Niklas Luhmann wendet in „Die Wirtschaft der Gesellschaft“ seine Theorie der sozialen Systeme auf das gesellschaftliche Funktionssystem Wirtschaft an.
Das Kapitel über „das autopoietische System Wirtschaft“ befasst sich daher mit der Rekonstruktion von Wirtschaft aus systemtheoretischer Sicht. Ausgangspunkt für Luhmann ist die vormoderne, auf Tausch beruhende Wirtschaft. Davon ausgehend rekonstruiert er den Übergang zu Eigentums- und später Geldwirtschaft, die sich durch die Herausbildung des rein auf Wirtschaft bezogenen Kommunikationsmediums Geld auszeichnet. Dieses bildet die Knappheit von Gütern ab und macht eine hoch effektive Kommunikation über Knappheiten in Form von Zahlungen bzw. Zahlungserwartungen möglich. Insbesondere ermöglichen Zahlungserwartungen in Form von Preisen reflexive Schlüsse innerhalb der Wirtschaft selbst.
Die moderne Wirtschaft ist dabei über den binären Code Zahlung / Nicht-Zahlung operativ geschlossen, d.h. sie orientiert sich ausschließlich an dieser Unterscheidung. Insbesondere ist sie auf die Optimierung der Zahlungsfähigkeit, d.h. Profit, ausgerichtet. Da nicht alles, was zu Profit führt, gesamtgesellschaftlich wünschenswert ist, muss das Wirtschaftssystem aber
auch nach anderen Vorgaben, etwa ethisch-moralischen, gesteuert werden. Welche Möglichkeiten Luhmann hier sieht und wie er sie bewertet behandelt das Kapitel zur „Selbst- und Fremdsteuerung gesellschaftlicher Teilsysteme“.
Im letzten Kapitel geht es um „Luhmanns Auseinandersetzung mit dem Marxismus“. Er selbst nimmt immer wieder Bezug zur marxistischen Theorie bzw. seiner Ausgestaltung im real existierenden Sozialismus-Kommunismus. Dabei argumentiert er, dass die marxistische Leitdifferenz Arbeit / Kapital weit weniger wichtig für die moderne Wirtschaft ist als Geld, und das dieses in der politischen Ökonomie bzw. deren Kritik nicht entsprechend gewürdigt wurde. Auch helfe die Überwindung des Gegensatzes von Arbeit und Kapital nicht bei dem eigentlich zentralen Problem der Moderne, der Regulierung der Rückwirkungen der gesellschaftlichen Funktionssysteme auf ihre physische und psychische Umwelt. Dabei übersieht Luhmann aber andere Aspekte des Marxismus. Die zentrale gesellschaftliche Stellung von Geld als weit über das Wirtschaftssystem hinausreichendes Motivations- und Steuerungsmittel ist Luhmann beispielsweise bewusst, als Begründungszusammenhang für gesellschaftliche Steuerungsprobleme sieht er es hingegen nicht.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Das autopoietische System Wirtschaft
3. Selbst- und Fremdsteuerung gesellschaftlicher Teilsysteme
4. Luhmanns Auseinandersetzung mit dem Marxismus
5. Zusammenfassung und Fazit
6. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Niklas Luhmann wendet in „Die Wirtschaft der Gesellschaft“[1] seine Theorie der sozialen Systeme auf das gesellschaftliche Funktionssystem Wirtschaft an. Dabei ist seine Monographie keine geschlossene Analyse der Wirtschaft aus systemtheoretischer Sicht, sondern versucht in zehn eigenständigen Essays Wirtschaft mittels der Begriffswelt der Systemtheorie zu erschließen. Diese Beschreibung und ihre Bedeutung für die Wirtschaftsphilosophie wird im Folgenden herausgearbeitet. Aufgrund der thematisch hin und her springenden und teilweise überlappenden Struktur der einzelnen Essays der „Wirtschaft der Gesellschaft“ folgt der Aufbau dabei nicht deren Reihenfolge, sondern der Entwicklungslogik des Systems Wirtschaft und versucht dabei im Vorbeigehen auf die zugrunde liegende Systemtheorie einzugehen.
Das Kapitel über „das autopoietische System Wirtschaft“ befasst sich daher mit der Rekonstruktion von Wirtschaft aus systemtheoretischer Sicht. Ausgangspunkt für Luhmann ist die vormoderne, auf Tausch beruhende Wirtschaft. Davon ausgehend rekonstruiert er den Übergang zu Eigentums- und später Geldwirtschaft, die sich durch die Herausbildung des rein auf Wirtschaft bezogenen Kommunikationsmediums Geld auszeichnet. Dieses bildet die Knappheit von Gütern ab und macht eine hoch effektive Kommunikation über Knappheiten in Form von Zahlungen bzw. Zahlungserwartungen möglich. Insbesondere ermöglichen Zahlungserwartungen in Form von Preisen reflexive Schlüsse innerhalb der Wirtschaft selbst.
Die moderne Wirtschaft ist dabei über den binären Code Zahlung / Nicht-Zahlung operativ geschlossen, d.h. sie orientiert sich ausschließlich an dieser Unterscheidung. Insbesondere ist sie auf die Optimierung der Zahlungsfähigkeit, d.h. Profit, ausgerichtet. Da nicht alles, was zu Profit führt, gesamtgesellschaftlich wünschenswert ist, muss das Wirtschaftssystem aber auch nach anderen Vorgaben, etwa ethisch-moralischen, gesteuert werden. Welche Möglichkeiten Luhmann hier sieht und wie er sie bewertet behandelt das Kapitel zur „Selbst- und Fremdsteuerung gesellschaftlicher Teilsysteme“.
Im letzten Kapitel geht es um „Luhmanns Auseinandersetzung mit dem Marxismus“. Er selbst nimmt immer wieder Bezug zur marxistischen Theorie bzw. seiner Ausgestaltung im real existierenden Sozialismus-Kommunismus. Dabei argumentiert er, dass die marxistische Leitdifferenz Arbeit / Kapital weit weniger wichtig für die moderne Wirtschaft ist als Geld, und das dieses in der politischen Ökonomie bzw. deren Kritik nicht entsprechend gewürdigt wurde. Auch helfe die Überwindung des Gegensatzes von Arbeit und Kapital nicht bei dem eigentlich zentralen Problem der Moderne, der Regulierung der Rückwirkungen der gesellschaftlichen Funktionssysteme auf ihre physische und psychische Umwelt. Dabei übersieht Luhmann aber andere Aspekte des Marxismus. Die zentrale gesellschaftliche Stellung von Geld als weit über das Wirtschaftssystem hinausreichendes Motivations- und Steuerungsmittel ist Luhmann beispielsweise bewusst, als Begründungszusammenhang für gesellschaftliche Steuerungsprobleme sieht er es hingegen nicht.
Im Fazit werden der Gedankengang zur Wirtschaft und ihre Steuerbarkeit im Lichte der Systemtheorie nochmal zusammenfassend nachvollzogen und darauf reflektiert, unter welchen Bedingungen Steuerung möglich wäre. Das dieser Ausblick nicht allzu optimistisch ist, sollte dem mit der luhmann'schen Weltsicht Vertrauten nicht überraschen.
2. Das autopoietische System Wirtschaft
Thema von Wirtschaft ist für Luhmann Knappheit, wobei diese nicht mit der Endlichkeit einer Ressource identisch ist. (DWDG S. 177) Stattdessen ist Knappheit ein sozialer Zustand, der entsteht, wenn der Zugriff auf eine Ressource eingeschränkt wird: „Wir verstehen diese Operation als Zugriff auf eine Menge unter der Bedingung, dass der Zugriff die Möglichkeit weiterer Zugriffe beschränkt.“ (DWDG S. 179) Die Motivation zur Zugriffsbeschränkung sieht Luhmann dabei in der Konkurrenz um endliche Mittel und dem Bedürfnis nach Vorsorge: „Jeder muss, weil auch andere interessiert sind und interferieren werden, langfristig vorsorgen, und dieses Vorsorgen macht alle Güter knapp; denn jeder möchte für seine Zukunft reservieren, was ein anderer gegenwärtig braucht.“ (DWDG S. 64) Die Vermittlung zwischen den gegenwärtigen und zukünftigen Bedürfnissen verschiedener Akteure ist daher die Funktion von Wirtschaft.
Knappheit ist dabei selbstreferentiell: Sie motiviert zum reservierendem Zugriff und erhöht dadurch die Knappheit, welche wiederum zu erhöhter Zugriffsmotivation führt. Paradoxerweise schafft Zugriff also das, was er beseitigen soll. (DWDG S. 179) Das Paradoxon lässt sich auflösen, indem die konkreten Akteure betrachtet werden: Für den Zugreifenden wird die Knappheit geringer, für alle anderen aber größer. Diese Aufteilung eines beobachteten Systems in zwei Teile oder Ebenen, welche die Auflösung eines Paradoxons möglich macht, nennt Luhmann Bifurkation [2]. (DWDG S. 181)
Im Fall der Wirtschaft „kondensiert“ Knappheit zu der Unterscheidung Haben und Nicht-Haben bzw. stratifiziert die Gesellschaft in Habende und Nicht-Habende. Die Paradoxie der Knappheit wird dadurch unsichtbar und zeigt sich nur noch in Form von Verteilungsproblemen oder der Legitimation von Ungleichheit, welche jedoch die Funktion von Wirtschaft nicht grundlegend in Frage stellen. (DWDG S. 182)
Wie aber können soziale Akteure ihren Anspruch auf Zugriff durchsetzen bzw. welche Ansprüche werden als legitim erachtet? In der Vormoderne wurde diese Frage durch eine „moralische Ökonomie“ beantwortet, indem in kosmologischen Entwürfen[3] auch geklärt wurde, wem – abhängig etwa von Stand und Tugendhaftigkeit – was und wie viel zustand. (DWDG S. 185) Diese naturrechtliche Konzeption von Wirtschaft war aber spätestens im 18. Jahrhundert nicht mehr mit der komplexer werden Wirklichkeit vereinbar. Stattdessen wurde die Bifurkation von Haben und Nicht-Haben zeitlich fortgeschrieben in Eigentum übersetzt: „Wer etwas hat, kann diese Habe immer wieder benutzen. Wer etwas nicht hat, dem fehlt dieses Etwas immer wieder.“[4] (DWDG S. 188) Eigentum ist dabei eine gegenüber der „moralischen Ökonomie“ andere, und, wie sich herausstellte, leistungsfähigere Form, Vorsorgesicherheit zu schaffen.
Der Übergang von Eigentum erfolgt durch Tausch, genauer durch den Wechsel des einen Tauschpartners vom Eigentümer zum Nicht-Eigentümer und des anderen vom Nicht-Eigentümer zum Eigentümer. Wirtschaft kann daher nicht auf Eigentümer beschränkt gedacht werden, da dann Tausch unmöglich wäre: „Der Eigentumscode sagt mithin, daß in Bezug auf alle eigentumsfähigen Güter jeder Eigentümer oder Nichteigentümer ist und daß dritte Möglichkeiten ausgeschlossen sind.“ (DWDG S. 189) Das heißt allerdings auch, dass alle bis auf den Eigentümer akzeptieren müssen, keine Zugriff auf eine Ressource zu haben. Daher bezeichnet Luhmann die Etablierung des Konzepts Eigentum als „evolutionär […] extrem unwahrscheinlich“. (DWDG S. 189) Auf der anderen Seite motivierte die Notwendigkeit Eigentum zu akzeptieren, um am Wirtschaftssystem teilhaben zu können, auch Nicht-Habende zur Achtung des Eigentums anderer.[5]
Eine auf Eigentum basierende Wirtschaft ist noch nicht notwendigerweise eine Geldwirtschaft, sie kann und war historisch lange Zeit auf den Tausch von Sacheigentum ausgerichtet. Tausch ist dann immer ein direkter Tausch von Gütern, etwa ein Paar Schuhe gegen eine bestimmte Menge Äpfel oder Gold. Insbesondere Geld ist in seiner frühen Form als Edelmetallmünze ein praktisches, einfach zu handhabendes Tauschgut, das grundsätzlich keine andere Bedeutung hat als jedes andere Gut, dass eine gewisse Nachfrage und daher einen bestimmten ökonomischen Wert hat. (DWDG S. 230) Der Übergang zur Geldwirtschaft geschieht allmählich, sein Kennzeichen ist die immer größer werdende Menge der für Geld eintauschbaren Dinge[6]. Dahinter verbirgt sich das Aufbrechen des Tausches von Gut gegen Gut zu Ware gegen Geld und Geld gegen Ware, wodurch die Flexibilität des Tausches erheblich erhöht wird. In der Folge wird Eigentum als Geld zweitkodiert, Geld wird zu einem symbolisch generalisierten Kommunikationsmedium [7], dass die Werte der Güter ausdrückt und damit Knappheit dupliziert. Die Knappheit der Dinge entspricht der Knappheit des Geldes. (DWDG S. 197)
Das macht es möglich, wirtschaftliche Operationen in der Hauptsache im Kommunikationsmedium durchzuführen und den Tausch realer Güter als nachgelagert und gegebenenfalls optional zu behandeln. Aus dem Gütertausch Sacheigentum → Geld → Sacheigentum wird der Geldtausch Geld → Sacheigentum → Geld. (DWDG S. 197) Dieser Perspektivenwechsel ermöglicht eine vom konkreten Sacheigentum abstrahierende Selbststeuerung des Wirtschaftssystems in Hinblick auf die Vermehrung von Geld, d.h. Profit. (DWDG S. 56)
Die Codierung von Knappheit durch Geld hat weitere Vorteile. So ist Geld beliebig quantifizierbar, d.h. es kann beliebig viel oder wenig sein. Dadurch werden Grenzen bei der Anhäufung von Eigentum[8] genauso hinfällig wie Mindestwerte, mit denen wirtschaftlich sinnvoll operiert werden kann.[9] Außerdem können Wertvorstellungen nun rein auf Knappheit bezogen werden. In einer Tauschwirtschaft hängt der Tauschwert immer auch vom sozialen Status der Beteiligten und der konkreten Gegenleistung ab, wodurch wirtschaftliches Handeln nie frei von außer-wirtschaftlichen Einflüssen bleibt. (DWDG S. 199 – 200) Der Tausch gegen Geld hingegen hilft, wirtschaftliche Operationen vom Rest des Systems zu entkoppeln: „..wenn jemand im Interesse der eigenen Zukunft andere vom Zugriff auf Ressourcen ausschließt. Die Frage ist: Wann und wie darf er das? … Die Antwort, die das Kommunikationsmedium Geld ermöglicht, lautet: Wenn er zahlt.“ (DWDG S. 252) Diese Universalisierung des Geldes in Bezug auf Wirtschaft macht es möglich, jeden Wert als Geldwert auszudrücken. Die Kehrseite diese Entwicklung ist natürlich, dass das sozial Verbindende des Tausches verloren geht. An die Stelle einer komplexen sozialen Interaktion tritt die anonyme Zahlung von Geld. Darin sieht Luhmann eine entwicklungsgeschichtlich notwendige Spezifikation.
Diese Vereinfachung von Wirtschaft auf Zahlungen ist Voraussetzung für die Ausdifferenzierung von Wirtschaft als eigenständiges Teilsystem der Gesellschaft.[10] Wirtschaft ist nun überall und nur dort, wo gezahlt oder (trotz der Möglichkeit) nicht gezahlt wird. Diese Reduktion auf zwei Möglichkeiten nennt Luhmann eine binäre Codierung. Dabei sind Zahlungen zeitlich punktuelle Ereignisse, die ständig wiederholt werden müssen, damit Wirtschaft existiert: „Das System besteht nur, wenn und soweit gezahlt und nicht gezahlt wird.“ (DWDG S. 243 / 53). Zahlungen finden also nicht innerhalb der Wirtschaft statt, sondern Zahlungen sind die Wirtschaft. Dabei ist Zahlung die gegenüber der Nicht-Zahlung anschlussfähige bzw. systemerhaltende Operation, da sie die Zahlungsfähigkeit weitergibt und somit weitere Zahlungen möglich macht. Zahlungen setzen also Zahlungen voraus und machen wiederum Zahlungen möglich, sie konstituieren autopoietisch[11] das System Wirtschaft.[12] (DWDG S. 52f)
Zahlungen können von den Akteuren des Wirtschaftssystems beobachtet und reflektiert, die daraus entstehenden Erwartungen hinsichtlich zukünftiger Zahlungen als Preis einer Ware kommuniziert werden. (DWDG S. 55) Eine nicht notwendigerweise vorhandene Öffentlichkeit der Preise bezeichnet Luhmann als Markt, der es den Akteuren des Wirtschaftssystems ermöglicht, Überblickswissen über das Wirtschaftssystem zu erlangen: „Als Markt kann man dann die wirtschaftsinterne Umwelt der partizipierenden Systeme des Wirtschaftssystems ansehen“. (DWDG S. 94) Der Markt kann insbesondere über zu erzielende Preise, Absatzmöglichkeiten und Konkurrenz Auskunft geben. Er ermöglicht eine effektivere Selbststeuerung der wirtschaftlichen Akteure. (DWDG S. 105)
3. Selbst- und Fremdsteuerung gesellschaftlicher Teilsysteme
Unter Steuerung versteht Luhmann „das Bemühen um die Verringerung der Differenz“ (DWDG S. 328), und zwar innerhalb eines Systems. Wirtschaft orientiert sich ausschließlich am Code Zahlung / Nicht-Zahlung, und da jede Zahlung oder Nicht-Zahlung Teil der Wirtschaft ist, kann es keinen Einfluss von außen auf das Wirtschaftssystem geben. „In der Außenwelt gibt es weder Inputs noch Outputs, weder Informationen noch Möglichkeitsbereiche. Die Außenwelt ist, was sie ist: stur, möglichkeitslos und unbekannt.“ (DWDG S. 334)
Dabei hat das System Wirtschaft innerhalb seines binären Codes eine klare Präferenz: Zahlen ist besser als nicht zahlen (DWDG S. 339). Die Selbststeuerung der Wirtschaft zielt daher auf die Maximierung der Zahlungsfähigkeit, auf die Vermehrung des Geldes, also Profit. (DWDG S. 5) Wirtschaft, wie auch jedes andere gesellschaftliche Teilsystem, verfolgt daher ein bestimmtes Gut[13], das aber totalitär: „Jeder binäre Code beansprucht weltuniversale Geltung, aber nur für seine Perspektive.“[14]
Allerdings muss sich jedes System auf seine Umwelt einstellen bzw. auf Änderungen in dieser reagieren. Wenn etwa Kaffee durch schlechte Ernten knapp wird, steigen die Preise. Dies ist für Luhmann aber keine direkte Reaktion des Systems auf Umweltveränderungen: „Der Zusammenhang zwischen System und Umwelt wird vielmehr dadurch hergestellt, daß das System seine Selbstreproduktion […] gegen die Umwelt abschließt und nur ausnahmsweise […] durch Faktoren der Umwelt irritiert, aufgeschaukelt, in Schwingung versetzt werden kann.“[15] Änderungen in der Umwelt können also eine Resonanz im System verursachen, müssen es aber nicht.
Obwohl der Erfolg einer externen Einflussnahme auf ein System also ungewiss ist, können die Teilsysteme der Gesellschaft versuchen, durch Anwendung ihres binären Codes auf die Umwelt anderen Teilsysteme[16] diese zu steuern. So kann beispielsweise die Wirtschaft versuchen, über Schmiergeldzahlungen das politische System zu beeinflussen, oder Erkenntnisse in der wissenschaftlichen Forschung neue Produkte und damit Profitquellen möglich machen.
Nicht möglich hingegen ist die Substitution eines Teilsystems durch ein anderes. Aufgrund der funktionalen Differenzierung bzw. den unterschiedlichen binären Codes kann kein Teilsystem dem anderen einen Teil seiner Zuständigkeit abnehmen.[17] Politik kann Wirtschaft beeinflussen, indem sie Zahlungen leistet – dann agieren die politischen Akteure als Teil des Wirtschaftssystems – oder Knappheiten, beispielsweise durch erhöhte Umweltschutzauflagen, verändert – dann sind die Maßnahmen der Politik Teil der Umwelt des Wirtschaftssystems, und die Politik muss auf entsprechende Resonanzen hoffen. Eine politische Wirtschaft, in der beispielsweise Preise oder Produktionsprogramme durch die Politik direkt festgelegt werden, wäre hingegen ein Rückfall in die vormoderne „moralische Ökonomie“ und zöge entsprechende Effizienzverluste nach sich.
Gesellschaftliche Teilsysteme können also versuchen, anderen Systeme über Resonanzen in ihrem Sinne zu steuern. Inwieweit sie damit erfolgreich sind, hängt von der konkreten Situation ab und lässt sich schwer vorhersagen.[18] Unklar bleibt aber vor allem, wie eine Steuerung in Bezug auf das Wohl der Gesellschaft als Ganzes erfolgen kann.[19] Das aus dem hobb'schen „Kampf aller gegen alle“, d.h. dem Ringen der Teilsysteme um eine möglichst weitgehende Steuerung aller anderen Teilsysteme in ihrem Sinne, einfach so eine gesamtgesellschaftlich optimale Steuerung herauskommt, erscheint zweifelhaft. Dies gilt insbesondere in Anbetracht möglicher Rückwirkungen auf die Systemumwelt: „Man muss mindestens auch mit der Möglichkeit rechnen, daß ein System so auf seine Umwelt einwirkt, daß es später in dieser Umwelt nicht mehr existieren kann.“[20] Ohne steuerndes Eingreifen droht im schlimmsten Fall der selbst verursachte Zusammenbruch der Autopoiesis.
Eine Selbststeuerung durch Gesellschaftssystem selbst schließt Luhmann aus: „Die Gesellschaft selbst hat alle Probleme [an ihre Teilsysteme, Anm. d. Verf.] delegiert und besitzt daher keine Agenturen ...“ um die Funktionssysteme zu überwachen. Daher „... gibt es im strengen Sinne keine Selbststeuerung der Gesellschaft auf Ebene des Gesamtsystems.“[21] (DWDG 140f)
Ein anderer klassischer Ansatz ist Moral bzw. Ethik (verstanden als Reflexions- und Begründungstheorie von Moral), beispielsweise als Wirtschaftsethik, die dem Unternehmenslenker „do's and don'ts“ zur Seite stellt. Der binäre Code von Moral ist gut / schlecht bzw. gut / böse, dieser wird kommuniziert durch Achtung oder Missachtung eines Akteurs.[22] Das zentrale Problem moralischer Steuerungsversuche ist, dass sich ihr Code nicht in den Code der Zielsysteme einbetten lässt: „In keinem dieser Fälle [hier: Wissenschaft und Politik, Anm. d. Verf.] können die beiden Werte dieser Codes [d.h. der binären Codes von Wissenschaft oder Politik, Anm. d. Verf.] mit den beiden Werten des Moralcodes kongruent gesetzt werden.“[23] Wird Wirtschaft trotzdem nach moralischen Erwägungen gesteuert, kann sie wahrscheinlich nicht mehr optimal in Sinne der Maximierung von Zahlungsfähigkeit arbeiten (s.o.). Dies ist besonderes relevant in marktwirtschaftlichen Systemen, in denen die schlechtere Wirtschaftlichkeit eines Akteurs zu seinem Ausscheiden aus dem Wirtschaftssystem führen kann. In der Konsequenz bleiben die Akteure im System, die sich wirtschaftlich und nicht moralisch optimal verhalten.
Wenn die Steuerung in Sinne eines Gemeinwohls nicht auf der Ebene der Gesellschaft und auch nicht durch ihre Teilsysteme möglich ist, bleibt immerhin noch das „System Mensch“, dass über private Erfahrungen und öffentliche Kommunikation Einblick in die Funktionssysteme hat und ihre Wirkung bewerten kann.[24] Luhmann sieht von diesem Urteil über die Gesellschaft aber keinen direkten Weg in die Gesellschaft bzw. ihre Funktionssysteme: „Gleichermaßen symptomatisch sind alle Versuche, die Gesellschaft vom exaltierten Standpunkt des Subjekts aus […] zu beurteilen und zu verurteilen. Das besagt nichts anderes als: die Einheit der Gesellschaft in ein Prinzip außerhalb ihrer selbst zu verlegen.“[25]
Menschen können sich aber der einzelnen Teilsysteme bedienen, um auf das Gesamtsystem in ihrem Sinne einzuwirken.[26] Von besonderer Bedeutung ist hier das Teilsystem Politik, dessen Funktion die Herbeiführung kollektiv bindender Entscheidungen für die gesamte Gesellschaft ist.[27] Es ist daher prädestiniert für die Rolle des Agenten der gesamtgesellschaftlichen Steuerung und, zumindest in einer Demokratie, über den binären Code Macht / Nicht-Macht (bzw. Regierung / Opposition) an die Urteile der Menschen über die Gesellschaft gekoppelt. Diese Konstellation, bei der die Regierung auf Wunsch ihrer Wähler versucht in die gesellschaftlichen Funktionssysteme steuernd einzugreifen, nennt Luhmann Wohlfahrtsstaat.[28] [29] Wie jeder Versuch von gesellschaftlichen Teilsystemen, in andere Systeme steuernd einzugreifen, ist aber auch der Erfolg politischer Steuerung ungewiss. Allzu oft haben staatlichen Eingriffe in die Wirtschaft mehr negative als positive Folgen, und oftmals auch ganz andere als beabsichtigt bzw. vorhergesagt. Ein weiteres Problem ist die Bürokratie, die zur Umsetzung der politischen Steuerung notwendig ist, da diese aufgrund ihres grundsätzlich unbegrenzten Wachstums teuer und langsam werden kann.[30] Insgesamt ist Luhmann skeptisch, ob der Wohlfahrtsstaat sein Versprechen der gesamtgesellschaftlichen Steuerung nach den Vorgaben der Wähler einhalten kann.
4. Luhmanns Auseinandersetzung mit dem Marxismus
Luhmann nimmt in „Die Wirtschaft der Gesellschaft“ immer wieder Bezug auf die marxistischen Theorie bzw. dem zur Zeit der Verfassung noch real existierenden Sozialismus-Kommunismus. Er stellt fest, dass die klassische politische Ökonomie und ihre Kritik eine Reaktion auf die geldgesteuerte Ausdifferenzierung der Wirtschaft und ihre ökonomischen und sozialen Folgen war[31], die Bedeutung des Geldes aber nicht hinreichend erfasst wurde. Stattdessen kreisen die Theorien von den Physiokraten bis Marx um die Produktion und die dazu notwendigen Produktionsfaktoren. (DWDG S. 44) Geld wird als Verteilungsinstrument aufgefasst und bleibt daher der Produktion nachgeordnet. Die marxistische Theorie stellt stattdessen Arbeit und Kapital in den Mittelpunkt. Dadurch sei es ihr nicht möglich, zu einer adäquaten Theorie der modernen Wirtschaft vorzudringen. (DWDG S. 45f)
Die marxistische Leitdifferenz Kapital / Arbeit kritisiert er grundsätzlich, da sie die Pluralität der modernen Gesellschaft nicht adäquat abbilde. So sei bei Konflikten zwischen Kapitaleigentümern und Arbeitern die Zahlung von Geld ein häufiger Kompromiss, der durch sozialen Druck ermöglicht wird. Weder Geld noch Öffentlichkeit sind aber Bestandteile der Klassenkampftheorie. Daher werde der Gegensatz Arbeit / Kapital „in ernsthaften Bemühungen um ein Verständnis der modernen Gesellschaft […] kaum noch benutzt.“ (DWDG S. 152) Auch sieht er keinen Fortschritt in der Aufhebung des Gegensatzes , also im sozialistisch-kommunistischen System: „Erst recht ist es illusorisch anzunehmen, daß die moderne Gesellschaft bei Wegfall der Differenz von Kapital und Arbeit – also bei Verzicht auf eine rein wirtschaftliche Kalkulation des Kapitaleinsatzes – ein glücklicheres Leben ermögliche.“ (DWDG S. 171) Ganz im Gegenteil: Dies wäre bzw. war ein Rückfall in die weniger leistungsfähige „moralische Ökonomie“.
In der Fokussierung auf Produktion sieht Luhmann eine nicht berechtigte Einschränkung des Wirtschaftsbegriffs, der beispielsweise den privaten Konsum oder Einnahmen aus Umverteilung außen vor lässt. (DWDG S. 164) Die Gleichsetzung von Produktion und Wirtschaft ist für Luhmann eine Folge der industriellen Revolution, die zu Marx Zeiten der treibende wirtschaftliche Faktor und daher ein Symbol für die gesellschaftlichen Konflikte des 19. Jahrhunderts, etwa die „soziale Frage“, war. (DWDG S. 162) Der Erfolg des Marxismus beruhte darauf, das „ausgeschlossene Dritte“ der zusammenführenden, d.h. symbolischen Funktion des Geldes, zu beleuchten.[32] Daher ist er attraktiv für die, die am gesellschaftlichen Reichtum nicht teilhaben.
Trotz dieser Einwände sind Teile der marxistischen Kapitalismuskritik mit der systemtheoretischen Fassung von Wirtschaft kompatibel bzw. lassen sich mit ihr formulieren. So betont Marx die Verselbstständigung des Profitstrebens: Nicht der einzelne Kapitalist und schon gar nicht die, so Luhmann, „vermeintliche[n] Mehrwertabschöpfungsbedürfnisse des Kapitalisten“ (DWDG S. 55), sind ausschlaggebend für den Zwang zum Profit. Es ist das System selbst, dass Profitstreben um den Preis des unternehmerischen Untergangs notwendig macht und dabei keinerlei Respekt vor ethisch-moralischen Grenzziehungen hat: „Die fortwährende Umwälzung der Produktion, die ununterbrochene Erschütterung aller gesellschaftlichen Zustände, die ewige Unsicherheit und Bewegung zeichnet die Bourgeoisepoche vor allen anderen aus.“[33]. Nichts anderes sagt Luhmann, wenn er von der Ablösung der „moralischen Ökonomie“ durch die reflexive Selbstoptimierung der Wirtschaft auf Zahlungsfähigkeit spricht.
Auch die gesamtgesellschaftlich hervorgehobene und allgegenwärtige Bedeutung des Geldes ist Luhmann durchaus bewusst. So zitiert er Kenneth Burke mit den Worten „Geld fungiere als ein »›technical substitute for God‹ in that ›God‹ represented the unitary substance in which all human diversity of motives was grounded«“. (DWDG S. 242) Geld ersetzt also eine ganze Reihe vormals außer-wirtschaftlicher Motivationen und lässt „andere Symbole, etwa die nachbarschaftliche Reziprozität oder die der heilsdienlichen Frömmigkeit […] eintrocknen“. (DWDG S. 242)
Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass auch die anderen Teilsysteme der Gesellschaft Geld benötigen, um Menschen in ihrem Sinne zu motivieren. Das gilt insbesondere für die Systemzwecke realisierenden Organisationen (Behörden, Parteien, Universitäten): „Wer Organisation braucht, braucht Geld.“ (DWDG S. 307) Dies legt nahe, dass alle Teilsysteme der Gesellschaft abhängig von Wirtschaft sind und diese dadurch eine strukturelle Dominanz innerhalb der modernen Gesellschaft hat. „The great affair, we alway find, is to get money.“[34] (DWDG S. 307). Von diesem Standpunkt ist es zu der marxistischen Behauptung, dass der bürgerliche Staat vor allem den Interessen der Kapitalisten, d.h. des Wirtschaftssystems, diene, nicht mehr weit.
Insofern ist die allgemein ablehnende Haltung Luhmanns gegenüber dem Marxismus auch aus Sicht seiner eigenen Theorie kritisch zu sehen. Wenn er die Meinung vertritt, dass „die derzeit wohl zentralen Probleme der modernen Gesellschaft […] in den Rückwirkungen von Umweltveränderungen, die die Gesellschaft ausgelöst hat, […]“ liegen, und das „wir […] nicht voraussetzen [können], daß die Gesellschaft weiterhin mit der Umwelt, die sie schafft, existieren kann“ (DWDG S. 169), dann stellt sich schon die Frage, ob die Schwierigkeiten, die gesamtgesellschaftliche Steuerung auf dieses Problem auszurichten, nicht etwas mit der strukturellen Dominanz von Wirtschaft zu tun haben. Dies gilt auch für seine Kritik des Wohlfahrtsstaates. Die Ursache der Differenz zwischen politischen Versprechen und erzielten Veränderungen müssen nicht Inkompetenz oder strukturelle Ungewissheiten sein. Auch die erfolgreiche Arbeit von Lobbygruppen ist denkbar.
5. Zusammenfassung und Fazit
„Nach Golde drängt, / Am Golde hängt / Doch alles.“[35] [36] Diesem Stoßseufzer von Goethes Gretchen würde Luhmann wohl nicht zustimmen. Geld ist für ihn ein universales Kommunikationsmedium für Knappheit, in dem die Knappheit begehrter Güter dupliziert und somit auf einer rein kommunikativen Ebene handelbar gemacht wird. Durch die Ausdifferenzierung dieses eigenen, d.h. nur auf Knappheit bezogenen Kommunikationsmediums wird Wirtschaft zu einem operativ geschlossenen Funktionssystem der Gesellschaft mit dem binären Code Zahlung / Nicht-Zahlung.[37]
Mit den so gewonnenen Begrifflichkeiten lassen sich einige Steuerungsprobleme moderner Gesellschaften genauer beleuchten. So ergibt sich ein von menschlichen Entscheidungen scheinbar unabhängiges Profitstreben aus der Eigendynamik des Wirtschaftssystems, maximale Zahlungsfähigkeit anzustreben. Dabei schwebt Wirtschaft nicht im leeren Raum, sie hat eine Umwelt die ihre Möglichkeiten begrenzt bzw. bestimmte Operationen teurer und andere günstiger macht. Auf diese können andere Funktionssysteme unter Verwendung ihres binäres Codes einwirken. Diese Steuerung ist aber sehr viel indirekter, als es beispielsweise politische Parteien ihren Wählern versprechen. Die genaue Reaktion („Resonanz“) liegt in der Hand des Systems und ist von außen nicht vorhersehbar.
Insbesondere Moral hält Luhmann für ungeeignet, um die Ausgestaltung von Wirtschaft zu beeinflussen. Er konzipiert diese als eigenes Funktionssystem mit dem binären Code Achtung / Missachtung und stellt fest, dass sich dieser kaum mit anderen Funktionssystemen „kongruent“ machen lässt. Am Ende zählt in der Wirtschaft Zahlungsfähigkeit, und nichts anderes. Darüber hinaus ist für Luhmann die Emanzipation der gesellschaftlichen Teilsysteme von moralischen Vorstellung ein entscheidender Teil der Formung der modernen Gesellschaft: Erst wenn Justiz, Wissenschaft oder eben auch Wirtschaft sich nicht mehr nach moralischen Vorstellungen, sondern nur noch nach ihrem binären Code richten, kann sich die Dynamik der Moderne, und mit ihr Freiheit und Wohlstand, entfalten. Daher sieht Luhmann die Aufgabe der Ethik in einer post-moralischen Zeit vor allem darin, vor Moral zu warnen.[38] Dies ist insbesondere eine (gut begründete) Absage an ideologische Projekte, egal ob rechter, linker oder fundamentalistischer Herkunft, bei denen es immer um die Durchsetzung einer bestimmten gesamtgesellschaftlichen Moral geht.
Auf der anderen Seite sieht Luhmann sehr wohl die Probleme, die sich aus den moralisch entkoppelten Funktionssystemen ergeben. Er betont vor allem die Zerstörung der (System-)Umwelt, wobei er damit nicht nur die Natur sondern im Grunde alles außerhalb der kommunikativen Sphäre der Gesellschaft, und das heißt auch das physisch-psychische System Mensch, meint. (DWDG S. 169). Das Eigenleben der Funktionssysteme ist also Fluch und Segen zugleich. Der Mensch gleicht hier dem Zauberlehrling, der zwar hoch kompetente Besen geschaffen hat, nun aber an deren sinnvoller Steuerung zu scheitern droht.
Luhmann bietet dafür keine Lösung an und zieht sich auf die Position des beschreibenden Sozialwissenschaftlers zurück. Das Angebot der Politik, für die Bürger steuernd in die anderen Systeme einzugreifen, sieht er skeptisch und verweist auf die häufig enttäuschenden Ergebnisse politischer Steuerungsprogramme. Schon gar nicht sieht er die Lösung in einem aufgeklärtem menschlichen Subjekt (dem „mündigen Bürger“), da dieser schlicht keine Möglichkeit habe, in die Funktionssysteme wirkungsvoll einzugreifen. Am Ende ist es für Luhmann ein evolutionäre Frage, ob und wie die Gesellschaft es schafft, sich langfristig zu stabilisieren oder nicht. Wenn nicht tritt an die Stelle der modernen Gesellschaft eben eine andere.
Dieser recht fatalistischen Sichtweise muss man nicht zustimmen. Auch Luhmann bestreitet grundsätzlich nicht, dass eine Steuerung der gesellschaftlichen Funktionssysteme möglich ist. Bedingung ist aber, die Staatsbürger ihr eigenes Verhalten gegenüber den Funktionssystemen genügend reflexiv in Bezug auf ihre eigenen Ziele ausrichten. Insbesondere über Wahlen lassen sich durch Schaffung rechtlicher Rahmenbedingungen, beispielsweise für die Wirtschaft, kollektiv bindende Entscheidungen treffen.
Der Haken dabei ist, dass die Bürger bzw. die Gesellschaft ihre unterschiedlichen Verantwortlichkeiten an die Funktionssysteme delegiert und daher nun eine begrenzte Kompetenz zur Beurteilung der Handlungen dieser haben. So kann der Laie kaum entscheiden, ob eine bestimmte handelspolitische Regelung nun in seinem Sinne ist oder nicht.[39] Hinzu kommt die strukturelle Macht des Geldes, welche insbesondere dem Wirtschaftssystem besondere Möglichkeiten gibt, etwa über Werbung und Lobbyarbeit auf die Gesellschaft einzuwirken. Zwischen Bürger und Funktionssystem besteht daher ein Principle-Agent-Dilemma[40], dass wenig öffentlich reflektiert und eher über Stimmungen – etwa Konsumkritik oder Politikverdrossenheit – in der Bevölkerung sichtbar wird.
Eine gewisse allgemeine Kompetenz in der Beurteilung etwa juristischer, politischer oder eben wirtschaftlicher Vorgänge wäre notwendig, um über die bestehenden Rückkopplungsmechanismen zwischen Menschen und Funktionssystemen[41] die Gesellschaft nach den Interessen der Menschen zu steuern. Das scheint zurzeit für die Mehrheit der Bevölkerung aber illusorisch zu sein.[42] Stattdessen bleibt es vorerst wohl bei dem von Luhmann recht treffend beschriebenen Eigenleben der Wirtschaft und den hoffentlich erfolgreichen Versuchen einzelner gesellschaftlicher Gruppen, dabei das schlimmste für Mensch und Umwelt zu verhindern.
6. Literaturverzeichnis
Brunczel, Balázs: Disillusioning Modernity. Niklas Luhmann's Social and Political Theory. Peter Lang, Frankfurt am Main 2010.
Luhmann, Niklas: Die Wirtschaft der Gesellschaft. 2. Aufl., Suhrkamp, Frankfurt am Main 1989.
Luhmann, Niklas: Ökologische Kommunikation. Kann die moderne Gesellschaft sich auf ökologische Gefährdungen einstellen? 3. Aufl., Westdeutscher Verlag, Opladen, 1990.
Luhmann, Niklas: Paradigm lost: Über die ethische Reflexion der Moral. Rede von Niklas Luhmann anläßlich der Verleihung des Hegel-Preises 1989. 2. Aufl., Suhrkamp, Frankfurt am Main 1991.
Reese-Schäfer, Walter: Luhmann. Zur Einführung. Junius, Hamburg 1992.
Schweppenhäuser, Gerhard: Grundbegriffe der Ethik. Zur Einführung. Junius, Hamburg 2003.
Seiler, Christoph: Die Diskursethik im Spannungsfeld von Systemtheorie und Differenzphilosophie. Habermas – Luhmann – Lyotard. Springer, Wiesbaden 2014.
[1] Luhmann, Niklas: Die Wirtschaft der Gesellschaft. 2. Aufl., Suhrkamp, Frankfurt am Main 1989. Verweise auf Textstellen in „Die Wirtschaft der Gesellschaft“ sind mit dem Kürzel DWDG gefolgt von der Angabe der Seite in den Fließtext eingefügt.
[2] Von lateinisch bi = zwei und furca = Gabel.
[3] Kosmos (altgriechisch) = die schöne Ordnung, wobei schön nicht nur ästhetisch sondern auch moralisch und in diesem Sinne als richtig verstanden wurde.
[4] Das Haben dasselbe ist wie Eigentum und dieses zeitlich unbefristet gilt, erscheint uns heute fast tautologisch. Es ist aber keineswegs selbstverständlich, dass Zugriffsansprüche nicht zeitlich oder kontextuell beschränkt gewährt werden.
[5] Luhmann scheint dieser Begründung selbst nicht ganz zu trauen, da er zusätzlich soziale Anreize wie beispielsweise moralische Gebote („Eigentum verpflichtet“) oder Geld als zusätzliche Motivatoren zur Akzeptanz von Eigentum anführt. Sozialhistorisch muss gefragt werden, inwieweit die hier unterstellte Akzeptanz nicht eher eine Oktroyierung im Sinne der „ursprünglichen Akkumulation“ gewesen ist.
[6] Etwa Grundbesitz, Ämter, Adel oder gar das Seelenheil. (DWDG S. 195)
[7] Symbolisch generalisiert meint, dass das Kommunikationsmedium für eine Vielzahl von Dingen steht, diese aber nicht ist. Geld beispielsweise kann im Wirtschaftssystem für Sachwerte unterschiedlichster Art stehen, ist jedoch nicht mit ihnen identisch.
[8] Grundbesitz und Gold sind endlich, daneben gibt es das Problem der Aufbewahrung – man denke an den Geldspeicher von Dagobert Duck.
[9] Das macht nochmal deutlich, dass Geld ein abstraktes Kommunikationsmedium ist, dass nicht mit seinen im Tausch vorkommenden Repräsentationsformen wie Münzen oder Banknoten identisch ist.
[10] Dabei hilft, dass Geld nur für Zahlungen sinnvoll verwendbar ist.
[11] Auto poisis (altgriechisch) = selbst erzeugend bzw. herstellend.
[12] Die Frage nach der Genese eines autopoietischen Systems beantwortet Luhmann biologisch-evolutionär: Zufällige und an sich unwahrscheinliche Ereignisse (Mutationen) können sich unter für sie günstigen Umständen (Selektion) zu einer neuen Form der Autopoiesis stabilisieren (erfolgreich fortpflanzen). Dies wurde oben exemplarisch für das System Wirtschaft nachvollzogen.
[13] Beispielsweise Wirtschaft: Zahlungsfähigkeit, Rechtssystem: Gerechtigkeit, Wissenschaft: Wahrheit.
[14] Luhmann, Niklas: Ökologische Kommunikation. Kann die moderne Gesellschaft sich auf ökologische Gefährdungen einstellen? 3. Aufl., Westdeutscher Verlag, Opladen, 1990, S. 207.
[15] Ebd., S. 40.
[16] Präziser formuliert sind alle anderen gesellschaftlichen Teilsysteme die Umwelt eines jeden Teilsystems.
[17] Vgl. Luhmann, Niklas: Ökologische Kommunikation, a.a.O., S. 207.
[18] Vgl. Brunczel, Balázs: Disillusioning Modernity. Niklas Luhmann's Social and Political Theory. Peter Lang, Frankfurt am Main 2010, S. 171.
[19] Natürlich ist es nicht einfach dieses Allgemeinwohl überhaupt zu bestimmen bzw. es im Diskurs zu erarbeiten. Der Punkt hier ist aber, dass die gesellschaftlichen Teilsysteme an dem holistisch Gutem, verstanden als Abwägung und Ausgleich zwischen den auf je ein spezielles Gut ausgerichteten und zumindest teilweise antagonistischen Teilsystemen, kein Interesse haben.
[20] Luhmann, Niklas: Ökologische Kommunikation, a.a.O., S. 38.
[21] Man könnte natürlich auf die Idee kommen, so etwas wie ein Teilsystem für gesamtgesellschaftliche Steuerung zu etablieren. Die Frage wäre dann, auf welchen binären Code dieses aufbauen und ob es nicht das gleiche Problem wie alle andere Teilsysteme, nämlich blind für alles nicht im eigenen binären Code erfassbare zu sein, haben würde.
[22] Vgl. Reese-Schäfer, Walter: Luhmann. Zur Einführung. Junius, Hamburg 1992, S. 109f und Luhmann, Niklas: Paradigm lost: Über die ethische Reflexion der Moral. Rede von Niklas Luhmann anläßlich der Verleihung des Hegel-Preises 1989. 2. Aufl., Suhrkamp, Frankfurt am Main 1991, S. 19.
[23] Ebd. S. 24.
[24] Inwieweit diese Bewertung korrekt ist sei dahingestellt, ist doch der Mensch gegenüber einem Funktionssystem zumeist Laie.
[25] Luhmann, Niklas: Ökologische Kommunikation, a.a.O., S. 215.
[26] Beispielsweise indem nur bestimmte, ethischen Standards genügende Waren gekauft werden.
[27] Vgl. Brunczel, Balázs: Disillusioning Modernity, a.a.O., S. 140.
[28] Vgl. ebd. S. 169.
[29] In Abgrenzung zum Sozialstaat, der sich im wesentlichen mit den negativen Effekten der modernen Wirtschaft beschäftigt.
[30] Vgl. ebd. S. 171.
[31] Insbesondere die Industrialisierung und das mit ihr verbundene Massenelend des Proletariats.
[32] Man könnte daher mit Luhmann sagen, der Marxismus sei diabolischen Ursprungs.
[33] Marx, Karl und Engels, Friedrich: Werke. Band 4, 6. Auflage 1972, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1959, Dietz Verlag, Berlin/DDR, S. 465.
[34] Smith, Adam: An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations, zit. nach Works and Correspondences (Glasgow Ed.) Bd. 2, Oxford 1976, S. 429.
[35] Goethe, Johann Wolfgang von: Faust. Ein Fragment. Leipzig, 1790, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <http://www.deutschestextarchiv.de/goethe_faustfragment_1790/106>, abgerufen am 24.09.2018.
[36] Und dieses Gold kommt in der konkreten Szene natürlich vom Teufel persönlich.
[37] Analog zu Wissenschaft, Recht, Bildung, etc.
[38] Vgl. Luhmann, Niklas: Paradigm lost: Über die ethische Reflexion der Moral, a.a.O., S. 41.
[39] Ein aktuelles Beispiel wären etwa die Verhandlungen über das Freihandelsabkommen TTIP.
[40] Auch bekannt als Agenturproblem: Die Delegation von Aufgaben führt zu einer Informationsasymmetrie, die der Agent zu seinem Vorteil (und dem Schaden des Auftraggebers) nutzen kann.
[41] Etwa Kaufentscheidungen, Wahlen oder die (Nicht-)Akzeptanz staatlicher Regelungen.
[42] Dazu fehlen oftmals Zeit, Bildung und ein weniger entfremdetes Leben.
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- Leonhard Holz (Author), 2018, Luhmanns systemtheoretische Betrachtung der Wirtschaft, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/450101
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