Diese Arbeit untersucht das Gruppenphänomen Mobbing in Grundschulen, besonders in Zusammenhang mit den sozialen Ressourcenstrategien nach Hawley. Hierzu erfolgt eine Untersuchung von 331 Schülern einer Münchner Grundschule.
Insgesamt ist für 86 Prozent dieser Schüler eine eindeutige Rolle als Täter, Assistent, Verstärker, Verteidiger, Außenstehender oder Opfer identifizierbar. Es zeigt sich, dass Jungen eher aggressive Rollen einnehmen als Mädchen, die häufiger Verteidiger, Außenstehender oder Opfer sind. Bezüglich der Strategien zur Ressourcenkontrolle zeigt sich, dass es Dominanzunterschiede zwischen den Schülern gibt und dass sowohl prosoziale als auch coercive Strategien angewandt werden. Dabei zeigt sich, dass Mädchen häufiger prosozial agieren als Jungen, um ihren Willen durchzusetzen. Im Zusammenhang mit Mobbing lässt sich belegen, dass die Schüler ähnliche Verhaltenstendenzen im Mobbing zeigen wie in dem Kampf um Ressourcen. Außerdem kann aufgezeigt werden, dass Kinder, die sich aktiv am Mobbing beteiligen, besonders viel Macht innehaben. Insbesondere durch die Gruppe der Bistrategen, die über viel Macht verfügen und sich aktiv am Mobbing beteiligen, konnte der Zusammenhang noch stärker veranschaulicht werden.
Das Phänomen Mobbing ist ein Thema, das immer wieder in der aktuellen Presse diskutiert wird und viel Resonanz erfährt, da es immer wieder im Schulalltag vorkommt und weitreichende Folgen für die Beteiligten nach sich zieht. In der Forschung wurde Mobbing schon in den 60ern Jahren zum Forschungsgegenstand. Wenn Mobbing in der Schule stattfindet, handelt es sich dabei um einen Gruppenprozess, der viel mehr Kinder einbezieht als nur Opfer und Täter. Der Participant Role Ansatz von Salmivalli und Kollegen beschreibt verschiedene Rollen, die sich auch auf den Grundschulbereich übertragen lassen. Die verschiedenen Verhaltenstendenzen, die Kinder in einem Mobbingprozess zeigen, können nach unterschiedlichen Faktoren, wie zum Beispiel dem sozialen Status oder soziokognitiven Faktoren, differenziert werden. In dieser Arbeit wird ein weiterer sozialer Faktor, der Einfluss des Dominanzstrebens und der Strategien, die Kinder verwenden, um soziale Ressourcen zu kontrollieren, als sozialer Einflussfaktor von Mobbing untersucht.
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Zusammenfassung
1. Einleitung
2. Theoretischer Hintergrund
2.1. Definition von Mobbing und Befunde zum Ausmaß
2.1.1. Zur Klärung des Begriffes Mobbing
2.1.2. Eine Definition von Mobbing
2.2. Mobbing als Gruppenphänomen
2.2.1. Gründe und Motive für Mobbing
2.2.2. Mobbing als gruppendynamischer Prozess
2.2.3. Die Entstehung des „Participant Role“ Ansatzes
2.2.4. Die Mitschülerrollen im Mobbingprozess
2.2.5. Die Sekundärrollen im Mobbingprozess
2.2.6. Geschlechtsunterschiede bei Mobbing
2.2.7. Altersunterschiede bei Mobbing
2.3. Die „Resource Control“ Theorie
2.3.1. Entwicklungspsychologische Grundlagen
2.3.2. Die „Resource Control Groups“
2.3.3. Geschlechterunterschiede in Bezug auf die Ressourcenkontrolle
2.4. Zum Zusammenhang zwischen Mobbing und Ressourcen-kontrolle
2.5. Die Forschungsfragen der vorliegenden Arbeit
3. Methode
3.1. Stichprobe
3.2. Durchführung
3.3. Erhebungsinstrument
3.3.1. Participant Role Questionaire
3.3.2. Ressourcenkontrolle
3.4. Zusammenfassung
4. Ergebnisse
4.1. Deskriptive Analyse der Mobbingrollen
4.1.1. Die Primärrollen
4.1.2. Die Sekundärrollen
4.1.3. Die Doppelrollen
4.2. Deskriptive Analyse der Ressourcenkontrolle
4.2.1. Prävalenz der Ressourcenkontroll-Gruppen
4.2.2. Ressourcenkontrolle in Abhängigkeit der Ressourcenkontroll-Gruppen
4.3. Der Zusammenhang zwischen den Participant Roles und der Ressourcenkontrolle
4.3.1. Verteilung der Ressourcenkontroll-Gruppen in Abhängigkeit der Primärrollen
4.3.2. Verteilung der Ressourcenkontroll-Gruppen in Abhängigkeit der Doppelrollen
4.3.3. Ressourcenkontrolle in Abhängigkeit der Mobbingrollen
4.3.4. Die Bistrategen
5. Zusammenfassung und Diskussion
5.1. Prävalenz der Mobbingrollen
5.1.1. Die Primärrollen
5.1.2. Die Konsistenz der Participant Roles
5.2. Die Ressourcenkontrollstrategien
5.2.1. Die Verteilung der Ressourcenkontroll-Gruppen
5.2.2. Die Ressourcenkontrolle der Ressourcenkontroll-Gruppen
5.3. Der Zusammenhang zwischen den Participant Roles und den Ressourcenkontrollstrategien
5.3.1. Die Ressourcenkontrolle der Participant Roles
5.3.2. Die Verteilung der Ressourcenkontroll-Gruppen in Bezug auf die Participant Roles
5.3.3. Die Bistrategen
6. Fazit
7. Literaturverzeichnis
8. Anhang
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Die Entwicklung der Strategien zur Ressourcenkontrolle nach Hawley (1999)
Abbildung 2: Nach Hawley, Little Pasupathi (2002)
Abbildung 3: Verteilung der Primärrollen in Prozent. ( N=331).
Abbildung 4: Primäre Mobbingrollen in Abhängigkeit von Geschlecht in Prozent. (N=286)
Abbildung 5: Verteilung der Ressourcenkontroll-Gruppen in Prozent. (N=331).
Abbildung 6: Verteilung des Geschlechts in Abhängigkeit der Ressourcenkontroll-Gruppen in Prozent. (N=331).
Abbildung 7: Z-Mittelwerte für Ressourcenkontrolle, die Anwendung prosozialer und coerciver Strategien in Abhängigkeit der Ressourcenkontroll-Gruppen. (N=331).
Abbildung 8: Z-Mittelwerte für Ressourcenkontrolle in Abhängigkeit der Ressourcenkontroll-Gruppen und Geschlecht. (N=286).
Abbildung 9: Z-Mittelwerte für Ressourcenkontrolle, die Anwendung prosozialer und coerciver Strategien in Abhängigkeit der Mobbingrolle. (N=286).
Abbildung 10: Verteilung der Primärrollen für die Bistrategen in Häufigkeiten (N=17)
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Verteilung der Sekundärrollen in Bezug auf die Primärrollen in Prozent (N). (N=286)
Tabelle 2: Verteilung der Hybridrollen in Häufigkeit und Prozent. (N=204)
Tabelle 3: Verteilung der Ressourcenkontroll-Gruppen in Abhängigkeit der Primärrollen (N=286)
Tabelle 4: Verteilung der Ressourcenkontroll-Gruppen in Abhängigkeit der Doppelrollen (N=286)
Tabelle 5: Verteilung der Sekundärrollen in Abhängigkeit der Primärrollen in % bei Mädchen (N=130).
Tabelle 6: Verteilung der Sekundärrollen in Abhängigkeit der Primärrollen in % bei Jungen (N=156)
Tabelle 7: Verteilung der Doppelrollen für die Bistrategen (N=17)
Zusammenfassung
Diese Arbeit untersucht das Gruppenphänomen Mobbing in Grundschulen in Zusammenhang mit den sozialen Ressourcenstrategien nach Hawley (1999). Der „Pariticpant Role Ansatz“ von Salmivalli, Lagerspetz, Björkqvist, Östermann und Kaukiainen (1996) dient dabei als Grundlage für die Untersuchung von 331 Schülern einer Münchner Grundschule. Insgesamt ist für 86% dieser Schüler eine eindeutige Rolle als Täter, Assistent, Verstärker, Verteidiger, Außenstehender oder Opfer identifizierbar. Es zeigt sich, dass Jungen eher aggressive Rollen einnehmen als Mädchen, die häufiger Verteidiger, Außenstehender oder Opfer sind. Von diesen Kindern nahmen 71% eine Sekundärrolle ein und zeigen somit ein inkonsistentes Verhalten beim Mobbing. Bezüglich der Strategien zur Ressourcenkontrolle zeigt sich, dass es Dominanzunterschiede zwischen den Schülern gibt und dass sowohl prosoziale als auch coercive Strategien angewandt werden. Dabei zeigt sich, dass Mädchen häufiger prosozial agieren als Jungen, um ihren Willen durchzusetzen. Im Zusammenhang mit Mobbing lässt sich belegen, dass die Schüler ähnliche Verhaltenstendenzen im Mobbing zeigen, wie in dem Kampf um Ressourcen. Außerdem kann aufgezeigt werden, dass Kinder, die sich aktiv am Mobbing beteiligen, besonders viel Macht inne haben. Insbesondere durch die Gruppe der Bistrategen, die über viel Macht verfügen und sich aktiv am Mobbing beteiligen, konnte der Zusammenhang noch stärker veranschaulicht werden.
1. Einleitung
„Rund 500000 Kinder werden in der Schule von Gleichaltrigen geärgert und gedemütigt“ berichtet das Magazin „Stern“ in Frühjahr 2010 (Juli 2010, Ausgabe Nr. 29). Dabei wird die Frage aufgeworfen, inwiefern Kinder bösartig sind und ob Hänselleien im Kinderalltag nicht normal und ertragbar sind. Raufen, Hänseln und Ärgern bezeichnet Mechthild Schäfer als „gesund, solange jedes Kind mal ‚Opfer‘ und mal ‚Täter‘ ist. Mobbing ist jedoch etwas anderes: systematische und beständige Aggression einer Gruppe gegen Einzelne.“ Sie weist darauf hin, dass es beim Mobbing um eines geht: „um Macht“.
Das Phänomen Mobbing ist ein Thema, dass immer wieder in der aktuellen Presse diskutiert wird und viel Resonanz erfährt, da es immer wieder im Schulalltag vorkommt und weitreichende Folgen für die Beteiligten nach sich zieht. In der Forschung wurde Mobbing schon in den 60ern Jahren zum Forschungsgegenstand.
Wenn Mobbing in der Schule stattfindet, handelt es sich dabei um einen Gruppenprozess, der viel mehr Kinder einbezieht als nur Opfer und Täter. Der Participant Role Ansatz von Salmivalli und Kollegen (1996) beschreibt verschiedene Rollen, die sich auch auf den Grundschulbereich übertragen lassen.
Die verschiedenen Verhaltenstendenzen, die Kinder in einem Mobbingprozess zeigen, können nach unterschiedlichen Faktoren, wie zum Beispiel dem sozialen Status oder soziokognitiven Faktoren, differenziert werden. In dieser Arbeit wird ein weiterer sozialer Faktor - der Einfluss des Dominanzstrebens und den Strategien, die Kinder verwenden, um soziale Ressourcen zu kontrollieren - als sozialer Einflussfaktor von Mobbing untersucht. Hawley (2003a) stellt fest, dass Kinder Dominanz durch prosoziale, aggressive oder durch beide Strategien erlangen können. Ein Zusammenhang zwischen Schikanieren und der Verwendung von Ressourcenkontrollstrategien wurde bisher sehr wenig untersucht und soll in dieser Studie für das Grundschulalter geschlechterspezifisch überprüft werden.
2. Theoretischer Hintergrund
Im theoretischen Teil dieser Zulassungsarbeit soll zunächst der Begriff Mobbing abgeklärt werden, bevor Mobbing als gruppendynamisches Phänomen definiert wird. Dabei soll herausgestellt werden, welche Gründe es für Mobbing in einer Schulklasse gibt. Daraufhin soll der Participant Role Ansatz von Salmivalli, Lagerspetz, Björkqvist, Österman und Kaukiainen (1996) beleuchtet werden, der neben Täter und Opfer weitere Rollen im Mobbingprozess identifiziert. Dabei wird zwischen den Primärrollen und den Sekundär- und Hybridrollen (Goossens, 2009) differenziert. Zuletzt wird die „Resource Control Theory“ von Hawley (1999) als möglicher Einflussfaktor auf die Rolleneinnahme beim Mobbing erläutert, bevor die Fragestellung der Arbeit beschrieben wird.
2.1. Definition von Mobbing und Befunde zum Ausmaß
2.1.1. Zur Klärung des Begriffes Mobbing
Die Verwendung des Begriffes „Mobbing“ für einen Angriff von einer ganzen Gruppe auf ein Individuum ist früher vor allem zur Beschreibung von Attacken im Tierreich passiert. 1963 beschrieb Konrad Lorenz mit dem Begriff Mobbing als Bezeichnung für das Phänomen, dass mehrere Tiere gemeinsam ein einzelnes Tier angreifen, wenn sie sich bedroht fühlen (Smith, Cowie, Olafsson Liefooghe, 2002).
Im humanen und wissenschaftlichen Zusammenhang taucht der Begriff erstmals in Skandinavien auf (Heinemann, 1969, zitiert nach Olweus, 1991). Der schwedische Arzt Heinemann beobachtete 1969 das Sozialverhalten von Schulkindern und beschrieb aggressives Verhalten einer Gruppe gegenüber einem einzelnen Kind als „mobbning“.
Das Wort „Mobbing“ hat den englischen Wortstamm „to mob“ und bedeutet dort so viel wie „jemanden anpöbeln oder angreifen“. Das Nomen „mob“ im englischen bedeutet so viel wie Meute, Gesindel, Bande. Seinen Bedeutungsursprung hat das Wort Mobbing im schwedischen Wort „mobbning“.
Nach Heinemanns Beobachtungen folgten große Studien zur Erfassung von Mobbing in Skandinavien, die das Phänomen speziell im Schulkontext betrachteten. Die Untersuchungen befassten sich auf der einen Seite mit dem kollektiven Angriff gegen einen einzelnen Schüler, aber auch mit dem Angriff eines einzelnen Schülers gegen einen anderen Schüler (Olweus, 1991). Olweus definiert Bullying dementsprechend folgendermaßen:
“Ein Schüler oder eine Schülerin ist Gewalt ausgesetzt oder wird gemobbt, wenn er oder sie wiederholt und über eine längere Zeit den negativen Handlungen eines oder mehrerer anderer Schüler oder Schülerinnen ausgesetzt ist”(Olweus, 2006, S. 22)
Auch in anderen Ländern der Welt, z.B. in den USA, Japan oder England entfachte schnell das Interesse an der Thematik, insbesondere im Schulkontext. So entstanden viele unterschiedliche Begriffe – wie der von Olweus oben genannte Begriff „Bullying“. Der Begriff Mobbing ist im deutschsprachigen Raum und in den skandinavischen Ländern weiter verbreitet als der Begriff Bullying – der dagegen im englischsprachigen Raum häufiger verwendet wird (Smith et al., 2002). Da die Begriffe sich kaum unterscheiden und weitgehend synonym verwendet werden (Kulis, 2005), werden sie in dieser Arbeit als gleichwertig angesehen und benutzt. Auch deutsche Begriffe wie schikanieren (Schäfer Korn, 2001) werden verwendet. Im Fragenbogen für diese Studie wurden von den Interviewern oft umschreibende Begriffe verwendet, wie „gemein sein“ oder „Gemeinheiten machen“, um ein besseres Verständnis für die Grundschüler zu erreichen.
2.1.2. Eine Definition von Mobbing
Um die Frage zu beantworten, was in der Wissenschaft genau unter Mobbing an einer Schule verstanden wird, soll im Folgenden eine Definition des Begriffs gegeben werden. Es ist wichtig, zu beachten, dass der Begriff des Mobbings heutzutage häufig von Eltern, Lehrern, Schülern und den Medien übergeneralisiert wird. So sprechen einige schon von Mobbing, wenn zwei Kinder ein paar Mal miteinander streiten. Deswegen ist eine genaue Definition des notwendig, um einer Verharmlosung des Phänomens entgegenzuwirken.
Für Olweus (1999, S. 10f) ist Mobbing in einer Schulklasse dann gegeben, wenn drei Kriterien erfüllt sind: Es muss sich um (1) absichtlich aggressives Verhalten handeln, dass die Schädigung eines anderen Kindes zum Ziel hat, (2) über einen längeren Zeitraum wiederholt auftreten und es muss (3) zwischen den beiden beteiligten Parteien ein ungleiches Machtverhältnis herrschen. Es handelt sich also nicht um Mobbing, wenn zwei körperlich und psychisch gleichstarke Kinder sich streiten oder es sich nur um einen einmaligen, kurzfristigen Konflikt handelt (Smith, Morita, Junger-Tas, Olweus, Catalano Slee, 1999).
Zu der Definition von Mobbing kamen durch verschiedene Autoren weitere wichtige Aspekte hinzu. Laut Schäfer und Korn (2004b) findet Mobbing nur in festen Gruppen, wie etwa der Schulklasse statt, die für keins der Gruppenmitglieder frei wählbar sind und ein Entkommen schwer möglich machen - ein Klassen- oder Schulwechsel ist oft kaum erreichbar. Außerdem kamen Aspekte, die die Gruppe als Ganzes betreffen hinzu. So sind sich Autoren einig, dass Mobbing erst im sozialen Gefüge möglich ist (Lagerspetz, Björkvist, Berts und Kings, 1982; Salmivalli et al., 1996; Schäfer Korn, 2004a; Sutton Smith, 1999) und beschreiben somit einen wichtigen Unterschied zur interindividuellen Aggression. Welche kontextuellen Aspekte für die Betrachtung von Mobbing wichtig sind, soll im nächsten Abschnitt geklärt werden.
2.2. Mobbing als Gruppenphänomen
Wie in 2.1. bereits festgehalten, findet Mobbing nur in sozialen Gruppen statt, wie etwa einer Schulklasse. Die in der Wissenschaft gängige Definition von Mobbing, die beinhaltet, dass Mobbing nur möglich ist, wenn zwischen Täter und Opfer ein Machtgefälle herrscht, macht wiederholt deutlich, dass Mobbing nur im Gruppenkontext möglich ist und das außerdem Macht und soziale Dominanz beim Mobbingverhalten eine Rolle spielen.
2.2.1. Gründe und Motive für Mobbing
Die Ursachen und Motive von Mobbing sind schon lange Gegenstand der Mobbing-Forschung. Pikas ging 1975 davon aus, dass Täter mit ihren Attacken kein bestimmtes Ziel anstreben, sondern Mobbing allein der Schikane wegen betreiben und beschreibt die Ziele der Täter als irrational (Lagerspetz et al., 1982). Eine Betrachtung von Mobbing als kollektiven Prozess, macht aber deutlich, dass die Gründe für Mobbing komplexer sind und im sozialen Kontext begründet liegen.
Sutton und Smith (1999) konnten belegen, dass Mobbingattacken ein Streben nach einem erhöhten Selbstbewusstsein und dem Gewinnen sozialer Macht in einer Gruppe zu Grunde liegen und dass der Mobbingprozess deswegen erst in einer Gruppe möglich ist. Mobbing muss dementsprechend als gruppendynamischen Prozess verstanden werden, der erst auf der Basis von asymmetrischen Beziehungen entstehen kann (Hörmann Schäfer, 2009).
Ihr Streben nach mehr sozialer Dominanz erreichen die Täter durch den Missbrauch ihrer eigenen Position gegenüber schwächeren Kindern in der Klasse. Laut Schäfer (2003, 2008) wählen sich Täter ihre Opfer gezielt so aus, dass für sie selbst aus dem Mobbing eine leitende Position in der Gruppe resultiert und zugleich der unterlegene Rang des Opfers dauerhaft gefestigt wird. Eine Annahme zur Entwicklung dieses Phänomens wird mit dem Modell zur Dynamik von Mobbing beschrieben (Schäfer, 2003), der im nächsten Abschnitt erläutert werden soll.
2.2.2. Mobbing als gruppendynamischer Prozess
Wie eben gezeigt ist Mobbing erst in einer Gruppe, auf Basis der Mitgliederbeziehungen und den daraus entstehenden unterschiedlichen sozialen Positionen, möglich. Es stellt sich die Frage, wie Mobbing unter diesem Aspekt genau entsteht und wie Täter ein geeignetes Opfer finden können, ohne wegen ihrer Normbrüche von der Klasse abgelehnt zu werden. Mehrere Studien haben gezeigt, dass es sich bei Mobbing um einen dynamischen Prozess handelt, in dem das Phänomen ohne Einwirken von außen über lange Zeit stabil bleiben kann (Salmivalli et al., 1998, Schäfer et al., 2005).
Als übliche Ausgangslage für den Beginn eines Mobbingprozesses wird eine Umstrukturierung des sozialen Gefüges in einer Gruppe gesehen. Dazu gehören z.B. eine neue Zusammensetzung einer Klasse, ein neuer Schüler oder auch eine bedeutende Änderung der sozialen Position eines Kindes innerhalb einer Klasse durch den Gewinn oder Verlust von Freundschaften. In einer solchen Situation entsteht ein Ungleichgewicht des bisher bestehenden sozialen Netzwerks, wodurch Dominanzbestrebungen bei dem Aufbau eines neu hierarchisch strukturierten sozialen Systems hervorgerufen werden können (Schäfer Korn, 2004a). In dieser Phase versuchen Schüler ihre soziale Position in der Klasse aufzubessern.
In einer Schulklasse sind wie in jeder Gruppe gewisse soziale Normen vorhanden und bestimmen das akzeptierte Verhalten der Gruppenmitglieder. Die Gruppe entscheidet durch Verstärkung oder Sanktionierung des Verhaltens, welche Gruppennormen gelten und welches Verhalten akzeptabel ist. Kinder, die häufig aggressives Verhalten zeigen, werden im Allgemeinen eher abgelehnt (Coie, Dodge Coppotelli, 1982) und dies gilt auch für die Täter, zumindest am Anfang. Schäfers Modell zur Dynamik von Mobbing (Schäfer, 2003; Schäfer Korn, 2004b) zeigt allerdings, wie sich die vorhandenen sozialen Normen zugunsten eines Täters wandeln können.
Durch willkürliche Attacken auf verschiedene Kinder in der Klasse können nach Dominanz strebende Schüler in der ersten Phase des Modells – der Explorationsphase - anhand der Reaktion des Opfers und der Mitschüler schnell ein geeignetes Opfer ausfindig machen. Dieses Verhalten tritt meistens in einem Zeitraum auf, in der die Klasse wie oben beschrieben, sozial umstrukturiert wird. Die aggressiven Verhaltensweisen der Täter sind von Persönlichkeitseigenschaften abhängig und sozialisationsbedingt entstanden – die Täter haben sich eine durch Erfolg verstärkte, aggressive Strategie zum Dominanzerwerb angeeignet und versuchen eine bessere soziale Position in der Klasse zu erreichen. Als geeignete Opfer erweisen sich meist sozial schwache, eher unbeliebte Mitschüler (Sutton, Smith Swettenham, 1999). In dieser Phase ist die Gruppe noch wenig strukturiert und es herrscht generell ein erhöhtes Vorkommen an Aggression und Streitigkeiten. Der Täter wird in dieser Phase von den meisten Schülern noch abgelehnt, da er wegen seiner Angriffe gegen die üblichen sozialen Normen verstößt.
Nach der Findung eines geeigneten Opfers setzt der Täter in der Konsolidierungsphase gezielt Mobbingverhalten ein, um beim angegriffenen Kind abwehrende Reaktionen hervorzurufen, die von den anderen Schülern der Klasse als übertrieben negativ aufgefasst werden. Durch diesen Normbruch des Opfers neigen die Mitschüler dann dazu, dem Täter in seinem Verhalten recht zu geben und die ablehnende Haltung gegenüber dem Opfer zu übernehmen. Das Opfer wird für seine Situation zunehmend als selbstverantwortlich angesehen und während das Opfer zunehmend abgelehnt wird, wird der Täter stets beliebter. Dieser Prozess und die Reaktionen der Mitschüler sind entscheidend dafür, ob das Verhalten des Täters gebilligt wird. Wenn sich zu viele Schüler auf die Seite des Opfers stellen und das Verhalten des Täters nicht akzeptieren, können keine Opferrolle und somit auch kein Mobbing entstehen.
In der dritten Phase – der Phase der Manifestation – wird Aggression gegen das Opfer von dem Großteil der Klasse akzeptiert und die Opferrolle stabilisiert sich zunehmend. Attacken gegen das Opfer werden als außerhalb des üblichen Normbereichs betrachtet und deswegen von vielen Schülern akzeptiert. Je intensiver die Attacken des Täters, desto besser wird die soziale Position des Täters und desto schwächer wird der Status des Opfers.
Dieses Modell zur Dynamik von Mobbing (Schäfer, 2003) zeigt, dass es sich um bei Mobbing um einen dynamischen Prozess handelt, an dem die ganze Klasse über mehrere Phasen hinweg beteiligt ist, und das ohne Einfluss von außen nach der Phase der Manifestierung kaum aufgehalten werden kann.
2.2.3. Die Entstehung des „Participant Role“ Ansatzes
Wie in 2.2.1. beschrieben, handelt es sich bei Mobbing um ein Phänomen, der als sozialer Prozess verstanden werden muss. Erst im Kollektiv einer Schulklasse und auf der Basis von ungleichmäßigen Beziehungen zwischen den Schülern wird Mobbing in der Schule möglich (Hörmann Schäfer, 2009). Neuere Forschungen bestätigen, dass fast die gesamte Klasse in Mobbingsituationen involviert ist (Craig Pepler, 1995; Salmivalli et al., 1996; Sutton Smith, 1999). Deswegen ist es wichtig, Forschungsmethoden anzuwenden, die die Betrachtung der unterschiedlichen Verhaltensweisen aller Gruppenmitglieder einschließen.
Pepler und Craig konnten 1995 beobachten, dass während einer Mobbingsituation auf dem Pausenhof fast immer Mitschüler anwesend waren und teilweise auch aktiv beteiligt waren: 30% der Schüler schienen belustigt und 48% waren aktiv an der Mobbingsituation beteiligt. 57% der Kinder waren dem Täter gegenüber positiv eingestellt, während nur 31% zu dem Opfer hielten. Diese Ergebnisse bestätigten, dass ein Großteil der Klasse bei Mobbing beteiligt ist und dabei verschieden reagiert.
Da Mobbing nicht nur im Klassenzimmer passiert, sondern auch auf dem Schulhof oder außerhalb der Schule (Schäfer et al., 2004), erweist sich die alleinige Untersuchung mit Hilfe von Beobachtungen als problematisch. Ebenso schwierig ist eine reine Befragung der Lehrer, da diese nicht alles in und außerhalb des Klassenzimmers beobachten können, sondern lediglich weiterführende Informationen zu den Schülern und der Gruppendynamik liefern können. Als eine ökonomisch günstige und auch aussagekräftige Untersuchungsmöglichkeit hat sich der Einsatz von Fragebögen bewährt. Dies konnten Pelligrini und Bartini (2000) belegen, als sie mit Hilfe unterschiedlicher Methoden Mobbing untersuchten und zu dem Schluss kamen, dass eine Untersuchung mit Hilfe von Fragebögen, die Mitschülernominierungen beinhalten, sehr variabel ist. Es werden vorzugsweise vor allem Fragebögen verwendet, die nicht nur Selbstauskünfte erfassen, sondern auch Einschätzungen über Mitschülerverhalten zulassen, da Schüler dazu neigen ihr eigenes Verhalten eher als normgerecht einzuschätzen.
Salmivalli und Kollegen entwarfen 1996 den „Participant Role“ Ansatz (PRA), der das Verhalten aller Gruppenmitglieder berücksichtigt und außerdem auch Selbstnominierungen beinhaltet. Mit Hilfe eines speziell entwickelten Fragebogens – dem „Participant Role Questionaire“ (PRQ) – können verschiedene Rollen identifiziert und operationalisiert werden, die Schüler während einer Mobbingsituation einnehmen können. Auf der Grundlage einer Untersuchung, die 573 Schüler zwischen 12 und 13 Jahren erfasst, finden sich drei aggressive, dem Mobbing positiv zugewandte Rollen (Täter, Assistenten des Täters und Verstärker des Täters) und drei nicht-aggressive, dem Mobbingverhalten entgegenstehende Rollen (Verteidiger, Außenstehende und Opfer). Mit Hilfe dieses Instrumentes legten Salmivalli und Kollegen einen Grundstein für zahlreiche Forschungsarbeiten, welche belegen können, dass Mobbing als kollektiver Prozess entsteht (vgl. Sutton Smith, 1999; Schäfer Korn, 2004b). Auch die Erhebung dieser Arbeit basiert auf den Grundlagen des PRQ (vgl. 4.4).
2.2.4. Die Mitschülerrollen im Mobbingprozess
Der „Participant Role Approach“ beschreibt verschiedene Rollen auf Basis von Mitschülernominierungen. Dabei konnten Salmivalli und Kollegen 87% der damals untersuchten Schüler (N=573) eine Rolle zuweisen: 8% Opfer, 24% Außenstehende, 17% Verteidiger des Opfers, 19% Verstärker des Täters, 7% Assistenten des Täters und 8% Täter. Diese Ergebnisse wurden für England und Deutschland mit Hilfe eines verkürzten Fragebogens später bestätigt (Sutton Smith, 1999; Schäfer Korn, 2004a).
Die Opfer sind diejenigen Kinder, die über einen längeren Zeitraum von einem oder mehreren Kindern wiederholt schikaniert werden. Im Gegensatz zu den anderen Rollen beschreibt hier keine Verhaltensweise die Rolle des Opfers, sondern sie wird zugeschrieben. Die Kinder können sich ihre Rolle also nicht aktiv auswählen und sind den Angriffen der Mitschüler wehrlos ausgesetzt. Es hat sich gezeigt, dass ein Schüler, der in der Grundschule Opfer von Mobbing ist, nicht unbedingt auch in einer weiterführenden Schule Mobbingopfer sein muss (Schäfer, 2003). Es konnte belegt werden, dass Opfer ein niedriges Selbstbewusstsein haben (Hawker Boulton, 2000). Salmivalli et al. identifizierten Kinder dann als Opfer, wenn mindestens 30% der Mitschüler das Kind als Opfer beschrieben.
Außenstehende sind die Schüler, die das Mobbing zwar miterleben, sich aber bewusst aus der Situation heraushalten. Dabei ignorieren sie entweder die Angriffe oder gehen aktiv aus der Situation weg, obwohl sie von den Attacken wissen. Auch dieses passive Verhalten des Außenstehenden kann vom Täter als Toleranz gegenüber seinem Verhalten gewertet werden (Salmivalli et al., 1996) und das aggressive Verhalten positiv verstärken.
Verteidiger des Opfers sind diejenigen Kinder, die die Opfer aktiv unterstützen, Hilfe holen oder durch Freundschaft dem Opfer beistehen.
Die Verstärker des Täters zeichnen sich durch ein Verhalten aus, dass den Täter in seinen Attacken bestärkt. Dabei kann es sich zum Beispiel um lachen oder anfeuern handeln (Salmivalli et al., 1996).
Die Assistenten greifen im Gegensatz zu den Verstärkern aktiver in das Geschehen ein, indem sie etwa dem Täter bei einer Attacke helfen – sie beginnen aber nicht von alleine mit einer Mobbingattacke und orientieren sich stark am Verhalten des Täters.
Als Täter werden diejenigen Kinder bezeichnet, die aktiv mit dem Schikanieren anfangen und dabei die Führungsrolle übernehmen. Olweus konnte 1978 belegen, dass Bullies im Allgemeinen aggressiver interagieren und in der Klasse nach Dominanz streben. Im Gegensatz zu der Opferrolle konnte eine Stabilität der Täterrolle zwischen der Grund- und der weiterführenden Schüler aufgezeigt werden (Schäfer Korn, 2005).
2.2.5. Die Sekundärrollen im Mobbingprozess
Neben den primären Rollen im Mobbingprozess konnte den Schülern in der Untersuchung von Salmivalli und Kollegen 1996 und in den nachfolgenden Untersuchungen, die den PRQ benutzten, häufig auch eine sekundäre Rolle zugewiesen werden. Diese eignen sich um die Konsistenz einer Mitschülerrolle zu überprüfen und kommen relativ häufig vor – in einer Studie von Schäfer und Korn (2004a) haben 68% aller Schüler eine Zweitrolle. Wenn keine Sekundärrolle identifiziert werden kann, liegt eine sehr hohe Konsistenz für die Primärrolle vor und das Verhalten dieses Schülers wird von der Mehrheit seiner Klassenkameraden eindeutig beschrieben. Eine Primärrolle kann auch dann als relativ konsistent eingeschätzt werden, wenn zusätzlich zu der Primärrolle eine verhaltensähnliche Zweitrolle identifiziert werden kann – d.H. eine dem Bullying zugewandte Primärrolle (Täter, Verstärker, Asisstent) kombiniert mit einer dem Bullying zugewandten Zweitrolle oder eine dem Bullying abwandten Primärrolle (Opfer, Außenstehende, Verteidiger) in Kombination mit einer dem Bullying abgewandten Sekundärrolle.
Bisherige Studien haben gezeigt, dass eine Mehrheit der Schüler mit aggressiver Primärrolle auch eine aggressive Zweitrolle einnimmt (Salmivalli et al., 1996; Sutton Smith, 1999). Dasselbe Phänomen konnte für die Kinder mit nichtaggressiven Primärrollen bestätigt werden, wobei hier häufiger keine Sekundärrolle vorliegt als bei den Kindern mit einer aggressiven Primärrolle (Kulis, 2005; Salmivalli et al., 1996; Sutton Smith, 1999; Schäfer Korn, 2004b).
Insbesondere der Rolle der Außenstehenden wurde in bisherigen Forschungen ein großes Interesse geschenkt. Außenstehende haben oft keine oder eine andere nicht-aggressive Sekundärrolle – dabei handelt es sich meistens um Verteidiger und nur selten um Opfer. Deswegen schweben laut Kulis (2005) und Schäfer und Korn (2004) Außenstehende selten in der Gefahr, selbst Opfer von Schikanen zu werden. Besonders bei weiblichen Außenstehenden handelt es sich häufig um Kinder, die in der Zweitrolle Verteidiger sind. Salmivalli (1996) findet dagegen andere Ergebnisse und schreibt den Außenstehenden eine hohe Gefahr zu, selbst Opfer zu werden.
Aus den verschiedenen Kombinationsmöglichkeiten von Primär- und Sekundärrollen lassen sich verschiedene Doppelrollen („Hybridroles“) erstellen (Goossens, Olthof, val Lier, Vernande, van der Meulen-van Dijk Aleva, 2009). In der Studie von Goossens et al. waren vier Verbindungen besonders häufig vertreten: Täter-Assistenten, Täter-Verteidiger, Täter-Opfer und Außenstehende-Verteidiger. Es zeigt sich, dass hier die Annahme von einer Rollenkonsistenz widersprochen wird und außerdem besonders die Täter häufig eine Hybridrolle einnehmen.
2.2.6. Geschlechtsunterschiede bei Mobbing
Insbesondere durch neuere Studien wird deutlich, dass nicht nur Jungen aggressives Verhalten und Mobbing zeigen, sondern auch Mädchen. Hierbei gibt es aber große Unterschiede, was die Art und Weise der Angriffe angeht (Crick Grotpeter, 1995). Da in früheren Forschungen Mobbing häufig nur als direkte und körperliche Gewalt erfasst wurde, wurden stets mehr Jungen als Mädchen in aggressiven Rollen gefunden. Eine Studie von Tapper und Boulton (2004) konnte bestätigen, dass Jungen im Grundschulalter signifikant häufiger körperliche Aggression anwenden als Mädchen. Je mehr man das relationale und verbale Mobbing mit einbezieht, desto weniger deutlich fallen Geschlechtsunterschiede bezüglich der Häufigkeit des Mobbings aus (Tapper Boulton, 2004). Da in der neueren Mobbingforschung auch indirekte Aggression miterfasst wird, ist eine differenziertere Betrachtung der Strategien möglich: Während Jungen eher durch körperliche Gewalt auffallen, zeichnen sich Mädchen etwa durch Lästereien aus (Lagerspetz, Bjoerkqvist Peltonen, 1988). Dies gilt in der Grundschule allerdings nur eingeschränkt. Indirekte, relationale Aggressionsstrategien sind bei jüngeren Kindern unabhängig vom Geschlecht oft noch nicht so weit ausgereift wie später in der Adoleszenz (Björkqvist, Lagerspetz, Kaukiainen, 1992).
Bei der Betrachtung der Geschlechterverteilung bezüglich der einzelnen Mobbingrollen zeigt sich ein relativ einheitliches Bild. Mehrere Studien belegen, dass sich bei allen aggressiven Rollen signifikant mehr Jungen finden (Salmivalli et al, 1996; Schäfer Korn, 2004a, Goossens et al., 2009). Als eine Erklärung hierfür wird angenommen, dass die bei Jungen vorwiegende Gewalt häufiger wahrgenommen wird als die relationalen Mobbingstrategien, die Mädchen häufiger benutzen (Schäfer Korn, 2004b) und dass außerdem die relationalen Strategien in der Kindheit und Präadoleszenz noch nicht so häufig verwendet werden, wie später in der Pubertät (Björkqvist et al., 1992).
Auch bezüglich der Opferrolle finden sich einheitliche Ergebnisse, nämlich dass sich kein signifikanter Unterschied zwischen Jungen und Mädchen feststellen lässt (Sutton Smith, 1999; Schäfer Korn, 2004a). Männliche Opfer sind aber häufiger proaktive Opfer und erhalten oft eine aggressive und damit verhaltensinkonsistente Zweitrolle (Kulis, 2005).
Im Allgemeinen wird das Verhalten von Mädchen rollenkonsistenter eingeschätzt (Schäfer Korn, 2004a) während die Jungen häufiger eine inkonsistente Doppelrolle einnehmen (Goossens et al, 2009).
2.2.7. Altersunterschiede bei Mobbing
In Bezug auf das Alter lässt sich berichten, dass der Anteil an Mobbingopfern mit steigendem Alter abnimmt, während der Anteil der Täter gleich bleibt (Olweus, 1996). Die anfänglich hohen Prävalenzraten für die Opfer in der Grundschule werden damit begründet, dass die jungen Kinder noch über keine effizienten Abwehrstrategien verfügen und eine geringe Sensibilität bezüglich der vorherrschenden sozialen Normen besitzen.
Hörmann und Schäfer (2009) stellten bei einer Untersuchung an einer Münchner Grundschule keine signifikanten Unterscheide bezüglich der Rollenverteilung über die Klassenstufen hinweg. Bei der Betrachtung von altersgemischten Gruppen, dem Hort, fallen im Gegensatz dazu aber Unterschiede auf: Insbesondere jüngere Kinder sind häufiger in der Opferrolle und weniger häufig in der Verteidigerrolle zu finden, als ältere Kinder der Hortgruppe. In ihrer Studie zeigen Hörmann und Schäfer eine Übersicht auf, die die verschiedenen Prävalenzraten vergangener Studien zusammenfasst. Auffallend ist, dass, wie bereits in 2.1.4. erwähnt, die Zahl der Opfer im Laufe der Zeit zurückzugehen scheint.
Ansonsten finden sich auf die Grundschule bezogen keine Altersunterschiede bezüglich der Mobbingrollen.
2.3. Die „Resource Control“ Theorie
Die Mitschülerrollen im Mobbingprozess können neben dem Alter und Geschlecht von verschiedenen Faktoren beeinflusst werden. Zahlreiche Forschungsarbeiten haben sich mit unterschiedlichen Faktoren, wie der soziokognitiven Wahrnehmungsfähigkeit oder dem sozialen Status in Wechselwirkung mit den „Participant Roles“ beschäftigt (Backhausen, 2005; Salmivalli et al., 1996).
Da die Motive für Mobbing in dem Streben nach sozialer Dominanz begründet liegen, ist ein Zusammenhang zwischen Mobbing und sozialer Dominanz in einer Klasse einleuchtend. Hawley (1999, 2003a) entwickelte ein Modell, das sich mit dem Erwerb von sozialen Ressourcen und Dominanz beschäftigt. Laut Hawley wenden die Kinder verschiedene Strategien an, um soziale Dominanz und Ressourcen zu erlangen (Hawley, 1999, 2003a). Hawley entwickelte 1999 die „Resource Control Theory“ (RCT) welche sich mit dem Erlangen sozialer Ressourcen im Gruppenkontext beschäftigt. Diese sozialen Ressourcen sind einer Einzelperson kaum zugänglich, sondern nur in einer Gruppe: Beispiele für verschiedene soziale Ressourcen können Freundschaften, Aufmerksamkeit, Dominanz oder materieller Art sein. Soziale Ressourcen legen fest, welches Kind in einer Gruppe sozial dominant ist, welches Kind zum Beispiel bestimmen darf, welche Aktivität ansteht oder wer welches Spielzeug benutzen darf.
Ein Kind, das über viele Ressourcen und damit über soziale Dominanz verfügt, wird für die anderen Kinder auffälliger und wird als attraktiver Sozialpartner angesehen (Hawley, 1999). Nicht alle Schüler können über soziale Ressourcen verfügen, da diese nur begrenzt zur Verfügung stehen und nicht jeder Schüler erfolgreich Ressourcen kontrolliert oder überhaupt motiviert ist, soziale Dominanz zu erlangen.
Im Allgemeinen sind Ressourcen auf verschiedene Arten zu erreichen. Auf der einen Seite stehen die coerciven, aggressiven Strategien. Hierbei handelt es sich um Strategien, bei denen die Kinder versuchen, mit wenig Rücksicht auf die anderen Kinder, Ressourcen zu erlangen. Diese Strategien können wie die Mobbingstrategien indirekt (z.B. Drohungen, Ausschluss) oder direkt (z.B. körperliche Gewalt, Zwang) angewandt werden.
Als prosoziale Strategien werden im Gegensatz dazu die Taktiken bezeichnet, die z.B. einen Kompromiss beinhalten. Diese Strategien setzen ein gewisses Maß an Empathie und Perspektivenübernahme heraus. Die prosozialen Strategien werden – ebenso wie die coerciven Strategien – eingesetzt, um Ressourcen und damit egoistische Ziele zu erreichen (Hawley, 2003a).
Die verschiedenen Strategien und die dafür notwendigen Voraussetzungen entwickeln sich im Laufe der Kindheit. Auf diese Entwicklung soll im nächsten Kapitel eingegangen werden.
2.3.1. Entwicklungspsychologische Grundlagen
Soziale und materielle Ressourcen spielen schon für sehr junge Kinder eine Rolle (Hawley, 1999; Hawley Little, 1999). Dabei handelt es sich z.B. für Kindergartenkinder um ein bestimmtes Spielzeug oder um einen Spielpartner. Hawley entwarf 1999 ein Modell, das sich mit dem Entwicklungsverlauf der Strategien, die Kinder benutzen, um soziale Ressourcen zu erlangen, beschäftigt (vgl.Abbildung 1).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung: Die Entwicklung der Strategien zur Ressourcenkontrolle nach Hawley (1999)
Zum Großteil benutzen sehr junge Kinder noch undifferenzierte, aggressive Strategien. Dies lässt sich vor allem damit begründen, dass ihnen die sprachlichen und soziokognitiven Fähigkeiten für die prosozialen Strategien entwicklungsbedingt noch fehlen. In diesem Alter sind Kinder, die sich aggressiv verhalten, um etwas zu erlangen, sehr präsent und attraktiv als Sozial- und Spielpartner. Außerdem werden diese Kinder häufig imitiert. In dieser Phase korreliert eine aggressive Strategie positiv mit dem Einfluss, das ein Kind hat und mit der Aufmerksamkeit, die ein Kind von den anderen Gruppenmitgliedern erhält (Hawley, 1999).
Ältere Kinder, die sprachlich weiter entwickelt sind und auch über höhere Fähigkeiten der Empathie und Perspektivenübernahme verfügen, wenden langsam auch prosoziale Strategien an und lernen, zwischen aggressiven und prosozialen Strategien zu differenzieren. In diesem Zeitraum zwischen 4 und 7 Jahren werden beide Strategien parallel und undifferenziert verwendet. Kinder probieren in dieser Phase aus, welche Strategien erfolgreich sind – einmal in dem sie z.B. ein Spielzeug wegnehmen, ein anderes Mal indem sie probieren einen Tausch vorzuschlagen oder ein gemeinsames Spiel. Welche Strategie angewandt wird, ist auch von Kontextfaktoren abhängig: Je nachdem ob eine Autoritätsperson anwesend ist, oder wie viele soziale Ressourcen vorhanden sind, wird eine Strategie ausgewählt. Nach einiger Zeit werden die verwendeten Strategien stabil und die meisten Kinder zeigen ein eher konsistentes Verhalten. In diesem Zeitraum ist es für den sozialen Einfluss eines Kindes egal, welche Strategien es anwendet, solang es damit soziale Ressourcen und damit Dominanz erlangt. Dieses Phänomen wandelt sich: Während Erstklässler aggressive Strategien noch bewundern, tun dies Drittklässler nicht mehr (Pettit, Bakshi, Dodge Coie, 1990).
In den späteren Jahren der Grundschule (etwa ab dem 8. Lebensjahr), stabilisiert sich die Wahl der Strategien und die Kinder können immer besser zwischen den beiden Strategien differenzieren. Die Schüler, die prosoziale Strategien benutzen, sind jetzt beliebter als die coerciven Kinder und können sich im Wettbewerb um die Ressourcen auch oftmals besser durchsetzen (Hawley, 2003a).
Bei dem eben beschrieben Modell von Hawley (1999) handelt es sich um ein Stufenmodell, dass nicht jedes Kind durchlaufen muss. Ein Schüler, der keine Motivation hat, Ressourcen zu erlangen, wendet eventuell keine Strategie an. Eine andere Möglichkeit ist, dass ein Kind erst im Schulalter versucht Ressourcen zu erlangen und gleich prosoziale Strategien anwendet und damit die aggressiven Strategien überspringt.
2.3.2. Die „Resource Control Groups“
In einer weiterführenden Studie teilen Hawley, Little und Pasupathi (2002) 1723 Kinder aus Berlin in verschiedene Gruppen („Resource Control Groups“) ein, je nach der Häufigkeit der Verwendung der verschiedenen Strategien. Eine genaue Erläuterung der Zuteilung findet sich in den methodischen Ausführungen (vgl. 3.3.2.) dieser Arbeit, da in dieser Studie nach demselben Prinzip wie bei Hawley und Kollegen vorgegangen wurde. Dabei ergeben sich fünf verschiedene Gruppen, die in Abbildung 2 verdeutlicht werden.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Nach Hawley, Little & Pasupathi (2002)
Die meisten Kinder lassen sich in die Gruppe der Typischen (35,6%) einordnen und wenden weder die eine noch die andere Strategie übermäßig häufig an. Sie verfügen über eine durchschnittliche Ressourcenkontrolle.
Die Gruppe der Prosozialen (15,4%) wenden hauptsächlich prosoziale Strategien an. Diese Schüler achten darauf, ihren Status in einer Gruppe nicht durch aggressives Verhalten zu gefährden und abgelehnt zu werden (Hawley et al., 2002). Es ist diesen Kindern wichtiger, Freundschaften zu erhalten, als Ressourcen zu kontrollieren und sie vermeiden Konflikte im Alltag. Sie suchen Freundschaften aus intrinsischen Gründen auf, etwa aus persönlicher Befriedigung aufgrund dieser Freundschaften (Hawley, 2003a; Hawley, 2007).
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- Quote paper
- Ann Robin (Author), 2010, Mobbing in der Grundschule, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/452278
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