Die alte Rüstungskontrolle nähert sich ihrem Ende. Veränderte politische und technologische Rahmenbedingungen erfordern einen neuen Ansatz für die Rüstungskontrolle. Gelingt ein neuer, vor allem politisch gleichberechtigter Ansatz für Rüstungskontrolle hat sie eine Zukunft. Falls nicht, verkommt sie weiter zu Symbol-Politik mit immer weniger Substanz.
Die in den vergangenen 30 Jahren praktizierte Missachtung grundlegender Völkerrechts-Prinzipien von Gleichheit, Gewaltverzicht und Souveränität für alle Staaten hat auch der Rüstungskontrolle ihr Fundament entzogen. Diese Politik hat die Welt zu einem sehr unsicheren Platz gemacht. Noch steht der tatsächliche Nachweis aus, dass politische Willenserklärungen zu Frieden, Stabilität und Gleichberechtigung auch politische Realität werden.
Inhaltsverzeichnis
Der 2. Kalte Krieg und das Elend der Rüstungskontrolle
Vorwort
Armageddon - Im Finale des 1. Kalten Krieges
Rahmenvereinbarungen der Rüstungskontrolle zwischen den Nuklearmächten
Nach dem Krieg ist vor dem Krieg?
Globale und europäische Ordnung nach dem 1. Kalten Krieg
Sein oder Nicht-Sein und Haben oder Nicht-Haben
Proliferation und globale Politik
Der freie Zugang zum Weltraum nur für Mächtige und Privilegierte?
Der Anfang vom Ende der alten Rüstungskontrolle
Auf zu den Sternen. Weltraumrüstung, Raketen- und Satellitenabwehr
Russland
Die USA
Der „Rest“ und die Folgen
Prompt Global Strike (PGS), Hyperschallkomplexe
Rüstungskontrolle?
Neues und Altes und zur kontrollierten Rüstung
New START
Zu Lande
Zur See
In der Luft
Das letzte Wort
China – der „dritte Mann“
Seit 2018 gibt ein viertes Rad am Wagen
START – die Sackgasse?
New START, INF und die nukleare Nichtweiterverbreitung
Die Zukunft des INF-Vertrages?
Nachkriegsordnungen in Europa, KSZE und OSZE - Echo aus ferner Vergangenheit
„Taktische“ Kernwaffen in Europa
Die Zukunft des Krieges - Gefahren durch Bits und Bytes, Cyberkriege, „künstliche Intelligenz“ und elektromagnetische Waffen
Die Hoffnung“ kam als Letzte aus Pandoras Büchse
Abkürzungsverzeichnis
Vorwort
Mit Lutz Vogt hat sich diesem hochkomplizierten und für die internationale Politik wie auch dessen Geschichte fundamentalen Thema ein Autor zugewendet, der nicht nur über ein umfassendes wie tiefgründiges Wissen der behandelten Materie verfügt, sondern dieses in seiner mehrjährigen diplomatischen Tätigkeit zielgerichtet, von seinen Partnern geschätzt und anerkannt, eingesetzt hat.
Peter Steglich
Botschafter a.D.
Armageddon - Im Finale des 1. Kalten Krieges
Am Übergang von den 1970-er zu den 1980-er Jahren begann eine erneute Zuspitzung des Kalten Krieges zwischen den beiden stärksten Nuklearmächten, den USA und der UdSSR und ihren Koalitionen – NATO und Warschauer Vertrag. Dieser Kalte Krieg des 20. Jahrhunderts wurde als ein Krieg zwischen den zwei von gegensätzlichen Eigentumsstrukturen geprägten gesellschaftlichen Systemen und ihren Weltanschauungen geführt. In mancher Hinsicht ähnelte er in vielen Erscheinungsformen dem europäischen Krieg zwischen christlichen Staaten katholischer oder protestantischer Prägung, der mit dem Frieden von Westfalen nach über 30 verheerenden Jahren sein Ende fand. US-Präsident Ronald Reagan gab den 1980er Jahren, der Schlussphase des 1. Kalten Krieges, in christlich fundamentalistischer Weise das Motto des biblischen Armageddon, des Endkampfes oder des Entscheidungskampfes zwischen den aus seiner Sicht Kräften von Gut und Böse in der Welt. Dieses Endkampf-Konzept der US-Strategie war absolut ernst gemeint und wurde mit allen der Politik zur Verfügung stehenden Instrumentarien praktisch umgesetzt. Damit wurden durch die USA zugleich die allgemeinen Rahmenbedingungen für die internationale Rüstungskontrolle gesetzt.
Der Kalte Krieg im 20. Jahrhundert war, wie jeder Krieg, von Anfang an „ein Akt der Gewalt, um den Gegner zur Erfüllung unseres Willens zu zwingen“ (Clausewitz „Vom Kriege“, Buch I, Kap. 1, Abschn. 2). Krieg ist Politik mit gewaltsamen Mitteln. Krieg und Gewalt (gewaltsame Mittel) reduzierten sich dabei noch nie auf den bewaffneten Kampf. Clausewitz definierte Krieg als Akt der politischen Gewalt; er reduzierte ihn nie auf den bloßen bewaffneten Kampf militärischer Streitkräfte. Vielmehr erfasste er alle gewaltsamen Mittel der Politik. Die komplexe und brillante Wesensbeschreibung des Krieges durch Clausewitz bestätigte sich erneut auch im 1. Kalten Krieg. Bis heute hat sich daran nichts geändert.
Im 1. Kalten Krieg zwischen 1946 und 1991 wurden von allen Kriegsparteien weltweit alle verfügbaren, gewaltsamen Mittel und Methoden zur Erzwingung ihrer politischen Ziele eingesetzt. Der Einsatz oder die Androhung militärischer Mittel, darunter auch des bewaffneten Kampfes, war von Beginn an lediglich eines der Elemente im breiten Spektrum gewaltsamer Mittel zur Durchsetzung politischer Ziele im 1. Kalten Krieg. Er dauerte länger als der 30-jährige Krieg in Europa und in diesen mehr als vier Jahrzehnten vollzogen sich grundlegende technologische Veränderungen mit vielfältigen Auswirkungen auf alle Elemente des gesellschaftlichen Lebens. Unter anderem betraf dieser Wandel auch „das Militär“ und alle mit ihm besonders stark verflochtenen gesellschaftlichen Bereiche. Die These von Clausewitz, dass der Krieg wie ein Chamäleon sei, bestätigte sich im 1. Kalten Krieg auf glänzende Weise („Vom Kriege“, Buch I, Kap. 1; Abschn. 28). Der 1. Kalte Krieg hatte bis zu seiner Schlussphase sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens aller kriegführenden Parteien durchdrungen, tiefgreifend geprägt und deformiert.
Dieser „Kalte Krieg“ wurde als umfassende Auseinandersetzung zweier unversöhnlich gegensätzlicher gesellschaftlicher Systeme und Weltanschauungen als weltweiter Krieg und unter Nutzung des gesamten verfügbaren Potentials an gewaltsamen Mitteln geführt. Geprägt wurde sein Beginn durch das fast zeitgleiche Auftauchen von Kernwaffen in den militärischen Arsenalen der wichtigsten Kriegsgegner.
Die Kernwaffen veränderten nach 1945 Alles von Grund auf. Sie machten aufgrund ihrer nie vorher gekannten Vernichtungskraft eine direkte militärische Auseinandersetzung der kernwaffenbesitzenden Kriegsparteien zur militärischen Erzwingung politischer Ziele unmöglich. Zwischen Kernwaffenstaaten können Kriege nicht mehr geführt, sondern nur noch beendet werden.
Über die Jahrzehnte des 1. Kalten Krieges gab es viel Neues im Kampf der kernwaffenbesitzenden Hauptkontrahenten verglichen mit früheren und mit zeitgleich verlaufenden, nichtnuklearen Konflikten. Eines war jedoch von Anfang an klar: so wie erwartet, konnte dieser Krieg nur mit dem politischen Untergang einer der kriegführenden Seiten enden. In welchen Formen und mit welchen Mitteln dies geschehen würde, war dann schon wieder von vielen Umständen abhängig.
Mit zunehmender Dauer des 1. Kalten Krieges formulierten nur noch die USA ein klares und zielstrebig verfolgtes Kriegsziel – die Vernichtung des konkurrierenden gesellschaftlichen Systems und seiner Weltanschauung, die die UdSSR und deren Koalitionäre repräsentierten. Dass dieses Ziel auch ohne den direkten bewaffneten Kampf zwischen NATO und Warschauer Vertrag erreichbar sein würde, ging vielen der damaligen „Krieger“, insbesondere in der sowjetischen Koalition einfach nicht in den Kopf. Nur auf Seiten der USA wurde ein wesentliches „Ziel des Krieges … den Feind wehrlos zu machen“ bis zum siegreichen Ende konsequent verfolgt. (Clausewitz „Vom Kriege“, Buch I, Kap. 1. Abschn. 4)“
Auf sowjetischer Seite endete die Definition des Kriegsziels zunehmend in verschwommenen, wohlklingenden, aber sinnentleerten Thesen. Die Formel von der „friedlichen Koexistenz“ von Staaten unterschiedlicher Gesellschaftsordnung war nur ein Ausdruck dieser Entwicklung. „Friedliche Koexistenz“ wurde durch die Führung der Bolschewiki in der praktischen Politik mehr und mehr zum schön klingenden Dogma einer zunehmend passiven, auf Illusionen fußenden und schließlich kapitulierenden sowjetischen Außenpolitik. Die KPdSU-Führung sorgte aufmerksam und notfalls rücksichtslos dafür, dass dieser passive Politikansatz auch von keinem ihrer Koalitionäre auch nur hinterfragt wurde. Je mehr sich die KPdSU von ihren erklärten politischen Zielen des Aufbaus einer neuen, produktiveren, gerechten und lebenswerten Gesellschaft im Innern entfernte, umso verschwommener wurden auch ihre Aktionen nach außen. Am Ende der 1980er Jahre erklärten selbst die dafür politisch Zuständigen im Apparat der KPdSU, sowjetische Sicherheitsinteressen nicht mehr definieren zu können oder sie bestritten sogar, dass es solche gäbe. In ihrer ideologischen Verblendung ignorierten die Führungen der Sowjetunion und deren Verbündete die Realität. Wie so häufig in der Weltgeschichte wirken diese damals eingeübten Rituale bei vielen „Fachleuten“ und Politikern bis heute nach. Die gleichzeitige Verfügung der sowjetischen Führung über das weltgrößte Kernwaffenarsenal machten die Welt keinesfalls zu einem sicheren Platz. Politische Führungskreise von Staaten, umso mehr kernwaffenbesitzende, die ihre Interessen verleugnen, sind Quellen höchster Gefahr nach innen und außen. Sie setzen ihren Staat und ihr Volk der Gefahr der völligen Vernichtung aus. Das Ergebnis dieser Konstellation in der Sowjetunion ist bekannt.
Entscheidend für den Ausgang des Kalten Krieges im 20. Jahrhundert blieb für beide kriegführenden Koalitionen jedoch zu jeder Zeit ihre Fähigkeit oder Unfähigkeit zum Aufbau produktiver und effektiver und damit attraktiverer Wirtschaftssysteme und Lebensverhältnisse sowie die daraus resultierende Fähigkeit und Bereitschaft der im Krieg befindlichen Völker und ihrer politischen Führungen zur aktiven Entwicklung ihrer Gesellschaft und in deren Folge auch zur aktiven Verteidigung der eigenen, als besser und freier empfundenen Lebensweise. Die sowjetisch geführte Koalition war dazu letztlich nicht in der Lage.
Die sich gegenüberstehenden militärpolitischen Koalitionen waren seit Hiroshima und Nagasaki und weiteren über zweieinhalbtausend nuklearen Testexplosionen stets bestrebt, ihre eigenen Territorien nicht von solchen militärischen Kampfhandlungen, die zu einem Kernwaffeneinsatz führen konnten, vernichten zu lassen. Die beiderseitige Verfügung über thermonukleare Waffen und deren Trägersysteme verschiedenster Reichweite und Stationierungsart blockierte weitgehend die offene militärische Gewaltanwendung zwischen den Hauptkriegsparteien auf ihren eigenen Territorien.
Andere, nichtbewaffnete Mittel und Methoden der Kriegführung, die sich durchaus seit langem ebenfalls in den Arsenalen der Kriegführung Anwendung befanden, wurden im Kriegsverlauf ausgebaut und „verfeinert“. Krieg ist nicht nur bewaffneter Kampf. Er wird spätestens seit Clausewitz als „Anwendung gewaltsamer Mittel“ in all ihrer Vielfalt zur Durchsetzung politischer Ziele definiert. Das „Wehrlosmachen des Gegners“ kann gerade angesichts der gegenseitigen Blockierung der Streitkräfte der Kriegsgegner „auch durch nichtmilitärische Maßnahmen (z.B. Verlust des Kampfeswillens im Feindesland z.B. durch Propaganda; politische Isolation der Kriegstreiber des Gegners durch Unterstützung der ausländischen Opposition)“ erreicht werden. „Als Mittel zum Erreichen des gesetzten Zieles dient somit alles, worin der menschliche Verstand ein Hilfsmittel entdeckt, also alle moralischen und physischen Kräfte eines Staates“ (Clausewitz „Vom Kriege“, Buch I, Kap. 1, Seite 1). Der 1. Kalten Krieg wurde sozusagen an seiner zentralen Front gerade durch den Einsatz immer wirksamerer nichtmilitärischer Mittel entschieden. Dies gilt umso mehr in der Gegenwart in der diese nichtmilitärischen Mittel oft genug den direkten bewaffneten Kampf in den Hintergrund drängen, ja ihn sogar „überflüssig“ machen.
Die gegenseitige nukleare Blockade der Großen und Supergroßen verhinderte aber schon im 1. Kalten Krieg zu keiner Zeit die mehr oder weniger verdeckte und die vor der Öffentlichkeit beider Seiten oftmals geheim gehaltene, unmittelbare Anwendung konventioneller militärischer und nicht-militärischer Gewalt gegen Mitglieder der gegensätzlichen militärpolitischen und wirtschaftlichen Bündnissysteme zur Durchsetzung politischer Ziele. Auf beiden Seiten starben tausende Seeleute, Piloten, Spione und Angehörige verschiedenster Sondereinsatztruppen. Der 1. Kalte Krieg war eben nicht, wie heute so gern behauptet, eine unblutige Angelegenheit – auch nicht in den direkten Konfrontationen der kriegführenden Koalitionen.
Außerhalb der unmittelbaren Territorien der beiden Bündnissysteme Warschauer Vertrag und NATO wurden jedoch in den Jahrzehnten des 1. Kalten Krieges auf allen Kontinenten heiße Kriege und Militärputsche mit vielen Millionen Toten unter massivem Einsatz militärischer, politischer, ideologisch-propagandistischer und in wachsendem und sehr effektivem Maße wirtschaftlicher und finanzwirtschaftlicher Mittel geführt. Für diese Völker und Staaten war der Begriff eines „Kalten“ Krieges stets ein äußerster, menschenverachtender Zynismus. Sie zahlten einen sehr hohen Blutzoll und oft genug mit der Verelendung ganzer Völker. In diesen Ländern Afrikas, Asiens, Europas und Südamerikas fanden über 40 Jahre lang „klassische“ Kriege mit zig Millionen Toten, Verstümmelten und Waisen statt. Meist wurden diese Kriege bzw. Bürgerkriege als sogenannte Stellvertreterkriege der beiden Supermächte UdSSR und USA geführt. Die zig Millionen Toten des 1. Kalten Krieges zu vergessen, ist eine schwere Sünde heutiger Politiktheoretiker. Der weltweite 1. Kalte Krieg zerfiel außerhalb der großen militärpolitischen Blöcke in eine Vielzahl räumlich begrenzter bewaffneter Konflikte und war in diesem Sinn tatsächlich ein weiterer Weltkrieg.
Die Einführung von Kernwaffen in die militärischen Arsenale von Staaten, die dazu wissenschaftlich-technisch und wirtschaftlich in der Lage waren und deren politische Eliten unter den Siegermächten des 2. Weltkrieges den entsprechenden Willen dazu aufbrachten, änderte von Grund auf auch das globale politische, militärische und völkerrechtliche Gefüge. Die Auffassung vom Krieg und seiner Führung zwischen Nuklearmächten als umfassender Einsatz komplexer gewaltsamer, militärischer Mittel zur Erreichung politischer Ziele war spätestens nach dem ersten sowjetischen Kernwaffentest, der die Kernwaffen der USA ausbalancierte, grundlegend anders, als vor diesem Zeitpunkt.
Das Aufkommen thermonuklearer Waffen schuf zwischen 1945 und 1953 eine fundamentale Ungleichheit zwischen den Staaten, die diese Waffen besitzen und denen, die keine Kernwaffen besitzen. Die Anwendung dieser Waffen stellt nicht mehr die Frage nach Sieg oder Niederlage von Staaten, sondern die der Existenz oder völligen Auslöschung von Völkern und Nationen. Diese prinzipiell neue Lage einer absoluten Ungleichheit von Staaten aufgrund absolut ungleicher gewaltsamer Machtmittel fand und findet in gewissem Umfang ihre völkerrechtlichen „Grenzen“ in den Prinzipien der UN-Charta, der KSZE-Schlussakte und anderen Völkerrechtsakten, die nach wie vor die Gleichheit und Souveränität aller Staaten postulieren. Der eher stärker werdende Widerspruch zwischen dem kodifizierten Völkerrecht und der Realität ist nicht dauerhaft lösbar, solange Kernwaffen oder andere, vergleichbare Massenvernichtungswaffen existieren.
Von Anfang an und bis heute unverändert bestehen die Kernwaffenmächte, von denen die meisten zugleich auch Ständige Mitglieder des UN-Sicherheitsrates sind, darauf, ihren Exklusivitätsstatus gegen jeden Neuankömmling in diesem Club zu verteidigen. Sie verweigern allen anderen Staaten einen gleichberechtigten Status als Nuklearmacht. An diesem Punkt war die „Forderung“ auch der KPdSU und der Sowjetunion nach Gleichberechtigung aller Staaten reines Lippenbekenntnis. Durch die Vereinbarung immer neuer, den jeweiligen Kräfteverhältnissen angepasster modi vivendi, wurde und wird versucht, den Konflikt zwischen Recht und Realität, souveräner Gleichheit und verweigerter Gleichberechtigung nicht zu groß und vor allem nicht vor aller Welt offensichtlich werden zu lassen.
Die Risikobereitschaft der jeweiligen politischen Führung der beiden Kriegsblöcke, gewaltsame Mittel und Druck aller Art unterhalb der sogenannten nuklearen Schwelle aktiv anzuwenden, wurde insbesondere in der zweiten Hälfte des 1. Kalten Krieges zu einem wichtigen Element, um dem Gegner seinen politischen Willen aufzuzwingen. Zur Erringung der strategischen Initiative mussten dabei Risiken kalkuliert und planmäßig eingegangen werden. Gerade während der Reagan-Administration agierten die USA äußerst aktiv und effektiv. Die USA gingen dabei bewusst große Risiken ein, um die damalige KPdSU-Führung gezielt in ihrer Kriegsparanoia bestärkten und sie zu veranlassen, weitere Kapazitäten für sinnlose Rüstungsaktivitäten statt für die Verbesserung der Lebensbedingungen ihrer Bevölkerung einzusetzen. Mehr oder weniger Gleiches geschah in den mit der Sowjetunion verbündeten Staaten.
Damit waren zugleich auch die allgemeinen Rahmenbedingungen für das Feld der globalen und regionalen Rüstungskontrolle in diesem letzten Jahrzehnt des 1. Kalten Krieges gesetzt. Im Bereich der Rüstungskontrolle werden für die vertragliche Begrenzung und Steuerung der militärischen Elemente einer kriegerischen Konfrontation die Grenzen durch die Seite gesetzt, die die größten Handlungsspielräume für sich bewahren und im Gegenzug dem „Vertragspartner“ den größtmöglichen Schaden zufügen will. Rüstungskontrollvereinbarungen in der Periode des 1. Kalten Krieges – oftmals illusorisch, oder „programmatisch“ verbrämt als Abrüstung bezeichnet – waren zu jeder Zeit ebenfalls Instrumente der Kriegführung. Sie dienten sowohl der Zementierung bestehender Vorteile einzelner Staaten, der zeitweisen Ausbalancierung von Streitkräftepotenzialen, einer gewissen Berechenbarkeit von Fähigkeiten und Absichten und soweit möglich auch dazu, dem oder den Vertragspartnern größtmöglichen und langfristigen Schaden zuzufügen. Sie wurden insbesondere von den USA schon sehr frühzeitig dazu genutzt, die sowjetische Führung mehr und mehr auf dieses außenpolitische Thema zu fixieren und ihr – sehr erfolgreich – mittels strategischer Rüstungskontrolle einen symmetrischen Rüstungswettlauf aufzudrängen, bei dem die UdSSR stets der reagierende Teil blieb. Numerische Gleichheit zwischen USA und Sowjetunion bei einigen strategischen Kernwaffenkomplexen wurde für die UdSSR zu einem politischen Fetisch, zu einem Zweck an sich, der offiziell bis zum Schluss nicht infrage gestellt werden durfte.
Spätestens seit dem ersten Vertrag zwischen der UdSSR und den USA über die Begrenzung strategischer Waffen (heute als ABM-Vertrag bezeichnet) behauptete die sowjetische Partei- und Staatsführung, dass mit diesem Vertrag ihre Anerkennung als „gleichrangig“ durch die USA erfolgt sei. Einer größeren politischen Illusion kann man wohl nicht aufsitzen. Es sei denn, man reduziert, wie die KPdSU-Führung die Gleichrangigkeit auf die Zahl der Waffen anstatt auf Wirtschaftskraft und Lebensqualität der Bevölkerung. Die USA haben die Sowjetunion und ihr Gesellschaftssystem zu keiner Zeit als gleichrangig und gleichberechtigt anerkannt, sie blieben bis zum Schluss Todfeinde.
Man mag es mögen oder nicht – die nukleare Abschreckung hat zumindest zwischen den Besitzern dieser Waffen und zwischen ihren Koalitionen in der Zeit des 1. Kalten Krieges große, offene bewaffnete Auseinandersetzungen in der bis dahin bekannte, klassische Form zwischen ihnen verhindert. Es war eine lebensgefährliche Balance, aber es war eine Balance. Bis zum Kriegsende verfügten beide Seiten – die UdSSR und die USA – stets über die gesicherte Fähigkeit zu einem Alles vernichtenden Antwortschlag auf einen Angriff mit Kernwaffen. Alles Gerede über eine angeblich mögliche, schnelle Zerstörung der sogenannten strategischen Stabilität durch diese oder jene Seite war nichts weiter als politische Hysterie und propagandistische Panikmache oder bezweckte oft genug schnöde materielle Interessen, um noch mehr Ressourcen in den einen oder anderen Rüstungsbereich zu lenken.
Wer jedoch keine Kernwaffen besaß oder nicht besitzt, wurde und wird seit dem Ende des 2. Weltkrieges immer wieder Opfer militärischer und vor allem nicht-militärischer Gewaltanwendung oder Erpressung. Diese Staaten besitzen keine Souveränität im eigentlichen, klassischen Sinn und sind letztendlich von anderen abhängig und erpressbar.
Im Verlauf dieses neuartigen Krieges, der als Kalter Krieg bezeichnet wird, vervollständigten beide kriegsführende Seiten zunehmend das Instrumentarium für eine intensive und umfassende Anwendung nicht-nuklearer und vor allem in der US-geführten Koalition nicht-militärischer Mittel der Kriegführung oder mit anderen Worten der Gewaltanwendung oder Gewaltandrohung ohne direkten Einsatz des bewaffneten Kampfes. Keine Seite verzichtete über die gesamte Dauer des 1. Kalten Krieges auf die Anwendung oder Androhung bewaffneter Gewalt in ihren auswärtigen Beziehungen. Sie setzten diese Art der Gewaltanwendung jedoch vor allem in den vielen sogenannten Stellvertreterkriegen ein. In gewisser Weise ermöglichte die stabile gegenseitige nukleare Abschreckung zwischen den Koalitionen der USA und der UdSSR sogar erst die äußerst intensive Kriegführung und diversifizierte Gewaltausübung in fast allen anderen geografischen Regionen.
An diese allgemeinen Rahmenbedingungen für die Rüstungskontrolle eingangs zu erinnern, ist umso notwendiger, weil sie sich in großen Teilen wie die Beschreibung aktueller Verhältnisse im 21. Jahrhundert lesen.
Rahmenvereinbarungen der Rüstungskontrolle zwischen den Nuklearmächten
Rüstungskontrollvereinbarungen insbesondere zwischen der UdSSR und den USA waren im 1. Kalten Krieg zuallererst Ausdruck der Dominanz dieser beiden Mächte in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Im Bereich der Kernwaffen wurden Verträge zur kontrollierten Rüstung bis auf einige Ausnahmen vor allem zwischen den USA und der UdSSR geschlossen. Angesichts der jede Rationalität sprengenden Mengen an Kernwaffen im Besitz dieser zwei Staaten konnte es auch gar nicht anders sein. Heute, unter den Bedingungen wachsender Multipolarität entsprechen wichtige Teile der alten Rüstungskontrollverträge nicht mehr den neuen Realitäten. Die USA und Russland können ihre nukleare Sicherheit nicht mehr exklusiv untereinander absprechen und koordinieren. Diese Zeiten sind endgültig vorüber.
Wesentliche Mittel die unter anderem zur halbwegs berechenbaren Aufrechterhaltung der gegenseitigen nuklearen Abschreckung und zum Erhalt der Steuerungsfähigkeit der Beziehungen zwischen den kernwaffenbesitzenden Staaten und ihren militärpolitischen Koalitionen dienen sollte, waren in der Vergangenheit Rüstungskontrollvereinbarungen zwischen der UdSSR und den USA und solche im Rahmen der Vereinten Nationen. Diese Vereinbarungen enthielten eine Reihe von Regularien, um die materiellen Potentiale der militärischen Konfrontation berechenbarer zu gestalten. Hauptelemente dieser Regularien waren:
- der Vertrag für das Verbot von Kernwaffentests in der Atmosphäre, im Weltraum und im oder unter Wasser vom 05.08.1963,
- der Vertrag über die Nichtweiterverbreitung von Kernwaffen (Non-Proliferation-Treaty/NPT) vom 01.07.1968; in Kraft getreten am 05.03.1970,
- der Vertrag über die Begrenzung der strategischen Raketenabwehrsysteme (Anti-Ballistic-Missile Treaty/ABM-Vertrag) vom 26.05.1972 und
- die auf dem ABM-Vertrag basierenden, nachfolgenden Verträge über die Begrenzung strategischer nuklearer Offensivwaffen (später als SALT-, SORT- und START-Verträge bezeichnet).
Der vor allem von den großen, kernwaffenbesitzenden Staaten initiierte Nichtweiterverbreitungsvertrag (Atomwaffensperrvertrag) vom 01.07.1968 (NPT-Non-Proliferation Treaty) war unter anderem die völkerrechtliche Fixierung dieser grundsätzlichen Ungleichheit der Staaten. Mit der gezielten Etablierung einer Exklusivität des Kernwaffenbesitzes für wenige Staaten wurden in den Artikel I bis III zugleich grundlegend undemokratische, weil nicht gleichberechtigte Grundsätze im Völkerrecht geschaffen.
Dieser Vertrag und etliche Folgevereinbarungen beinhalten auch wesentliche Verbote und Beschränkungen der Nichtkernwaffenbesitzer für ihre wissenschaftliche, technologische und wirtschaftliche Entwicklung und damit grundlegende Einschränkungen ihrer Souveränität. Angesichts der damaligen Blockkonfrontation erschienen diese Entwicklungen kurzfristig als tolerabel. Die Unterzeichnerstaaten des NPT wollten vorrangig die Zahl der Kernwaffenbesitzer soweit möglich begrenzen. Als Ausgleich für diese Selbstbeschränkung wurde im Artikel VI des NPT die Verpflichtung der Kernwaffenbesitzer zur nuklearen Abrüstung in den Vertrag geschrieben. In der Realität ergaben sich die damaligen Nichtbesitzer von Kernwaffen mit ihrer Unterschrift unter den NPT nur den machtpolitischen Realitäten, die sie ohnehin nicht ändern konnten. Nur wenige Staaten wagten es, diesem Vertrag gar nicht erst beizutreten.
Rückblickend hatten die Kernwaffenbesitzer ganz offensichtlich niemals die Absicht, ihren Teil der Vertragsverpflichtungen – die nukleare Abrüstung - zu erfüllen. Für die Verlierermächte des 2. Weltkrieges (Feindstaaten der Vereinten Nationen) war der Nichtbesitz von Kernwaffen ohnehin lediglich eine weitere Kriegsfolge, die hinzunehmen war. Langfristig war und ist der NPT jedoch ein Eckpfeiler für ein völlig neuartiges völkerrechtliches Grundgerüst, das auf der Etablierung einer kleinen Gruppe nahezu unantastbarer Staaten und einer Mehrzahl von Staaten, die jederzeit politisch erpressbar sind, beruht.
Die Staaten, die im NPT als „Kernwaffenmächte“ formell „anerkannt“ sind (dies war immer eine Selbstermächtigung) sind auch zugleich die Staaten, die Ständige Mitglieder des UN-Sicherheitsrates sind und die damit ohnehin Exklusivrechte gegenüber allen anderen UN-Mitgliedstaaten besitzen. China und Frankreich ließen sich mit der Unterzeichnung des NPT bis 1992, also bis nach dem Ende des 1. Kalten Krieges Zeit. Indien, Pakistan und Israel haben diesen Vertrag nie unterschrieben, weil sie niemals auf ihr Recht verzichten wollten, ihre nationale Sicherheit und Existenz unter allen Umständen selbst schützen zu können.
Von den Kernwaffenbesitzern und ihren Unterstützern wird nach wie vor heftig bestritten, dass der NPT – wie jeder Rüstungskontrollvertrag - eine freiwillige Selbstverpflichtung der Vertragsstaaten ist. Der Verzicht eines Staates auf den Erwerb und Besitz von Kernwaffen ist weder ein gottgegebenes Recht derer, die stark und schnell genug waren, sich diese Waffen zuzulegen, noch ist es ein „immerwährender“ Verzicht nuklearer Habenichtse. Deren Austrittsrecht aus dem NPT ist im Vertrag im Artikel X ausdrücklich vereinbart worden. Das Austrittsrecht gehört zu den Geschäftsgrundlagen des NPT. Das Austrittsrecht ist zudem das einzige Recht, das in allen substantiellen Rüstungskontrollverträgen verankert ist. Es ist immer konstituierender Teil der Geschäftsgrundlage dieser Verträge. Gerade wenn die Kernwaffenbesitzer ihrer vertraglichen Pflicht zur nuklearen Abrüstung nicht nachkommen und gegenüber Dritten eine Politik der Gewalt und Zerstörung praktizieren, ist kein anderer Staat endlos rechtlich und politisch verpflichtet, sich selbst dem Wohlwollen der Kernwaffenstaaten auszuliefern. Das gilt für alle Staaten außer Deutschland. Im 2+4-Vertrag hatten sich die damals noch zwei deutschen Staaten zu einem endgültigen Verzicht auf atomare, chemische und biologische Waffen verpflichtet. Endgültig und unwiderruflich – es sei denn, die Bundesrepublik Deutschland kündigt den 2+4-Vertrag auf.
Die Reaktion der im NPT legitimierten Kernwaffenbesitzer, die ihre militärische und politische Macht und ihre wirtschaftlichen und wissenschaftlich-technischen Profite, die aus dem NPT-Regime resultieren bewahren wollen, wird immer sehr heftig ausfallen. Sie haben stets alle ihnen opportun erscheinenden Druckmittel gegen jeden potentiellen Neuankömmling im Nuklearclub eingesetzt. Wie gesagt: alle für sie opportunen Mittel bis hin zum Krieg.
Der politische Ansatz des NPT implizierte für die USA und die UdSSR die Betrachtung der jeweiligen Koalitionspartner und des gesamten „Restes der Welt“ als operatives und de facto (bei Bedarf auch de jure) nicht gleichrangiges Vorfeld. Frühzeitig wirkten Großbritannien, Frankreich, China und später auch Israel, Indien und Pakistan diesem sicherheitspolitischen Konstrukt der beiden Führungsmächte von NATO und Warschauer Vertrag mit dem Aufbau eigener nuklearer Abschreckungsstreitkräfte entgegen. Daran änderte auch die beharrliche Verweigerung des strategischen Status der französischen, britischen und chinesischen Kernwaffen vor allem durch die Sowjetunion nichts.
Weitere Staaten wie die Türkei, der Iran oder Saudi-Arabien bauen heutzutage aktiv ihre eigenen Nuklearkomplexe auf. Sie tun dies (noch) im Rahmen des NPT als ihnen auch formal-völkerrechtlich zustehende friedliche oder zivile Nutzung der Kernenergie. Spätestens beim Besitz auch der nuklearen Aufbereitungskomplexe ist die Grenze zur militärischen Nutzung der Kernenergie kaum noch erkennbar. So wie es bisher aussieht werden Russland den türkischen und die USA den saudi-arabischen Nuklearkomplex mit aufbauen. Dadurch sichern sich beide Staaten gewichtige Einflussmöglichkeiten in Politik, Militär, Wirtschaft und Wissenschaft der Türkei und Saudi-Arabiens. Zudem sind die eingeleiteten Prozesse äußerst lukrative und langfristige Geschäfte.
Der NPT gestattet unter anderem allen Unterzeichnerstaaten ausdrücklich den Aufbau nuklear angetriebener ziviler Schiffe. Bisher nutzt dieses Recht nur Russland (früher die Sowjetunion) für ihre Atom-Eisbrecher und das aktuell einzige nuklear angetriebene Frachtschiff für den Arktisverkehr. Grundsätzlich haben allerdings alle Staaten laut NPT das Recht, zum Beispiel aus Umweltschutzgründen, die luftverschmutzenden Schwerölantriebe ihrer Handelsflotten auf Nuklearantrieb umzustellen. Die Reaktoren für derartige Antriebe werden aber schon immer mit hoch-angereichertem Kernbrennstoff betrieben. Hoch-angereicherter Kernbrennstoff ist der zivile Ausdruck für „waffenfähiges Uran“. Mit diesem Teufelszeug kann „man“ alles Mögliche anstellen.
Nur am Rande sei vermerkt: Für die noch immer als Feindstaaten der Vereinten Nationen in deren Charta definierten Verlierermächte des 2. Weltkrieges bestand im Übrigen bis heute und zu keinem Zeitpunkt eine reale Option, selbständige Kernwaffenmächte zu werden.
Niemals sollte vergessen werden, dass alle Rüstungskontrollverträge bei den sogenannten strategischen Offensivwaffen der UdSSR und der USA nur möglich wurden, nachdem die beiden Staaten ihre Systeme zur Abwehr von Langstreckenraketen (ABM) zahlenmäßig einfroren und deren Stationierungsorte begrenzten. Diese Geschäftsgrundlage der strategischen nuklearen Rüstungskontrolle hielt über 30 Jahre bis zum Austritt der USA aus dem ABM-Vertrag. Der „ABM-Vertrag“ war nicht irgendeiner unter vielen weiteren Verträgen. Auf den im Vertrag vereinbarten Begrenzungen basierte das gesamte weitere Konstrukt der Rüstungskontrolle für die sogenannten strategischen nuklearen Offensiv-Waffen der UdSSR/Russlands und der USA. Geschäftsgrundlage und Zweck all dieser Verträge war die berechenbare Aufrechterhaltung der gegenseitigen gesicherten nuklearen Vernichtung – genannt „Abschreckung“. Der ABM-Vertrag kodifizierte den politischen Ansatz, zwischen den beiden nuklearen Supermächten diese gegenseitige Vernichtungsfähigkeit zu akzeptieren und nur für den Fall nuklearer „Unfälle“ oder gegen kleine Kernwaffenstaaten eine Art begrenzter Rückversicherung aufrecht zu erhalten.
Als die USA diesen Vertrag in ihrem Siegesrausch nach dem 1. Kalten Krieg und der Fast-Zerschlagung Russlands als Konkurrenten kündigten, zerschnitten sie auch das gesamte Netz von Rüstungskontrollverträgen. Dieses Netz war dicht und stark geknüpft und es dauerte seine Zeit, bis das von den USA geschlagene Loch und seine Konsequenzen sichtbar wurden. Dieses Loch hatten die USA am Ende des Netzes geöffnet. Dort klafft nun eine Lücke, die aus dem früheren Netz ein Fass ohne Boden machte.
Nach dem Krieg ist vor dem Krieg?
In den Jahren des Übergangs der 80-er zu den 90-er Jahren des 20. Jahrhunderts endete der 1. Kalte Krieg. Der von den USA geführten Koalition gelang es, der UdSSR und deren Koalitionären ihren politischen Willen fast vollständig aufzuzwingen. Genau das ist die Definition von Sieg in einem Krieg. Im Hafen von La Valletta/Malta unterschrieben Gorbatschow und Bush Senior die sowjetische Kapitulationsurkunde im 1. Kalten Krieg. Viele ergänzende, geheime und weniger geheime Verträge und Vereinbarungen folgten, mit denen Russland wie bei „Gullivers Reisen“ immer mehr Stricke umgelegt wurden. Angesichts des Umstandes, dass erstmals ein Krieg zwischen Nuklearmächten und ihren Koalitionen beendet wurde, gab es dabei eine ganze Palette von Besonderheiten im Vergleich zum Ende klassischer, konventioneller Kriege in der vornuklearen Zeit und den mittlerweile vielen größeren und kleineren konventionellen Kriegen danach.
Das Gesellschaftssystem der UdSSR und ihrer Koalitionsstaaten zerfiel vollständig. Hauptsächlich aufgrund innerer Ursachen, dem erfolgreicheren Operieren des Kriegsgegners im 1. Kalten Krieg und der zunehmenden Unfähigkeit der politischen und wirtschaftlichen Eliten der sowjetischen Koalition, in der Auseinandersetzung mit dem Gesellschaftssystem in den NATO-Staaten erfolgreich bestehen zu können. Teil dieser Entwicklung war eine immer passivere, nur noch auf Aktionen Anderer reagierende Außenpolitik der UdSSR und in ihrem Gefolge der anderen Staaten des Warschauer Vertrages. Die sowjetischen gesellschaftlichen Verhältnisse waren über lange Zeiträume immer mehr zu einem Hemmnis der Produktivkraftentwicklung in allen Staaten des Warschauer Vertrages und des RGW geworden. Dieser unüberwindliche innere Widerspruch wurde am Ende geradezu explosionsartig durch die Zerstörung der bestehenden, alten Verhältnisse gelöst.
Die Sowjetunion und einige ihrer Verbündeten, brachen im Ergebnis des 1. Kalten Krieges als Staaten auseinander oder hörten, wie auch die DDR, auf, zu existieren. Solche vernichtenden Ergebnisse von Kriegen sind selbst in der langen Geschichte Europas keineswegs zwangsläufig. Vergleichbar waren diese Entwicklungen mit dem Untergang der großen Dynastien und Staaten in Kontinentaleuropa und Russland im Ergebnis des 1. Weltkrieges.
Der Sieg der US-geführten Koalition in diesem globalen Krieg 1. Kalten Krieg war nicht nur ein Sieg eines Staates oder einer Koalition über einen Kriegsgegner, sondern auch der Sieg eines gesellschaftlichen Systems und seiner Weltanschauung. Derart umfassende und weitreichende Konsequenzen hatten sich wohl keine Vertreter beider kriegführenden Parteien im 1. Kalten Krieg vorher jemals vorstellen können.
Als einziger kernwaffenbesitzender Nachfolgestaat der Sowjetunion blieb am Ende des 1. Kalten Krieges die Russische Föderation erhalten. Je nach Sichtweise stand am Ende dieses Krieges also nicht die vollständige Zerschlagung und physische Besetzung der unterlegenen Seite und so gesehen war es kein „vollständiger Sieg“ im klassischen Sinn für die USA. Der wirtschaftlich und militärisch stärkste und ressourcenreichste Teil der UdSSR – Russland – überlebte als Staat mit und wegen seines immer noch riesigen, abschreckenden Nuklearpotentials. Auch Russland geriet jedoch im Verlauf des letzten Jahrzehnts des vergangenen Jahrtausends durch das Handeln innerer und äußerer Akteure an den Rand seines vollständigen nationalen Untergangs. Schon kurz nach dem Zerfall der UdSSR wurde durch die USA ein neuer, massiver Finanz- und Wirtschaftskrieg gegen Russland begonnen (siehe auch: „Sputnik“, 31.12.17).
Um das nächste politische Ziel der USA und ihrer Verbündeten zu erreichen und auch Russland als Staat und Nation zu vernichten, ging der 1. Kalte Krieg nach kurzer Pause in den 2. Kalten Krieg über (siehe auch W. Wimmer; „Die Akte Moskau“; S. 15; 47; 129). Um ihre politischen Ziele zu erreichen und sie Russland gewaltsam aufzuzwingen ist den USA und ihren Koalitionären jedes Mittel der Politik recht. Diese gewaltsamen Mittel werden bis heute in einem früher nicht mal für möglich gehaltenen Umfang eingesetzt.
Kriegsziele waren und sind nun die Zerschlagung Russlands als einheitlicher Staat („Sputnik“ vom 24.06.17), die völlige Entnuklearisierung und Wehrlosmachung Russlands und die Lähmung der russischen Streitkräfte sowie die Zerstörung der russischen Rüstungsindustrien, um den uneingeschränkten Zugriff auf Russlands gewaltige Rohstoffressourcen, sein Territorium und seinen Markt zu erreichen. Die russische Wirtschaft soll zu einem abhängigen Rohstoffanhängsel der USA und ihrer Verbündeten gemacht werden. Russland soll als Konkurrent und sich nicht unterwerfen wollende Nation ausgelöscht werden.
Große Teile der neuen russischen Kapitalisten, ihrer Manager und ihrer politischen Marionetten verkauften sich in den 1990er Jahren meistbietend an westliche Förderer und Geschäftspartner. Sie verkauften sich als Handlanger der USA und ihrer Verbündeten gegen die russische Nation – diese Leute haben Russland nie als ihre Heimat betrachtet. Die neu entstehende Komparatoren-Bourgeoisie in Russland, die sich in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts mit meist kriminellen Methoden und ohne Rücksicht auf die sozialen Folgen ihres Tuns bereichert hatten, ließen eine Sorte von Kapitalisten entstehen, die nur als „vaterlandslose Gesellen“ bezeichnet werden können. In der unmittelbaren Nachkriegsphase des 1. Kalten Krieges gab es in keinem der aus dem Zerfall der UdSSR hervorgegangenen Staaten so etwas wie ein nationales oder national bewusstes Kapital. Die Folgen dessen sind bis heute in weiten Kreisen der russischen Gesellschaft und in anderen post-sowjetischen Ländern zu spüren.
Die Auseinandersetzung der beiden nach wie vor stärksten Nuklearmächte – USA und Russland - geht seit dem Untergang der UdSSR unter veränderten Rahmenbedingungen und mit neuen Mitteln und Methoden weiter. Formen und taktische Ziele haben sich verändert. Neben der unversöhnlichen Feindschaft zwischen den gesellschaftlichen Systemen und Weltanschauungen der Sowjetunion und der USA sowie ihrer jeweiligen Verbündeten war der 1. Kalte Krieg auch von einer tief verwurzelten Feindschaft gegenüber Russland und dem Slawentum auf Seiten der USA und der NATO geprägt. Dieses zweite, gegen Russland gerichtete Element, wurde zu einer konstituierenden Grundlage des weiteren Kampfes gegen Russland und alle, die mit ihm irgendwie verbunden sind.
Seit dem Russland sich erneut offen gegen diese Kriegsziele der USA wehrt und sich weigert, sich zu unterwerfen, wird es auch wieder offen als Hauptgegner der USA definiert. Aus dieser Einordnung folgt geradezu zwangsläufig die unerbittliche Bekämpfung Russlands. Zudem sind die USA bestrebt, eine Allianz ihrer beiden Hauptrivalen China und Russland zu verhindern oder wenigstens zu behindern.
Wie in jedem bisherigen Krieg werden auch in den neuen Auseinandersetzungen nach dem Ende des 1. Kalten Krieges durch die USA und ihre Verbündeten alle verfügbaren Mittel und Methoden zur gewaltsamen Durchsetzung politischer Ziele eingesetzt. Dies betrifft neben den militärischen Gewaltmitteln in erster Linie neue und erweiterte Mittel der wirtschaftlichen und vor allem der finanzwirtschaftlichen Gewaltanwendung sowie der Kriegführung im Informations- und Medienbereich zur Manipulierung und Steuerung großer Bevölkerungsgruppen, ja ganzer Völker. Dort, wo es ihm möglich ist, setzt auch Russland mehr und mehr solche modernen Mittel der Kriegführung aktiv ein.
Allen Seiten dieses „Rüstungswettlaufs“ ist dabei klar, dass sie sich sozusagen auf extrem vermintem Gelände befinden. Angesichts bestehender wirtschaftlicher und finanzieller Verflechtungen ist für fast jeden Vorteil zu eigenen Gunsten in der Regel ein Preis zu zahlen. Kosten-Nutzen-Abwägungen sind bei dieser Kriegführung weit komplexer als bei einem klassischen Rüstungswettlauf oder dem bewaffneten Kampf des Militärs. Zwischen Russland und den USA wurden in ihrem laufenden Wirtschafts- und Finanzkrieg die Kontakte vor allem im Warenaustausch mittlerweile so weit reduziert, dass selbst die Zerstörung der restlichen bilateralen Wirtschaftsbeziehungen recht überschaubare Konsequenzen haben würde. Deshalb zwingen die USA ihre NATO-Verbündeten und andere abhängige Staaten mittels Drohungen und realer Gewaltanwendung in ihren Wirtschafts- und Finanzkrieg gegen Russland hinein. Eine der dabei sicher nicht beabsichtigten Folgen des Wirtschaftskrieges der USA ist, dass dieser äußere Druck der Entwicklung der russischen Wirtschaft, Landwirtschaft, Wissenschaft und Bildung gewaltige Entwicklungsimpulse verlieh. Diese Prozesse verlaufen in Russland nicht ohne „Schmerzen“ und Probleme. Veränderungen haben immer Gewinner und Verlierer. Dennoch: in großen Wirtschaftsbereichen waren es in den vergangenen Jahren vor allem die USA, deren Handlungen zur beschleunigten Diversifizierung und Modernisierung der russischen Wirtschaft (und Landwirtschaft) führten. Am Ende erreichen die USA und ihre Handlanger das Gegenteil von dem, was sie ursprünglich wollten.
Der Untergang der Sowjetunion und mit ihr verbündeter Staaten im Kalten Krieg des 20. Jahrhunderts war das Ergebnis eines sehr langen, sich zunehmend beschleunigenden Verfallsprozesses vorrangig aufgrund grundsätzlicher und tiefgreifender innerer wirtschaftlicher und politischer Entwicklungen, die den deklarierten politischen und ideologischen Ansprüchen dieser Staaten diametral entgegenliefen. Die führende politische Kraft in der Sowjetunion, die Partei der Bolschewiki, mag vieles gewesen sein; sie segelte aber schon seit sehr langer Zeit „unter falscher Flagge“ (um mal den Titel eines Werks ihres Gründers Lenin zu zitieren). Am Ende dieser Entwicklung waren die Staaten der sowjetischen Koalition im Inneren wirtschaftlich und politisch derart erschüttert und durch in ihrer Mehrzahl unfähige, paralysierte und zum Teil offen kriminelle Eliten in allen Bereichen führungslos, dass sie auch durch einen eventuellen Einsatz der vorrangig für die äußere Sicherheit geschaffenen Instrumente, vor allem der Streitkräfte, nicht mehr zu sichern waren.
Die regionalen Führungsclans der KPdSU zerschlugen Anfang der 1990er Jahre zielstrebig, unter Bruch der sowjetischen Verfassung und etlicher Gesetze schnell und wenn nötig auch blutig die UdSSR mit dem Ziel der eigenen Bereicherung und Ausplünderung der übernommenen Territorien. Vorreiter waren hier die Führer Russlands, der Ukraine und Weißrusslands, die ihrem Hochverrat mittels Verträgen einen legalen Anstrich zu geben versuchten. Diese Kräfte waren drauf und dran, mit aktiver Unterstützung ihrer Förderer aus der US-Koalition, auch Russland in den Untergang als Nation zu treiben. Die inneren Grundlagen der Gesellschaft hatten sie über viele Jahre, ja Jahrzehnte hinweg, tiefgreifend selbst zerstört. Das über Jahrhunderte gewachsene Territorium der UdSSR zwischen Bug und Stillem Ozean, zwischen dem Nordmeer und dem Pamir-Gebirge wurde durch diese Kräfte von innen heraus zerschlagen. Noch weitergehende Planungen aus verschiedenen, zudem unkoordiniert agierenden ehemaligen KPdSU-Strukturen, hätten auch Russland als größte Teilrepublik der UdSSR sehr schnell in den nationalen Untergang führen können. Schlimmstenfalls wäre in einem solchen Chaos auch die Auslösung nuklearer Schläge nicht auszuschließen gewesen. Ein wesentlicher, erster Schritt zur Bewahrung von Russlands territorialer Einheit und seinem nationalen Überleben war folgerichtig das Verbot der Partei der Bolschewiki, der KPdSU, zu Beginn der 1990er Jahre. Es hätte in Russland durchaus berechtigte Gründe für wesentlich weiterreichende Konsequenzen für diese Partei und vor allem ihre höhere Funktionärskaste gegeben. Aber einer aus diesem Kreis war ja auf Panzern stehend für fast ein Jahrzehnt Präsident der Russischen Föderation geworden. Unter seinem Schutz und der aktiven Beteiligung seines und anderer Familienclans erfolgte in den 1990er Jahren die Ausplünderung der ehemals sowjetischen Wirtschaft und die Etablierung von auf meist kriminellen Strukturen basierenden neuen privatwirtschaftlichen Strukturen. Für über ein Jahrzehnt versank Russland (und andere Ex-Sowjetrepubliken) in eine Zeit der Wirren und der Gesetzlosigkeit.
Die ursprüngliche Akkumulation des Kapitals erfolgte in Russland und anderswo auf sehr blutige und kriminelle Art und Weise. Auch in den anderen sowjetischen Teilrepubliken begründeten ehemalige KPdSU-Funktionäre und deren Söhne oder Töchter neue Kapitalstrukturen. In einigen neu geschaffenen Republiken (z.B. Aserbaidjan, Turkmenien, Usbekistan) etablierten die dortigen politischen Führer für ihre Familien quasi-monarchische Nachfolgeregelungen zur möglichst dauerhaften Ausplünderung ihrer Länder.
Der Zerfall der UdSSR verlief für Russland von Anfang an unter demütigenden Kapitulationsbedingungen der Hauptsiegermächte des 1. Kalten Krieges. Russland, seine staatlichen Führer, akzeptierten in den 1990er Jahren ein dichtes Netz von auf viele zwischenstaatliche Vereinbarungen und aufgedrängte innere Gesetzgebungsakte verteilten Regeln, die es zu einem Staat mit deutlich eingeschränkter Souveränität und wirtschaftlicher Abhängigkeiten machten (siehe auch W. Wimmer; „Die Akte Moskau“; S. 145). Die Geburt und die Akkumulation des neuen russischen Kapitals verlief nach innen als äußerst brutaler, blutiger und in vielen Bereichen von organisierten, kriminellen Strukturen durchdrungener Prozess und unter aktiver Mitwirkung und Verflechtung mit dem international agierenden Großkapital anderer Staaten – insbesondere der USA, Großbritanniens und Israels.
Der gesamte Wirtschaftsraum der auseinanderfallenden Sowjetunion und ihrer wirtschafts- und militärpolitischen Koalitionsstaaten wurde seit dem letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts zum Zweck seiner möglichst umfassenden Ausplünderung zügig in die „globale Marktwirtschaft“ einbezogen. Insbesondere in den Nachfolgestaaten der UdSSR und den osteuropäischen Staaten brachen alle staatlichen Strukturen und das gesamte Wirtschafts- und Sozialsystem vollständig zusammen. Sie werden seitdem unter intensiver Beratung „eingebetteter“ Fachleute aus den USA und der EU auf Grundlage neuer Eigentumsverhältnisse in teilweise quälend langsamen und sehr widersprüchlichen Prozessen neu aufgebaut - soweit das den betreffenden Ländern von den Siegern im 1. Kalten Krieg überhaupt erlaubt wird (siehe auch W. Wimmer; „Die Akte Moskau“; S. 15; 47; 85; 129).
Ursachen und Verlauf dieser Zerschlagung des sowjetischen Staatsgefüges, dessen innere administrative Grenzen in vielen Fällen auf willkürlichen Entscheidungen früherer Führer der KPdSU beruhten, waren geprägt von kurzfristigen Bereicherungsinteressen alter und aufsteigender Clans aus der Nomenklatur von KPdSU und Komsomol und verliefen und verlaufen immer noch in etlichen Regionen äußerst gewaltsam und blutig. Grenzrevisionen sind in den meisten Fällen Bestandteil dieser Prozesse. Diese keineswegs abgeschlossenen Entwicklungen führen bis heute zu gesellschaftlichen Veränderungsbewegungen und werden nach wie vor von mitunter sehr intensiven bewaffneten Kämpfen nach innen und nach außen begleitet. Das Einfrieren etlicher dieser Zerfallskriege dient im Kern nicht irgendwelchen humanitären Zwecken, sondern ist Folge mehr oder weniger erzwungener Kräfteverhältnisse zwischen den im Hintergrund agierenden Großmächten.
Nach wie vor existieren auf dem ehemaligen Staatsgebiet der UdSSR eine ganze Reihe dieser eingefrorenen oder aktiven territorialen Konflikte (z.B. Berg-Karabach, Transnistrien, Ostukraine). Lösungen, gleich welcher Art, werden auch künftig das Entstehen neuer und das Untergehen alter Staaten und weitere Grenzänderungen in Europa und Zentralasien zur Folge haben.
Ein wesentliches Element des Untergangs der Sowjetunion war die fast uneingeschränkten Ausplünderung ihres wissenschaftlich-technischen Potentials. Um zu überleben mussten vor allem in Russland, Weißrussland und der Ukraine Wissenschaftler, Institute und Unternehmen große Teile ihrer Patente und sonstigen Forschungsergebnisse verschleudern. Russland und weitere ehemalige Sowjetrepubliken mussten sich unter anderem massiven, einseitigen Rüstungsbeschränkungen und Auflagen zur Waffenvernichtung, Herstellungsverbote besonders effektiver Waffenkomplexe und Stationierungsbeschränkungen unterwerfen. Russland zog im Ergebnis von Vereinbarungen zwischen Gorbatschow und Bush senj. einseitig alle Kernwaffen auf das eigene Staatsgebiet zurück und vernichtete den Großteil seiner sogenannten taktischen Kernwaffen und ihre Trägersysteme. Die Masse der sowjetischen Flotte, insbesondere der nuklearen U-Boote, musste verschrottet werden. Modernste Waffenkomplexe musste Russland vernichten und große Teile der Rüstungsproduktion waren einzustellen und dem Verfall preis zu geben. Fast alle kosmischen Entwicklungsprogramme wurden in Russland eingestellt. Der gesamte Militärisch-Industrielle-Komplex, die Luft- und Raumfahrtindustrie der UdSSR und die dazu gehörenden Wissenschafts- und Forschungskomplexe wurden äußerst nachhaltig zerschlagen.
Auch in der Ukraine verkaufte die neue Führung, meist alte Parteikader, im folgenden Vierteljahrhundert alle greifbaren Patente, Technologien und technischen Muster der sowjetischen Luft- und Raumfahrtindustrie sowie der dazugehörigen Wirtschaftszweige an jeden der zahlte. Hauptprofiteur dessen ist bis heute China, das dadurch Jahrzehnte Entwicklungsarbeit und Milliarden Dollar Forschungskosten einsparte (siehe auch: RIA Novosti; „Trouble in paradise? …; 16.09.17). Wenn immer möglich, wurden auch die dazu passenden Wissenschaftler und Ingenieure mit eingekauft und in China neu angesiedelt. Dies betraf vor allem Wissenschaftler und Techniker aus den Bereichen Luft- und Raumfahrt, Triebwerksproduktion und Kriegsschiffbau. In China (und anderswo) gab es für sie wenigstens Arbeit, um sich und ihre Familien zu ernähren.
Unter anderem aufgrund des Drucks von USA und EU verzichteten nach dem Auseinanderfallen der UdSSR alle anderen ehemaligen Sowjetrepubliken außer Russland auf ihren nuklearen Status und damit auf Entwicklung, Herstellung und Besitz von Kernwaffen. Heute, ein Vierteljahrhundert später, sehen einige Regierungen früherer Sowjetrepubliken diese Entscheidung hin und wieder durchaus kritisch und sie bedauern die damalige Entscheidung. Die Zeit wird zeigen, wie dauerhaft Verzichtsregelungen aus der Nachkriegszeit des 1. Kalten Krieges tatsächlich sein werden. Entscheidungen ehemaliger politischer Führungen können durch deren Nachfolger auch geändert werden. Das war in der Geschichte schon immer so.
Russlands Kooperationsketten des Rüstungswirtschaftlichen Komplexes und entscheidender ziviler Industrien lösten sich ins Nichts auf. Durch den staatlichen Zerfall der UdSSR lagen wichtige Produzenten von Komponenten der Rüstungsproduktion für alle Nachfolgestaaten der UdSSR plötzlich im Ausland. Auf diese Weise wurden Rüstungswirtschaft und Militär für viele Jahre von ausländischen Zulieferern abhängig gemacht. Korrupte russische Politiker und Manager beteiligen sich bis heute an diesen für sie selbst lukrativen antirussischen Aktionen. Ganze Industriezweige waren und sind davon betroffen.
Die russische Raumfahrtindustrie zum Beispiel wird als Folge der Niederlage im 1. Kalten Krieg frühestens Mitte bis Ende der 2020 Jahre wieder eine mit der sowjetischen Raumfahrt vergleichbare Leistungsfähigkeit erreichen. Fast ein halbes Jahrhundert wird dann seit dem Zusammenbruch der UdSSR vergangen sein. Dass dieser Prozess so lange dauert, wurde und wird nach wie vor durch unfähige und nur an kurzsichtigen Eigeninteressen orientierte Spitzenvertreter innerhalb der russischen Regierung, der Wirtschaft und speziell der Rüstungswirtschaft und in der Raumfahrtbranche selbst verursacht. Gegenwärtig scheint es allerdings so, dass Russland seinen Raumfahrtkomplex als neuen, russischen Komplex zu neuem Leben erweckt. Die absolute Mehrzahl des Führungspersonals von Roskosmos wurde bereits wegen Unfähigkeit oder Korruptheit ausgetauscht. Abgeschlossen ist dieser Personalaustausch noch lange nicht. Im Ergebnis wird dann die russische Weltraumtechnologie keine bloße Verlängerung sowjetischer Technologien mehr sein. In den entscheidenden Bereichen wird etwas Neues und originär Russisches entstehen. Man wird sehen, was die nächsten 10 bis 15 Jahre tatsächlich bringen. Schafft Russland diesen Kraftakt, werden sich allerdings viele Lästermäuler im Westen mal wieder sehr wundern.
Nach dem Untergang der Sowjetunion hatten bis Mitte der 1990er Jahre über 50 Prozent der Mitglieder der früheren Akademie der Wissenschaften der UdSSR ihre Heimatrepubliken vor allem in Richtung USA, Westeuropa, Israel, China und Indien verlassen. Im mittleren Wissenschaftsbereich sah es nicht besser aus. Als eine der Folgen dieser Entwicklung tauchten in einigen Staaten vor allem in Asien High-Tech-Waffen auf, die dort niemand so frühzeitig erwartet hatte (siehe auch: Sputnik, 16.09.2017, „Trouble in Paradise?“). Etliche dieser Waffensysteme sahen und sehen bis heute irgendwie „sowjetisch“ aus. Vor allem China, Pakistan und Indien profitierten von diesem teilweise bis heute anhaltenden Brain-Drain. China kaufte praktisch für kleines Geld den gesamten ukrainischen Luft- und Raumfahrtbereich auf. Viele ehemals sowjetische Wissenschaftler wechselten auch lediglich von einem geschlossenen Laboratorium in der Sowjetunion in eines in den USA oder China oder anderswo. Insbesondere Wissenschaftler und Techniker aus den Bereichen Raumfahrt/Triebwerkstechnologie, chemische und biologische Waffen waren gefragt und konnten für ihre neuen Arbeitgeber ihre alte Arbeit fortsetzen. Große Teile dieser hochqualifizierten „ex-sowjetischen“ Auswanderer wurden durch schiere wirtschaftliche Not bis hin zu Hunger aus ihren Ländern getrieben.
Der Neuaufbau ganzer Wissenschafts- und Produktionszweige in Russland auf einer neuen, dem heutigen technologischen Niveau entsprechenden Grundlage erfordert vor allem die zeitaufwändige Ausbildung entsprechender Fachkräfte. Weder nach dem 1. noch nach dem 2. Weltkrieg im 20. Jahrhundert hat die Erholung der Gesamtwirtschaft und speziell der Rüstungswirtschaft der Verliererstaaten so lange gedauert, wie in Russland nach dem 1. Kalten Krieg.
Die von den USA geführte Koalition aus 12 NATO-Staaten nahm nach 1990 in mehreren Runden bis heute 13 neue Mitglieder aus dem Kreis der früheren sowjetischen Verbündeten auf; die NATO und die EU verschoben ihren Wirkungsbereich bis unmittelbar an die russischen Grenzen. 1999 wurden Ungarn, Polen und die Tschechische Republik und 2004 Bulgarien, Lettland, Litauen, Rumänien, die Slowakei, Slowenien und Estland in die NATO aufgenommen. 2009 folgten Albanien und Kroatien sowie 2017 Montenegro. Nach wie vor will die NATO diesen territorialen Erweiterungsprozess in Richtung Osten weiter vorantreiben.
Die NATO-Ausdehnung geschah und geschieht im Widerspruch zu den nach 1990 der sowjetischen/russischen Seite gesprächsweise gegebenen Zusagen, die NATO nicht nach Osten zu verschieben. Zu laut beklagen sollte sich darüber in Russland niemand. Wer derart eklatant und dilettantisch politisches und diplomatisches Handwerkzeug ignoriert und sich als Verlierer bei Kriegsende auf mündliche „Zusagen“ der Sieger verlässt, sollte sich dies vor allem selbst vorwerfen.
Aus russischer Sicht übertreffen die Gebietsverluste infolge des 1. Kalten Krieges im Vergleich zur Sowjetunion bei weitem die territorialen Verluste, die Deutschland in Ostpreußen und dem Elsass laut Versailler-Vertrag, Potsdamer Abkommen und noch weiter gehend im 2+4-Vertrag hinnehmen musste. Über 25 Millionen ethnische Russen fanden sich nach der Zerschlagung der UdSSR von einem Tag zum anderen auf den Territorien anderer, neuer Staaten wieder, die nun für Russland Ausland waren. Um dem Ganzen die Krone aufzusetzen wurde Russland seit 1990 auch für alles Übel das dieses Land selbst und viele andere Länder betraf verantwortlich gemacht. Das war das typisch angelsächsische Herangehen an besiegte Gegner. Aus der absoluten Schuldzuweisung an Russland und seine Weltanschauung bis zum Untergang der Sowjetunion leitet die angelsächsische Welt auch ihre Rechtfertigung für die eigene Erhebung als Retter der restlichen Welt ab. Diese Selbsterhöhung als Reich des Guten ist keineswegs nur Propaganda. Es ist die politische Rechtfertigung für jegliche Kriege und das Einstampfen der im 20. Jahrhundert geschaffenen völkerrechtlichen Grundakte.
Zu den politischen Todsünden derer, die Russland nach wie vor aktiv an den Kragen gehen, gehört jedoch unter vielen anderen Aspekten, dass sie die russische Sicht auf die Ausweitung der NATO bis an Russlands Grenzen als bloßen Phantomschmerz abtun. Wenn Staaten und Militärkoalitionen dies tun, dann führt so eine verantwortungslose Politik zu gefahrvollen Situationen. Die von den NATO-Staaten reklamierte gegenwärtige europäische Friedensordnung ist – und das sollte man niemals vergessen – die allen anderen aufgezwungene Nachkriegsordnung der Sieger im 1. Kalten Krieg. Versailles, Jalta und Potsdam lassen grüßen.
Aus den Erfahrungen zum Ende des 1. und des 2. Weltkrieges im 20. Jahrhundert hatten die Siegermächte des 1. Kalten Krieges ganz offensichtlich nichts gelernt. Vergleichbar weitreichende Demütigungen und einseitige Schuldzuweisungen wie die, die Russland zu tragen hatte und immer noch hat, gab es in der jüngeren europäischen Geschichte z.B. im Versailler Vertrag gegen das Deutsche Reich. Der Zerfall der sowjetischen Koalition und der Untergang der UdSSR waren – nicht nur für Russen – Traumata, die für sie nur vergleichbar sind mit dem Überfall Hitlerdeutschlands auf die Sowjetunion oder für die USA mit dem japanischen Überfall auf Pearl Harbor. So etwas gräbt sich über Generationen tief in das kollektive Gedächtnis von Völkern und deren Eliten ein. Manche Völker wehren sich sogar gegen solche Demütigungen. Das russische Volk hat seit dem sogenannten Mongolensturm jahrhundertelange Erfahrungen, wie man sich aus fremder Beherrschung befreit und es erinnert sich bis heute daran (Clausewitz „Vom Kriege“, Buch I, Teil 1, Abschn. 9). Nach Kriegsende gaben sich die Sieger des 1. Kalten Krieges aber lieber geschichtsfremden Wunschträumen wie dem Märchen vom „Ende der Geschichte“ hin, als nüchtern über die langfristigen Folgen ihres Tuns nachzudenken. Wenn ein Planungschef des US-State Department solchen Unfug wie die These vom „Ende der Geschichte“ verzapft, muss man sich nicht wundern, dass die verheerenden Folgen dieser Sichtweise bis heute die gesamte praktische auswärtige Politik von USA und NATO prägen.
Seit Beginn des 21. Jahrhunderts stellt die russische politische Führung die politische, finanzpolitische, wirtschaftliche und wissenschaftliche Souveränität des Landes schrittweise wieder her. Entscheidend für den Ausgang dieser Anstrengungen wird das Hauptschlachtfeld jedes Kalten Krieges sein: Wirtschaft und Finanzen. Dennoch beeinflussen und steuern bis in die Gegenwart vor allem die großen US-Wirtschaftsberatungsunternehmen die russische Wirtschaft und Politik durch ihre Analysen und „Empfehlungen“. Natürlich tun sie das im Interesse vor allem der USA. Auf diesem Wege wurden für Russland nach 1991 neben international üblichen Kooperationsstrukturen in ausgewählten Schlüsselbereichen vor allem der High-Tech-Industrien und des Finanz- und Bankensystems schwerwiegende Abhängigkeiten geschaffen. Diese Abhängigkeiten werden aktiv als Droh- und Druckmittel gegen Russland eingesetzt. Genau das ist Politik mit gewaltsamen Mitteln. Nicht umsonst wird Clausewitz’ „Vom Kriege“ auch an den Ausbildungsstätten für das höhere Management global agierender Unternehmen gelehrt.
Noch ist Russland vor allem in weiten Bereichen seiner Finanzwirtschaft vom globalen US-Finanzsystem abhängig. Die USA tun allerdings ihr Bestes, um Russland diese Abhängigkeiten auszutreiben und Russland zu neuen, innovativen Wegen auch in der Finanzwirtschaft zu zwingen. Hard- und Software der russischen Finanzwirtschaft sowie entsprechende marktfähige Produkte (z.B. ein unabhängiges SWIFT-System, Kreditkarten sowie das gesamte Serversystem zur Erfassung und Verarbeitung wirtschaftlicher und privater Daten) müssen fast vollständig auf Grundlage von in Russland befindlicher Technik erneuert werden. Das erfordert ein radikales und oft schmerzhaftes Umdenken aller Beteiligten und den tatsächlichen Willen zu Veränderungen. Der Aufbau der erwähnten neuen Strukturen erfolgt, um überhaupt erfolgreich zu sein, vor allem in Kooperation mit China. Auch andere Länder wie Indien, der Iran oder die Türkei sind angesichts des massiven Einsatzes von Finanzwaffen durch die USA an Alternativen zum bestehenden Dollar-Finanzsystem interessiert sein. In dieser Lage sind Regen und Traufe – wenn man nicht aufpasst - nicht weit voneinander entfernt. Um zumindest eine Lockerung der Abhängigkeiten vom Dollar-System der USA zu erreichen, sind sehr weit reichende Veränderungen in den nationalen und internationalen Handels- und Finanzbeziehungen erforderlich. Auch im Innern müssen sich die Finanzsysteme von Staaten stark verändern, wenn sie sich von der Dominanz des US-Dollars lösen wollen. Erste Schritte sind in Russland, und nicht nur dort, erfolgreich gegangen worden. Und nochmals: es sind die USA selbst, die andere Staaten aus dem „Paradies“ des Dollarraumes vertreiben. So unrecht hatte Jesus wohl nicht, als die Römer ihn ans Kreuz schlugen:“… den sie wissen nicht, was sie tun.“ Die Zeit wird zeigen, welch neue internationale Strukturen für die Finanzwirtschaft entstehen werden. Vieles ist hier in Bewegung geraten. Es geht schließlich ähnlich wie bei anderen Massenvernichtungswaffen um Sein oder Nicht-Sein.
In Russland vollzieht sich seit einigen Jahren auch ein erneuter und tiefgreifender Austausch der politischen, wirtschaftlichen, wissenschaftlich-technischen und kulturellen Eliten. Noch ist dieser Austausch erst an seinem Beginn. Der Untergang der UdSSR ist erst knapp 30 Jahre her. Der Steinzeitkapitalismus im Russland der 1990 Jahre wurde in hohem Maße von den unfähigsten, korruptesten und kriminellsten Teilen der ehemaligen Partei- und Komsomolnomenklatur aus Sowjetzeiten getragen. Bis heute besetzen diese Leute und ihre Nachfolger wichtige Positionen in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft. Anfänge für einen tiefgreifenden Neuaufbau des russischen Führungspersonals in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur sind gemacht. Derartige Prozesse des Elitenaustauschs sind nicht von heute auf morgen und schon gar nicht ohne erbitterte Widerstände der etablierten Eliten möglich. Ausländische Förderer jener russischen Politiker und Strukturen, die nur zu gern ihren fremden Unterstützern zu Diensten sind, beteiligen sich aktiv an den Prozessen der neuen Elitenbildung in Russland, um sie auch künftig in ihrem Interesse beeinflussen zu können.
Die Erneuerung einer hochqualifizierten, nationalbewussten Führungsschicht in der politischen Verwaltung und auf allen erforderlichen Ebenen der wirtschaftlichen, wissenschaftlichen, kulturellen Eliten und des Militärisch-Industriellen Komplexes in Russland wird noch viele Jahre andauern. Die gegenwärtigen, oftmals extrem korrupten Verflechtungen von Politik und Wirtschaft quer durch alle Ebenen in Russland, schaffen nicht nur enorme soziale Ungleichheiten. Sie gefährden nach wie vor die wirtschaftliche und soziale Entwicklung des Landes. Dieser erneute Elitenaustausch ist eine Überlebensfrage für Russland als Staat und Nation.
Die neuen staatlichen Strukturen auf dem Gebiet der untergegangenen Sowjetunion zerrissen Anfang der 1990er Jahre auch die Sowjetarmee. Diese alte Armee hörte faktisch auf, zu existieren. Sie zerfiel in nationale Armeen neuer Staaten und große Teile der verbliebenen Streitkräfte in Russland rotteten regelrecht über ein Jahrzehnt vor sich hin. Zu Beginn des neuen Jahrtausends verfügte Russland neben seinen Strategischen Nuklearstreitkräften nur noch über wenige Reste kampffähiger Einheiten und fähiger Kommandeure. Folgt man Aussagen des russischen Präsidenten Putin sollen es gerade mal um die 55 000 Mann gewesen sein (W.W. Putin, Botschaft an den russischen Föderationsrat am 10.05.2006).
Unter diesen Rahmenbedingungen hatte sich auch das Thema der Rüstungskontrolle zumindest in der bis dahin bekannten Form für alle beteiligten Seiten erledigt. Zerfallende Streitkräfte muss niemand mittels Rüstungskontrollverträgen unter Kontrolle halten. Dadurch könnten womöglich sogar unerwünschte Effekte einer Stabilisierung dieser Streitkräfte entstehen.
Globale und europäische Ordnung nach dem 1. Kalten Krieg
Die sowjetische politische Führung ruinierte über Jahrzehnte nicht nur das gesamte gesellschaftliche System im Innern des riesigen Landes und dessen Wirkung nach außen, sondern machte auch wesentliche, mit gewaltigen Opfern bezahlte Ergebnisse ihres Kampfes im 2. Weltkrieg zunichte. Die damalige Führung der KPdSU öffnete in ihrer Agonie eine Büchse der Pandora. Diese Leute waren sich dabei – anders als das antike Vorbild - in keiner Weise der Folgen ihres Tuns bewusst. Ihre Handlungen strahlen bis in die Gegenwart aus und sind immer noch eine erhebliche Hypothek für die sicherheitspolitische Zukunft in der Welt.
Dem schrittweisen Umbau der europäischen und der globalen Sicherheitsarchitektur und des Völkerrechts unter offener und unverhohlener Dominanz des Rechtes des Stärkeren und der Missachtung der Souveränität und Gleichheit der Staaten stand nach dem Untergang der UdSSR und ihrer Koalition nichts mehr im Wege.
Wie noch nach jedem großen Krieg wurden und werden nach dem 1. Kalten Krieg Einfluss- und Interessenssphären global neu aufgeteilt. Die Sieger des 1. Kalten Krieges etablierten in den 1990er Jahren ihre neue „europäische und globale Friedensordnung“ zur Absicherung ihrer eigenen weltweiten oder regionalen Dominanz. Diese Entwicklung blieb – auch wie immer – nicht ohne Gegenaktivitäten insbesondere Russlands und Chinas und dem Auftritt neuer regionaler Einflussmächte wie Indien, dem Iran, der Türkei oder Brasilien, die das Moment der Veränderung für ihren eigenen regionalen oder globalen „Aufstieg“ nutzen wollen. Diese ständigen Verschiebungen von Macht- und Einflusssphären wurden mit wechselnder Intensität und wechselnden Akteuren zu einem dauerhaften Element internationaler Politik seit Beginn des 2. Kalten Krieges.
Ein Vierteljahrhundert nach dem Ende des 1. Kalten Krieges vollzieht sich nun der erneute Zerfall und Umbau bisheriger internationaler Ordnungsstrukturen, wie sie von den Siegermächten des 1. Kalten Krieges etabliert wurden. In diesen Kämpfen werden von allen Seiten sämtliche verfügbaren Mittel wirtschaftlicher, finanzwirtschaftlicher, nachrichtendienstlicher und offener militärischer Gewalt kombiniert mit massivem Einsatz propagandistischer Beeinflussung und Manipulation durch Massenmedien und soziale Netzwerke eingesetzt. Die Siegermächte des 1. Kalten Krieges ihrerseits setzen, ganz im Sinne von Clausewitz (Buch I, Kap. 1), alle verfügbaren Instrumente ein, um die bestehende sogenannte Friedensordnung zu erhalten. Welche neue Ordnung in den internationalen Beziehungen nach diesen, teilweise wieder kriegerischen Auseinandersetzungen mittels bewaffneter Gewalt, folgt und wann dies sein wird, ist bisher vollkommen offen.
Die siegreiche, US-geführte Koalition setzt seit dem Ende des 1. Kalten Krieges zunehmend die völkerrechtlichen Prinzipien der Vereinten Nationen und der KSZE de facto (wenn auch nicht in jedem Fall de jure) außer Kraft und interpretiert sie gemäß ihren eigenen Interessen um. Worte und Taten klaffen bei ihnen weit auseinander. Das Völkerrecht wird unter Heranziehung moralischer, religiöser oder kultureller Etiketten auf ein Niveau aus der Zeit vor dem Westfälischen Frieden am Ende des 30-jährigen Krieges gedrückt. Oft genug verkommen „völkerrechtliche Argumente“ zu bloßer Propaganda – vor allem dann, wenn es um die mediale Rechtfertigung neuer Kriege mittels Waffengewalt oder umfassender Sanktionsregime geht. Die Grundprinzipien der souveränen Gleichheit und der Gleichberechtigung der Staaten – die Grundlagen des Völkerrechts seit dem Ende des 30jährigen Krieges - werden offen dem „Recht“ des Stärkeren und angeblich moralisch Besseren, untergeordnet und damit de facto ausgehebelt. Diese Einteilung in Gute und Böse, Irre und angeblich rational Handelnde, Dominierende und Dominierte bleibt – auch wie immer – nicht ohne aktive Gegenwehr.
Besonders maßlos agieren dabei die USA, deren führende Repräsentanten ihr Land zum einzigen „unverzichtbaren“ Land auf der Welt erklären. Im Umkehrschluss sind alle anderen Länder „verzichtbar“, wodurch konsequenter Weise jegliches Völkerrecht für die „Verzichtbaren“ im Zweifelsfall gar nicht existiert. Allein die USA setzen angeblich das Recht, an das sich die anderen Staaten zu halten haben. Nationale Gesetze der USA werden mittels wirtschaftlicher, finanzieller und militärischer Gewaltmittel völkerrechtswidrig auf alle Länder und Regionen ausgeweitet, die sich das gefallen lassen (müssen). Solange die USA vor allem wirtschaftlich und finanziell in der Lage sind, diese Ansprüche für ihre globale Dominanz tatsächlich zu erzwingen (to enforce), besteht faktisch überall in der Welt die Gefahr der Durchsetzung von US-Interessen mit verschiedenartigsten gewaltsamen Mitteln. Augenscheinlich stoßen die USA mit dieser globalen Expansion und Erpressung zunehmend vor allem aus inneren, wirtschaftlichen und sozialen Gründen an Grenzen. Nicht alle in den politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und militärischen Eliten der USA erkennen jedoch die sich in der Welt vollziehenden Veränderungen oder sind bereit, daraus die erforderlichen Schlüsse zu ziehen. Heute ist es wieder relativ leicht geworden, wer wessen Handlanger ist.
Kriegsführung mittels Einsatzes von Streitkräften durch wechselnde, oft nur zweckgebundene und kurzfristige Koalitionen wird seit dem Ende des 1. Kalten Krieges im globalen Maßstab und auch wieder innerhalb Europas als ein Mittel zur Durchsetzung politischer Ziele angesehen und seitdem sehr aktiv eingesetzt. Die jahrelangen, blutigen Zerfallskriege im ehemaligen Jugoslawien waren nur der Anfang. Überall, vom Osten und Süden der zerfallenden UdSSR über den Nahen- und Mittleren Osten bis nach Afrika, flammten mit äußerster Härte geführte Kriege auf, wie die im Kaukasus, im Pamir, am Rande der Karpaten, in der Ukraine, in Syrien und im Irak, im Norden und im Herzen Afrikas. Der gesamte Nahe und Mittlere Osten befindet sich seit einem Vierteljahrhundert in einer Art permanentem Kriegszustand mit Millionen Toten und noch viel mehr Vertriebenen und Flüchtlingen.
Folgerichtig wurden nach dem Untergang der sowjetischen Koalition in Europa, Asien und anderen Teilen der Welt wieder einmal Staatsgrenzen mehr oder minder gewaltsam verschoben. Die Zeit relativ stabiler Grenzen nach dem 2. Weltkrieg ist vorerst vorbei. Die politische Landkarte verändert sich in wahrhaft atemberaubendem Tempo. Oftmals sind es erneut die sogenannten Großmächte (vor allem China, die USA und Russland), die kleineren Staaten ihre machtpolitisch „ausbalancierten“ Lösungen mehr oder weniger gewaltsam aufzwingen (wollen). Auch die russische Außenpolitik und Diplomatie kann sich bis heute von einem derartigen Vorgehen (das auch zu sowjetischen Zeiten ausgiebig praktiziert wurde) nicht lösen. Sie will es wohl auch gar nicht.
Unterhalb der nuklearen Schwelle werden nach wie vor – ähnlich der Zeit des 1. Kalten Krieges - intensiv modernste gewaltsame Mittel und Methoden auch zwischen kernwaffenbesitzenden Staaten zur Durchsetzung ihrer jeweiligen Interessen eingesetzt. Der Einsatz äußerst effektiver finanzpolitischer, wirtschaftlicher, ideologischer/medialer Gewaltmittel und diplomatischen Drucks zur Erzwingung politischer Ziele hat ein bisher unbekanntes Ausmaß erreicht. Das Gewicht wirtschaftlicher und vor allem finanzwirtschaftlicher Mittel der Gewaltanwendung ist seit den 1990er Jahren spürbar weiter angestiegen. Vor allem dieses „Waffenarsenal“ für den formal nicht bewaffneten Kampf wird insbesondere im globalen Dollar-Raum ständig erweitert, perfektioniert und wird tagtäglich eingesetzt. Folgerichtig formieren sich neben den USA schrittweise neue Koalitionen, in denen Schritt für Schritt gegen die Dollardominanz gerichtete, neue Finanzstrukturen geschmiedet werden. Wirtschaft, Finanzen und mediale Manipulation sind zu Hauptschlachtfeldern im 2. Kalten Krieg geworden. Vor allem China setzt seine erheblichen finanziellen Machtpositionen seit vielen Jahren mit wenig Propagandagetöse weltweit sehr erfolgreich ein.
Die allgemeinen Rahmenbedingungen für die Rüstungskontrolle werden dadurch dominiert, dass der 1. Kalte Krieg mehr oder weniger nahtlos in einen 2. Kalten Krieg mit veränderter Konstellation der sich gegenüberstehenden Koalitionen unter Einsatz eines „modernisierten“ Spektrums der Mittel zur Gewaltausübung übergegangen ist. So wie der 1. und der 2. Weltkrieg des 20. Jahrhunderts einen inneren Zusammenhang hatten, sind die aktuellen politischen Entwicklungen nach dem Ende des 1. Kalten Krieges sozusagen von diesem „geboren“ worden. Andere, neue Formen des Kalten Krieges ändern nichts an seinem Wesen; er basiert nach wie vor auf der Anwendung gewaltsamer Mittel aller Art zur Erzwingung politischer Ziele (Clausewitz, „Vom Kriege“, Buch I, Kap. 1 Abschn. 2 und 4).
Auch die für den Einsatz bewaffneter Gewalt erforderlichen mobilen Streitkräftegruppierungen wurden nach 1990 neu formiert oder werden vor allem in den USA auf einem modernen Ausrüstungsstand gehalten. In Russland und China wurden und werden Streitkräfte auf moderner Grundlage faktisch neu aufgebaut. Die alten, überholten Strukturen der früheren Sowjetarmee mussten in den 2000er Jahren in Russland endgültig zerschlagen werden, weil sie sich als nicht reformierbar erwiesen. Eine äußerst undankbare, aber unumgängliche Aufgabe. Gerade in Russland bewahrheitet sich dabei wieder der Spruch, dass geschlagene Armeen schneller lernen. Die chinesische Volksbefreiungsarmee durchläuft seit kurzem ähnlich tiefgreifende Veränderungen in ihrer Struktur, Einsatzdoktrin, ihren Kommandeurskadern, der Bewaffnung und Ausbildung. Was China – bisher - noch weitgehend fehlt, sind tatsächliche Einsatzerfahrungen der Kommandeure und Truppen.
Neben den bekannten staatlichen Akteuren, handeln in den internationalen Auseinandersetzungen zunehmend auch global agierende Konzerne und Banken/Fonds mit gewaltigen Informationsnetzwerken, private Medienkonzerne, weltweit aktive sogenannte nichtstaatliche Organisationen (NGO), regional oder sogar global operierende Terrororganisationen, sogenannte Privatarmeen oder „Sicherheitsunternehmen“ und einflussreiche international operierende kriminelle Organisationen. Diese Akteure unterliegen in der Regel nicht dem kodifizierten Völkerrecht. Sie werden jedoch auch von den kriegführenden Staaten und Koalitionen zunehmend sehr aktiv eingesetzt. Der Einsatz formal nicht zu den offiziellen nationalen Streitkräften gehörenden Strukturen des bewaffneten Kampfes und der Manipulation anderer Staaten und Völker ist seit 1990 vor allem durch die USA und deren Verbündete in vielen Kriegen erfolgt. Russland hat auch hier, z.B. in Syrien, nachgezogen. Chinas wirtschaftliche Expansionsaktivitäten ohne ihren politischen Hintergrund, Ziele und Folgen zu bewerten, ist naiv und gefährlich.
Das Heranziehen nichtstaatlicher Kombattanten wird zunehmend umfangreicher praktiziert und diese Kräfte werden von allen internationalen Hauptakteuren in deren Politikpläne und militärische Aktionen integriert. Sogenannte private Sicherheitsunternehmen und verschiedene große Terrorstrukturen handeln z.B. in immer mehr zwischenstaatlichen und sogenannten Bürgerkriegen auf Seiten einer inneren oder äußeren Kriegspartei.
Globale, „private“ Informationsnetzwerke und sogenannte soziale Netzwerke sind, schon aufgrund ihrer Herkunft, integrierter Bestandteil vor allem der Auswärtigen Politik und der Kriegsführung der USA und anderer Staaten geworden. Big Data ist eben nicht nur ein wachsender Wirtschaftsfaktor, sondern spielt auch national und international eine stark wachsende Rolle bei der Durchsetzung bzw. Erzwingung politischer Ziele von Staaten. Andere große „Mitspieler“ wie China und Russland nutzen zunehmend und erfolgreich analoge Technologien. Auch kleinere Staaten (z.B. Großbritannien, Israel, Iran oder Nordkorea) setzen aktiv eigene Strukturen für sehr unterschiedliche Zwecke im sogenannten Informations- und Cyberkrieg ein. Zunehmend agieren diese staatlichen und die „privaten“ Informationsnetzwerke als neue, globale „Spieler“, als große, formal selbständige Akteure, die sich jeglichen rechtlichen Regelungen nach innen und nach außen wo immer möglich entziehen. Auch auf diese Weise wird durch viele Seiten das Völkerrecht seit einem Vierteljahrhundert massiv ausgehebelt. Die rechtliche Kodifizierung dieser Sphäre der Datensammlung und ihrer Verwendung ist gerade in den zwischenstaatlichen Beziehungen noch sehr rudimentär ausgestaltet. Sie hinkt den Realitäten meilenweit hinterher, weil meist der Wille der beteiligten Akteure fehlt, wenigsten Regularien der Zurückhaltung zwischen Staaten zu vereinbaren. Versuche, diese Akteure in völkerrechtlich verbindliche und sanktionsbehaftete Verhaltensregeln einzubinden, werden sofort und äußerst aggressiv von den betreffenden Konzernen und den sie nutzenden Staaten bekämpft. Dort, wo es unbedingt erforderlich erscheint, können Staaten sich nur dann zur Wehr setzen, wenn sie einseitige Regelungen für ihr eigenes Territorium aufstellen und auch durchsetzen. Leisten können sich das jedoch nur die wirklich starken Staaten, weil gegen jeden, der den „Waffenträgern“ im Informationskrieg Fesseln anlegt, mit wirtschaftlichen, finanziellen, medialen oder auch militärischen Gegenschlägen gedroht wird.
Die internationale Entwicklung ist im Ergebnis derartiger Veränderungen deutlich unberechenbarer, widersprüchlicher und instabiler geworden. Große Teile der internationalen Beziehungen auf staatlicher und nichtstaatlicher Ebene sind zu rechtsfreien und oft auch rechtlosen Räumen geworden. Die Notwendigkeit, sich in dieser Lage auch militärisch abzusichern, ist im Vergleich zum 1. Kalten Krieg keineswegs geringer geworden. In vielen Bereichen des Militärs vollziehen sich revolutionäre Veränderungen, von denen niemand genau weiß, wohin sie führen werden. Dementsprechend wurden auch die Rahmenbedingungen für militärische Rüstungskontrolle deutlich komplexer, ja wirrer und es ist schwieriger, Rüstungskontrolle in ausgewogenen Vertragstexten zu kodifizieren. Im Zweifelsfall ist in solchen politisch unübersichtlichen Situationen nationalen Sicherheitsinteressen ohne Rüstungskontrollbeschränkungen besser gedient.
Die Rahmenbedingungen für Rüstungskontrolle wurden aber nicht nur chaotischer. Entscheidend ist der mangelnde der Wille wichtiger internationaler Akteure, ihre politischen Interessen in entscheidenden Gebieten der Sicherheit unter Einsatz diplomatischer Mittel gleichberechtigt auszubalancieren. Wenn der „große Wurf“ schon nicht möglich ist, bliebe immer noch eine schrittweise Entschärfung bestehender gefahren. Hier liegt einer der Unterschiede zum 1. Kalten Krieg, in dem zumindest eine gewisse Bereitschaft der Hauptakteure bestand, ihre Interessenkonflikte mittels Verträgen (einschließlich solcher zur Rüstungskontrolle) beherrschbar oder berechenbar zu halten. Der 1. Kalte Krieg zeigte, dass die Erreichung politischer Ziele unter Einsatz gewaltsamer Mittel auch zwischen kernwaffenbesitzenden Staaten möglich ist - vorausgesetzt man beherrscht den Einsatz eines breiten Spektrums dieser gewaltsamen Politikinstrumente. Wie man so sagt, haben dabei die Siegermächte des 1. Kalten Krieges im wahrsten Sinne des Wortes „Blut geleckt“ und möchten weitermachen, wie bisher. Ein Umdenken in Richtung einer nicht-gewaltsamen Konfliktregelung erfordert erfahrungsgemäß viel Zeit und in hohem Maße neue politische Akteure.
Den Eliten in aller Welt ist im Ergebnis des 1. Kalten Krieges erneut gezeigt worden, dass die Sicherheit einer Nation nicht nur mit modernen Waffen des Militärs gewährleistet werden kann. Deutlich wie selten zuvor werden heute nichtmilitärische Mittel der Androhung und Anwendung von Gewalt ausgebaut und eingesetzt. Diese Bereiche sind jedoch durch die klassische Rüstungskontrolle so gut wie gar nicht geregelt. Hier dominiert nach wie vor das Recht des wirtschaftlich und finanziell Stärkeren. Medien und Politiker aller Art propagieren diesen Zustand auch als normal, berechtigt und gerecht – schließlich habe „man“ ja für diese wirtschaftlichen Vorteile hart gearbeitet.
Was sich bereits im Kalten Krieg des 20. Jahrhunderts abzeichnete, wurde in der Zeit danach zum dominierenden Element politischer Gewaltmittel. Die „Hauptwaffensysteme“ des nicht-bewaffneten Kampfes sind heutzutage in den Händen der international agierenden Großbanken und der großen Daten- und Informationskonzerne, insbesondere denen der USA. Sie dominieren mit ihren globalen Verflechtungen große Teile der Weltwirtschaft und setzen diesen Einfluss auch in politische Macht um. Aus gutem Grund und keinesfalls nur propagandistisch gemeint sprechen z.B. führende Finanzpolitiker und Banker der USA von der Existenz „finanzieller Massenvernichtungswaffen“. Geschützt wird das US-Finanz- und Wirtschaftssystem durch Kernwaffen; den flexiblen „big stick“ stellen vor allem die 10 bis 11 aktiven Trägergruppen der US-Navy, die sogenannte Intelligence community und das Marine-Corps. Den gegenwärtigen Eliten in den USA fiel in den letzten 25 Jahren zur gewaltsamen Erhaltung der Dominanz des Dollars nichts Kreativeres als der wiederholte Einsatz des Militärs und der Geheimdienste ein, sobald es ein Staat wagte, die US-Vorherrschaft selbst bei nachrangigen Themen in Frage zu stellen. Gegen militärisch schwächere Staaten war dies bisher machbar.
Anders wird es, nachdem sich Staaten wie vor allem Russland und China der Notwendigkeit bewusst wurden, auch im finanzwirtschaftlichen Bereich über ein breites Spektrum an eigenen Instrumentarien im internationalen Wettbewerb zu verfügen und entsprechend zu handeln. Sie verfügen bereits, ähnlich den USA, über eine starke äußere militärische Absicherung. Die Regeln im sogenannten „Großen Spiel“ werden aktuell neu aufgestellt. Wie, in welcher Zeit und mit welchem Ergebnis das geschieht, ist noch offen. „Rien ne va plus“ war 1990-91; heute gilt wieder: „Faites vos jeus!“.
In Europa wurden nach dem 1. Kalten Krieg insbesondere die Armeen in den früheren Warschauer Vertragsstaaten, aber auch die Streitkräfte in den „alten“ NATO-Staaten seit 1990 in der Personalstärke drastisch reduziert und zehntausende, nicht mehr benötigte Waffensysteme aller Teilstreitkräfte vernichtet oder in andere Teile der Welt verkauft. Als ein Beispiel sei angeführt, dass allein die zahlenmäßige Stärke der Bundeswehr bis weit in das Jahr 2019 hinein unterhalb der der NVA zum Ende des 1. Kalten Krieges lag. Die NVA wurde total aufgelöst und ihre Hauptwaffensysteme, Ausrüstung und Munition vor allem nach Schweden, Finnland, in erheblichem Umfang in die Türkei und nach Indonesien (Teile der Volksmarine) verkauft. An den modernsten Systemen bediente sich die US-Armee, um sie unter anderem bei „Desert Storm“, für umfangreiche Tests und zu Manövern der eigenen Streitkräfte zu nutzen. Die Bundeswehr wurde durch eine bis in die Gegenwart andauernde Kette sogenannter Reformen wesentlicher Fähigkeiten beraubt. Sie ist heute gerade noch für sogenannte friedenserhaltende Missionen mit und ohne UN-Mandat einsetzbar. An dieser Gesamtlage ändern auch nichts einzelne, als Technologieträger entwickelte „Spitzenprodukte“. Ähnliche Prozesse vollzogen sich in anderen europäischen Ländern.
Das Ende des 1. Kalten Krieges führte regional und zeitlich begrenzt zu einer Verringerung der internationalen Rüstungsaktivitäten soweit man das an den Militärausgaben, Streitkräftestärken und Fähigkeiten bemisst. In Westeuropa wurden große Teile der Rüstungsindustrie und ihrer wissenschaftlich-technischen Basis abgebaut. Das schließt das Verschwinden auch der personellen Know-How-Träger ein. Bis Anfang 2019 werden bis auf die US-Truppen die Streitkräfte-Kontingente anderer Staaten, die nach dem 2. Weltkrieg auf deutschem Territorium standen, abgezogen sein.
Nie zuvor wurde jedoch auf der Welt – vor allem außerhalb Westeuropas - ein solch modernes und wirkungsvolles Vernichtungspotential angehäuft, wie es heute zur Verfügung steht. Die Schwerpunkte der regionalen Rüstungsaktivitäten haben sich für einige Zeit verschoben. Dennoch gilt auch in diesem Fall der Spruch: Weniger (Waffenpotential) ist Mehr (Vernichtungspotential). Es vollzieht sich eine erneute und sehr tiefgreifende und umfassende militärisch-technische Revolution im globalen Maßstab.
Zunehmend wurde im vergangenen Vierteljahrhundert aus dem altbekannten dualen Verhältnis der USA und ihrer Verbündeten gegen Russland eine Dreiecksbeziehung – China ist der mächtige und vor allem nicht mehr zu ignorierende neue Hauptakteur in den internationalen Beziehungen. China mag schon aufgrund seiner riesigen Bevölkerung und innerer Aufgaben weiterhin ein vorsichtiger Akteur auf der internationalen Bühne bleiben. Sein Gewicht in und seine Abhängigkeiten von anderen Ländern jenseits seiner Küsten wächst jedoch beständig weiter. Die chinesischen auswärtigen wirtschaftlichen Interessen erfordern zunehmend deren „Schutz“ und eine effektive und aktive Durchsetzung zum Beispiel durch diplomatische oder/und militärische Maßnahmen. Die Infragestellung berechtigter chinesischer Interessen vor allem durch die USA beschleunigt die Entwicklung einer aktiven Außen- und Militärpolitik Chinas auch in ferneren Regionen. Folgerichtig versucht China zunehmend offen seine Interessen insbesondere in den an China angrenzenden Gebieten Asiens und des Pazifik auch gegen die Interessen anderer Anrainerstaaten durchzusetzen. Völkerrecht wird, wenn es chinesischen Interessen wie z.B. im sogenannten Südchinesischen Meer zuwiderläuft, ignoriert. China beherrscht dabei eine Jahrtausende lange Tradition, seine expansiven Ziele in zuckersüße Worte über Frieden, Fortschritt, Wohlstand und Glück für Alle zu kleiden. Auch für China gilt in wachsendem Maße, dass es seine Interessen mit gewaltsamen Mitteln erzwingen will, wenn dies möglich ist. Das hat Folgen auch für die internationale Rüstungskontrolle. Die Einbeziehung Chinas in Rüstungskontrollvereinbarungen ist jedoch nicht einmal theoretisch ohne Berücksichtigung der sehr komplexen gegenseitigen Interessen zwischen diesem Land und seinen Nachbarn, allen voran Indien, denkbar. Auch China grenzt, ähnlich wie Russland, unmittelbar an mehrere Kernwaffenmächte. Die Einbeziehung Indiens wiederum in internationale Rüstungskontrollvereinbarungen ist ohne die Berücksichtigung der Interessen Pakistans und seines Nuklearpotentials gar nicht denkbar.
Internationale Akteure wie insbesondere Indien, Japan, Pakistan, der Iran, Saudi-Arabien, die Türkei und Brasilien haben ihre Interessen und Ansprüche bei der Gestaltung regionaler und globaler Einflussbereiche nachdrücklich angemeldet und bauen die entsprechenden Potentiale für deren Durchsetzung mehr oder weniger zielstrebig auf. Die Komplexität dieser neuen und sehr schnellen Veränderungen unterworfenen, globalen Machtverhältnisse hat für die Zukunft von Rüstungskontrollverhandlungen eine eher abschreckende Wirkung.
Die gegenwärtige militärisch-technische Revolution verläuft bei den Hauptakteuren in unterschiedlichen Richtungen und mit sehr verschiedenen Geschwindigkeiten. Die Zeit symmetrischer Rüstungen scheint für lange Zeit vorbei zu sein. Gleiches gilt für die bisher praktizierte Rüstungskontrolle zwischen Staaten und Koalitionen. Die Ära der gegenseitigen „Erbsenzählerei“, wie sie aus dem 1. Kalten Krieg bekannt war, kommt nicht wieder. Neue, politische Ansätze für Rüstungskontrolle und Sicherheit lassen jedoch auf sich warten.
Unter diesen Rahmenbedingungen ist die Vereinbarung neuer und selbst die Einhaltung bestehender Rüstungskontrollvereinbarungen sehr kompliziert und keine Selbstverständlichkeit. Die klassische Rüstungskontrolle aus dem 20. Jahrhundert, bei der bestimmte ausgewählte Waffenpotentiale vor allem quantitativ ausbalanciert wurden, hat ihre alte Bedeutung als Kernelement der Sicherheitspolitik eingebüßt. Ihre Lebensspanne geht zügig zu Ende. Das entspricht unter anderem dem verringerten Gewicht des Militärs und des bewaffneten Kampfes zur Erzwingung politischer Ziele mit gewaltsamen Mitteln. Statt wie bisher nur ausgewählte Waffensysteme in Verträgen zu begrenzen, müssen glaubwürdige und verlässliche politische Vereinbarungen her, die den Staaten ihre gegenseitige Sicherheit wenigstens für einen überschaubaren Zeitraum garantieren. Die Politik vor allem der USA und ihrer Verbündeten im vergangenen Vierteljahrhundert hat jedoch das in den internationalen Beziehungen so wichtige Vertrauen in die Zuverlässigkeit dieser Vertragspartner massiv ausgehöhlt, wenn nicht für lange Zeit zerstört. Welchen Sinn sollen denn Rüstungskontrollverträge mit den USA haben, wenn letztere diese Verträge jederzeit nach eigener Interessenlage wieder aufkündigen? Ohne dieses Vertrauen fehlt die Grundlage für glaubwürdige politische Sicherheitsvereinbarungen. Es ist umso wichtiger, aus den Ruinen dieser NATO-Politik, wieder neue Fundamente für die europäische und globale Sicherheitspolitik zu errichten.
Sein oder Nicht-Sein und Haben oder Nicht-Haben.
Proliferation und globale Politik.
Der Zusammenbruch der UdSSR und der Erhalt zumindest der staatlichen Existenz der Russischen Föderation als größter und einziger noch kernwaffenbesitzender Teilrepublik der Sowjetunion, selbst unter katastrophalen inneren Bedingungen, war auch das erste praktische Beispiel für die Überlebensfähigkeit sogar von zerfallenden Staaten, wenn sie einsatzfähige Kernwaffen und deren weitreichende Trägermittel besitzen (siehe auch: Prof. Juri S. Solomonow, Direktor des MIT in „Nationalnaja Oborona“, Interview 09.09.2017).
Dieses handfeste Beispiel hatte nach dem Ende des 1. Kalten Krieges komplexe Folgen für die Haltung einer ganzen Reihe von Staaten zur Frage von Besitz und Verfügung über nukleare und über weltraumgestützte Technologien bis hin zu Entwicklung und Besitz eigener derartiger Waffen. Die insbesondere am Ende des 1. Kalten Krieges nachgewiesene Überlebensfähigkeit kernwaffenbesitzender Staaten und die seither bei vielen Anlässen noch gestärkten Zweifel an glaubwürdigen Sicherheitsgarantien kernwaffenbesitzender Staaten für nicht-kernwaffenbesitzende Staaten in internationalen Auseinandersetzungen, berührt bis heute zentrale Elemente der multilateralen Rüstungskontrolle. Nicht zuletzt, weil es beim Einsatz von Kernwaffen um das Überleben von Staaten und Nationen ging und geht sind jegliche Garantien von „international anerkannten“ Kernwaffenmächten für Drittstaaten schon immer und von Anfang an unglaubwürdig. Das Ende des 1. Kalten Krieges hat dies gerade innerhalb der sowjetisch geführten Koalition eindeutig bewiesen.
Staaten, die sich nicht selbst schützen oder andere abschrecken konnten, wurden im vergangenen Vierteljahrhundert von äußeren Mächten zerstört, ihre politischen und militärischen Führer getötet und gingen unter. Jugoslawien, Irak, Libyen und andere Staaten sind nur Beispiele hierfür. Massiver Einsatz militärischer Gewalt wurde nach dem Ende des 1. Kalten Krieges wieder zu einem weit verbreiteten Mittel der Politik großer und mächtiger Staaten.
Insbesondere bezüglich der Konsequenzen des Vertrags über die Nichtweiterverbreitung von Kernwaffen (NPT) werden daher erneut grundsätzliche Sicherheitsbedenken bisher nichtkernwaffenbesitzender Staaten artikuliert. Das gilt auch für andere, damit verbundene Vereinbarungen technologisch hochentwickelter Staaten über Exportbeschränkungen für Waffen und Technologien, die auch die Verbreitung ziviler und militärischer Nuklear- und Weltraumkomplexe beschränken,
Dass die bestehenden Kernwaffenmächte, insbesondere die durch den NPT „legalisierten“ Kernwaffenbesitzer keinesfalls auf diese Waffen verzichten wollen und verzichten werden zeigte sich rund um den am 22.05.2017 von vielen UN-Mitgliedstaaten präsentierten Vertragsentwurf zum Verbot von Kernwaffen. Er wurde am 07.07.2018 von über 120 Mitgliedstaaten unterzeichnet. Bis Herbst 2018 haben ihn fast 70 Staaten, allesamt Nichtbesitzer von Kernwaffen, auch ratifiziert Dieser Vertrag (TPNW-Nuklear Weapon Ban Treaty) war von Anfang an ein dilettantischer und lediglich auf Propagandaeffekte angelegter Text. Die Autoren und Unterzeichner ignorierten die politischen und militärischen Realitäten in der Welt und schrieben eine Wunschliste, die jeglichen Mindestanforderungen für einen seriösen Rüstungskontrollvertrag Hohn spricht. Ein Rüstungskontrollvertrag ohne reale Kontroll- und Sanktionsmechanismen ist das Papier nicht wert, auf dem er steht. Keiner der kernwaffenbesitzenden Ständigen Mitgliedstaaten des UN-Sicherheitsrates gehört zu den Autoren oder Unterzeichnern dieses Vertrages. Im Gegenteil. Alle kernwaffenbesitzenden Staaten erklärten, dass sie aus Gründen ihrer nationalen Sicherheit und vielen sonstigen Gründen nicht auf diese Waffen verzichten könnten. Russlands Außenminister Lawrow hat diese Position am 17.01.18 im UN-Sicherheitsrat nochmals ausdrücklich bestätigt. In einer gemeinsamen Erklärung haben die 5 Ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates, USA, Russland, China, Großbritannien und Frankreich ihre grundsätzliche Kritik am sogenannten TPNW bekräftigt und ihre Gründe dafür dargelegt (siehe: Sputnik.com, 29.10.18).
Es ist das gute Recht der kernwaffenbesitzenden Staaten, dies so zu sehen. Nichtbesitzer von Kernwaffen mögen diese Haltung der Kernwaffenmächte mit denselben Rechten als moralisch verwerflich betrachten. Ereignisse in den letzten Jahren z.B. im Südosten Europas oder im Norden Afrikas in deren Folge Staaten untergingen oder von außen ins Chaos gestürzt wurden, stützen den Verzicht auf nukleare Abschreckung eher nicht. Dennoch – wie soll diese Politik der Kernwaffenbesitzer und ihr gleichzeitiges Beharren auf dem Nichtweiterverbreitungsvertrag/NPT mit dem Gleichheitsgrundsatz und den souveränen Rechten aller Staaten im Völkerrecht in Übereinstimmung gebracht werden? Als letzter „Ausweg“ bleibt den Nuklearmächten zur Rechtfertigung ihrer eigenen Haltung zunehmend nur die Unterstellung, die Führer von Staaten, die sich nun auch die ultimative nukleare Abschreckung zulegen wollen, seien wahlweise irre, unverantwortlich, religiös fanatisch oder gern auch russlandfreundlich. Basierend auf diesen offiziell nicht zu hinterfragenden Dogmen werden dann selektiv ganze Netze Das alte völkerrechtliche Prinzip der Gleichheit der Staaten bleibt dabei zunehmend auf der Strecke. aus Sanktionen gegen vermeintlich oder real nach Kernwaffen drängenden Staaten und jeden anderen verhängt, der auch nur Kontakte zu diesen Staaten unterhält.
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- Citar trabajo
- Dipl.rer.pol. Lutz Vogt (Autor), 2019, Der 2. Kalte Krieg und das Elend der Rüstungskontrolle, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/455670
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