Das 21. Jahrhundert ist, wie kein anderes Jahrhundert zuvor, geprägt von Medien, Information und Kommunikation. Was Menschen früher noch mit körperlicher Arbeit leisten mussten, wird zunehmend durch Maschinen bewerkstelligt. Die Beschäftigungsfelder sind heute, zumindest in den Industriestaaten, mehr und mehr im so genannten Dienstleistungssektor zu finden. Eine der wichtigsten Dienstleistungen ist die Beschaffung, Verarbeitung und Weitergabe von Informationen. Diese werden allgemein durch Prozesse der Kommunikation transportiert und vermittelt.
Die entscheidende technische Errungenschaft, die diese Entwicklung sozusagen einleitete und erst möglich machte wird allgemein in der Erfindung des Buchdrucks gesehen - also mit dem Druck Gutenbergs berühmter Bibel von 1452 bis 1455 in Mainz. Mit der Möglichkeit Bücher in Massen zu (re)produzieren und zu publizieren, war der Startschuss der massenmedialen Kommunikation gefallen. Als sich dann im 20. Jahrhundert noch Radio, Film und schließlich Fernsehen als Massenmedien etablierten, war der Sprung von der landwirtschaftlich und industriell geprägten Arbeitergesellschaft hin zur Informations- und Kommunikationsgesellschaft geschafft. Der Buchdruck markiert deshalb den entscheidenden Meilenstein dieses Reformationsprozesses, welcher sich analog auch im Modell des demographischen Übergangs der Industriestaaten widerspiegelt.
Ein vergleichbares Phänomen könnte nun ebenfalls die Etablierung des Internets bewirken. Mit Hilfe dieses Mediums, kann in der Kommunikation nicht nur die Zeitlichkeit, sondern erstmals auch die räumliche Determiniertheit des Menschen überwunden werden.
[…] „Dabei findet neben der virtuellen Realität, […] die erweiterte Realität (auf Neudeutsch "Augmented Reality") zunehmend Aufmerksamkeit. Das Ziel: Der Nutzer soll neben der natürlichen Umgebung auch bestimmte extra in sein Gesichtsfeld projizierte Informationen sehen […] - am besten über das Internet.“ […]
(Marsiske Hans-Arthur: Die Geister, die ich rief, Der Spiegel, Juni 2001)
In der folgenden Arbeit soll in einem kurzen Abriss versucht werden, die Art und Weise darzustellen, welche Auswirkungen das Internet auf die Realitätswahrnehmung des Menschen hat, wie sich diese Wahrnehmung verändert, bzw. wie das Internet Wirklichkeit(en) konstruiert.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Wirklichkeitskonstruktion im soziologisch-wissenschaftlichen Sinn
2.1 Der Begriff Konstruktion
2.2 Beobachten und Wirklichkeit
2.3 Wirklichkeitskonstruktion in den Massenmedien
2.4 Wirklichkeitserzeugung – ein langwieriger Prozess
3. Soziale Wirklichkeitskonstruktion durch das Internet
3.1 Das Internet – Ein personalisiertes Massenmedium?
3.2 Konkrete Wirklichkeitskonstruktionen im Internet
3.2.1 Soziale Kognition
3.2.2 Soziale Emotion
3.2.3 Soziale Motivation
3.2.4 Einstellungen
3.2.5 Soziale Repräsentationen
4. Ausblick
5. Literaturverzeichnis
6. Anhang
1. Einleitung
Das 21. Jahrhundert ist, wie kein anderes Jahrhundert zuvor, geprägt von Medien, Information und Kommunikation. Was Menschen früher noch mit körperlicher Arbeit leisten mussten, wird zunehmend durch Maschinen bewerkstelligt. Die Beschäftigungsfelder sind heute, zumindest in den Industriestaaten, mehr und mehr im so genannten Dienstleistungssektor zu finden. Eine der wichtigsten Dienstleistungen ist die Beschaffung, Verarbeitung und Weitergabe von Informationen. Diese werden allgemein durch Prozesse der Kommunikation transportiert und vermittelt.
Die entscheidende technische Errungenschaft, die diese Entwicklung sozusagen einleitete und erst möglich machte wird allgemein in der Erfindung des Buchdrucks gesehen - also mit dem Druck Gutenbergs berühmter Bibel von 1452 bis 1455 in Mainz. Mit der Möglichkeit Bücher in Massen zu (re)produzieren und zu publizieren, war der Startschuss der massenmedialen Kommunikation gefallen. Als sich dann im 20. Jahrhundert noch Radio, Film und schließlich Fernsehen als Massenmedien etablierten, war der Sprung von der landwirtschaftlich und industriell geprägten Arbeitergesellschaft hin zur Informations- und Kommunikationsgesellschaft geschafft. Der Buchdruck markiert deshalb den entscheidenden Meilenstein dieses Reformationsprozesses, welcher sich analog auch im Modell des demographischen Übergangs der Industriestaaten widerspiegelt.
Ein vergleichbares Phänomen könnte nun ebenfalls die Etablierung des Internets bewirken. Mit Hilfe dieses Mediums, kann in der Kommunikation nicht nur die Zeitlichkeit, sondern erstmals auch die räumliche Determiniertheit des Menschen überwunden werden.
[…] „Dabei findet neben der virtuellen Realität, […] die erweiterte Realität (auf Neudeutsch "Augmented Reality") zunehmend Aufmerksamkeit. Das Ziel: Der Nutzer soll neben der natürlichen Umgebung auch bestimmte extra in sein Gesichtsfeld projizierte Informationen sehen […] - am besten über das Internet.“ […]
(Marsiske Hans-Arthur: Die Geister, die ich rief, Der Spiegel, Juni 2001)
Mobilität - aber auch Individualisierung lauten in der heutigen Gesellschaft die neuen Stichwörter. Man kann mittlerweile schon unterwegs seine Mails abrufen. Filme schaut man einfach zwischendurch auf seinem Notebook. Online-Shopping ohne Bank ist auch schon längst Realität.
In der folgenden Arbeit soll in einem kurzen Abriss versucht werden, die Art und Weise darzustellen, welche Auswirkungen das Internet auf die Realitätswahrnehmung des Menschen hat, wie sich diese Wahrnehmung verändert, bzw. wie das Internet Wirklichkeit(en) konstruiert.
2. Wirklichkeitskonstruktion im soziologisch-wissenschaftlichen Sinn
2.1 Der Begriff Konstruktion
Wenn Wirklichkeitskonstruktionen im Allgemeinen analysiert und dargestellt werden soll, gilt es erst einmal zu klären, was denn in der Wissenschaft überhaupt unter Konstruktion, bzw. unter Konstruktivismus verstanden wird.
Zunächst einmal gilt es ein Missverständnis auszuräumen, dass im Zusammenhang mit dem Begriff Konstruktion wieder und wieder entsteht. Unter Konstruktion im wissenschaftlichen Sinne ist nicht die umgangssprachliche Bedeutung gemeint, also eben nicht eine planvolle oder intentionale Herstellung von Objekten. Vielmehr benutzen Konstruktivisten dieses Wort,
„um Prozesse zu bezeichnen, in deren Verlauf Wirklichkeitsentwürfe sich herausbilden, und zwar keineswegs willkürlich, sondern gemäß den biologischen, kognitiven uns soziokulturellen Bedingungen, denen sozialisierte Individuen in ihrer sozialen und natürlichen Umwelt unterworfen sind.“ (Merten, Klaus: Die Wirklichkeit der Medien, S. 5)
Es handelt bei Konstruktionen im wissenschaftlichen Sinn also vielmehr um unterbewusste Prozesse, die das Individuum selbst oft nicht realisiert. Teilweise werden diese Prozesse quasi anerzogen, was bedeutet man übernimmt Verhaltensmuster und Anschauungen aus dem unmittelbaren sozialen Umfeld und teilweise resultieren Handlungs- und Wahrnehmungsmuster - es sind genau diese, die einem unterbewussten Prozess konstruiert werden - aus bereits selbst gemachten Erfahrungen.
Daraus erscheint es auch logisch, dass alle Konstruktionen - und eben auch die Konstruktion unserer Wirklichkeit – überhaupt erst dann bemerkt und beschrieben werden können, wenn sie von einer zweiten Beobachtungsebene betrachtet werden. Wenn wir also beobachten, „wie wir beobachten, handeln und kommunizieren.“ (ebenda, S.5) Der Konstruktivismus wird daher auch als Theorie der Beobachtung zweiter Ordnung bezeichnet.
2.2 Beobachten und Wirklichkeit
„[…] dass die Dinge, die wir anschauen, nicht das an sich selbst sind, wofür wir sie anschauen […] und als Erscheinungen nicht an sich selbst, sondern nur in uns existieren können.“ (Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 59. In: Merten, S. 6)
Die entscheidende Grundlage um überhaupt Konstruktionen und damit auch Wirklichkeit im abstrakten Sinn beschreiben und analysieren zu können, liegt in der Wahrnehmung, bzw. im Beobachten dieser Prozesse. Beobachtungen können allerdings immer nur bedingt objektiv sein, da der Beobachtende ja genauso Mensch ist, wie gegebenenfalls der Beobachtete. Er ist genauso seiner biologischen Situation unterworfen und kann im Augenblick des Wahrnehmens nicht sein Wahrnehmen selbst beobachten. Man spricht in der Wissenschaft diesbezüglich auch vom blinden Fleck des Systems, in dem es sich eben nicht selbst beobachten kann. In Anlehnung an Spencer Browns Konzept der Wahrnehmung und des Erkennens „als die Einführung und Weiterbearbeitung von Unterscheidungen“ (ebenda, S.6), entwickelt Niklas Luhmann seine Theorie des operativen Konstruktivismus. Sie basiert darauf, dass Beobachtungen Operationen sind. Um zu entscheiden, welche Operation durchgeführt, also was genau beobachtet werden soll, muss man Unterscheidungen treffen, an die sich dann immer weitere Unterscheidungen anschließen.
Wenn man diesen Prozess genau betrachtet, wird klar, dass es eine unendlich große Anzahl an Möglichkeiten gibt für welche „Unterscheidungsreihe“ man sich entscheidet. Dazu kommt, dass vermutlich jedes Individuum eine andere wählt, weil es eben der Subjektivität unterworfen ist. Dabei ist zu betonen, dass die Unterscheidungen nicht willkürlich getroffen werden,
„denn im Wahrnehmen, Erkennen und Handeln sind beobachtende Systeme „eingebunden“ in ihre Artgeschichte sowie in bisher gemachte Erfahrungen, in Wissen, Kommunikation, Normen, Konsens. […] Damit setzt er als Ausgangspunkt […] eine Differenz (System/Umwelt), die nicht ontologisch interpretiert wird als Zerlegung einer Gesamtrealität in Teile, sondern die gesehen wird als eine stets systemrelative Unterscheidungsleistung: „Es gibt danach keine systemfrei objektivierbare, keine ontologische Welt. Erreichbar ist nur, dass ein System beobachtet, was ein anderes System beobachtet.“ (ebenda, S.7)
Mit System meint Luhmann immer das einzelne Individuum, welches im Gegensatz zur Gesellschaft steht (mit Umwelt bezeichnet), bzw. gleichzeitig auch Teil von ihr ist. Es wird folglich gezeigt, dass es keine systemunabhängige, ontologische Wirklichkeit gibt, sondern es gibt demnach so viele Wirklichkeiten, wie es Systeme gibt, die beobachten. (ebenda, S. 8) Allerdings ist dieser Standpunkt ein radikal konstruktivistischer. In der Praxis verhält es sich wohl eher so, dass die von unserem Gehirn konstruierte Wirklichkeit eine mehr oder weniger soziale Wirklichkeit ist. Damit versucht man dem Umstand Rechnung zu tragen, „dass wir im täglichen Leben […] intuitiv den Eindruck habe, wir lebten doch mehr oder weniger alle in ein und derselben Wirklichkeit.“ (ebenda, S. 10)
2.3 Wirklichkeitskonstruktion in den Massenmedien
Bei Wirklichkeitsempfinden spielen Emotionen eine wichtige Rolle. (vgl. auch 3.2.2) Im streng konstruktivistischen Sinne „erscheinen Gefühle keineswegs als etwas besonders Privates, sondern als Resultat wie als unentbehrlicher Komponente sozialer Interaktion“. (ebenda, S. 11) Sie gelten als kulturelles bzw. gesellschaftlich geteiltes, und generalisiertes Wissen. Unter dem Begriff Kultur wird dabei „der Zusammenhang gesellschaftlich relevanter kommunikativer Thematisierungsmöglichkeiten und ihrer grundlegenden Differenzen“ (ebenda S. 13) verstanden. Solche Differenzen sind zum Beispiel real/fiktiv, gut/böse oder wahr/falsch. In unserer Gesellschaft werden Kultur, Sprache, soziale Rollen, Kleidung, usw. eingesetzt, um das Einordnen und das Verstehen anderer Individuen – was streng genommen objektiv unmöglich ist – partiell zu erleichtern und so ganz pragmatisch Interaktion und Kommunikation zu erleichtern. Darauf basierend ist es auch möglich, dass massenmediale Kommunikation überhaupt in dem allumfassenden Rahmen möglich, wie es heute der Fall ist.
Mit dem Beginn der visuellen Kommunikationsmöglichkeiten - im Besonderen des Fernsehens - tritt das intersubjektive Vermitteln von Wirklichkeiten im Kommunikationsprozess in eine neue Phase. Getreu dem alten Gesetz, dass alles was man sieht auch wahr sei, fällt in den visuellen Medien zunehmend „Anschaulichkeit und Sichtbarkeit mit Wirklichkeit zusammen.“ (Spangenberg 1992: 3f. In: Merten, S. 15)
Hinzu kommt, dass Bilder eine stärkere emotionale Wirkung auslösen, als es vergleichsweise Texte ohne Bilder tun. „Emotional aber […] unterscheidet der Mensch weit weniger zwischen Fiktion und Nichtfiktion: Auch vor dem Fernseher fließen Tränen der Rührung und Wut.“ (ebenda, S. 15)
„Unter Massenkommunikation verstehen wir jene Form der Kommunikation, bei der Aussagen öffentlich, durch technische Verbreitungsmittel, indirekt und einseitig an ein disperses Publikum vermittelt werden.“ (Arnhold, Katja: Digital Divide – Zugangs- oder Wissenskluft? S. 30)
Schon in der Definition ist die Tatsache begründet, dass in der massenmedialen Kommunikation ein individuell produzierter Inhalt an eine gestreute Masse einseitig vermittelt wird. Auf Grund der Visualität wird zudem noch verschleiert, dass es sich bei massenmedialen Inhalten keineswegs um objektivierte Realität handelt, sondern im besten Fall ein bereits selektiertes und bearbeitetes Abbild derselben ist. Mit dem Fernsehen öffnet sich somit kein Fenster zur Welt, wie noch in den 50er Jahren propagiert wurde, sondern vielmehr ein zu unserer Kultur und Gesellschaft. So wird die Komplexität sozialer Erfahrungen und es wird suggeriert, dass funktional differenzierte Gesellschaften „noch einheitlich beobachtbar“ (ebenda, S.17) seien.
Wirklichkeit in einer massenmedial geprägten Gesellschaft, wie der aller Industriestaaten, ist also zunehmend das, was wir selbst über den Mediengebrauch als Wirklichkeit konstruieren, dann daran glauben, entsprechend handeln und kommunizieren. Luhmann beschreibt diese Prozesse als operativen Konstruktivismus.
2.4 Wirklichkeitserzeugung - ein langwieriger Prozess
[…] gemäß poststrukturalistischem Verständnis [werden] die Realität, Vorstellungen von der Realität, und mit ihnen das gespaltene Subjekt durch den Zeichengebrauch in der Kommunikation nicht abgebildet, sondern symbolisch erzeugt.“ (Wenzel, Das Subjekt zwischen Realität und Hyperrealität, In: Neumann-Braun, Klaus: Medien- und Kommunikationssoziologie, S. 141)
Die Grundlage der Erzeugung von Wirklichkeit durch Kommunikation liegt folglich nicht im Individuum, oder in der Gesellschaft, sondern vielmehr in den Zeichensystemen selbst. Das wichtigste Zeichensystem in alltäglicher Kommunikation ist die Sprache. Beim Sprechen verweist man auf Tatsachen, Wahrheiten, usw. Das Zeichensystem der Sprache ist sozusagen das Bezeichnende (Signifikant) und die Informationen, die vermittelt werden dementsprechend das Bezeichnete (Signifikat). (vgl. Saussure)
„Zur Ordnung der Signifikanten gehört es, den unmöglichen Übergang in die nichtsprachliche Welt vorzutäuschen, zu simulieren. Das Ergebnis zeichenhafter Realitätskonstruktionen nennen wir daher Simulakren.“ (ebenda, S.142)
Der Charakter von Simulakren wandelt sich kontinuierlich, analog zu den sich ebenfalls ständig weiter entwickelnden Kommunikationsformen der Gesellschaft. Virtuelle Welten - wie beispielsweise die von Computerspielen - prägen den Alltag erst seit kurzem. Nach Jean Baudrillard vollzieht die Entwicklung der Simulakren ähnlich wie der gesellschaftliche Wandel von der Landwirtschafts- zur Informationsgesellschaft. Primär spricht er von einer prä-simulatorischen und einer simulatorischen Ära. Nach Baudrillard beginnt die Phase der Simulation mit der Auflösung der Ständegesellschaft in der frühen Neuzeit (1500 bis 1800). Davor konnte man schlicht davon ausgehen, dass zwischen den Objekten, den sozialen Praktiken und dem Menschen feste Zuordnungen bestanden, was auch das Empfinden von Wirklichkeit beinhaltete. Mit der Auflösung dieser festen Zuordnungen beginnt also die Zeit der Simulationen.
Er unterteilt die Entstehung simulierter Welten (simulatorische Ära) in drei wesentliche Phasen:
1. Ordnung der Imitation (17./18. Jahrhundert):
„Hier verweist ein Zeichen noch stets auf die Realität, die es abzubilden oder nachzuahmen versucht.“ (ebenda, S. 144). Als Referenzpunkt gilt die Natur.
2. Ordnung der Produktion (19./Anfang 20. Jahrhundert):
Hier entkoppeln sich die Zeichen von der bisherigen Referenzebene Natur, und ersetzen diese durch menschliche Arbeit. Der Beginn der Serienproduktion und damit des Industriezeitalters bewirkt, dass der Austausch von Zeichen unter der Maßgabe erfolgt, „dass der Mensch sich in der Geschichte verwirklichen wird“ (ebenda, S. 144) Es geht maßgeblich um die Differenz von Sein und Schein.
3. Ordnung der Simulation (2. Hälfte 20. Jahrhundert bis heute):
Die Zeichen sind nun endgültig von jeder Referenz losgelöst. Die Einheit von Signifikant und Signifikat (vgl. oben) zerfällt unter der Herrschaft des Codes. Jetzt produzieren die Zeichen nur noch nach Maßgabe der Struktur der Signifikanten. Es wird damit nicht auf eine Realität verwiesen, sondern die Simulakren erzeugen nun „eine ursprungs- und referenzlose Hyperrealität, [die] hier zugleich mit der Simulation auch Realität erzeugt.“ (ebenda, S. 144) Simuliert wird gemäß den Erscheinungen der Mode.
3. Soziale Wirklichkeitskonstruktion durch das Internet
Die Konstruktion von Wirklichkeit als Simulation und Assimilierung von Realität wurde in den vorherigen Abschnitten untersucht und beschrieben. (Soweit man diese Materie überhaupt objektiv beschreiben kann) Dabei spielt, wie schon erwähnt, die Entwicklung und großflächige Durchsetzung der Massenmedien - insbesondere des Fernsehens - eine maßgebliche Rolle. (Definition siehe in 2.3)
Im nächsten Abschnitt soll nun die Funktionsweise der Wirklichkeitskonstruktion durch das Internet im Vergleich zu der der Massenmedien untersucht werden. Als Einstieg ist allerdings zunächst die Frage zu klären, ob man das Internet überhaupt zu den Massenmedien zählen kann oder falls nicht, wie man es sonst einzuordnen und zu bezeichnen hat, sowie welche Rolle es in den massenmedialen Kommunikationsnetzwerken spielt.
3.1 Das Internet - ein personalisiertes Massenmedium?
Bisher war eine interpersonale Kommunikation zweier Individuen nur möglich, wenn sie den gleichen Handlungsraum zur gleichen Zeit teilten. Diese face-to-face Kommunikationsform ist die einzige, die logischerweise personalisiert und von den Kommunikationspartnern direkt wahrnehmbar und wechselseitig beeinflussbar ist.
Mit der Schrift werden erstmalig zwei weitere Kommunikationsformen möglich: Die Fernkommunikation unter eventuell unbekannten Teilnehmern und die Interaktion unter Anwesenden, die sich zwar immer noch im selben Handlungsraum befinden müssen, aber nicht notwendiger Weise in derselben Zeitdimension.
Die massenmediale Kommunikation, im Gegensatz dazu, verläuft einseitig, anonym (öffentlich) und indirekt, und hat als Hauptaufgabe die Schaffung einer generalisierten Grundlage gesellschaftlicher Anschlusskommunikation. Ein weiterer, für die Gesellschaft wichtiger Punkt ist die Herstellung von kollektivem Gedächtnis durch die Massenmedien. Sie dürfen somit weder personalisiert, noch individuell beeinflussbar sein.
Mit der Erfindung des Telefons, ist es das erste Mal mittels eines elektronischen Mediums möglich, Fernkommunikation unabhängig vom Handlungsraum der beteiligten Individuen, aber zeitgleich zu betreiben. Man spricht hier auch von Fernkommunikation in ‚real time’. Sie ist allerdings nur zwischen zwei oder höchstens wenigen Individuen möglich. Von einem personifiziertem Massenmedium kann man hier auf keinen Fall sprechen. Auch kann es eine face-to-face Kommunikation nicht ersetzten, sondern im besten Falle simulieren, da die Beteiligten auf die Gestaltung der Kommunikation zwar weiterhin wechselseitig einwirken, aber letztlich keinen direkten Kontakt mehr zueinander haben.
Welchem Typ von Medien lassen sich nun die neuen telematischen Kommunikationsformen des Internet zuordnen?
„Die Frage ist nicht einfach zu beantworten. Die neuen Kommunikationsmöglichkeiten weisen zumindest einen Aspekt auf, der keine Vorläufer in bisher verfügbaren Formen zu haben scheint und gewissermaßen dem Kommunikationskontext der Moderne fremd ist: die Interaktivität“ (Esposito, Elena: Interaktion, Interaktivität und die Personalisierung der Massenmedien. In: Soziale Systeme 2, S.226)
Unter Interaktivität versteht man die Möglichkeit, als Kommunikationsteilnehmer direkt und unmittelbar, während die Kommunikation am Laufen ist, einzugreifen und die bisherige Einseitigkeit der massenmedialen Fernkommunikation zu überwinden. Demnach ist der Inhalt des obigen Zitates nicht ganz korrekt. Denn als interaktiv lässt sich dann neben dem Internet auch die Kommunikation am Telefon zu bezeichnen.
„Die telematische Interaktivität dagegen ermöglicht es, sofort zu reagieren – dies allerdings im Zuge einer Kommunikation, die fern und anonym abläuft.“ (ebenda, S. 226)
Im Medium Internet fusionieren nun also erstmals personalisierte und interaktive mit massenmedialen Kommunikationsmöglichkeiten. Es wird daher auch als Hybridmedium[1] bezeichnet: Das Internet bietet Möglichkeiten der
Interpersonalen Kommunikation (privat, wechselseitig aber nicht direkt):
Im Gegensatz zur Schrift und zum Telefon ermöglicht das Internet personifizierte Kommunikationen trotz räumlicher und zeitlicher Trennung der Beteiligten. Allerdings bleibt festzuhalten, dass interpersonale Kommunikationen durch das Internet nach wie vor nicht ersetzt werden können. Der/die Mitteilende(n) und der/die Empfänger führen jeweils einen Dialog mit der Maschine und sind nur durch sie, also nicht direkt, miteinander verbunden. Es handelt sich also wieder nur um die Simulation einer interpersonalen Kommunikation, wie schon bei den Massenmedien.
- synchrone Kommunikationsmittel in Internet:
- IRC (Internet Relay Chat): Chat-Rooms, Unmittelbare schriftliche Dialoge
- MUD (Multi User Dungeons) / MUSH (Multi User Shared Hallucination): Online Spiele
- ICQ (I seek you) / Messenger: virtueller Freundeskreise
- asynchrone Kommunikationsmittel im Internet:
- E-mail: elektronische, persönliche Briefkommunikation
- Mailinglisten: schriftliche Diskussionsforen basierend auf Mails
Massenkommunikation (anonym/öffentlich, indirekt, nicht ausschließlich einseitig):
Im Gegensatz zur den Massenmedien findet sich im Internet nicht diese kontrollierte, kanalisierte und generalisierte Ein-Weg-Kommunikation wieder. Der User hat zumindest in einem bestimmten, vorgegebenen Handlungsspielraum die Möglichkeit zu Aktion und zu Reaktion. Jeder einzelne könnte im Internet, bei vorhandenem Know-how seine Meinung publizieren. Dadurch erfüllt das Netz entscheidende Aufgaben der Massenmedien nicht, nämlich Wissen zu generalisieren, kollektives Gedächtnis zu sein, damit die gesellschaftliche Bildungsfunktion zu erfüllen und somit die Gesellschaft politisch und sozial zu stabilisieren. da.
- asynchrone Kommunikationsmittel im Internet:
- Newsgroups: Auf Themen bezogene teils anonyme Austauschforen
- Surfen im World Wide Web: Abrufen von Hypertexten
(ein Hypertext ist eine Sammlung miteinander verbundener Text- und Bildelemente, die zusammen eine Internetseite ergeben)
Auf Grund der Hybridizität des Internets stellt sich die Frage, wie und vor allem welche Wirklichkeiten im bzw. durch das Internet konstruiert werden.
[...]
[1] Der Begriff Hybridmedium sowie die folgenden Absätze sind sinngemäß entnommen aus Arnold, Katja: Digital Divide, S. 29 ff
- Arbeit zitieren
- Oliver Schill (Autor:in), 2005, Soziale Wirklichkeitskonstruktion - die Auswirkungen des Internets auf die Realitätswahrnehmung des Menschen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/45072
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