Rational Choice hat sich innerhalb der letzten Jahrzehnte zu einem der führenden Forschungsprogramme nicht nur in der Politikwissenschaft, sondern in den gesamten Sozialwissenschaften entwickelt. Die Attraktivität der Erklärungen liegt vor allem in ihrer Einfachheit und Vollständigkeit durch die Einbeziehung des Akteurs für die Erklärung von Makrophänomenen.
In seinem 1957 erschienenem Werk "An Economic Theory of Democracy", das maßgeblich zur Gründung der Public-Choice-Schule beitrug, entwirft Anthony Downs ein Modell, das sowohl das Wahlverhalten als auch das Handeln von Parteien auf der Grundlage des Homo Oeconomicus erklären will. Dabei wird die Frage aufgeworfen, warum Menschen überhaupt wählen gehen. Nach dem Prinzip der individuellen Nutzenmaximierung handelt es sich bei der Wahlbeteiligung um ein Kollektivgutproblem: zwar hat jeder ein Interesse an dem Zustandekommen des Kollektivgutes (hier: Regierungsbildung), aber die Kosten dafür will keiner tragen. Die Prognose ist also keine oder zumindest eine sehr niedrige Wahlbeteiligung. Die empirischen Beobachtung zeigen jedoch eine ganz andere Realität: "Zum Leidwesen der Theorie gehen die Leute aber doch wählen" (Uhlaner 1989, zit. nach Green / Shapiro 1999, 65), so fasst Carole Uhlaner prägnant das Downs′sche Wahlparadox zusammen. Wie ist das zu erklären?
Die Bedeutung, die dem Wahlparadox in der Folgezeit in der Rational-Choice-Literatur zukam, erklärt sich aus den Konsequenzen für das Rational-Choice-Forschungsprogramm. Wenn Rational-Choice-Erklärungen bei einem so wichtigen Phänomen wie der Wahlbeteiligung scheitern, dann können sie ihren allgemeinen Geltungsanspruch für politische Phänomene nicht halten. Handelt es sich jedoch nur um einen Konstruktionsfehler in Downs′ Modell, dann müsste das Paradox durch Ummodellierung zu lösen sein, ohne das der Kern der Rational-Choice-Theorie betroffen ist.
Diese Arbeit beschäftigt sich mit dem Umgang der Rational-Choice-Literatur mit der Herausforderung, die das Wahlparadox als Anomalie an sie gestellt hat. Die zentrale Frage ist also, ob das Paradox erfolgreich aufgelöst wurde oder ob die Rational-Choice-Theorie hier nicht anwendbar und so an die Grenze ihres Geltungsbereiches gestoßen ist. Nach einer kurzen Erläuterung des Modell des rationalen Wählers nach Downs und des Wahlparadox werden im zweiten Teil der Arbeit die wichtigsten Lösungsversuche vorgestellt und analysiert, ob und inwieweit sie in der Lage sind, das Wahlparadox aufzulösen.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Rationales Wahlverhalten
2.1 Modell des rationalen Wählers
2.2 Das Wahlparadox
3. Lösungsversuche
3.1 Zusätzliche Nutzengewinne
3.1.1 Langfristiger Nutzen
3.1.2 Konsumnutzen des Wählens
3.2 Neubewertung der Kosten des Wählens
3.3 Subjektive Einschätzungen der Wähler
3.4 Spieltheoretische Modelle
3.5 Beschränkung des Anwendungsbereichs von Rational Choice
4. Schlussbetrachtung
Literatur
Eidesstattliche Versicherung
1. Einleitung
Rational Choice hat sich innerhalb der letzten Jahrzehnte zu einem der führenden Forschungsprogramme nicht nur in der Politikwissenschaft, sondern in den gesamten Sozialwissenschaften entwickelt. Die Attraktivität von Rational-Choice-Erklärungen liegt vor allem in ihrer Einfachheit und Vollständigkeit durch die Einbeziehung des Akteurs für die Erklärung von Makrophänomenen.
Anthony Downs hat mit seinem 1957 erschienenem Werk „An Economic Theory of Democracy“ maßgeblich zur Gründung der Public-Choice-Schule beigetragen, die Politik als Ergebnis des Handels rationaler Akteure erklären will (Braun 1999, 60). In dem Buch entwirft Downs ein Modell, das sowohl das Wahlverhalten als auch das Handeln von Parteien auf der Grundlage des Homo Oeconomicus erklären will. Dabei wird die Frage aufgeworfen, warum Menschen überhaupt wählen gehen. Nach dem Prinzip der individuellen Nutzenmaximierung handelt es sich bei der Wahlbeteiligung nämlich um ein Kollektivgutproblem. Zwar haben alle einen Nutzen, wenn durch Wahlen eine Regierung ausgewählt wird, es kann jedoch auch keiner davon ausgeschlossen werden. Deshalb versucht jeder, die Kosten der Erstellung des Kollektivgutes zu vermeiden und auf andere abzuwälzen. Da aber jeder so denkt, hilft keiner bei der Produktion des Kollektivgutes mit und auf Makroebene kommt kein Kollektivgut zustande. Die Prognose ist also keine oder zumindest eine sehr niedrige Wahlbeteiligung. Die empirischen Beobachtung zeigen jedoch eine ganz andere Realität: „Zum Leidwesen der Theorie gehen die Leute aber doch wählen“ (Uhlaner 1989, zit. nach Green / Shapiro 1999, 65), so fasst Carole Uhlaner prägnant das Downs’sche Wahlparadox[1] zusammen. Wie ist das zu erklären? Hat Downs bei der Konstruktion seines Modells einen Fehler begangen oder verhalten sich die Bürger in Wahrheit bei Wahlen nicht wie rationale Nutzenmaximierer, sonder handeln nach anderen Motiven?
Die Bedeutung, die dem Wahlparadox in der Folgezeit in der Rational-Choice-Literatur zukam, erklärt sich aus den Konsequenzen für das Rational-Choice-Forschungsprogramm. Wenn Rational-Choice-Erklärungen bei einem so wichtigen Phänomen wie der Wahlbeteiligung scheitern, dann können sie ihren allgemeinen Geltungsanspruch für politische Phänomene nicht halten. Handelt es sich jedoch nur um eines Konstruktionsfehler in Downs’ Modell, dann müsste das Paradox durch Ummodellierung zu lösen sein, ohne das der Kern der Rational-Choice-Theorie betroffen ist.
In dieser Hausarbeit werde ich mich damit beschäftigen, wie die Rational-Choice-Literatur mit der Herausforderung, die das Wahlparadox als Anomalie an sie gestellt hat, umgegangen ist. Die zentrale Frage ist also, ob das Paradox erfolgreich aufgelöst wurde oder ob die Rational-Choice-Theorie nicht anwendbar ist und so an die Grenze ihres Geltungsbereiches gestoßen ist. Ich werde zunächst das Modell des rationalen Wählers nach Downs erläutern und das Wahlparadox analysieren. Im zweiten Teil der Arbeit werde ich die wichtigsten Lösungsversuche vorstellen und analysieren, ob und inwieweit sie in der Lage waren, das Wahlparadox aufzulösen. Aufgrund der Fülle der Lösungsversuche und der Kürze der vorliegenden Arbeit ist die Auswahl hier auf die wichtigsten, da am meisten zitierten Lösungsversuche eingeschränkt. Die Ergebnisse dieser Analyse werden in der Schlussbetrachtung zusammengetragen.
2. Rationales Wahlverhalten
2.1 Der rationale Wähler
Nach Downs funktioniert Politik nach derselben Logik wie der ökonomische Markt. Die Parteien agieren als Anbieter politischer Programme, die von den Wählern nachgefragt werden. Die Entscheidung des Wählers für ein bestimmtes Programm bzw. eine Partei richtet sich dabei nach Kosten-Nutzen-Kalkülen. Das Handlungsmodell ist dabei der homo politicus. Dieser entspricht dem Akteursmodell des homo oeconomicus, der Rationalitätsbegriff des Modells wird von Downs aber auf politische und wirtschaftliche Rationalität eingeschränkt, um tautologische Schlüsse und damit Nicht-Falsifizierbarkeit zu vermeiden (Downs 1968, 6f.). Die Rationalität des Wahlaktes beschränkt sich lediglich auf das Ziel der Auswahl einer Regierung und die Mittel müssen instrumentell zum Erreichen dieses Zieles beitragen. Nicht die Ziele sind rational, sondern nur die Mittel, die ein Akteur anwendet, um seine Ziele zu erreichen also der Prozess (Downs 1968, 5). Rational ist ein Mensch dann, wenn er seine Ziele durch einen sparsamen Einsatz seiner knappen Mittel / Ressourcen verfolgt. In Ahnlehnung an Kenneth Arrow bestimmt Downs die Rationalität formal durch die Möglichkeit des Akteurs, eine Entscheidung zwischen mehreren Alternativen zu treffen, indem er sie in eine transitive[2] Präferenzordnung bringt und immer die Alternative mit dem höchsten Rang auswählt (Downs 1968, 6).
Wie verläuft also der Entscheidungsprozess des Wählers konkret?
Das Ziel des rationalen Wählers ist die Wahl der Partei in die Regierung, von der er sich die für ihn vorteilhaftesten Regierungsleitungen verspricht. Um also seine Präferenzordnung aufzustellen bildet er idealtypisch ein so genanntes Parteiendifferential. Dabei subtrahiert der Wähler den erwarteten Nutzen aus der zukünftigen Tätigkeit der Oppositionspartei von dem erwarteten Nutzen der Regierungspartei in der nächsten Legislaturperiode. Ist das Parteiendifferential positiv, ist der Nutzen von der Regierungspartei größer und der Wähler stimmt für sie. Dementsprechend fällt bei einem negativen Parteiendifferential die Entscheidung zugunsten der Opposition aus. Bei einem Wert von Null ist der Wähler indifferent und enthält sich der Stimme (Braun 1999, 63). Da die Wahlversprechen der Parteien zu unzuverlässig für die Berechnung des Erwartungsnutzens sind, vergleicht der ideale rationale Wähler die Leistungen der Regierungspartei aus der letzten Legislaturperiode mit dem hypothetischen Nutzen, den die Oppositionspartei dem Wähler gebracht hat, wäre sie an der Macht gewesen. Um sein Parteiendifferential der Realität weiter anzunähern, führt Downs einen Trendfaktor und eine Leistungsbewertung ein. Die Zukunft findet durch den Trendfaktor Berücksichtigung, indem die Leistungen der Regierungspartei danach bewertet werden, ob sie den Nutzen für den Wähler verbessert oder verschlechtert haben. Diese Tendenz wird von dem Wähler als sich in Zukunft fortsetzend angenommen und beeinflusst die Wahlenscheidung des Wählers in Hinblick auf die Regierung. Bei der Leistungsbewertung handelt es sich um einen Vergleich der Leistungen der Regierungspartei mit den Leistungen einer hypothetischen Idealpartei. Beides hilft, wenn Wähler eigentlich indifferent ist, aber dennoch wählen geht (Braun 1999, 64).
Nach dieser einfachen Darstellung des Modells erweitert Downs es sukzessive um realistischere Annahmen für Mehrparteiensysteme und für Entscheidungen unter Ungewissheit und steigende Informationskosten.
2.2 Das Wahlparadox
Downs als Positivist selbst stellt das zentrale Kriterium zur Prüfung der Güte eines Modells auf: „Theoretische Modelle soll man vor allem an der Genauigkeit ihrer Voraussagen, weniger am Realitätsgehalt ihrer Annahmen prüfen“ (Downs 1968, 21). Das Modell des rationalen Wählers muss sich also an der Realität bewähren. Genau hier ergibt sich aber ein Problem. Folgt man der Downs’sche Logik, dann gibt es für den Wähler keinen Anreiz, überhaupt wählen zu gehen. Die Entscheidung, zur Wahl zu gehen, richtet sich nach individuellem Nettonutzen (U). Dieser hängt ab von der geschätzten Wahrscheinlichkeit, dass der Nutzen auch realisiert wird, also der Wahrscheinlichkeit des Wahlsieges der bevorzugten Partei (p) mal des Vorteils, der aus der Regierungstätigkeit dieser Partei entsteht (B).
Auf der anderen Seite werden die Kosten (C), sich an der Wahl zu beteiligen, mit einkalkuliert. Das können zum Beispiel direkte Kosten wie das Busticket zum Wahllokal, eine Registrierung und das Risiko, deshalb später als Geschworener ausgewählt zu werden, sein, vor allen aber Opportunitätskosten, also der entgangene Nutzen aus Tätigkeiten, die man in derselben Zeit hätte tun können. Auch die Informationskosten müssen hinzugerechnet werden, auch wenn sie von dem rationalen Wähler angesichts seines geringen Einflusses stark reduziert werden[3].
[...]
[1] Der Einfachheit wegen meine ich im Folgenden das Downs’sche Wahlparadox, wenn ich das Wort Wahlparadox gebrauche. In der Literatur gibt es noch weitere Anomalien, die als Wahlparadox bezeichnet werden, so z.B. das Wahlparadox von Kenneth Arrow.
[2] Transitiv ist eine Präferenzordnung dann, wenn ein Akteur, der eine Alternative A einer anderen Alternative B vorzieht und B der Alternative C vorzieht, dann auch A vor C präferiert. Nicht transitiv wäre die Präferenzordnung dann, wenn C einen höheren Rang in der Präferenzordnung einnehmen würde als A (Täube 2002, 25).
[3] Downs arbeitet heraus, dass der Wähler aufgrund seines geringen Stimmwerts keinen Anreiz hat, sich umfassend zu informieren und deshalb auf kostenlose Informationen und Parteiideologien zurückgreift. Da seine Entscheidung so nicht mehr sicher seine „wahren“ Präferenzen wiedergibt, können diese von den Parteien auch schlecht erkannt und umgesetzt werden. Insgesamt ergibt sich daraus ein sehr pessimistisches Bild von der unvollkommenen Funktionsweise demokratischer Wahlsysteme (Braun 1999, 68f.).
- Quote paper
- Claudia Laubstein (Author), 2005, Das Wahlparadox: Eine (un-)lösbare Aufgabe für Rational Choice?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/45085
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