Diese Master-Thesis erörtert die Risiken sozioökonomischer Benachteiligung von Familien mit Kleinkindern im Alter von null bis drei Jahren. Dabei stehen die Auswirkungen der Lebenssituation auf eine gesunde Entwicklung, den Gesundheitszustand der Kinder als auch der erschwerte Zugang zum Gesundheits- und Hilfesystem der betroffenen Familien im Mittelpunkt.
Der Thematik wird in der aktuellen fachlichen und öffentlichen Diskussion ein hoher Stellenwert zugesprochen, denn der Handlungsdruck hinsichtlich der Abwendung früher Risiken, insbesondere im Kontext von sozialer Benachteiligung, durch geeignete, das heißt bedarfsorientierte Präventions- bzw. Interventionsmaßnahmen für Kleinkinder und ihre Bezugspersonen ist als dringend erforderlich zu erachten.
Auf der Grundlage von Erkenntnissen der fortgeschrittenen Forschung und Berichterstattungen zu Gesundheit, sozialer Ungleichheit und Armut kristallisiert sich vermehrt hinaus, dass in Gesundheitsförderung und Prävention, je früher sie ansetzen, mitunter ein hohes Potenzial für die Verringerung der gesundheitlichen Ungleichheit liegen.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung.
2 Ausgangslage: Gesundheit und soziale Ungleichheit
2.1 Gesundheitskonzepte und -definitionen.
2.2 Theorien zur Gesundheitserhaltung und -entstehung.
2.3 Soziale Ungleichheit und Gesundheit in Deutschland.
2.3.1 Familien mit Kleinkindern in prekären Lebenslagen.
2.3.2 Einfluss auf die Entwicklung und Gesundheit von Kleinkindern
3 Grundlagen: Gesundheitsförderung und „Frühe Hilfen“.
3.1 Aspekte der Gesundheitsförderung und Prävention.
3.2 „Frühe Hilfen“.
3.2.1 Begriffsbestimmung und Verständnis „Früher Hilfen“.
3.2.2 Zielgruppen und Ziele „Früher Hilfen“.
3.2.3 Rahmenbedingungen, System und Akteure „Früher Hilfen“.
3.2.4 Zur Bestandsaufnahme der Angebote und Implementierung „Früher Hilfen“ in das Regelsystem
4 Potenziale und Grenzen „Früher Hilfen“ für die Gesundheitsförderung.
5 Kritischer Rück- und Ausblick.
Literatur- und Quellennachweis.
1 Einleitung
Diese Master-Thesis mit dem Titel „Der Beitrag Früher Hilfen zur Gesundheitsförderung von Kleinkindern und ihren Familien im Kontext prekärer Lebenslagen“ erörtert die Risiken sozioökonomischer Benachteiligung von Familien mit Kleinkindern im Alter von null bis drei Jahren. Dabei stehen die Auswirkungen der Lebenssituation auf eine gesunde Entwicklung, den Gesundheitszustand der Kinder als auch der erschwerte Zugang zum Gesundheits- und Hilfesystem der betroffenen Familien im Mittelpunkt.
Der Thematik wird in der aktuellen fachlichen und öffentlichen Diskussion ein hoher Stellenwert zugesprochen, denn der Handlungsdruck hinsichtlich der Abwendung früher Risiken, insbesondere im Kontext von sozialer Benachteiligung, durch geeignete, d.h. bedarfsorientierte Präventions- bzw. Interventionsmaßnahmen für Kleinkinder und ihre Bezugspersonen ist als dringend erforderlich zu erachten. Auf der Grundlage von Erkenntnissen der fortgeschrittenen Forschung und Berichterstattungen zu Gesundheit, sozialer Ungleichheit und Armut kristallisiert sich vermehrt hinaus, dass in Gesundheitsförderung und Prävention, je früher sie ansetzen, mitunter ein hohes Potenzial für die Verringerung der gesundheitlichen Ungleichheit liegen.
Einleitend werden zunächst Begriffe und Theorien im Bereich Gesundheit und Gesundheitsentstehung sowie die Zusammenhänge der prekären Lebenslagen von benachteiligten Familien und ihren Kleinkindern, deren Einfluss auf Gesundheit und Entwicklungsverlauf dargestellt. Gleichzeitig werden an dieser Stelle wesentliche Risikofaktoren, Ressourcen und protektive Faktoren für „gesundes Aufwachsen“ miteinander verknüpft.
Daran anschließend werden die Strategien der Gesundheitsförderung und Prävention ausgeführt und ein grundlegender Überblick zur aktuellen Debatte um „Frühen Hilfen“ geboten.
Im Kern dieser Ausarbeitung überschneiden sich die Fragestellungen, wie der Zugang zur Zielgruppe besser gelingt und unter welchen Bedingungen diese Maßnahmen kompensierend auf Gesundheitsstatus bzw. gesundheitliche Chancengleichheit des Kindes wirken können. Dabei trägt die Erörterung von geeigneten Ansatzpunkten der „Modellprojekte Frühe Hilfen“ der Länder einen bedeutsamen Anteil. Diese werden anhand der „Good-Practice-Kriterien“ des „Kooperationsverbundes Gesundheitliche Chancengleichheit“ hinsichtlich der Potenziale und Grenzen „Früher Hilfen“ für die Gesundheitsförderung weiter diskutiert und gedacht.
Abschließend werden wesentliche Schlussfolgerungen des Beitrags „Früher Hilfen“ für die Gesundheitsförderung gebündelt. Gleichsam enthält der kritische Rück- und Ausblick Empfehlungen zur weiteren Implementierung „Früher Hilfen“ sowie deren Relevanz und Begrenzung hinsichtlich gesundheitlicher Chancengleichheit, Inklusion und Armutsprävention.
Die aktuelle Literatur und Publikationen, insbesondere deren relevante Annahmen und Erkenntnisse sowie Ergebnisse aus empirischen Untersuchungen und Evaluationen bilden die Grundlage dieser Master-Thesis.
2 Ausgangslage: Gesundheit und soziale Ungleichheit
Im folgenden Kapitel werden einerseits Ausgangspunkte und Vorüberlegungen zum zugrundeliegenden Verständnis von Gesundheit, zu den Einflussfaktoren auf Gesundheit sowie ausgewählte Theoriemodelle der Gesundheitserhaltung und -entstehung dargestellt. Des Weiteren werden Begrifflichkeiten im Kontext prekärer Lebenslagen, Armut und sozialer Ungleichheit erläutert. Daraufhin folgt ein Einblick in die Lebenssituationen von Kleinkindern und ihren Familien, um anschließend die Zusammenhänge und Auswirkungen auf Entwicklungs- und Gesundheitschancen zu vertiefen und einen Unterstützungsbedarf bzw. die Notwendigkeit von gesundheitsförderlichen Maßnahmen zu diskutieren.
2.1 Gesundheitskonzepte und -definitionen
Grundlage für die Förderung von Gesundheit bildet das jeweilige Gesundheitsverständnis. Daher wird sich zunächst mit verschiedenen Definitionen zum Gesundheitsbegriff auseinandergesetzt, um eine hier zugrundeliegende Sichtweise zu entwickeln.
Vorstellungen von Gesundheit stellen vielfältige und normative Konstrukte unter Laien als auch unter Experten dar. Einerseits sind Überschneidungen zwischen den Sichtweisen aus Gesundheitsberufen und der Bevölkerung festzumachen, andererseits unterscheiden sich die Ansichten diesbezüglich erheblich voneinander (vgl. Naidoo; Wills 2010/ Hörning 2004). Aus Untersuchungen hierzu ergeben sich fünf sogenannte „Laienkonzepte“, diese lassen sich nach Blaxter (1990) in folgende Vorstellungen einteilen:
- Gesundheit als Abwesenheit von Krankheit
- Gesundheit als körperliche Fitness
- Gesundheit als intakte soziale Beziehungen
- Gesundheit als psychisches und soziales Wohlbefinden
(Naidoo; Wills 2010, 14)
Dabei ist vor allem der Einfluss von Alter, Geschlecht, Bildung, sozialer und ethischer Herkunft der Adressaten auf das Verständnis von Gesundheit ausschlaggebend (vgl. Naidoo; Wills 2010). Auch Expertenverständnisse zum Gesundheitsbegriff gelten diesbezüglich als abhängig u.a. von der zugrundeliegenden Profession bzw. disziplinären Orientierung. Diese können grundsätzlich drei Hauptkonzepten zugeordnet werden:
(1) Medizinische Bestreben einer Definition gehen von einer Interpretation von Gesundheit als Gegenbegriff zu Krankheit, die „Abwesenheit von Krankheit“, „Noch-nicht-Krankheit“, aus. Das Verhältnis von Gesundheit und Krankheit wird hier jedoch nicht hinreichend bestimmt. Zudem wird auch Gesundheit als solches nicht definiert, sondern lediglich beschrieben, was Gesundheit nicht ist (vgl. Hurrelmann; Franzkowiak 2011/ Naidoo; Wills 2010). Diese und ähnliche Abgrenzungskonzepte der medizinischen Sichtweise gelten heutzutage (noch) als vorherrschendes Verständnis von Gesundheit in den meisten Gesundheitsberufen. Gleichsam bildet dieses die Grundlage der gesetzlichen Definition der Krankenversicherung (GKV) (vgl. Naidoo; Wills 2010/ Höring 2004). Laut der GKV ist „[...] Krankheit ein regelwidriger Körper- oder Geisteszustand, der eine Behandlung erfordert und/ oder eine Arbeitsunfähigkeit zu Folge hat [...]“ (Höring 2004, 18). Auch steht die Behandlung von Krankheit im Vordergrund, der Prävention hingegen wird nur wenig Beachtung geschenkt (vgl. Naidoo; Wills 2010).
(2) Aus soziologischer Perspektive ist Gesundheit als Voraussetzung für Leistungs- und Arbeitsfähigkeit und Rollenerfüllung, d.h. als Funktionszustand zu verstehen (vgl. Höring 2004). Kennzeichnend für diese Auslegung sind einerseits Annahmen eines körperlich-seelischen Gleichgewichts im Sinne der Salutogenese, als auch einer flexiblen Anpassungsfähigkeit des Menschen an die Umweltbedingungen (vgl. Hurrelmann; Franzkowiak 2011).
(3) Dem gegenüber sind soziale bzw. gesundheitswissenschaftliche Modelle zu setzen. Gesundheit wird demnach als „[...] Ergebnis sozialer, biologischer und physischer Umweltfaktoren [...]“ (Naidoo; Wills 2010, 10) definiert. Eine der bekanntesten Umschreibungen stammt in diesem Kontext von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) aus dem Jahr 1948. Gesundheit wird darin als „Zustand“ bzw. Stadium körperlichen, seelischen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und dementsprechend nicht nur als „Abwesenheit von Krankheit“ erfasst. Im Mittelpunkt stehen der multidimensionale und sich wechselseitig bedingende Einfluss der „Dimensionen des täglichen Lebens“. Gleichsam bedeutet diese Auslegung die Abkehr von einer rein von Krankheit und Krankheitsbehandlung ausgehenden Sichtweise, hin zu einem positiven Begriff von Gesundheit, welcher auch im Fokus von Ressourcenorientierung und Prävention steht (vgl. Hurrelmann; Franzkowiak/ Höring 2004). Mit diesem erweiterten Gesundheitsbegriff in Form einer Wertaussage ist jedoch keine Definition im engeren Sinne, sondern vielmehr eine Zielvorgabe entwickelt worden, welche eine bestmögliche, „vollkommene“ Gesundheit im Sinne eines Menschenrechtes fordert. Dies hat allerdings für die Praxis der Gesundheitsförderung und -prävention eine hohe Bedeutung (vgl. Hurrelmann; Franzkowiak 2011/ Naidoo; Wills 2010). Vielfach steht diese breit gefasste WHO-Begriffserklärung in der Kritik. Diese bezieht sich insbesondere auf die Einseitigkeit ihrer Sichtweise als auch die Ungenauigkeit in Bezug auf die Mehrdimensionalität der Determinanten und Grundbedingungen für Gesundheit; die weitestgehend unbestimmt bleiben (vgl. Hurrelmann; Franzkowiak 2011).
In neueren gesundheitswissenschaftlichen Modellen zum Gesundheitsbegriff wurde schließlich versucht diese unterschiedlichen Konzepte miteinander in einem interdisziplinären d.h. bio-psycho-sozialen Verständnis zu verbinden (vgl. Franzkowiak 2011), was jedoch die Gefahr einer zu allgemeinen Formulierung birgt. Hurrelmann (2006) beschreibt hierzu acht Maximen, die als eine Leitlinie für eine wissenschaftlich belastbare Gesundheits- bzw. Krankheitsdefinition gilt:
1. Gesundheit und Krankheit ergeben sich aus einem Wechselspiel von sozialen und personalen Bedingungen, welches das Gesundheitsverhalten prägt.
2. Die sozialen Bedingungen (Gesundheitsverhältnisse) bilden den Möglichkeitsraum für die Entfaltung der personalen Bedingungen für Gesundheit und Krankheit.
3. Gesundheit ist das Stadium des Gleichgewichts, Krankheit das Stadium des Ungleichgewichts von Risiko- und Schutzfaktoren auf körperlicher, psychischer und sozialer Ebene.
4. Gesundheit und Krankheit als jeweilige Endpunkte von Gleichgewichts- und Ungleichgewichtsstadien haben eine körperliche, psychische und soziale Dimension.
5. Gesundheit ist das Ergebnis einer gelungenen, Krankheit einer nicht gelungenen Bewältigung von inneren und äußeren Anforderungen.
6. Persönliche Voraussetzung für Gesundheit ist eine körperbewusste, psychisch sensible und umweltorientierte Lebensführung.
7. Die Bestimmung der Ausprägungen und Stadien von Gesundheit und Krankheit unterliegt einer subjektiven Bewertung.
8. Fremd- und Selbsteinschätzung von Gesundheits- und Krankheitsstadien können sich auf allen drei Dimensionen- der körperlichen, der psychischen und der sozialen – voneinander unterscheiden.
Tabelle 1: Hurrelmann 2006, 138ff
Diese Komponenten stellen auch wichtige Grundannahmen für das Gesundheitsverständnis in der Gesundheitsförderung dar und werden daher in Hurrelmanns Empfehlung für einen konsensfähigen Definitionsvorschlag zum Gesundheitsbegriff wie folgt integriert:
„Gesundheit ist das Stadium des Gleichgewichts von Risikofaktoren und Schutzfaktoren, das eintritt, wenn einem Menschen eine Bewältigung sowohl der inneren (körperlichen und psychischen) als auch äußeren (sozialen und materiellen) Anforderungen gelingt. Gesundheit ist gegeben, wenn eine Person sich psychisch und sozial im Einklang mit den Möglichkeiten und Zielvorstellungen und den jeweils gegebenen äußeren Lebensbedingungen befindet. Sie ist ein Stadium, das einem Menschen Wohlbefinden und Lebensfreude vermittelt“ (Hurrelmann; Franzkowiak 2011, 103).
Diese Definition beinhaltet relevante Ansatzpunkte aus Gesellschaft-, Public-Health, Lern- und Bewältigungstheorien auf die in Kapitel 2.2, unter dem Gesichtspunkt Modelle und Theorien der Entstehung von Gesundheit, näher eingegangen wird.
Neben solchen integrativ orientierten Modellen ist auch die Erkenntnis darüber Laienvorstellungen der jeweiligen Adressaten über Gesundheit zu beachten und an deren Kompetenzen und Ressourcen anzusetzen, Teil der fortlaufenden Debatte, um das Gesundheitsverhalten und mögliche Veränderungsprozesse bzw. eine nachhaltige Wirkung in Bezug auf gesundheitliche Chancengerechtigkeit zu erzielen (vgl. Faltermaier 2011).
Zwar gibt es bis heute keinen tatsächlichen Konsens über ein einheitliches Gesundheitsverständnis (vgl. Naidoo; Wills 2010), dennoch ist häufig von einem „Paradigmenwechsel“ hin zu einem Gesundheitsverständnis, welches gesundheitserhaltende Faktoren im Sinne der Salutogenese betrachtet, die Rede (vgl. Michel 2004). Von Nutzen für einen zugrundeliegenden Gesundheitsbegriff, welcher im Verbindung mit Gesundheitsförderung steht, kann neben der Beachtung von beschriebenen subjektiven und wissenschaftlichen Sichtweisen, ein stärker auf die Förderung von Gesundheit statt auf Krankheit als Funktionseinschränkung gerichteter Blick sein. In Anbetracht dessen werden im Weiteren die sozialen, gesellschaftlichen und umweltbedingten Determinanten für Gesundheit der jeweiligen Adressaten in das Gesundheitsverständnis miteinbezogen (vgl. Naidoo; Wills 2010).
2.2 Theorien zur Gesundheitserhaltung und -entstehung
Zuvor wurde bereits ein erstes Augenmerk auf die sozialen, gesellschaftlichen und umweltbedingten Einflussfaktoren auf Gesundheit geworfen. Im Folgenden sollen neben diesen auch weitere Einflussfaktoren anhand ausgewählter Modelle zur Entstehung von Gesundheit genauer ausgeführt werden. Grundsätzlich sind positive als auch negative, direkte sowie indirekte Einwirkungen der sich wechselseitig bedingenden Faktoren auf die Gesundheit festzumachen. Im Einzelnen können diese nach Dahlgren & Whitehead (1993) in fünf Ebenen eingeteilt werden (vgl. Richter; Hurrelmann 2011).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1. Hauptdeterminanten der Gesundheit, Naidoo; Wills 2010 nach Dahlgren & Whitehead (1993)
Neben den genetischen und biologischen Dispositionen, die weitestgehend unveränderbar sind, kommt den individuellen Lebensweisen bzw. deren gesundheitsförderlicher bzw. -schädigender Einfluss Bedeutung zu (vgl. Richter; Hurrelmann 2011). Als drittes trägt der Grad sozialer Integration und Unterstützung verschiedener sozialer Netzwerke entscheidend dazu bei, Gesundheit zu erhalten bzw. wiederherzustellen (vgl. Richter; Hurrelmann 2011). Des Weiteren werden diese Determinanten selbst durch die unterschiedlichen Lebens- und Arbeitsbedingungen, worunter u.a. Zugang zu Bildungs- und Gesundheitssystem sowie weitere Faktoren wie Wohnverhältnisse und Arbeitslosigkeit fallen, beeinflusst. Diese hängen wiederum von allgemeinen ökonomischen, kulturellen und physischen Bedingungen der Umwelt ab und stellen somit die womöglich wichtigsten und komplexesten Einflussgrößen dar. Sie sind demnach als Auslöser der anderen beeinflussbaren Faktoren von Gesundheit zu verstehen (vgl. Naidoo; Wills 2010/ Richter; Hurrelmann 2011).
Zusammenfassend zeigt die Ausführung der Determinanten, dass gerade die soziale und ökonomische Stellung, das Geschlecht und die ethische Gruppenzugehörigkeit Gesundheit beeinflussen. Diese Annahme schließt an die aktuellen Forschungsergebnisse zur strukturellen Ungleichheit und gesundheitlichen Chancengleichheit an. Auch Gesundheitsförderung geht von diesem Grundgedanken aus und verfolgt das Ziel auf eben diese Determinanten der Gesundheit Einfluss zu nehmen (vgl. Naidoo; Wills 2010).
An dieser Stelle wird nun explizit der Frage nachgegangen, welche konkreten Bedingungen auf Seiten der Person als auch ihrer Rahmenbedingungen gegeben sein müssen, um gesund zu bleiben bzw. gesundheitliche Chancen möglichst auszuschöpfen. Dazu werden ausgewählte wissenschaftliche Theorien und Modelle zur Gesundheitsentstehung und -erhaltung beschrieben und je nach Grad der Relevanz im Weiteren entsprechend ausgeführt. Diese stellen im späteren Verlauf Bezugspunkte zur Lebenssituation von Kleinkindern und ihren Familien im Kontext prekärer Lebensbedingungen dar.
Die Wahl der nun folgenden Theorieansätze orientiert sich an der konkreten Fragestellung als auch der Thematik. Gleichsam dient sie der Herausbildung einer zugrundeliegenden Ausrichtung sowie der Annäherung an die Bedingungen für Gesundheit und Gesundheitsverhalten der Familien in sozialer Benachteiligung und Auswirkungen für die im Fokus stehenden Kleinkinder und Familien.
Grundsätzlich lassen sich vier Modelle entsprechend ihrer vordergründigen Sicht auf Verhältnis-, Verhaltens- oder personale Faktoren, in Bezug auf Bedingungen von Gesundheit gruppieren:
- Lerntheorien
- Gesellschaftstheorien
- Public-Health-Theorien
- Bewältigungstheorien
(vgl. Hurrelmann 2006)
Lerntheorien haben die wechselseitige Beeinflussung zwischen Umweltbedingungen und jeweiligen Verhaltensweisen im Blick, sind jedoch im Zuge der zu behandelnden Thematik insofern relevant, als sie vor allem auf die Veränderung von gesundheitsrelevanten Verhaltensweisen und Herstellung einer persönlichen Überzeugung, durch kognitive Wissensvermittlung oder durch soziale Vorbilder (Lernen am Modell) abzielen. Beispielsweise wird beabsichtigt, dass Eltern von Kleinkindern Verhaltensänderungen und Kompetenzen in Bezug auf Erziehungs- und Bindungsverhalten vermittelt bekommen, die wiederum für gesundes Aufwachsen von Bedeutung sind (vgl. Hurrelmann 2006/ Haverkamp 2012). Bildung ist dementsprechend auch für die Ausprägung von gesundheitsrelevanten Verhaltensweisen und Einstellungen der Eltern bedeutsam (vgl. RKI 2008).
Gesellschaftstheorien stellen hingegen die sozialen und gesellschaftlichen Faktoren für die Entwicklung von Gesundheit und Gesundheitsverhalten in den Vordergrund. Ausgehend von der These, dass Gesundheit und Krankheit mit sozialen und ökonomischen Ungleichheiten bzw. der ungleichen Verteilung von Ressourcen (finanzielle Mittel, Bildungsgrad, soziale und berufliche Anerkennung) direkt und indirekt in Verbindung stehen, wird untersucht warum und wie sich diese Determinanten auf Gesundheitsverhalten und Gesundheitsdynamik auswirken. Das Zusammenwirken der Faktoren auf Verhältnis- (u.a. ungünstige Lebensbedingungen) und Verhaltensebene (wie Lebensstil, Gesundheitsverhalten) ist bei diesem Ansatz kennzeichnend (vgl. Hurrelmann 2006).
Vorgreifend sei an dieser Stelle kurz erwähnt, dass gesellschaftstheorertische Ansätze exakt an den empirischen Befunden zur sozialen Benachteiligung, ungünstigen Lebenslage und dessen Einfluss auf die Gesundheit von Familien und Kleinkindern, die im nachfolgenden Punkt 2.3 noch genau erörtert werden, ansetzen. Weitere bedeutende Annahmen und Erkenntnisse dieser Theorie sind daher in der nachstehenden, stichpunktartigen Aufzählung zusammengefasst:
- Je ungleicher die beschriebene Ressourcenverteilung, desto ungünstiger sind die gesundheitsrelevanten Verhaltensweisen und Auswirkungen auf die Gesundheit.
- Dabei ist die subjektive bzw. in der Gesellschaft geltende Einschätzung sozialer Ungleichheit als unakzeptable Benachteiligung, die neben politischen und sozialen Reaktionen (Rückzug, Verweigerung, Protest, Exklusion etc.) auch Folgen auf das Ausschöpfen der gesundheitlichen Potenziale und das Wohlbefinden hat, ausschlaggebend.
- Vor allem der sozialen Ausgrenzung (Exklusion) im Zusammenhang mit der Ungleichheit ist ein hoher Einfluss nachgewiesen.
- Folglich: „Je größer die Zahl der sozialen Benachteiligung in der Gesellschaft, desto höher das kollektive Ausmaß von gesundheitlichen Störungen“ (Hurrelmann 2006, 67).
Anknüpfend daran stellen Public- Health- Theorien die unmittelbaren sozialen Lebensbedingungen für gesundheits- bzw. krankeitsrelevantes Verhalten ins Zentrum. Dabei bemühen sich Gesundheitswissenschaften um interdisziplinäre Ansatzpunkte zur Untersuchung der Bedingungen für Gesundheit und Krankheit, u.a. mit der Analyse von Risikofaktoren und Versorgungsstrukturen des Gesundheitssystems, um bedarfsgerechtere Interventionen zur Verhütung von Krankheit und Förderung von Gesundheit zu implementieren (vgl. Hurrelmann 2006). Vor allem dem „Risikofaktorenmodell“ ist im Zuge der behandelten Thematik als Erklärungsansatz ein hohes Maß an Bedeutung zuzuschreiben. Nach Franzkowiak (2011a) sind die in Forschungen zur Resilienz sowie Risiko- und Schutzfaktoren gewonnenen Erkenntnisse eine wichtige und einflussreiche Interventionsgrundlage für Prävention, die auch auf den Kontext „Früher Hilfen“ übertragbar ist. Jedoch wird hier nicht im eigentlichen Sinne des „klassischen“ Riskofaktorenmodells, sondern eher vom Verständnis des Zusammenwirken von Risiko- und Schutzfaktoren ausgegangen, in diesem kommt der Herstellung oder Erhaltung einer förderlichen Balance für die Gesundheit ein hoher Stellenwert zu (vgl. Franzkowiak 2011a). Risikofaktoren sind zu verstehen, als „[...] potenzielle, sich direkt oder indirekt und in der Regel erst mit zeitlicher Verzögerung manifestierende Gefährdung der Gesundheit, der Entwicklung oder der sozialen und kulturellen Integration bzw. Inklusion“ (Franzkowiak 2011a, 479). Konkret ist damit die steigende Wahrscheinlichkeit und nicht, wie häufig angenommen, die kausale Ursache für Gesundheitseinbußen, Störung, Krankheit oder Mortalität, gemeint. Wenngleich zwischen Risikofaktoren und Krankheit eine Korrelation oftmals statistisch belegt ist, sagt diese jedoch nichts über die Wirkungsrichtung aus, da diese sich sehr komplex darstellt (vgl. Hurrelmann 2006/ Franzkowiak 2011a).
Hervorzuheben ist nach Aussage Hurrelmanns (2006, 86), dass die Theorie der Risikofaktoren neue Impulse für die gesundheits- und sozialpolitische Diskussion gebracht hat, da sie unabhängig von Kausalanalysen zu präventiven Strategien ermutigt. Dies trug dazu bei, dass ab den 1960er Jahren eine Erweiterung des „biomedizinischen Paradigmas“ mit einer sozialwissenschaftlichen Sichtweise, im Sinne eines multifaktoriellen Erklärungsansätzes, auf Grundlage epidemiologischer Befunde stattfand. Grundsätzlich können Risikofaktoren unterteilt werden in folgende dreistufige Systematik:
- Risikofaktoren, die abhängig von Verhaltens-, Lebensweisen und Persönlichkeit,
- die „sozialstrukurell“, ökologisch bedingt oder settinggebunden sind
- sowie unabänderliche Faktoren wie Alter, Geschlecht, genetische, biologische Anlagen oder familiäre Vorbelastungen (vgl. Franzkowiak 2011a)
Dabei ist anzumerken, dass vor allem bei der Kombination struktureller und personaler Risikofaktoren die Erkrankungswahrscheinlichkeit um ein Vielfaches ansteigt (vgl. Franzkowiak 2011a). Im Hinblick auf die Umsetzung in Gesundheitsförderung und Prävention sollte daher nicht allein die Strategie der individuellen Verhaltensänderung zur Beeinflussung bzw. Förderung von Gesundheit überwiegen, sondern dem Einbezug der Lebenslage und dadurch bedingten Lebensweisen mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden. Des Weiteren darf, um dem angestrebten Komplexitätsanspruch gerecht zu werden, folglich nicht nur ein Teil der Risikodeterminanten bearbeitet werden (vgl. Franzkowiak 2011a). Von Belang ist in diesem Kontext der Ansatz der bedürfnis- und versorgungsorientierten Analysen, dessen Ziel die Offenlegung und gleichsam Verbesserung der Strukturen, Funktions- und Kooperationweisen des Gesundheitssystems und ihrer Teilsysteme ist. Auf Grundlage epidemiologisch gestützter Bedarfs- und Nutzeranalysen, soll das gesundheitliche Versorgungssystem hinsichtlich der individuellen Bedürfnisse und Bedarfe optimiert werden (vgl. Hurrelmann 2006).
Herauszustellen ist zudem, dass ein klares Defizit der gesundheitlichen Versorgungsstrukturen sich offenbar an der fehlenden bzw. nicht konkret an den Lebensbedingungen festgemachten Umsetzung zeigt. Familien mit Kleinkindern scheinen beispielsweise weitestgehend auf sich alleine gestellt und müssen sich in „[...] oft unüberschaubaren Versorgungslandschaften mit einer Vielfalt von Anbietern und einer Konkurrenz von Behandlungs- und Betreuungsverfahren“ (Hurrelmann 2011, 93) zurechtfinden. Hier fehlt es u.a. an übergreifender Beratung, wie sie im Sinne „Früher Hilfen“ stattfinden könnte, um einen Zugang zu Versorgungsangeboten und -einrichtungen, die an individuellen Bedürfnissen und Bedarfen orientiert sind, zu arrangieren. Dadurch sollen die Menschen zu erreichen, die (gesundheitliche) Unterstützung benötigen. Dies sind vor allem „sozial Benachteiligte“ bzw. durch Mehrfachrisiken belastete Zielgruppen, welche oftmals nicht durch frühzeitig vorbeugende bzw. Gesundheit erhaltende Strategien erreicht werden (vgl. Hurrelmann/ Michel 2004). Als problematisch anzusehen ist zudem, dass Präventions- und Gesundheitsförderungsprogramme oftmals eine starke „Mittelschichtorientierung“ aufweisen und in der Regel aus diesem Grund von benachteiligten Statusgruppen seltener in Anspruch genommen werden (vgl. Schluch 2008).
Erklärungsansätze innerhalb der Bewältigungstheorien fragen nach den Verarbeitungs- und Auseinandersetzungsprozessen. „Im Vordergrund stehen die Mechanismen und Prozesse, mit denen sich ein Mensch mit den gesundheitlichen Risiken und Belastungen auseinander setzt“ (Hurrelmann 2006,102). Eine Betrachtungsweise in diesem Zusammenhang befasst sich vornehmlich mit Erklärungsmodellen die auf Persönlichkeitsmerkmale abzielen, eine weitere mit Verarbeitungsroutinen (vgl. Hurrelmann 2006). Der nach der klassischen Theorieauffassung angenommene direkte Zusammenhang zwischen Persönlichkeitsmerkmalen, prägenden Umweltfaktoren und Krankheit, gilt heutzutage als vereinfacht und statisch. Inzwischen haben sich Annahmen, die von einer Vielzahl verschiedener Wirkfaktoren, für die ebenfalls komplexe Entwicklung und Entstehung von Krankheit, weitestgehend etabliert (vgl. Hurrelmann 2006). Dennoch kommt Hypothesen von Vertretern, wie u.a Freud (1960), trotz geringer empirischer Absicherung, als Ursache für Krankheitsentwicklung gegenwärtig nach wie vor Bedeutung zu. In diesen stehen vor allem Beziehungsstörungen im familiären Interaktionsprozess, als Ursache für Krankheitsentwicklung, im Zentrum (vgl. Hurrelmann 2006).
Einen weiteren Ansatzpunkt bieten Theorien, welche die „ Verletzlichkeit“ oder „Anfälligkeit“ (Vulnerablilität) bzw. Widerstandsfähigkeit (Resilienz) betrachten (vgl. Hurrelmann 2006/ Laucht 2012). Hier werden Widerstandskräfte körperlicher, psychischer und sozialer Art des Individuums untersucht, die gegenüber verschiedenen Belastungen, Konflikten und kritischen Lebensereignissen zur „Resilienz“ oder zur Vulnerabilität beitragen. „Resilienz“ meint dabei die Prozesse mit eben solchen belastenden Situationen effektiv umzugehen, sie zu bewältigen oder Risiken dementsprechend zu adaptierten (vgl. Bühler; Heppekausen 2005/ Hurrelmann 2006). Nach Franke (2006) liegt bezüglich der Fokussierung auf Kinder und deren Lebensbedingungen ein besonderes Potenzial für die Identifikation von Risiko- und Schutzfaktoren, die gerade in Bezug auf „gesundes Aufwachsen“ Einfluss haben. „Resilienz“ kann in diesem Zuge verstanden werden als eine psychische Widerstandsfähigkeit von Kindern gegenüber biologischen, psychologischen und psychosozialen Entwicklungsrisiken (vgl. Wustmann 2004).
Insgesamt sind zahlreiche frühkindliche Risikofaktoren mit einer ungünstigen Entwicklung verknüpft und deren Auswirkungen bestehen bis ins Erwachsenenalter fort. Beschriebene kindbezogene Vulnerabilität (u.a. genetische Belastungen, Frühgeburt, komplikationreiche Geburt, geringe Intelligenz, schwieriges Temperament) als auch umweltbezogene „Stressoren“ z.B. Armut, psychische Erkrankung eines Elternteils, sehr junge Eltern und Misshandlung, können als Risikofaktoren für die Wahrscheinlichkeit des Auftretens einer Beeinträchtigung der Entwicklungsfunktionen festgemacht werden (vgl. Laucht 2012). Protektive Faktoren, durch die Kinder trotz widriger Lebensbedingungen eine unauffällige Entwicklung nehmen bzw. vor gesundheitsschädlichen Folgen früher Entwicklungsrisiken geschützt sind, werden u.a. durch Ergebnisse der Mannheimer Risikokinderstudie[1] aus ihrer bislang, vor allem im Bereich der psycho-sozialen Risiken, relativ unspezifischen Bestimmung genommen (vgl. Franke 2006/ Laucht 2012). Bei der Mannheimer Risikokinderstudie handelt sich um eine prospektive Längsschnittstudie die untersucht, welche und wie kind-, familiäre- und umweltbezogene Schutzfaktoren vor allem auf die psychische Gesundheit (psychische Auffälligkeiten, Verhaltensprobleme) Einfluss nehmen (vgl. Laucht 2012). Ausgangspunkt dieser Studie war die individuelle Variabilität in der Entwicklung der sogenannten Risikokinder trotz vergleichbarer „schlechter Startbedingungen“ bzw. belastender Lebensverhältnisse. Im Folgenden werden bedeutsame Schutzfaktoren im Kontext psychosozialer familiärer Belastungen veranschaulicht:
- kognitive, sozio-emotionale Kompetenzen des Kindes, u.a positives Temperament (gemessen an der Häufigkeit des Lächelns), Sprachkompetenz (gute expressive Sprachentwicklung im Alter von 2 Jahren).
- Qualität der frühen Eltern-Kind bzw. familiären Interaktion, d.h. Feinfühligkeit der Betreuungspersonen im frühen Säuglingsalter, Unterstützung und emotional verlässliche Beziehung, Erziehungsstile, die Vertrauen, Autonomie, Initiative des Kindes fördern.
- Unterstützungssysteme der Umwelt, auch außerhalb der Familie
(vgl. Laucht 2012)
Erstere stellen sich nach Laucht (2012) für den Schutz vor gesundheitsschädlichen Folgen früher Entwicklungsrisiken und Basis für die Entwicklung von „Resilienz“, die im Verlauf der kindlichen Entwicklung erworben wird, als besonders bedeutsam heraus. Zudem kommt dem Konzept der Schutzfaktoren eine wichtige Rolle zu, vornehmlich in Bezug auf förderliche und unterstützende Einflüsse sogenannter „tertiärer Netzwerke“ (vgl. Laucht 2012).
Die beschriebenen Annahmen weisen u.a. eine große Übereinstimmung mit dem im späteren Verlauf noch erläuterten salutogenetischen Modell, bzw. dem dort zugrunde liegenden „Kohärenzgefühl“ auf. Des Weiteren wurden einige dieser Vorstellungen in einem weiteren Erklärungsansatz dieser Theorie, der „Anforderungs- Ressourcen- Theorie“, aufgenommen. Dabei gilt der Gesundheitszustand als wesentlich abhängig von der Art und Weise wie gut der Person die Bewältigung externer sowie interner Anforderungen mit Hilfe von externen und internen Ressourcen gelingt (vgl. Hurrelmann 2006). Ebenso integriert sind hier Elemente von Stresstheorien, welche Hauptaugenmerk auf die jeweilige Form der Bewältigung legen und „Stressoren“ identifizieren. „Stressoren“ bezeichnen in der Stressforschung die Einflussfaktoren auf das psychische und körperliche Wohlbefinden bzw. die Gesundheitsbilanz. Auch wird u.a. in der „ kognitiv-transaktionellen Stresstheorie“ besonderer Wert auf die jeweilige kognitive Beurteilung der Belastungen gelegt (vgl. Hurrelmann 2006, Faltermaier 2005). Das subjektive Erleben der Belastung, welches von einem komplexen Gefüge mitbestimmt wird, hat neben den vorhandenen und potenziellen Ressourcen auch entscheidenden Einfluss auf erfolgreiche Bewältigung der Stressoren (vgl. Hurrelmann 2006/ Faltermaier 2005).
Das „ Ressourcen-Bewältigungs-Modell“ unterschiedet in diesem Zusammenhang zwischen personalen und sozialen Ausgangsbedingungen als auch Ressourcen:
- personale Ressourcen sind u.a. Selbstwirksamkeitsüberzeugungen, realistisches Selbstbild, Kontrollüberzeugung
- soziale Ressourcen sind vor allem soziale Beziehungen und
Unterstützung aus den primären, sekundären, tertiären sozialen Netzwerken
(vgl. Hurrelmann 2006)
Vor allem deren Stellenwert für die Verarbeitung hinsichtlich des Erhalts oder der Herstellung von „Kontrolle über die eigene Lebensführung“ (Hurrelmann 2006, 111 nach Lazarus) ist hier zu betonen. Dementsprechend haben die Ausgangsbedingungen und Ressourcen, je nach Ergebnis der Bewältigungsstrategien, positiven oder negativen Einfluss auf beispielsweise die Gesundheitsdynamik (vgl. Hurrelmann 2006).
Genauer betrachtet wird nun das Modell der Salutogenese („Gesundheitsentstehung“), das als eines der bedeutsamsten interdisziplinären und am besten ausgearbeiteten Rahmenmodelle in diesem Zusammenhang gilt. Es bemüht sich um die Einbeziehung der verschiedenen Komponenten der bereits vorgestellten Konzepte (vgl. Franke 2011/ Hurrelmann 2006/ Faltermaier 2005). Vor allem für die betroffenen Eltern und Bezugspersonen und deren Widerstandsfähigkeit bzw. deren Grundüberzeugung, das Leben trotz belastender Lebenssituation zu bewältigen und Gesundheitsressourcen für sich und das Kind zu erschließen, kommt den nachfolgenden Annahmen besonderer Wert innerhalb des Handlungsfeldes der Gesundheitsförderung als auch „Frühen Hilfen“ zu (vgl. Franke 2011/ Franke 2010).
„Der Begriff „Salutogenese“ wurde von Aaron Antonovsky, einem amerikanisch-israelischen Medizinsoziologen, als Gegenbegriff zu dem der „Pathogenese“ geprägt: Während sich pathogenetische Ansätze primär um die Entstehung von Erkrankungen, das Verständnis pathogener Prozesse bemühen, wendet sich Salutogenese der Erforschung der Prozesse zu, die Gesundheit erhalten und fördern“ (Franke 2011, 487).
Gesundheit wird dort als ein dynamischer, schrittweiser Prozess innerhalb eines „Gesundheits-Krankheits-Kontinums“ erfasst und Krankheit dementsprechend nicht nur als Abweichung von der Normalität bestimmt (vgl. Franke 2010). Dabei kommt abermals den Stressoren, bzw. dem konstruktiven Umgang mit ihnen, zentrale Bedeutung als gesundheits- oder krankheitsfördernde Potenziale Bedeutung zu. Grundlegend für die Bewegung, zwischen den beiden Polen „eher gesund“ und „eher krank“ (Gesundheits - Krankheits - Kontinuum), sind die individuellen als auch gesellschaftlichen „generalisierten Widerstandsressourcen“ ausschlaggebend. Relevante sowohl im Individuum sowie in dessen Umfeld liegende Widerstandsressourcen sind beispielsweise:
„Gute körperliche Konstitution, ausreichende Immunpotenziale, kognitive Ressourcen wie Wissen, Intelligenz und Problemlösefähigkeit, psychische Ressourcen wie Optimismus, Selbstvertrauen, Ich-Identität, Gesundheitswissen und Vertrautheit mit dem Versorgungssystem, interpersonale Ressourcen wie soziale Unterstützung, soziale Integration und aktive Teilnahme an individuell bedeutsamen Entscheidungs- und Kontrollprozessen, soziokulturelle Ressourcen wie Einbindung in stabile Kulturen, Orientierung an Werten und Überzeugungen, materielle Sicherheit, sicherer Arbeitsplatz, Verfügbarkeit über Dienstleistungen“ (Franke 2011, 488).
Gesellschaftliche Widerstandsfaktoren sind u.a. „Frieden, intakte Sozialstrukturen und funktionierende gesellschaftliche Netze, Sicherheit der sozialen Systeme, z.B. der Kranken- und Rentenversicherung“ (Franke 2011, 488). Dementsprechend gilt die Grundannahme: Je mehr Widerstandsressourcen einer Person zur Verfügung stehen, desto eher werden Stressoren bzw. Belastungen bewältigt und wirken sich positiv auf die Stärke des „Kohärenzgefühls“ aus (vgl. Bühler; Heppekausen 2005/ Franke 2011). Dieses ist als eben jene Grundüberzeugung zu verstehen, die eine Person in einer Belastungssituation oder Herausforderung dazu mobilisiert Ressourcen zu aktivieren und dem Stressor entgegenzuwirken. Als Merkmale für das Vorliegen eines Kohärenzgefühls wird zudem die Grundhaltung beschrieben, das Leben als stimmig und sinnvoll zu erleben. Diese setzt sich aus drei Komponenten zusammen:
1. Gefühl von Verstehbarkeit, der eigenen Person und der Umwelt
2. Gefühl von Bewältigbarkeit und Handhabbarkeit
3. Gefühl von Sinnhaftigkeit und Bedeutsamkeit
(vgl. Hurrelmann 2006/ Franke 2011)
Insgesamt gesehen ergibt sich durch dieses umfassende Theoriemodell, seine Querverbindungen zum Risikofaktorenmodell, Lerntheorien, Bewältigungs- und Stresstheorien eine gute Grundlage für ein allgemeingültiges, d.h. konsensfähiges Konzept (vgl. Franzkowiak 2011/ Hurrelmann 2006). Dabei jedoch findet die soziologisch-gesellschaftliche Perspektive, bzw. der starke Zusammenhang zwischen sozioökonomischem Status und „Kohärenzgefühl“ kaum Berücksichtigung (vgl. Hurrelmann 2006). Zudem warten manche Aussagen und Modellannahmen noch auf eine hinreichende empirische Absicherung (vgl. Franke 2011). Unter anderem sind nach Franke (2011) in diesem Kontext Forschungen interessant, welche die Entwicklung des Kohärenzgefühls in Abhängigkeit von sozialen, ökonomischen und Umgebungsbedingungen aufklären.
An dieser Stelle ist abschließend noch das „Sozialisationsmodell“ aufzuführen, da es vordergründig die starke Korrelation von sozioökonomischem Status und Kohärenzgefühl berücksichtigt. Zudem ist es neben dem Salutogenesemodell als ein weiteres bedeutsames integratives Erklärungsmodell zu beurteilen (vgl. Hurrelmann 2006).
Diese teils soziologisch, teils psychologisch beeinflusste Theorieauffassung hat die Frage „[...] wie ein Mensch mit seiner genetischen Ausstattung an Trieben und Bedürfnissen und seinen angeborenen Temperaments- und Persönlichkeitsmerkmalen zu einem selbstständigen Subjekt mit Fähigkeiten zur Selbstreflexion wird und es schafft, dabei die Anforderungen von Kultur, Ökonomie und ökologischer Umwelt zu bewältigen“ (Hurrelmann 2006, 128) im Fokus. Gelingt diese Bewältigung und die Erfüllung der Entwicklungsaufgaben im körperlichen, psychischen, sozialen und ökologischen Bereich, so hat dies positiven Einfluss auf die weitere Persönlichkeits- und auch auf die Gesundheitsentwicklung. Dabei sind wiederum die spezifischen Ausgangsbedingungen bzw. die jeweiligen sozialen und personalen Ressourcen von Bedeutung (vgl. Hurrelmann 2006). Im Zuge dessen werden in diesem Modell die einzelnen Lebens- und Übergangsphasen im Lebenslauf, d.h. von der frühen Kindheit bis ins hohe Erwachsenenalter, besonders berücksichtigt und zudem empirisch erforscht, wie sich in diesem Prozess die Gesundheits- und Krankheitsdynamik entwickelt. In diesen Untersuchungen finden sich u.a Hinweise darauf, dass beispielsweise eine komplizierte Schwangerschaft, die teilweise auch mitbedingt durch einen niedrigen sozio-ökonomischen Status der Mutter und deren gesundheitsriskanten Verhaltensweisen sein kann, zu einem niedrigen Geburtsgewicht und zur Vulnerabilität für verschiedene gesundheitliche Beeinträchtigungen führen kann. Auch sind Zusammenhänge von körperlichen Gewalterfahrungen und traumatisierenden Erlebnissen in der frühkindlichen Entwicklung mit einer späteren psychischen Störung in vielen Fällen nachgewiesen (vgl. Hurrelmann 2006).
Grundsätzlich scheint die Bewältigung bzw. Überforderung mit den einzelnen Entwicklungsaufgaben in Abhängigkeit mit dem finanziellen als auch dem Bildungsstatus der Eltern zu stehen. Des Weiteren belegen Studien, dass „[...] soziale und gesundheitliche Ungleichheit, die sich im mittleren oder späteren Lebensalter niederschlagen, ihren Ursprung in frühen Gegebenheiten des Lebensverlaufs haben“ (Hurrelmann 2006, 136). All dies weist insgesamt darauf hin, dass Lebensumstände der frühen Kindheit in besonderen Maße auf den Gesundheitsstaus im späteren Lebenslauf einwirken und daher vorbeugende Interventionen im Sinne der Gesundheitsförderung und Prävention früh im Lebenslauf einsetzen sollten. Dies bedeutet konkret, dass Entwicklungsrisiken frühzeitig identifiziert, Ressourcen bzw. Schutzfaktoren der Kinder und Eltern gestärkt werden müssen, besonders in psychosozial benachteiligten Familien (vgl. Hurrelmann 2006/ Laucht 2012).
Das nachfolgende Kapitel dient der Aufführung des aktuellen Forschungsstandes zur Situation von Familien und (Klein-) Kindern in sozial benachteiligten Lebenslagen und der Veranschaulichung des Einflusses der prekären Lebensumstände in Bezug auf die Gesundheit und Entwicklung von Säuglingen und Kleinkindern.
2.3 Soziale Ungleichheit und Gesundheit in Deutschland
In Deutschland spricht man in diesem Zusammenhang von „relativer Armut“ und „sozialer Ungleichheit". Dies bedeutet einerseits, dass Personen, die in der Gesellschaft leben, unterdurchschnittliche Ressourcen und anderseits unterschiedliche Lebensbedingungen, Teilhabe- und Verwirklichungschancen vorweisen (vgl. BMAS 2008). Familien deren Einkommen maximal „Sozialhilfeniveau“ erreicht oder jene die Sozialhilfe beziehen gelten hier zu Lande als von „Armut bedroht“ (vgl. Bird 2012). Diese Indikatoren greifen jedoch zu eng, da nur die ökonomische Lage d.h. die materielle Unterversorgung berücksichtigt wird. Die Gesamtheit von Armut wird aus psychologisch- pädagogischer Sicht anhand des „Lebenslagenkonzeptes“[2] als materielle Unterversorgung, die zu Einengung bzw. Verlust von Handlungsspielräumen in fünf Lebensbereichen führt, besser erfasst:
- Einkommens- und Versorgungsspielraum
- Lern- und Kooperationsspielraum
- Muße- und Generationsspielraum
- Entscheidungs- und Dispositionsspielraum
(vgl. Weiß 2010/ Zander 2008)
„Leben in Armut bedeutet nicht nur ein ökonomisches Minimum, sondern oftmals auch ein Minimum im Bereich von Bildung, Kommunikat-ion und nicht zuletzt auch im Bereich sozialer Anerkennung“ (Weiß 2010, 51).
[...]
[1] Nähere Angaben zur Studie (Stichprobenauswahl, Konzeption, Vorgehensweise, Laufzeit, Zielsetzung, Ergebnisse etc.) sind der einschlägigen Literatur u.a. Laucht et. al. (2000) zu entnehmen.
[2] Bereits seit 10 Jahren in den u.a. in den AWO-ISS-Studien etabliert verwendet.
- Arbeit zitieren
- Katrin Weidner (Autor:in), 2013, Der Beitrag früher Hilfen zur Gesundheitsförderung von Kleinkindern und ihren Familien im Kontext prekärer Lebenslagen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/455418
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