„[D]enn der Bolschewismus ist eine Gegenkirche, welche die Kirche Christi immer mehr verdrängen will. Er hat das Ziel, sie vollständig überflüssig zu machen und sich an ihre Stelle zu setzen.“ – schrieb Waldemar Gurian in seinem richtungsweisenden Buch über den Bolschewismus von 1931. Eines der ersten seiner Art in Deutschland, ja in der westlichen Welt, in dem das bolschewistische Herrschaftssystem als eine Verkörperung des totalen Staates aufgefasst wurde. Neben den Formeln, die sich für die Ausbildung eines späteren Totalitarismusbegriffes als äußerst fruchtbar erwiesen, scheint mir auch das Konzept der Politischen Religionen bereits greifbar angelegt zu sein. Den Spuren des späteren Konzeptes des Diktaturvergleiches im Frühwerk Waldemar Gurians nachzugehen, ist Ziel dieser Hausarbeit. Angeregt wurde es durch die eher spärliche Rezeption Gurians in der gegenwärtigen Totalitarismusforschung. Führt er doch eher ein Schattendasein neben den Koryphäen der Totalitarismustheorie wie Hannah Arendt oder Carl Joachim Friedrich. Auch Ausführungen, die ihn mit der Attitüde „Urheber der deutschen Totalitarismusforschung“ versehen, zumal wenn sie sich auf einige wenige Zeilen beschränken, können darüber nicht hinwegtäuschen. Ein kurzer biographischer Abriss, eine Begriffsbestimmung und die Modernitätskritik Waldemar Gurians werden das Bild der Arbeit abrunden.
Aufsätze, Rezensionen, Vorträge und Monographien – das Œuvre des Publizisten Gurian ist weit verstreut. Ohne größere Probleme zugänglich sind die deutschsprachigen Ausgaben seiner Werke, für seine englischsprachigen Publikationen nach dem Wechsel aus der Emigration der Schweiz in die USA gilt dies jedoch nicht. So werde ich mich im folgenden auf das Frühwerk Waldemar Gurians, und hier vor allem auf sein Bolschewismusbuch von 1931, konzentrieren. Sowohl für das Spätwerk als auch für die Vita Waldemar Gurians sei an dieser Stelle auf die ausführliche Monographie von Heinz Hürten mit seiner umfangreichen Bibliographie verwiesen.
Inhalt
1 Einführung
2 Biographie und Begriffsklärung
2. 1 Waldemar Gurian – Ein kurzer biographischer Abriss
2. 2 Das Konzept der Politischen Religionen
2. 3 Das Frühwerk Waldemar Gurians
3 Das Bolschewismusbuch von 1931
3. 1 Der Bolschewismus. Einführung in Geschichte und Lehre.
3. 2 Spurensuche – Das Konzept der Politischen Religion bei Waldemar Gurian
3. 3 Modernitäts- und Gesellschaftskritik Waldemar Gurians
4 Schlussbetrachtungen
5 Quellenverzeichnis
6 Literaturverzeichnis
1 Einführung
„[...] [D]enn der Bolschewismus ist eine Gegenkirche, welche die Kirche Christi immer mehr verdrängen will. Er hat das Ziel, sie vollständig überflüssig zu machen und sich an ihre Stelle zu setzen.“[1] – schrieb Waldemar Gurian in seinem richtungsweisenden Buch über den Bolschewismus von 1931[2]. Eines der ersten seiner Art in Deutschland, ja in der westlichen Welt, in dem das bolschewistische Herrschaftssystem als eine Verkörperung des totalen Staates aufgefasst wurde.[3] Neben den Formeln, die sich für die Ausbildung eines späteren Totalitarismusbegriffes als äußerst fruchtbar erwiesen, scheint mir auch das Konzept der Politischen Religionen bereits greifbar angelegt zu sein. Den Spuren des späteren Konzeptes des Diktaturvergleiches im Frühwerk Waldemar Gurians nachzugehen, ist Ziel dieser Seminararbeit. Angeregt wurde es durch die eher spärliche Rezeption Gurians in der gegenwärtigen Totalitarismusforschung. Führt er doch eher ein Schattendasein neben den Koryphäen der Totalitarismustheorie wie Hannah Arendt oder Carl Joachim Friedrich. Auch Ausführungen, die ihn mit der Attitüde „Urheber der deutschen Totalitarismusforschung“[4] versehen, zumal wenn sie sich auf einige wenige Zeilen beschränken, können darüber nicht hinwegtäuschen. Ein kurzer biographischer Abriss, eine Begriffsbestimmung und die Modernitätskritik Waldemar Gurians werden das Bild der Arbeit abrunden.
Aufsätze, Rezensionen, Vorträge und Monographien – das Œuvre des Publizisten Gurian ist weit verstreut. Ohne größere Probleme zugänglich sind die deutschsprachigen Ausgaben seiner Werke, für seine englischsprachigen Publikationen nach dem Wechsel aus der Emigration der Schweiz in die USA gilt dies jedoch nicht. So werde ich mich im folgenden auf das Frühwerk Waldemar Gurians, und hier vor allem auf sein Bolschewismusbuch von 1931, konzentrieren. Sowohl für das Spätwerk als auch für die Vita Waldemar Gurians sei an dieser Stelle auf die ausführliche Monographie von Heinz Hürten[5] mit seiner umfangreichen Bibliographie verwiesen.
2 Biographie und Begriffsklärung
2. 1 Waldemar Gurian – Ein kurzer biographischer Abriss
Geboren wurde Waldemar Gurian am 13. Februar 1902 als Sohn jüdischer Eltern in St. Petersburg. Schon früh, 1911, nach Deutschland gekommen, wurde er nach Konversion der Mutter katholisch getauft und erzogen. In Breslau promovierte Gurian bei Max Scheler zum Doktor der Philosophie. Ab 1924 nahm ihn seine Tätigkeit als freier Schriftsteller vollständig in Anspruch. Schriftsteller zu sein, hieß für ihn, ein Verhältnis zur Zeit zu haben.[6] Mit seinem Erstlingswerk „Die politischen und sozialen Ideen des französischen Katholizismus 1789/1914“[7] wuchs Gurian zum politischen Schriftsteller heran. „Der Bolschewismus“, seine große gesellschaftsgeschichtliche Analyse des russischen Regimes wurde noch im Erscheinungsjahr in einer zweiten Auflage herausgegeben und in mehrere europäische Sprachen übersetzt. 1934, ein Jahr nach der nationalsozialistischen Machtübernahme, emigrierte er in die Schweiz und gab hier zusammen mit Otto Knab die „Deutschen Briefe“ heraus, die sich der Berichterstattung über die Vorgänge im ‚Dritten Reich’ widmeten. In der Schweiz erschien der erste umfangreichere Vergleich totalitärer Systeme überhaupt, das Buch „Bolschewismus als Weltgefahr“[8]. Kurz darauf, 1937, erreichte ihn der Ruf an die Universität Notre-Dame in Indiana/USA. Mit der Gründung der Review of Politics und der Leitung des Forschungszentrums Committee on International Relations wurde Waldemar Gurian zu einer maßgeblichen Schlüsselfigur[9] im Austausch der Konzepte und Theorien des Totalitarismus. Seine letzte größere Arbeit zu den totalitären Systemen war die Publikation „Bolshevism. An Introduction to Soviet communism.“[10] Er starb am 26. Mai 1954 während eines Erholungsaufenthaltes in South Haven am Michigansee.
2. 2 Das Konzept der Politischen Religionen
Bereits 1623 beschrieb Tommaso Campanella in seiner utopischen Schrift „Sonnenstaat“[11] ein Staatensystem, das sich auf der Basis einer politischen Religion gründete. Nannte er hier den Begriff noch nicht wörtlich, so sprach er dann in seiner Metaphysik von 1638 von einer religio politica und stand damit am Beginn der Begriffsbildung: ‚Politische Religion’.[12] Wir stoßen also bereits sehr früh auf eine Anwendung und Verwendung des Bildes zur Kennzeichnung des Verhältnisses von Politik und Religion in der Neuzeit.
Der Politikwissenschaftler und Philosoph Eric Voegelin brachte 1938 grundlegende Gedanken zu Konzept und Begriff politische Religion in seiner Schrift „Die politischen Religionen“[13] zum Ausdruck. Er entwarf darin eine universalgeschichtliche Deutung der politischen Religionen von der ägyptischen Antike, über Hobbes´ „Leviathan“[14], dem Bild „jenes sterblichen Gottes“[15], der in sich staatliche und kirchliche Macht vereinigt, bis hin zu seiner Zeit der totalitären Gewaltregime. In den politischen Religionen erkannte Voegelin eine auf das Diesseits bezogene Rationalität, die in der Vollendung der Vernunft ihr Ziel hat. Durch die Verabsolutierung der innerweltlichen Ziele wird die Erlösung diesseitig geschaffen – eine vollkommene Menschheit im Diesseits, das Paradies auf Erden. Raymond Aron, französischer Philosoph und Soziologe, sprach bei der Deutung politischer Massenbewegungen überwiegend von säkularen Religionen. Sie steigern die politische Sphäre ins Religiöse und sind damit Imitate traditioneller Religionen. Insbesondere auf den religiösen Charakter der totalitären Regime ging Aron ein. Während sein Konzept jedoch in der Tradition liberaler Totalitarismuskritik stand, er verwendete den Religionsbegriff in religionskritischer und aufklärerischer Absicht, wurzelten Voegelins Positionen in einer christlichen Anthropologie.[16] Nach Hannah Arendt sind totalitäre Bewegungen dezidiert esoterische Bewegungen nach dem Prinzip: ‚Ausgeschlossen ist, wer nicht eingeschlossen ist’ – eine eher kirchensoziologische Deutung. Das bolschewistische Regime erreichte den Aus- bzw. Einschluss durch die periodisch stattfindenden ‚Säuberungen’, während die nationalsozialistische Bewegung die Deutschen mit dem Ariernachweis zu Eingeweihten machte, denen eine imaginäre Masse von Ausgeschlossenen, die Juden, gegenüberstand.[17] Die Beschreibung und Analyse moderner politischer Bewegungen mit Hilfe religiöser Kategorien, ist das Ergebnis der religionsphilosophischen und -phänomenologischen Forschung[18], die als Momente der religiösen Erfahrung das faszinierend Erschreckende, das Schauervolle und das Unheimliche als soziale Dimension neuentdeckte.
Treten damit jedoch nicht die technischen Aspekte totalitärere Bewegungen, ihr Machterwerb, ihre Machtbehauptung und Machtausübung zurück und verlieren an Bedeutung? Müssen wir nicht auch die Maschinerie des Terrors und die Logik der Macht erklären und interpretieren? In meinen Augen ist für die Analyse und Erklärung moderner despotischer Herrschaft deshalb eine Kombination[19] der Konzeptionen des Totalitarismus (Macht, Gleichschaltung, Terror) und der Politischen Religionen (Psychologie, Soziologie, Legitimierung) am aussichtsreichsten.
[...]
[1] Gurian, Waldemar: Der Bolschewismus, Freiburg 1931, S. 206.
[2] Ebd.
[3] Hürten, Heinz: Waldemar Gurian (1902-1954), in: Morsey, Rudolf (Hrsg.): Aus dem deutschen Katholizismus des 20. Jahrhunderts. Zeitgeschichte in Lebensbildern, Band 2, Münster 2000, S. 114-124 [116f.].
[4] Maier, Hans: »Totalitarismus« und »Politische Religionen«. Konzepte des Diktaturvergleichs, in: Jesse, Eckhard (Hrsg.): Totalitarismus im 20. Jahrhundert. Eine Bilanz der internationalen Forschung (= Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung, Band 336), 2. erw. Auflage, Bonn 1999, S. 118-134 [122].
[5] Hürten, Heinz: Waldemar Gurian. Ein Zeuge der Krise unserer Welt in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, Mainz 1972.
[6] Hürten, Gurian, (wie Anm. 5), S. 31.
[7] Gurian, Waldemar: Die politischen und sozialen Ideen des französischen Katholizismus 1789/1914, M. Gladbach 1929.
[8] Gurian, Waldemar: Bolschewismus als Weltgefahr, Luzern 1935.
[9] Maier, »Totalitarismus«, in: Jesse, Totalitarismus, (wie Anm. 4), S. 122.
[10] Gurian, Waldemar: Bolshevism. An Introduction to Soviet communism, Notre-Dame/Ind. 1952.
[11] Campanella, Tommaso: Sonnenstaat, in: Heinisch, Klaus J. (Hrsg.): Der utopische Staat, Reinbek bei Hamburg 1998, S. 111-169.
[12] Seitschek, Hans Otto: Frühe Verwendungen des Begriffs „Politische Religion“: Campanella, Clasen, Wieland, in: Maier, Hans (Hrsg.): Totalitarismus und Politische Religionen. Deutungsgeschichte und Theorie, Band 3, Paderborn 2003, S. 109-120 [109].
[13] Voegelin, Eric: Die politischen Religionen, hrsg. von Opitz, Peter J., München 1993.
[14] Hobbes, Thomas: Leviathan, hg. von Iring Fetscher, Frankfurt am Main 1998.
[15] Ebd., S. 134.
[16] Maier, Hans: ‚Politische Religionen’ – Möglichkeiten und Grenzen eines Begriffes, in: Maier, Hans (Hrsg.): Totalitarismus und Politische Religionen. Konzepte des Diktaturvergleichs, Band 2, Paderborn 1997, S. 299-310 [305].
[17] Maier, »Totalitarismus«, in: Jesse, Totalitarismus, S. 125.
[18] Maier, Politische Religionen, in: Maier, Totalitarismus, (wie Anm. 16), S. 306.
[19] Verwiesen sei auf die Sammelbände der Tagung „Politische Religionen. Forschungskonzept – Ergebnisse – offene Fragen“ vom 24.-26. März 1996 in der Akademie für Politische Bildung Tutzing: Maier, Hans (Hrsg.): Totalitarismus und Politische Religionen, Band 1-3, Paderborn 1996, 1997, 2003.
- Arbeit zitieren
- Matthias Rekow (Autor:in), 2004, Politische Religionen - Spuren des Konzeptes im Frühwerk Waldemar Gurians, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/45994
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