Das Postkorbverfahren erfreut sich in der Praxis aufgrund seiner augenscheinlichen Validität als eignungsdiagnostisches Instrument seit nunmehr rund 50 Jahren großer Beliebtheit. Die häufige Verwendung als Personalauswahlverfahren und teilweise auch als Weiterbildungsverfahren durch Unternehmen und andere Organisationen steht im Kontrast zu einer bis heute mangelnden wissenschaftlichen Validierung des Verfahrens. Zudem kommen die veröffentlichten Arbeiten, die es seit Entstehung der Methode, vor allem aus dem amerikanischen Raum, gibt, zu teilweise divergierenden Ergebnissen. Nach heutigem Kenntnisstand sieht die Mehrzahl der Autoren die Objektivität des Postkorbverfahrens in Form der Durchführungs- und Auswertungsobjektivität gewährleistet. Hinsichtlich der Reliabilität fällt das Urteil schlechter aus. In Bezug auf die Validität muss zwischen den verschiedenen Validitätskonzepten unterschieden werden. Eine Konstruktvalidität im Sinne der psychometrischen Tradition ist nicht gegeben. Die prädiktive Validität, die für die Praxis das essentielle Kriterium darstellt, ist im Zusammenhang mit einer Reihe von Erfolgsparametern nachgewiesen. Die inhaltliche Validität ist ebenfalls zufrieden stellend. Die Forschung steht jedoch vor der Herausforderung, für die Praxis Methoden zu entwickeln, die die Konstruktion reliabler und inhaltlich valider Postkorbübungen rationalisieren. Diesbezüglich haben sich bereits zwei Erkenntnisse etabliert. Erstens muss eine Postkorbübung für eine bestimmte Zielposition in einer Organisation spezifisch und strukturiert konstruiert werden. Und zweitens ist das Training der Beobachter, welches zu einem einheitlichen Verständnis der Bewertungsparameter führt, essentiell für eine hinreichende Reliabilität und Validität. Diese Empfehlungen an die Praxis gehen einher mit einer reduzierten organisationalen Effizienz des Postkorbverfahrens. Auch die Digitalisierung des Verfahrens hat den Zielkonflikt zwischen Effizienz- und Qualitätsaspekten noch nicht entschärft. Deswegen sollte über die Verwendung des Postkorbverfahrens in Assessment Centern fallweise entschieden werden.
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1 Abstract
2 Einleitung
2.1 Definition
2.2 Funktionsweise des Verfahrens
2.3 Beurteilungskriterien der Postkorbübung
2.4 Historischer Hintergrund
2.5 Relevanz
3 Analyse des wissenschaftlichen Kenntnisstandes zum Verfahren
3.1 Eingliederung in den Kontext der Berufseignungsdiagnostik
3.2 Theoretische Grundlagen aus der Pädagogik, Psychologie und Testtheorie
3.3 Darstellung der empirischen Basis
3.4 Objektivität, Reliabilität und Validität des Verfahrens
4 Bewertung und Implikationen
4.1 Einsatzmöglichkeiten und Grenzen des Verfahrens
4.2 Erfolgsfaktoren für das anwendende Unternehmen
4.3 Erfolgsfaktoren für den individuellen Teilnehmer
5 Konklusion
5.1 Zusammenfassung und Fazit
5.2 Weiterer Forschungsbedarf
6 Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Beurteilungskriterien der Postkorbübung (vgl. Nielsen, 1995; Musch, Rahn & Lieberei, 2001; Thornton & Byham, 1982; etc.)
Abbildung 2: Anforderungen an den Teilnehmer beim schriftlichen Teil (vgl. Hesse & Schrader, 1994, S. 98 ff.)
Abbildung 3: Anforderungen an den Teilnehmer beim Interview (vgl. Hesse & Schrader, 1994, S. 98 ff.)
Abbildung 4: Matrix zur Strukturierung der Postkorbdokumente
Abbildung 5: Fragestellungen als Hilfe bei der Postkorbbearbeitung (vgl. Hesse & Schrader, 1994, S. 102 f.)
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1 Abstract
Das Postkorbverfahren erfreut sich in der Praxis aufgrund seiner augenscheinlichen Validität als eignungsdiagnostisches Instrument seit nunmehr rund 50 Jahren großer Beliebtheit. Die häufige Verwendung als Personalauswahlverfahren und teilweise auch als Weiterbildungsverfahren durch Unternehmen und andere Organisationen steht im Kontrast zu einer bis heute mangelnden wissenschaftlichen Validierung des Verfahrens. Zudem kommen die veröffentlichten Arbeiten, die es seit Entstehung der Methode, vor allem aus dem amerikanischen Raum, gibt, zu teilweise divergierenden Ergebnissen. Nach heutigem Kenntnisstand sieht die Mehrzahl der Autoren die Objektivität des Postkorbverfahrens in Form der Durchführungs- und Auswertungsobjektivität gewährleistet. Hinsichtlich der Reliabilität fällt das Urteil schlechter aus. In Bezug auf die Validität muss zwischen den verschiedenen Validitätskonzepten unterschieden werden. Eine Konstruktvalidität im Sinne der psychometrischen Tradition ist nicht gegeben. Die prädiktive Validität, die für die Praxis das essentielle Kriterium darstellt, ist im Zusammenhang mit einer Reihe von Erfolgsparametern nachgewiesen. Die inhaltliche Validität ist ebenfalls zufrieden stellend. Die Forschung steht jedoch vor der Herausforderung, für die Praxis Methoden zu entwickeln, die die Konstruktion reliabler und inhaltlich valider Postkorbübungen rationalisieren. Diesbezüglich haben sich bereits zwei Erkenntnisse etabliert. Erstens muss eine Postkorbübung für eine bestimmte Zielposition in einer Organisation spezifisch und strukturiert konstruiert werden. Und zweitens ist das Training der Beobachter, welches zu einem einheitlichen Verständnis der Bewertungsparameter führt, essentiell für eine hinreichende Reliabilität und Validität. Diese Empfehlungen an die Praxis gehen einher mit einer reduzierten organisationalen Effizienz des Postkorbverfahrens. Auch die Digitalisierung des Verfahrens hat den Zielkonflikt zwischen Effizienz- und Qualitätsaspekten noch nicht entschärft. Deswegen sollte über die Verwendung des Postkorbverfahrens in Assessment Centern fallweise entschieden werden.
2 Einleitung
2.1 Definition
„Das Postkorbverfahren ist eine Simulationsübung, bei der der Teilnehmer Post und andere Dokumente so bearbeiten muss, wie er es täte, wenn er ein Manager wäre.“
Dieses Zitat von Meyer (1970, S. 297) stellt eine der wenigen Definitionen des Postkorbverfahrens dar, die es von mit der Thematik vertrauten Wissenschaftlern gibt. Das Postkorbverfahren ist in der Wissenschaft nicht eindeutig definiert. Wir haben uns deshalb entschieden, eine eigene Definition zusammenzustellen, die eine Reihe allgemeingültiger Attribute beinhaltet.
„Das Postkorbverfahren ist eine insbesondere in Assessment Centern weit verbreitete eignungsdiagnostische Methode bzw. genauer, Arbeitsprobe, die zu Personalauswahl- und Personalweiterbildungszwecken genutzt wird, und im Rahmen derer der Teilnehmer eine Reihe von Dokumenten aus einer hypothetischen Managerposition in einer fiktiven Organisation heraus bearbeiten muss. Anhand des dabei beobachteten Vorgehens und der erzielten Resultate versuchen Beobachter eine Vorhersage bezüglich der Tauglichkeit des Teilnehmers für eine bestimmte Managerposition zu treffen.“
Die Methode wird demnach sowohl als Auswahlverfahren als auch als Trainingsinstrument für zukünftige Manager genutzt. Neben dieser Aufgabe der Vorhersage von Arbeitsleistung kommt die Übung auch - heutzutage jedoch immer weniger - als Technik bei der Forschung und Entwicklung verschiedener Personalanwendungen zum Einsatz (vgl. Schippmann, Prien & Katz, 1990, S. 837). Der Postkorb ist eine der Hauptkomponenten von Assessment Centern für die Personalentwicklung und -auswahl. „Es ist ein Diagnostikum, das sich sowohl inter- als auch intraorganisationell von Einsatz zu Einsatz sehr stark den individuellen Bedürfnissen der Organisation anpassen soll und muss“ (Dommel, 2000, S. 582). Es handelt sich bei der klassischen Form um einen „Paper- und Pencil“-Test, der, im Gegensatz zu den meisten anderen Instrumenten des Assessment Centers, allein bestritten wird. Somit hängt die Leistung des Bearbeiters nicht von den anderen Teilnehmern ab, was einen der Hauptvorteile dieser Methode darstellt.
Ursprünglich für die Ebenen des höheren Managements entwickelt, wird das Postkorbverfahren heute auch im Personalmanagement bei niedrigeren Hierarchiestufen eingesetzt. „Obwohl das Postkorbverfahren ein integraler Bestandteil herkömmlicher AC-Verfahren ist und eine Art Analogon für die Arbeitsprobe bei manuellen Tätigkeiten darstellt, gibt es wenige allgemeingültige Aussagen hierzu. Das liegt mit Sicherheit daran, dass sich (…) das Postkorbverfahren von Situation zu Situation bzw. von Organisation zu Organisation unterscheidet. Will man eine typische Vorgehensweise beschreiben, läuft man leicht Gefahr, eine unberechtigte Generalisierung zu treffen“ (Dommel, 2000, S. 582). Das Fehlen einer eindeutigen und akzeptierten Definition des Postkorbverfahrens kann als erster Indikator für die unzureichende wissenschaftliche Behandlung des Verfahrens interpretiert werden und zeigt, dass die Praxis der Forschung vorausgeeilt ist. Ob diese Relevanz nach heutigem Kenntnisstand gerechtfertigt ist, wird später diskutiert werden. Zunächst gibt es auch bei der Funktionsweise einige allgemeingültige Aspekte, die im Folgenden beschrieben werden.
2.2 Funktionsweise des Verfahrens
Bei der Postkorbübung soll sich der Teilnehmer in eine für den Inhaber der relevanten Position typische Situation hinein versetzen. Der Teilnehmer ist dabei entweder ein potentieller, zukünftiger Inhaber dieser Position oder ein Mitarbeiter, dessen Kompetenzen in Hinsicht auf die für diese Position relevanten Aspekte weitergebildet werden sollen. Dafür erhält er zunächst eine Einweisung, die ihm die notwendigen Informationen über Art und Umfang der Übung gibt. „Eine sehr ausführliche Aufgabenstellung liefert den firmen- und abteilungsspezifischen Hintergrund. So können Organigramme über Firmenhierarchien informieren, Stellenbeschreibungen über Aufgabengebiete der Mitarbeiter Auskunft geben und Terminkalender des Vorgesetzten über dessen Vorhaben aufklären“ (Nielsen, 1995, S. 67). Alle weiteren Informationen sind in den ihm zur Verfügung gestellten Unterlagen enthalten, so dass keine Rückfragen nötig sind. Diese Unterlagen bestehen aus einer Reihe von typischerweise 15 bis 30 Schriftstücken, die für den Posteingang des Stelleninhabers repräsentativ sind. Beispiele hierfür sind Briefe, Faxe, E-Mails, Notizzettel und Wiedervorlagen. Sowohl berufliche als auch private Angelegenheiten können Gegenstand der Dokumente sein. Oft ist der Inhalt an die zu besetzende Stelle und die jeweilige Branche angepasst. Für den Teilnehmer gilt es zum Beispiel, Termine zu planen, Prioritäten zu setzen, Personalengpässe zu meistern, zu kontrollieren und zu delegieren. Bei Assessment Centern für Führungspositionen sind häufig Mitarbeiterprobleme zu lösen (vgl. Nielsen, 1995, S. 68). Die Papiere sind von unterschiedlicher Länge, Komplexität, Wichtigkeit und Dringlichkeit, können versteckte Hinweise enthalten und weisen zum Teil einen Zusammenhang zu anderen Schriftstücken auf. Als Erschwernis werden sie oft weitschweifig und kompliziert formuliert.
Da die Assessment Center das Ideal der simulierten Praxissituation verfolgen soll, soll auch die Bearbeitung der Vorgänge innerhalb der Postkorbübung einer Bearbeitung in der Realität möglichst nahe kommen. Dieses ist nach Mailik und Stumpf (1998, S. 40) gleichzeitig der Schlüssel für die Effektivität der Übung als Trainingsmethode. Daher werden neben den eigentlichen, möglichst echt aussehenden Postkorbvorgängen diverse Materialien wie Bleistift, Kugelschreiber, Radiergummi, Textmarker, Notizzettel, Schreibblock, evtl. mit Firmenlogo, sowie etliche Dokumentenhüllen dem Teilnehmer übergeben. Die Unterlagen werden oft auch in einem Postkorb präsentiert (vgl. Nielsen, 1995, S. 67). Die Schriftstücke hat der Teilnehmer in einer vorgegebenen Zeit von ca. 45 bis zu 180 Minuten zu bearbeiten. Schon allein aufgrund dieser Länge gilt der Postkorb als eine der schwierigsten Übungen des Assessment Centers. Hinzu kommt, dass die Zeit angesichts des umfangreichen Materials sehr knapp bemessen ist, so dass der Teilnehmer zusätzlich unter Zeitdruck gebracht wird. Allein das Lesen der verschiedenen Unterlagen nimmt üblicherweise einen Großteil der verfügbaren Zeit in Anspruch. Hierzu zieht sich der Teilnehmer in der Regel in einen eigenen Raum zurück. Dort sollte er zunächst sämtliche Dokumente durchsehen, um daraufhin in der verbleibenden Zeit zu jedem Papier einen Handlungsvorschlag zu formulieren. Eine Erschwernis, die die Übung gleichzeitig noch realitätsnaher gestaltet, sind mögliche bewusste Unterbrechungen während der Bearbeitungszeit, wie z.B. Telefonanrufe, das Hereinreichen weiterer Dokumente und Mitarbeiterbesuche. Sie informieren über zusätzlich zu beachtende Probleme.
Rahn (1998) hat festgestellt, dass das Postkorbverfahren viele Merkmale komplexer, dynamischer Problemlöseszenarios enthält. Die Komplexität sei gegeben, da viele Aspekte und Variablen berücksichtigt werden müssen, und die große Informationsmenge hohe Anforderungen an die kognitive Verarbeitungskapazität des Teilnehmers stellt. Weiterhin sei das Verfahren durch Vernetztheit charakterisiert, da keine einfachen Ursache-Wirkungs-Relationen bestehen. Weitere Kennzeichen seien Dynamik (wenn ein Dokument ein vorheriges Dokument hinfällig macht) und Polytelie (wenn Interessen- bzw. Zielkonflikte vorliegen).
Findet nach Ablauf der Zeit ein Interview statt, muss der Teilnehmer seine Entscheidungen und Anweisungen im Rahmen dessen dem Prüfer gegenüber begründen bzw. rechtfertigen. Mit Hilfe verschiedener Fragen nach den Hintergründen der Art und Weise, in der die einzelnen Vorgänge bearbeitet wurden, versucht der Prüfer die Fähigkeiten des Teilnehmers zu testen. Anderenfalls sind solche Begründungen schriftlich während oder nach der Bearbeitung zu erfassen und in einen Fragebogen einzutragen. Die Antworten der Teilnehmer werden entweder subjektiv bewertet oder empirisch ausgewertet (vgl. Schippmann, Prien & Katz, 1990, S. 837). Dazu „werden Verhaltensbeobachtungen bzw. die Aufzeichnungen des Teilnehmers zu den einzelnen Vorgängen zugeordnet und darauf nach Quantität und Qualität bewertet. [Es] gilt ein relativer Maßstab, wobei jedoch der Beobachter auf Erfahrungen zurückgreifen kann. Diese Bewertungsform wird zuvor mit den Beobachtern im Beobachtertraining geübt“ (Nielsen, 1995, S. 72). Die beobachteten Verhaltensweisen werden also in einem ersten Schritt den für die spezifische Übung relevanten Dimensionen zugeordnet, und dann wird in einem zweiten Schritt die Performance des Teilnehmers hinsichtlich jeder einzelnen Dimension bewertet. Häufig werden die Arbeitsergebnisse mit Musterlösungen für den jeweiligen Postkorb verglichen, wodurch eine objektivere Auswertung ermöglicht wird. Allerdings werden teilweise auch andere, kreative Lösungen akzeptiert, solange sie logisch nachvollziehbar sind (vgl. Nielsen, 1995, S. 72). Da die Bewertung einer Postkorbübung für die wissenschaftliche Bewertung des Verfahrens von großer Relevanz ist und diese jedoch gleichzeitig sehr schwierig und komplex ist, wird in nachfolgenden Abschnitten erneut auf die Bewertung eingegangen werden.
2.3 Beurteilungskriterien der Postkorbübung
Nach dem technischen Ablauf einer Postkorbübung werden nun die inhaltlichen Kriterien vorgestellt, anhand derer der Teilnehmer gemessen wird und die für die Zielposition, die am Ende des Auswahlprozesses steht oder hinter der Weiterbildung steckt, als relevant gelten sollen. Analytische, organisatorische und planerische Fähigkeiten sowie Führungsverhalten gelten als Hauptdimensionen[1], die im Rahmen des Postkorbverfahrens geprüft werden. Die folgende Abbildung gibt einen selektiven Überblick über die Vielzahl von Einzeldimensionen, die nach Auffassung verschiedener Wissenschaftler mit Hilfe des Postkorbes gemessen werden (vgl. Nielsen, 1995; Musch, Rahn & Lieberei, 2001; Thornton & Byham, 1982; etc.):
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Beurteilungskriterien der Postkorbübung (vgl. Nielsen, 1995; Musch, Rahn & Lieberei, 2001; Thornton & Byham, 1982; etc.)
Hesse und Schrader (1994) dagegen definieren in einem alternativen Ansatz vier Hauptbereiche von Anforderungen an den Teilnehmer („Die Erfassung und Steuerung sozialer Prozesse“, „Das Erkennenlassen systematischen Denkens und Handelns“, „Das erkennbare Aktivitätspotential“ und „Die Ausdrucksmöglichkeiten“) und unterteilen grundsätzlich nach Anforderungen im schriftlichen Teil der Prüfung, also der effektiven Bearbeitung des Postkorbs, und Anforderungen im mündlichen Teil, dem Interview (vgl. Hesse & Schrader, 1994, S. 98 ff.):
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Anforderungen an den Teilnehmer beim schriftlichen Teil (vgl. Hesse & Schrader, 1994, S. 98 ff.)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3: Anforderungen an den Teilnehmer beim Interview (vgl. Hesse & Schrader, 1994, S. 98 ff.)
Im Folgenden werden einige Dimensionen so näher erläutert, wie sie in Teilnehmerratgebern dargestellt werden. Der folgende Abschnitt ist somit nicht wissenschaftlicher Natur.
Bei der Arbeitsorganisation geht es danach zunächst vorrangig darum, die „Informationsflut“ zu bewältigen, es wird aber auch das effektive Notieren und evtl. Exzerpieren wichtiger Inhalte geprüft. Da die Postkorbübung eine komplexe Aufgabenstellung und vielseitiges Material umfasst, muss der Teilnehmer schnell entscheiden, wie er die unterschiedlichen Vorgänge angehen will. Eine gute und schnelle Auffassungsgabe ist gefordert. Die Kommunikationsfähigkeit wird vorrangig anhand des Ausdrucks der Anweisungen, der Rechtschreibung und höflicher Formulierung geprüft. Eine hohe Frustrationstoleranz ist für den Teilnehmer schon allein aufgrund des Zeitdrucks essentiell. Da die eigentliche Bearbeitung der Unterlagen keinen hohen Anspruch an die meisten Teilnehmer stellt, führt erst die Zeitbeschränkung zum Erkennen von Leistungsunterschieden. Nach Nielsen (1995) ist das Zeitlimit meist so gelegt, dass 99% der Teilnehmer von der Zeiteinschränkung betroffen sind und das Gefühl besitzen, mit mehr Zeit eine bessere Leistung erbracht haben zu können. Das Umgehen mit der eigenen Unzufriedenheit, die durch diese Zeitbeschränkung vorprogrammiert ist, gehört zu den wichtigen Aspekten der Postkorbübung. Das Wissen um betriebliche Verfahrensweisen wird hauptsächlich von internen Teilnehmern erwartet. Dennoch sollte jeder z.B. die Bedeutung von Hierarchiestufen, die Funktion eines Umlaufs und allgemein bekannte Probleme und Besonderheiten von Managementfunktionen kennen (vgl. Nielsen, 1995, S. 70 ff.). Es zeigt sich nach Durchsicht von Teilnehmerratgebern und einigen Beispielpostkorbübungen, dass in der Praxis tatsächlich die Dimensionen geprüft werden, die auch in der wissenschaftlichen Literatur genannt werden. Die so genannten Hauptdimensionen spielen auch der Praxis eine Schlüsselrolle.
2.4 Historischer Hintergrund
Es gibt Hinweise in der Literatur wonach erste Postkörbe bereits in den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts verwendet wurden. Eine der ersten, veröffentlichten Postkorbübungen wurde jedoch im Jahre 1953 für die United States Air Force von einem Forschungsteam des Educational Testing Service[2] entwickelt. Ziel war die Messung der Effektivität der Lehrpläne an der Luftfahrtschule hinsichtlich verschiedener Fähigkeiten. Dazu gehört z.B. das Generieren von Einzelinformationen, die Identifikation von Problemen in einer komplexen Situation, das Antizipieren möglicher Folgen von Problemen und das Treffen von Entscheidungen auf Grundlage verschiedener Überlegungen (vgl. Frederiksen, Saunders & Wand in Thornton & Byham, 1982, S. 22). „Die Entstehung des Postkorbs als diagnostisches Instrument wird meist mit den Arbeiten von Frederiksen, Saunders und Wand (1957) sowie Bray und Grant (1966) in Verbindung gebracht. Funke (1993) weißt allerdings zu Recht darauf hin, dass die Postkorbübung nicht ausschließlich als amerikanischer Exportartikel, sonder auch in der Tradition der Arbeitsprobe und der Psychodiagnostik der 20er Jahre zu sehen ist“ (Musch & Lieberei, 1997, S. 4).
Die Arbeit von Frederiksen, Saunders und Wand (1975) gilt als Reaktion auf die wachsende Bedeutsamkeit von Managern in Organisationen und der Natur ihrer typischen Arbeitsaufgaben. „Die Parallelen zwischen den Anforderungen, die der Postkorb an den Bearbeiter und der Berufsalltag an den Manager stellt, sind augenscheinlich“ (Dukerich, Milliken & Cowan, 1990, in Musch & Lieberei, 1997). Intelligenz-, Persönlichkeits- und Interessentests, als bis dato verherrschende Testverfahren, galten bei der Personalauswahl als nicht zufrieden stellend (vgl. Kesselmann, Lopez & Lopez, 1982). Daher wurde ein Test entwickelt, der sich an den Anforderungen an Manager und Führungskräfte im Alltag orientiert. Die hohe Augenscheinvalidität und Repräsentativität für tägliche Managementaufgaben haben für eine schnelle Verbreitung des Postkorbverfahrens gesorgt (vgl. Musch & Lieberei, 1997, S. 4 und Hakstian & Scratchley, 1997, S. 608). „In den 60er Jahren wurden Postkörbe bereits in zahlreichen Großunternehmen eingesetzt, beispielsweise bei AT&T, Boeing, IBM und der General Electric Company…“ (Musch, Rahn & Lieberei, 2001, S. 6). Auch begann man in dieser Zeit, erste Evaluierungsstudien durchzuführen. Jedoch vermuten Schippman, Prien und Katz (1990, S. 856), dass die genannte Augenscheinvalidität und Repräsentativität sowie die hohe Akzeptanz bei Bewerbern dafür verantwortlich sind, dass vergleichsweise wenig Validierungsstudien durchgeführt wurden. Besonders im deutschsprachigen Raum liegen nur sehr wenige und überwiegend unveröffentlichte Untersuchungen zum Postkorbverfahren vor (vgl. Musch & Lieberei, 1997, S. 4).
Dieser Mangel an Literatur zum Postkorbverfahren steht im Gegensatz zu der Tatsache, dass sich das Postkorbverfahren besonders in Kombination mit anderen Übungen in einem Assessment Center für die Personalauswahl und -entwicklung großer Beliebtheit erfreut. Allerdings hat man sich in den vergangenen Jahren aufgrund „fehlender Erfahrung im Umgang mit innerbetrieblichen schriftlichen Vorgängen von Hochschulabsolventen“ (Nielsen, 1995, S. 102) bei Assessment Centern für Neueinstellungen vermehrt von dieser Methode abgewandt.
Als Weiterentwicklung der klassischen Postkorbmethode haben Funke und Rasche (1988) einen computergestützten „PC-Postkorb“ entwickelt. Dieser soll eine Erhöhung der Auswertungsobjektivität und einen verringerten Zeitaufwand bei der Auswertung ermöglichen. In der heutigen Zeit, in der elektronische Korrespondenz dominiert, erweisen sich computergestützte Postkorbübungen mit elektronischer Post als realitätsnaher und geben den Anwendern darüber hinaus neue Beobachtungsmöglichkeiten. Computergestützte Postkörbe induzieren jedoch auch eine Reihe von Nachteilen, die im Kapitel 3.2 näher diskutiert werden. Noch können sie daher nicht als der Zukunftstrend erachtet werden.
2.5 Relevanz
Das Postkorbverfahren hat also nach seiner Einführung in der Mitte des letzten Jahrhunderts schnell die Personaletagen erobert und ist bis heute populär. Nach einer Zählung von Thornton und Byham (1982) wird das Postkorbverfahren in 95% aller Assessment Center, über die ein Bericht publiziert wurde, eingesetzt. Da die Popularität des Verfahrens im Laufe der letzten beiden Jahrzehnte eher noch gestiegen ist, dürfte sich die Relevanz des Verfahrens im Rahmen von Assessment Centern nicht bedeutend verändert haben. Obwohl die Anzahl von Instrumenten in einem Assessment Center aus ökonomischen Gründen begrenzt ist, kommt dem Postkorbverfahren aufgrund seiner analytischen Prägung eine wichtige Rolle neben interaktiven Verfahren wie der Gruppendiskussion zu, die eher die Kommunikationsfähigkeit erfassen, und rückt damit in die Nähe der Fallstudie.
In der heutigen Zeit des erhöhten Wettbewerbs und der Globalisierung erfährt die Personalauswahl und -entwicklung einen immer höheren Stellenwert. Nicht nur fachliche Kompetenzen sondern auch Sozialkompetenzen sind ein entscheidender Faktor bei der Personalauswahl. Von Führungskräften wie auch Angestellten unterer Hierarchiestufen werden die bereits in Abschnitt 1.4 beschriebenen Kompetenzen erwartet. Dazu bedarf es eines effektiven Auswahlverfahrens, wie des Assessment Centers. Aufgrund der Unzufriedenheit mit anderen Testverfahren, wie Intelligenz-, Interessen- und Persönlichkeitstests, zeigen Personalverantwortliche verstärktes Interesse an Arbeitssimulationen, um die Leistung der (potentiellen) Angestellten einzuschätzen (vgl. Kesselmann, Lopez & Lopez, 1982, S. 228). So erhoffen sie sich, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu steigern und oftmals kostspielige Fehler in der Personalauswahl zu vermeiden. Die Relevanz des Postkorbverfahrens als situative Übung in Assessment Centern lässt auf eine umfangreiche und positive, wissenschaftliche Begutachtung des Verfahrens schließen. Ob diese in der Tat gegeben ist, steht im Mittelpunkt des nächsten Abschnittes.
3 Analyse des wissenschaftlichen Kenntnisstandes zum Verfahren
3.1 Eingliederung in den Kontext der Berufseignungsdiagnostik
Im Rahmen des Personalauswahlprozesses folgt auf die Rekrutierung von qualifizierten Bewerbern der Auswahl- oder auch Assessmentprozess, im Zuge dessen ein oder mehrere geeignete Bewerber für eine Position selektiert werden. Während des Assessmentprozesses werden die Bewerber mit Hilfe einer möglichst gezielten Auswahl an eignungsdiagnostischen Methoden beurteilt. Diese Feststellung des Eignungspotentials findet häufig gebündelt im Rahmen eines Assessment Centers statt. Nachdem in einem ersten Schritt (wohlmöglich im Rahmen einer Vorselektion) die Bewerbungsunterlagen der Bewerber ausgewertet wurden, bedienen sich Assessment Center im Allgemeinen vier eignungsdiagnostischer Verfahren zur weiteren Evaluierung.
Unter Testverfahren versteht man einerseits kognitive Tests, die die Intelligenz und analytischen Fähigkeiten des Bewerbers untersuchen und andererseits andere allgemeine oder spezifische Persönlichkeits-, Motivations- und Interessentests. Sie haben das Ziel, die Begabung von Menschen messbar zu machen und zu vergleichen. Zunehmend werden diese auch bei der Auswahl von zukünftigen Führungskräften angewandt. Mit Hilfe von Fragebögen kann ebenfalls die Motivation oder Einstellung eines Bewerbers geprüft werden, möglicherweise in Vorbereitung auf ein Interview mit dem fachliche und menschliche Qualifikationen eines Bewerbers beleuchtet und validiert werden können. Die vierte Gruppe von Instrumenten stellen die so genannten Arbeitsproben oder Simulationsübungen dar, Übungen in denen verschiedene Aspekte einer Tätigkeit simuliert werden. Dazu zählt neben der Gruppendiskussion, der Fallstudie, der Präsentation, dem Plan- und Rollenspiel unter Anderem auch das Postkorbverfahren.
Anhand von Arbeitsproben wird transparent, wie der Bewerber arbeitet, und welchen Aufgabenbereichen er besondere Bedeutung beimisst. Arbeitsproben werden heute mit zunehmender Häufigkeit angewandt, wobei neben der Postkorbübung die Präsentationsübung und die Gruppendiskussion die häufigsten Varianten sind (vgl. Kahlke & Schmidt, 2004, S. 179). Wie bereits erwähnt, fanden Thornton und Byham (1982), dass das Postkorbverfahren in mehr als 95% der Assessment Center eingesetzt wird. Der späteren Untersuchung von Spychalski et al. zufolge ist die Postkorb-Übung in den USA nach der Gruppendiskussion mit 80% am beliebtesten, in den deutschsprachigen Ländern setzen immerhin 50% der Organisationen den Postkorb im Rahmen eines Assessment Centers ein (vgl. Spychalski et al., 1997; Arbeitskreis Assessment Center e.V., 2001).
[...]
[1] Dimensionen sind Cluster von spezifischen, beobachtbaren und verifizierbaren Verhaltensweisen, die reliabel und logisch gruppiert werden können.
[2] Der Educational Testing Service (ETS) ist eine gemeinnützige amerikanische Organisation, deren Hauptaufgaben Bildungsforschung und -bewertung umfassen.
- Arbeit zitieren
- Taro Niggemann (Autor:in), Maren Jäger (Autor:in), Elena Kruzhanov (Autor:in), Jérôme Verger (Autor:in), 2005, Eine wissenschaftliche Analyse der Postkorbmethode als eignungsdiagnostisches Instrument, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/45919
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