Immer mehr Menschen lassen sich in den westlichen Industrienationen scheiden. Dieser Trend scheint unaufhaltsam. In deutschsprachigen Ländern wird etwa jede dritte Ehe geschieden, in den Großstädten der USA schon jede zweite. Aus diesem Grund kommt fast jeder mit dem Thema Scheidung in Berührung: als Kind geschiedener Eltern; als guter Freund von jemandem aus einer gescheiterten Ehe; als Mann oder Ehefrau von jemandem, dessen Eltern geschieden wurden oder sich mit dem Gedanken tragen etc.
Die Scheidung ist nicht nur als simples, normales Ereignis zu sehen, sondern als Prozess, der schon lange vor der Trennung beginnt und mit der Trennung noch lange nicht beendet ist. Somit haben die Folgen der Scheidung Auswirkungen auf die gesamte Entwicklung der Kinder.
Entgegen heutiger Erkenntnisse war in den späten Sechzigern und in den Siebzigern der Glaube verbreitet, dass die ersten zwei Jahre nach einer Trennung für die Familienmitglieder von Bedeutung sind, diese Zeit voller Anpassungen und Veränderungen, Wut und Trauer. Damals waren einige Therapeuten zuversichtlich, dass die Kinder nach der ersten Phase damit zurechtkämen, dass sie in der Lage sein würden, die Scheidung hinter sich zu lassen und ihr Leben produktiv zu gestalten.
Jedoch wiesen darauffolgende Untersuchungen auf Langzeitfolgen einer Scheidung hin. Eine der bedeutendsten Studien wurde von Dr. Judith WALLERSTEIN in Kalifornien
durchgeführt. Diese ergab, dass eine Scheidung nicht nur voraussagbare Auswirkungen auf die Kinder hat, sondern auch einen Schatten ins Erwachsenenleben hineinwirft und Einfluss auf die Fähigkeit hat, das Leben selbständig zu gestalten. Scheidungskinder gehen als Erwachsene Liebesbeziehungen mit dem Gefühl ein, schlechte Karten zu haben.
Aufgrund dieser Untersuchungsergebnisse ist die Hypothese naheliegend, dass es Unterschiede zwischen Scheidungskinder und Non-Scheidungskinder im Umgang mit Liebesbeziehungen gibt.
Diese Unterschiede wollen wir anhand der Bindungsstile nach BARTOHOLOMEW & HOROWITZ und anhand von allgemeinen Fragen zum Thema „Liebesbeziehungen“ feststellen.
Inhalt
1 EINLEITUNG
2 DIE EHESCHEIDUNG
2.1 Die Entwicklung in der Scheidungsforschung
2.2 Scheidungsfolgen für die Kinder
2.2.1 Kurz- und mittelfristige Folgen
2.2.2 Langzeitfolgen
3 DIE BINDUNGSTHEORIE
3.1 Konzeption der Bindungstheorie
3.1.1 Historischer Hintergrund
3.1.2 Evolutionsgeschichtliche Funktion des Bindungsverhaltens
3.1.3 Annahme eines eigenen Bindungsverhaltenssystems
3.2 Entwicklung des Bindungsverhaltens beim Menschen
3.2.1 Bindungsverhalten beim Säugling
3.2.2 Entwicklung des Bindungsverhaltens beim Kind
3.2.3 Mütterliche Feinfühligkeit
3.2.4 Sichere Basis und kindliches Neugierverhalten
3.2.5 Bindungsverhalten bei Jugendlichen und Erwachsenen
3.3 Inneres Arbeitsmodell und Bindungsstil
3.3.1 Definition von Erwachsenenbindung
3.3.2 Verinnerlichung von Bindungserfahrungen
3.3.3 Formen sicherer und unsicherer Bindung
3.4 Klinische Bedeutung der Bindungstheorie
3.4.1 Bindungstheorie und abweichende Entwicklungsverläufe
4 PERSPEKTIVEN UND HYPOTHESEN VON PAUL R. AMATO
4.1 Die „Eltern-Verlust-Perspektive“
4.2 Die „Eltern-Anpassungs-Perspektive“
4.3 Die „Eltern-Konflikt-Perspektive“
4.4 Die „Ökonomische-Härte-Perspektive“
4.5 Die „Lebens-Stress-Perspektive“
4.6 Die „Eltern-Beziehungs-Perspektive“
5 FRAGESTELLUNG
6 LITERATURVERZEICHNIS
1 EINLEITUNG
Immer mehr Menschen lassen sich in den westlichen Industrienationen scheiden. Dieser Trend scheint unaufhaltsam. In deutschsprachigen Ländern wird etwa jede dritte Ehe geschieden, in den Großstädten der USA schon jede zweite.
Aus diesem Grund kommt fast jeder mit dem Thema Scheidung in Berührung: als Kind geschiedener Eltern; als guter Freund von jemandem aus einer gescheiterten Ehe; als Mann oder Ehefrau von jemandem, dessen Eltern geschieden wurden oder sich mit dem Gedanken tragen etc.
Die Scheidung ist nicht nur als simples, normales Ereignis zu sehen, sondern als Prozess, der schon lange vor der Trennung beginnt und mit der Trennung noch lange nicht beendet ist. Somit haben die Folgen der Scheidung Auswirkungen auf die gesamte Entwicklung der Kinder.
Entgegen heutiger Erkenntnisse war in den späten Sechzigern und in den Siebzigern der Glaube verbreitet, dass die ersten zwei Jahre nach einer Trennung für die Familienmitglieder von Bedeutung sind, diese Zeit voller Anpassungen und Veränderungen, Wut und Trauer. Damals waren einige Therapeuten zuversichtlich, dass die Kinder nach der ersten Phase damit zurechtkämen, dass sie in der Lage sein würden, die Scheidung hinter sich zu lassen und ihr Leben produktiv zu gestalten.
Jedoch wiesen darauffolgende Untersuchungen auf Langzeitfolgen einer Scheidung hin. Eine der bedeutendsten Studien wurde von Dr. Judith WALLERSTEIN in Kalifornien durchgeführt. Diese ergab, dass eine Scheidung nicht nur voraussagbare Auswirkungen auf die Kinder hat, sondern auch einen Schatten ins Erwachsenenleben hineinwirft und Einfluss auf die Fähigkeit hat, das Leben selbständig zu gestalten. Scheidungskinder gehen als Erwachsene Liebesbeziehungen mit dem Gefühl ein, schlechte Karten zu haben.
Aufgrund dieser Untersuchungsergebnisse ist die Hypothese naheliegend, dass es Unterschiede zwischen Scheidungskinder und Non-Scheidungskinder im Umgang mit Liebesbeziehungen gibt.
Diese Unterschiede wollen wir anhand der Bindungsstile nach BARTOHOLOMEW & HOROWITZ und anhand von allgemeinen Fragen zum Thema „Liebesbeziehungen“ feststellen.
Außerdem werden wir die jeweiligen - mit einer Scheidung zusammenhängenden - Ursachen, die zu diesen Unterschieden führen, untersuchen. Denn entgegen der üblichen Annahme ist die Scheidung selbst nicht der entscheidende Faktor für die Entwicklung der Kinder. Die Grundlage für die Ursachenforschung bilden die Perspektiven und Hypothesen AMATOs.
2 DIE EHESCHEIDUNG
2.1 Die Entwicklung in der Scheidungsforschung
Seit Mitte der 60er Jahren gibt es einen starken Anstieg der Scheidungsraten. So ist in Österreich ist die Scheidungsrate in den letzten 20 Jahren von 18 Prozent auf 34 Prozent gestiegen (GÖSSWEINER & NOWAK, 1998).
So wie in Österreich muss sich auch in allen anderen westlichen Industrienationen eine Vielzahl von Menschen alljährlich mit den Trümmern ihrer Ehe und ihrer gesamten privaten Lebensplanung auseinandersetzen. War noch vor einigen Jahrzehnten, die durch eine Ehescheidung bedingte Auflösung der Familie, die große Ausnahme, so bildet dieses Ereignis kaum mehr eine Normabweichung. Soziologen und Sozialhistoriker machen zahlreiche wirtschaftliche, soziale, juristische, emanzipatorische und politische Voraussetzungen für diese spezifische Entwicklung im Wandel der traditionellen Familienauffassung verantwortlich. (KLEIN-ALLERMANN & SCHALLER, 1992)
Die hohen Scheidungszahlen waren ausschlaggebend für zahlreiche Untersuchungen rund um das Phänomen „Scheidung“.
Die traditionelle Scheidungsforschung war eine Ursachenforschung. Obwohl man verschiedene Ursachen feststellen konnte sind diese noch nicht vollständig beschrieben; schließlich gibt es vielfältige individuelle und überindividuelle Konstellationen, die zu einer Scheidung führen können. Die aktuelle Forschung hingegen beschäftigt sich hauptsächlich mit den Folgen der Scheidung. Die Auswirkungen einer Scheidung auf die Betroffenen, v.a. auf die Kinder in Abhängigkeit von der Familiensituation und dem Alter der Kinder stehen als Fragestellungen im Mittelpunkt der Forschung. Während frühere Studien lediglich die Situation von Scheidungskindern beschrieben oder mit Kindern aus stabilen Ehen verglichen, beschäftigen sich neuere Studien mit komplexeren Zusammenhängen. Theorien über Anpassung der Kinder an eine Scheidung werden überprüft und als Reorganisationsprozess im Kontext der Individual- und Familienentwicklung gesehen. Scheidung wird als Prozess gesehen und aus der Sicht der Betroffenen beschrieben.
Studien haben gezeigt, dass nicht nur Kinder aus Scheidungsfamilien langfristige Folgen, entstanden im Verlauf des Scheidungsprozesses, davontragen, sondern auch Kinder aus nach außen hin intakten Familien, welche jedoch sehr konfliktbehaftet sein können. Diese Kinder und späteren Erwachsenen können aufzeigen, dass nicht der Scheidungsprozess an sich, sondern die oft jahrelange familiäre „Gestörtheit“ und das damit verbundene emotionale Getrenntsein der Familienmitglieder von Belang sind. (GÖSSWEINER & NOWAK, 1998)
Eine Problematik der Scheidungsforschung ist jene der ideologischen Unterlegung der Forschungsrichtungen, Methoden, Interpretationen und der verwendeten Sprache („Restfamilie“, „Scheidungswaisen“, „Kampfscheidung“ etc.). Dem traditionellen Defekt- bzw. Desorganisationsmodell, bei dem die Scheidungsfamilie als ein sich auflösendes System und die Scheidung als Endpunkt der familialen Entwicklung betrachtet wurde, wird ein neues Scheidungsmodell gegenübergestellt. Hier wird Scheidung als ein intrapsychischer und sozialer Reorganisationsprozess gesehen, der den Scheidenden neue Gestaltungsmöglichkeiten des Lebens bietet. (FTHENTAKIS, 1995; BODENMANN & PETTEZ, 1996)
2.2 Scheidungsfolgen für die Kinder
2.2.1 Kurz- und mittelfristige Folgen
Eine Scheidung stellt für Kinder und Erwachsene zumeist ein kritisches Lebensereignis dar, welches eine hohe Anpassungsleistung erfordert. Darauf sind die „stabileren“ erwachsenen Elternpersonen besser vorbereitet. Den Kindern ist weitgehend die Kontrolle entzogen, da die Erwachsenen entscheiden.
Kinder reagieren auf eine Scheidung mit Trauer, Schock, Angst, Verlassenheits- und Verlustgefühlen, Niedergeschlagenheit und Verunsicherung. Lediglich eine kleine Anzahl von Kindern ist erleichtert (NAPP-PETERS, 1987; WALLERSTEIN & BLAKESLEE, 1989). Allgemein fassen sie eine Scheidung als Ablehnung ihrer Person auf, beziehen die Trennung direkt auf sich und geben sich selbst die Schuld für den Bruch (WALLERSTEIN & BLAKESLEE, 1989; FASSEL, 1994; BODENMANN & PERREZ, 1996). Auffälliges Verhalten von Scheidungskindern muss nicht pathologisch sein, sondern ist vielmehr eine natürliche Reaktion, ein Hilfeschrei auf eine für sie unsichere Lebenssituation (GÖSSWEINER & NOWAK, 1998).
Oft resultiert eine vorübergehende Verschlechterung der Beziehung zwischen den Kindern und dem sorgeberechtigten Elternteil aus den finanziellen, sozialen und emotionalen Belastungen aufgrund der Trennung, wie z.B. die Erwerbstätigkeit der sorgeberechtigten Mutter.
Zur Risikogruppe zählen laut REISEL (1996) jene Kinder, die eine schlechte Beziehung zur Mutter haben oder die Trennung des Vaters als einen starken Verlust erleben. Auch jene Kinder, die sich aufgrund ihrer Persönlichkeitsstruktur den allgemeinen emotionalen Belastungen stark ausgesetzt fühlen, sind besonders gefährdet.
Unter den Forschern besteht weitgehender Konsens, dass es keine einheitlichen Ergebnisse gibt, die sich auf alle Scheidungskinder anwenden lassen (GÖSSWEINER & NOWAK, 1998). Die Art als auch das Ausmaß der Scheidungsfolgen variieren in Abhängigkeit der Merkmalsausprägungen des Kindes, der Familiensituation und des Verlaufes des Trennungsprozesses (AMATO, 1993).
Zudem gibt es altersspezifische und geschlechtspezifische Besonderheiten. Jungen reagieren unmittelbar nach der Trennung mit Verhaltensstörungen, Lernschwierigkeiten, Schulängsten etc. Mädchen hingegen zeigen nach innen gerichtete Verhaltensweisen, wie Depressivität und Ängstlichkeit (AMATO & KEITH, 1991b) und neigen langfristig gesehen häufiger zu Partnerproblemen und Aggressivität in der Pubertät und im frühen Erwachsenenalter ( NAPP-PETERS, 1995).
Bezüglich altersspezifischer Unterschiede kommt FTHENAKIS (1986) aufgrund der zusammenschauenden Ergebnissen bisheriger Studien zu dem Schluss, dass allen Altersgruppen gemeinsam ist, dass sie ein anhaltendes Gefühl der Traurigkeit über das Auseinanderbrechen ihrer Familie zeigen. Bei den Reaktionen von Kleinkindern (2. bis 3. Lebensjahr) standen Regression, Ängste, gesteigerte Aggressivität und Trotzverhalten im Vordergrund. Im Vorschulalter zeigen die Kinder Angst vor Aggressivität, erhöhte Irritierbarkeit und aggressiv-destruktives Verhalten. Anhaltende Traurigkeit prägte die Reaktionen der 7 und 8-Jährigen. Kinder im Alter von 9 bis 12 Jahren nehmen ihre Situation ziemlich nüchtern wahr und unternehmen aktive Anstrengungen, sich mit ihren Verlassenheits- und Hilflosigkeitsgefühlen zurechtzufinden. Heftige Reaktionen in Form von Zorn, Trauer, Schmerz und Scham zeigen 13 bis 18-jährige Kinder und Jugendliche.
2.2.2 Langzeitfolgen
Bezüglich der Forschung über Langzeitfolgen von Scheidung liegen sehr uneinheitliche Ergebnisse vor.
Während AMATO & KEITH (1991a) von einer geringen Intensität langfristiger Folgen ausgehen, spricht GIGDOR (1991) von „Scheidung als Lebensschicksal“. FTHENAKIS (1993) nimmt an, dass ca. ein Drittel der Kinder mittel- bzw. langfristig in ihrer Entwicklung beeinträchtigt sind. Er geht von einem erhöhten Risiko zu psychischen Erkrankungen, delinquenten Verhaltensweisen, Partnerschafts- und Eheproblemen und einem erhöhten Selbstmordrisiko aus. AMATO & KEITH (1991a) zählen einen niedrigeren Schulerfolg, geringere psychische Anpassungsfähigkeit, ein niedrigeres Selbstwertgefühl, Verhaltens- und Beziehungsprobleme zu den Langzeitfolgen.
Den Ergebnissen einer Langzeitstudie von WALLERSTEIN & BLAKESLEE (1989) zu Folge ist weniger die Scheidung an sich bzw. die dadurch bedingte Änderung der Familienstruktur für die psychische Entwicklung entscheidend, sondern die damit verbundenen bzw. vor- und nachgehenden Spannungen und Streitigkeiten in der Familie.
NAPP-PETERS (1995) konnte in einer Repräsentativstudie in Deutschland zwölf Jahre nach der Scheidung bei nur 25 Prozent der Scheidungskinder eine gelungene Lebensbewältigung feststellen.
Analysen von DIEKMANN und Mitarbeitern (1994, 1995 & 1997) ergaben, dass das Scheidungsrisiko innerhalb von 20 Jahren nach der Eheschließung bei den Männern aus Scheidungsfamilien doppelt so hoch wie bei Männern aus vollständigen Herkunftsfamilien ist. Dieser Effekt ist bei den Frauen deutlich geringer (20 Prozent Anstieg).
In einer qualitativen Studie von FASSEL (1994) konnte gezeigt werden, dass erwachsene Scheidungskinder oft mit dem Problem kämpfen, dass sie nach wie vor an nicht mehr adäquaten „Überlebensstrategien“ festhalten, welche ihnen als Kinder zwar geholfen haben, sich in ihren Erwachsenenbeziehungen aber als schlecht erweisen. Die Autorin stellte weiters fest, dass erwachsene Scheidungskinder ihr Leben lang ziemlich berechenbare Reaktionen zeigen: sie haben ein übertrieben ausgeprägtes Verantwortungsbewusstsein, Angst vor Konflikten (obwohl sie diese in ihren Beziehungen für bestimmte Zwecke benutzen) und sind leicht dazu zu bewegen Partei zu ergreifen, obwohl sie sich dabei nicht wohl fühlen. Sie haben das Gefühl verlassen worden zu sein, obwohl sie selbst oft andere allein lassen. Sie fühlen sich schnell ausgenutzt, obwohl sie selbst oft die Bedingungen dafür schaffen. Sie fühlen sich oft hilflos. Auch wenn viele erwachsene Scheidungskinder eine gewisse ökonomische Sicherheit erreicht haben, leiden sie unter der ständigen Angst, diese zu verlieren. Autoritätspersonen sind oft eine Quelle der Angst. Sie werden idealisiert oder mit Vorwürfen oder Erwartungen überhäuft. Erwachsene Scheidungskinder kämpfen mit Kontrolle und müssen oft feststellen, dass ihre Beziehungen aufgrund ihres extremen Kontrollverhaltens scheitern. Auch haben sie oft unrealistische Erwartungen an eine Beziehung: Ehen werden mit rigiden Forderungen eingegangen und Intimität wird als etwas Unerreichbares erlebt und manchmal überhaupt nicht riskiert.
Neuere Untersuchungen, besonders im US-amerikanischen Raum, beschäftigen sich mit dem Ansatz der „Intergenerationalen Transmission von Scheidung“, welcher von der Erklärung des Scheidungsrisikos anhand der sozialen Vererbung ausgeht. So tragen Personen, die als Kinder die Scheidung der Eltern erlebt haben, ein höheres Risiko dafür, dass die eigene Ehe auch wiederum durch eine Scheidung beendet wird, als Personen einer entsprechenden Vergleichsgruppe (z.B. in der „Family & Fertility Survey-Studie“, die vom Österreichischen Institut für Familienforschung [ÖIF] durchgeführt wurde).
Die Family & Ferility Survey ’96 – Studie ergab außerdem, dass es bei Personen mit erlebter Scheidung im Elternhaus weniger wahrscheinlich ist, dass sie eine erste Lebensgemeinschaft eingehen. Erwachsene Scheidungskinder, die vor 25 Jahren eine erste Lebensgemeinschaft eingehen, machen dies in einem jüngeren Alter als die Vergleichsgruppe. Hingegen gehen erwachsene Scheidungskinder ab einem Alter von 25 Jahren später eine erste Lebensgemeinschaft ein als andere. Bezüglich der Stabilität der ersten Lebensgemeinschaft konnte man herausfinden, dass Personen mit erlebter Scheidung und generell Männer diese häufiger beenden als andere. Frauen mit erlebter Scheidung verweilen laut dieser Studie viel kürzer in ihrer ersten Lebensgemeinschaft als Frauen aus „intakten“ Familien, bei Männern zeigten sich diesbezüglich keine signifikanten Unterschiede. Eine Eheschließung in der ersten Lebensgemeinschaft wird bei erwachsenen Scheidungskinder mit einer niedrigeren Wahrscheinlichkeit erwartet, wobei die verweilte Zeit in einer nichtehelichen Phase bei diesen länger ist.
Häufig geben Patienten der Scheidung ihrer Eltern die Schuld für alles, was in ihrem Leben danebengegangen ist. Sie fühlen sich beraubt und haben das Gefühl, dass die Aura der elterlichen Scheidung noch gegenwärtig ist und in die Fähigkeit, eigene liebevolle Beziehungen herzustellen, eingreift, weil sie nie die Möglichkeit hatten, eine langfristige liebevolle Beziehung zwischen zwei Menschen zu erleben.
Doch es ist nicht die Scheidung selbst, die bestimmt, ob Kinder später als Erwachsene zu Intimität und Nähe fähig sind. Vielmehr spielen verschiedene Aspekte einer Scheidung, besonders aber der Familienstil, also der Umgang der Familienmitglieder untereinander, eine entscheidende Rolle. (BEAL & HOCHMAN, 1992)
Laut BEAL & HOCHMAN (1992) haben Erwachsene aus Scheidungsfamilien andere Vorstellungen über Beziehungen. Sie geben in Bezug auf die Ehe eine negativere Einstellung wieder und stehen der Ehescheidung weniger abgeneigt gegenüber als jene Personen, deren Eltern nicht geschieden sind.
Eine Bestätigung dieser Ergebnisse findet man in Untersuchungen von FRANKLIN, JANOFF-BULMAN & ROBERTS (1992). Sie konnten zeigen, dass Studierende aus Scheidungsfamilien, was das Gelingen einer eigenen Ehe angeht, im Vergleich zu einer Kontrollgruppe weniger optimistisch sind. Dabei setzen sie in einen potentiellen, künftigen Ehepartner weniger Vertrauen.
STONE & HUTCHINSON (1992), die mit ihren Ergebnissen jedoch eher die Ausnahme darstellen, fanden in ihren Befragungen zur Ehe- und Scheidungseinstellung bei den Untersuchungsgruppen keine nennenswerten Unterschiede.
Die Einbußen im sozioökonomischen Status der Restfamilie nach einer Ehescheidung gehen oft mit weitreichenden Problemen der betroffenen Kinder einher. Dabei werden ihre Möglichkeiten bereits bei der Partnersuche zum Teil in einem beträchtlichen Ausmaß eingeschränkt. Dieser zusätzliche Belastungsfaktor steht einer adäquaten psychischen Scheidungsanpassung der Kinder entgegen. (NAPP-PETERS, 1995)
Die Folgen der Scheidung variieren mit dem Alter des Kindes zum Zeitpunkt der Scheidung.
Nach FASSEL (1994) berichten erwachsene Scheidungskinder, deren Eltern sich bis zu ihrem 5. Lebensjahr trennten, am meisten Angst vor Intimität. Ihre größte Angst ist verlassen und zurückgewiesen zu werden. Sie ersticken ihre Familienmitglieder mit zuviel Zuwendung und Fürsorge. Auch Erwachsene, deren Eltern sich zwischen ihrem 6. und 13. Lebensjahr scheiden ließen, berichten von Problemen bezüglich Intimität, Vertrauen und überbetonter Fürsorglichkeit. Sie neigen zu strengen Urteilen über andere und zu Schwarzweißdenken. Sie fühlen sich ernster und älter, als sie sind. Erwachsene, deren Eltern sich zwischen ihrem 14. und 19. Lebensjahr scheiden ließen, entwickeln aufgrund der Scheidungserfahrungen den Wunsch nach einer Familie. Sie schätzen das Familienleben ganz besonders und sind bestrebt, eine Beziehung/Familie zu finden. Auch für diese Gruppe ist Intimität ein Problem. Oft sind sie auch beziehungssüchtig und fühlen ihren Partnern und Kindern gegenüber eine große Verpflichtung.
Auch die Art der Trennung ist für die Folgen der Scheidung relevant. So entwickeln Scheidungskinder, deren Vater und Mutter einfach verschwanden u.a. die Leitsätze: Vertraue niemandem und sei als Mutter oder Vater perfekt. Erwachsene, für die die Scheidung der Eltern überraschend kam, fragen sich: Was ist real? Und wem kann ich vertrauen? Für Personen, deren elterliche Scheidung mit Gewalt verbunden war haben lediglich vage Grenzen, erleben Konflikte als beängstigend und vermeiden sie, glauben aber auch, dass sich nahe sein Streiten bedeutet. Späte Scheidungen („wir sind der Kinder willen zusammen geblieben“) haben zur Folge, dass diese erwachsenen Kinder Lieben als „stilles Leiden“ sehen und verbindliche Beziehungen als Gefängnisse erleben (FASSEL, 1994).
3 DIE BINDUNGSTHEORIE
Die Annahme eines eigenen angeborenen Verhaltenssystems, welches der Suche und Aufrechterhaltung von Nähe zu anderen Menschen dient, stellt ein zentrales Konzept der Bindungstheorie dar. Je nachdem, wie die Reaktion der Umwelt auf unser Bindungsverhalten ausfällt, entwickeln wir eine bestimmte innere Repräsentation von Lernerfahrungen mit wichtigen Bezugspersonen. Diese Bindungsrepräsentation wird auch als inneres Arbeitsmodell bezeichnet und enthält die Erwartungen über uns und andere, die wir in zwischenmenschliche Begegnungen hineintragen. In Abhängigkeit davon, wie unser Erleben und Verhalten in nahen Beziehungen durch das innere Arbeitsmodell reguliert wird, resultieren unterscheidbare Bindungsstile, die sich bei Kindern und Erwachsenen beobachten lassen.
[...]
- Citation du texte
- Hermann Sinz (Auteur), Monika Höck (Auteur), Elisabeth Postl (Auteur), 2002, Untersuchung zum Thema Unterschiede zwischen Scheidungskindern und Non Scheidungskindern im Umgang mit Liebesbeziehungen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/45891
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