Eine lange Zeit dominierende Überzeugung innerhalb der Debatte über Willensfreiheit und moralischer Verantwortlichkeit des Menschen ist im Principle of Alternate Possibilities (PAP) formuliert: Wenn ein Akteur moralisch verantwortlich für eine Entscheidung ist, dann hätte er anders entscheiden können müssen. Hinter diesem Prinzip steht eine bestimmte Vorstellung der Kontrolle über eigene Entscheidungen, die von vielen als ein grundlegendes Kriterium für die Freiheit eines Akteurs in Bezug auf die Entscheidungsfindung angesehen wird: Er muss die Möglichkeit gehabt haben, sich auch für eine alternative Handlung zu entscheiden. Nimmt man einen kausalen Determinismus an, der den Weltverlauf durch vergangene Weltzustände und Naturgesetze bestimmt, begründet das PAP die Position des Inkompatibilismus.
Um das PAP zu widerlegen, entwarf Harry Frankfurt in „Alternate Possibilities and Moral Responsibility” (1969) ein Gedankenexperiment, das in seiner allgemeinen Struktur als Frankfurt-style case (FSC) bezeichnet wird. Eine bekannte weiterentwickelte Version des Gedankenexperiments stammt von John Martin Fischer, z.B. in „Frankfurt-type Examples and Semicompatibilism: New Work“ (2011). Ein FSC zeichnet sich durch die entscheidende Rolle eines counterfactual interveners aus. Dieser gewährleistet, dass der Akteur, um dessen Willensentscheidung es geht, keine Möglichkeit hat, sich anders zu entscheiden, ohne jedoch Einfluss auf die Entscheidungsbildung an sich zu nehmen. Da sich durch diese Eigenschaften der counterfactual intervention die Intuition einstellt, dass der Akteur moralische Verantwortung für seine Entscheidung/Handlung tragen könnte, scheint der FSC ein ernstzunehmender Angriff gegen das PAP zu sein. Viele Vertreter des PAP geben sich jedoch nicht geschlagen und haben verschiedene Kritikpunkte gegen die Aussagekraft des FSC vorgebracht. Eine der hartnäckigsten Herausforderungen für den FSC ist die sogenannte Dilemma Defense (erstmals 1985 von Robert Kane formuliert).
Diese Arbeit ist eine zusammenhängende Rekonstruktion und kritische Reflexion eines Diskussionsstrangs innerhalb der darauf entbrannten Debatte, der auf der einen Seite von Fischer als Verteidiger des FSC geführt wird. Leitgedanke ist die strittige Frage, wie entscheidend die Rolle des counterfactual interveners in FSCs wirklich sein kann.
Inhaltsverzeichnis
- I. Einführung: Hintergrund
- I.1 Das Principle of Alternate Possibilities
- I.2 Frankfurt-Style Cases
- II. Die Dilemma Defense
- III. Fischers Verteidigung des FSC
- III.1 Fischers (erstes) Argument
- III.2 Goetz' Kritik des Arguments
- III.3 Fischers Improved Argument
- III.4 Cohens Kritik des Improved Arguments
- IV. Diskussion und Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit befasst sich mit der Kritik an John M. Fischers Verteidigung des Frankfurt-Style Case innerhalb der Dilemma Defense Debatte. Die Untersuchung zielt darauf ab, die Argumentationslinie Fischers zu rekonstruieren und kritisch zu reflektieren. Dabei wird insbesondere auf die Rolle des counterfactual interveners in Frankfurt-Style Cases (FSC) eingegangen und die Frage untersucht, ob die Struktur des Beispiels einen Interpretationsspielraum zulässt, der sowohl deterministische als auch indeterministische Auslegungen ermöglicht.
- Das Principle of Alternate Possibilities (PAP)
- Frankfurt-Style Cases (FSC)
- Die Dilemma Defense
- Fischers Verteidigung des FSC
- Kritik an Fischers Argumenten
Zusammenfassung der Kapitel
- I. Einführung: Hintergrund
- I.1 Das Principle of Alternate Possibilities: Das PAP wird als eine lange Zeit dominierende Überzeugung innerhalb der Debatte über Willensfreiheit und moralische Verantwortlichkeit vorgestellt. Die Konzeption von Freiheit als "Garden of Forking Paths Model" und die Verwendung des PAP als Prämisse für die Position eines Inkompatibilisten werden erläutert.
- I.2 Frankfurt-Style Cases: Frankfurt-Style Cases, ein Gedankenexperiment, das das PAP widerlegen soll, wird vorgestellt. Die Arbeit basiert auf der Version von John Martin Fischer und erklärt die grundlegende Struktur des FSC anhand eines Beispiels.
- II. Die Dilemma Defense
- III. Fischers Verteidigung des FSC
- III.1 Fischers (erstes) Argument: Fischer verteidigt die Bedeutung von FSCs auf Grundlage der deterministischen Interpretation und argumentiert, dass die Aussage eines FSC nicht durch die Annahme eines kausalen Determinismus in der faktischen Ereignissequenz ungültig wird.
- III.2 Goetz' Kritik des Arguments: Goetz kritisiert Fischers Argument und argumentiert, dass die Annahme eines kausalen Determinismus in der faktischen Sequenz zu einer Zirkularität der Argumentation führt.
- III.3 Fischers Improved Argument: Fischer präsentiert ein "Improved Argument", das auf der Annahme eines kausalen Determinismus in der faktischen Sequenz beruht.
- III.4 Cohens Kritik des Improved Arguments: Cohen kritisiert Fischers Improved Argument und argumentiert, dass dieses Argument nicht überzeugend ist.
Die Dilemma Defense stellt die Aussagekraft von FSCs in Frage, da die Struktur des Beispiels einen Interpretationsspielraum zulässt, der sowohl deterministische als auch indeterministische Auslegungen ermöglicht. Beide Interpretationen bringen Probleme mit sich.
Schlüsselwörter
Die Arbeit beschäftigt sich mit den Themen Willensfreiheit, moralische Verantwortlichkeit, Frankfurt-Style Cases, Dilemma Defense, Determinismus, Indeterminismus, counterfactual intervention, prior sign, "Garden of Forking Paths Model", Inkompatibilismus.
- Quote paper
- Céline Sun (Author), 2017, Das Problem der Willensfreiheit. Zur Kritik an Frankfurt-Style Cases in der Dilemma Defense Debatte, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/448899