Bildung ist laut Bieri ein Prozess, für den der Mensch, im Gegensatz zur Ausbildung, niemanden außer sich selbst braucht. Bilden tut sich der Mensch ausschließlich alleine, während er, um ausgebildet zu werden, eine/n Ausbilder/in braucht, der/die ihm das „Knowhow“ vermittelt.
Dementsprechend wird in der Fragestellung kein Bildungs-, sondern ein Ausbildungsverhältnis formuliert: Ich, als pädagogische Fachkraft beziehungsweise Ausbilderin, frage mich, ob ich den Kindern als Auszubildenden etwas beibringen kann.
An dieser Stelle kann somit bereits ausgeschlossen werden, die Fragestellung mit einem „Ja“ zu beantworten. – Eine pädagogische Fachkraft kann kein Kind bilden. Lediglich das Kind selbst ist in der Lage, sich zu bilden.
Trotz alledem soll im Verlauf dieses Textes anhand eines Fallbeispieles in Bezug auf die Festrede von Bieri beleuchtet werden, ob weitere Argumente, die gegen eine positive Beantwortung der Fragstellung sprechen, zu finden sind, sowie, ob sich Platz zwischen dieser „Schwarz-Weiß-Beantwortungssystematik“ für Grauzonen finden lässt.
Kann ich, als pädagogische Fachkraft, davon sprechen, dass ich die Kin- der in der Kita, in der ich arbeite, bilde?
1) Einleitung
Die Praxisphasen meines Dualen Studiums absolviere ich in einer Kindertageseinrichtung (Kita) in Schleswig-Holstein. In dieser Kita werden 60 Kinder im Alter von null bis sechs Jahren an fünf Tagen in der Woche betreut.
Neben Betreuung und Erziehung gehört laut § 22 des Sozialgesetzbuches (SGB VIII) ebenso Bildung zum Auftrag von Kitas. Zur Konkretisierung des Bildungsauftrages für Kitas tragen die Bildungspläne der einzelnen Bundesländer bei, die folgende Bereiche als Bildungsberei- che benennen:
- „Mathematik, Naturwissenschaft, (Informations-)technik
- Musische Bildung/Umgang mit Medien,
- Körper, Bewegung, Gesundheit,
- Natur und kulturelle Umwelten,
- Sprache, Schrift, Kommunikation,
- Personale und soziale Entwicklung,
- Werteerziehung/religiöse Bildung.“ (Ungerer-Röhrich/Popp/Quante 2015, S. 8)
In meiner zweiten Praxisphase, das heißt im zweiten Semester meines Studiums, wurde ich von meiner Anleiterin dazu angehalten, im Sinne der Bildungspläne ein Projekt durchzufüh- ren. Ich entschied mich für ein „Raupen-Schmetterlingsprojekt“, um die Kinder im Bil- dungsbereich „Naturwissenschaften“ zu fördern. Gleichzeitig gelang es mir, andere Bil- dungsbereiche in das Projekt zu integrieren. So hat jedes am Projekt teilnehmende Kind eine Raupe zugeteilt bekommen, die es füttern und ihren Wachstumsprozess bis zur Entwicklung zum Schmetterling beobachten durfte. Gleichzeitig sind wir zusammen in die Bücherei ge- gangen, um uns Raupen- und Schmetterlingsbücher auszuleihen, haben einen Raupentisch- spruch eingeführt (Bildungsbereich „Sprache“), haben kreativ im Atelier der Kita passend zum Thema gearbeitet (Bildungsbereich „kulturelle Umwelten“) und haben Raupen- und Schmetterlingslieder gesungen (Bildungsbereich „musische Bildung“), zu denen wir uns be- wegt haben (Bildungsbereich „Bewegung“).
Nach dem Projekt, in der Reflexion mit meiner Anleiterin, kam mir der Gedanke, dass mich mein Projekt sehr an ein Schulprojekt erinnert hat, da ich das Projektthema sowie die Projektinhalte vorgegeben habe und die Kinder diese mit mir zusammen „wie einen Lehrplan“ abgehandelt haben.
Ich persönlich hatte in der Schule selten das Gefühl, etwas für mich zu lernen beziehungsweise einen Bezug zu den Unterrichtsthemen zu haben. Ich erinnere mich noch gut an den Tag, an dem ich mein Abiturzeugnis überreicht bekommen habe, und nicht wusste, wer ich bin und was für Interessen und Fähigkeiten ich habe.
So stellte sich für mich die Frage, ob ich als pädagogische Fachkraft davon sprechen kann, dass ich die Kinder in der Kita, in der ich arbeite, bilde.
Dafür spricht, dass ich die Kinder unterstütze, das gesamte Spektrum, was durch die Bildungsbereiche deutlich wird, kennen und verstehen zu lernen.
Dagegen spricht, dass zur Bildung auch die Kenntnis über die eigene Person zählt, die die Kinder auf eine solche fremdbestimmte Art und Weise schwierig erlangen können.
Dieser ethische Konflikt wird im Folgenden anhand der Festrede „Wie wäre es, gebildet zu sein?“ von Prof. Dr. Peter Bieri1 bearbeitet. Die Festrede von Prof. Dr. Peter Bieri ist für die Fragestellung relevant, da sie den Begriff „Bildung“ präzensiert und die Unterschiede zwischen „Bildung“ und „Ausbildung“ sichtbar macht.
Abgesehen von meinem persönlichen Interesse ist die Klärung der Fragestellung für alle in Kitas arbeitenden pädagogischen Fachkräften bedeutsam, da sie dazu angehalten sind, den gesetzlichen Bildungsauftrag zu erfüllen.
2a) Darstellung des Bezugstextes
In der Festrede geht um den Bildungsbegriff und darum, ihn zu präzensieren. (vgl. S. 1)
Dafür grenzt Bieri zunächst die Bildung von der Ausbildung ab, um die Unterschiede zwi- schen den Bergriffen und die Merkmale der einzelnen Begriffe herauszuarbeiten. (vgl. S. 1) Die Ausbildung ist laut Bieri ein Prozess, der das Ziel verfolgt, etwas zu können oder zu wissen. Ein Mensch kann sich nach Bieri nicht alleine ausbilden. - Es geht darum, dass ein/e Ausbilder/in dem/der Auszubildenden etwas beibringt und so ein Wissenstransfer entsteht. (vgl. S. 1)
Im Gegensatz dazu, beschreibt Bieri hinsichtlich der Bildung, dass sich jeder Mensch nur selbst bilden kann. Zwar sieht er Bildung ebenfalls als Prozess an, jedoch wird dabei der Selbstzweck verfolgt, etwas zu werden und „auf eine bestimmte Art und Weise in der Welt zu sein“ (S. 1). (vgl. S. 1)
„Bildung beginnt mit Neugierde“ (S. 1), wobei Neugierde als unersättlicher Wunsch, alles von der Welt zu erfahren, zu verstehen ist. Somit ist Bildung nicht nur ein „einfacher“ Prozess, sondern ein intrinsisch motivierter Prozess. (vgl. S. 1)
2b) Diskussion und Übertragung
Zu Beginn dieses Abschnittes wird die Fragestellung „Kann ich, als pädagogische Fachkraft, davon sprechen, dass ich die Kinder in der Kita, in der ich arbeite, bilde?“ in Bezug auf die Festrede von Bieri in Betracht genommen.
Bildung ist laut Bieri ein Prozess, für den der Mensch, im Gegensatz zur Ausbildung, nie- manden außer sich selbst braucht. Bilden tut sich der Mensch ausschließlich alleine, während er, um ausgebildet zu werden, eine/n Ausbilder/in braucht, der/die ihm das „Knowhow“ ver- mittelt. (vgl. S. 1)
Dementsprechend wird in der Fragestellung kein Bildungs- sondern ein Ausbildungsverhältnis formuliert: Ich, als pädagogische Fachkraft beziehungsweise Ausbilderin, frage mich, ob ich den Kindern als Auszubildenden etwas beibringen kann.
An dieser Stelle kann somit bereits ausgeschlossen werden, die Fragestellung mit einem „Ja“ zu beantworten. - Eine pädagogische Fachkraft kann kein Kind bilden. Lediglich das Kind selbst ist in der Lage, sich zu bilden.
Trotz alledem soll im weiteren Verlauf dieses Abschnittes, das in der Einleitung geschilderte Fallbeispiel, welches mich zu meiner Fragestellung geführt hat, in Bezug auf die Festrede von Bieri beleuchtet werden, um weitere Argumente, die gegen eine positive Beantwortung der Fragstellung sprechen, zu finden, sowie Platz zwischen dieser „Schwarz-Weiß-Beant- wortungssystematik“ für Grauzonen zu lassen.
In dem Fallbeispiel habe ich ein Raupen-und Schmetterlingsprojekt inszeniert, das die Kin- der hauptsächlich im Bildungsbereich „Naturwissenschaften“ fördern sollte. Aufgrund der von mir gewählten Projektgestaltung ist es mir gelungen, auch andere Bildungsbereiche in das Projekt einfließen zu lassen, wodurch die Kinder ebenso in ihrer Sprache, ihren künstle- rischen, musikalischen und körperlichen Fähigkeiten Förderung erfahren haben. An dieser Stelle wird wiederholt deutlich, dass ich die Kinder im Rahmen des Projektes nicht gebildet, sondern ausgebildet habe. Laut Bieri hat die Ausbildung zum Ziel, etwas zu wissen oder zu können (vgl. S. 1). Im Kontext meines Projekts habe ich, wie soeben erläutert, angestrebt, den Kindern Wissen und Können in mehreren Bildungsbereichen beizubringen.
Da in meiner Kita 60 Kinder verschiedener Altersstufen betreut werden und das Projekt we- der die Kapazität für die Teilnahme aller Kinder bot noch für jedes Alter geeignet ist, musste ich eine Auswahl an Kindern treffen, die an dem Projekt teilnehmen „durften“.
Dementsprechend habe ich neben dem Thema und den Inhalten des Projektes auch die Teil- nehmenden, ohne die Kinder nach ihrer Meinung und ihren Wünschen zu fragen, festgelegt. Laut Bieri beginnt „Bildung“ als intrinsisch motivierter Prozess mit der Neugierde (vgl. S. 1). Zwar sind die an dem Projekt teilnehmenden Kinder, nachdem ich ihnen das Projekt vorgestellt habe, neugierig auf die Raupen und Schmetterlinge geworden, trotzdem bleibt die Frage offen, inwiefern ein Projekt, dessen Rahmen durch eine pädagogische Fachkraft ohne Einbeziehung der Kinder vorgegeben wurde und somit keinen Platz für Teilhabe-Chan- cen und Mitbestimmung lässt, intrinsische Motivation bei den Teilnehmenden hervorrufen kann.
An dieser Stelle kann auf meine in der Einleitung geschilderte persönliche Schulerfahrung Bezug genommen werden. Die „Schulbildung“ (Bieri würde sicherlich den Begriff „Schul- ausbildung“ verwenden) stand, meiner Meinung nach, zu wenig mit meiner Person in Ver- bindung und konnte mich daher nicht ausreichend in meiner Persönlichkeitsentwicklung stärken, obwohl Bildung dies laut Bieri zum Ziel hat: Bildung hat den Selbstzweck, etwas zu werden und „auf eine bestimmte Art und Weise in der Welt zu sein“ (S. 1). (vgl. S. 1) Ich hatte nach meinem Abitur das Gefühl, nicht zu wissen, wer ich bin und wo meine Stärken liegen. So kann ebenfalls auf das Raupen- und Schmetterlingsprojekt bezogen davon gespro- chen werden, dass bei mangelnder Partizipation der „Bildungseffekt“ und somit die Stärkung der Persönlichkeitsentwicklung schlimmstenfalls gar nicht auftreten.
Um, wie bereits angekündigt, gewisse Grauzonen zwischen der bisher verfolgten „Schwarz- Weiß-Beantwortungssystematik“ aufzuzeigen, wird an dieser Stelle die Frage aufgeworfen, ob ich in meinem Fallbeispiel neben dem bloßen Vermitteln von Können und Wissen, auch Räume eröffnet habe, in denen sich die Kinder selbst gebildet haben. Beispielsweise habe ich den Kindern hinsichtlich der Beobachtung der Raupen lediglich vorgegeben, diese zu protokollieren und ihnen dazu ein kindgerechtes leeres Protokoll zum Ausfüllen ausgehändigt, welches Platz für eigene Beobachtungskriterien bot. - Wie die Kin- der beobachten und was sie protokollieren sollen, habe ich dabei nicht vorgegeben. Der „Lö- sungsweg“ stand den Kinder somit frei und sie haben sich eigenständig eine Lösung bezie- hungsweise eine Vorgehensweise angeeignet.
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1 Peter Bieri: Wie wäre es, gebildet zu sein? Vortrag Bern 2005, S. 1-7, siehe http://www.hwr- berlin.de/filead- min/downloads_internet/ publikationen/Birie_Gebildet_sein.pdf.
- Citation du texte
- Anonyme,, 2018, Hat die pädagogische Fachkraft in der Kita einen Bildungsauftrag?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/454665
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