Mit der Forderung und dem Programmtitel „Elite für alle“ betritt der Kabarettist Frank Lüdecke in diesem Herbst die Bühne, um Stellung zu einem gesellschaftlichen Phänomen zu nehmen:
„Sie wissen, in Deutschland haben wir ja keine Elite mehr. Leider. Es gibt da zwei Theorien: Die einen sagen, unsere Elite musste ´33 nach Amerika emigrieren. Die anderen sagen, sie musste nach ´45 in Deutschland untertauchen...“ Dieses Kabarett greift eine Tendenz auf. Der Elitebegriff kommt in den letzten Jahren in Deutschland zunehmend häufig vor - in Medien, öffentlichen und privaten Diskussionen und wissenschaftlichen Texten. Das ist spannend, denn:„Es ist keineswegs zufällig, wann bestimmte Themen und Begriffe der Soziologie aktuell werden, wann sie in die Sprache des Alltags eindringen oder aus ihr wieder verschwinden, um erneut eine scheinbar bloß wissenschaftliche Angelegenheit zu werden.“ (Lenk 1982, 29)
Woher kommt diese Prominenz des Themas Elite? Es scheint doch für die Sichtbarkeit der Elite immer noch zu gelten, was Theodor Adornos berühmter Ausspruch, „Elite mag man in Gottes Namen sein, niemals darf man sich als solche fühlen“, beschreibt und was Roswita Königswieser für die Gegenwart formuliert:„Wer wirklich Elite ist, spricht nicht davon. Und fühlt sich auch nicht so. Wirkliche Elite sind Leute, die’s einfach sind. Die entsprechende Werte haben und sie leben. Das liegt daran, dass diese Menschen eine Kombination von Gestaltungs-, Macht- und Wertvorstellungen haben. Sie haben eine bestimmte Art von Bescheidenheit und Demut, weil sie wissen, es gibt noch andere, die gut sind, und es gibt vieles, das sie nicht können oder wissen.“
Unter Umständen tauchen die Forderungen nach Elite als Folge der Diagnose eines Werteverfalls auf. Diese wird in Feuilletons und an Stammtischen gleichermaßen getroffen und über Elite wird als Stopp-Option des Werteverfalls verhandelt.
„Wir haben also kein Wertevakuum, sondern ein Vakuum an Institutionen, die Werte vertreten.“ Ist den Menschen in der Multioptionsgesellschaft die Orientierung abhanden gekommen? Fehlt es an Leitbildern, die als Vorbilder Entscheidungen vorstrukturieren und damit erleichtern?
Inhalt
1. Einleitung
1.1. Die Elite gibt es nicht
1.2. Elite gibt es
1.3. Fragen, Ziele und Aufbau dieser Arbeit
2. Diagnose: Funktional differenzierte Gesellschaft – Theoretische Grundlagen
2.1. Differenzierung – Diagnose eines Problems
2.1.1. Emile Durkheim: Arbeitsteilung und Solidarität
2.1.2. Talcott Parsons: Integration als Funktion des AGIL- Schemas
2.2. Differenzierung – Diagnose eines Zustands
2.2.1. Was meint funktionale Differenzierung?
2.2.2. Die Frage nach dem Ganzen – Integration der Gesellschaft
2.2.3. Die Frage nach dem Menschen – Inklusion statt Integration
2.2.4. Sollte es nicht doch eine Integrationsinstanz geben?
2.3. Asymmetrien und ihre Folgen – Stichwort Elite
3. „Ein weites Feld“ – Der Elitebegriff
3.1. Begriffsbestimmungen
3.1.1. Definitionsvielfalt in der Geschichte des Begriffs
3.1.2. Bindestriche als Lösung
3.1.3. Ein kleinster gemeinsamer Nenner
3.2. Elite und Demokratie - eine Gegenüberstellung
3.2.1. Widerspruch
3.2.2. Gleichklang, beinahe
3.2.3. Sonderfall Deutschland
3.3. Elite als flexible Übersetzer
3.3.1. Übersetzungskompetenz durch Erfahrung in mehreren Systemen
3.3.2. Übersetzen im Horizont souveräner Kommunikation
4. Selbstbeschreibungen der Elite – Das Untersuchungskonzept
4.1. Was wird untersucht? Gegenstand und Fragen
4.2. Wie wird untersucht? Theoretische und methodische Grundlagen
4.2.1. Biographien im Blick der Systemtheorie
4.2.2. Die Deutungsmusteranalyse
4.2.3. Bourdieu und die Illusio
4.3. Wie wurde untersucht? – Der Untersuchungsablauf
4.3.1. Auswahl und Rekrutierung der Interviewpartner
4.3.2. Art des Interviews und Entwicklung der Interviewleitfäden
4.3.3. Durchführung der Interviews
4.3.4. Methode der Auswertung
5. Auswertung
5.1. „Man muss es halt einfach machen.“ – Selbstbeschreibungen über Leistung und Eigeninitiative
5.1.1. Leistungsbereitschaft beweisen - Die Illusio der Erzählungen
5.1.2. Die anderen müssen sich nur auch bemühen – die
systemtheoretische Perspektive
5.2. „Eine wunderbare Chance, die man hat.“– Schicksal und Glück als Muster der Selbstbeschreibung
5.2.1. Selbstfindung als geglückter Prozess - die Illusio der Erzählungen
5.2.2. Wir sind alle Individuen, frei und gleich – die systemtheoretische Perspektive
5.3. „Trotzdem hast du auch ne Gaußsche Normalverteilung bei der Intelligenz.“ – Naturalisierung über Intelligenz und Begabung
5.3.1. Begabung als Schlüssel – die Illusio der Erzählungen
5.3.2. Ansprüche an sich selbst und auch an andere stellen – die systemtheoretische Perspektive
5.4. Zwanzig Jahre später- Analyse der Interviews mit Berufstätigen
5.4.1. Visionen verwirklichen – die Illusio der Erzählungen
5.4.2. Entwickelt mehr Visionen! – die systemtheoretische Perspektive
6. Zusammenfassung der Ergebnisse
6.1. Begründungen der Asymmetrie
6.2. Über den Umgang mit der Asymmetrie
6.3. Welche Wege führen nach oben? Entscheidend ist, mit leichtem Gepäck zu reisen
6.4. Welches Bild von Elite steckt in den Interviews?
6.5. Ist der Zweifel eine weibliche Kategorie?
7. Schlusswort
Anhang
Literatur
1. Einleitung
Mit der Forderung und dem Programmtitel „Elite für alle“[1] betritt der Kabarettist Frank Lüdecke in diesem Herbst die Bühne, um Stellung zu einem gesellschaftlichen Phänomen zu nehmen:
„Sie wissen, in Deutschland haben wir ja keine Elite mehr. Leider. Es gibt da zwei Theorien: Die einen sagen, unsere Elite musste ´33 nach Amerika emigrieren. Die anderen sagen, sie musste nach ´45 in Deutschland untertauchen...“ (Lüdecke)
Dieses Kabarett greift eine Tendenz auf. Der Elitebegriff kommt in den letzten Jahren in Deutschland zunehmend häufig vor - in Medien, öffentlichen und privaten Diskussionen und wissenschaftlichen Texten. Das ist spannend, denn:
„Es ist keineswegs zufällig, wann bestimmte Themen und Begriffe der Soziologie aktuell werden, wann sie in die Sprache des Alltags eindringen oder aus ihr wieder verschwinden, um erneut eine scheinbar bloß wissenschaftliche Angelegenheit zu werden.“ (Lenk 1982, 29)
Woher kommt diese Prominenz des Themas Elite? Es scheint doch für die Sichtbarkeit der Elite immer noch zu gelten, was Theodor Adornos berühmter Ausspruch, „Elite mag man in Gottes Namen sein, niemals darf man sich als solche fühlen“, beschreibt und was Roswita Königswieser für die Gegenwart formuliert:
„Wer wirklich Elite ist, spricht nicht davon. Und fühlt sich auch nicht so. Wirkliche Elite sind Leute, die’s einfach sind. Die entsprechende Werte haben und sie leben. Das liegt daran, dass diese Menschen eine Kombination von Gestaltungs-, Macht- und Wertvorstellungen haben. Sie haben eine bestimmte Art von Bescheidenheit und Demut, weil sie wissen, es gibt noch andere, die gut sind, und es gibt vieles, das sie nicht können oder wissen.“ (Sommer 2003,74)
Unter Umständen tauchen die Forderungen nach Elite als Folge der Diagnose eines Werteverfalls (vgl. Bude 2000) auf. Diese wird in Feuilletons und an Stammtischen gleichermaßen getroffen und über Elite wird als Stopp-Option des Werteverfalls verhandelt.
„Wir haben also kein Wertevakuum, sondern ein Vakuum an Institutionen, die Werte vertreten.“ (Lau 2003,103)
Ist den Menschen in der Multioptionsgesellschaft (vgl. Gross 1994) die Orientierung abhanden gekommen?
Fehlt es an Leitbildern (vgl. Kodalle 1999), die als Vorbilder Entscheidungen vorstrukturieren und damit erleichtern?
„In diesem Sinne ist der Elitebegriff auch als Symbol eines Selbstdeutungssystems zu verstehen. In einer Zeit, in der es keine durch Tradition verbürgten und allgemein verbindlichen Bezugssysteme mehr gibt, wird umso eifriger nach neuen Orientierungen gesucht, die an die Stelle der durch den sozialen Wandel gefährdeten treten sollen.“ (Lenk 1982, 28)
Dem Bedürfnis nach Orientierung steht dabei jedoch seit der Aufklärung der Wille gegenüber, eigene Entscheidungen treffen zu wollen und sich nicht bevormunden lassen zu wollen.
„Der Elitebegriff ist schwierig. Dahinter steht die Frage: Brauchen wir Helden, brauchen wir Vorbilder? (Jakob von Uexküll in Lau 2003,102)
Bei all den Diskussionen um und Forderungen nach Elite ebenso wie in den Argumenten gegen Elite bleibt meist eine Frage offen oder nur diffus beantwortet: Von wem ist genau die Rede? So „haftet dem Elitebegriff eine gewisse Willkürlichkeit an“ (Dreitzel 1962,1). Ein kleiner Spaziergang durch die begriffliche Landschaft dieser Willkürlichkeit skizziert einleitend, wie es um die Verwendung des Elitebegriffs bestellt ist: Wer kann damit gemeint sein, wenn von Elite die Rede ist?
1.1. Die Elite gibt es nicht
Es gibt sehr viele verschiedene Definitionen von Elite[2] und dementsprechend viele soziale Gruppen oder Individuen, die entweder zur Elite gehören oder nicht, so dass folgende Formulierung durchaus berechtigt ist: die Elite gibt es nicht. Zur Elite zählen ganz verschiedene Gruppen, die jeweils auf einem Gebiet spitze sind bzw. als Spitze behandelt werden und agieren. Daraus ergibt sich jedoch kein einheitliches Bild, nichts, das eine runde Definition von Elite erlauben würde:
„Die Reichen, die Mächtigen und die Gebildeten hatten wenig miteinander zu tun. Im Blick von außen erschien der Gelehrte oft weltfremd, der Beamte herzlos und der Industrielle ungeschliffen.“ (Bude 2000,13)[3]
Den hier aufgeführten Eliten könnte man noch eine lange Liste hinzufügen, die unter anderem enthalten würde: die feine Gesellschaft, Politiker, Celebrities, Chief
Executives, Militärführung, Spitzensportler, Stars, religiöse Führer oder Koryphäen einer Wissenschaft.
„Elite gibt es in Deutschland massenhaft. Das ist ja ihr Problem. Die Soziologie unterscheidet „Sektoreneliten“, „Funktionseliten“, „Politik- und Wirtschaftseliten“ (natürlich kennt sie auch „Medieneliten“), und wir ergänzen Skiflug-, Torwart- und Talkshow-Eliten.“ (Naumann 2004)
Elite wird also meist als Spitze eines Bereichs definiert. Mit der Systemtheorie wird zudem jedoch eine Elite sichtbar, die aus Jongleuren unterschiedlicher Funktionslogiken besteht und quer zu den unterschiedlichen Funktionslogiken operieren kann:
"Eliten, so meine Vermutung, können heute nur noch diejenigen sein, die eher unsichtbar das Jonglieren mit den unterschiedlichen gesellschaftlichen Systemlogiken beherrschen: Wirtschaft, Politik und Recht, Kunst und Bildung, Wissenschaft und Religion. Das Grundthema dieser neuen Eliten wäre eine Art Rollenübernahme, oder besser: Übersetzungsarbeit. Das als Stärke anzusehen, mit Nicht-Wissen und Unsicherheit, mit Unplanbarkeit und Ambivalenz zu rechnen, statt sie zu bekämpfen, dürfte wohl die entscheidende Schlüsselkompetenz der neuen Eliten sein." (Nassehi 2003d)
Eben genannte Beispiele für die verschiedenen Bedeutungen oder Ausdeutungen des Wortes Elite illustrieren, warum es die eine Elite nicht gibt. Es gibt vielmehr eine Vielzahl von Ausdeutungen dieses Begriffs.
1.2. Elite gibt es
Es bleibt damit oft unklar, von wem in einer Diskussion über Elite die Rede ist.
„Noch nicht einmal über die Frage, ob man von Elite oder Eliten reden sollte, besteht grundsätzliche Einigkeit.“ (Wasner 2004,16)
Trotzdem schließt Kommunikation in der Regel ganz selbstverständlich an Elite an. Die begrifflichen Unklarheiten werden nicht zum Problem. Es finden sich auch immer wieder Menschen, die als Elite sichtbar, ansprechbar und angreifbar werden, wie etwa die Elite des Sports bei den Olympischen Spielen zu sehen ist, brillante Forscher für bahnbrechende Erkenntnisse ausgezeichnet werden und wie etwa die politische Führung eines Staats angegriffen wird. Zudem wird der Begriff Elite häufig in einer „utopischen Dimension“ (Wasner 2004,17) gebraucht, womit die Forderung und die Hoffnung verbunden sind, dass nur die wirklich Besten – in Bezug auf Leistung wie Charakter – Elite werden und die Geschicke der Gesellschaft leiten mögen.
Elite gibt es also und es gibt auch zur Genüge Versuche zu definieren, was mit dem Begriff bezeichnet wird. Verschiedene Definitionen von Elite werden später im Detail vorgestellt (vgl.3.).
1.3. Fragen, Ziele und Aufbau dieser Arbeit
Einige der Schauplätze, auf denen Elite auftritt, sind gerade vorgestellt worden. Nun wird geklärt, welcher Schauplatz mit dieser Arbeit betreten werden soll:
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit Selbstbeschreibungen von Elite vor dem Hintergrund der Theorie der funktional differenzierten Gesellschaft, wie sie von Niklas Luhmann konzipiert und an ihn anschließend weiterentwickelt wird (vgl. etwa Nassehi 2004a). Das mag erstaunen, da Elite zunächst nicht sichtbar wird, wenn man Gesellschaft als funktional differenziert beobachtet. Sofort sichtbar wird Elite dagegen dann, wenn Gesellschaft als hierarchisch gegliedert untersucht wird: Es wird eine Sozialstruktur sichtbar, innerhalb derer ganz klar ist, wer herrscht und wer beherrscht wird, wer Macht hat und wer nicht. Eine Gesellschaft also, die sich entlang sozialer Ungleichheiten ausdifferenziert. Mit Beginn der Moderne geraten jedoch zunehmend auch andere Differenzierungsformen in den Blick der Gesellschaftstheorien. Diese beobachten nicht Hierarchie und Ungleichheit, sondern zunächst Differenzierung entlang von unter-schiedlichen Aufgaben (vgl. Emile Durkheim), Funktionen (vgl. Talcott Parsons) oder Funktionslogiken (vgl. Niklas Luhmann). Diese Theorien scheinen nicht dazu konstruiert zu sein, Asymmetrie, soziale Ungleichheiten und Hierarchien zu beobachten und zu erklären. Dass jene trotzdem empirische Tatsache sind, steht außer Frage. Man kann nun für die Analyse funktionaler Differenzierung die eine und für die Bearbeitung von sozialer Ungleichheit andere Theorien heranziehen. Spannender verspricht es zu sein, einmal mit der Theorie funktionaler Differenzierung zu beobachten, welche Rolle Asymmetrien in einer funktional differenzierten Gesellschaft spielen[4]. Dazu wird zunächst geklärt, was unter Differenzierung der Gesellschaft entlang von Aufgaben, Funktionen und Funktionslogiken verstanden wird: Was genau beschreiben und bezeichnen soziologische Klassiker wie Emile Durkheim und Talcott Parsons, wenn sie von Differenzierung schreiben (vgl. 2.1.) und was bezeichnet im Gegensatz dazu die Luhmannsche Theorie von der funktional differenzierten Gesellschaft (vgl. 2.2.)?
Mit der Diagnose von Differenzierung ist – wie auch mit Beobachtungen sozialer Ungleichheit - in den meisten soziologischen Theorien auch die Frage nach der Integration der Gesellschaft verbunden. Die Antworten der drei hier versammelten Theorien auf diese Frage unterscheiden sich ganz wesentlich und lassen damit unterschiedliche Blicke auf den Tatbestand der Asymmetrie, auf Ungleichheiten, zu (vgl. 2.3.). Hier interessiert die Asymmetrie, die durch die Beobachtung von Elite und Anderen sichtbar wird. Die Bearbeitung der Asymmetrie in Selbstbeschreibungen der Elite steht dann im Mittelpunkt des empirischen Teils (ab 4.). Doch davor soll genauer betrachtet werden, was unter Elite verstanden werden kann.
Mit dem Begriff Elite, seinen unterschiedlichen Definitionen und den mit ihm verbundenen Problemen beschäftigt sich das dritte Kapitel. Dort wird zunächst die Definitionsvielfalt des Elitebegriffs entlang seiner Geschichte skizziert (vgl. 3.1.1.), dann die Einführung von Bindestrich-Eliten als häufig gewählter Ausweg aus dem Begriffsdschungel aufgezeigt (vgl. 3.1.2.) und der kleinste gemeinsame Nenner der Definitionen gesucht (vgl. 3.1.3.). Die Kontroversen um das Begriffspaar Elite und Demokratie werden im Anschluss daran ebenso beschrieben wie die speziell deutschen Probleme im Umgang mit dem Elitebegriff (vgl. 3.2.3.). Im Abschnitt 3.3. wird dann die systemtheoretische Beobachtung von Asymmetrien und ihren Folgen (vgl. 2.3.) mit der Bestimmung der Funktion, die der Elite in einer funktional differenzierten Gesellschaft zukommt, zusammengeführt. Besondere Aufmerksamkeit gilt dabei der Untersuchung der oben benannten Aufgabe der Elite, zwischen den Funktionssystemen als Übersetzer zu wirken. Dabei wird der klassischen Form des Übersetzens, wie sie zumeist beschrieben wird (vgl. 3.3.1.), eine neue Sichtweise gegenübergestellt, welche mehr Erkenntnischancen im Hinblick auf die Analyse von biographischer Kommunikation (vgl. 3.3.2.) birgt und die Übersetzer mit einer anderen Souveränität ausstattet.
Ziel des empirischen Teils der Arbeit ist es dann zu beobachten, wie die Beobachtung von Asymmetrie in den Selbstbeschreibungen der Elite auftaucht. Genauer, wie die Selbstbeschreibungen damit umgehen, dass ihr Sprecher[5] nicht nur als anders, sondern als besser als die Anderen angesprochen werden kann.
Im vierten Kapitel werden das theoretische und methodische Konzept sowie der Ablauf der durchgeführten Studie geschildert: Unter Verwendung eines Theorie-Sets aus Systemtheorie (vgl. 4.2.1.), Deutungsmusteranalyse (vgl. 4.2.2.) und Bourdieus Konzept der Illusio (vgl. 4.2.3.) werden narrative biographische Interviews mit Stipendiaten und erfolgreichen Berufstätigen ausgewertet (vgl. 4.3.).
Die Ergebnisse dieser Analyse werden im fünften Kapitel vorgestellt, während das sechste Kapitel eine Zusammenfassung der Ergebnisse und deren Rückbezug auf die eingangs geschilderten gesellschaftstheoretischen Grundlagen enthält.
Das Schlusswort zeigt dann, dass mit dem hier neu gewonnenen theoretischen Blick auf die Kommunikation der Elite über sich selbst nicht nur neue Erkenntnisse verbunden sind, sondern auch eine Reihe neuer Forschungsfragen.
2. Diagnose: Funktional differenzierte Gesellschaft – Theoretische Grundlagen
Dieses Kapitel beschreibt zunächst die Diagnose von Differenzierung als Diagnose eines Problems für die zu bewahrende Einheit der Gesellschaft (vgl. 2.1.), wie sie bei den soziologischen Klassikern Emile Durkheim und Talcott Parsons zu finden ist.[6] Vor dem Hintergrund dieser beiden Theorien kann deutlich werden, wie anders Differenzierung in Niklas Luhmanns Systemtheorie in den Blick gerät. Differenzierung wird dort nämlich nicht mehr als Problem gefasst, dem eine gesamtgesellschaftliche Lösung zugeordnet werden muss, sondern als evolutionäre Tatsache (vgl. 2.2.). Der dritte Abschnitt (vgl. 2.3.) beschäftigt sich mit der Frage nach Asymmetrie, wo und wie diese in der funktional differenzierten Gesellschaft sichtbar wird und welche Funktion sie erfüllt. Die Antwort auf die Frage, was dies für Situation und Funktion der Elite(n) in der Gesellschaft bedeutet, führt zum nächsten Kapitel über den Begriff der Elite (vgl.3.).
2.1. Differenzierung – Diagnose eines Problems
Sprechen Soziologen von Differenzierung, dann meist unter der Vorannahme, dass es vorher eine Einheit gegeben haben muss, die sich in verschiedene Teile ausdifferenzieren kann. Wird die Ausdifferenzierung der Gesellschaft als Auseinanderfallen eines Ganzen beschrieben, diagnostizieren Soziologen ein Problem und suchen im Anschluss daran nach einer Lösung für die Frage, wie ein so differenziertes Gebilde noch zusammenhalten kann – und es finden alle ein integrierendes Element. Als Beispiele werden hier die Theorien von Emile Durkheim und Talcott Parsons vorgestellt und an beiden Theorien wird jene Struktur von Problem und Lösung sichtbar.
2.1.1. Emile Durkheim: Arbeitsteilung und Solidarität
Emile Durkheim (1858-1917) beschreibt die Differenzierung moderner Gesellschaften als soziale Differenzierung der Gesellschaft, ausgelöst durch den Prozess der Arbeitsteilung (vgl. Durkheim 1992). In der Theoriegeschichte ist er derjenige, der die historisch unterschiedlichen Formen der Differenzierung mit den historisch unterschiedlichen Lösungen des Integrationsproblems zusammenführt (vgl. Schimank 2000,31).
In einfachen Gesellschaften sind die Mitglieder in einander sehr ähnliche Segmente (Familien, Clans, Horden) unterteilt, welche intern zwar Arbeitsteilung – etwa nach Alter und Geschlecht – kennen, sich im Vergleich zueinander aber nicht über unterschiedliche Leistungen oder Eigenschaften auszeichnen. Integration wird dort über Identifikation mit Gleichen hergestellt, aus welcher Solidarität erwächst.
Ausgelöst wird der Prozess der Arbeitsteilung durch zunehmende Bevölkerungszahl und –dichte und die steigende Zahl von Kommunikationsbeziehungen und damit steigender Konkurrenz. Im Zuge der Arbeitsteilung differenzieren sich verschiedene Berufe, Gruppen und Stände aus. Dies reduziert die Konkurrenz, da jeder auf Anderes spezialisiert ist und nicht alle im gleichen Arbeitsfeld im Wettbewerb stehen. Wie können diese unterschiedlichen Gruppen als eine Gesellschaft zusammenhalten?
Durkheims Antwort auf die Frage nach dem Integrationsmechanismus ist hier wie oben Solidarität, wobei er mechanische und organische Solidarität unterscheidet. In den einfachen Gesellschaften kann Solidarität mechanisch, das heißt qua Ähnlichkeit nicht nur in Hinblick auf die Tätigkeit, sondern vor allem auf kulturelle Prägung gestiftet werden. Die organische Solidarität der differenzierten Gesellschaft beruht dagegen auf wechselseitiger Abhängigkeit[7]. Es gibt also weniger Bindung über Ähnlichkeiten, aber Bindung im Bewusstsein des Aufeinanderangewiesenseins der Individuen, Gruppen und Zünfte.
Das heißt, „dass die gesellschaftliche Arbeitsteilung ihre Integration aus sich selbst heraus zu schaffen vermag – und dass dies zwar kein sich zwangsläufig einstellendes, wohl aber das einzig mögliche Integrationsprinzip ist.“ (Schimank 2000,35)
Durkheim weist trotz der Tatsache, dass Integration durch die organische Solidarität quasi natürlich als Folge von Arbeitsteilung entstehen kann, dem Nationalstaat die Aufgabe zu, die Gesellschaft zu integrieren. Es soll durch die Idee der Nation sichergestellt werden, dass aus mechanischer Solidarität Kollektivbewusstsein erwächst. Solidarität soll über Ähnlichkeit und gemeinsame Kultur gestiftet werden, obwohl doch die Integration der verschiedenen Gruppen darüber gewährleistet sein sollte, dass sie ihre Abhängigkeit voneinander begreifen, durch organische Solidarität also[8]. Dabei fällt den Intellektuellen einer Nation die Aufgabe zu, eine neue Moral zu entwickeln, durch die die Nation geeint werden kann, weil nicht mehr auf die übermenschliche Autorität der Moral in einfachen Gesellschaften vertraut werden kann.
„Die Moral arbeitsteiliger Gesellschaften entwickelt sich im Gegenteil dazu in dem Maß, in dem sich die individuelle Persönlichkeit verstärkt.“ (Durkheim 1992,286)
Die neue Moral muss sich als die Individuen bindend erweisen, trotzdem diese eigene freie Entscheidungen treffen. Das heißt, dass auch die moderne Gesellschaft „weiterhin einen gewissen Unterbau an „mechanischer Solidarität“ besitzt und offenbar auch benötigt“ (Schimank 2000,32).
Zusammengefasst ist das Problem, welches Durkheim mit Differenzierung benennt, dass die Menschen immer unterschiedlicher werden hinsichtlich Beruf und sozialem Stand. Es entstehen also individuelle Persönlichkeiten. Eine Gesellschaft dennoch zu integrieren erfordert ihm zu Folge die Erkenntnis wechselseitiger Abhängigkeit, die zur organischen Solidarität führt, sowie die Erzeugung eines Kollektivbewusstseins über Kultur und Politik, was im Grunde wieder mechanische Solidarität hervorbringt. Genauer betrachtet, vereint er in seinem Konzept von gesellschaftlicher Integration zwei Begriffe von Gesellschaft: einen strukturellen Begriff, wenn er von Arbeitsteilung spricht und einen Begriff von Gesellschaft als Gemeinschaft, wenn er von Kollektivbewusstsein und gemeinsamer Kultur und Moral spricht. Systemtheoretisch reformuliert diagnostiziert er Differenzierung in der Sachdimension und ihre problematischen Folgen in der Sozialdimension. Die Lösung des Problems gerät dann unausweichlich zwischen die Stühle von mechanischer und organischer Solidarität.
2.1.2. Talcott Parsons: Integration als Funktion des AGIL- Schemas
Talcott Parsons (1902-1979) beschreibt die Gesellschaft als allgemeinstes Handlungssystem und entwirft mit dem AGIL-Schema ein Analyseraster, das sich über dieses allgemeinste, aber auch über alle anderen (Sub-) Handlungssysteme legen lässt und dessen Aufspaltung in funktionale Teile beschreibt (vgl. Sauer 2000,22). Die Diagnose von Differenzierung erfolgt hier also nicht induktiv, wie bei Durkheim, der sie aus der Arbeitsteilung ableitet, sondern als theoretisch entwickelte Struktur. Parsons unterteilt das Handlungssystem in vier Hauptfunktionen: Adaption, Goal Attainment, Integration und Latent Patern Maintenance. Das dabei entstehende Raster nennt er AGIL-Schema. Nur wenn alle vier Komponenten ausreichend erfüllt und untereinander ausgeglichen gewichtet sind, das heißt, wenn keine dominiert, funktioniert das Handlungssystem reibungslos. Diese Grundeinteilung des allgemeinen Handlungssystems in vier Subsysteme wiederholt sich in jedem der Subsysteme und dann wieder in jedem der Subsysteme der Subsysteme: ein verschachteltes Prinzip also. Es geht Parsons aber nicht nur um die Ausdifferenzierung dieses Handlungssystems:
„Differenzierung und Integration zusammen bilden das Prinzip der Analyse des evolutionären Prozesses, dem Parsons mit unermüdlicher Beharrlichkeit bis in die kleinsten Details folgt.“ (Jensen 1978,120)
Das Problem der Integration löst er, indem er die vielen Subsysteme als aneinander gekoppelt beschreibt. Die Systeme sind zum einen horizontal, durch sogenannte double interchanges zwischen den Subsystemen einer Ebene gekoppelt. Und zum anderen bindet vertikal jeweils die Funktion der latent pattern maintenance ein Subsystem an das in der Verschachtelungshierarchie darüber liegende. Die Subsysteme sind also wechselseitig miteinander verbunden. Parsons geht sogar so weit zu sagen,
„dass die Grenze zwischen jeweils zwei Handlungssystemen eine „Zone“ strukturierter Bestandteile oder Muster umfasst, die theoretisch als zu beiden Systemen gehörig [...] behandelt werden muss.“ (Parsons 2000,14)
Erst durch diese Zonen kann es zum nötigen Austausch zwischen den Systemen kommen. Dies erweckt fast den Eindruck, als würde er hier seine vorher so analytisch scharf gezogene Trennlinie zwischen den vier Subsystemen des Handlungssystems relativieren, um erklären zu können, warum eine so differenzierte Gesellschaft nicht auseinander fällt, sondern zusammenhält. Er sieht eine Art Verständigung zwischen den einzelnen Systemen entlang dieser Zone vor, die diese miteinander verbindet und dazu führt, dass sie zusammen ein funktionierendes Handlungssystem ergeben.
Parsons geht davon aus, dass das integrative Subsystem dem sozialen System entspricht und in diesem System (dessen größte Ausprägung ja die Gesellschaft selbst ist) für die Integration der beteiligten Individuen[9], Gruppen und Organisationen gesorgt wird, so dass die anderen drei Funktionen des Handlungssystems ordnungsgemäß erfüllt werden können.
„Wir wollen das integrative Subsystem einer Gesellschaft gesellschaftliche Gemeinschaft nennen. [...] Die gesellschaftliche Ordnung erfordert klare und deutliche Integration, womit wir einerseits normative Kohärenz und andererseits gesellschaftliche „Harmonie“ und Koordination“ meinen.“ (Parsons 2000,21)
Die Integration der Gesellschaft kann nach Parsons also über gemeinsamen Sinn, hervorgebracht durch Kultur, durch Normen und Werte, sowie durch soziale Gemeinschaft gestiftet werden. Die Gesellschaft, gedacht als Gemeinschaft, übernimmt hierbei die Integrationsfunktion des abstrakten Handlungssystems.
Differenzierung und Integration – diese beiden Begriffe gehen also bei Durkheim wie bei Parsons Hand in Hand, wobei der erste als Problemdiagnose und der zweite als Lösung fungiert. Hinter diesem Schema steckt die Vorstellung von der Gesellschaft als einem gemeinschaftlichen Ganzen, welches sich ausdifferenziert in verschiedene Teile oder Systeme. Die Frage nach der Integration ist dann die Frage nach der Ausbesserung eines Mangels, der die gemeinschaftliche Einheit der Gesellschaft bedroht.
Sichtbar wird an den hier vorgestellten Theorien sowie an aktuellen Theorieentwicklungen (vgl. 2.2.4.), was die Theorien als Problem konstruieren und dann lösen wollen. Sichtbar wird auch, dass ihnen das Problem trotzdem bestehen bleibt. Der Grund dafür zeigt sich unter der Linse der Systemtheorie:
„Dass die soziologische Gesellschaftstheorie bis heute fast flächendeckend daran festhält, eine normativ integrierte, auf Gemeinsinn zielende, auf kollektive Identitätsanteile und Einsicht pochende Theorieform zu präferieren, die [...] ein geradezu harmonistisches Bild moderner Gesellschaftlichkeit abliefert, lässt sich mit Eisenstadt so deuten: Gesellschaft wurde fast nur in der Sozialdimension betrachtet, als Gemeinschaft geselliger Akteure“. (Nassehi 2003 a,26)
Differenzierung, wie sie bei Luhmann konzipiert wird, verläuft ausschließlich entlang der Sachdimension. Was es damit auf sich hat, wird im Folgenden erläutert:
2.2. Differenzierung – Diagnose eines Zustands
Betrachtet man die Theorien der soziologischen Klassiker, stellt sich die Frage, ob denn die Differenzierung einer Gesellschaft überhaupt ohne Integration gedacht werden könne. Es fällt dann auf, dass Niklas Luhmann (1927-1998) keine explizite Integrationskomponente mehr in seine Gesellschaftstheorie einbaut: In seiner Theorie funktionaler Differenzierung in autpoietische Teilsysteme gibt es kein Funktionssystem und auch keine andere Instanz, deren Aufgabe die Integration wäre.
Zunächst soll nun erklärt werden, was unter funktionaler Differenzierung nach Luhmann zu verstehen ist (vgl. 2.2.1.). In einem zweiten Schritt soll dann die Frage nach der Integration der Gesellschaft neu gestellt werden als Frage nach der theorietechnischen Notwendigkeit einer Integrationsfunktion oder Integrationsinstanz (vgl. 2.2.2.). Es ergibt sich bei Anwendung von Luhmanns Systemtheorie eine signifikant andere Lösung als bei den oben vorgestellten Theorien. Denn nicht nur bezogen auf die Teilsysteme, sondern auch auf die Menschen und deren Integration in die Gesellschaft, findet die Luhmannsche Systemtheorie eine andere, neue Theoriekonstruktion (vgl. 2.2.3.). Diese Theorie bedarf keiner Lösung des Integrationsproblems, da folgende drei Merkmale der Theoriekonstruktion die Diagnose eines Problems verhindern: Zum ersten wird Differenzierung nur in der Sachdimension und nicht als Problem einer Gesellschaft im Sinne einer Gemeinschaft diagnostiziert. Zum zweiten unterliegen die autopoietischen Funktionssysteme einer evolutionären Logik, welche von keiner Instanz aus gesteuert werden kann. Drittens sind die Menschen als psychische Systeme in den Funktionssystemen je teilinkludiert, indem sie an deren Kommunikation anknüpfen, und werden daher nicht als zu integrierende Entitäten behandelt.
Diese Konzeption unterscheidet sich zum einen von den Problem-Lösungs-Mustern der Theorien von Durkheim und Parsons Klassiker (vgl. 2.1.) und zum anderen auch von den Vorschlägen, die Systemtheorie weiterzuentwickeln, welche Problem und Lösung wieder einzuführen gedenken. Für letztere werden beispielhaft Klaus Bendels und Thomas Schwinns Vorschläge (vgl.2.2.4.) erläutert.
2.2.1. Was meint funktionale Differenzierung?
Entgegen den dieser Differenzierungsform historisch vorausgehenden segmentären[10] und stratifikatorischen[11] Differenzierung verläuft die funktionale Differenzierung entlang von Funktionsgrenzen, welche die Grenze autopoietischer Teilsysteme sind. Wie oben bereits angedeutet, vollzieht sich Differenzierung hier also in der Sachdimension[12] und nicht in der Sozialdimension: die Funktionslogiken der einzelnen Teilsysteme sind dementsprechend nicht an soziale Systeme oder Organisationen gebunden, sondern bilden lediglich Kommunikationsstrukturen aus, welche das System konstituieren und fortführen. Solche Teilsysteme entstehen, wenn sich Kommunikationen einer bestimmten Funktion, das heißt der Kommunikation entlang einer bestimmten Unterscheidung, exklusiv zuwenden. Da sie nur noch entlang einer Unterscheidung, dem binären Code – für das Wirtschaftssystem etwa zahlen/nicht zahlen – kommunizieren, können sie den Grad ihrer Spezialisierung und ihre Komplexität steigern. Die fortwährende Reproduktion dieses binären Codes in jeder Unterscheidung, die das System trifft, sichert den Bestand des Systems. Dabei spielen generalisierte Kommunikationsmedien eine wichtige, Komplexität reduzierende Rolle; so etwa Geld im Wirtschaftssystem und im politischen System Macht. Diese Medien werden im Wirtschaftssystem in Form von Zahlungen und im politischen System als bindende Entscheidungen sichtbar. Auf der anderen Seite dieser autopoietischen Entwicklung und Existenz lassen die Systeme andere Funktionen außer Acht. Sie kennen sie nicht mehr, das heißt, sie können nicht in deren Code kommunizieren und können sie nur noch als Umwelt wahrnehmen. Die Kommunikation einzelner Teilsysteme kann somit schlicht nicht ‚aus ihrer Haut’, kann nicht die Perspektive wechseln und die Forderung, sich etwa zum Zwecke der Integration um die Belange anderer Teilsysteme mit zu kümmern, kann dann nicht an die Teilsysteme gerichtet werden. Diese Konzentration der teilsystemischen Kommunikation hat Komplexitätsreduktion für den gesamten Horizont von Kommunikation – für die Gesellschaft – zum Ziel.
Trotz der Autopoiesis existieren die Systeme nicht isoliert voneinander: Nimmt ein System Kontakt zur Umwelt auf, so geschieht dies immer innerhalb des systemeigenen Codes, der die Betrachtung der Umwelt leitet. Es gewinnen also nur die Aspekte der Umwelt eine Relevanz für ein System, die im systemeigenen Kommunikationszusammenhang thematisiert werden können. Systeme integrieren sich also nicht in ihre Umwelt, sie interagieren nicht mit anderen Systemen, um sich etwa aufeinander abzustimmen, sondern sie nehmen nur wahr, was relevant für sie ist. Alles andere bleibt für die Systeme ein Rauschen, dem sie keine Beachtung schenken und auch nicht schenken können[13], weil es sie in ihrem Operieren nicht irritieren kann.
Differenzierung wird bei Luhmann also konzipiert als Institutionalisierung verschiedener Perspektiven im gesamten Horizont möglicher Kommunikationen in der Gesellschaft. Differenzierung ist demnach nicht Zerteilung eines Ganzen, sondern die Einheit der Differenz verschiedener Perspektiven in der Sachdimension. Kann diese Einheit von Differenz das sein, was für die anderen Gesellschaftstheorien (vgl. 2.1) Gesellschaft als Gemeinschaft ausmacht?
2.2.2. Die Frage nach dem Ganzen – Integration der Gesellschaft
Was es nicht als Ganzes gibt, das kann nicht differenziert werden. Darum muss stets „Gesellschaft als Entität bereits vorausgesetzt werden können“ (Nassehi 2004a,100). Die unter 2.1. geschilderten Theorien, setzen Gesellschaft als eine Gemeinschaft voraus, deren Existenz als Ganzes wünschenswert ist.
Wie kann dieses Ganze im Rahmen der Systemtheorie gedacht werden und welche Rolle spielt es im Zusammenspiel der Teilsysteme?
„Es sind die kommunikationstheoretischen Grundlagen der Gesellschaftstheorie, die dafür sorgen können, Evolution nicht als Entfaltung eines Programms, Differenzierung nicht als Aufspaltung in Seinsbereiche und Selbstbeschreibungen des Gesellschaftssystems nur als Repräsentationen des Ganzen im Ganzen, aber nicht durch das Ganze sehen zu lernen. In diesem Sinn verflüssigt sich der Gesellschaftsbegriff zu einem sinnhaften Horizont und materialisiert sich dort, wo die Gesellschaft in der Gesellschaft erscheint.“ (Nassehi 2003c,40)
Die Gesellschaft ist in der Systemtheorie Horizont aller potentiellen Kommunikation. In diesem Horizont bilden sich die Funktionssysteme heraus, kommunizieren psychische Systeme (Menschen), kommunizieren Organisationen. Dabei gerät ein System nie allein in den Blick, weil durch das eine System gleichzeitig auch alles bezeichnet ist, was es ausgrenzt, weil es ihm Umwelt ist. Durch diese Konzeption von Umwelt und System ist also im Blick auf jedes Teilsystem ein Blick auf das Ganze möglich, da die Betrachtung des Teilsystems dessen Umwelt als andere Seite der Unterscheidung mit einschließt. Teilsystem und Umwelt ergeben also immer das Ganze, nur eben aus einer jeweils anderen Perspektive. Das heißt, dass man sich „jene Entität nur noch als multiplen Horizont unterschiedlicher Perspektiven“ (Nassehi 2004a,101) denken kann. Nicht die Gesellschaft als Einheit differenziert sich also in Teilsysteme, sondern:
„Auszugehen ist vielmehr von Differenzierungen in der Gesellschaft, nämlich innerhalb eines Horizonts, innerhalb dessen es offensichtlich empirisch gelingt, Anschlussroutinen gesellschaftlicher Kommunikation so einzuschränken, dass es über den Mechanismus der symbolischen Generalisierung von Kommunikationsmedien zur Differenzierung von Funktionssystemen der Gesellschaft kommt.“ (Nassehi 2004 a,106)
Kann dieser Blick auf das Ganze aus unterschiedlichen Perspektiven schon als Integration bezeichnet werden? Ja und nein: Ja, weil nur so auf der Ebene von Gesellschaft[14] noch Integration sichtbar wird und nein, weil es schlicht keine Integrationsinstanz oder Integrationsfunktion im Rahmen dieser Theorie gibt. Innerhalb des Horizonts von Kommunikation gibt es nur noch Perspektivenvielfalt und die Teilsysteme werden „nicht mehr durch eine allen Systemen gemeinsame Grundsymbolik integriert“ (Nassehi 1997a,117). Es kann somit auch kein Teilsystem geben, welches für das Ganze sprechen, denken, entscheiden oder einen „generellen Orientierungskontext“ (Schimank 2000,186) ausbilden kann:
„Die Repräsentation des Ganzen im Ganzen wird per se paradox, weil keine Perspektive mehr in der Lage ist, für das Ganze zu sprechen oder zumindest die Einheit der Gesellschaft zu konditionieren.“ (Nassehi 1997a,118)
Noch einmal zusammenfassend: Es gibt keine Instanz in der Gesellschaft – keine Organisation, kein Teilsystem, keine Person, deren Aufgabe Integration oder Steuerung der Teilsysteme wäre (siehe im Gegensatz dazu Parsons’ Theorie). Vielmehr regelt sich das Zusammenspiel der Teilsysteme selbst in Form von historisch kontingenter, dynamischer Justierung der Teilsysteme im Verhältnis zueinander und zwar dadurch, dass ihre Kommunikationen einander irritieren können.
Was die Gesellschaft zusammenhält ist „Luhmann zufolge gar nicht die Schicksalsfrage, als die sie immer hingestellt wird“ (Schimank/Lange 2003,171). Es ist deshalb keine Schicksalsfrage, weil mit seiner Theorie die Einheit als Einheit der Differenz aufgefasst werden kann, als Polykontexturalität im gemeinsamen Horizont von Kommunikation, der die Grenzen der Gesellschaft definiert. Wenn trotzdem in Kommunikationen über die Gesellschaft auf Gesellschaft als Gemeinschaft Bezug genommen wird, kann das unter besagten theoretischen Voraussetzungen „nur“ als Selbstbeschreibung des Gesellschaftssystems beobachtet werden, und nicht mehr als geltende Begründung des Zusammenhalts der Gesellschaft oder als Grundlage der Forderung nach demselben.
“Wenn man über Parsons hinausgeht, hat diese Art des Aufspürens von Gesellschaftlichkeit in der Gesellschaft die Konsequenz, dass man Gesellschaft nicht mehr von einem letzten, integrierenden Einheitssinn, sei es der Natur und Perfektion des Menschen, sei es einem Gesellschaftsvertrag, sei es einem fundierten moralischen Konsens her beschreiben muss und mit diesem Verzicht die Freiheit gewinnt, alle Aussagen dieser Art und viele andere auf dem Konto „Selbstbeschreibung des Gesellschaftssystems im Gesellschaftssystem“ zu buchen.“ (Luhmann 1994,16)
Dennoch zurück zur Frage nach dem Zusammenhalt des Ganzen: Warum und wie funktioniert das Zusammenspiel der Funktionssysteme? Auch die Luhmannsche Systemtheorie bietet als Antwort neben der wechselseitigen Irritation strukturelle Kopplungen (vgl. Parsons). Wie aber werden die Systeme aneinander gekoppelt, wenn es keine Instanz, keine Gemeinschaft und kein Wertesystem gibt, denen das Erschaffen von Regeln zum gemeinsamen Bestehen zugemutet werden könnte und wenn Zonen der Interpenetration zwischen den Teilsystemen nicht Teil der theoretischen Konstruktion sind?
Die Logiken der Systeme werden in Entscheidungen strukturell aneinander gekoppelt. Jene Entscheidungen werden getroffen in Organisationen und dort natürlich auch von Personen, die in der Organisation entscheidende Funktionen innehaben: so koppeln etwa Gewerkschaften politische und wirtschaftliche Funktionslogiken aneinander und so verknüpfen Ärzteverbände, die über Lobby-Arbeit Einfluss auf politische Entscheidungen nehmen, die Funktionslogiken von Politik und Gesundheitssystem (vgl. Luhmann 2000). Präziser im Sinne der Systemtheorie formuliert werden durch Kommunikation von Organisationen sowie von psychischen Systemen Entscheidungen generiert, in denen die Funktionslogiken von Teilsystemen miteinander verknüpft werden.
„Die eher „gesellschaftliche“ Funktion von Organisationen besteht darin, die Operationsketten der unterschiedlichen Funktionssysteme aufeinander zu beziehen und per Entscheidungen miteinander zu koppeln. So kann politisch über Zahlungen entschieden werden, oder es kann ökonomisch über medizinische Behandlungsmethoden entschieden werden“ (Nassehi 2003a,35)
Betont werden muss in diesem Zusammenhang nochmals, dass mit diesen Verknüpfungen nicht eine Zone der Interpenetration zwischen den Systemen beschrieben wird, wie Parsons das getan hat, sondern dass dies gerade deshalb funktioniert, weil die Systeme voneinander getrennt bleiben und in ihrer eigenen Funktionslogik operieren. Es findet lediglich eine „zeitliche, sachliche und soziale Kopplung im Medium der Entscheidung“ (Nassehi 2003a,36) statt. Diese Kopplung von Systemlogiken in Entscheidungen ist jedoch kein Zustand, der von Dauer ist. Entscheidungen beschreiben vielmehr Zeitstellen und sind, sobald sie getroffen sind, schon Vergangenheit – Geschichte der Kommunikation – und Grundlage für neue Entscheidungen. Ebenso wie die Funktionssysteme nur weiterbestehen, wenn an ihre spezifischen Unterscheidungen kommunikativ angeknüpft wird, kann von struktureller Kopplung immer nur in den Momenten gesprochen werden, in denen Entscheidungen getroffen werden und sie wird nur durch andere weitere Entscheidungen reproduziert.
2.2.3. Die Frage nach dem Menschen – Inklusion statt Integration
Die Beantwortung der Frage nach dem Menschen, die stets als Untertitel der Integrationsfrage mitläuft, erfordert zunächst eine Bestimmung des Menschen, wie er in der Systemtheorie gefasst wird. Menschen sind psychische Systeme, das bedeutet zum einen, dass sie ebenso eigenständig funktionieren wie gesellschaftliche Teilsysteme.
Psychische Systeme existieren „als Einheiten autopoietischer Systeme, die durch organische und psychische Operationen reproduziert werden, außerhalb der Gesellschaft“ (Luhmann 1994,40).
Mit anderen Worten, die Gesellschaft ist Umwelt der Menschen und die Menschen sind Umwelt der Gesellschaft.
Somit wird eine Vorstellung von Integration eines Menschen als Ganzes in eine Gesellschaft oder in einen Teil der Gesellschaft, wie dies etwa in der stratifizierten Gesellschaft durch Zugehörigkeit zu einem Stand der Fall wäre, nicht mehr möglich. Vielmehr wird ein psychisches System in jedes der Funktionssysteme jeweils nur teilinkludiert und zwar immer nur dann, wenn es an der funktionssystemspezifischen Kommunikation teilnimmt. So, wie Funktionssysteme nur das wahrnehmen, was sie irritieren kann, sind psychische Systeme nur da Teil funktionsspezifischer Kommunikation, wo sie an sie anschließen oder durch sie adressiert werden.
„Der Begriff Inklusion bezeichnet also die Art und Weise, wie Kommunikation auf Menschen zugreift, d.h. wie Gesellschaften, Organisationen und Interaktionen Personen thematisieren, in Anspruch nehmen, anschlussfähig halten und nicht zuletzt ansprechbar machen.“ (Nassehi 1997a,121)
Es soll nochmals betont werden, dass Inklusion ‚nur’ den Anschluss von Kommunikation aneinander meint und kein Dazugehören impliziert. Der Mensch an sich, die ganze Person, kann also nur außerhalb der Teilsysteme konstruiert werden und zwar zum Beispiel in Form von Biographien, durch deren Kommunikation Personen als ganze Individuen hervorgebracht werden (vgl.4.2.1.).
2.2.4. Sollte es nicht doch eine Integrationsinstanz geben?
Da Luhmann die funktionale Differenzierung der Gesellschaft in der Sachdimension verortet und damit die Theorie in die Lage versetzt, von Gemeinschaft und zu integrierenden Menschen zu abstrahieren, kann auf die Konstruktion einer Integrationslösung theoretisch verzichtet werden[15]. Interessant ist, dass nicht nur die soziologischen Klassiker, sondern auch viele der zeitgenössischen Soziologen, die mit ihrer Theoriearbeit an Luhmann anschließen, nach einer Integrationsinstanz für die Gesellschaft suchen und das Fehlen derselben in Luhmanns Theorie dann als Defizit bewerten[16]. Die Frage, wie die Gesellschaft zusammenhalten oder überhaupt funktionieren kann, wenn sie aus unkoordinierten Systemen besteht, die sich immer nur in Echtzeit irritieren können, taucht wieder als Problem in der Theoriekonstruktion auf.
„Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, inwieweit die moderne Gesellschaft noch in der Lage ist, die Dynamik auseinanderstrebender Teilrationalitäten zu einem überlebensfähigen Gesamtzusammenhang zu integrieren und auf welche Ressourcen sie dabei zurückgreifen kann.“ (Bendel 1993,261)
Um ein hinreichend komplettes Bild der Diskussion um Differenzierung und Integration zu zeichnen, werden an dieser Stelle zwei der Vorschläge, wie Integration wieder in die Systemtheorie eingeführt werden sollte, vorgestellt.
Integration durch mehr Rationalität
Klaus Bendel führt Rationalität an zwei Stellen in die Systemtheorie ein, um Integration vorstellbar zu machen, zum einen auf der Ebene gesamtgesellschaftlicher Rationalitätssteuerung, die mit der Herausbildung einer rationalen Steuerungsinstanz einherginge.
„Der umfassendere Zusammenhang erbringt eine Leistung, ohne die die Teilsysteme keine selbstreproduktive Stabilität gewinnen könnten, so dass in ihnen ein Motiv wirksam ist, die strukturelle Kopplung an die Gesellschaft trotz der parallel wirksamen Dynamik zur Steigerung ihrer operativen Autonomie aufrechtzuerhalten und gezielt zu entfalten.“ (Bendel 1993,273)
Zum anderen positioniert er eine Eigenrationalität auf der Ebene der Systeme.
„Indem die Leistungen eines Systems in die Selbstreproduktion eines anderen unmittelbar einfließen, beeinflussen Sinnsysteme wechselseitig ihre interne Selektivität.“ (Bendel 1993,267)
Eigenrationalität auf der Ebene der Systeme bezeichnet mit Bendel, dass Systeme Rücksicht aufeinander nehmen bzw. einander beeinflussen können, weil sie in ihrer Selbstreflektion die Reaktionen, die ihr Handeln bzw. Kommunizieren bei anderen Systemen hervorgerufen hat, einbeziehen können.
„Um ihre Selbstreferenz zu stabilisieren, binden sie ihre Selektivität verstärkt an die Beobachtung fremdreferenzieller Ereignisse in ihrer Umwelt. Sie sensibilisieren dadurch ihre Resonanzfähigkeit und konzipieren zugleich ihre Kommunikation zunehmend auch im Hinblick auf diese Abhängigkeit.“ (Bendel 1993,273)
Zwei Einwände können hierzu angeführt werden: Systeme können zum ersten nur dann eine Veränderung in anderen Systemen in ihre Selbstreflektion einbeziehen, wenn diese von ihnen als Irritation wahrgenommen wird. Zum zweiten können sie an dieser Irritation nicht ablesen, ob es ihre Kommunikation war, welche die Veränderung des anderen Systems initiiert hat, oder ob es dafür eine andere Veranlassung gab.
Es geht Bendel an beiden Stellen um den Erhalt von „Potential an rationaler Selbstreproduktion“ (Bendel 1993,263) der Gesellschaft.
„Zur Entfaltung eines gesellschaftlichen Rationalitätspotentials bedarf es also somit keineswegs unbedingt einer konkurrenzfreien internen Repräsentation der Einheit der Gesellschaft durch eines ihrer Subsysteme, sondern lediglich eines Typus der Kommunikation, der sich an der Einheit der Differenz von Gesellschaft und Umwelt orientiert und dabei strukturell an die Selbstreproduktion der Teilsysteme gekoppelt bleibt.“ (Bendel 1993,276)
Bendel bezeichnet dabei eindeutig Steuerungsaufgaben, welche die Koordination des gesellschaftlichen Ganzen im Sinn haben. Solche sind im Rahmen der Systemtheorie dem politischen System zuzurechnen. Damit setzt er also Gesellschaft als Rationalitätszusammenhang ein, in dessen Horizont sich die Anderen zunächst angesprochen fühlen und dann einfügen müssen. In einem solchen Kommunikationszusammenhang, der eine Einheit anspricht, wird Kommunikation politische Kommunikation, die rationale Regeln und bindende institutionalisierte Normen (Bendel 1993,261) für alle Systeme zu schaffen sucht. Seine Forderung nach mehr Rationalität und Reflexivität richtet sich entsprechend eher an Organisationen als an Funktionssysteme, denn diese können rational verschiedene Funktionslogiken aufeinander beziehen und Folgenabschätzung betreiben. Bendels Forderung lässt sich sowohl an Organisationen des politischen Systems – wie etwa die Regierung – richten, als auch an Organisationen, die über Systemgrenzen hinweg operieren, wie etwa Krankenhäuser, die – im wahrsten Sinne des Wortes – im System Gesundheit und im Wirtschaftssystem operieren.
Als Ergänzung oder Weiterentwicklung der Systemtheorie scheint diese Umstellung auf mehr Rationalitätsinstanzen nicht reibungslos zu funktionieren.
Mehr Akteure
Thomas Schwinn stellt in der gegenwärtigen Debatte über Gesellschaftstheorien einen „Trend zu einer akteurstheoretischen Rekonstruktion des Differenzierungsschemas“ (Schwinn 1995,25) fest. Er diagnostiziert Steuerungslosigkeit der Gesellschaft als Folge von Differenzierung und findet in Akteuren und Organisationen Handelnde, die wieder Ordnung herstellen und die Gesellschaft steuern können.
„Ordnungskriterien müssen erfunden und durchgesetzt werden. Dazu bedarf es Intellektueller. Eliten und heute vor allem Professionen, die sich deren Interpretation und Verwaltung annehmen.“ (Schwinn 1995,35)
In der ungleichheitssoziologisch informierten Beobachtung, dass manchen Funktionssystemen viel gesellschaftlicher Spielraum zusteht, während andere ein Schattendasein fristen, sieht er einen Missstand. Er erklärt diesen mit der Anonymität der Systeme:
„Es gibt in jeder Gesellschaft eine Vielzahl von Problemen, „Dysfunktionen“, mangelhaft integrierte Kontexte. Sofern sie keine Zurechnungs- und Handlungsinstanz finden, die sich ihrer Bearbeitung annehmen, bleiben sie als solche bestehen.“ (Schwinn 1995,36)
Mit der Systemtheorie im Rücken kann man auf diese Forderung nach Akteuren als Rettern von Funktionssystemen und Gerechtigkeit (grausam) antworten, dass ein Funktionssystem, an das nicht mehr kommunikativ angeschlossen wird, sich schlicht auflöst. Der Glaube, dass durch die Herstellung einer Adresse für das System (sei es Akteur oder Organisation), selbiges gerettet und die Systeme in ein Ganzes integriert werden können, erscheint dadurch naiv.
Nicht zuletzt geht die Wiedereinführung des Akteurs in die Systemtheorie einen Schritt zurück und zu weit zugleich, da dabei Grundlagen der Theorie nicht beachtet bzw. nicht mehr für beachtenswert gehalten werden: In der Systemtheorie wird ein Akteur nur als durch Kommunikation hervorgebracht, weil adressiert, konzipiert (vgl. dazu auch: Konstruktion des Subjekts unter 4.2.1.).
Beide Weiterentwicklungen führen das bei Durkheim und Parsons gefundene Problem-Lösungs-Schema weiter mit bzw. wieder ein.
„Mit dem gesellschaftstheoretischen Diskurs läuft also das Differenzschema Integration/ Differenzierung bzw. Integration/ Desintegration nach wie vor mit und stellt damit einen Schlüssel für die gesellschaftstheoretische Diagnose empirischer Phänomene dar.“ (Nassehi 1997a,114)
Beide versuchen, mehr Zurechenbarkeiten zu finden, als in der Theoriekonstruktion der Systemtheorie angelegt sind. Es zeigt sich sowohl bei der Forderung nach Rationalitätsinstanzen, wie auch bei der Wiedereinführung des Akteurs in die Theorie, dass eine gesellschaftliche Koordinierungsinstanz vorausgesetzt bzw. konstruiert wird, um das Spiel der Systeme zu steuern. Der eigentlichen Konzeption der Systemtheorie widerspricht dies insofern, als sie keine zentrale Steuerungsinstanz vorsieht (s.o.). Zudem sind die den Akteuren und der Rationalität zugeschriebenen Aufgaben solche, die dem politischen System zugeordnet werden können. Dies würde bedeuten, Voraussetzung für das Funktionieren der Gesellschaft als Gemeinschaft von Systemen oder Akteuren und Organisationen, ist die Dominanz des politischen Systems.
Diese in den beiden Ansätzen gefundene, dominierende, steuernde und integrierende Rolle des politischen Systems benennen Martina Sauer und Kai-Uwe Schnapp (Sauer/ Schnapp 1997) explizit als Lösung des Koordinationsproblems der Funktionssysteme:
„Dem politischen System kommt hier die Funktion zu, die auseinandertreibenden Teilsystemrationalitäten zu reintegrieren.“ (Sauer/ Schnapp 1997,239)
Die „Integrations- und Vermittlungsfunktion“ (Sauer 1997, 289) erfüllen dann Akteure des politischen Systems.
„Politische Steuerung wird hierbei als in bestimmten Strukturen ablaufende und durch Funktionen determinierte, letztlich aber durch Personen gestaltete kommunikative Prozesse verstanden.“ (Sauer 2000,33f)
Die Frage dieses Absatzes, ob doch eine Integrationsinstanz vonnöten sei, kann entsprechend mit nein beantwortet werden. Sie ist im Rahmen der Systemtheorie weder nötig noch scheint es möglich, eine solche konsistent einzufügen. Der Zusammenhang und der Zusammenhalt der Systeme bleibt also weiterhin der kontingenten strukturellen Kopplung in Entscheidungen auf Grund wechselseitiger Irritationen überlassen. Eine Reduzierung dieser Kontingenz erscheint theorietechnisch nicht wünschenswert.
2.3. Asymmetrien und ihre Folgen – Stichwort Elite
Asymmetrien tauchen in der Systemtheorie zunächst nicht auf. Am System der Wirtschaft zum Beispiel nimmt jeder teil, das heißt jeder kommuniziert ökonomisch gleichviel, ob er nun ‚Zahlen’ oder die andere Seite des binären Codes des Wirtschaftssystems ‚nicht Zahlen’ in Anspruch nimmt, um anzuschließen. Empirisch werden Asymmetrien jedoch trotzdem deutlich sichtbar. Es wird etwa eine Elite der Wirtschaft sichtbar, die sich von denen unterscheidet, die vornehmlich über ‚nicht Zahlen’ anschließen. Asymmetrie wird so als soziale Ungleichheit sichtbar, wenn dem einen mehr des generalisierten Kommunikationsmediums Geld zur Verfügung steht als dem anderen.
Es erscheint also zuerst einmal seltsam, ein Phänomen der Ungleichheit – der spürbaren Asymmetrie – im Rahmen einer Theorie von gleichwertigen aber verschiedene Funktionen erfüllenden Teilsystemen zu untersuchen. Dies liegt darin begründet, dass mit der Theorie, wie sie Luhmann entwickelt hat, Ungleichheiten nicht als Ausprägungen des Gesellschaftssystems beobachtet werden können. Es ist vielmehr so,
„dass kulturelle und ästhetische Ungleichheiten und Pluralitäten auf horizontaler Ebene wie auch materielle Differenzen und Ungleichheiten von Lebenschancen keine Systemdifferenzierungen des Gesellschaftssystems sind, sondern dass diese selbst quer zu den funktionalen Differenzierungsgrenzen verlaufen“ (Nassehi 1997a,141), so „dass soziale Ungleichheiten sozusagen als Parasiten der funktionalen Differenzierung fungieren und sich gerade deshalb der Gesellschaftsstruktur selbst entziehen.“ (Nassehi 1997a,141)
Thomas Schwinn bemängelt an den Erkenntnischancen der Luhmannschen Systemtheorie die gleiche Blindheit:
„Die sich zu funktionsübergreifenden Soziallagen stabilisierenden Differenzen liegen quer zum funktionalen Differenzierungsprinzip.“ (Schwinn 1998,4)
Er schlägt eine Verknüpfung von Ungleichheitssoziologie und Systemtheorie vor, da beide zur Beschreibung der Gesellschaft unerlässlich seien (vgl. Schwinn 2004). Man müsse die Wechselwirkungen zwischen der stratifikatorischen und der funktionalen Differenzierungsform mehr in den Mittelpunkt gesellschafts-theoretischer Untersuchungen rücken.
Welche Funktion kann Asymmetrie aber alleine im Rahmen einer systemtheoretischen Analyse zukommen? Man kann den Versuch unternehmen,
„soziale Ungleichheit unter Hinweis auf die stabilisierende Funktion von asymmetrischen Unterscheidungen in den systemtheoretischen Kontext einzubauen.“ (Nassehi 2004a,100)
Ebenso wie der Ausdifferenzierung der Funktionssysteme eine komplexitäts-reduzierende Funktion zukommt, verringern Asymmetrien Komplexität, indem sie Strukturen festlegen und damit „ordnungsformende Wirkungen[17] “ (Nassehi 2003b, 86) entfalten: Es ist klar und muss nicht erst verhandelt werden, wer richtungs-
weisende Entscheidungen in einem Unternehmen fällt. Es ist klar, dass Professoren die Vorlesungen halten, und nicht basisdemokratisch einer der Studenten zum Redner des Tages bestimmt wird. Asymmetrie macht also Kommunikation einfacher, das heißt, sie reduziert die Kontingenz der Anschlussmöglichkeiten, indem sie sie vorstrukturiert. Dies gilt sowohl für Asymmetrien in der Zeit-, der Sach- wie der Sozialdimension.
„Strukturelle Asymmetrien, also: Asymmetrien, die in die soziale Erwartungsbildung eingebaut werden, erhöhen den Ordnungsgrad und lösen in diesem Sinne das Bezugsproblem des Umgangs mit hoher Komplexität.“ (Nassehi 2004b,113)
Im Folgenden soll eine bestimmte Asymmetrie betrachtet werden, die als besonders bedeutsam für die Analyse der Gegenwartsgesellschaft[18] gelten kann: die Asymmetrie, welche sich im Umgang mit Wissen und vor allem mit Nichtwissen ausbildet. Funktionssysteme bilden nicht nur eigene Codes aus, sondern häufen auch Wissen über vergangene Kommunikation in ihnen an, Organisationen archivieren und sammeln oder verkaufen Wissen, psychische Systeme lernen lebenslang und wissen doch, dass sie am Ende nie alles wissen können. Wissen oder besser Nichtwissen wird also verknüpft mit zwei Unsicherheiten: einerseits eben genannte, dass man nicht alles wissen kann, also nicht sicher sein kann, genügend zu wissen, und andererseits gilt in der funktional differenzierten Gesellschaft Wissen nicht mehr einfach und überall, sondern Geltungsbereiche enden mit Systemgrenzen. Wenn das Wissen nicht endet, so verändert es sich auf jeden Fall beim Überschreiten der Grenze:
„Die vermeintlich gleiche Information bekommt innerhalb der unterschiedlichen Bedeutungskontexte völlig unterschiedliche Bedeutungen“ (Nassehi 2000a,104)
Im Vorteil ist dann, wer souverän damit umgehen kann, nicht alles zu wissen, und wer Wissen als kontextabhängig erkennt und dem Kontext entsprechend verwenden – also kommunizieren – kann. Letzteres beinhaltet,
„dass bewusste Perspektivenübernahmen stattfinden, die in der Verfremdung des eigenen und des fremden Blicks lernen können, dass jeder Blick nichts anderes ist als ein Blick – dessen Horizont sich bekanntlich verschiebt, sobald man seine Position ändert. Es setzt also voraus, dass der Beobachter sichtbar gemacht wird,“ (Nassehi 2000a,104)
weil das Wissen nicht mehr absolut gesetzt werden kann. Dieses Umgehen mit der Möglichkeit des Nichtwissens als Umgang mit der Perspektivendifferenz lässt sich treffend beschreiben mit der Fähigkeit, zwischen Perspektiven zu wechseln und zu übersetzen. Solche Übersetzer braucht es, da
„sich offenbar kein Standpunkt des Wissens mehr finden lässt, in dem alle Wissensformen zu einer Perspektive zusammenfallen“ (Nassehi 2000a,103).
Diese Diagnose verläuft parallel zur Perspektivendifferenz der Funktionssysteme, die auch keinen Standpunkt mehr ermöglicht, von dem aus das Ganze als Ganzes gesehen werden kann.
Eine eingehende Diskussion, wie diese Funktion des Übersetzens von Eliten ausgefüllt wird, findet sich im Abschnitt 3.3. Beobachtungen dazu, wie Elite die Zuschreibung von Asymmetrie in biographischen Selbstbeschreibungen bearbeitet bzw. kommuniziert, folgen dann im empirischen Teil der Arbeit.
3. „Ein weites Feld“ – Der Elitebegriff
Bei dem Elitebegriff handelt es sich um einen „nuancenreichen Begriff von schillernder Unbestimmtheit“ (Dreitzel 1962,13), wie bereits in der Einleitung illustriert wurde. Den Begriff Elite in seiner diffusen Bestimmtheit zunächst begriffs-geschichtlich näher zu bestimmen und mit den sogenannten Bindestrich-Eliten verschiedene Konzeptionen und Ausdeutungen aufzuzeigen, ist ein Ziel dieses Kapitels. Durch eine Diskussion des Begriffspaars Elite und Demokratie (vgl. 3.2.), das eine Betrachtung des Sonderfalls Deutschland (vgl. 3.2.3.) einschließt, soll zudem deutlich gemacht werden, warum der Umgang mit Elite – mit spürbarer Asymmetrie – zum Problem werden kann, wenn Mitglieder der Elite über sich selbst reden.[19]
3.1. Begriffsbestimmungen
3.1.1. Definitionsvielfalt in der Geschichte des Begriffs
Nähern wir uns dem Begriff der Elite historisch: Die erste bekannte wissenschaftliche Benennung einer Elite kann Platon für sich reklamieren, der in der Politeia „die Besten, die Weisen, die sich auch mit dem Guten auskennen“ (Schäfers 2004,3) als Elite und damit als Herrschende einsetzte.
Auf das Leistungskriterium beziehen sich dann im 18. Jahrhundert im Zuge der französischen Revolution zunächst die Bürger Frankreichs, denen zugeschrieben wird, den Begriff Elite als erste in diesem Sinne verwendet zu haben. Dem aufstrebenden Bürgertum verleiht diese Definition die Möglichkeit der Abgrenzung als Schicht nach oben und unten: Nach oben gegen den Adel, dem seine Position qua Geburt schon immer zukam, und nach unten gegen das gemeine Volk, das zwar viel arbeitet, dabei aber Leistungen erbringt, die als weniger wert erachtet werden. Vor demselben Hintergrund hielt dieser Elitebegriff auch um 1850 in die deutsche Sprache Einzug (vgl. Friedeburg 1987).
Die Frage nach dem Guten und den Besten rückt schon mit Niccolò Macchiavelli (1469-1527) in den Hintergrund – und zwar hinter das Moment des Herrschens. Um die Herrschenden drehen sich dann auch die großen Klassiker der neomacchiavellistischen Elitetheorie, wenn Vilfredo Pareto[20] (1848–1923), Gaetano Mosca (1858-1941) und Robert Michels (1876-1936) bestimmen, was sie mit Elite meinen:
„Diese auf die „politische Klasse“ bezogenen Theorien gingen im Kern davon aus, dass Eliten notwendig sind, um der Masse den Weg in die Zukunft zu weisen und im sozialdarwinistisch verstandenen Wettkampf der Nationen zu bestehen.“ (Schäfers 2004,3)
Bei Gaetano Mosca etwa klingt dies dann so:
„In allen Gesellschaften [...] gibt es zwei Klassen, eine, die herrscht und eine, die beherrscht wird. Die erste ist immer die weniger zahlreiche, sie versieht alle politischen Funktionen, monopolisiert die Macht und genießt deren Vorteile, während die zweite, zahlreichere Klasse von der ersten befehligt und geleitet wird.“ (Mosca 1950,52f)
Anders als die Neomacchiavellisten legen die Demokratietheoretiker wie Max Weber (1864-1920), Karl Mannheim (1893-1947) oder Ralf Dahrendorf und Wolfgang Zapf den Schwerpunkt ihrer Elitetheorien auf die Beantwortung der Frage, „wie die Existenz einer Elite mit Demokratie zu vereinbaren ist“ (Wasner 2004,67). Dieser Frage ist der Abschnitt 3.2. gewidmet.
Die folgende Beschreibung von Bindestrich-Eliten gibt einen Überblick über aktuelle Konzepte in der Eliteforschung, die geprägt ist durch die Komplexität des Begriffs von Elite. So lassen sich dem Elitebegriff – wie auch immer er dann ausformuliert ist – mit Hans P. Dreitzel stets drei Dimensionen zuordnen: eine utopische, eine ideologische und eine qualifikatorische:
„Drei Elemente hatten wir im Elitebegriff unterschieden: Die utopische Forderung, dass die objektiv Besten der Gesellschaft herrschen sollen; Elite als die im ideologisch-subjektiven Sinn zur Führung wahrhaft Geeigneten und Berechtigten; und schließlich als wichtigstes: Elite als die Auswahl und Auslese derjenigen, die sich tatsächlich in irgendeiner Weise qualifiziert haben.“ (Dreitzel 1962,12)
[...]
[1] Siehe: http://www.frank-luedecke.de/html/aktuell.php3
[2] Die folgende Fußnote Michael Hartmanns zum Gebrauch des Elitebegriffs erscheint in Anbetracht der emotional geführten öffentlichen Diskussion von Elite sehr zitierenswert: „Mit dem Begriff Elite ist hier wie im folgenden keine inhaltliche Bewertung verbunden, sondern nur zum Ausdruck gebracht, dass die jeweilige Gruppe Spitzenpositionen in der Gesellschaft bekleidet.“ (Hartmann 1996,13)
[3] Eine treffliche Illustration dieser Differenzen sind die Buddenbrookschen Abendessen, wie sie in Thomas Manns Roman beschrieben sind.
[4] In dem von Thomas Schwinn herausgegebenen Buch Differenzierung und soziale Ungleichheit. (Schwinn 2004) wird ein anderer Weg eingeschlagen. Er versucht, beide Soziologien zu verbinden, um eine umfassendere Theorie und ein umfassenderes Analyseinstrument zu erhalten.
[5] Die Verfasserin verzichtet im Folgenden auf die Nennung weiblicher und männlicher Wortendungen. Dies dient lediglich der Lesbarkeit des Textes und weibliche Leser mögen sich ebenso angesprochen fühlen.
[6] Dass Differenzierung auch in neueren Theorien nach dem gleichen Schema zum Problem wird, zeigen die später vorgestellten Ansätze von Thomas Schwinn und Klaus Bendel (vgl. 2.2.4.).
[7] Dem Begriff der organischen Solidarität standen dabei die Organe eines Körpers Pate, die sich wechselseitig nicht ersetzen können aber von der Funktion der jeweils anderen abhängig sind: keine Lunge kann die Aufgaben des Magens übernehmen aber ohne eine funktionierende Lunge kann der Magen auch nicht arbeiten.
[8] Das mutet widersprüchlich an und auch Uwe Schimank stellt dazu fest: „Alle, die sich mit diesem Konzept Durkheims näher befasst haben, stimmen allerdings darin überein, dass seine Analyse gerade hier große Unklarheiten aufweist“ (2000,35).
[9] „Das vorrangige Integrationsproblem eines Handlungssystems ist die Koordination seiner Teileinheiten, in erster Linie also menschlicher Individuen [...] Daher schreiben wir dem sozialen System hauptsächlich Integrationsfunktion zu.“ (Parsons 2000, S.12)
[10] In einer segmentär differenzierten Gesellschaft stehen gleichwertige und gleichrangige Teile (in Form von Sippen etwa) nebeneinander (vgl. 2.1.1. zu Durkheim).
[11] In einer stratifikatorisch strukturierten Gesellschaft stehen alle Teile dieser an einer bestimmten Stelle in der Hierarchie, sind also ungleich zueinander, wie etwa in der Ständegesellschaft des europäischen Mittelalters.
[12] In der Systemtheorie werden drei Dimensionen von Sinn unterschieden: die Zeit-, die Sach-, und die Sozialdimension. In jedem Ereignis sind diese drei gleichzeitig vertreten.
[13] Könnten sie dem Rauschen Beachtung schenken, wäre die komplexitätsreduzierende Funktion, die sie erfüllen, schlicht nicht erfüllt.
[14] Über Integration auf der Ebene sozialer Systeme und auf der Ebene von Organisationen müsste anderes geschrieben werden.
[15] Nochmals: Dies gilt für die Gesellschaftstheorie, dass soziale Systeme und Organisationen ihre Mitglieder integrieren wollen, sollen und vielleicht auch müssen, steht auf einem anderen Blatt.
[16] Die vorliegende Arbeit sieht dagegen darin die Chance ein abstrakteres theoretisches Werkzeug zu erhalten – und damit mehr oder zumindest anderes sehen zu können.
[17] Mit solchen ordnungsformenden Wirkungen befasst sich auch der damalige Militärbischof Hartmut Löwe: „Es wäre jedoch ein tiefes Missverständnis zu meinen, die Gleichheit vor Gott habe auch die Gleichheit der Menschen zur Folge. Das wäre nichts anderes als die Gleichheitsideologie, alles andere als eine Tugend. In diesem Gleichheitswahn drückt sich doch auch eine Ignoranz aus, die nicht wahrnimmt, was faktisch in unserer Gesellschaft am Tage liegt: dass sich maßgebliche und einflussreiche Menschen zusammenfinden und eine politische, wirtschaftliche, wissenschaftliche, kulturelle und auch kirchliche Elite bilden. Und wo sie fehlen, ist überall der Schaden groß.“ (Löwe 1999, 130)
[18] Dahinter steht die Diagnose „Wissensgesellschaft“, wie sie in folgenden Büchern erläutert wird: Madl/Rothermann-Rottmeier 2000, Bleichner 2002,
[19] Herr von Briest in Theodor Fontanes Effi Briest.
[20] Eine Ausführliche Darlegung der Gesellschaftstheorie Vilfredo Parteos findet sich in der von Gottfried Eisermann besorgten vollständigen Übersetzung mit Kommentaren von Paretos System der allgemeinen Soziologie (Eisermann 1962) oder in verkürzter Form in der von Carl Brinkmann besorgten Auswahl und Übersetzung (Brinkmann/ Gerhard 1955).
- Arbeit zitieren
- Christine Kestel (Autor:in), 2004, Anders besser sein - Selbstbeschreibungen der Elite: Über die Rolle von Asymmetrie in Systemtheorie und gesellschaftlicher Praxis, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/44957
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