verfügung standen, sind heutzutage rar geworden, so dass Kinder und Jugendliche oft auf sich allein gestellt sind. Jedoch brauchen Kinder den Umgang mit Gleichaltrigen mit denen sie sich streiten, versöhnen, gemeinsam spielen und eigene Regeln und Verhaltensweisen aushandeln können.
Auch die Rate der Alleinerziehenden ist um 8 % gestiegen: Waren es 2004 noch etwa 2,5 Mio. Kinder, die mit nur einem Elternteil im Haushalt lebten, stieg deren Zahl nur zehn Jahre später um 210.000 auf gut 2,7 Mio. Zwar steuert eine steigende Geburtenrate der ehemals sinkenden Kinderzahl entgegen, Grund zur Entwarnung ist das aufgrund der Kinderarmut in Deutschland aber nicht (vgl. Statistisches Bundesamt, 2016, S. 43 ff.).
Auch die den Familien zufallenden Aufgabenbereiche haben sich zum Teil maßgeblich verändert. Zerrüttete Strukturen und die Situation der Kinderarmut bringen den Verlust zur Fähigkeit der Funktionsübernahme in den Bereichen der Erziehung und Ausbildung mit sich: die Berufstätigkeit muss zur finanziellen Entlastung ggf. noch erweitert werden. Weniger Familienfreizeit wird verfügbar. Eltern können sich zunehmend weniger mit ihren Kindern beschäftigen. Das forciert den Bedarf weiterer Betreuungsformen für Kinder und Jugendliche. Vor allem der Betreuungsaspekt der GTS ist immer mehr in den Fokus geraten. In ihren flexiblen Bildungs- und Betreuungsangeboten wird eine Vereinbarung von Familie und Beruf gesehen. (vgl. Baumert et al., 2008, S. 103).
Eltern erwarten von GTA vor allem eine Entlastung durch den Wegfall von Schulaufgaben und damit verbundener familialer Konflikte, Hilfe bei Lernschwierigkeiten der Kinder und eine Anregung zu kulturellen Aktivitäten. Diese lassen sich sonst nur schwer mit den gegebenen Erwerbssituationen vereinbaren (vgl. Baumert et al., 2008, S. 104). Nach den Ergebnissen aus StEG zeichnet sich eine positive Bilanz mindestens in der „Balance von Beruf und Familie“ (Klieme et. al. 2011, S. 371) und in Bezug auf die Unterstützung durch die GTS bei Hausaufgaben und Erziehungsproblemen als Gewinn für Familien ab (vgl. ebd.). Keine Veränderungen ließen sich dagegen bezüglich der Aspekte von „Familienklima, [.] gemeinsame[r] Familienzeit und Familienaktivitäten“ (vgl. ebd.) feststellen.
Die Zahl der echten oder vermeintlichen „Problemkinder“ steigt, was auch dem Umstand geschuldet sein mag, dass Erziehung aktuell fast alleinige Elternsache ist. Erziehung in einer Groß- bzw. Mehrgenerationenfamilie mit der Weitergabe von Erfahrungen über mehrere Generationen hinweg, findet kaum noch statt. Überwiegend regiert das Eltern-Kind-Modell. Auch kirchliche Einflüsse sinken, da der Kirche nicht mehr derselbe Stellenwert von einst zugemessen wird.
Die Gesellschaft verändert sich. Soziologin Zeiher nennt dies ein „Verinseln“ der Kindheit und meint damit die Beschränkung des Aufenthalts von Kindern auf für sie bereitgestellte und beaufsichtigte Räume, so dass sie kaum eigene Erfahrungen sammeln können (vgl. Weinrich, 2004, o. S.). Die oft mit einer Individualisierung der Familien verwechselte Isolation der Kinder wächst, während die Solidarität und das Vertrauen in staatliche Institutionen sinken. Zeitgleich mit der Veränderung der Gesellschaft erfolgt also auch ein Wandel der Kindheit in ihr, verursacht durch die häufige Berufstätigkeit beider Eltern oder der Alleinerziehenden und die Gesellschaft, in der Konsum- und Statusdenken oft eine prioritäre Stellung einnehmen.
Erwähnung finden muss hier noch der Punkt der sozialen Schichtung der Nachfrage im Ganztag (GT): Während in höheren Schichten oft genügend finanzielle Mittel zur Versorgung der Kinder bei Engpässen der Betreuung oder schulischen Problemen zur Verfügung stehen, ist dies bei ärmeren Familien nicht der Fall. Daher entsteht besonders in Familien mit geringeren Einkommen eine rege Nachfrage nach Angeboten von Bildung und Betreuung und weiteren unterstützenden Angeboten (vgl. Baumert et. al. 2008, S. 102).
Zum Schluss lässt sich festhalten, dass sich nach den Ergebnissen aus StEG ein höherer Anteil Kinder aus unteren Schichten an Ganztagsangeboten (GTA) beteiligt. Dies lässt sich prinzipiell nicht innerhalb einer einzelnen Schule, sondern über alle Schulformen hinweg darstellen. Die soziale Schichtung der Einzelschule hinsichtlich der Teilnahme gestaltet sich jedoch eher homogen, d. h. es ist kein signifikanter Unterschied„schichtspezifischer Inanspruchnahme“nachweisbar (vgl. Züchner et. al., 2008, S. 122; s. a. Kap. 3.1).
1.3.2 Bewegungsverhalten
Veränderungen in der Umwelt von Kindern und Jugendlichen führen zu einem Verlust des natürlichen Bewegungsraumes. Bewegung findet nun, wenn überhaupt noch, im organisierten Sport statt, so dass von einer Institutionalisierung der Kindheit auszugehen ist. Damit kommt es auch zum Verlust der Gelegenheiten einer aktiven, selbst bestimmten Aneignung ihrer Umwelt und der Auseinandersetzung mit dem Selbst und der Peers in einer sozialen Gruppe.
Beim Beobachten typischer Tagesabläufe schulpflichtiger Kinder ist festzustellen, dass sich die kindliche Lebenswelt in dramatischen Ausmaßen von der Bewegungswelt zur sitzenden Welt gewandelt hat: Sitzen am Frühstückstisch nach dem Aufstehen, sitzend geht es danach mit Auto, Bus oder Zug zur Schule, brav sitzend verbringen sie den Großteil des Schultages. Sitzend sieht man sie beim Mittagessen und den Hausaufgaben. Sind alle Pflichten erledigt, bleibt den Kindern noch die Freizeit zum „Spielen“ im Zimmer –oft ebenfalls sitzend –, z. B. mit der Spielkonsole oder am PC (s. a. Kap. 1.3.3), bis nach dem Abendessen wieder zu Bett gegangen wird. Wo bleibt da die Bewegung?
Die Kinder und Jugendlichen in Deutschland finden aktuell eine veränderte Situation ihres natürlichen Lebensraumes vor: Seltener gibt es innerstädtische Bereiche zur freien Entfaltung von Bewegung. Grünflächen sind oft mit dem Hinweis „Rasen betreten verboten“ gekennzeichnet.
Ersatzweise werden künstlich gestaltete Spielräume für Kinder in Form begrenzter Spielplätze durch Erwachsene organisiert. Diese sind häufig funktionsbezogen geprägt und regen die Kreativität der Kinder nicht an, so dass sich die Möglichkeit zum Erkunden und Entdecken der Umwelt wiederum auf festgelegte Strukturen beschränkt. Wissenschaftler sprechen daher auch von der„Verhäuslichung“der Kinder und Jugendlichen und dem Rückgang einer„Straßenspielkultur“(vgl. Duecker, 1999, S. 190 ff.): Spielen auf Grünflächen wird untersagt, auf dem tristen und monotonen Spielplatz ist es oft schnell zu langweilig und auf bzw. an der Straße spielen ist aus Elternsicht vielfach ein No-Go: Eltern schaffen hier Restriktionen wegen gefährlicher Verkehrssituationen und stark gestiegenem Verkehrsaufkommen (vgl. Hurrelmann & Bründel, 2003, S. 179 ff.).
Früher wurde die Umwelt von Kindern zum weiten Spektrum kreativer Bewegungsideen viel genutzt. Auch natürliche Ressourcen für das heimatliche Basteln zu sammeln gehörte in jene Epoche. Heute werden diese Aktivitäten von unserer Jugend immer weniger erfahren und nur noch selten sind Jugendliche im öffentlichen Raum dabei zu beobachten, wie sie spielerisch allein oder mit Gleichaltrigen körperliche Fähigkeiten austesten. Aufgrund des technischen Wandels in der Gesellschaft, dem unsere Jugend zwangsläufig unterliegt, findet kreatives Bewegungshandeln nur noch in begrenzten Ausmaßen statt
Spielen im Freien darf nur noch selten und möglichst unter Aufsicht der Eltern stattfinden, da Eltern befürchten, ihren Kindern könne etwas zustoßen. Gleichzeitig gibt es aber mit den veränderten Lebensbedingungen (s. Kap. 1.3.1) auch nicht mehr die Möglichkeit, die Kinder in ausreichendem Maße zu schulen, so dass sie sich frei und vertrauensvoll innerhalb des offenen Verkehrs im häuslichen Wohngebiet bewegen könnten.
„Zu dick, zu träge, zu unbeweglich“ lautet eine vernichtende Schlussfolgerung von Kotlorz (2000, o. S.). „Kinderhaltung ist nicht mehr artgerecht“ titelte dazu die Stuttgarter Zeitung am 21.10.2004 und beschrieb danach weiter unsere überwiegend sitzende, sich durch Kalorien-bomben ernährende und bewegungsresistente Jugend. Die Situation sei bedenklich, attestieren Sportwissenschaftler und Kinderärzte (vgl. Finger, 2018, S. 4 ff.) bereits seit über zehn Jahren die Bewegungsarmut der Kinder und Jugendlichen in Deutschland.
Nach Ansicht der WHO liegt die Empfehlung für Kinder und Jugendliche bei einem Minimum von 60 Minuten täglicher Bewegung. Diese empfohlene Dauer wird jedoch nur von 22,4 % der Mädchen und 29,4 % der Jungen zwischen 3 und 17 Jahren in Deutschland erreicht, wobei die geringsten Werte von 14- bis 17-jährigen Jugendlichen zustande kommen (Finger et. al., 2018, S. 26) während Kinder der jüngeren Gruppierungen noch am ehesten die Empfehlungen der WHO vollenden (Finger 2018, S. 19).
Es ist eine gesellschaftliche Herausforderung, die es zügig zu lösen gilt: Noch immer gibt es zu viele adipöse oder motorisch benachteiligte Kinder und Jugendliche. Das ist aufgrund der Technisierung der modernen Gesellschaft und schwindender Bewegungsräume kein Wunder. Auf Schulkinder wirken sich diese Veränderungen jedoch massiv aus. Sie reagieren mit Nervosität, Zappeligkeit und Konzentrationsverlust (vgl. Kap. 1.2.4).
Wie oben erwähnt, ist körperliche Bewegung die beste Gesundheitsprävention. Sie wirkt sich positiv auf Kraft und Koordinationsfähigkeit aus (s. Kap. 1.2.1 f.). Regelmäßiges Sporttreiben dient der körperlichen und geistigen Fitness und der Verringerung von Übergewicht und Verletzungsgefahren durch eine gestärkte Muskulatur. Viele Eltern haben wenig Verständnis für das kindliche Spiel- und Bewegungsbedürfnis und sind meist verärgert, wenn Kinderlärm aus dem nachbarlichen Garten dringt. Ihnen kommt aber gerade hier eine signifikante Vorbildfunktion zu. Ergebnisse der WIAD-Studie (Klaes, 2003, o. S.) weisen darauf hin, dass Kinder Sport treibender Eltern häufiger und selbstverständlicher eigenen sportlichen Aktivitäten nachgehen als Kinder sogenannter „Stubenhocker“. Die Zunahme der mit dem Auto zur Schule gebrachten Kinder lässt schon lange eine Verschlechterung der Situation befürchten. Das scheint sich durch jüngste Daten zu bewahrheiten (vgl. Finger 2018, S. 10).
Sportwissenschaftler, Fachdidaktiker und das Lehrerkollegium des SU fordern daher schon lange mehr sportliche Bewegung und weniger fachfremden Unterricht in der Schule. Kinder und Jugendliche brauchen Bewegung, weswegen gerade der Schulsport so wichtig ist. Nur noch im SU müssen sich alle Schülerinnen und Schüler bewegen, weil der Lehrplan es ihnen vorschreibt. Die GTS-Entwicklung und das entsprechende schulsportliche Angebot kommen einer Lösung des Problems zwar entgegen, dennoch ist die Bewegungsarmut der deutschen Jugend auch in den letzten vier Jahren noch um 5,5 % gestiegen (vgl. Finger et. al. 2018, S. 27).
1.3.3 Medienkonsum
Kinder benötigen die Möglichkeit der selbstständigen Auseinandersetzung mit ihrer Umwelt. Mittlerweile verbringen sie dabei allerdings bis zu zwei Drittel ihrer Freizeit in der medialen Umwelt mit stark beschränktem Bewegungshandeln, wodurch Bildungs- und Erziehungs-Einflüsse aus realen Erfahrungen in der Natur und der häuslichen Umgebung zurückgedrängt werden (vgl. Finger 2018, S. 8 ff.).
Eltern sorgen zunehmend für eine Ausstattung ihrer Kinder mit modernen Kommunikations- Medien. Daten der JIM-Studie11belegen: Der Markt deutscher Haushalte ist hinsichtlich des Medienbesitzes zu fast 100% gesättigt. Smartphone, PC oder Laptop und Internetanschluss sind in deutschen Familien die Regel. Was den eigenen Besitz der Jugendlichen betrifft, dominiert mit fast 100 % das Smartphone als multimediales Gerät, hinter dem anderes technisches Equipment oft deutlich zurücksteht: Den Laptop oder PC besitzen noch 69% der Jugendlichen, eine eigene Spielkonsole ist bei zwei Dritteln der Befragten vorhanden (vgl. mpfs, 2017, S. 8 f.).
Auch die Versorgung mit schnellen Datenleitungen bis ins Kinderzimmer wächst, während der persönliche Kontakt zu Gleichaltrigen wegen Zeitmangels schrumpft. Manspieltund kommuniziert nunonline, Bewegungshandeln reduziert sich (s. o.) auf die Bewegung der Finger auf Tastatur und Maus bzw. dem Touchpad des Smartphone.
Die kindliche Erlebniswelt wird immer stärker durch multimediale Technik geprägt und begleitet. In ihr erleben Kinder auch eine Über-Stimulation der angesprochenen Sinne und Erfahrungen, während Anregung in emotionaler, sozialer und motorischer Hinsicht fehlt. Meist treten PC und Fernseher an Stelle der Eltern, die neben dem beruflichen Alltag nicht mehr die Kraft finden, dem Nachwuchs die geeignete Erziehung angedeihen zu lassen (s. a. Kap. 1.3.1).
Die zur Entwicklung des Selbstvertrauens Heranwachsender so wichtige Wirksamkeit eigenen Handelns wird durch das Betätigen von Hebeln und Tasten erfahren, durch PC-Spiele wird die Illusion einer beherrschbaren Welt vorgegaukelt. Die kindlichen Erfahrungen werden geprägt durch die multimedialen Eindrücke aus „zweiter Hand“, die nicht selbst erlebt wurden, sondern durch die Medien vorgegeben sind.
Der dargestellte Medienkonsum fördert einerseits die überwiegend statische Körperhaltung.Andererseits werden z. B. mit Computerspielen Zustände psychischer Erregung und erhitzter Emotionen erzeugt. Vielspieler reiben sich über Monate oder sogar Jahre hinweg zu psycho-motorisch maximaler Leistung auf, was zu starker Belastung des Bewegungsapparates führt. Außerdem kommt es nicht selten zu auffälligem Verhalten wie Hyperaktivität und Konzentrationsschwäche, Schlafstörungen und einer insgesamt niedrigeren Belastungsgrenze (s. a. Kap. 1.2.4 &Kap. 1.3.2).
Grönemeyer (2006, S. 43 ff.) stellt Fernsehen und PC als Feinde unseres Rückens dar: Sie sorgen für einen Verlust des natürlichen Bewegungsdrangs von Kindern und Jugendlichen. Diese säßen sehr viel vor PC und Fernsehschirm und nähmen aufgrund der Konzentration von Augen und Gehirn oft eine einseitige Haltung ein. Daher bilden Schultern und Brustkorb eine Art Block, mit dem die Drehfähigkeit von Nacken und Oberkörper abgeschwächt werden und der Atem flacher wird. Dies sei der Beginn von Nacken-, Schulter- und Kreuzschmerzen und dem Hochziehen der Schultern als typischer Abwehrhaltung.
Insgesamt zeigt sich eine Abnahme regelmäßigen Sporttreibens im Alltag, während die Nutzung von Multimedia vor allem bei älteren Jugendlichen eine sehr große Rolle spielt (vgl. mpfs, 2017, S. 8 ff.). Es hat sich gezeigt, dass Jugendliche Video- und Computerspiele zur Überbrückung von (frei-)zeitlichen Lücken nutzen, wenn Freunde (gerade) nicht verfügbar sind. Sitzende, starre Tätigkeiten sind Folge des Ersetzens von Bewegungshandlungen durch multimediale Beschäftigung. Gespielt wird überwiegend in geschlossenen Räumen. Bewegungsgelegenheiten in der Natur werden nicht genutzt, da die Natur als „zu weit weg“ oder zu gefährlich empfunden wird. Die gesundheitliche Last der Gesellschaft steigt. Und erneut gilt die Annahme, dass gut gestaltete Sportkooperationen eine Lösung dieser gesellschaftlichen Herausforderung sein können.
2 Die Situation der Sportvereine in Deutschland
Nachdem in Kapitel 1 der theoretische Hintergrund von Gesundheit und der allgemeinen Bedeutung von Bewegung im Alltag der Schulkinder geschaffen wurde, folgt nun über die Einordnung des organisierten Sports in die gesellschaftliche Struktur Deutschlands der Einstieg in die eigentliche Thematik. Typische Merkmale und die Leitideen der Vereinsarbeit werden dargestellt. Eine signifikante Bedeutung wird hierbei vor allem dem Vergleich und der Herausarbeitung von Gemeinsamkeiten der SV mit der Institution Schule zugemessen.
Nach Breuer und Feiler (2017, S. 5) erweisen sich SV als stabile und anpassungsfähige Elemente eines zunehmend raschen gesellschaftlichen Wandels. Neueste Befunde des Sport-entwicklungsberichts zeigen ein besseres Zurechtkommen mit demographischem Wandel und offenem GT.12
2.1 Historischer Überblick der Entwicklung von Sportvereinen
Eine vollständige Darstellung der Entwicklungsgeschichte des SV in Deutschland würde den Rahmen der vorliegen Arbeit überschreiten und wird daher nicht als sinnvoll erachtet. Vielmehr werden die historisch bedingten Akzente des Turn- und Sportvereins gezeigt.
Das Vereinswesen in Deutschland entwickelte sich parallel zum Entstehen des Turnens zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Spiele und Übungen in der ersten Turnplatzgemeinde des „Turnvaters“ Friedrich Ludwig Jahn in Berlin legten den Grundstein für Turnen, Spiel und Sport in Schule und SV in Deutschland (vgl. Krüger, 1997, 54 f.). Vorrangiges Ziel waren nicht bloße Körperübungen, sondern es ging im Turnen „um Gesundheit des Leibes, Bildung des Körpers, Abhärtung, Stärke und Geschick, Gegenwart des Leibes und Mut in Gefahren, zugleich aber und gleich wichtig, um intellektuelle und sittliche Bildung“ (vgl. Heinemann, 2007, S.90).
Da Verbindungen zu ketzerischen und nationalistischen Ideen befürchtet wurden, war das öffentliche Turnen in den Jahren 1820 bis 1842 verboten. Erst ab 1860 setzte sich ein steter Vorwärtstrend der Turnerschaft fort. Man begann, die Turngruppen als „Vereine“ zu bezeichnen, die nicht nur körperliche Ertüchtigung zum Zweck hatten. Den Mitgliedern bot sich dort Gelegenheit zu politischem Engagement im Schutze der so genannten Gesangs- oder Bildungsvereine. Durch Mitgliederzuwachs und Neugründung von Gruppen mehrten sich außersportliche Aktivitäten, in denen sich auch Werte und Überzeugungen der Mitglieder zeigten. Durch gemeinsame Ausflüge und Feste, sowie die Ausübung von sozialem Engagement und Solidarität verstanden sich die Mitglieder der Gruppen zunehmend als „Gemeinschaften gleicher Gesinnung“ (vgl. ebd. S. 90 f.).
[...]
1Diese Region wurde aufgrund der Wohnortlage der Autorin gewählt, die ein persönliches Interesse belegt. Die Ergebnisse sind in weiten Teilen auch auf Ganztagsangebote anderer Bundesländer, z.B. Bremen, übertragbar, nicht aber auf die GTS Bremens, da dort v.a. die gebundene GTS vorherrscht.
2Mit dieser Studie befasst sich insbesondere Kapitel 3.1; zu StEG s. a. www.projekt-steg.de.
3Salus, lat.: Unverletztheit, Heil, Glück.Genese, griech.; Entstehung.
4Mit der Bezeichnung wird auf die immer durch Lebenserfahrungen beeinflusste, sich stets umformierende Grundeinstellung zum Leben hingewiesen, während ihre Ausprägung wiederum auf die Art der Lebenserfahrungen einwirkt. Dies führt meist zu einer Bestätigung und also einer Stabilisation der Grundhaltung durch die Lebenserfahrungen. Vgl. Bengel, Strittmatter und Willmann (2002)., o.S.
5Kohärenz bedeutet Zusammenhang, Stimmigkeit.
6Gemeint sind individuelles Verhalten und kollektive Rahmenbedingungen wie Familie / soziale Beziehungen.
7Beispielsweise Wohnraum, Bildung, Ernährung, u.a.
8Betrachtet wird die zu bewegende Masse – das kann der eigene Körper sein (z. B. beim Laufen), nur ein Körperteil, ein Partner, Gegner, oder auch ein Gerät.
9Ziel der international angelegten Studie ist die Erforschung der veränderten kognitiven Lernleistung von Kindern des zweiten Jahrgangs mit und ohne additiven grundmotorischen Sportunterricht des Karatesports über die Dauer von einem Jahr mit Hilfe wiederholter kognitiver und Motoriktests unter Bezugnahme auf die schulisch bewerteten Lernleistungen.
10Die Begriffe Wellness, Wohlergehen, Wohlbefinden, Wohlsein, Wohlgefühl werden synonym verwendet.
11In der JIM-Studie ‑ JIM steht dabei für Jugend, Information und (Multi-)Media – werden seit 1998 Jugendliche zwischen 12 und 19 Jahren zu ihrer Nutzung von Medien befragt.
12Der Sportentwicklungsbericht wurde in bisher sechs Wellen erhoben, zuersst im Zeitraum 2005/2006. Durch ihn liegen erstmals systematische Werte zur Entwicklung der SV in Deutschland vor (Breuer und Feiler (2017, S.36).
- Citation du texte
- M.Ed. Sonja Wendel (Auteur), 2018, Vereinssport und Bewegung in der Ganztagsschule. Bestandsaufnahme, Probleme, Herausforderungen und Chancen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/461704
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