In diesem Referat soll Helena Hegemanns erster Roman "Axolotl Roadkill" analysiert werden.
Dabei wird auf die Aspekte Form, Sprache und Zuordnung zu einem Genre eingegangen. In den letzten beiden Punkten wird versucht, sowohl die Plagiatsdebatte nachzuzeichnen als auch diese Debatte zu diskutieren.
Der Roman "Axolotl Roadkill", der 2010 veröffentlicht wurde, sorgte zunächst in der Literaturwelt für großes Aufsehen. Mit der Zeit verbreitete sich jedoch der Vorwurf, dass es sich bei diesem Roman um ein Plagiat handeln würde. Dieser Entwicklungsprozess und die Debatte sollen in diesem Referat detaillierter analysiert werden.
KIT – Institut für Literaturwissenschaft
OS Grundfragen und Organisationsformen des Germanistik-Studiums (SS 2010) Thema: Zugänge zu literarischen Neuerscheinung
1. Helene Hegemann (*1992)
- A riel 15 (Theaterstück)
- T o rpedo (Film)
- Deutschland 09 (Schauspiel)
- A xolotl Roadkill
2. Axolotl Roadkill
a) Form und Sprache
- „Ein Kugelblitz in Prosaform und Prosasprache. Etwas nervtötend, was den Fickundkotz- Jargon und den nicht minder gewollten Theoriejargon der »heterosexuellen Matrix« und Ähnliches betrifft. Aber packend im disharmonischen Gesamtklang […]. Was man heraushört, ist weniger die Stimme irgendeiner Generation als vielmehr das Grundgeräusch unserer Gegenwart.“1
- Mediensprache
b) Genre-Zuordnung
„Ihr Buch ist schwer einzuordnen, sie hält sich nicht an dramaturgische Regeln. Der Roman beginnt auf Seite eins, aber das Vorwort folgt auf Seite 23, teilweise schreibt sie in E-Mail- Form.“2
1. Generationsroman 3
2. Adoleszenzroman/ Coming-of-Age Roman 4 / Roman der 00-Jahre 5
- „Axolotl Roadkill ist kein Entwicklungsroman im üblichen Sinn, er besteht nicht aus fortlaufender Handlung, sondern aus gereihten Szenen. Man merkt, dass Helene Hegemann vom Film und vom Theater kommt. Der plötzliche Situationsentwurf ist ihre Stärke.“6
- AR ist ein „wütender Adoleszensromans, den die Erkenntnis schmerzt, das alles Entscheidende schon gesagt ist.“ „Axolotl Roadkill kann man als großen Coming-of- age Roman der Nullerjahre lesen.“7
3. Popliteratur
- B erliner Gegenwartsroman 8
- B erliner Boheme-Roman 9
- Club-Roman 10
4. Mix-Roman 11
„In diesem Roman geht es nicht primär um Drogen oder Sex oder eine bestimmte Generation. Schon gar nicht geht es um Grenzen zwischen Generationen, Geschlechtern, Altersgruppen oder sozialen Schichten. Wenn es überhaupt um irgendeine Grenze geht, und das muss es ja in einer alles und jedem bestimmte Wertesysteme und Raster überstülpenden Gesellschaft, geht es um eine G r enze, die sich durch jeden Menschen zieht.“ (Helene Hegemann) 12
3. Verlauf der Debatte
1. Hype
- Nominierung für den Preis der Leipziger Buchmesse
- Maxim Biller: Glauben, lieben, hassen. In: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, Nr.3, 24.01.2010, S. 19.
2. Plagiatsvorwürfe I (Strobo)
- Der Blogger Deef Pirmasens (www.gefuehlskonserve.de) entdeckt die Ähnlichkeiten zwischen Airens Strobo. Er wirft dem Ullstein-Verlag eine Verletzung der Sorgpfalspflicht vor.13
3. Plagiatsvorwürfe II
- Brief der Mutter als Übersetzung des Titels F uck U von Archive
- Erster Satz von Malcom Lowry
- Film Try a Little Tenderness von Benjamin Teske
- Kathy Acker
- Filmemacher Jim Jarmusch
4. Reaktion und Verteidigung der Vorwürfe
- 'Dank' (2. Auflage), Quellenverzeichnis (4. Auflage)
- Helene Hegemann: „Ich selbst empfinde es nicht als geklaut, weil ich das ganze Material in einem völlig anderen und eigenen Kontekt eingebaut habe.“14
- Sascha Lobo: Fremde Texte sind als Inspiration durchaus legitim. Das Nutzen von Passagen oder Zitaten muss aber gekennzeichnet werden. Lobo ist aber auch der Meinung, dass das deutsche Urheberrecht einer Reform bedarf, um den Anforderungen des digitalen Zeitalters gerecht zu werden („Internet-Manifest“).15
- Daniel Haas (Spiegel Online) bezeichnet die Debatte als naiv:„Publikum und Kritiker wollen hinter die Errungenschaften der Moderne zurück.“16 Man reinszeniere den Autoren- und Geniebegriff des 18. Jahrhunderts.
5. Durs Grünbein: »»Plagiat«« 17
- Durs Grünbein schreibt in der FAZ selbst ein Plagiat zum Plagiatskandal Hegemanns. Er übernimmt Gottfried Benn: Plagiat. In: Sämtliche Werke, Bd III: Prosa 1 (1910-1932), Stuttgart 1987, S. 166 ff. (Erstveröffentlichung in der Vossischen Zeitung vom 10.12.1926 zur Verteidigung des Romans Das verlorene Kind von Rahel Sanzara) und schreibt den Text auf Helene Hegemann um.
6. 'Leipziger Erklärung' und Vergabe des Preises der Buchmesse
- Erklärung von Günther Grass, Christa Wolf, Erich Loest, Sybille Lewitscharoff u.a. zum Schutz des geistigen Eigentums: Ein Plagiat ist nicht preiswürdig, geistiger Diebstahl und Verfälschung sind keine Kunst. Plagiieren ist kein Kavaliersdelikt. Die Plagiatsdebatte soll aber auch über AR hinaus gehen. Vor allem ist die Erklärung aber doch Protest gegen mögliche Auszeichnung des Buches AR.
[...]
1 Ursula März: Literarischer Kugelblitz. In: Zeit Online, http://www.zeit.de/2010/04/LB-Hegemann (30.05.2010).
2 Jana Simon: Wie sie euch gefällt. In: Zeit Online, http://www.zeit.de/2010/05/Helene-Hegemann (30.05.2010).
3 Tobias Rapp: Aus Ernst wird Spiel. In: Spiegel Online, http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-69065851.html (30.05. 2010). Ebenfalls: Rapp, Tobias: Das Wunderkind der Boheme. In: http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,672725,00.html (30.05.2010).
4 Wiebke Porombka: Gänseblümchen statt Skandal. In: Spiegel Online, http://www.spiegel.de/kultur/literatur/0,1518, 684441,00.html (30.05.2010).
5 Johannes Thumfart: Zuckerwatte statt Koks. In: Zeit Online, http://www.zeit.de/kultur/literatur/2010-02/helene-hegemann-geburtstag (30.05.2010).
6 Ursula März: Literarischer Kugelblitz. In: Zeit Online, http://www.zeit.de/2010/04/L-B-Hegemann (30.05.2010).
7 Mara Delius: Mir zerfallen die Worte im Mund wie schlechte Pillen. In: FAZ, Nr. 18, 22.01.2010, S. 32.
8 Volker Hage: Tanz der Texte. In: Spiegel Online, http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-69174827.html (30.05.2010).
9 Rapp, Tobias: Das Wunderkind der Boheme. In: http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,672725,00.html (30.05.2010).
10 Gerrit Bartels: Die Sprache der Nacht. In: Zeit Online, http://www.zeit.de/kultur/literatur/2010-02/literatur-clubkultur (30.05.2010).
11 Sophie Albers: Warum der Lektor nicht einfach gegoogelt hat. In: Stern, http://www.stern.de/kultur/buecher/helene-hegemann-warum-der-lektor- nicht-einfach-gegoogelt-hat-1543773.html (30.05. 2010).
12 Helene Hegemann: An meine Kritiker. In: Zeit Online, http://www.zeit.de/2010/18/Hegemann-Stellungnahme (30.05.2010).
13 O.A. (dpa): "Originalität gibt es nicht, nur Echtheit". In: Stern, http://www.stern.de/kultur/buecher/helene-hegemann-originalitaet-gibt-es-nicht- nur-echtheit-1541910.html (30.05. 2010).
14 Zitiert nach: Ulrike Schäfer: Fördert das Internet den Ideenklau? In. Stern, http://www.stern.de/kultur/buecher/plagiatsvorwurf-gegen-helene- hegemann-foerdert-das-internet-den-ideenklau-1542431.html (30.05. 2010).
15 Ebd.
16 Daniel Haas: Kreativität ohne Reinheitsgebot. In: Spiegel Online, http://www.spiegel.de/kultur/literatur/0,1518,676570,00.html (30.05. 2010).
17 Durs Grünbein: »»Plagiat««. In: FAZ, Nr. 45, 23.02.2010, S. 33.
- Arbeit zitieren
- Tina Grahl (Autor:in), 2010, "Axolotl Roadkill". Handelt es sich um ein Plagiat?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/455602