Diese Seminararbeit entstand im Rahmen des Seminars ‹Staaten und Ethnien› bei Eva Keller im Wintersemester 2004/2005. Durch die Diskussion um die Herausbildung und Veränderung von kultureller Identität, ergab sich für uns die Fragestellung, wie der Tourismus diesen Prozess beeinflusst.
Ob in Indien oder Peru, ob in Bali oder im Wallis, der Tourismus verändert das Leben und die Menschen in den Tourismusdestinationen. Er verformt die Kultur und das Brauchtum und aus gelebter Volkskultur entsteht durch kommerzielle Vermarktung ‹Folklorismus›. Kein Tourismus bleibt also ohne kulturelle Folgen in der Zielregion und je intensiver der Kontakt, desto stärker werden traditionelle Wertsysteme verformt. Die zunehmende Globalisierung fördert den Tourismus und dadurch rücken die Eigenarten der Regionen und ihre kulturellen Identitäten vermehrt in den Blickpunkt des Interessens. Im Hinblick auf die kulturelle Identität gibt es gegenwärtig zwei Tendenzen: Die eine geht in die Richtung einer Homogenisierung (also einer Vereinheitlichung und Angleichung der Kulturen) und die andere weist gegenläufig in eine Heterogenisierung (neue Betonung nationaler und regionaler Eigenart). Mit der Stärkung der letzteren Tendenz steigt in vielen Ländern die Besorgnis, durch verschiedene international geprägte Erscheinungen von der Einheitskultur auch gegen ihren Willen überrollt zu werden. Dies vor allem im Bereich der weltweit operierenden Wirtschaftskonzerne, durch vereinheitlichte Erziehungssysteme, durch die Medien unddurch den internationalen Tourismus.Letzterem kommt dabei ein besonderer Stellenwert zu, da er erstens inzwischen einer der weltweit bedeutendsten Wirtschaftszweige ist und da er zweitens durch die persönliche Anwesenheit der Träger einer anderen Kultur für die Kultur der Tourismusgebiete als besonders gewichtiger Einflussfaktor gilt. Dieser Aspekt interessiert uns auch insbesondere in dieser Arbeit. Die folgenden Ausführungen dazu sind in zwei Teile gegliedert, wobei in einem ersten Teil das Thema theoretisch diskutiert wird. Es werden zuerst zentrale Arbeitsbegriffe vorgestellt und definiert, woraufhin kurz auf den Forschungsstand der Tourismusforschung eingegangen wird. Des Weiteren werden im Kapitel fünf die Hypothesen genauer erklärt, welche im Folgenden theoretisch beantwortet werden.
Inhaltsverzeichnis
2. Abbildungsverzeichnis
3. Einleitung
4. Arbeitsbegriffe
4.1 Tourismus
4.2 Kultur
4.3 Das «Vier-Kulturen-Schema»
4.4 Kulturelle Identität und Ethnizität
4.5 Tourismus und Authentizität
4.6 Globalisierung
5. Forschungsstand
5.1 Der Tourist
5.2 Beziehung Tourist-locals
5.3 Sozioökonomische und soziokulturelle Auswirkungen des Tourismus
6. Hypothesen
7. Methoden und Vorgehen
8. Theoretische Beantwortung
8.1 Authentizität
8.2 Sozioökonomische Auswirkungen
8.3 Soziokulturelle Auswirkungen
8.4 Homogenisierung vs. Heterogenisierung
8.5 Fazit über Hypothesen
9. Fallbeispiele
9.1 Maoris
9.2 Taíno
9.3 Schweiz
10. Vergleich und Hypothesentest
10.1 Anzeichen für Veränderung von kultureller Identität
10.2 Instrumentalisierung
10.3 Authentizität
11. Abschliessende Bemerkungen und Ausblick
12. Literatur
2. Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: Vier-Kulturen-Schema
3. Einleitung
Diese Seminararbeit entstand im Rahmen des Seminars ‹Staaten und Ethnien› bei Eva Keller im Wintersemester 2004/2005. Durch die Diskussion um die Herausbildung und Veränderung von kultureller Identität, ergab sich für uns die Fragestellung, wie der Tourismus diesen Prozess beeinflusst.
Ob in Indien oder Peru, ob in Bali oder im Wallis, der Tourismus verändert das Leben und die Menschen in den Tourismusdestinationen. Er verformt die Kultur und das Brauchtum und aus gelebter Volkskultur entsteht durch kommerzielle Vermarktung ‹Folklorismus›. Kein Tourismus bleibt also ohne kulturelle Folgen in der Zielregion und je intensiver der Kontakt, desto stärker werden traditionelle Wertsysteme verformt. (Luger/Inmann 1995:31)
Die zunehmende Globalisierung fördert den Tourismus und dadurch rücken die Eigenarten der Regionen und ihre kulturellen Identitäten vermehrt in den Blickpunkt des Interessens. Im Hinblick auf die kulturelle Identität gibt es gegenwärtig zwei Tendenzen: Die eine geht in die Richtung einer Homogenisierung (also einer Vereinheitlichung und Angleichung der Kulturen) und die andere weist gegenläufig in eine Heterogenisierung (neue Betonung nationaler und regionaler Eigenart) (Macleod 2004: 217f.). Mit der Stärkung der letzteren Tendenz steigt in vielen Ländern die Besorgnis, durch verschiedene international geprägte Erscheinungen von der Einheitskultur auch gegen ihren Willen überrollt zu werden. Dies vor allem im Bereich der weltweit operierenden Wirtschaftskonzerne, durch vereinheitlichte Erziehungssysteme, durch die Medien und durch den internationalen Tourismus. Letzterem kommt dabei ein besonderer Stellenwert zu, da er erstens inzwischen einer der weltweit bedeutendsten Wirtschaftszweige ist und da er zweitens durch die persönliche Anwesenheit der Träger einer anderen Kultur für die Kultur der Tourismusgebiete als besonders gewichtiger Einflussfaktor gilt. (Thiem 1994:22f.) Dieser Aspekt interessiert uns auch insbesondere in dieser Arbeit.
Die folgenden Ausführungen dazu sind in zwei Teile gegliedert, wobei in einem ersten Teil das Thema theoretisch diskutiert wird. Es werden zuerst zentrale Arbeitsbegriffe vorgestellt und definiert, woraufhin kurz auf den Forschungsstand der Tourismusforschung eingegangen wird. Des Weiteren werden im Kapitel fünf die Hypothesen genauer erklärt, welche im Folgenden theoretisch beantwortet werden.
Im zweiten Teil der Seminararbeit werden schliesslich die drei Fallbeispiele vorgestellt und im folgenden Kapitel sowohl dem Hypothesentest unterzogen, wie auch untereinander verglichen.
4. Arbeitsbegriffe
4.1 Tourismus
Tourismus ist ein Begriff der in vielen Wissenschaftsdisziplinen behandelt wird, so auch in der Sozialanthropologie. Nash (1981:461) begründet dieses Interesse damit, dass der Tourismus das Reisen involviere, woraus ein Kontakt zwischen Kulturen und Subkulturen resultiere. Im Weiteren ist Tourismus weit verbreitet in der menschlichen Gesellschaft und hat elementaren Einfluss auf sie. Für den Sozialanthropologen, der menschliche Situationen studiert, sind dies zentrale Elemente (ebd.:461).
Um im Folgenden den Dialog rund um den Tourismus aufzurollen, gilt es zu erwähnen, dass der Begriff nicht so selbstverständlich ist, wie er im Alltag gehandelt wird. Vielmehr ist er ambivalent und vage, lässt also viel Raum für Diskussionen und Mutmassungen.
Auf die Definition von Tourismus kommend, soll erstmals die International Union of Official Travel Organizations. (IUOTO 1963:14) zitiert werden. Sie bezeichnet Touristen, welche die Grundlage für den Tourismus sind, als « temporary visitors staying at least twenty-four hours in the country visited and the purpose of whose journey can be classified under one of the following headings: (a) leisure (recreation, holiday, health, study, religion and sport); (b) business (family mission, meeting)». Obwohl diese Definition hilfreich für statistische und industrielle Zwecke ist, ist sie für soziologische Arbeiten unzureichend. Ihre Mängel sind die grosse Dehnweite und die theoretische Unfruchtbarkeit (Cohen 1984:374). Cohen (1974, zitiert in Nash 1881:462) argumentiert, Touristen seien eine Art von Reisenden. Ergänzend sagt er ausserdem (Cohen 1974, zitiert in Nash 1881:462): « tourism involves voluntary, nonrecurrent, novelty-seeking, temporary traveling or sojourning». Problematisch hier ist, dass es an einem sozialanthropoligschen Bezug fehlt. Auch weitere Definitionsversuche konnten die aufgeführten Mankos nicht beheben, ohne neue Lücken bzw. Unreinheiten zu erzeugen.
Wenig Einvernehmen herrscht ebenfalls bei konzeptionellen Annäherungsversuchen. Cohen (1984:374) hebt acht davon hervor, die aus seiner Sicht die zentralsten sind: Tourismus wird umschrieben als (Cohen 1984:374-376):
(1) kommerzialisierte Gastfreundschaft: Tourismus wird als kommerzialisierte und z.T. gar industrialisierte Form von Gastfreundschaft gesehen.
(2) demokratisierte Reise: Massentourismus wird als demokratisierte Expansion der früheren, aristokratischen Reisen betrachtet.
(3) moderne Form der Pilgerreise: Der Fokus liegt auf der tieferen strukturellen Bedeutung des modernen Tourismus und identifiziert ihn mit Pilgerreisen von traditionellen Gesellschaften.
(4) Ausdruck von grundlegenden Kulturthemen: Konträr zu Nashs (1981) ethische Annäherung wird versucht, eine emische Perspektive des Kulturspezifischen und der symbolischen Bedeutung aus der Sicht der Urlauber darzulegen.
(5) akkulturativen Prozess: Hierbei geht es um Einflüsse des Tourismus auf das Gastland. Es wird versucht die Studien zum Tourismus ins weite Feld der Akkulturationstheorien einzubringen.
(6) eine Art ethnischer Beziehungen: Vertreter dieser Richtung (z.B. Van den Berghe 1984) versuchen die Beziehung Gast – Gastgeber in den weiten Rahmen Ethnizität und ethnischen Beziehungen zu integrieren. Diese Sicht ist allerdings problematisch, da der prominenteste Vertreter, Van den Berghe, die sehr umstrittene primordialistische Sichtweise vertritt.
(7) eine Form von Neokolonialismus: «The focus is on the role of tourism in creating dependencies between tourism-generating, ‹metropolitan› countries and tourism-receiving, ‹peripheral› nations that replicate colonial or ‹imperial› forms of domination and structural underdevelopment.» (Cohen 1984:376)
(8) oder als moderne Freizeitaktivität: Dieser Punkt soll im Folgenden näher erläutert werden, da er viele Diskussionen ausgelöst hat und des Öfteren thematisiert wird, insbesondere aufgrund Nashs Aufsatz «Anthropology of Tourism» (1981).
Die Idee des «modern leisure»-Ansatzes ist, dass Touristen Menschen mit Freizeit sind und Tourismus dann als die Aktivität gilt, welche sie in diesem Status ausführen. Den Freizeitbereich betreten sie, wenn sie frei sind von den primären Verpflichtungen. Die Grenze zwischen Freizeit und Verpflichtung ist jedoch nicht immer deutlich, vielmehr muss akzeptiert werden, dass «leisure not pure» (Nash 1981:462) ist. Freizeit allein macht jedoch noch keinen Touristen, vielmehr muss die Spezifikation ‹Reise› angeführt werden. Um als Tourist zu gelten, muss die Person ihre Heimatgesellschaft verlassen. Dabei ist sie meistens auf der Suche nach Abwechslung vom Leben. Zusammenfassend meint Nash (1981:462): «If we accept this notion of the tourist as a person at leisure who also travels, then tourism is the activity (whatever, specifically, it is and however it is motivated) of these person. One becomes a tourist when one leaves home while free of primary obligations. The activities one engages in then usually are not carried on in isolation.»
Nashs Ausführungen haben viele Reaktionen ausgelöst, welche im Anhang seines Aufsatzes (Nash 1981:468-477) zu finden sind. Seine guten Ansätze wurden gelobt, jedoch auch darauf hingewiesen, dass sie noch in Kinderschuhen stecken (Noronha, Pi-Sunyer, Manning, Watson-Gegeo in Nash 1981:468-477). Ansonsten wurde viel Kritik laut. Etwa fragte sich Bodine (zitiert in Nash 1981:469): «If, on a leisurely Saturday evening, I travel across Washington, D.C., to Chinatown and enter a restaurant, which is most definitely outside my cultural milieu, am I a tourist?» Damit zeigt sich bereits das Hauptproblem: Seine Definition greift einerseits zu weit, lässt also zu viele Möglichkeiten zu; zum anderen ist sie aber ebenso zu ausgrenzend, denn nicht alle touristisch Reisenden haben darin Platz (Bsp. Pilgerer) (Cohen, Graham, Bodine in Nash 1981:468-477). Die Kritiker finden allerdings auch keinen geeigneteren Zugang zum Begriff Tourismus.
Es herrscht also noch viel Diskussions- und Forschungsbedarf um den Begriff Tourismus fassen und vereinheitlichen zu können. Dabei sollten in soziologische Untersuchungen folgende vier zentralen Punkte berücksichtigt werden: der Tourist und seine Motivation, Haltung, Reaktion und Rolle, die Beziehung zwischen Touristen und Lokalen, die Struktur des Tourismussystems und die sozioökonomischen und soziokulturelle Auswirkungen (Cohen 1984:376-388). Letzterer Aspekt wird in dieser Arbeit erläutert.
Obwohl Nashs Definition viel Kritik ausgelöst hat, möchten wir sie für unsere Arbeit übernehmen, da wir bewusst den Freizeitaspekt des Tourismus fokussieren möchten. Es geht uns um solche Menschen, welche fern von ihrer Heimat in ihrer Freizeit nach Zerstreuung und Abwechslung vom Alltag suchen, sowie vom Aspekt des Neuen gelockt werden. Weniger interessieren uns jedoch Pilger oder Geschäftsreisende. Ergänzend zu dieser Definition, soll noch der 24-Stunden-Aspekt nach IUOTO (1963:14) zugefügt werden.
4.2 Kultur
Die Diskussion um den Begriff ‹Kultur› könnte ganze Bücher füllen, wir möchten diesen Diskurs aufgrund von Platzgründen einbehalten und ausschliesslich die Kulturdefinition von Matsumoto für unsere Arbeit berücksichtigen. Sie erlaubt es, Kultur in sozialen Strukturen und Gesellschaften auf verschiedenen Ebenen zu begreifen.
Matsumoto (2000:24) definiert:
« […] culture as a dynamic system of rules, explicit and implicit, established by groups in order to ensure their survival, involving attitudes, values, beliefs, norms, and behaviours, shared by group but harboured differently by each specific unit within the group, communicated across generations, relatively stable but with the potential to change across time.»
Aus der Definition wird deutlich, dass Kultur ein Makro- und ein Mikrokonzept ist. Sie existiert also sowohl innerhalb von Individuen wie auch als soziales Phänomen. Matsumoto erwähnt weiter, das Regelsystem der Kultur bestehe um das Überleben der Gruppen zu garantieren. Es gibt a) Regeln der Koexistenz zwischen den einzelnen Einheiten vor und schafft b) ein Gleichgewicht zwischen den Bedürfnissen der Gruppe bzw. der einzelnen Einheiten und dem grösseren sozialen und ökologischen Kontext. Die Kultur überlebt, weil sie über Generationen hinweg weitergegeben wird, wobei das Konzept relativ stabil bleibt. Allerdings hat es auch Veränderungspotential, denn Kultur hat ein dynamisches Wesen. Sie steht immer in einem Spannungsverhältnis mit den Verhaltensweisen, Einstellungen, Werten, Überzeugungen und Normen, die sie beschreiben soll. Mit der Zeit ändern sich die einzelnen Bestandteile langsam. Abschliessend ist es besonders wichtig hervorzuheben, dass die Werte und Normen einer Kultur nicht von allen Mitgliedern einer Gruppe gleich stark gehegt werden. (Matsumoto 2000:24ff.)
4.3 Das «Vier-Kulturen-Schema»
Das «Vier-Kulturen-Schema», das Marion Thiem (1994:35-48) unter Bezugnahme auf Jafaris systemfunktionalem Ansatz entworfen hat (Jafari 1982), basiert auf dem interkulturellen Forschungsansatz und geht von der Interaktion zwischen der Kultur der Quellregion, der Ferienkultur, der Dienstleistungskultur und der Kultur der Zielregion aus. Während in der Literatur üblicherweise nur zwischen der Kultur von Reisenden und Bereisten unterschieden wird, strebt der Ansatz von Thiem nach einer stärkeren Differenzierung. Diese beruht vor allem darauf, dass der Tourismus weitere eigenständige Kulturen begründet.
Abb. 1 Vier-Kulturen-Schema (Thiem 1994:42)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Das «Vier-Kulturen-Schema» basiert demnach auf folgenden vier Elementen (Thiem 1994:40):
1. Die Kultur der Quellregion: Die Kultur der Quellregion umfasst das, was für alle Einwohner einer touristischen Entsenderegion typisch ist. ‹Idealtypisch › wird hier die moderne Industriegesellschaft angenommen mit den Merkmalen extremer Rationalisierung, Arbeitsteilung und Atomisierung des Lebenszusammenhanges.
2. Die Ferienkultur: Die Ferienkultur ist das, was für die Gesamtheit der direkt vom Tourismus Betroffenen aus einer industriegesellschaftlichen Entsenderegion typisch ist. Sie umfasst unter anderem den Lebensstil, den Touristen auf Reisen pflegen, sowie Reiseveranstalter, Reisebüros, touristische Werbung usw.
3. Die Dienstleistungskultur: Die Dienstleistungskultur ist das, was für die vom Tourismus Betroffenen in einer bestimmten Region (in ihrer Eigenschaft als Wirtschafts- und Erholungsraum) typisch ist. Sie umfasst den Lebensstil, den Einheimische in ihrer Rolle als Gastgeber praktizieren, sowie die in einer Region geschaffenen Einrichtungen für den Tourismus.
4. Die Kultur der Zielregion: Die Kultur der Zielregion ist das, was für alle Bewohner einer touristischen Empfangsregion (in ihrer Rolle als Lebens- und Wirtschaftsraum) typisch ist.
Zwischen diesen Kulturen gibt es nun Schnittmengen, die im Folgenden kurz erläutert werden sollen. Diese Ausführungen basieren wiederum auf den Ausführungen von Thiem (1994:43f.).
Kultur der Quellregion à Ferienkultur:
Die Kultur der Quellregion liefert die materiellen Voraussetzungen der Ferienkultur, die sog. ‹Boomfaktoren des Tourismus›: Wohlstandssteigerung, Verstädterung, Motorisierung und Freizeitzunahme. Sie liefert die Bestimmungsgründe und die Legitimation der Ferienkultur. Dabei bestimmt die Kultur der Quellregion das Verhalten und Erleben der Touristen durch Vorurteile, Stereotype usw.
Ferienkultur à Kultur der Quellregion:
Die Ferienkultur stabilisiert das Gesellschaftssystem der Entsenderegion durch eine gewisse ‹Ventilfunktion›. Durch die Ferienkultur können sich Vorurteile, Stereotype usw. verändern oder verhärten.
Ferienkultur à Dienstleistungskultur:
Das Vorhandensein der Ferienkultur (also der Nachfrage) gibt den Impuls zu Ausbildung und Ausgestaltung einer Dienstleistungskultur. Durch die rein physische und – aus der Sicht der Dienstleistungskultur – permanente Anwesenheit der Ferienkultur können Auswirkungen auf Einstellungen, Erwartungen usw. der Träger der Dienstleistungskultur nicht ausbleiben.
Dienstleistungskultur à Ferienkultur:
Die Dienstleistungskultur liefert als ‹Angebot› die notwendige Voraussetzung (insbesondere Unterkunft, Verpflegung, Transport) für die Ferienkultur. Durch die Definition und die Ausgestaltung der Rolle des ‹Gastgebers› in der Dienstleistungskultur wird der Verlauf des Kontaktes mit der Ferienkultur bestimmt. Über die Vermarktung wirkt die Dienstleistungskultur auf Einstellungen, Erwartungen usw. der Ferienkultur.
Kultur der Zielregion à Dienstleistungskultur:
Die Kultur der Zielregion liefert die kulturlandschaftlichen, personellen und kulturellen Grundvoraussetzungen für die Dienstleistungskultur. Die Kultur der Zielregion bestimmt Einstellungen und Verhalten der Träger der Dienstleistungskultur.
Dienstleistungskultur à Kultur der Zielregion:
Die Dienstleistungskultur ist eine wichtige Erwerbs- und somit Existenzgrundlage der Kultur der Zielregion. Durch neue Denk- und Verhaltensweisen kann die Dienstleistungskultur die Kultur der Zielregion verändern.
Kritik am Ansatz: Wichtig ist es zu berücksichtigen, dass das Schema von idealtypischen Kulturen ausgeht, welche in der Realität so nicht vorzufinden sind. Insbesondere bei der Kultur der Quellregion und bei der Kultur der Zielregion werden Idealtypen angenommen. Selbstverständlich stellt jede der vier Kulturen ein komplexes System mit einer Vielzahl von Elementen und Beziehungen zwischen diesen Elementen dar. Auch berücksichtigt das Schema keine Differenzierung innerhalb der einzelnen Kulturen. Die Kultur der Quellregion kann ein Cluster verschiedener Subkulturen und die Kultur der Zielregion verschiedene ethnische Gruppen repräsentieren. (Thiem 1994:48)
Stärke des Ansatzes: Die zentrale Bedeutung dieses Ansatzes von Thiem, die zwar keine Ethnologin, sondern eine Politikwissenschaftlerin ist, ist wohl die Tatsache, dass er aufzeigt, dass nicht nur eine Kultur am Prozess des Tourismus beteiligt ist. Im Tourismus und dessen Wechselwirkungen sind verschieden Kulturen und Subkulturen involviert, die bei der Betrachtung allesamt berücksichtigt werden müssen.
4.4 Kulturelle Identität und Ethnizität
Die Definitionen von Ethnizität und kultureller Identität haben innerhalb der Ethnologie viele Diskussionen ausgelöst. Der primordialistischen Annahme, dass der wichtigste Faktor von Identität auf Abstammung beruht, stehen mittlerweile eine Reihe von Ansätzen gegenüber. Da in dieser Arbeit Gesellschaften behandelt werden, die in intensivem Austausch mit Menschen der westlichen Kultur stehen, wird nicht weiter auf solche alternative Modelle eingegangen. Festgehalten werden soll, dass sich der in diesem Text verwendete Ethnizitätsbegriff grösstenteils mit dem von Barth deckt. Dass also der Bezug auf gemeinsame Abstammung zwar für die eigene Identität zentral ist, jedoch auch andere, subjektiv gewählte, Kriterien Identität stiftend fungieren (1969: 9-38).
Mit kultureller Identität wird in diesem Text ein Selbstkonzept beschrieben, das aus verschiedenen Faktoren des täglichen Lebens besteht. In Anlehnung an Macleod (2004:216) orientieren wir uns an einem komplexen Verständnis von Identität: « [Individuals do not possess] a simple two-dimensional identity which can be described as ‹ethnic› or ‹professional› but one which is multiplex, changing and adaptive, one which can be perceived differently by observers according to different contexts.» Weiter macht er auf die Veränderbarkeit über die Zeit und die Kontextualität von Identität aufmerksam.
4.5 Tourismus und Authentizität
Tourismus ist ein Phänomen, das viele Gesichter hat. Die Motivation, ein anderes Land zu bereisen oder einfach mal aus seinem Alltag zu fliehen, kann sehr verschieden sein. So wird die Suche nach Authentizität, also dem Erlebnis von echter Natur oder echter Kultur von vielen Touristen als Motivationsgrund genannt. Um aber die ganze Komplexität dieses Themas zu erfassen, müssen auch Faktoren wie Erholungssuche, Abenteuerlust, geschäftliche Absichten und viele andere beachtet werden (Cohen 1984: 374ff).
Wang (1999: 350ff) erläutert in diesem Zusammenhang den Unterschied zwischen ‹authentic experiences› und ‹toured objects›. Authentic experiences bezieht sich auf das Erlebnis, wenn sich ein Individuum mit der ‹echten› Welt und ihrem ‹echten› Selbst verbunden fühlt. Die Wahrnehmung von toured objects dient als Bestätigung oder als Beweis, dass ein solches Erlebnis wirklich authentisch ist. Zu den ‹toured objects› gehören nicht nur tote Gegenstände, sondern auch bestimmte Naturräume oder die einheimische Bevölkerung (ebd. 1999:350). Wang stellt weiter fest: «Authenticity is thus a projection of tourists’ own beliefs, expectations, preferences, stereotyped images, and consciousness onto toured objects, particularly onto toured Others» (ebd. 1999:355). Laut Taylor (2001) braucht es für das Bewusstsein von etwas Authentischem auch etwas Gegensätzliches: «Of course, authenticity is valuable only where there is perceived inauthenticity. Such is the «plastic» (H.i.O) world of the consumer» (ebd.:10). Man kann sich Authentizität als Sichtweise der Touristen vorstellen, welche das Urlaubsland mit ihren Bewohnern unter der Brille der Vergangenheit betrachten und dabei Vergangenheit mit Tradition gleichsetzen (ebd.:9).
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- Quote paper
- Carmen Koch (Author), Martina Trütsch (Author), Maura Zerboni (Author), 2005, Tourismus und kulturelle Identität - Diskussion über den Einfluss des Tourismus auf die kulturelle Identität der Maori, Taíno und Schweizer, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/44883
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