Mit dieser Studie wird untersucht, wie sechs junge Erwachsene im Alter von 22 bis 31 Jahren die Serie Grey’s Anatomy und die zugehörigen Serienfiguren wahrnehmen und beurteilen. Ziel der Studie ist es herauszufinden, ob die Rezipienten Beziehungen zu den Charakteren aufbauen und welchen Stellenwert sie diesen Bindungen zuschreiben. Von Bedeutung ist ebenso, inwieweit die Zuschauer tatsächlich ihre eigene Lebenserfahrung mit einbeziehen und wie Sympathie und Antipathie die Wahrnehmungen beeinflussen. Zunächst wird der theoretische Rahmen vorgestellt, der die Grundlage für die Untersuchung darstellt. Dabei handelt es sich um das von Hall entwickelte Encoding/Decoding-Modell (Kap. 2.1) und die Erläuterung zu parasozialen Interaktionen und Beziehungen, sowie parasozialer Nähe (Kap. 2.2). Ein allgemeiner Überblick über das Genre der Arzt- und Krankenhausserien, sowie die Vorstellung des Arzttypus wird im dritten Kapitel gegeben. Darüber hinaus wird in dem selbigen Kapitel der Untersuchungsgegenstand Grey’s Anatomy thematisiert. Darauf folgt die Studie mit der Vorstellung und der Begründung des methodischen Vorgehens, sowie der Durchführung selbst (Kap. 4). Kapitel 5 präsentiert die Ergebnisse der Studie anhand einzelner Themenblöcke, welche anschließend vergleichend analysiert und in das theoretische Konzept eingeordnet werden. Die signifikantesten Ergebnisse werden in Kapitel 6 in Form einer Schlussbetrachtung noch einmal zusammengefasst. Als Grundlage für die Gliederung meiner Bachelorarbeit dient die Magisterarbeit „Beziehungen zu Daily-Soap-Figuren und ihre Bedeutung für Rezipierende im Alltag“ von Tanja Liebichen.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Rezeptionsforschung: Handlungstheoretische Ansätze
2.1 Encoding/Decoding-Modell nach Hall
2.2 Parasoziale Interaktionen (PSI) und Beziehungen (PSB)
2.2.1 Parasoziale Interaktion
2.2.2 Parasoziale Beziehungen als Summe / Manifestierung stabiler PSI
2.2.3 Figurenbindung (Parasoziale Nähe)
3. Arzt- und Krankenhausserien
3.1 Darstellung der Arzttypen
3.2 Grey’s Anatomy
3.2.1 Handlungsüberblick
3.2.2 Figurenkonzeption
4. Methodisches Vorgehen
4.1 Erkenntnisinteresse
4.2 Leitfadenorientiertes (Experten)Interview und Auswahl der Interviewpartner
4.3 Leitfaden
4.5. Durchführung und Transkription
4.5 Auswertung anhand der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring
5. Auswertung und Interpretation der (Experten)Interviews
5.1 Ergebnisse der Befragung
5.1.1 Persönliches Umfeld
5.1.2 Rezeptionsverhalten
5.1.3 Allgemeine Beurteilung der Serie
5.1.4 Lieblingsfiguren und deren Bedeutung
5.1.5. Hassfiguren und deren Bedeutung
5.1.6 Wahrnehmung der Protagonistin Meredith Grey
5.1.7 Positive und negative Beziehungen innerhalb der Serie
5.1.8 Integrierung in den Alltag
5.2 Vergleichende Analyse
5.3 Einordnung in die Theorie
6. Schlussbetrachtung
Literaturverzeichnis
Anhang A – Figurenbeschreibungen
Anhang B - Fragebogen
Anhang C - Leitfadeninterview
Anhang D – Interviewtranskripte
1. Einleitung
"Aber die Zukunft ändert sich dauernd. In der Zukunft wohnen unsere tiefsten Ängste und unsere größten Hoffnungen. Aber eins ist gewiss: Wenn sie sich am Ende offenbart, ist die Zukunft nie so, wie wir sie uns vorgestellt haben." (Meredith Grey)1
Eine Serienprotagonistin gibt den Zuschauern regelmäßig Weisheiten mit auf den Weg. Dass es sich dabei um jemanden handelt, der sich Tag und Nacht in Krankenhauszimmern und OP-Sälen aufhält und sich komplizierten Operationen unterziehen muss, lässt sich zunächst nicht erahnen. Meredith Grey ist die Protagonistin der Erfolgsserie Grey’s Anatomy und erreicht im deutschen Fernsehen seit etlichen Jahren mehrere Millionen Zuschauer. Das Genre der Arzt- und Krankenhausserien hat sich sowohl im deutschen, als auch im amerikanischen Fernsehen fest etabliert. Ab den 90er Jahren lässt sich eine Vielzahl genretypischer Merkmale festmachen: Rettungswagen, Krankenhausfassaden, Röntgenbilder, EKG-Kurven und hinter Mundschutz versteckte Gesichter sind nur ein paar davon (vgl. Rosenstein 1998, 30). Ebenso bedeutend wie die Darstellung des Krankenhaus-Milieus, sind emotionale und atmosphärische Effekte. Dabei ist es immer von Bedeutung gewesen, die Krankenhausserie ebenso als „Sozialserie“ ernst zu nehmen, die familiale und gesellschaftliche Themen behandelt und sich in einer vertrauten Alltagswelt (für den Rezipienten eine erfahrbare Wirklichkeit) abspielt (vgl. ebd.). Mittlerweile gibt es keine Grenzen mehr, das Genre beliebig zu kombinieren. Das einleitende Zitat untermalt, worum es im Krankenhausalltag der jungen Ärzte von Grey’s Anatomy hauptsächlich geht: Ängste, Hoffnungen und das dazwischenliegende Drama – in Kombination mit den typischen Merkmalen der Krankenhausserie ergibt sich das Subgenre des Medical-Dramas (vgl. www.imbd.com). So werden beispielsweise Konflikte regelmäßig über dem Operationstisch ausgetragen. Genau dieser Gesamt-Unterhaltungswert macht die Serie so beliebt, was eine Online-Umfrage unter 256 Medizinern bestätigt (vgl. Via Medici 2012, www.thieme.de). Den Serienprotagonisten ist für diesen Erfolg eine besonders bedeutende Rolle zuzuschreiben, denn sie verkörpern die Serie und präsentieren die Handlung, indem sie Themen und Inhalte dialogisch vermitteln und somit den Inhaltsgegenstand selbst ausmachen (vgl. Gleich 1996, 116). Sie interagieren innerhalb ihrer fiktiven Umwelt – was wesentlich für die Einbindung der Zuschauer in das Geschehen auf dem „Bildschirm“ ist, denn die Interaktionsverhältnisse ermöglichen eine Auseinandersetzung mit den eigenen, alltäglichen Lebenserfahrungen. Die Charaktere haben, je nach Sympathie und Antipathie, eine wichtige Bedeutung für „die Geschichte im Kopf der Zuschauer“ (Vgl. Mikos 2015, 109).
Anhand der vorliegenden Studie wird untersucht, wie sechs junge Erwachsene im Alter von 22 bis 31 Jahren die Serie Grey’s Anatomy und die zugehörigen Serienfiguren wahrnehmen und beurteilen. Ziel der Studie ist es herauszufinden, ob die Rezipienten Beziehungen zu den Charakteren aufbauen und welchen Stellenwert sie diesen Bindungen zuschreiben. Von Bedeutung ist ebenso, inwieweit die Zuschauer tatsächlich ihre eigene Lebenserfahrung mit einbeziehen und wie Sympathie und Antipathie die Wahrnehmungen beeinflussen. Zunächst wird der theoretische Rahmen vorgestellt, der die Grundlage für die Untersuchung darstellt. Dabei handelt es sich um das von Hall entwickelte Encoding/Decoding-Modell (Kap. 2.1) und die Erläuterung zu parasozialen Interaktionen und Beziehungen, sowie parasozialer Nähe (Kap. 2.2). Ein allgemeiner Überblick über das Genre der Arzt- und Krankenhausserien, sowie die Vorstellung des Arzttypus wird im dritten Kapitel gegeben. Darüber hinaus wird in dem selbigen Kapitel der Untersuchungsgegenstand Grey’s Anatomy thematisiert. Darauf folgt die Studie mit der Vorstellung und der Begründung des methodischen Vorgehens, sowie der Durchführung selbst (Kap. 4). Kapitel 5 präsentiert die Ergebnisse der Studie anhand einzelner Themenblöcke, welche anschließend vergleichend analysiert und in das theoretische Konzept eingeordnet werden. Die signifikantesten Ergebnisse werden in Kapitel 6 in Form einer Schlussbetrachtung noch einmal zusammengefasst. Als Grundlage für die Gliederung meiner Bachelorarbeit dient die Magisterarbeit „Beziehungen zu Daily-Soap-Figuren und ihre Bedeutung für Rezipierende im Alltag“ von Tanja Liebichen.
2. Rezeptionsforschung: Handlungstheoretische Ansätze
Für das empirische Vorhaben sind die handlungstheoretischen Ansätze von besonderer Bedeutung, deren Ursprung man im Uses-and-Gratification-Approach findet. Das Modell wendet sich von einem linearen Wirkungsprozess ab und spricht dem Rezipienten, der als Individuum mit Bedürfnissen angesehen wird, eine aktive Rolle in Bezug auf die Medienauswahl zu. Die Mediennutzung wird durch die Bedürfnisse, oder der Suche nach Hilfe bezüglich der Persönlichkeitsbildung bestimmt, was letztlich zur Bedürfnisbefriedigung führen soll (vgl. Huck 2010, 13). Wie der Rezipient schlussendlich mit der Verarbeitung von Medientexten umgeht, was für die Studie essentiell ist, bleibt unbehandelt, weshalb im weiteren Verlauf das Encoding/Decoding-Modell von Stuart Hall ausführlich dargestellt wird.
2.1 Encoding/Decoding-Modell nach Hall
Stuart Hall hat mit Hilfe des Encoding/Decoding-Modells sowohl kritisch als auch konzeptionell dargelegt, dass es sich bei dem seit den 50er Jahren vorherrschenden Kommunikationsverständnis nicht um einen einfachen Informationstransport handelt (vgl. Krotz 2009, 214). Er betrachtet Massenkommunikation nicht als transparenten Vorgang und orientiert sich an der Frage danach, „warum und in welcher Absicht kommuniziert wird.“ (vgl. ebd.). Text- bzw. Medieninhalte können also niemals festgelegt und unzweifelhaft vom Sender zum Empfänger gelangen.
„Zeichen verweisen auf etwas, und ihre Bedeutung liegt dementsprechend nicht in ihnen selbst, sondern ergibt sich aus den Kontexten, in denen das Zeichen steht, in denen es von Kommunikatorinnen oder Kommunikatoren und von Rezipierenden verwendet und von denen aus es also interpretiert wird. Zeichen und ihre damit verbundenen oder verbindbaren Bedeutungen sind damit erlernt, sie sind konventionell und damit Teil von Kultur und Gesellschaft, in der wir aufwachsen und leben: Alle Menschen lernen Sprache, Normen und Werte, aber welche sie lernen, ist bekanntlich unterschiedlich.“ (ebd., 215).
Das bedeutet, dass Textinhalte, die vom Sender kommuniziert werden sollen, in einen Zeichencode verpackt werden müssen (kodieren), die der Empfänger, sofern er die Kommunikation verstehen will, entschlüsseln (dekodieren) muss. Das tut er, indem er die Zeichen, die er als sinnvoll erachtet, in selbst ausgewählte und akzeptierte Kontexte setzt. Betrachtet man nun Fernsehinhalte unter diesem Aspekt, dann wird deutlich, dass die Rezeption stets individuellen Sinnzuschreibungen unterliegt und dass die Medientexte niemals objektiv interpretiert werden können. Denn Texte offerieren, aufgrund ihrer Mehrdeutigkeit Bedeutungspotenziale, die wiederrum verschiedene Les- bzw. Aneignungsweisen einschließen (vgl. Röser 2015, 126). Besonders im Rahmen der „Cultural Studies“ sind Untersuchungen dieser Art immer wieder zu finden. Da der Rezipient Medientexte stets unter den Bedingungen des eigenen sozialen Umfelds und des Erlernens individueller Normen und Werte interpretiert, also seine eigene Lebenserfahrung miteinbringt, sind unterschiedliche Ansichten und Empfinden zu erwarten (vgl. Keppler 1996, 12). Das bedeutet allerdings nicht, dass es unzählige, differente Dekodierungsmöglichkeiten gibt, denn sowohl die Kodierung der Sender, als auch die Dekodierung der Empfänger finden in „gemeinsamen gesellschaftlichen und kulturellen“ Zusammenhängen statt (vgl. Röser 2015, 126). Nach Hall gibt es drei Möglichkeiten, einen entsprechenden Text zu lesen – er unterscheidet „eine dominante, eine oppositionelle und eine zwischen beiden ausgehandelte Sichtweise“ (Krotz 2009, 216). Die dominante Lesart geht mit den Kodierungen innerhalb des Textes einher, was bedeutet, dass der Rezipient die Bedeutung des medialen Textes vollständig übernimmt. Bei der oppositionellen Lesart entwickelt der Rezipient eine alternative Bedeutung – er erkennt und versteht die Lesart eines medialen Textes, lehnt diese aber ab. Die ausgehandelte Lesart ergibt sich aus der Mischung der dominanten und oppositionellen Elemente. Der Rezipient erkennt und akzeptiert die kodierte Bedeutung eines Textes, dekodiert diese aber nicht vollständig bzw. nur zum Teil, da er den Text, aufgrund eigener sozialer Erfahrungen, seiner individuellen Bedeutung anpasst (vgl. Röser 2015, 127). Die ausgehandelte Lesart ist diejenige, in der sich die meisten Rezipierenden bewegen (vgl. Winter 1999, 53f.). Das Rezipieren eines Textes ist ein hochkomplexer Prozess, in dem niemand immer nur nach einem Muster liest, sondern seine Position immer wieder wechselt.
Basierend auf Halls Thesen des Encoding/Decoding-Modells soll innerhalb der durchgeführten Studie herausgefunden werden, wie die Rezipienten Textinhalte der Serie Grey’s Anatomy dekodieren und wie sie sowohl die Handlungen, als auch die Figuren in Bezug zueinander und zu ihrem eigenen Sinnkontext setzen. Des Weiteren soll untersucht werden, welche Bedeutung die Rezipienten den Serienfiguren zuschreiben und ob sie erkennbare Beziehungen zu diesen eingehen, weshalb im Folgenden die Thematik der parasozialen Beziehungen und Interaktion erläutert wird.
2.2 Parasoziale Interaktionen (PSI) und Beziehungen (PSB)
Bereits 1956 entwickeln Horton und Wohl die erste Annahme, das Fernsehen erzeugt den Eindruck einer „Face-To-Face“-Beziehung zwischen Rezipienten und Fernsehakteuren. Hierbei handelt es sich, aufgrund fehlender wechselseitiger Beeinflussung, jedoch um eine bloße Illusion (vgl. Rossmann, 184). In der Regel lassen sich PSI und PSB auf alle Massenmedien übertragen.
2.2.1 Parasoziale Interaktion
Von einer abgeschlossenen sozialen Interaktion spricht man, wenn sich zwei Menschen gegenüberstehen und voneinander abhängige Reaktionen auf das vorangegangene Verhalten stattfinden (vgl. Schramm/Hartmann 2010, 208). Diese können bereits durch bloße Anwesenheit, also durch Beobachten und Analysieren des jeweils anderen, gegeben sein. Wirft man einen Blick auf sozialpsychologische Ansätze, kann bei einer PSI lediglich von einer asymmetrischen sozialen Interaktion die Rede sein, da die Medienfiguren die Zuschauer nicht erreichen (vgl. ebd., 202). Die wechselseitige Beeinflussung ist nicht gegeben. Dennoch sind die Interaktionssituationen denen, die im Alltag stattfinden, ähnlich.
„[…] beide handeln so, als ob ein direkter, persönlicher Kontakt vorliegen würde. Aufgrund der technischen Struktur der Medienkommunikation haben die Zuschauer nur eine eingeschränkte „answering role“. Die Handlungen der Medienakteure sind so zwar von den Zuschauern nicht direkt beeinflussbar, aber andererseits sind sie ohne die von den Medienakteuren antizipierten Zuschauererwartungen gar nicht denkbar […]“ (Mikos 1994, 67).
Da der Rezipient sowohl stellvertretend an verschiedenen Handlungen der Medienfigur teilnimmt, als sich auch „in das wahrgenommene Geschehen und die wahrgenommenen Handlungen integriert“, entsteht eine distanzierte Intimität, wodurch sich dem Zuschauer „Anreize zur Reflexion eigener Handlungsentwürfe“ offenbaren (vgl. ebd., 67f.). Der Rezipient erhält die Möglichkeit, beliebig auf die Medienfigur zu reagieren, ohne mögliche Irritationen hervorzurufen oder jegliches Fehlverhalten, welches in der Regel zu Sanktionen führen würde, unbeobachtet und somit folgenlos zu lassen (vgl. Hartmann 2010, 16). Der Rezipient kann sich demnach der Illusion einer sozialen Interaktion entziehen und verhält sich aus „reinem Vergnügen der Medienperson gegenüber in einer Weise, die diese sicherlich nicht in ihrer Performance korrekt antizipiert.“ (ebd.).
2.2.2 Parasoziale Beziehungen als Summe / Manifestierung stabiler PSI
Wiederholen sich parasoziale Interaktionen zwischen Zuschauer und Medienfigur, kann sich daraus eine Interaktionsgeschichte entwickeln. Bei jeder weiteren Interaktion greift der Rezipient auf diese Geschichte und sein entsprechendes Vorwissen zu der Medienfigur zurück, was die neue Interaktion beeinflusst. Dadurch gehen typische Interaktionsmuster hervor, die sich im Laufe der Zeit verfestigen (vgl. Schramm/Hartmann 2010, 210). Hinde (1993) spricht von einer sozialen Beziehung, sobald mindestens ein stabiles Interaktionsmuster vorhanden ist. Baldwin (1992) spricht von einem Beziehungsschema, das aus drei wesentlichen Komponenten besteht, die emotional zu bewerten sind (vgl. ebd.). Zum einen handelt es sich um das Selbstbild, das mit einer emotionalen Einstellung sich selbst gegenüber einhergeht. Zum anderen handelt es sich um das Bild der Bezugsperson und die emotionale Einstellung ihr gegenüber innerhalb der Beziehung. Die dritte Komponente beruht auf „Interaktionsskripten für bestimmte Situationen, die die eigene Sicht des Interaktionsmusters in diesen Situationen repräsentieren.“ (zit. nach ebd.). Die Interaktionen, bzw. die Beziehung selbst werden also ebenso emotional bewertet. Schramm und Hartmann (2010) übertragen die PSB auf das Beziehungsschema. Sie vermuten, dass dieses „bei der ersten Wahrnehmung und kognitiven Verarbeitung einer Medienfigur“ angelegt wird und unumgänglich ist.
„Aus den Interaktionen wird das Beziehungsschema aufgebaut, jedoch werden folgende Interaktionen auch stets vor dem Hintergrund des Beziehungsschemas durchgeführt.“ (vgl. ebd.)
Das hat zur Folge, dass sich die parasozialen Interaktionen und die daraus resultierende parasoziale Beziehung wechselseitig beeinflussen.
2.2.3 Figurenbindung (Parasoziale Nähe)
Serienfiguren nehmen keinen direkten Kontakt zu den Rezipienten auf, sondern richten sich mit ihren Worten, ihrer Mimik und Gestik an ihr fiktives Umfeld und übertragen somit dem Zuschauer die Funktion eines reinen Beobachters einer fiktiven Welt (vgl. Gormász 2015, 121). Die Figuren sind Gegenstand sozialer Wahrnehmung und können von den Zuschauern verstanden werden, wie reale Personen ihrer unmittelbaren Umgebung (vgl. Wulff 1996, 30). Um sich von den Figuren angesprochen zu fühlen, im Sinne von Interesse an deren Leben und Geschichten zu haben, müssen die Serienmacher es schaffen, die Zuschauer an die Serienfiguren zu binden. Sich mit einem Charakter identifizieren zu können ist die Anforderung der Serienmacher, die lange Zeit damit gleichgesetzt wurde, dass der Charakter von den Zuschauern gemocht werden muss (vgl. Gormász 2015, 119). Die Figur zu mögen kann ebenfalls bedeuten, ihr Verhalten zu verstehen, ihre Ansichten zu teilen oder sie zu bewundern. In der Regel findet ein Zusammenspiel dieser Haltungen statt. Um Sympathie aufbauen zu können, muss der Zuschauer in der Figur das Menschenähnliche wahrnehmen können, um sie als schlüssiges, fiktives Wesen verstehen zu können. Dabei spielen vor allem reale Erfahrungswerte eine wichtige Rolle. Ebenso bedeutend ist die Realität der Fiktion selbst – „So lernen wir im Verlauf der seriellen Erzählung, welche Handlungsweisen für eine bestimmte Figur realistisch – im Sinn von möglich und wahrscheinlich – sind.“ (ebd., 120). So wie die PSB eine Summe aller manifestierten PSI darstellt, lernt der Zuschauer die Summe aller Verhaltensweisen der Figur kennen und zu beurteilen. Wenn einzelne Handlungen unrealistisch erscheinen, können sie dennoch im Gesamtkontext aller Handlungen als realistisch wahrgenommen werden. Jede „Serie erzeugt also ihre eigene Realität und je vertrauter uns deren Regeln sind, desto eher werden wir auch jenes Figurenverhalten als realistisch wahrnehmen […].“ (ebd.). Verhält sich die Figur allerdings immer wieder entgegen der Erwartung des Zuschauers, wird dieser daran gehindert, sich ein greifbares Bild zu machen, was wiederrum den Aufbau einer (para-) sozialen Beziehung stark beeinflussen kann. Die Serienfiguren gut kennenzulernen und einschätzen zu können schließt allerdings nicht ein, sie auch zu mögen. Wie distanziert oder stark die Bindung der Zuschauer zu den Serienfiguren ausfällt, ist zusätzlich von raumzeitlicher Anbindung abhängig. Dabei handelt es sich um das Ausmaß, in dem wir eine Figur räumlich und zeitlich begleiten (Nebenfiguren i. d. R. wesentlich weniger). Es stellt sich die Frage, ob ein hohes Ausmaß an zeiträumlicher Nähe positiv dazu beiträgt, die Bindung zu der betroffenen Figur zu intensivieren, oder ob eine „derart erzwungene“ Nähe sogar das Gegenteil bewirkt (vgl. ebd., 122). Grey’s Anatomy ist darauf ausgelegt, das Publikum das ganze Jahr über zu begleiten – im Leben der Figuren vergeht pro Folge ungefähr ein Tag und im Free-TV liegt zwischen den Folgen eine Woche, genauso wie im Leben der Figuren, was eine „Synchronisierung der erzählten Zeit mit der Lebenszeit des Publikums“ gewährleisten soll (vgl. ebd.). Dieses Schema macht es möglich, dass Feiertage, wie beispielsweise Weihnachten, im realen sowie im Serienalltag zeitgleich stattfinden. Kurze Produktionszeiten erlauben es zudem, aktuelle und gesellschaftskritische Themen innerhalb der Serie zu behandeln (vgl. ebd., 123). An dieser Stelle ist jedoch zu beachten, inwieweit das Publikum das Konzept des Free-TVs überhaupt noch nutzt, seit es die Möglichkeit gibt, Grey’s Anatomy zu jedem möglichen Zeitpunkt über Streaming-Portale zu rezipieren, und wie sich das auf die Zuschauer-Figuren-Bindung auswirkt. Zusätzlich eröffnen Nahaufnahmen – und das Lesen der Gesichtszüge – Nähe zu den Darstellern und einen Zugang zu ihrem Gefühlsleben (vgl. ebd., 124). Bei Grey’s Anatomy wird der Zugang zu inneren Vorgängen zusätzlich durch die Off-Stimme (hauptsächlich durch die Protagonistin Meredith Grey) in jeder Folge gestärkt. Es ist also anzunehmen, dass bestimmte Figuren, durch den Zugang zu ihrem Innern und der ausführlichen Darstellung ihrer Erlebnisse, den Zuschauern nähergebracht werden, als andere – ist das bei der Hauptdarstellerin Meredith Grey der Fall? Welche Wichtigkeit die in diesem Kapitel aufgeführten Aspekte haben, soll in der Studie untersucht werden.
3. Arzt- und Krankenhausserien
Im folgenden Kapitel wird das Genre der Arzt- und Krankenhausserien und dessen Entwicklung vorgestellt. Aus der Entwicklung des Genres haben sich zwei bestimmte Arzttypen herausgebildet, die in Kap. 3.1 erläutert werden. Daraufhin rückt das Erfolgsformat Grey’s Anatomy (Kap. 3.2) in den Mittelpunkt. Es folgen ein kurzer Handlungsüberblick (Kap. 3.2.1) und eine Figurenkonzeption (Kap 3.2.2).
Bei Arzt- und Krankenhausserien begleitet der Zuschauer i. d. R. Ärzteteams bei ihrem Job und Alltag in der Praxis oder dem Krankenhaus. Die Mitglieder der Teams stehen in engen Beziehungen zueinander, werden aber durch die verschiedensten Komplikationen „immer wieder in neue Herausforderungen zwischenmenschlicher Art gebracht.“ (n.P 2012, www.bpb.de). In Deutschland wird sowohl dem Arztroman, als auch dem -film hinsichtlich der Entwicklung der Arzt- und Krankenhausserien eine bedeutende Rolle zugeschrieben. Schon damals haben die Zuschauer bestimmte Vorstellungen der Protagonisten. So gehören beispielsweise Chirurgen und Frauenärzte schon immer zu den beliebten Berufen, wobei Frauen als Ärztinnen kaum eine Rolle spielen (vgl. Rosenstein 1998, 11). In den 50er Jahren sind es vor allem als „Halbgott in Weiß“ angelegte Hauptdarsteller, die nicht nur im medizinischen Bereich eine charismatische Autorität mit Vorbildfunktion verkörpern. Daneben gibt es allerdings auch Arztfilme, in denen nicht der Protagonist, sondern Gewissenskonflikte und Liebesbeziehungen im Vordergrund stehen. Beide Richtungen erfahren in etwa gleich viel Zuspruch. Als weniger beliebt bei dem Publikum erweisen sich sozialkritisch angelegte Arztfilme (vgl. ebd., 10).
Dr. Kildare ist im Jahre 1961 die erste, von NBC2 im Fernsehen ausgestrahlte, Arztserie. Die serielle Erzählweise erinnert deutlich an die der Soap Opera, die für amerikanische Serien charakteristisch werden soll. Dr. Kildare schafft es einige Jahre später auch die deutschen Zuschauer zu beeindrucken (vgl. Stöcker 2009, www.focus.de). In den 70er Jahren kommt die Forderung nach mehr Realitäts- und Alltagsnähe auf, um „nicht in der [bisherigen] Heile-Welt-Ideologie“ zu verharren (vgl. Rosenstein 1998, 16). Ein Jahrzehnt später entwickelt sich der Trend – ausgelöst durch Die Schwarzwaldklinik – hin zur populären Unterhaltungsserie. Die Erfolgsserie kombiniert Elemente aus Arzt-, Krankenhaus-, Familien- und Heimatserie und zeigt mit dem Protagonisten Professor Brinkmann erneut die überhöhten und autoritären Figurenkonzeptionen der 50er Jahre. Zusätzlich erhalten durch die Emanzipation der weiblichen Protagonistin, sowie „im Rahmen der Patientengeschichten behandelten Themen aktuelle Problemaspekte Einzug in das Seriengeschehen.“ (ebd., 20). Das Genre und seine stilistischen Bandbreiten boomen. Die Möglichkeiten verschiedene Themen und Genres miteinander zu mischen, scheinen unerschöpflich (vgl. ebd., 27). US-amerikanische Importe erreichen immer häufiger das deutsche Fernsehen und somit u.a. Emergency Room – die Notaufnahme (1995). Die medizinischen Fakten sind evident recherchiert, was bei den Zuschauern sehr gut ankommt. Das Genre erfreut sich über die Jahre hinweg an großer Beliebtheit. Grey’s Anatomy (2006, ProSieben) und Private Practice (2008, ProSieben) gehören zu den neuen, erfolgreichen US-Produktionen der 2000er Jahre (vgl. Stöcker 2009, www.focus.de).
3.1 Darstellung der Arzttypen
Bei der Präsentation der Hauptdarsteller lassen sich zwei verschiedene Typen erkennen. Zum einen gibt es den Arzt, der von den Produzenten idealisiert dargestellt wird, den sogenannten „Halbgott in Weiß“, der teilweise so stark idealisiert wird, dass er als „Vater-Figur“, schlimmstenfalls sogar als „überlebensgroße Autorität“ und „moralische Instanz“ angesehen wird. Bei dieser Charakterisierung handelt es sich vor allem um Arzttypen aus den 80er Jahren (vgl. Rosenstein 1998, 27). In den 90er Jahren wird anhand verschiedener Serien (u.a. Emergency Room) ein etwas anders akzentuierter Arzttypus dargestellt. Dem „Halbgott in Weiß“ folgen Ärzte, die eher als Teammitglied fungieren und durch ihre menschlichen Widersprüche gekennzeichnet sind. Ein Grund dafür, weshalb sich das Ärztebild innerhalb einiger Serien in dem Maße gewandelt hat, ist die Bemühung eine andere Zielgruppe zu erreichen. Während man mit den Serien der 80er Jahre eher Frauen über 50 erreicht, geht es bei den 90er Jahre Serien sowohl darum, ein „jüngeres und zugleich kaufkräftigeres Publikum“, als auch männliche Zuschauer zu erreichen (vgl. ebd., 28). Inhaltlich konzentrieren sich die Serien zudem zunehmend auf medizinische Details, wie spektakuläre OPs, die Attraktivität moderner Technik und Anteil an Konflikten zu nehmen, „die ihn selbst jederzeit betreffen können“ (ebd., zit. nach Reuter 1997, 55). Eine dritte Darstellung, die bisher eine Ausnahme bildet, wird in den 2000er Jahren mit Dr. House präsentiert. Der Fernseharzt ist abhängig von Schmerzmitteln, neurotisch und findet seine Patienten schrecklich – trotzdem mögen die Zuschauer ihn (vgl. Stöcker 2009, www.focus.de).
3.2 Grey’s Anatomy
Die erfolgreiche Arzt- und Krankenhausserie wird erstmals von ABC3 im Jahre 2005 ausgestrahlt und umfasst nach amerikanischem Stand mittlerweile über 300 Episoden verteilt auf 15 Staffeln. In Deutschland findet das Erfolgsformat ein Jahr später über ProSieben Einzug, wo aktuell (2018) die 14. Staffel ausgestrahlt wird (vgl. Unbekannt, www.fernsehserien.de).
3.2.1 Handlungsüberblick
Mittelpunkt der Serie ist die junge Assistenzärztin Meredith Grey. Sie beginnt ihre Ausbildung im Seattle Grace Hospital, um in die Fußstapfen ihrer Mutter, einer brillanten Chirurgin, zu treten. Mit ihr beginnen dort auch Cristina Yang, Isobel Stevens, George O’Malley und Alex Karev das erste Lehrjahr als Assistenzärzte. Als Ausbilderin wird ihnen zunächst Miranda Bailey zugewiesen, die kein Blatt vor den Mund nimmt und die jungen Ärzte permanent herausfordert (vgl. Unbekannt, www.serienjunkies.de). Das Publikum begleitet Meredith und ihre Freunde und Kollegen dabei, wie sie sich mit alltägliche Problemen und Liebeskummer herumschlagen, einen ewigen Konkurrenzkampf führen, aber letztlich immer füreinander da sind. Hinzu kommen komplizierte Operationen und zahlreiche Katastrophen, die das Leben der jungen Ärzte regelmäßig aus der Bahn werfen (vgl. ebd.).
3.2.2 Figurenkonzeption
Bei Grey’s Anatomy handelt es sich nicht um einen charismatischen, autoritären Arzt als Hauptdarsteller – sondern um Meredith Grey, die ihre Ausbildung erst anfängt und beweisen muss, dass sie dem schwierigen Werdegang, eine erfolgreiche Chirurgin zu werden, standhalten kann. Sie hat gute medizinische Instinkte, vergisst dabei aber nicht die nötige Menschlichkeit. Sie trägt ihr Herz am rechten Fleck, will niemanden verletzen und kümmert sich um ihre demenzkranke Mutter, die nie für sie da war. Das klingt heldenhaft und nach einer „Halbgöttin in Weiß“, so wie die Zuschauer das in gewisser von der Protagonistin erwarten. Dennoch wird schnell deutlich, dass Meredith häufig hinter den Erwartungen des Publikums zurückbleibt. Sie ist keine Heldin. Denn mindestens genauso oft, wie sie versucht ihren Freunden zu helfen, lässt sie sie im Stich, lügt, trinkt exzessiv und nutzt die Zuneigung verschiedener Männer aus (vgl. Watt-Evans 2008, 134f.). Sie lässt sich schnell verunsichern und sobald sie verletzt wird, trifft sie egozentrische Entscheidungen, die häufig ihre Mitmenschen verletzen. Sie selbst bezeichnet sich als „dunkel und verdreht“. Im Laufe der Serie wird ihr Verhalten immer wieder mit ihrer schwierigen Kindheit erklärt. Für ihre Mutter stand die Karriere immer an erster Stelle und ihr Vater hat die beiden verlassen, als Meredith ein Kind war. Sie hat Bindungs- und Verlustängste, will auf Liebe aber nicht verzichten (vgl. Unbekannt, www.charakterneurosen.blogspot.com). Ihr Charakter ist geprägt von unzähligen Konflikten und Schicksalsschlägen – so wie die gesamte Handlung. Daher ist die Figur der Meredith Grey durch menschliche Widersprüche gekennzeichnet und eher als der Arzttypus innerhalb eines Teams einzuordnen.
In Derek Shepherd jedoch lässt sich die Figurenbeschreibung des idealen, autoritären und charismatischen „Halbgottes“ wiederfinden. Er wird von den Assistenzärzten aufgrund seines guten Aussehens und seiner Wirkung auf Frauen auch „McDreamy“ genannt und ist Oberarzt und Leiter der Neurochirurgie im Seattle Grace Hospital (vgl. Hoseman n.d., www.myfanbase.de). Er geht liebevoll mit Patienten um, ist gütig, einfühlsam und mitfühlend. Auch wenn er der Beste auf seinem Gebiet ist, neigt er zu Nachdenklichkeit und Selbstvorwürfen (vgl. Unbekannt, www.moviepilot.de). Er erzählt Meredith allerdings nicht, dass er noch verheiratet ist und hat Probleme damit, sich auf eine der beiden Frauen festzulegen (vgl. Watt-Evans 2008, 135). Er hat den Wunsch, Dr. Webber als Chefarzt der Chirurgie abzulösen. Als anfängliche Affäre und späterer Lebenspartner von Meredith Grey präsentiert er die zweite, wichtige Hauptrolle der Serie. Zum Hauptcast gehören eine Vielzahl weiterer Charaktere4, die sich noch einmal wesentlich von den beiden vorgestellten Charakteren und voneinander unterscheiden. Während es damals überwiegend um männliche Ärzte ging, wurde Grey’s Anatomy von Shonda Rhimes konzipiert und größtenteils von Frauen geschrieben. Die Frauenquote innerhalb der Serie ist etwas höher, dennoch scheint die Rollenbesetzung geschlechtlich ausgewogen zu sein.
4. Methodisches Vorgehen
Im folgenden Kapitel wird das methodische Vorgehen vorgestellt, wovon zunächst das Erkenntnisinteresse (Kap. 4.1) behandelt wird. Es folgt die Auswahl der Methode (Leitfadeninterview) und der Interviewpartner (Kap. 4.2). Im Anschluss wird der Leitfaden des Interviews erläutert (Kap. 4.3), sowie die Durchführung und Transkription derselben (Kap. 4.4). Im letzten Kapitel wird die Wahl der auswertenden Methode präsentiert.
4.1 Erkenntnisinteresse
Die vorliegende Arbeit betrachtet die Auseinandersetzung der Rezipienten von Grey’s Anatomy mit den zugehörigen Serienfiguren. Dabei soll nicht nur untersucht werden, wen die Befragten interessant/sympathisch oder uninteressant/unsympathisch finden, sondern auch warum. Halls Encoding/Decoding-Modell zeigt, dass die Rezipienten den Figuren individuelle Bedeutungen zuweisen, die sie aus dem Medientext und dem eigenen Kontext heraus entwickeln. Innerhalb dieses theoretischen Rahmens soll herausgefunden werden, ob die Rezipienten Beziehungen zu den Serienfiguren aufbauen, wie bedeutend diese sind und ob sie deren Alltag auch über die Rezeption hinaus beeinflussen. Des Weiteren ist von Interesse, ob sich typische Lieblings- und Hasscharaktere herauskristallisieren und ob diese ähnlich, oder individuell beurteilt werden. Darüber hinaus soll untersucht werden, ob sich möglicherweise geschlechterspezifische Merkmale erkennen lassen.
4.2 Leitfadenorientiertes (Experten)Interview und Auswahl der Interviewpartner
Als Methode dient ein leitfadenorientiertes (Experten)Interview. Der Leitfaden soll dabei eine Vergleichbarkeit der Datenauswertung gewährleisten. Er ist jedoch flexibel einsetzbar und dient lediglich der Orientierung. Die Interviews sind insofern vergleichbar, als dass sich alle Teilnehmer zu denselben Themenkategorien äußern (vgl. Nohl 2017, 17). Die Interviews sollen so „offen“ wie möglich durchgeführt werden, damit auf die Befragten eingegangen werden kann und aufkommende Themendimensionen nicht unterbunden werden (vgl. ebd.). Je nach Gesprächsverlauf besteht die Möglichkeit Fragen zu ergänzen oder ggf. wegzulassen. Offene Fragen dienen dazu, den Befragten Freiräume ihrer persönlichen Sichtweisen einzuräumen. Speziellere Fragen dienen dazu, diese noch weiter zu vertiefen, um eventuell bedeutende Beurteilungen der Befragten hervorzubringen. Um mögliche Sprachbarrieren zu vermeiden, wird bei der Formulierung der Fragen auf Fachsprache verzichtet und Alltagssprache verwendet (vgl. Meuser/Nagel 1991, 449). Unter dem Gesichtspunkt des Erkenntnis- und Forschungsinteresses gelten die Rezipienten von Grey’s Anatomy als Experten. Bedeutend für die Auswahl dieser sind zunächst Länge und Art der Rezeption. Die zu Befragenden sollen die Serie mindestens bis zur 10. Staffel gesehen haben, damit ein umfangreiches Wissen über Inhalte und Charaktere gewährleistet wird. Damit dieses Wissen präsent ist, soll die letzte Rezeption vor höchstens drei bis vier Jahren stattgefunden haben.
Die Auswahl der InterviewpartnerInnen erfolgte über persönliche Kontakte im Freundes- und Bekanntenkreis. Bis auf zwei5 Personen waren mir die Auserwählten unbekannt6. Es wurden sechs leitfadengestütze Interviews durchgeführt, die alle mit in die Auswertung einfließen. Um mögliche geschlechterspezifische Merkmale festzumachen, wurden drei männliche und drei weibliche Personen befragt. Um eine ausgewogene Forschungsgrundlage zu geben, wurde ebenfalls beachtet, dass die Befragten aus unterschiedlichen Berufsbereichen kommen, unterschiedliche Bildungsabschlüsse haben und möglichst unterschiedlich alt sind (Altersspanne von ca. 20-30 Jahren). Die Auswertung findet jedoch nicht unter besonderer Beachtung dieser demographischen Daten statt.
4.3 Leitfaden
Der Leitfaden des Interviews zieht sich durch verschiedene Themenbereiche, die für das Erkenntnisinteresse von Bedeutung sind. Um einen einfachen Start in die Befragung zu ermöglichen, werden zunächst persönliche Informationen, wie Interessen abgefragt. In der Folge bringen allgemeine Fragen zur Serienrezeption den Kern der Befragung näher. In der darauffolgenden Dimension wird das allgemeine Empfinden gegenüber dem Ärzteberuf (mit Bezügen zu Grey’s Anatomy) erfragt. Anschließend soll durch einen Fragenblock das Nutzungs- und Rezeptionsverhalten der Rezipienten untersucht werden, woraufhin der Kern der Befragung folgt. Es wird untersucht, wie die Rezipienten die Serie und die Figuren beurteilen und welche positiven und negativen Bindungen damit einhergehen. Als Hilfestellung dienen Portraitbilder der Serienfiguren. Diese Dimension wird in weitere Themenbereiche, wie beispielsweise die Bewertung von Beziehungen innerhalb der Serie unterteilt. Die letzte Dimension untersucht die Integrierung der Serie in den Alltag der Rezipienten. Es soll herausgefunden werden, in welchem Ausmaß die Befragten verschiedene Beziehungskonstellationen oder Figuren mit sich selbst oder ihrem sozialen Umfeld vergleichen und inwieweit sie sich außerhalb der Rezeption noch mit Grey’s Anatomy beschäftigen. [Da im Laufe der ersten beiden Interviews schnell deutlich wurde, dass die Meinungen über die Protagonistin Meredith Grey äußerst individuell ausfallen, wurde der Interviewleitfaden um diesen Themenblock erweitert.] Die soziodemografischen Daten der InterviewpartnerInnen werden anhand eines Kurzfragebogens erfragt7.
4.5. Durchführung und Transkription
Die sechs Interviews wurden im Juli und August 2018 durchgeführt und unter Einverständnis der Befragten mit einer Audioquelle aufgezeichnet. Die Interviews hatten jeweils eine Länge von ca. 50 bis 70 Minuten und haben bei den Experten Zuhause stattgefunden, was eine angenehme Atmosphäre gewährleisten sollte. Mitgeteilt wurde den InterviewpartnerInnen lediglich, dass es sich um eine Untersuchung der Serie Grey’s Anatomy handelt, wobei deutlich gemacht wurde, dass es innerhalb der Befragung keine falschen Antwortmöglichkeiten gibt. Vor Beginn der jeweiligen Interviews wurden alle Teilnehmer über die Datenschutzbestimmung und den groben Ablauf des Interviews informiert.
Die sechs durchgeführten Interviews wurden vollständig transkribiert8: Wortwörtlich verschriftlicht, wobei Wortlaute, nonverbale Handlungen und Lachen mit aufgenommen wurden. Längere Pausen, sowie relevante Handlungen und Lachen wurden in runden Klammern erwähnt, kurze Überlegungen hingegen durch drei Punkte. Benutzte der Interviewpartner wörtliche Rede innerhalb seiner Aussagen, wurde diese zur Erkennbarkeit kursiv gesetzt. Grammatikalische Fehler wurden beglichen, sofern der Sinngehalt der Aussage dadurch nicht verändert wurde. Aus Datenschutzgründen wurden die Namen aller InterviewpartnerInnen geändert.
4.5 Auswertung anhand der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring
Für die Auswertung des empirischen Materials wird die qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring durchgeführt. Das Material wird schrittweise analysiert und in ein Kategoriensystem eingeteilt, welches das Zentrum einer solchen Datenerhebung darstellt, weil es bedeutend für die Vergleichbarkeit der Ergebnisse ist (vgl. Mayring 2015, 52). Mayring differenziert drei Grundformen der Interpretation: Zusammenfassung, Explikation und Strukturierung. Es handelt es sich um jeweils eigenständige Analysetechniken, die unabhängig voneinander angewandt werden können. Je nach Erkenntnisinteresse und Material ist es wichtig, die am besten geeignete Analysetechnik zu wählen (vgl. ebd., 67). Bei der zusammenfassenden Analyse geht es darum, „das Material so zu reduzieren, dass die wesentlichen Inhalte erhalten bleiben“, und ein übersichtliches Abbild des Grundmaterials darstellen (vgl. ebd.). Bei der Explikation wird zusätzliches Material hinzugezogen, welches das Verständnis gegenüber Unklarheiten erweitern soll (vgl. ebd.). Die strukturierte Analyse zielt darauf ab, „bestimmte, [theoriegeleitete] Aspekte aus dem Material herauszufiltern“, welche anhand bestimmter Kriterien eingeschätzt werden (vgl. ebd.). Die drei Interpretationsmöglichkeiten differenziert Mayring weiter aus, wobei im Folgenden nur die strukturierende Analyse Beachtung findet, da sie für die Auswertung der empirischen Befragung signifikant ist. Bei allen Ausführungen handelt es sich um deduktive Kategorienanwendungen (vgl. ebd., 68). Filtert man aus dem Material anhand formaler Strukturierungsgesichtspunkte eine innere Struktur heraus, handelt es sich um eine formale Strukturierung. Von einer inhaltlichen Strukturierung ist die Rede, „wenn [das] Material zu bestimmten Inhaltsbereichen extrahiert und zusammengefasst“ wird. Eine weitere Möglichkeit ist die typisierende Strukturierung, die Anwendung findet, wenn „auf einer Typisierungsdimension nach einzelnen markanten Ausprägungen im Material“ gesucht wird, die anschließend genauer beschrieben werden. Zuletzt kann das Material anhand einer Skalenform eingeschätzt werden, wobei es sich um die skalierende Strukturierung handelt (vgl. ebd.). Der Fokus der Auswertung liegt auf der inhaltlichen Strukturierung, da innerhalb der einzelnen Dimensionen zusammengefasst werden kann, wie die Rezipierenden die Serienfiguren, die Handlungen und die Beziehungskonzepte inhaltlich beurteilen. Die transkribierten Interviews werden erneut in verschiedene Kategorien eingeteilt, aus denen die wesentlichen Aspekte zusammengefasst und interpretiert wurden.
5. Auswertung und Interpretation der (Experten)Interviews
Im folgenden Kapitel werden die Ergebnisse der Studie analysierend und interpretierend vorgestellt. Zuerst werden die Ergebnisse der einzelnen Dimensionen präsentiert (Kap. 5.1). Die wichtigsten Erkenntnisse werden in Kapitel 5.2 vergleichend analysiert, woraufhin eine Einordnung in das theoretische Konzept folgt (Kap. 5.3). Relevant erscheinende Aussagen fließen als Zitate in die Auswertung mit ein.
5.1 Ergebnisse der Befragung
5.1.1 Persönliches Umfeld
Die Dimension behandelt sowohl das persönliche Umfeld, als auch die Freizeitbeschäftigungen der Befragten. Einer der Befragten9 bezeichnet sich selbst als „Serienjunkie“ und verbringt dementsprechend seine Freizeit in erster Linie mit Serienschauen. Ebenso zählen zwei weitere Befragte10 das Filme- und Serienschauen als Aktivität auf, der sie in ihrer Freizeit gerne nachgehen. Die restlichen Befragten treffen sich gerne mit Freunden. Prinzipiell fallen die Freizeitbeschäftigungen relativ ähnlich aus und dienen vor allem als Ausgleich zum Alltag. Eine Ähnlichkeit ist gleichermaßen bei den Umständen der sozialen Kontakte zu erkennen. So haben alle InterviewteilnehmerInnen verhältnismäßig viele Kontakte, wovon der Großteil eher oberflächlich ist und nur ein geringer Teil zu den gefestigten Beziehungen gehört, die als gute/enge Freunde bezeichnet werden. Alle sind gerne unter Menschen, brauchen vor allem nach Stress jedoch Zeit für sich. Wenn sie Zeit mit sich selbst verbringen (müssen), schauen sie u.a. alle gerne Serien.
5.1.2 Rezeptionsverhalten
Die Rezipienten geben an, dass sie seit mehreren Jahren Serien gucken und dass sich das Interesse daran im Teenageralter zwischen 13 und 15 Jahren gefestigt hat. Die Hälfte der Befragten11 hat kein Lieblingsgenre und findet eher die Mischung aus allen Genres interessant. Die andere Hälfte12 hat ein Lieblingsgenre, wovon zweimal13 Fantasy und einmal14 Backshows, sowie skandinavische Krimis genannt werden.
Zu den beliebtesten Vorgehensweisen, sich für eine Serie zu entscheiden, zählen Empfehlungen von Freunden oder der Streaming-Portale selbst und das Anschauen von Trailern. Auf Grey’s Anatomy ist der Großteil der Befragten über den Fernseher selbst gestoßen – entweder durch die TV-Werbung zu der Serie15, oder sie sind beim „Durchzappen hängen geblieben“16. Lediglich C2 hat Grey’s Anatomy anfänglich unfreiwillig und ausschließlich auf dem Tablet rezipiert. Er gibt an, die Serie wegen seiner damaligen Partnerin angeschaut zu haben. Hauptgrund, warum die Serie immer weiterverfolgt wird, ist die fesselnde Handlung. Weitere, weniger genannte Gründe sind das Interesse an den verschiedenen, gut gelungenen Charakteren und dem medizinischen Aspekt.
Nutzungsverhalten
Fünf von sechs der Befragten17 haben Grey’s Anatomy bereits mit Freunden, Verwandten oder Partnern rezipiert. Beliebt war das gemeinsame Schauen allerdings eher zu Beginn der Serie. Mittlerweile haben die Teilnehmer den Großteil der Serie allein gesehen. Eine Ausnahme bildet P, der die letzten zwei, drei Staffeln mit seiner Partnerin geschaut hat. Für die Rezeption wird der PC/Laptop, das Tablet und nach wie vor der Fernseher genutzt, allerdings spielt das Free-TV dabei keine Rolle mehr. Beliebt sind Smart-TVs mit integrierten Streaming-Portalen. Des Weiteren findet die Rezeption überwiegend in den Wohlfühlräumen, wie Wohn- und Schlafzimmer statt. S hat die Serie mitunter auf längeren Reisen, wie Zugfahrten und Flügen, über den Laptop rezipiert. C2 rezipiert Grey’s Anatomy über sein Tablet und nimmt es gelegentlich mit auf den Balkon, oder zu Hausarbeiten mit in die Küche.
C2: „[…] Grey’s Anatomy, das gucke ich meistens auf dem iPad und das nehme ich dann mit, wenn ich koche, oder wenn ich putze oder auf dem Balkon bin. Da wo ich mich gerade aufhalte.“
Nur P gibt an, sich während der Rezeption ausschließlich auf die Folge zu konzentrieren. Beliebte Nebentätigkeiten der übrigen fünf Erwachsenen sind Kochen, Putzen, Essen und mit dem Handy beschäftigen. Die Regelmäßigkeit der Rezeption fällt unterschiedlich aus. P und J sind stets auf dem aktuellen Stand der neuveröffentlichten Folgen und müssen dementsprechend immer auf eine neue Folge warten. Sie nehmen sich explizit Zeit für die Rezeption. Die restlichen Befragten bezeichnen ihr Rezeptionsverhalten als unregelmäßig und phasenweise und begründen dies mit fehlendem Zeitfaktor. Ausschließlich C2 berichtet, die Serie bewusst nur ein- bis zweimal im Monat zu rezipieren, dafür aber zwei bis sechs Folgen hintereinander. C1 mag das wöchentliche Warten nicht und wartet daher lieber auf komplette Staffeln. Für das Rezipieren der Staffel versucht sie sich Zeit zu nehmen. P hingegen wartet gerne eine Woche, weil er der Meinung ist, dass man sich dadurch mehr Gedanken macht und die Folgen anders verarbeitet. P, J, K und C1 sind grundsätzlich der Meinung, dass man die Charaktere auch bei unregelmäßiger Rezeption gut kennenlernen kann. C2 und S hingegen glauben, dass man die Charaktere durch regelmäßiges rezipieren mehrerer Folgen besser kennenlernt – man vergesse die Zusammenhänge nicht so schnell und die Charaktere seien vielschichtig, weshalb man sie eher im Zusammenhang mehrerer Folgen durchschaue. Bezüglich der Handlung sind die Rezipienten allerdings einer Meinung und glauben, dass man „eher im Geschehen“ ist, wenn man mehrere Folgen hintereinander rezipiert.
Arzt- und Krankenhausserien allgemein
Nur zwei der Befragten18 rezipieren generell gerne Arzt- und Krankenhausserien. Grund dafür ist vor allem der medizinische Aspekt. Die restlichen Befragten empfinden das Genre als zu eintönig/langweilig, haben dennoch die ein oder andere Serie gesehen. Drei der Befragten19 haben Private Practice, den Spin-Off von Grey’s Anatomy gesehen. Vor allem K hat bereits einige Arztserien rezipiert, weil sie es spannend findet, ihr Medizinstudium mit der Fiktion zu vergleichen. Obwohl das allgemeine Interesse an Arzt- und Krankenhausserien gering ausfällt, empfinden fünf von sechs InterviewpartneInnen Respekt für die Tätigkeiten der Ärzte innerhalb der Serienwelt. C2 glaubt nicht, dass er Respekt empfindet, weil er den Vergleich zur Realität nicht ziehen kann.
Realitätsgehalt / Krankenhaus- und Ärztebild
Die allgemeine Einschätzung des Realitätsgehalts fällt bei den Rezipierenden relativ ähnlich aus. Sie sind sich einig, dass es einige Parallelen, aber auch wesentliche Unterschiede von Grey’s Anatomy zu realen Krankenhäusern gibt. Das Ärztebild an sich bzw. die Kompetenz der Ärzte und den medizinischen Aspekt beurteilen sie als eher realistisch. Bei der Beurteilung über das Leben der Ärzte und den Alltag im Krankenhaus, treffen unterschiedliche Meinungen aufeinander. Während P glaubt, dass die Realität wesentlich stressiger ist, glaubt C2, dass es in der Realität wesentlich weniger chaotisch zugeht. J und S glauben, dass Serienalltag und Realitätsalltag ähnlich stressig sind und dass vor allem der Druck der Assistenzärzte, sich beweisen zu müssen, ähnlich hoch ist. Darüber hinaus glaubt S, dass das Krankenhausleben bei Grey’s Anatomy zu positiv dargestellt wird. Der markanteste Unterschied zur Krankenhaus-Realität stellt für alle Befragten der Aspekt der Beziehungen zueinander dar, wobei nicht die zwischenmenschlichen Beziehungen an sich in Frage gestellt werden.
P: „[…] ich glaube, wenn man die ganze Zeit mit diesen Menschen zusammen ist und die halt ein viel größeres Verständnis haben, als jeder andere, der nicht aus diesem Beruf kommt, ist es schon sehr naheliegend, dass diese Leute unter sich bleiben, […].“
Die Rezipienten halten viel mehr das Ausmaß dieser Beziehungen für unrealistisch.
S: „Also ich kann mir nicht vorstellen, dass es irgendein Krankenhaus auf der Welt gibt, wo so viele Beziehungen ineinander verschachtelt sind.“
Dass es als realitätsfern empfunden wird, ist aber in keiner Weise ein Kritikpunkt, da vor allem das dramatische Privatleben der Ärzte und Ärztinnen als besonders positiv und unterhaltsam bewertet wird.
Bewertung des Ärzteberufs
Fünf der sechs Interviewten20 geben an, dass sie selbst nicht gerne Arzt wären. Gründe dafür sind vor allem Stress, kein Privatleben außerhalb des Krankenhauses und eine zu hohe Verantwortung. Drei der Befragten21 finden die Arbeit aber bewundernswert und interessant. Lediglich K studiert tatsächlich Medizin und hatte schon immer den Wunsch, Ärztin zu werden. Sie findet das Leben im Krankenhaus und sich permanent neuen Herausforderungen stellen zu müssen spannend. Insgesamt lässt sich sagen, dass der Ärzteberuf mehrheitlich keine Motivation ist, sich Grey’s Anatomy anzuschauen.
5.1.3 Allgemeine Beurteilung der Serie
Das allgemeine Interesse an Grey’s Anatomy fällt bei den Befragten sehr ähnlich aus.
Zwei Befragte22 sind der Meinung, dass die Charaktere teilweise Klischees bedienen. Die restlichen Teilnehmer glauben, dass die Charaktere wirklich existieren könnten und mögen besonders die große Vielfalt an verschiedenen Charakteren. Am positivsten werden die zwischenmenschlichen Beziehungen und Dramen, sowie die sehr gute Rollenbesetzung bewertet. Gemocht wird die Kombination mit dem medizinischen Aspekt und dem Alltag im Krankenhaus.
S: „Dann finde ich gut, […], dass es so ein Gemisch ist zwischen einzelnen Fällen mit Patienten und andererseits aber auch die Beziehungen zueinander.“
P: „Ich glaube, die Kombi aus allen Dingen macht’s vor allen Dingen aus. Das Beste, das mir an der Serie gefällt ist eigentlich die zwischenmenschliche Beziehung und die Handlung der einzelnen Charaktere, mit dem medizinischen Aspekt dabei.“
Obwohl die Dramen sehr beliebt sind, wird das Ausmaß der Schicksalsschläge der Protagonistin Meredith Grey häufig kritisiert.
P: „Aber so viel… ich sage mal Scheiße, wie den ganzen Personen, vor allem Meredith passiert ist in den ganzen Staffeln, passiert keinen zehn Menschen im kompletten Leben.“
Als die individuellen Lieblingsmomente werden vor allem Liebesbeziehungen genannt. Zwei männliche Teilnehmer23 beurteilen das Zusammenkommen von Jo und Alex als besonders schön, weil sie der Ansicht sind, dass die beiden Charaktere perfekt zusammenpassen. J findet es sehr schön, dass es gleichgeschlechtliche Paare gibt, weil er selbst homosexuell ist24. K findet allgemein Momente des Zusammenkommens oder Hochzeiten toll. S nennt die Beziehung zwischen Cristina und Owen als schönsten Moment, weil die Beziehung für sie mit Höhen und Tiefen verbunden und „immer lustig“ ist. C1 mag die Zettelhochzeit von Meredith und Derek besonders gerne. Ein weiterer schöner Moment für sie war, als das Krankenhaus mit einem anderen zusammengelegt wird, wodurch die neuen Assistenzärzte dazukommen.
Als schlimmster Moment wird, bis auf einen Aspekt, ausschließlich der Tod genannt. Fünf der sechs Befragten geben an, dass der Flugzeugabsturz, bei dem Lexie Grey tödlich verunglückt ist, der schlimmste Moment für sie ist. Gründe dafür sind die Art des Todes und die starke Sympathie gegenüber der Figur. Drei Erwachsene erwähnen ebenso den daraus resultierenden Tod von Mark Sloan. Eine Rezipientin25 empfindet den Tod von George O’Malley als besonders schlimm, sowie den Zeitraum, in dem Preston Burke aufgrund seiner zitternden Hand nicht mehr operieren kann.
Bei der Beurteilung der interessanten Charaktere, lässt sich eindeutig erkennen, dass die Entscheidung mit der Sympathie für die Serienfiguren einhergeht. Keiner der Befragten nennt eine Figur, die er oder sie unsympathisch findet. Viel mehr weisen sie den für sie interessanten Figuren positive Eigenschaften zu, die sie im realen Leben auch schätzen. Insgesamt werden 19 verschiedene Serienfiguren als interessant bezeichnet, wovon einige doppelt genannt werden. Neben der Sympathie sind sowohl die individuellen Geschichten der Charaktere, als auch deren Charakterentwicklungen und die Beziehungen zueinander von Bedeutung. Für die Rezipienten sind die Serienfiguren Alex Karev, Cristina Yang, Miranda Bailey, Richard Webber, Meredith Grey und Callie Torres besonders interessant.
Bei der Beurteilung der uninteressanten Serienfiguren lässt sich ebenso gut abzeichnen, dass Antipathie einer der Hauptgründe dafür ist. Die Rezipierenden weisen den Figuren überwiegend negative Eigenschaften, wie nervig und arrogant zu sein, zu und geben an, dass sie auch in der Realität mit solchen Menschen nichts zu tun haben würden. Kleine Rollen, Charaktere, die unnahbar erscheinen und einem „nichts geben“ und Figuren, die dazukommen und nicht von Anfang an dabei sind, werden ebenso als eher uninteressant empfunden. Das Desinteresse geht hierbei allerdings eher mit Neutralität einher, anstatt mit Antipathie. Insgesamt werden 15 verschiedene Charaktere als uninteressant bewertet, wovon 10 zuvor als interessant bewertet wurden. Besonders umstrittene Charaktere, die gleichermaßen interessant und uninteressant bewertet wurden, sind Addison Montgomery, Teddy Altman und Izzie Stevens. Die Serienfiguren Leah Murphy, Preston Burke, Ellis Grey und Erica Hahn sind für die Rezipienten durchweg uninteressant.
Insgesamt werden zwölf weibliche und sieben männliche Charaktere als interessant, und zwölf weibliche und drei männliche Charaktere als uninteressant bewertet. Das kann zum einen an der etwas höheren Frauenquote innerhalb der Serie liegen, als auch an der individuellen Wahrnehmung der Rezipienten. Während die Beurteilung der Frauenfiguren relativ ausgeglichen ausfällt, ist bei den männlichen Figuren eindeutig zu erkennen, dass Preston Burke der uninteressanteste und Alex Karev der interessanteste Charakter ist. Es lassen sich bei der Beurteilung der Rezipienten keine besonderen, geschlechterspezifischen Merkmale festmachen – einzig auffällig ist, dass eine Rezipientin26 sowohl bei den interessanten, als auch bei den uninteressanten Charakteren ausschließlich Frauen nennt.
5.1.4 Lieblingsfiguren und deren Bedeutung
Zwei weibliche27 und zwei männliche28 Befragte können eine einzelne Figur als ihre Lieblingsfigur benennen. Bei den beiden Frauen handelt es sich um Cristina Yang, bei P um Alex Karev und J nennt Meredith Grey, sofern er sich auf eine Person festlegen muss. Als weitere Lieblingsfiguren nennt er Lexie Grey, Miranda Bailey und George O’Malley. Die Begründung, warum Cristina Yang die Lieblingsfigur der beiden Frauen ist, fällt äußerst ähnlich aus. Sie schätzen vor allem ihre zielstrebige und ehrgeizige Persönlichkeit. Darüber hinaus bewerten sie Cristina Yangs Freundschaft zu Meredith Grey positiv – im Gegensatz zur emotionalen Meredith, kommt der rationale Charakter von Cristina besonders gut zur Geltung. Beide Frauen nehmen Cristinas Charaktereigenschaften identisch wahr. Der zuvor schon als sehr interessant bewertete Charakter Alex Karev ist seit Beginn der Serie die Lieblingsfigur von P. Bewundernswert findet er vor allem seine Charakterentwicklung. Außerdem schätzt er Alex‘ Ehrlichkeit, dass er sich für andere einsetzt, er mitfühlend und dennoch impulsiv ist. Für J stellt die Protagonistin Meredith Grey die größte Konstante der Serie dar. Besonders imponiert ihm, wie viel sie bereits durchmachen musste und dennoch nicht kaputt gegangen ist. Des Weiteren beschreibt er sie als empathisch und loyal. Darüber hinaus hat J weitere Lieblingsfiguren – Lexie Grey, wegen ihrer äußerst liebevollen Art. Miranda Bailey aufgrund ihrer Charakterentwicklung – ähnlich wie Meredith hat sie Schlimmes erlebt, aber immer Stärke bewahrt. George O’Malley, weil er immer der Held war, obwohl er von niemandem ernst genommen wurde. C2 und K benennen als ihre Lieblingsfiguren die Charaktere, die sie zuvor als besonders interessant benannt haben. Für C2 gibt es zu viele Charaktere, sodass er sich nicht auf einen festlegen würde, „weil [sie] alle sehr, sehr positive Eigenschaften haben, […] mit denen [er] [s]ich auch identifizieren kann“. K gibt an, dass sie die weiblichen Schauspielerinnen „ganz cool“ findet, weil sie so „taff“ und „stark“ sind. Auch sie kann sich mit ihnen identifizieren und empfindet mehr Respekt für sie, weil sie sich „in dieser Welt“ behaupten und durchsetzen. Dass sie sich dabei auf die Schauspielerinnen bezieht, zeigt, dass die Sympathie nicht allein den Serienrollen zuzuschreiben ist, sondern auch den Darstellerinnen.
Die Ergebnisse legen eindeutig dar, dass die Lieblingsfiguren aufgrund ihrer Charaktereigenschaften und ihres Identifikationspotenzials von den Rezipierenden ausgewählt werden. Das äußere Erscheinungsbild ist nicht ausschlaggebend für die Auswahl.
Beziehungen zu den Lieblingsfiguren
Zunächst gilt es durch bestimmte Äußerungen darzulegen, dass die Rezipienten eine Art Beziehung zu ihren Lieblingsfiguren eingehen. Grundsätzlich glauben die Interviewten nicht, dass sie die Serienfiguren auf der gleichen Ebene wie einen realen Freund kennen, weil der persönliche Austausch und die Interaktion fehlen. Dennoch sind sie der Meinung, dass sie die Figuren innerhalb der Serie gut kennenlernen, ihnen Charaktereigenschaften zuweisen können und wissen, wie sie in bestimmten Situationen reagieren würden. Die meisten würden es schade finden, wenn ihre Lieblingsfigur/en die Serie verlassen würden, bzw. haben es schade gefunden, dass ihre Lieblingsfigur gegangen ist. Die Trauer um die Lieblingsfigur ist/war jedoch nur von kurzer Dauer, weil stetig neue Charaktere und Geschichten dazukommen. Lediglich für P und J würde der Ausstieg ihres Lieblingsprotagonisten das Serienaus bedeuten – Alex Karev stellt für P eine der wichtigsten Trägerfiguren der Serie dar und J kann sich Grey’s Anatomy ohne die Hauptprotagonistin nicht vorstellen.
J: „Also die Serie heißt ja nun auch mal Grey’s Anatomy, […] auf ihrem Namen beruht die Serie ja und sie ist die Hauptperson seit 14 Jahren und natürlich sind auch andere Personen im Hauptcast, aber sie ist ja tatsächlich die Protagonistin. Und ne, ich kann mir 'ne Serie ohne sie als Protagonistin nicht vorstellen.“
Alle Rezipienten empfinden Mitgefühl, wenn ihren Lieblingsfiguren etwas Schlimmes widerfährt. In welchem Ausmaß sie das tun, fällt jedoch individuell aus. C2 behauptet von sich, ein sehr sachlicher Mensch zu sein und bei allen Charakteren ein „bisschen“ Mitgefühl zu haben. Er hält es für möglich, dass es bei den Lieblingscharakteren etwas stärker ausfällt. K glaubt, dass sie für ihre Lieblingsfiguren mehr Empathie empfindet. P, J und S geben an, dass sie für alle Figuren, die sie mögen, Empathie empfinden, für die Lieblingsfigur nicht unbedingt stärker. C1 macht ihr Mitgefühl nicht von Sympathie, sondern vom Schwerheitsgrad des Schicksals abhängig. Im Durchschnitt machen die Interviewten ihre Empathie von Sympathie abhängig.
Genauso freuen sich alle Befragten für ihre Lieblingsfiguren, wenn ihnen etwas Gutes passiert. Freude empfinden die Befragten grundsätzlich für alle Charaktere, wobei P, K und C1 der Meinung sind, dass sich das bei Figuren, die sie lieber mögen, auch stärker abzeichnet. Insgesamt wird das Gefühl von Freude im Gegensatz zu Mitleid weniger abhängig von Sympathie gemacht.
Alle Befragten können sich vorstellen, dass ihre Lieblingsfiguren, oder ein Teil davon, ebenso Teil des eigenen Freundeskreises sein könnten. Sie empfinden deren Charaktereigenschaften als passend zu den eigenen und erkennen teilweise29 Parallelen zu eigenen Freunden. Zwei Rezipienten äußern diesbezüglich jedoch Bedenken. J zweifelt daran, ob Meredith ihn mögen würde, während er sich das bei Lexie, Callie und Arizona gut vorstellen kann. K mag die Charaktereigenschaften von Miranda Bailey gerne, nimmt sie aber eher als schwierige Persönlichkeit wahr. Ihre verschlossene und „muffelige“ Art seien keine Eigenschaften, die sie in ihrem Freundeskreis wiederfindet.
Grundsätzlich fallen die Ergebnisse sehr ähnlich aus: Alle TeilnehmerInnen machen ihre Lieblingsfiguren an Charaktereigenschaften fest, würden den Ausstieg ihrer Lieblingsfigur bedauern oder tun es, empfinden sowohl Mitleid, als auch Freude und können sich ihre Lieblingsfigur als realen Freund oder reale Freundin vorstellen. Dennoch lässt sich anhand der individuellen Aussagen ablesen, dass einige Bindungen stärker sind als andere. Bei P und J ist deutlich erkennbar, dass sie eine stärkere Bindung zu den Figuren haben, als die anderen Interviewten. Bei C2 hingegen ist ersichtlich, dass er eine eher distanzierte Haltung vertritt. Er selbst sagt aus, dass er sich mit der Serie nicht intensiv genug beschäftigt, als dass er Beziehungen zu den Protagonisten aufbauen könnte und die Serie nur noch guckt, weil er jemand ist, der zu Ende bringen will, was er angefangen hat. Alle drei Frauen nennen Frauen als ihre Lieblingsfiguren. P nennt einen Mann, während die anderen beiden Männer beide Geschlechter aufzählen. Es lässt sich eine geschlechterspezifische Tendenz bezüglich der Auswahl erkennen.
5.1.5. Hassfiguren und deren Bedeutung
Lediglich zwei Männer30 behaupten, eine Hassfigur zu haben. Die restlichen Befragten sagen aus, dass sie für niemanden Hass empfinden, es dennoch Charaktere gibt, die sie unsympathisch und nervig finden. Es werden acht verschiedene Charaktere genannt, was erkennen lässt, dass die Summe gegenüber den negativ empfundenen Charakteren geringer ist, als gegenüber der positiv empfundenen. Besonders auffällig ist, dass Preston Burke dreimal genannt wird31 und es sich bei den restlichen Figuren ausschließlich um Frauen handelt. Preston Burke ist somit die einzige männliche Figur, die negativ bewertet wird. Als unsympathisch gelten Izzie Stevens, Cristina Yang, Leah Murphy, Ellis Grey, Erica Hahn, Teddy Altman, Addison Montgomery und Catherine Avery. Genannt werden erneut die Figuren, die bereits als uninteressant bewertet wurden. Allerdings wurden die Charaktere Izzie Stevens, Teddy Altman, Cristina Yang und Addison Montgomery ebenfalls als interessant bewertet, was dafürspricht, dass den Charakteren wenig Neutralität entgegengebracht wird. Entweder der Zuschauer mag sie, oder nicht. Wie bei der Beurteilung der interessanten Figuren, wird auch die Beurteilung der uninteressanten Figuren überwiegend an (negativen) Charaktereigenschaften ausgemacht. J, der Preston Burke als seine Hassfigur benennt, begründet seine Wahl ebenso durch negative Charaktereigenschaften. Er empfindet Preston Burke als überheblich, eingebildet, arrogant, sogar fast schon narzisstisch. Diese Charaktereigenschaften nennen auch alle weiteren Interviewten, die sich zu Preston Burke geäußert haben32.
K: „Ich finde den irgendwie manchmal arrogant. Also ich finde, der kommt arrogant rüber und kalt und nicht immer so verständnisvoll. […] Ich finde den manchmal auch so ein bisschen langweilig.“
Dabei wurde das Adjektiv „arrogant“ am häufigsten verwendet. S kritisiert an ihrer Wahl Teddy Altman ebenfalls die arrogante Art, wobei sie die einzige ist, die als weiteren Grund ihr äußeres Erscheinungsbild aufführt.
S: „Ich finde, die ist so diese… typische, amerikanische Vorzeigedame so, sieht gut aus, wirkt aber finde ich auch ein bisschen zu aufgetakelt, um so eine Ärztin zu sein. […] von wegen sie kann alles und sie ist die Beste und sieht am besten aus und wirkt geil und was auch immer. Ja wahrscheinlich hat das auch viel mit dem Aussehen zu tun.“
Von den übrigen Rezipierenden bezieht sich sonst niemand auf Äußerlichkeiten. S bezieht ihre Antipathie Teddy gegenüber u.a. auf die Sympathie zu ihrer Lieblingsfigur Cristina Yang und darauf, dass Teddy einen Keil zwischen Cristina und Owen getrieben hat. Dass eine Beziehung sabotiert wurde, ist auch für C1 ein ausschlaggebender Punkt, Addison Montgomery als „nervige“ Figur zu bewerten. Sie kritisiert, dass Addison sich zwischen Meredith Grey und Derek Shepherd gedrängt hat. In dem Fall sind es somit zusätzlich Verhaltensweisen, die Figuren unsympathisch wirken lassen. Das gilt auch für Catherine Avery – C1 hat oft das Gefühl, dass sie anderen Figuren Steine in den Weg legt und sich permanent in die Angelegenheiten ihres Sohn Jackson Avery einmischt.
C1: „Also sie will ihn verändern, was er machen will und will ihn die ganze Zeit beeinflussen und zwingt ihn in Rollen, denen er gar nicht nachgehen will. Zum Beispiel die Führung des Krankenhauses übernehmen, nur damit er Erfolg hat.“
Sie ist der Meinung, dass Eltern sich nicht dermaßen in die Leben der Kinder einmischen sollten und stellt damit einen Vergleich zur Realität auf. Auch C2 empfindet Catherine Avery als eher unsympathisch – er kritisiert sie in einer anderen Kategorie innerhalb des Interviews und ist der Meinung, dass Catherine immer nur an Geld und Karriere denkt und Richard in ihrer Beziehung nur als Objekt wahrnimmt. Beide Rezipienten haben den Eindruck, dass Catherine egozentrisch handelt und alles für Erfolg tut. Eine weitere Parallele zur Beurteilung der Lieblingsfiguren weist das Empfinden bezüglich der Charakterentwicklungen auf – so beschreibt C2, dass er Cristina Yang anfangs noch „cool“ gefunden hat, im Laufe der Serie jedoch zunehmend den Eindruck hatte, dass sie immer arroganter und egoistischer wird. Arroganz hält er für eine „schwache“ Eigenschaft, die er auch Preston Burke zuweist.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass ein arroganter und nerviger Charakter, sowie das Sabotieren von Beziehungen oder Einmischen in die Leben anderer die Hauptgründe der Interviewten sind, jemanden als unsympathisch und eher negativ zu bewerten. Die Kritiken der Befragten zeigen deutlich, dass die negative Wahrnehmung eines Charakters in enger Verbindung zu eigenen Lebenserfahrungen steht. Darüber hinaus werden denselben Figuren, sofern sie im gleichen Maße beurteilt werden, auch dieselben negativen Eigenschaften zugeschrieben. Die Charaktere Izzie Stevens, Teddy Altman und Addison Montgomery zeigen, wie bereits erläutert wurde, das gegenteilige Phänomen. Die Beurteilung und die Wahrnehmung der Seriencharaktere sind somit eng an das eigene Empfinden und die eigene Umgebung geknüpft und es herrscht eine Asymmetrie zwischen der Produktion (Kodierung) und der Rezeption (Dekodierung). Die unterschiedliche Wahrnehmung einiger Charaktere lässt sich nur durch die individuelle Interpretation festmachen. Leah Murphy, Ellis Grey und Erica Hahn werden ebenfalls in der Kategorie der Hassfiguren von den Rezipienten angesprochen. Die Beurteilung der Charaktere fällt aber schwächer aus, denn es handelt sich eher um fehlendes Interesse an den Figuren oder Geschichten.
J: „Leah Murphy zum Beispiel fand ich immer recht uninteressant und auch nervig, aber da ist trotzdem noch so eine gewisse Gleichgültigkeit vorhanden. Ich würde jetzt nicht sagen ich mag sie nicht, aber ich würde jetzt auch nicht sagen ich finde sie unheimlich toll.“
J: „Bei Ellis Grey ist es so, dass viele Situationen dabei waren, wo ich gesagt hab das kann ja wohl nicht wahr sein. Die frustrierend halt einfach waren, aber dafür hatte Ellis Grey zum Beispiel eine zu kleine Rolle, um zu sagen ich hasse sie jetzt für gewisse Dinge.“
Preston Burke, Catherine Avery, Erica Hahn, Leah Murphy und Ellis Grey sind die Charaktere, denen keinerlei positive Eigenschaften zugesprochen werden. Wenn auch die Dekodierung und Wahrnehmung dieser Figuren in gleichem Maße ausfällt, werden sie ebenso von niemandem als durchweg „böse“ bezeichnet. Sie können somit nicht als klassische Bösewichte bezeichnet werden, die man häufig in Filmen und Serien als Gegenpart zum „guten“ Protagonisten wiederfindet. Preston Burke wird zwar am häufigsten als negative Figur erwähnt und von den Rezipienten identisch dekodiert – ob die Figur von den Produzenten allerdings so kodiert wurde, ist nicht zu belegen.
Beziehungen zu den Hassfiguren
Dass die InterviewpartnerInnen Hassfiguren bzw. unsympathische Charaktere nennen und ihre Wahl begründen können, zeigt, dass sie eine Art Bindung zu diesen Figuren eingehen. Wie bei den Lieblingsfiguren, lassen sich auch hier unterschiedlich starke Bindungen erkennen. Wie bereits geschildert wurde, können nur zwei33 der sechs Befragten eine Hassfigur nennen. Die beiden Befragten weisen bezüglich der negativen Empfindungen das stärkste Involvement auf, da sie im Gegensatz zu den übrigen Teilnehmern wirklich von Hass sprechen.
P: „Ja absolute Hassfigur natürlich Izzie Stevens. […] Die hätte man sich auch sparen können, die war einfach ein absolut überflüssiger Charakter.“
J: „Preston Burke habe ich gehasst. Wie die Pest. […] Preston Burke ist da tatsächlich der einzige, wo ich sage, ich hasse den.“
Sie befürworten den Ausstieg ihrer Hassfiguren in besonders hohem Maße und sind „erleichtert“ und froh darüber, dass sie kein Teil der Serie mehr sind. Während P von einer „Grundgenervtheit“ gegenüber Izzie spricht, gibt J an, dass er nicht per se von Preston genervt war, aber immer dachte, dass er sich gleich wieder aufregen muss. Dass die beiden eine stärkere Bindung zu den Figuren eingehen, zeigt sich auch an den Umschreibungen, inwiefern sie sich über die Charaktere aufregen.
J: „Ich reg mich schon auf, ja. […] Ich will nicht sagen ich schreie, aber ich motz dann tatsächlich den Fernseher an und quasi ihn an. Ich richte dann meine Aufregung gegen ihn und sag Du hast doch einen Knall oder sowas in der Art. Weiß dann aber natürlich auch, dass ich mich mit meinem Fernseher unterhalte.“
Trotz des Bewusstseins Preston Burke nicht zu erreichen, geht er mit seinem Verhalten eine Art Interaktion ein. J ist der einzige, der die Figur, über die er sich aufregt, direkt anspricht. Die anderen Befragten reagieren zwar ähnlich, jedoch mit dem wesentlichen Unterschied, dass sie die Figuren nicht direkt ansprechen oder ihre Bemerkungen nur denken. P nennt sofort einen Handlungsstrang, der ihn besonders genervt hat. Dabei handelt es sich um die Interaktionen zwischen Izzie und Denny Duquette (ein Nebendarsteller als Izzies Patient), mit dem sie eine Beziehung eingegangen ist.
P: „[…] und dann die Szene mit Denny damals, oha wenn ich daran denke, werde ich direkt sauer.“ […]
„Ja, da rege ich mich mega drüber auf. Da schlag ich mir auch gerne mal die Hand vor die Stirn und denke mir so Boah mein Gott, wie kann man gerade so sein? Das ist schon so eine Situation, wo ich mir denke Meine Fresse. “
Er ist der Einzige, der über die Rezeption hinaus sauer wird, wenn er nur an den Handlungsstrang denkt, bzw. darüber spricht. Eine weniger emotionale Involviertheit zeigen K, S und C1. Sie sprechen nicht davon, die von ihnen benannten Figuren zu hassen und sind weniger genervt, wenn die Figuren häufig zu sehen sind. K und S geben an gelegentlich genervt zu sein, das aber nicht nach außen zu tragen. Sie missachten die Figuren eher, als dass sie sich über sie aufregen und fokussieren sich auf andere Inhalte.
K: „[…] dann habe ich vielleicht nicht so aufmerksam geguckt, als wenn Leute gerade eine Rolle spielen, die ich interessant finde.“
S: „Ich sag mal so, ich habe nicht so mit ihr mitgefühlt, […] Ich habe dann eher auf den Patienten glaub ich geachtet und auf den Fall, aber nicht unbedingt auf ihren Charakter, auf ihre Beziehung zu irgendwelchen Leuten.“
C1 vertritt eine ähnliche Meinung. Sie trägt ihre Aufregung ebenfalls nicht nach außen, separiert allerdings das Auftreten der Figur. Wenn Catherine häufig zu sehen ist, aber „nichts macht“, ist sie nicht von ihr genervt. Sobald sie jedoch „irgendwas macht, das sie aufregt“, ändert sich das. Genauso separiert sie das Verlassen der Serie.
C1: „Also ich würde es nicht besonders schade finden, wenn sie nicht mehr dabei wäre, obwohl ich glaube auch, dass es auch drauf ankommt, wie die Person weggeht. Wenn sie jetzt zum Beispiel stirbt und dadurch andere leiden müssen, fände ich es schon wieder schade. Aber persönlich jetzt eher nicht so.“
K und S geben an, dass sie es nicht bedauern, dass Preston Burke und Teddy Altman die Serie verlassen haben, beurteilen das aber nicht so emotional, wie die beiden männlichen Befragten zuvor. K behauptet sogar, dass es übertrieben wäre, erleichtert über einen Ausstieg zu sein, weil es für sie niemanden gibt, den sie „so gar nicht“ mag.
C2 nimmt erneut eine eher distanzierte Haltung ein. Er gibt an, keine Hassfigur zu haben und niemanden überdurchschnittlich schlecht zu finden. Auch wenn er drei Figuren als eher unsympathisch und arrogant bewertet, gibt er an, sich kaum mit diesen zu beschäftigen.
I34: „Blendest du solche Personen dann einfach aus, oder bist du genervt?“
C2: „Ach, nichts von beidem. […] die interessieren mich dann halt einfach nicht. Ich guck‘ mir das ganz genauso an, wie jede andere Szene und irgendwann kommt halt was anderes.“
Seine negativen Gefühle gegenüber den genannten Personen sind nicht stark genug, als dass er sich wünschen würde, dass sie die Serie verlassen. Nur zwei der sechs Befragten wünschen sich, dass jemand die Serie verlässt. Von den genannten Figuren erinnert keine die Interviewten an eine Person aus ihrem unmittelbaren Bekanntenkreis oder Umfeld.
Die Ergebnisse zeigen, dass die Männer in gewisser Weise extremer auf negativ empfundene Charaktere reagieren. Zwei Befragte35 mit einem sehr starken emotionalen Involvement, ein Befragter36 mit deutlicher Gleichgültigkeit. Die drei Frauen reagieren emotional gemäßigt auf die negativ empfundenen Charaktere. Darüber hinaus fällt ihre gesamte Beurteilung sehr ähnlich aus.
5.1.6 Wahrnehmung der Protagonistin Meredith Grey
Nur zwei Interviewte37 äußern keine Kritik an der Hauptdarstellerin Meredith Grey. Besonders positiv bewerten die beiden Männer ihre Charakterentwicklung. J beschreibt sie zudem als loyal und empathisch – darüber hinaus werden ihr allerdings keine weiteren positiven Charaktereigenschaften zugewiesen. Die übrigen InterviewpartnerInnen haben ein eher durchwachsenes Empfinden. C2 und K vertreten die Ansicht, dass sie Meredith anfangs sympathisch fanden, das im Laufe der Serie allerdings nachgelassen hat. K bezeichnet die Hauptdarstellerin stellenweise sogar als schwierig bis anstrengend. Die weiblichen Befragten kritisieren, dass Meredith oft „blauäugig in Sachen reinläuft“ und verstehen häufig ihre Verhaltensweisen nicht. S erzählt, dass sie deswegen öfter mit dem Kopf schüttelt. C1 wünscht sich gelegentlich, dass Meredith anders reagieren würde, obwohl es ihrem Charakter nicht entspricht. Dennoch akzeptieren die teilweise genervten Rezipienten die Protagonistin, wofür K folgende Erklärung hat:
K: „[…] sie ist halt schon eine Persönlichkeit, die von Anfang an mit dabei war, deshalb hat man sie auch irgendwie gern und hat immer viel Verständnis. Auch irgendwo relativ viel Empathie oder Toleranz so für das, was sie macht.“
Während J und C1 fest davon überzeugt sind, dass die Serie ohne die Hauptfigur Meredith Grey nicht mehr funktioniert, wünscht sich S sogar, dass die Rolle der Meredith Grey bald durch jemand anderen ersetzt wird.
S: „[…] das fände ich mal erfrischend, mal jemand anders als Hauptcharakter zu haben.“
Sie glaubt, dass die Serie genauso gut funktioniert, weil die anderen Charaktere genauso stark sind wie Meredith. Dass sie während dieser Aussage lacht, lässt vermuten, dass sie diesen Umbruch selbst als utopisch einstuft. Ein männlicher Befragter38 sieht Meredith nicht als alleinige Hauptdarstellerin. Für ihn gibt es innerhalb der Serie 10 bis 15 Hauptfiguren. Seiner Meinung nach hat Meredith nicht mehr Sendezeit und spricht nicht als einzige die Off-Stimme. Im Gegensatz dazu hat S den Eindruck, dass Meredith einen verhältnismäßig großen Teil der Serie einnimmt, der durch die Off-Stimme noch erweitert wird. Dabei kommt die Off-Stimme ihr aber eher wie ein universaler Erzähler vor, den sie nicht unbedingt mit Meredith Grey in Verbindung bringt. Auch C1 bezweifelt, dass die Off-Stimme ihre Wahrnehmung der Protagonistin beeinflusst – sie behauptet sogar, keine Beziehung zu ihr aufgebaut zu haben. P, J und K haben den Eindruck, dass die Off-Stimme einen gewissen Einfluss auf die Bindung und Wahrnehmung der Hauptdarstellerin Meredith Grey hat.
Die Ergebnisse machen deutlich, dass Meredith Grey nicht als typische Lieblingsprotagonistin fungiert, die man durchweg sympathisch findet. Nur ein männlicher Befragter39 führt sie in der Kategorie der Lieblingsfiguren auf. Ein weiterer Mann40 zählt sie nicht explizit auf, bewertet sie innerhalb des Themenblocks aber positiv. Die restlichen Interviewten haben ein eher zwiegespaltenes Verhältnis zur Hauptdarstellerin. Auch wenn eine Bindung zu ihr einmal verneint wird, ist sie nach Hartmann et al. existent, da man mit einer „anwesenden“ Medienfigur „nicht nicht parasozial interagieren kann.“ (Schramm/Hartmann 2010, 211).
5.1.7 Positive und negative Beziehungen innerhalb der Serie
Positive Beziehungen innerhalb der Serie
Mit jeweils zwei Nennungen gehören die Beziehungen von Jo Wilson und Alex Karev, Lexie Grey und Mark Sloan und Callie Torres und Arizona Robbins zu den beliebtesten Liebesbeziehungen innerhalb der Serie. Bei Jo und Alex wird besonders positiv bewertet, dass die beiden perfekt zusammenpassen und die Beziehung sehr real wirkt. Die Beziehung von Lexie und Mark wird ebenfalls als realitätsnah eingestuft. Bei Callie und Arizona wird der Überraschungseffekt („man hätte es am Anfang gar nicht gedacht“) und die Tatsache der gleichgeschlechtlichen Beziehung besonders positiv bewertet. Einmal aufgezählt werden die Beziehungen zwischen Owen und Cristina, April und Jackson, Derek und Meredith und Ben und Miranda.
Die Untersuchung zeigt, dass die Beziehungen der Nebendarsteller beliebter sind, als die Beziehung zwischen Meredith und Derek. C1, die die Beziehung der beiden mag, nennt als einen von zwei Gründen, dass die Beziehung die Hauptgeschichte der Serie ist. Die zweite Beziehung, die sie mag, beurteilt sie wesentlich positiver.
C1: „Aber welche Geschichte auch besonders gut war, ist die zwischen Ben und Miranda. Das finde ich, weil Ben Miranda einfach die ganze Zeit unterstützt und die einfach das Beste aus sich herausholen und immer füreinander da sind und in jedem Punkt so hintereinanderstehen.“
Insgesamt werden sieben Beziehungen positiv bewertet, wovon drei jeweils doppelt genannt werden. Auffällig ist, dass fünf Interviewte41 Beziehungen der von ihnen als interessant bewerteten Figuren nennen. K kritisiert im Allgemeinen die Beziehungen innerhalb der Serie, weil sie alle nicht von langer Dauer sind und sie sich das für ihr eigenes Leben nicht wünscht. C2 bewertet die Beziehung von April und Jackson positiv, weil es völlig verschiedene Charaktere sind. Er selbst sagt, dass eine Beziehung auf bestimmten Ebenen passen muss, aber nicht auf allen, weil es sonst langweilig werden würde. J wiederrum ist homosexuell und beurteilt aufgrund dessen die gleichgeschlechtliche Beziehung von Callie und Arizona besonders positiv. Abgesehen davon, dass die Beziehung letztlich nicht funktioniert hat, würde er sich trotzdem wünschen, selbst auch so eine Beziehung zu haben. Die Aussagen der Befragten zeigen, dass ihre Beurteilung an individuelle Lebenserfahrungen geknüpft ist.
[...]
1 Vgl. Grey’s Anatomy Staffel 5, 23
2 National Broadcasting Company
3 American Broadcasting Company
4 Die Kurzvorstellung der Figuren befindet sich im Anhang A
5 Dabei handelt es sich um zwei Freundinnen
6 Dabei handelt es sich um Personen aus entfernten Bekanntenkreisen
7 Der Fragebogen befindet sich im Anhang B
8 Die Transkripte befinden sich im Anhang D
9 P
10 J und S
11 P, C2 und K
12 J, S und C1
13 J und C1
14 S
15 P, J und C1
16 K und S
17 P, C2, J, K, C1
18 P und K
19 P, J, K
20 P, C2, J, S, C1
21 J, S und C1
22 C2 und K
23 P und C2
24 Diese Information wurde außerhalb des Interviews bekanntgegeben
25 S
26 K
27 S und C1
28 P und J
29 C2 und J
30 P und J
31 C2, J und K
32 C2 und K
33 P und J
34 Die Abkürzung „I“ steht für Interviewender
35 P und J
36 C2
37 P und J
38 C2
39 J
40 P
41 P, C2, J, S und C1
- Citation du texte
- Lara Dally (Auteur), 2018, Parasoziale Interaktionen und Beziehungen zu Figuren in US-amerikanischen Krankenhausserien, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/455055
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