Ziel der vorliegenden Arbeit ist herauszufinden, wie hoch verschiedene Risiken im Projektmanagement eingeschätzt werden. Um die Einschätzungen bzgl. der Risiken zu erhalten, wurden Projektmanager und Projektbegleiter aus unterschiedlichen Branchen befragt. Da Projekte in Unternehmen einen hohen Stellenwert haben, wird es immer wichtiger, sich mit den möglichen Risiken, die solche Projekte mit sich bringen, zu beschäftigen und entsprechende Präventionsmaßnahmen einzuleiten. Berücksichtigt man die potenziellen Risiken nicht bzw. nur oberflächlich, so können sich diese im Falle eines Auftretens in erheblichem Ausmaß auf die Faktoren Zeit, Kosten und Qualität auswirken.
Des Weiteren wird untersucht, ob es im Rahmen der Risikoeinschätzung Unterschiede zwischen den Branchen (Finanzdienstleistungssektor vs. Nicht-Finanzdienstleistungsunternehmen) sowie zwischen den Funktionen der Projektbeteiligten gibt. Anhand der aus der Untersuchung gewonnenen Erkenntnisse soll eine Handlungsempfehlung abgeleitet werden.
INHALT
1 Einleitung
1.1 Problemstellung
1.2 Ziel der Arbeit
1.3 Vorgehensweise
2 Theoretische Grundlagen
2.1 Risiken im Projektmanagement
2.2 Risikomanagement
2.3 Fragebogenkonstruktion
2.4 Strukturgleichungsmodellierung
2.5 Varianzanalyse
3 Messmodelle zu den Risiken im Projektmanagement
3.1 Einführung
3.2 Modell 1: Kritische Erfolgsfaktoren nach Belassi und Tukel
3.3 Modell 2: Risiken im Projektmanagement nach Heche
3.4 Modell 3: Studienergebnisse Misserfolgsfaktoren im Projektmanagement
4 Der Fragebogen
5 Empirische Untersuchung
5.1 Deskriptive Analyse
5.2 Konfirmatorische Faktorenanalyse
5.3 Interpretation der Untersuchungsergebnisse
5.4 Varianzanalyse
6 Handlungsempfehlung
7 Fazit
Anhang
Literaturverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Problemstellung
Über die letzten Jahrzehnte hinweg hat die Projektarbeit in Unternehmen sukzessive an Bedeutung gewonnen.1 Projekte sind starke Instrumente, um ökonomische Werte zu schaffen, Vorteile gegenüber den Wettbewerbern zu erzielen und einen betrieblichen Nutzen für Unternehmen zu generieren. Der Mehrwert eines erfolgreichen Projektmanagements ist beispielsweise durch die Einführung neuer Produkte und Dienstleistungen, Veränderungen der bisherigen Arbeitsprozesse oder durch Einsparungen betrieblicher Kosten direkt wahrnehmbar.2
Durch das Management von Projekten versucht man, verschiedene Ziele zu erreichen. Zu diesen Zielen gehören u.a. die Einhaltung von Terminen, das Nichtüberschreiten von Budgets, die Vermeidung von Fehlern, eine Erhöhung der Mitarbeitermotivation sowie eine optimale Auslastung der vorhandenen Kapazitäten.3
Den zahlreichen Chancen einerseits, die sich durch die Projektarbeit ergeben, stehen auf der anderen Seite etliche Risiken gegenüber, die Projekte mit sich bringen. Der Begriff „Risiko“ begleitet uns in nahezu all unseren Lebenslagen und schließt dabei keine Gesellschaftsschicht aus. Nur selten sind menschliche Entscheidungen nicht risikobehaftet. Durch ungesunde Ernährung bzw. durch einen allgemein ungesunden Lebensstil erhöht man das Risiko, im Alter von schwerwiegenden Krankheiten betroffen zu werden. Selbst wenn man sich im Internet beispielsweise ein neues Tablet bestellen möchte, existieren zahlreiche Risiken. Es kann sein, dass es nicht rechtzeitig geliefert wird, es gar nicht erst ankommt oder bereits durch die Lieferung beschädigt ist. Dass gewisse Risiken bestehen, wird oftmals schlichtweg so hingenommen. Möglicherweise denkt man noch irgendwie darüber nach oder berücksichtigt sie gar in seinen Entscheidungen.Allerdings findet ein systematischer Umgang mit Risiken nicht statt.
Im Gegensatz zur „Alltagswelt“ herrscht in der Unternehmenspraxis Einigkeit, dass Risikomanagement zwingend durchgeführt werden muss, um ein Projekt erfolgreich abschließen zu können. Die Diskussion um Risikomanagement in Projekten ist allerdings kein neuartiges Phänomen. Es gibt bereits aus den 20er-Jahren Publikationen, die sich mit dem Themenfeld „Risiko“ beschäftigen. Durch die sukzessiv ansteigende Bedeutung der Projektarbeit in Unternehmen ist diese Thematik allerdings aktueller denn je.4 Es deuten zwar einige Indikatoren darauf hin, dass Projekte mittlerweile erfolgreicher abgeschlossen werden als noch vor wenigen Jahren.
Dennoch gibt es Anzeichen auf eine erhebliche Anzahl an Projekten, die nicht den Zielen oder Erwartungshaltungen der Unternehmensleitung bzw. externen Auftraggebern gerecht werden. Die Unternehmensberatung McKinsey and Company fand heraus, dass im IT-Bereich durchschnittlich in 45% der größeren Projekte das Budget überschritten wird und in 7% der Fälle die gesetzten Deadlines nicht eingehalten werden, während 56% der Projekte dem Unternehmen geringere Wertzuwächse bringen als erhofft. Aufgrund der hohen Bedeutung von Projektarbeit ist die Analyse der Erfolgsfaktoren bzw. jener Faktoren, die zu einem Scheitern von Projekten führen können, von elementarer Bedeutung.5
Die vorliegende Arbeit widmet sich letzterem, also der Analyse von Nichterfolgsfaktoren bzw. Risiken im Projektmanagement. Projekte können vor allem auch dann scheitern, wenn das Management die potenziellen Risiken nicht kennt bzw. diesen kritischen Erfolgsfaktoren nur geringe Beachtung schenkt.
1.2 Ziel der Arbeit
Ziel der vorliegenden Arbeit ist herauszufinden, wie hoch verschiedene Risiken im Projektmanagement eingeschätzt werden. Um die Einschätzungen bzgl. der Risiken zu erhalten, wurden Projektmanager und Projektbegleiter aus unterschiedlichen Branchen befragt. Da Projekte in Unternehmen einen hohen Stellenwert haben, wird es immer wichtiger, sich mit den möglichen Risiken, die solche Projekte mit sich bringen, zu beschäftigen und entsprechende
Präventionsmaßnahmen einzuleiten. Berücksichtigt man die potenziellen Risiken nicht bzw. nur oberflächlich, so können sich diese im Falle eines Auftretens in erheblichem Ausmaß auf die Faktoren Zeit, Kosten und Qualität auswirken.6
Des Weiteren wird untersucht, ob es im Rahmen der Risikoeinschätzung Unterschiede zwischen den Branchen (Finanzdienstleistungssektor vs. Nicht- Finanzdienstleistungsunternehmen) sowie zwischen den Funktionen der Projektbeteiligten gibt.
Anhand der aus der Untersuchung gewonnenen Erkenntnisse soll eine Handlungsempfehlung abgeleitet werden.
Zur einfacheren Lesbarkeit wurde in der vorliegenden Ausarbeitung von einer geschlechterspezifischen Schreibweise abgesehen.
1.3 Vorgehensweise
Zu Beginn der Arbeit wird erläutert, was man im Allgemeinen unter einem Risiko versteht und es werden die verschiedenen Risikoarten dargestellt. Daraufhin folgt die Einführung der Prozesse des Risikomanagements, d.h. Erläuterungen zur Identifikation, Analyse und Bewertung von Risiken sowie zur entsprechenden Maßnahmenplanung. Im Anschluss daran werden die theoretischen Grundlagen der durchgeführten statistischen Untersuchungen erklärt. Danach werden drei theoretische Modelle, die Risiken im Projektmanagement beschreiben, vorgestellt. Diese Modelle entstammen einer umfangreichen, wissenschaftlichen Literaturrecherche sowie aktuellen Studien zum Thema „Risiken im Projektmanagement“.
Im weiteren Verlauf dieser Arbeit schließt sich der empirische Part an. Die Auswertung der durch die Umfrage erhobenen empirischen Daten erfolgt mit Hilfe einer Faktorenanalyse sowie einer Varianzanalyse. Durch die beiden genannten Analysemethoden versucht man, Erkenntnisse darüber zu gewinnen, welche Risiken von den Projektmanagern und den Projektbegleitern als hoch bzw. niedrig eingestuft werden und ob es Unterschiede gibt zwischen den Branchen und den Funktionen der Projektmitarbeiter. Die drei Messmodelle zu den Risiken im Projektmanagement werden anhand bestimmter Kriterien in ihrer Güte geprüft. Anschließend erfolgt eine Interpretation der Ergebnisse. Eine Handlungsempfehlung soll mögliche Maßnahmen in Bezug auf die gewonnenen Erkenntnisse aufzeigen. In einer Schlussbetrachtung werden die elementaren Untersuchungsergebnisse noch einmal zusammengefasst dargestellt und auf weitere Entwicklungstendenzen ausgeblickt.
2. Theoretische Grundlagen
2.1 Risiken im Projektmanagement
2.1.1 Risikobegriff
In der Literatur existieren zahlreiche Definitionen für den Risikobegriff. Ursprünglich stammt die Bezeichnung „Risiko“ aus dem Italienischen und kann als „Wagnis, Gefahr oder Verlustmöglichkeit bei einer unsicheren Unternehmung“ interpretiert werden. Ein Risiko ist ein Ereignis, von dem man nicht sicher weiß, ob es eintreten wird und in welcher genauen Höhe es im Falle eines Auftretens einen Schaden verursacht. Es lässt sich allerdings eine Wahrscheinlichkeit für das Eintreten dieses Ereignisses (Risikowahrscheinlichkeit) bzw. für die Höhe des Schadens (Schadenswahrscheinlichkeit) angeben. Dabei ist die Eintrittswahrscheinlichkeit der Schadenshöhe unabhängig von der Wahrscheinlichkeit für das Eintreten des Ereignisses.7 In einem Wirtschaftslexikon ist der Risikobegriff wie folgt definiert:„Kennzeichnung der Eventualität, dass mit einer (ggf. niedrigen, ggf. auch unbekannten) Wahrscheinlichkeit ein (ggf. hoher, ggf. in seinem Ausmaß unbekannter) Schaden bei einer (wirtschaftlichen) Entscheidung eintritt oder ein erwarteter Vorteil ausbleiben kann.“8
Wenn man den Begriff „Ereignis“ und „Schaden(shöhe)“ unter dem Aspekt des Sicherheitsgrades der Information betrachtet, lassen sich Risiken folgendermaßen abgrenzen:9
Tab. 1: Abgrenzung der Risikodefinition
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Eigene Darstellung, in Anlehnung an Schnorrenberg/Goebels, 1998, S. 6.
Im Rahmen der Projektarbeit ist die Analyse von potenziellen Risiken, oftmals wird in diesem Zusammenhang von kritischen Erfolgsfaktoren gesprochen, von größter Relevanz. Kritische Erfolgsfaktoren (CSFs) werden definiert als „[…] characteristics, conditions or variables that can have a significant impact on the success of the project when properly sustained, maintained or managed“10. Ist ein Unternehmen also in der Lage, seine Risiken bzw. CSFs ordentlich zu managen, wirkt sich das i.d.R. positiv auf die Projektdurchführung aus. Im Umkehrschluss bedeutet dies allerdings auch: Mangelnde Kenntnis über potenzielle Risiken bzw. eine Nichtbeachtung möglicher Risiken wirkt sich in erheblichem Maße negativ auf das Projekt aus. Von Risiken spricht man allerdings nur bei einer Soll-/Ist-Abweichung, die den Projekterfolg in negativer Weise beeinflusst. Es gibt nämlich auch Veränderungen, die während der Durchführung des Projekts auftreten und die sich auf dieses positiv auswirken. Hier ist dann von Chancen die Rede.11 Die vorliegende Arbeit thematisiert jedoch ausschließlich die negativen Aspekte, welche im Rahmen der Projektarbeit auftreten können und die somit immensen Einfluss auf das Vorhaben nehmen.
2.1.2 Risikoarten
Die nachstehende Abbildung ermöglicht einen Überblick über potenzielle Risiken, die einem Projektteam im Laufe des Projekts begegnen können. Aufgrund der detaillierten Beschreibung der relevanten Risiken in den drei Messmodellen nach Belassi/Tukel, Heche und einer GPM-Studie12, die in der vorliegenden Arbeit untersucht werden, wird in diesem Kapitel nicht weiter auf die verschiedenen Klassifizierungen und ihren dazugehörigen Risiken eingegangen. Stattdessen liefert die Abbildung eine Grobübersicht einiger Risiken bzw. Risikoarten, mit denen sich die Projektbeteiligten auseinandersetzen müssen. Die Inhalte des Schaubildes entsprechen nicht dem Kriterium der Vollständigkeit. Vielmehr soll es aufzeigen, welche Risikoarten vor, während und nach der Projektdurchführung auftreten können. Die verschiedenen Risiken entstammen einer umfangreichen Literaturrecherche im Bereich der Misserfolgsfaktoren bzw. den kritischen Erfolgsfaktoren.
Abb. 1: Eine Sammlung von Projektrisiken
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Eigene Darstellung.
Die folgende Abbildung zeigt sieben Ansätze aus der Literatur, in denen die auf den Projektmanagementerfolg bezogenen kritischen Erfolgsfaktoren aufgelistet werden. In dieser Auflistung wird ersichtlich, dass sich ein Großteil dieser Faktoren auf personelle Eigenschaften bezieht. Bereits im Jahr 1969 kam Ivars Avots in seiner Studie mit dem Thema „Why does project management fail?“ zu dem Ergebnis, dass vor allem personelle Faktoren den Projektmanagementerfolg gefährden können.13
Abb.2: Auflistung der kritischen Erfolgsfaktoren aus der Literatur
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Belassi/Tukel, 1996, S. 143.
2.2 Risikomanagement
2.2.1 Definition
Für jedes Projekt, das in einem Unternehmen durchgeführt wird, ist es von essenzieller Bedeutung, dass ein entsprechendes Risikomanagement vorhanden ist. Darunter versteht man den strukturierten, proaktiven und präventiven Umgang mit projektgefährdenden Faktoren.14 Im Allgemeinen dient Risikomanagement dazu, risikobehaftete betriebliche Prozesse zielgerichtet zu planen und zu steuern. Es ist somit elementarer Bestandteil betrieblicher Führungsentscheidungen und betont die Notwendigkeit, Risiken im betrieblichen Planungs- und Steuerungsprozess zu berücksichtigen. Ein Projektrisikomanagement legt zusätzlich den Fokus auf projektspezifische Aspekte bei der Risikoanalyse und Risikohandhabung.15 Im Rahmen des Risikomanagements geht es darum, über Korrekturmaßnahmen nachzudenken, bevor ein Problem auftritt, also so lange es noch eine abstrakte Vorstellung ist. Im Kontrast dazu steht das Krisenmanagement. Hier muss eine Lösung für ein Problem gefunden werden, nachdem es aufgetreten ist.16 Das Management sollte sich bereits in den Vorphasen des Projekts mit möglichen Risiken auseinandersetzen. Stellt man bereits in der Anfangsphase des Projekts einen Fehler fest, so kann man mit deutlich geringerem finanziellen Aufwand darauf reagieren, als wenn man diesen erst in der Realisierung entdeckt. In der Praxis gilt die Regel, dass mit Risikomanagement bei einem internen Projekt spätestens vor dessen Freigabe, bei einem externen Projekt vor Abgabe eines rechtsverbindlichen Angebots begonnen werden sollte.17 Wolke definiert Risikomanagement wie folgt: „Risk management includes the company-wide measurment and supervision of all business risk.“18 Demnach sollten sich Unternehmen allen potenziellen Faktoren, die den Projekterfolg beeinträchtigen, bewusst sein und entsprechende Präventionsmaßnahmen treffen.
2.2.2 Risikoidentifikation
Die Identifikation möglicher Risiken stellt den ersten Schritt und somit die Basis für das Risikomanagement in Projekten dar. Dabei ist auf eine umfangreiche Zusammenstellung der projektgefährdenden Faktoren zu achten. Im Zweifel ist es besser, ein Risiko mehr in die Überlegungen miteinzubeziehen, als dass Risiken bei der Betrachtung weggelassen werden.19
Die frühzeitige Identifikation von Projektrisiken ist eine Voraussetzung für das rechtzeitige Ergreifen geeigneter Maßnahmen. Außerdem stellt dies eine kontinuierliche Aufgabe dar, die über alle Projektphasen hinweg von den Verantwortlichen wahrgenommen werden muss.20 Das Ziel ist die lückenlose Erfassung aller möglichen Risiken, soweit sie im jeweiligen Stadium des Projekts erkennbar sein können.
Als Grundlage für die Identifikation dienen die bisherigen Pläne wie Zielbeschreibungen, Projektstrukturen, Arbeitspakete und Terminpläne, deren Vollständigkeit, Zustandekommen und Qualität. Zur Identifikation möglicher Risiken können zusätzlich noch weitere Instrumente herangezogen werden. Dazu zählen beispielsweise die Befragung von Leitern oder Mitarbeitern früherer und ähnlicher Projekte, Besuche vor Ort sowie Gespräche mit späteren Nutzern und Bedienern. Eine möglichst präzise Beschreibung des Risikos ist in diesem Zusammenhang sehr wichtig. Sie stellt die Basis für die spätere Festlegung der Eintrittswahrscheinlichkeit und der Suche nach den Ursachen als Voraussetzung für eine gezielte Maßnahmenplanung dar.
Ein mögliches Mittel zur Identifikation potenzieller Risiken sind Checklisten. Diese beinhalten zumeist geschlossene Fragen, auf die mit „ja“, „nein“ und ggf. mit „weiß nicht“ geantwortet werden kann.21 Neben der dualen Ausprägung mit den Werten „ja“ bzw. „nein“ existieren Checklisten mit einer ordinalen Ausprägung. Diese liegt dann vor, wenn mehr als zwei Werte möglich sind. Bei Terminüberschreitungen beispielsweise gibt es die Antworten „keine“, „weniger als 10 Tage“ und „mehr als 10 Tage“.22 Die Checklisten sollten von Projekt zu Projekt angepasst und um weitere Fragen ergänzt werden. Ein Vorteil liegt darin, dass sie relativ schnell und unkompliziert aufgestellt werden können. Außerdem besteht ein Zwang zur Beantwortung der Fragen und es können auch keine Fragen vergessen werden. Auf der anderen Seite kann durch diese Listen eine Scheinsicherheit entstehen und es werden nur die Risiken thematisiert, die in der Checkliste enthalten sind. Somit wird u.U. auf neue, projektspezifische Umstände nicht eingegangen. Checklisten sind zwar hilfreich zur Identifikation der Risiken, müssen aber um weitere Verfahren ergänzt werden.
Fragelisten mit offenen Fragen lassen diesbezüglich mehr Möglichkeiten zu. Hier gibt es keine vorgefertigten Antwortoptionen. Vielmehr sollen die Fragen Denkanstöße geben, über mögliche Risiken nachzudenken. Weitere Verfahren in der Risikoidentifizierung liegen in den so genannten Kreativitätstechniken. Methoden wie Brainstorming, Brainwriting und das Mind-Mapping haben sich dabei in der Praxis durchgesetzt.
Eine zusätzliche in der Praxis angewandte Methode ist die nominale Gruppentechnik. Sie stellt bereits eine Kombination aus Identifikation und Bewertung von Risiken dar. Hier schreiben zunächst alle Teilnehmer einzeln die aus ihre Sicht wichtigsten Risiken nach einer Rangfolge geordnet auf. Anschließend werden dann alle Risiken der ersten Priorität abgefragt und aufgelistet. Danach folgen die Risiken zweiter Priorität. Im Anschluss daran werden die Risiken über Punkte zu einer Gesamtbewertung gebracht und eine Rangfolge erstellt.
Des Weiteren ist eine detaillierte Stakeholderanalyse im Rahmen der Risikoidentifikation von hoher Bedeutung. Es ist wichtig, die verschiedenen Interessensgruppen am Projekt sowie deren Motive zu kennen. Die Stakeholderanalyse ist gerade deshalb von hoher Bedeutung, um vor negativen Überraschungen sicher zu sein oder sich positive Elemente zu Nutze zu machen.23
2.2.3 Risikoanalyse und Risikobewertung
Nachdem alle ersichtlichen Risiken identifiziert, beschrieben und aufgelistet wurden, erfolgt im nächsten Schritt ihre Analyse und Bewertung. Risiken sollten aktiv bekämpft werden und nicht als gegeben erachtet werden. Entsprechende Maßnahmen kosten i.d.R. Zeit und Geld. Folglich nehmen sie Ressourcen in Anspruch, die nur begrenzt zur Verfügung stehen. Um sicherzustellen, dass die Maßnahmen möglichst effektiv und effizient wirken, müssen wesentliche Risiken von unwesentlichen Risiken getrennt werden. Im Mittelpunkt der Analyse stehen zunächst die Determinanten, die das Risikopotenzial bestimmen. Das ist zum einen die Wahrscheinlichkeit, mit der das Risiko auftritt und zum anderen die entsprechende Tragweite im Falle eines Auftretens. Als dritte Komponente kann noch der Zeitpunkt der Entdeckung hinzugenommen werden.24 Zur Bewertung von Projektrisiken lassen sich grundsätzlich qualitative von quantitativen Verfahren unterscheiden. Welche Verfahrensart im Einzelfall zu bevorzugen ist, sollte man individuell entscheiden.25
Bei der qualitativen Risikobewertung werden die Einzelrisiken hinsichtlich ihrer Relevanz, also der Gesamtbedeutung des Risikos, eingeschätzt und in festgelegte Risikoklassen einer ordinalen Relevanzskala eingeteilt. Allerdings liefert die qualitative Bewertung keine Grundlage für eine wirksame Steuerung der Projektrisiken und kann somit nur als grobe Ersteinstufung des Risikos dienen.
Bei der quantitativen Risikobewertung hingegen erfolgt eine Quantifizierung des Risikos anhand einer reellen Zahl, dem so genannten Risikomaß. Im Fokus der quantitativen Verfahren stehen Scoring-Modelle, die unterschiedliche Risikoindikatoren mit Punktwerten belegen. Diese Indikatoren werden dann individuell gewichtet und zu einem Gesamtpunktwert verdichtet, der im Anschluss das Risikomaß darstellt.26 Da bei der quantitativen Bewertung der Tragweite und der Wahrscheinlichkeit numerische Werte zugeordnet werden, zwischen denen messbare Abstände bestehen, liegt im Rahmen dieser Verfahren eine kardinale Skalierung vor. Neben der Umsetzung einer Punkteskala hat es sich bei der Bewertung der Wahrscheinlichkeiten zudem bewährt, unmittelbar mit Prozentsätzen zu arbeiten.27
Ein Verfahren der quantitativen Risikobewertung ist die Fehlermöglichkeits- und Einflussanalyse (FMEA = Failure Mode and Effects Analysis).28 Sie kann in allen Phasen des Projekts angewendet werden.29 Das FMEA-Verfahren wurde ursprünglich zur Analyse von Schwachstellen bzw. Risiken technischer und militärischer Systeme oder Prozesse entwickelt. Im Jahr 1963 wurde diese Analysemethode für die Untersuchung der technischen Risiken beim Apollo-Projekt genutzt und anschließend auch in der Luft-und Raumfahrt. Die moderne FMEA legt den Fokus auf das frühzeitige Erkennen und Vermeiden von potenziellen Fehlern und damit auf der Reduktion des Auftretens deren Folgen. Sie analysiert somit präventiv Fehler und deren Ursache.30 Im Rahmen des FMEA-Verfahrens werden die drei folgenden Punkte untersucht:
1. Wahrscheinlichkeit des Auftretens eines Fehlers (Risiko)
2. Tragweite des Fehlers
3. Wahrscheinlichkeit der Entdeckung eines Fehlers vor der Übergabe des Projektergebnisses an den Kunden
Jede der drei Fragen wird mit 1-10 Punkten bewertet und aus der Multiplikation dieser Punkte wird eine Risikoprioritätszahl (RPZ) zur Bestimmung der Priorität eines Risikos ermittelt. Somit kann die RPZ Werte zwischen 1 und 1.000 annehmen. Bei der Multiplikation ist allerdings noch zu beachten, dass eine hohe Entdeckungswahrscheinlichkeit einen niedrigen Wert annimmt, was eine positive Wirkung auf die RPZ bedeutet. Aus dieser Zahl werden Risiken priorisiert und Vorschläge für Notwendigkeiten von Maßnahmen abgeleitet.31 Je höher der Wert der RPZ ist, desto umfangreichere Maßnahmen müssen anschließend eingeleitet werden. Durch die Analyse aller Netzwerkkomponenten erlaubt es die FMEA, eine zumindest grobe Gesamtrisikobewertung für eine Infrastruktur zu erstellen.32
2.2.4 Maßnahmen im Rahmen des Risikomanagements
Nachdem die Ergebnisse aus der Analyse und Bewertung der identifizierten Projektrisiken gewonnen werden konnten, müssen in einem nächsten Schritt Maßnahmen zur Projektrisikohandhabung eingeleitet werden. Aus der Risikobewertung gehen bereits die verschiedenen Risikoklassen hervor. Die Methoden zur Risikohandhabung knüpfen an diese Klassen an. In der folgenden Abbildung ist eine so genannte Projektrisikomatrix dargestellt, die die Projektrisiken gem. dem Erwartungswert nach ihrer einwertig geschätzten Eintrittswahrscheinlichkeit und ihrer einwertig geschätzten Schadenshöhe zu einem zweidimensionalen Portfolio abbildet.33
Abb.3: Projektrisikomatrix
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Becker et al., 2015, S.33.
Gemäß dieser Projektrisikomatrix lassen sich die Risiken je nach Kombination aus Schadenshöhe und Eintrittswahrscheinlichkeit in die Kategorien „geringes Risiko“,„mittleres Risiko“ und „hohes Risiko“ eingruppieren. Anhand dieser Klassifikationen lassen sich Risikomaßnahmen ableiten. Um diese Risiken zu managen, stehen den Verantwortlichen folgende fünf Maßnahmen zur Verfügung:
1. Risiken vermeiden
2. Risiken verlagern
3. Risiken vermindern
4. Risiken begrenzen
5. Risiken akzeptieren
In Bezug auf das Risikoportfolio ergibt sich dann folgende mögliche Zuordnung:
Abb.4: Risikomaßnahmen
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Eigene Darstellung, angelehnt an Rohrschneider/Spang, 2012, S. 144.
Um den ersten Punkt „Risiken vermeiden“ umzusetzen, hat man genau zwei Möglichkeiten. Entweder man führt das Projekt gar nicht durch und hat somit auch keine Risiken oder man bearbeitet das Projekt auf eine Art und Weise, so dass der Risikoeintritt durch das Alternativvorgehen ausgeschlossen wird.
Verlagert man die Risiken, so werden diese auf andere Institutionen übertragen und somit umgewälzt. So können Risiken z.B. auf den Auftraggeber oder auf Lieferanten übertragen oder über Versicherungen (teil-)abgesichert werden.
Durch die Risikoverminderung soll die Eintrittswahrscheinlichkeit und/oder die mögliche Tragweite des Risikos reduziert werden. Beispielsweise verringert eine besonders feste Verpackung für Projektteile die Gefahr, dass diese beim Transport beschädigt werden.
Risiken begrenzen bedeutet, dass die negativen Folgen bei einem Eintreten des Risikos reduziert werden. So kann z.B. für den Fall eines Geräteausfalls ein Ersatzgerät bereitgehalten werden.
In dem letzten Punkt „Risiken akzeptieren“ wird das noch verbleibende Restrisiko übernommen bzw. es muss getragen werden. Dazu sind ggf. noch weitere geeignete Maßnahmen wie Notfallpläne etc. zu treffen.34
2.3 Fragebogenkonstruktion
Im Rahmen der empirischen Untersuchung bietet sich zur Datenerhebung die Erstellung eines Fragebogens an. Bevor die Umfrage gestartet werden kann, müssen zunächst einige theoretische Sachverhalte bzgl. der Fragebogenkonstruktion beachtet werden. Rolf Porst definiert den Begriff „Fragebogen“ wie folgt: „Ein Fragebogen ist eine mehr oder weniger standardisierte Zusammenstellung von Fragen, die Personen zur Beantwortung vorgelegt werden mit dem Ziel, deren Antworten zur Überprüfung der den Fragen zugrundeliegenden theoretischen Konzepte und Zusammenhänge zu verwenden. Somit stellt ein Fragebogen das zentrale Verbindungsstück zwischen Theorie und Analyse dar.“35
Für die Konstruktion von Fragebögen und der anschließenden Auswertung existieren einige Anforderungen. Aufgrund der Vielzahl dieser Kriterien werden in der vorliegenden Arbeit nur die wichtigsten Anforderungen genauer beschrieben. Man differenziert zwischen Neben- und Hauptgütekriterien. Zu den Hauptgütekriterien gehören Objektivität, Reliabilität, Validität sowie die Skalierbarkeit eines Tests. Zusätzlich lassen sich diese Begriffe in weitere Kriterien unterteilen, wie z.B. die Objektivität in Durchführungsobjektivität, Auswertungsobjektivität und Interpretationsobjektivität.36 Bei der Konstruktion eines Fragebogens ist es von elementarer Bedeutung, auf die qualitative und quantitative Übereinstimmung des Instrumentariums mit dem Forschungsziel zu achten. Unter quantitativer Übereinstimmung versteht man die vollständige Operationalisierung aller Hypothesen bzw. Variablen des zugrundeliegenden theoretischen Konzepts. Bei der qualitativen Übereinstimmung des Fragebogens mit dem Forschungsziel geht es um die inhaltlich angemessene Operationalisierung aller Hypothesen des theoretischen Konzepts. Der Fragebogen muss alle theoretischen Begriffe abbilden. Sowohl die Frageformulierungen, die Antwortkategorien als auch die Art der Frage müssen geeignet sein, die angezielten Informationen reliabel und valide zu messen.
Der Begriff Reliabilität bzw. Zuverlässigkeit entstammt der klassischen Testtheorie und thematisiert die Stabilität und Genauigkeit von Messungen.37 Die Reliabilität bezeichnet den Grad der Genauigkeit, mit dem ein Test ein bestimmtes Merkmal misst, unabhängig davon, was er zu messen beansprucht. 38 Die Reliabilität gibt das Ausmaß an, in welchem wiederholte Messungen eines Einstellungsobjekts zu gleichen Werten führen.39 Die Messung muss mit hinreichender Genauigkeit erfolgen, so dass eine Wiederholung unter ansonsten gleichen Bedingungen zu nahezu denselben Ergebnissen kommt.40 Die Messwiederholungen müssen dabei unabhängig voneinander sein, d.h. die Beantwortung jedes einzelnen Items hängt nicht von der Beantwortung der übrigen Items ab. Reliabilität bezieht sich somit auf die Replizierbarkeit von Messungen.41 Sie kann auf unterschiedliche Arten gemessen werden, als Basis dafür dienen die Korrelationskoeffizienten.42
Ein weiteres Hauptgütekriterium stellt die Validität dar. Sie bezieht sich auf die Angemessenheit der Operationalisierung eines theoretischen Begriffs.43 Unter Validität versteht man das Ausmaß, in dem ein Test misst, was er zu messen beansprucht. Von der so genannten Inhaltsvalidität ist dann die Rede, wenn ein Test sowie jedes einzelne Item das zu messende Merkmal wirklich bzw. hinreichend präzise erfasst. In diesem Kontext bezieht sich Präzision nicht auf den Aspekt der Messgenauigkeit, sondern auf die Abbildung des Konstrukts durch das Item. Das Item muss das angestrebte Konstrukt präzise messen und eben kein weiteres Konstrukt. Die Gewährleistung einer hohen Inhaltsvalidität ist der bedeutendste Schritt für die Testkonstruktion.44 In der quantitativen Forschung meint interne Validität, wie eindeutig ein gemessener Zusammenhang bestimmt werden kann, also inwiefern Störeinflüsse externer Variablen ausgeschlossen werden können.45
Ein psychometrischer Test sollte sowohl bei der Durchführung als auch bei der Auswertung objektiv sein.46 Die Objektivität gibt an, in wie weit ein Messwert unabhängig von der Person ist, die eine Messung durchführt.47 Bei einer Untersuchung sind die Eigenschaften bzw. der Einfluss derjenigen Person, die die Umfrage durchführt, irrelevant. Objektivität liegt vor, wenn verschiedene Personen bei einer Untersuchung dieselben Ergebnisse erzielen. Folglich muss eine objektive Erhebung sowohl bei der Durchführung einer Befragung als auch bei der späteren Auswertung unabhängig von der interviewenden bzw. auswertenden Person sein.48
Bei einem objektiven Test sollten die Durchführung und Auswertung sowie die Interpretation der Testleistung einer Person nicht variieren, selbst wenn unterschiedliche Testleiter den Test durchführen, auswerten oder interpretieren. Dies lässt den Schluss zu, dass die gesamte Testdurchführung standardisiert ablaufen sollte.49
Skalierung bedeutet, dass die Bildung eines Testwerts durch eine gültige Verrechnungsvorschrift vorgenommen wird. Dabei muss man sich konkret folgende Frage stellen: Darf ich jede richtig gelöste Aufgabe eines Tests einfach zu einem Gesamtwert aufsummieren? Dies lässt sich am Beispiel eines Stabhochsprungwettbewerbs einfach darstellen. Hierbei bekommt jeder Athlet pro übersprungene Höhe einen Punkt. Für jede nicht überwundene Höhe gibt es keinen Punkt. Athlet 1 überspringt die Höhen 1,40m und 1,45m und bekommt somit zwei Punkte. Hochspringer 2 überspringt jedoch lediglich die Höhe 1,50m und bekommt konsequenterweise einen Punkt. Folglich gewinnt Athlet 1, obwohl eigentlich Athlet 2 der Sieger sein müsste, da er höher gesprungen ist. Dies ist ein Beispiel dafür, dass die Punktevergabe und die daraus resultierende Summenwerte die Verhaltensrelation nicht adäquat widerspiegeln.50
Neben den ganzen Anforderungen an den Fragebogen muss man die Überlegung anstellen, über welches Medium man diesen verbreitet. Mittlerweile werden aufgrund der fortgeschrittenen Digitalisierung viele Fragebögen online zugänglich gemacht. Dadurch werden die Items nicht mehr so oft von einem Interviewer persönlich abgefragt. Um die Entscheidung treffen zu können, über welches Medium man einen Fragebogen zur Verfügung stellt, müssen die Vor-und Nachteile der Online-Befragung ggü. alternativen Befragungstechniken abgewogen werden. Ein wichtiger Vorteil von Online-Befragungen ist, dass diese sowohl räumlich als auch zeitlich unabhängig sind. Dadurch können alle Befragungspersonen über große Entfernungen hinweg gleichzeitig kontaktiert werden. Außerdem sind Online- Befragungen besonders offen für neue, graphisch anspruchsvolle Instrumente. Es können auch multimediale Inhalte, wie z.B. Bilder, Videos oder Audioelemente problemlos in den Fragebogen integriert werden. Diese können Teilnehmer motivieren oder helfen dabei, Missverständnisse zu vermeiden. Im Gegensatz zu telefonischen und persönlich-mündlichen Erhebungen kommen bei Online- Befragungen keine Interviewer zum Einsatz. Fällt der Einfluss des Interviewers weg, so geben die Probanden tendenziell offenere und ehrlichere Antworten. Des Weiteren entfällt bei Online-Befragungen das Risiko, dass Fehler durch die manuelle Datenerfassung entstehen, da die eingegebenen Daten direkt auf einem Server gespeichert werden und darauf verfügbar sind. Auch aus finanzieller Sicht hat die Online-Befragung ggü. alternativen Befragungstechniken Vorteile. Für die Einladungen zur Umfrage, den Fragebogenversand und den Interviewer fallen hier keine Kosten an. Als Nachteil wird gesehen, dass die Reichweite von der Ausstattung der Zielpopulation mit Computer und Internet abhängt. Eine weitere Hürde bei der Online-Befragung ist, die erreichbare Population zur Teilnahme zu motivieren. Oftmals vermuten die Probanden bei einer ernsthaft gemeinten Teilnehmeranfrage, dass eine kommerzielle Absicht hinter der Anfrage steckt.51 Um die Teilnehmer zur Umfrage zu motivieren, können bestimmte Anreize gesetzt werden, wie z.B. die Verlosung eines Gutscheins.52
2.4 Strukturgleichungsmodellierung
Strukturgleichungsmodelle sind in allen Wissenschaftsdisziplinen von elementarer Bedeutung, da sie als Standardinstrument zur empirischen Prüfung von Hypothesensystemen dienen. Sowohl in der Wissenschaft als auch in der Praxis sind Phänomene von Interesse, die sich einer direkten Beobachtbarkeit auf der empirischen Ebene entziehen. Sie werden u.a. als hypothetische Konstrukte, theoretische Begriffe oder latente Variablen bezeichnet. Typische Beispiele für solche latente Variablen sind u.a. Angst, Emotionen, Intelligenz, Loyalität oder Ehrgeiz. In Kontrast dazu stehen die so genannten manifesten Variablen, die beobachtbare und direkt messbare Größen darstellen. Die latenten Variablen werden in einem Messmodell dargestellt. Dabei fungiert die konfirmatorische Faktorenanalyse (KFA) als eines der zentralen Prüfungsinstrumente für hypothetische Konstrukte.53 Sie gilt als Spezialfall eines Strukturgleichungsmodells und zählt zu den strukturprüfenden Verfahren.54 Die konfirmatorische Faktorenanalyse dient dazu, theoretisch oder empirisch fundierte Modelle auf ihre empirische Passung mit den Daten hin zu testen oder mit alternativen Modellen zu vergleichen. Die Formulierung der Messmodelle erfolgt dabei auf Basis theoretischer oder zumindest sachlogisch eingehend fundierter Überlegungen. Dabei ist die Beziehung zwischen dem theoretischen Konstrukt und den Indikatoren, die das Konstrukt auf der empirischen Ebene widerspiegeln, vorab zu bestimmen.55 Die KFA erlaubt es, Kovarianzen oder Korrelationen zwischen beobachteten Variablen bzw. Items auf latente Variablen kausal zurückzuführen.56 Mit diesem Verfahren kann beispielsweise herausgefunden werden, wie stark die Nachfrage eines Produktes von dessen Qualität, dem Preis, der Werbung oder dem Einkommen des Konsumenten abhängt.57
Eine elementare Voraussetzung für die Durchführung der KFA ist das Vorliegen eines reflektiven Messmodells, durch das das Konstrukt operationalisiert wird. Messmodelle enthalten Anweisungen, wie einem hypothetischen Konstrukt ein beobachtbarer Sachverhalt zugewiesen und durch Zahlen erfasst werden kann. Sie unterstellen, dass Veränderungen in den Messwerten der Indikatorvariablen durch die latente Variable kausal verursacht werden. Somit können die Indikatorvariablen als austauschbare Messungen der latenten Variablen angesehen werden. Zudem gehen die reflektiven Messmodelle von hohen Korrelationen zwischen den Indikatorvariablen aus. Daher sind die Indikatorvariablen so zu definieren, dass sie jeweils für sich betrachtet ein Konstrukt in seiner Gesamtheit möglichst gut widerspiegeln. Des Weiteren verfügen reflektive Indikatoren alle über den gleichen Grad an Validität. Folglich stellen sie unter der Annahme gleichguter Reliabilität der Messung beliebig austauschbare Messungen eines Konstruktes dar. Die Zuordnung der Messitems, anhand derer die Faktoren abgefragt werden, wird vom Anwender vorab festgelegt. Im Anschluss daran wird die Stärke des Zusammenhangs zwischen dem Faktor und den dazugehörigen Indikatoren durch die Schätzung der Faktorladung überprüft. Dabei bestimmt man die Faktorladung (engl. standardized regression weight) durch die Gewichtungsgröße Lambda.
Im Rahmen der Modellspezifikation muss für jede Indikatorvariable eine Fehlervariable definiert werden, da bei der Vorhersage einer Indikatorvariablen stets auch ein Varianzanteil vorhanden ist, der durch die latente Variable nicht erklärt werden kann (Fehlervarianz). Die entsprechende Variable wird als Fehlervariable oder Störgröße bezeichnet.58
Bevor ein geeignetes Verfahren zur Schätzung der Modellparameter ausgewählt wird, sollte eine Prüfung der Ausgangsvariablen auf Multinormalverteilung erfolgen. Ist die Normalverteilung nicht gegeben, kommt es zu starken Verzerrungen der Modellgüte und der Parameterschätzer, wodurch inhaltlich falsche Schlüsse gezogen werden können. Sowohl die Maximum-Likelihood- Methode (ML) als auch die Methode der Generalized Least Square (GLS) setzen Messvariablen voraus, die aus einer normalverteilten Grundgesamtheit stammen. Die Prüfung auf Multinormalverteilung erfolgt dabei durch einen Test der einzelnen Variablen auf univariate Normalverteilung sowie einen Test der Variablengesamtheit auf multivariate Normalverteilung. Hierzu werden i.d.R. die Schiefe- und Wölbungsmaße sowie statistische Tests herangezogen. Die Schiefe (engl. Skewness) bezieht sich dabei auf die Asymmetrie einer Verteilung, d.h. sie zeigt die Stärke der Abweichung (nach oben und nach unten) beider Seiten ausgehend von dem Mittelwert. Die Wölbung (engl. Kurtosis) hingegen misst die Dichteverteilung einer Variablen. Sind beide Verteilungsseiten identisch, liegt eine symmetrische Verteilung vor und weist einen Schiefekoeffizienten von 0 auf. In der Literatur ist bislang umstritten, ab wann von einer bedeutsamen Verletzung der Normalverteilungsannahme auszugehen ist. Aus konservativer Sicht liegt bereits eine Abweichung der Normalverteilung vor, wenn sowohl die Schiefe- als auch Wölbungsmaße größer als 1 sind. Nimmt man jedoch eine weniger strenge Betrachtung vor, so spricht man erst bei einer Abweichung von >2 für den Schiefekoeffizienten und >7 für den Wölbungskoeffizienten von einer Verletzung der Normalverteilungsannahme.
Für das Vorliegen einer Multinormalverteilung hingegen ist das Vorhandensein univariat normalverteilter Variablen eine notwendige, allerdings noch keine hinreichende Bedingung. In einem weiteren Schritt muss daher die Variablengesamtheit zusätzlich auf multivariate Normalverteilung geprüft werden.
Für die Prüfung einzelner Variablen auf univariate Normalverteilung sowie die Variablengesamtheit auf multivariate Normalverteilung können die Critical Ratios (c.r.) herangezogen werden. Dividiert man die Parameter durch den jeweiligen Standardfehler, so erhält man die Critical Ratios. Bei der Interpretation der c.r.- Werte gibt es erneut sowohl konservative als auch moderatere Betrachtungsweisen. Insgesamt lässt sich sagen, dass bei einer Abweichung der c.r.-Werte von >1,96 bzw. >2,57 von einer Verletzung der Normalverteilung ausgegangen wird. Bei der Prüfung auf Normalverteilung wird in der vorliegenden Arbeit auf die Ergebnisse für die c.r.-Werte zurückgegriffen.59
Bei der Schätzung der Parameter des Modells nimmt die von SPSS angebotene Software AMOS (engl. Analysis of Moment Structures) eine simultane Schätzung aller Modellparameter vor. In der vorliegenden Arbeit wird zur Behandlung der Strukturgleichungsmodelle auf AMOS zurückgegriffen. Das Programm nimmt die Parameterschätzung so vor, dass die mit Hilfe der geschätzten Parameter erzeugte modelltheoretische Korrelationsmatrix eine möglichst gute Reproduktion der empirischen Korrelationsmatrix erbringt. Dabei stehen mehrere Schätzalgorithmen zur Verfügung.60 Zur Vereinfachung werden nun ausschließlich der sehr oft verwendete Maximum-Likelihood-Algorithmus und der in der vorliegenden Arbeit angewandte Scale free Least Square-Algorithmus (SLS) erläutert. Die Wahl eines geeigneten Schätzverfahrens hängt u.a. von der Verteilung der manifesten Variablen ab. Während die ML-Methode eine Normalverteilung der Daten voraussetzt, kann das SLS-Verfahren auch dann angewendet werden, wenn die Messitems nicht multinormalverteilt sind.
Die Maximum-Likelihood-Methode ist das in der Praxis am häufigsten angewendete Verfahren im Rahmen der Kausalanalyse. Sie erlaubt die Berechnung von Inferenzstatistiken und liefert bei einer Multinormalverteilung der Messvariablen die präzisesten Schätzungen.61 Des Weiteren sind ML-Schätzer skaleninvariant, d.h. Skalentransformationen verändern die Größe der Parameter nicht.62
Darüber hinaus spielt der Stichprobenumfang (N) eine wichtige Rolle bei der Auswahl eines geeigneten Schätzverfahrens. In der Literatur wird ein Stichprobenumfang dann als ausreichend angesehen, wenn der Stichprobenumfang N fünf Mal so groß ist wie die Zahl der zu schätzenden Parameter (t), also wenn gilt: N ≥ 5t. Andere Quellen besagen, dass von einem ausreichenden Stichprobenumfang dann ausgegangen werden kann, wenn N – t > 50 ist, d.h. wenn die Differenz aus dem Stichprobenumfang und der zu schätzenden Parameter größer als 50 ist.63
[...]
1 Vgl. Papke-Shields/Boyer-Wright, 2017, S. 169.
2 Vgl. Gomes/Romao, 2016, S. 490.
3 Vgl. Campa, 2005, S. 6f.
4 Vgl. Schnorrenberg/Goebels, 1998, S. 1.
5 Vgl. Papke-Shields/Boyer-Wright, 2017, S. 169.
6 Vgl. Romeike/Hager, 2013, S. 411f.
7 Vgl. Schnorrenberg/Goebels, 1998, S. 3ff.
8 Gabler Wirtschaftslexikon, Risikodefinition.
9 Vgl. Schnorrenberg/Goebels, 1998, S. 6.
10 Vgl. Milosevic/Patanakul, 2005, S. 183.
11 Vgl. Rohrschneider/Spang, 2012, S. 126.
12 Siehe hierzu Kapitel 3, S. 25.
13 Vgl. Avots, 1969, S. 77ff.
14 Vgl. Heche, 2004, S. 109.
15 Vgl. Troßmann, 2007, S. 15.
16 Vgl. DeMarco, 2003, S. 12.
17 Vgl. Rohrschneider/Spang, 2012, S. 127.
18 Wolke, 2017, S.1.
19 Vgl. Rohrschneider/Spang, 2012, S. 127.
20 Vgl. Keiser, 2005, S. 165.
21 Vgl. Rohrschneider/Spang, 2012, S. 127.
22 Vgl. Schnorrenberg/Goebels, 1997, S. 41.
23 Vgl. Rohrschneider/Spang, 2012, S.127ff.
24 Vgl. Rohrschneider/Spang, 2012, S.134.
25 Vgl. Keiser, 2005, S.166.
26 Vgl. Becker et al., 2015, S. 27.
27 Vgl. Rohrschneider/Spang, 2012, S. 137.
28 Vgl. Romeike/Hager, 2013, S. 257.
29 Vgl. Rachel et al., 2015, S. 865.
30 Vgl. Romeike, 2018, S. 86ff.
31 Vgl. Rohrschneider/Spang, 2012, S. 1425f.
32 Vgl. Romeike, 2018, S. 86f.
33 Vgl. Becker et al., 2015, S. 32f.
34 Vgl. Rohrschneider/Spang, 2012, S. 143f.
35 Porst, 2014, S. 16.
36 Vgl. Bühner, 2011, S. 58.
37 Vgl. Porst, 2014, S. 17.
38 Vgl. Bühner, 2011, S. 60.
39 Vgl. Krebs/Menold, 2014, S. 427f.
40 Vgl. Hollenberg, 2016, S. 6.
41 Vgl. Krebs/Menold, 2014, S. 428.
42 Vgl. Bühner, 2011, S. 60.
43 Vgl. Porst, 2015, S. 17.
44 Vgl. Bühner, 2011, S. 61f.
45 Vgl. Flick, 2014, S. 411.
46 Vgl. Bühner, 2011, S. 58.
47 Vgl. Flick, 2014, S. 412.
48 Vgl. Häder, 2015, S. 104.
49 Vgl. Bühner, 2011, S. 58.
50 Vgl. Bühner, 2011, S. 67f.
51 Vgl. Wagner/Hering, 2014, S. 661-664.
52 Vgl. Kirchhoff et al., 2010, S. 29.
53 Vgl. Backhaus/Erichson/Weiber, 2015, S. 101.
54 Vgl. Backhaus et. al., 2016, S. 14.
55 Vgl. Backhaus/Erichson/Weiber, 2015, S. 122.
56 Vgl. Bühner, 2011, S. 381.
57 Vgl. Backhaus et al., 2016, S. 16.
58 Vgl. Backhaus/Erichson/Weiber, 2015, S. 122ff.
59 Vgl. Weiber/Mühlhaus, 2014, S. 64ff.
60 Vgl. Backhaus et al., 2016, S. 594.
61 Vgl. Weiber/Mühlhaus, 2014, S. 64ff.
62 Vgl. Backhaus/Erichson/Weiber, 2015, S. 141.
63 Vgl. Weiber/Mühlhaus, 2014, S. 64ff.
- Citation du texte
- Lukas Hug (Auteur), 2018, Risiken im Projektmanagement, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/456280
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