Diese Arbeit will Praktiker*innen dabei unterstützen, niedrigschwellige Angebote für "schwer zu erreichende junge Menschen" zu entwickeln. Sie bietet eine Arbeitsgrundlage zur Entwicklung von Projekten, die § 16h SGB II ausgestalten sollen. Für diese jungen Menschen sollen die Jobcenter Angebote ermöglichen, um sie an das eigene Unterstützungssystem heran zu führen. Während der Arbeit an der vorliegenden Masterthesis gab es im Vogtlandkreis noch kein entsprechendes Angebot. Diese Arbeit verfolgt das Ziel bei potentiellen Trägern, die ein Angebot auf der Grundlage des § 16 h SGB II entwickeln können, Lernprozesse anzustoßen, anhand derer sie ihre Handlungsweisen und Gewohnheitsregeln reflektieren können.
Kapitel 2 setzt sich im ersten Abschnitt mit § 16 h SGB II in Abgrenzung zu ähnlichen – bereits vor 2016 etablierten – gesetzlichen Regelungen auseinander. Im zweiten Abschnitt weitet sich der Rahmen und die 'neue' Regelung wird ins Licht sozialstaatlichen Handelns gerückt. Damit wird der grundsätzliche Bedarf eines Angebotes aus zwei unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet.
Kapitel 3 erhebt und erörtert den Bedarf für ein Angebot nach § 16 h SGB II im Vogtlandkreis. Im Anschluss werden Überlegungen thematisiert, die auf 'schwer zu erreichende' junge Menschen im Vogtlandkreis zutreffen können.
Kapitel 4 beschreibt vorhandene Ressourcen, die ein Angebot berücksichtigen sollte. Dabei werden zuerst politische Willensbekundungen bewusst gemacht, dann bestehende Unterstützungsangebote dargestellt und schließlich weitere Potentiale aufgezeigt, die einzubeziehen sind, wenn ein Netzwerk als 'Werkzeug' entwickelt und unterhalten werden soll. Einige der beschriebenen Akteure besitzen das Potential, ein Angebot nach § 16 h SGB II zu entwickeln. Welche Potentiale im Jobcenter des Vogtlandkreises selbst vorhanden sind, thematisiert ein separater Abschnitt.
In Kapitel 5 werden Anregungen zur Ausgestaltung eines Angebotes beschrieben. Dies beginnt mit der Beschreibung etablierter Methoden, fordert dann grundlegend dazu auf, die gesellschaftlich etablierte 'Straflust' für Nutzer*innen des Angebotes einzuschränken. Auf dieser Grundlage kann sich ein Angebot an der Lebenswirklichkeit der jungen Menschen orientieren. Diese müssen aktiv einbezogen werden, sie sollen sich beteiligen – partizipieren – können.
Inhaltsverzeichnis
0 Ausgangslage – § 16 h SGB II – der Text
1 Einleitung
2 Beschreibung der rechtlichen Ausgangslage
2.1 Wann ist wer für Bürger*innen mit besonderen sozialen Schwierigkeiten zuständig
2.2 Einordnung vom sozialstaatlichen Grunde her
3 Analyse der Zielgruppe nach § 16 h SGB II
3.1 Die Menge junger Menschen im Vogtlandkreis – die potentielle Zielgruppe
3.2 Eingrenzung anhand von Systemzugehörigkeiten
3.3 Das Verhältnis der Verbleibenden zur Arbeitsvermittlung
3.4 Unsicherheit sowie Mangel an Bedürfnisbefriedigung
3.5 Das Verhältnis der potentiellen Zielgruppe zur Kriminalität
3.6 Das Verhältnis der potentiellen Zielgruppe zu Drogen und Sucht
3.7 Lebensweltexpertise – Gespräch mit einem ,Betroffenen'
3.8 Expert*innen befragt – Perspektiven des Hilfesystems
3.9 Zwischenfazit: Die Zielgruppe des § 16 h SGB II im Vogtlandkreis
4 Potentiale des vorhandenen Unterstützungsnetzwerkes
4.1 Politischer Wille zur Lösung der Herausforderung im Vogtlandkreis
4.2 Bestehende Angebote im öffentlichen Hilfesystem – das potentielle Netzwerk
4.3 Potentiale im Jobcenter Vogtland
5 Anregungen zur erfolgversprechenden Ausgestaltung eines Angebotes
5.1 Ambulante Beratungsangebote und Streetwork
5.2 Repressive Pädagogik überwinden
5.3 Lebenswelt- und Sozialraumorientierung
5.4 Partizipation der jungen Menschen am Unterstützungsprozess
5.5 Werkzeug Netzwerk – niedrigschwellig – erfolgsorientiert – zeitintensiv
5.6 Realisierung mit S.M.A.R.T.`en Zielen
5.7 Anforderungen an die Infrastruktur
6 Fazit
7 Dank
8 Literaturverzeichnis
9 Anhang
9.1 Gesetzestexte als Grundlage für das Verständnis des Themas
9.2 Schreiben eines ehemaligen Wohnungslosen
9.3 Schriftwechsel mit dem Statistischen Landesamt Sachsens
9.4 Schriftwechsel mit der Bundesagentur für Arbeit (BA)
9.5 Schriftwechsel mit der Elterngeldstelle
9.6 Schriftwechsel mit dem Statistischen Bundesamt
9.7 Mehr junge Menschen psychisch erkrankt
9.8 Schriftwechsel mit der Bundeswehr
9.9 Herkunft prägt Status
9.10 Kaum Chancen auf eine zweite Chance
9.11 Schriftwechsel mit dem Jugendamt des Vogtlandkreises
9.12 Schriftwechsel mit dem Vogtlandkreisjugendring
9.13 Schriftwechsel mit der Mobilen Jugendarbeit Plauen e.V
9.14 Schriftwechsel mit einer Expertin aus dem Handlungsfeld achtes Kapitel SGB XII
9.15 Kreislauf der Langzeitarbeitslosigkeit soll durchbrochen werden
9.16 Schriftwechsel mit der Arbeitsagentur Plauen
9.17 Schriftwechsel mit einem Bildungsträger
9.18 Beispiel eines öffentlichen Projektaufrufs
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
0 Ausgangslage – § 16 h SGB II – der Text
Förderung schwer zu erreichender junger Menschen
(1) Für Leistungsberechtigte, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, kann die Agentur für Arbeit Leistungen erbringen mit dem Ziel, die aufgrund der individuellen Situation der Leistungsberechtigten bestehenden Schwierigkeiten zu überwinden,
1. eine schulische, ausbildungsbezogene oder berufliche Qualifikation abzuschließen oder anders ins Arbeitsleben einzumünden und
2. Sozialleistungen zu beantragen oder anzunehmen.
Die Förderung umfasst zusätzliche Betreuungs- und Unterstützungsleistungen mit dem Ziel, dass Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende in Anspruch genommen werden, erforderliche therapeutische Behandlungen eingeleitet werden und an Regelangebote dieses Buches zur Aktivierung und Stabilisierung und eine frühzeitige intensive berufsorientierte Förderung herangeführt wird.
(2) Leistungen nach Absatz 1 können erbracht werden, wenn die Voraussetzungen der Leistungsberechtigung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit vorliegen oder zu erwarten sind oder eine Leistungsberechtigung dem Grunde nach besteht. Einer Leistung nach Absatz 1 steht eine fehlende Antragstellung der leistungsberechtigten Person nicht entgegen.
(3) Über die Leistungserbringung stimmen sich die Agentur für Arbeit und der örtlich zuständige Träger der öffentlichen Jugendhilfe ab.
(4) Träger bedürfen einer Zulassung nach dem Fünften Kapitel des Dritten Buches, um Maßnahmen nach Absatz 1 durchzuführen.
(5) Zuwendungen sind nach Maßgabe der §§ 23 und 44 der Bundeshaushaltsordnung zulässig.
Der § 16 h SGB II wurde in seiner Erstfassung verwendet, die am 01.08.2016 in Kraft getreten ist. Er wurde im Rahmen dieser Arbeit aus drei Quellen verwendet:
Gesetze für die Soziale Arbeit (2018): NOMOS GESETZE, 7. Auflage (Stand: 15.08.2017), Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden, Seiten 1391 und 1392.
Münder, Johannes (Hrsg.) (2017b): Sozialgesetzbuch II Grundsicherung für Arbeitsuchende, Lehr- und Praxiskommentar, NOMOS KOMMENTAR, 6. Auflage, Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden, Seite 528.
Internetseite: http://www.sozialgesetzbuch-sgb.de/sgbii/16h.html (Zugriff am 23.03.2018).
1 Einleitung
Mit § 16 h SGB II ist ein sozialstaatliches Werkzeug geschaffen worden, welches sich auf die Annahme gründet, dass der Sozialstaat zur Wahrung der Menschenwürde aller ihm angehörenden Menschen verpflichtet ist. Konkret bedeutet dies, dass der Sozialstaat aktiv werden soll, wenn er Exklusionstendenzen feststellt. Er muss versuchen, die am wenigsten Fähigen mit einzubinden (vgl. Thie 2017: 532). „Über § 16 h sollen die Nichterreichten erreicht und an das Leistungssystem des SGB II herangeführt werden“ (ebenda: 531).
Die vorliegende Erarbeitung verfolgt das Ziel bei potentiellen Trägern, die ein Angebot auf der Grundlage des § 16 h SGB II entwickeln können, Lernprozesse anzustoßen, anhand derer sie ihre Handlungsweisen und Gewohnheitsregeln reflektieren können (vgl. van der Donk/ van Lanen/ Wright 2014: 34ff). Die Jobcenter, als Leistungsträger eines zu entwickelnden Angebotes, sind jeweils für einzelne Landkreise zuständig. Die Erarbeitung geschieht exemplarisch am Vogtlandkreis. Es handelt sich um einen Landkreis am westlichen Rand des Freistaates Sachsen. „Auf einer Fläche von 1.411,90 km² leben ca. 232.390 Einwohner. Mit einer Bevölkerungsdichte von 165 Einwohnern/km² (im Vergleich Sachsen 220 Einwohner/km²) gehört er zu den ländlich geprägten Regionen Sachsens“ (Päßler 2018: o.A.). Bei der Eruierung des Themas stellt sich (im Gespräch am 3. November 2017 mit der für Maßnahmen verantwortlichen Mitarbeiterin im Jobcenter Vogtland) heraus, dass im Vogtlandkreis derzeit keine Angebote auf Grundlage des § 67 SGB II vorhanden oder in Entwicklung sind.
Um die ,Nichterreichten' zu erreichen, muss ein Angebot ,niedrigschwellig' sein. Das Adjektiv wird nach Ansicht des Dudens besonders in der Amtssprache verwendet. In seinen synonymen Formen ,einfach' und ,leicht' kommt es jedoch häufiger vor und wird im Zusammenhang mit Methoden, durch die Menschen angesprochen werden können, verwendet (vgl. Werner 2016: o.A.). Der Duden zeigt die Wortbedeutung von einer Negation ausgehend an: „nicht an [nur schwer erfüllbare] Vorbedingungen geknüpft; schnell und unbürokratisch zu erhalten“ (Bibliographisches Institut 2009: o.A.). Damit wird impliziert, dass a) Vorbedingungen vorhanden sind und b) diese von irgendjemandem nur mit Aufwand erfüllt werden können. Wenn ein Paragraph die Überschrift trägt: „Förderung schwer zu erreichender junger Menschen“, könnte aus der Perspektive dieser Adressat*innen1 auch formuliert werden: „Einladung: Nimm teil an Harz IV, so wie Du bist.“
„Niedrigschwelligkeit oder Niederschwelligkeit2 [...] kann sich [...] auf verschiedenen Ebenen äußern, bspw. darin, dass von den Nutzenden nur geringes Vorwissen verlangt wird oder diese keine weiten Wege auf sich nehmen müssen. Die Bezeichnung eines Angebots als niedrigschwellig wird insbesondere im Bereich der Sozialen Arbeit als auch bei der Entwicklung von demokratischen Partizipationsprozessen häufiger verwendet“ (Educalingo 2018: o.A.).
Die vorliegende Erarbeitung will Praktiker*innen dabei unterstützen, niedrigschwellige Angebote für ,schwer zu erreichende junge Menschen' zu entwickeln.3 Sie geht von der Annahme aus, dass gesellschaftliche Teilhabe mit aktiver Teilnahme am Arbeitsmarkt verknüpft ist, sofern diese Verknüpfung nicht durch ein anderes Statussystem hergestellt wird. So leben Menschen auch „von selbstständiger Tätigkeit[5] oder als mitarbeitende Familienangehörige, als freischaffende Künstler, als Hausfrauen, Rentner, Schüler, Studenten, Beamte, Soldaten oder Ordensleute“ (Geuder 2016: 23). Die Jobcenter sind bei jungen Volljährigen, bei denen ein Rechtsanspruch auf Unterstützung nach dem SGB III fehlt, im Bereich der Arbeitsförderung die zuständigen Behörden.
„Das Konstrukt der Hilfe für junge Volljährige war eine Erfindung des Gesetzgebers im Zusammenhang mit der Herabsetzung des Volljährigenalters im Jahre 1974 von 21 auf 18 Jahre. Dies geschah noch unter Geltung des Jugendwohlfahrtsgesetzes“ (Raabe 2016: 3).
Als „junge Volljährige“ definiert § 7 Absatz 1 Nr. 3 SGB VIII Menschen, die mindestens 18 und höchstens 27 Jahre alt sind (vgl. Gesetze für die Soziale Arbeit 2018: 1882). Als „junge Menschen“ bezeichnet Nr. 4 im selben Paragraphen alle Personen, die weniger als 27 Jahre jung sind (vgl. ebenda: 1883). In der vorliegenden Arbeit werden beide Bezeichnungen in eben dieser Weise verwendet.
Eine Grundannahme ist, dass Langzeitarbeitslosigkeit sowohl als gesellschaftliches als auch als individuelles Problemphänomen angesehen wird. Herleitungen, Ursachen und andere Grundlagen sind jedoch nicht primäres Thema dieser Arbeit. Sie werden nur insoweit angesprochen, wie sie zum Verständnis für einzelne Gedankengänge benötigt werden. Zur Bearbeitung dieses Problems, habe ich in einer früheren Arbeit Lösungsansätze aufgezeigt (vgl. Geuder 2016). Der Verbindung des Problems der Langzeitarbeitslosigkeit mit den Problemen arbeitsloser junger Menschen in einer ländlichen Region widmen sich auch andere Autoren (beispielsweise Höfer 2016).
In der vorliegenden Erarbeitung geht es noch nicht um bestehende Langzeitarbeitslosigkeit. Die jungen Menschen, für die § 16 h SGB II ins Gesetz geschrieben worden ist, erfüllen die Tatbestände der Definition nicht: Sie suchen ,noch' nicht lange genug über die gesellschaftlich vorgesehenen Wege nach Arbeit – sind also nicht ,arbeitslos' im Wortsinn von § 16 SGB III (vgl. Gesetze für die Soziale Arbeit 2018: 1439) und können somit nach der Definition aus § 18 SGB III nicht langzeitarbeitslos sein. Sie müssten dazu ein Jahr oder länger arbeitslos gemeldet gewesen sein (vgl. ebenda). So bezeichnen in der vorliegenden Erarbeitung Langzeitarbeitslosigkeit und Jugendarbeitslosigkeit einen gemeinsamen Problemhorizont mit unterschiedlichen Ausprägungen der Eskalation. Langzeitarbeitslosigkeit ist dabei die negative Entwicklungsperspektive, die es zu verhindern gilt. Langzeitarbeitslosigkeit und Arbeitslosigkeit junger Menschen gilt es gleichermaßen zu verhindern. Beides sind arbeitsmarktpolitische Aufgaben (vgl. Gerner 2011: 473).
„Wenn Jugendliche und junge Erwachsene nach dem Schulabschluss arbeitslos werden [...], können teilweise keine gesellschaftlich akzeptierten neuen Rollen übernommen werden; die soziale → Integration kann in frage gestellt werden“ (Sauer/ Höft-Dzemski 2011: 51).
Zum Verständnis der strukturellen Ursachen, wie Menschen in prekäre Lebensverhältnisse eintreten und in diesen verharren, werden die Bücher „Die Krise der Arbeit. Neue Unsicherheiten und die Zukunft des Individuums“ von Robert Castel (2011) sowie „Jugend und Arbeit. Empirische Bestandsaufnahme und Analysen“ von Jürgen Mansel und Karsten Speck (2012) als Referenzliteratur empfohlen.
„Ob es den Jugendlichen gelingt, in einem Berufsfeld Fuß zu fassen, in denen ihnen dies gewährt wird, hängt nicht vom Zufall ab. Die Zugangsbarrieren zum Arbeitsmarkt, die strukturellen Hindernisse und die Möglichkeiten, diese zu überwinden, sind sozial ungleich verteilt und von unterschiedlichen Faktoren abhängig“ (Mansel/ Speck 2012: 22).
Will die Gesellschaft die Ursachen von Langzeitarbeitslosigkeit beheben, muss sie sich bereits damit auseinander setzten, bevor Langzeitarbeitslosigkeit eintritt. Das bedeutet, sich jungen Menschen mit ihren individuellen Problemen zuwenden, so dass diese zum einen lernen, wo sie Unterstützung finden und zum anderen Lebensperspektiven entwickeln, die sie vor Langzeitarbeitslosigkeit schützen, indem die Risiken für den Eintritt von Arbeitslosigkeit minimiert werden. Allerdings ist auch die Perspektive der jungen Menschen einzubeziehen. Diese kann zusätzlich subjektive Kriterien enthalten; beispielsweise, dass einige junge Menschen davor zurückschrecken, Entscheidungen für sich zu treffen. Grund dafür kann das Phänomen sein, ,Die Qual der Wahl' zu haben. Es können aber auch individuelle Ängsten oder Mangel an Information vorliegen. Damit die Methoden der Arbeitsmarktpolitik auch Menschen erreichen, die nicht eingebunden worden sind, hat der Gesetzgeber § 16 h SGB II formuliert und verabschiedet. Dieser ist im Jahr 2016 zu geltendem Recht geworden. Aus dem Jahr 2016 stammen auch die statistischen Daten, die in dieser Erarbeitung Verwendung finden. Soweit die Angaben dies zuließen, ist der 31. Dezember 2016 als Stichtag verwendet worden. Durch die BA wird festgestellt:
„Die Arbeitslosigkeit ist auch im Jahr 2016, entgegen vieler Erwartungen, weiter gesunken. Noch niedriger lag sie zuletzt 1991. Auch die Unterbeschäftigung – in der zusätzlich zur Arbeitslosigkeit z.B. Menschen in Förderprogrammen und Sprachkursen berücksichtigt werden – hat 2016 weiter abgenommen“ (BA-Statistik 2017: 5).4
So kann geschlussfolgert werden, dass einige – finanzielle – Ressourcen frei geworden sind, um die Voraussetzungen von Arbeitslosigkeit weiter abzubauen. Da mit Arbeitslosigkeit das Risiko von Armut verbunden ist, wird mit ihrer Bekämpfung auch dieses gesellschaftliche Problem bearbeitet (vgl. Kieselbach/ Beelmann 2003: o.A.). Gelingt es, die Umsetzung von § 16 h SGB II erfolgreich zu gestalten, wird potentiell die Erwerbstätigkeitsquote erhöht. Das kann zur Minimierung von Einkommensungleichheit führen (vgl. Böhm 2015: 167). Daher trägt die vorliegende Arbeit den Titel:
Bedarfserhebung sowie Anregungen zur Ausgestaltung zu § 16 h SGB II im Vogtlandkreis. Sie ist wie folgt aufgebaut:
Kapitel 2 setzt sich im ersten Abschnitt mit § 16 h SGB II in Abgrenzung zu ähnlichen – bereits vor 2016 etablierten – gesetzlichen Regelungen auseinander. Im zweiten Abschnitt weitet sich der Rahmen und die ,neue' Regelung wird ins Licht sozialstaatlichen Handelns gerückt. Damit wird der grundsätzliche Bedarf eines Angebotes aus zwei unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet.
Kapitel 3 erhebt und erörtert den Bedarf für ein Angebot nach § 16 h SGB II im Vogtlandkreis. Diesem Bedarf nähert sich die Ausarbeitung zunächst über die Frage an, wie viele Personen im Vogtlandkreis zur Zielgruppe gehören könnten. Dazu werden zunächst die Personen, für die ein Angebot zu entwickeln wäre in ihrer Gesamtzahl ermittelt. Von dieser werden diejenigen abgezogen, die aufgrund der Zugehörigkeit zu Teilsystemen der Gesellschaft als ,erreicht' gelten können, was bedeutet, dass sie nicht schwer zu erreichen sind.
Im Anschluss werden Überlegungen thematisiert, die auf ,schwer zu erreichende' junge Menschen im Vogtlandkreis zutreffen können. Das Verhältnis zur Arbeitsvermittlung im Jobcenter und das Verhältnis der jungen Menschen zu sich selbst werden zuerst zum Thema, bevor die Erarbeitung Zusammenhänge mit Kriminalität und Suchtmitteln fokussiert. Parallel zur Erarbeitung dieser Unterkapitel, wurden Fragen an Professionelle Akteure des Hilfesystems, wie es in Kapitel 2 erkennbar wurde, geschickt. Deren Antworten finden ihren Niederschlag in einem eigenen Abschnitt, bevor ein Zwischenfazit den Bedarf an einem Angebot feststellt und begründet. Zwischen der theoretischen Auseinandersetzung mit den benannten Themenfeldern und der Expertise der Praktiker*innen, findet sich ein besonderer Abschnitt. Dieser entstand, nachdem ich mit einem jungen Mann ins Gespräch gekommen war, der die Tatbestände des § 16 h SGB II als seine aktuelle Lebenslage beschrieb (ohne den § 16 h SGB II zu kennen). In diesem Abschnitt bestätigt sich einiges, des vor- und nachher Erörterten.
Kapitel 4 beschreibt vorhandene Ressourcen, die ein Angebot berücksichtigen sollte. Dabei werden zuerst politische Willensbekundungen bewusst gemacht, dann bestehende Unterstützungsangebote dargestellt und schließlich weitere Potentiale aufgezeigt, die einzubeziehen sind, wenn ein Netzwerk als ,Werkzeug' entwickelt und unterhalten werden soll. Einige der beschriebenen Akteure besitzen das Potential, ein Angebot nach § 16 h SGB II zu entwickeln. Welche Potentiale im Jobcenter des Vogtlandkreises selbst vorhanden sind, thematisiert ein separater Abschnitt.
In Kapitel 5 werden Anregungen zur Ausgestaltung eines Angebotes beschrieben. Dies beginnt mit der Beschreibung etablierter Methoden, fordert dann grundlegend dazu auf, die gesellschaftlich etablierte ,Straflust' für Nutzer*innen des Angebotes einzuschränken. Auf dieser Grundlage kann sich ein Angebot an der Lebenswirklichkeit der jungen Menschen orientieren. Diese müssen aktiv einbezogen werden, sie sollen sich beteiligen – partizipieren – können. Ihre Beteiligung ist erforderlich, wenn das Angebot in Bezug auf ihre Entwicklung erfolgreich sein soll. Für den Erfolg sind jedoch auch organisatorische Voraussetzungen zu erfüllen. Diese werden in den Kapiteln ,Werkzeug Netzwerk,' ,Charakteristika für ein Angebot' sowie ,Anforderungen an die Infrastruktur' behandelt. Ziel der vorgelegten Anregungen ist, die Entwicklung eines Angebotes auf der Grundlage von § 16 h SGB II fachlich zu (be)gründen und dadurch praktisch zu ermöglichen.
2 Beschreibung der rechtlichen Ausgangslage
Dieses Kapitel zeigt auf, in welche gesellschaftliche Problemlage sich § 16 h SGB II einbettet.Er ist notwendig geworden, weil das bestehende Hilfesystem im Klein-Klein der Zuständigkeiten ein Unterstützungsvakuum zugelassen hat, was diejenigen betrifft, die aus ihrer Jugendphase mit ,besonderen sozialen Schwierigkeiten' in die Welt der Erwachsenen hinein wachsen.
2.1 Wann ist wer für Bürger*innen mit besonderen sozialen Schwierigkeiten zuständig
,Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte.' lautet ein volkstümliches Sprichwort. Darin enthalten ist die Weisheit, dass zur Klärung eines Sachverhaltes unterschiedliche Formen von Rat sowie Perspektivwechsel beitragen können (vgl. Großmaß 2011: 95). Beides wird durch sogenannte ,Dritte' unterstützt. Im Zuge des 9. Änderungsgesetzes zum SGB II [9.SGBIIÄndG] hat der Gesetzgeber den § 16 h SGB II neu geschaffen (vgl. Münder 2017b: 44). Er trat zum 1. August 2016 in Kraft (vgl. Thie 2017: 528). Mit der Einführung des § 16 h ins SGB II wurden die Jobcenter verpflichtet, die Rolle eines solchen ,Dritten' zu übernehmen.
Der sprichwörtliche ,Streit,' den § 16h SGB II beheben soll, wird von Behörden ausgetragen, die Sozialhilfe nach dem SGB XII sowie Jugendhilfe nach dem SGB VIII bearbeiten. Dabei handelt es sich um die Zuordnungsfrage, wer für welche Personengruppe verantwortlich ist, wenn komplexe Problemlagen eines jungen Menschen mit sozialen Schwierigkeiten zusammenfallen.
Gesetzunabhängig hat das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz im Jahr 2001 die Verordnung zur Durchführung der Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten eingeführt (vgl. Anhang 9.1.3) und darin geregelt, wie mit komplexen Problemlagen der betroffenen Bürger*innen umzugehen ist. Gemäß § 1 Absatz 1 trifft der Sachverhalt zu, „wenn besondere Lebensverhältnisse derart mit sozialen Schwierigkeiten verbunden sind, dass die Überwindung der besonderen Lebensverhältnisse auch die Überwindung der sozialen Schwierigkeiten erfordert.“ (ebenda). Infolge dessen ist „nachgehende Hilfe“ (ebenda) zu gewähren. Die Verordnung unterstreicht den Rechtsanspruch der betroffenen Bürger*innen durch diese bestimmend geschriebene Formulierung. Gemäß § 2 Absatz 3 ist „bei Personen vor Vollendung des 21. Lebensjahres [...] ein Zusammenwirken mit dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe erforderlich“ (ebenda).
Das achte Kapitel des SGB XII, bestehend aus drei Paragraphen (§§ 67 bis 69/ vgl. Anhang 9.1.2), enthält „ein spezielles Hilfeangebot für Personen, bei denen komplexe Problemlagen vorliegen, die (allein) mit sonstigen Leistungen der Sozialhilfe nicht zu bewältigen sind. Ziel der Hilfen ist die Überwindung der sozialen Schwierigkeiten, um den Betroffenen die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen“ (Raabe 2016: 13). In der Leistungsbeschreibung in § 68 SGB XII sind ausdrücklich die „Maßnahmen bei der Erhaltung und Beschaffung einer Wohnung“ genannt. So arbeitet auf dieser Grundlage die Wohnungslosenhilfe. „In der Fachdebatte wird schon länger darüber diskutiert, dass die Hilfe bereits dann ansetzen müsste, wenn der Betroffene noch in seiner Wohnung lebt, da die sozialen Schwierigkeiten ja nicht erst dann entstehen, wenn der Mensch auf der Straße steht“ (Lutz/ Simon/ Sartorius 2017: 105). Begriffe wie ,Niedrigschwelligkeit' und das methodische Prinzip Case Management,5 sind im Zuge einer Entwicklung aufgekommen, in welcher in der Wohnungslosenhilfe zunehmend ambulante Angebote entstanden sind (vgl. Lutz/ Simon/ Sartorius 2017: 115). Allerdings ist, gemäß dem Wortlauf von § 67 Satz 2 SGB XII, die Unterstützung durch die Wohnungslosenhilfe nachrangig hinter anderen Leistungen sowohl des SGB XII als auch des die Jugendhilfe regelnden SGB VIII. So wird von Behörden, die über Leistungen nach dem achten Kapitel des SGB XII entscheiden, angenommen, dass Personen, die unter 21 Jahre jung sind, die nötige Unterstützung durch die Jugendhilfe bekommen.
Die Grundlage für eine Unterstützung durch das Jugendhilferecht regelt für junge Volljährige der § 41 SGB VIII (vgl. Anhang 9.1.1). Die Unterstützung nach Absatz 1 Satz 1 „Hilfe für die Persönlichkeitsentwicklung und zu einer eigenverantwortlichen Lebensführung“ soll stattfinden, „so lange die Hilfe aufgrund der individuellen Situation des jungen Menschen notwendig ist.“ Dass diese Unterstützung in der Regel bis zum 21. Lebensjahr bewilligt wird, ergibt sich aus dem Wortlaut von § 41 Absatz 1 Satz 2 SGB VII. Obwohl das Jugendhilferecht Unterstützung vorsieht, „kommt § 67 SGB XII auch für junge Volljährige in Betracht, wenn die Voraussetzungen des § 41 SGB VIII eben nicht vorliegen, sei es, dass der eine Bedarf an Verselbstständigung nicht mehr besteht, sei es, dass kein spezifischer Unterstützungsbedarf mehr besteht“ (Raabe 2016: 13).
Der ,Streit' um die richtige Zuordnung innerhalb des Hilfesystems führt dazu, dass immer wieder junge Volljährige gänzlich ohne sozialstaatliche Unterstützung in ihrer individuellen, komplexen Problemlage verbleiben (vgl. Cremer 2013: 30f). Dies hat regelmäßig die Nebenfolge, dass elementare Lebensgrundlagen, wie Einkommen, Wohnung und berufliche Lebensplanung, von ihnen vernachlässigt werden, was zu vermeidbarer, gesellschaftlicher Exklusion führt (vgl. Pötter 2013: 102ff).
Die Voraussetzung für die betroffenen Personen, eigenständig diese Themen bearbeiten zu können, und so in die bürgerliche Gesellschaft hinein zu wachsen – zu inkludieren – ist für heranwachsende Menschen ab dem 15. Lebensjahr in § 7 Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II geregelt (vgl. Gesetze für die Soziale Arbeit 2018: 1381). Die arbeitsfähigen jungen Menschen können ab dem 15. Lebensjahr Alg II beantragen und erhalten – so der dahinter stehende Gedanke – durch die Jobcenter umfängliche Unterstützung ihren Lebensunterhalt und ihre Wohnung zu finanzieren sowie die berufliche Lebensplanung voranzutreiben.
Wie aber ist zu verfahren, wenn die jungen Menschen bei diesem Hilfsangebot nicht ankommen? Menschen, die in ihrer Lebenslage zu viele Probleme haben6 und mit diesen überfordert sind, benötigen Unterstützung. Menschen in solchen Situationen sind aufgrund ihrer persönlichen Belastungssituation häufig nicht in der Lage, sich die für ihre Situation vorgesehene sozialstaatliche Leistung eigenständig zu suchen. Zum existenzbedrohenden Problem wird dies, wenn es sich um die Lebensgrundlagen (Einkommen, Wohnung, …) handelt. Das Sozialrecht sieht als Akt der freien Entscheidung für die meisten Sozialleistungen vor, dass diese auf der Grundlage eines Antrages geprüft und gegebenenfalls bewilligt werden. Im SGB II regelt dies der § 37 SGB II (vgl. Gesetze für die Soziale Arbeit 2018: 1405). Auch jungen Menschen müssen demnach aktiv werden, um staatliche Unterstützung zur Sicherung ihrer Lebensgrundlage zu erhalten. Da nicht alle in ihrer individuellen Situation fähig sind, den Akt der Antragsstellung zu bewältigen, hat der Gesetzgeber den § 16 h SGB II eingeführt. Aus einer sozialstaatlich, paternalistischen Perspektive hat er ihn „Förderung schwer zu erreichender junger Menschen“ genannt. In § 16 h Absatz 2 Satz 2 SGB II wurde für diese Unterstützungsangebote die Voraussetzung der Antragsstellung entfernt.
,Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte.' Dieses Sprichwort trifft im Zusammenhang der Unterstützung junger Volljähriger nicht vollumfänglich zu. Der ,Dritte' freut sich nicht, sondern sieht sich mit einer Aufgabe konfrontiert, die nicht auf seine üblicherweise auf Antragsbearbeitung beruhenden Logik aufbaut. Da die Jobcenter auf Beratung und Verwaltung an der Schnittstelle zwischen Armutsbekämpfung und Arbeitsmarktzugang spezialisiert sind, haben sie wenig Know-How entwickelt, um proakitve – also hingehende – Sozialarbeit an jungen Menschen zu betreiben. Weil dies auch dem Gesetzgeber bekannt ist, wurde in § 16 h Absatz 3 SGB II ausdrücklich die Zusammenarbeit mit dem „örtlichen zuständigen Träger der öffentlichen Jugendhilfe“ hervorgehoben.7
Beim Träger der öffentlichen Jugendhilfe8 ist strukturell das Know-How für Angebote für junge Menschen vorhanden. Wurde der ,Streit' dadurch nur verlagert? Zum einen ,Ja', weil die gängige Praxis der Jungendhilfe, ihren Anteil der Unterstützung junger Menschen überschaubar zu halten, von der veränderten Gesetzeslage zunächst nicht betroffen scheint. „Hilfen für junge Volljährige machen einen Anteil von unter 10 % der gesamten Jugendhilfeleistungen aus“ (Raabe 2016: 3). Zum anderen ,Nein', weil durch die Einführung des § 16 h SGB II kein Gesetz weniger Dienstleistung vorsieht. Indem die Regelungen des achten Kapitels des SGB XII in § 16 h SGB II keine Erwähnung finden, kann es dazu kommen, dass Unterstützungsempfänger dieser Leistungen mithilfe der Wohnungslosenhilfe auch ihr Recht auf Unterstützung nach § 16 h SGB II einfordern. Das ist besonders dann zu erwarten, wenn zwar die Hilfe der Wohnungslosenhilfe in Anspruch genommen wird, aber der Schritt ins Gebäude Jobcenter nicht stattfindet. Gründe dafür sind sowohl kognitiver Art – also individuelle Annahmen Ängste, Vorbehalte, Gerüchte von Negativerfahrungen und so weiter (vgl. Jellen 2009: o.A.), – oder ungünstiger Verhaltensmuster – etwa Unbeweglichkeit aufgrund emotional schwer zu ertragender Erlebnisse, verträumtes Abwarten weil Eigeninitiative nicht trainiert worden ist, andauerndes Verstecktbleiben aus Scham, und so weiter (vgl. Voigt 2018: o.A.).
Zur Frage nach den rechtlichen Bedingungen kann festgehalten werden, dass die Jobcenter nach § 16 h SGB II verpflichtet sind, von sich aus aktiv zu werden, um die jungen Menschen frühzeitig zur Nutzung ihres Unterstützungssystems zu gewinnen. Damit übt der Sozialstaat zum einen seine Funktion gegenüber den jungen Bürger*innen aus, indem er diese aufruft, sich zu beteiligen. Zum anderen bindet der Sozialstaat die jungen Menschen ein, damit diese sich zu aktiven Mitgestalter*innen des Gemeinwesens entwickeln können.9
Für die Ausgestaltung einer auf junge Menschen zugeschnittenen Hilfe ist das Know-How des Trägers der örtlichen Jugendhilfe hinzu zu ziehen. Sobald der Aspekt der Persönlichkeitsentwicklung in den Hintergrund tritt, liegt die Verantwortung sowohl der Initiierung als auch der Ausfinanzierung einer solchen Hilfe im Bereich der Träger der Sozialhilfe; zunächst nach dem achten Kapitel des SBG XII, seit dem 1. August 2016 mit einem sehr speziellen, proaktiven Moment für Bürger*innen, die zwischen 15 und 25 Jahren jung sind, im Verantwortungsbereich der Jobcenter. Die Unterstützung nach dem achten Kapitel des SBG XII kommt zwar inhaltlich am nächsten an die nach § 16 h SGB II vorgesehene heran, steht jedoch aufgrund des allgemeinen Nachrangs der Sozialhilfe gemäß § 2 SBG XII10 (vgl. Gesetze für die Soziale Arbeit 2018: 2190f) rechtlich hinten an. Dies betont auch der Rechtskommentar von Johannes Münder (vgl. Thie 2017: 529).
Die Verordnung zur Durchführung der Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten gilt unabhängig von der konkreten gesetzlichen Grundlage für die bearbeitenden Behörden als Unterstützung zur Ausgestaltung der Hilfe11. Für § 16 h Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II gilt es, die Ausführungen von § 5 der Verordnung zu beachten; § 3 der Verordnung gibt Anregungen für die Gestaltung von § 16 h Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II. Besonders der letztgenannte Punkt ist in der Verordnung sehr breit gefasst und fordert sozialpädagogisches Handeln heraus.
Unter der gemeinsamen Zielstellung, Bürger*innen mit besonderen sozialen Schwierigkeiten nachgehende sozialstaatliche Hilfe zukommen zu lassen, hat jedes der Gesetze, die dies regeln einen anderen Schwerpunkt und somit eine differenziert andere Ausrichtung. Reduziert man die Komplexität der Gesetze, werden die jeweiligen Zielstellungen deutlich:
- Das achte Kapitel des SGB XII verfolgt das globale Ziel, Bürger*innen mit besonderen sozialen Schwierigkeiten die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen.
- § 41 SGB VIII verfolgt das Ziel junge Menschen zu befähigen, die Hilfen zur Erziehung eigenständig in Anspruch nehmen zu können. § 41 SGB VIII soll demnach, unabhängig von einer antragsstellenden Aktivität der Eltern oder Vormünder*innen, Hilfe für die Persönlichkeitsentwicklung gewähren.
- § 16 h SGB II verfolgt das präzise Ziel, junge Menschen zur Teilnahme am grundlegenden System der finanziellen Lebensabsicherung zu bewegen, um innerhalb desselben die Förderung einer Teilnahme am Erwerbsleben durchzuführen, und so eine eigenverantwortliche Lebensgestaltung innerhalb der gegebenen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zu ermöglichen.
2.2 Einordnung vom sozialstaatlichen Grunde her
„Im SGB II sind die Grundsätze des „Forderns“ und des „Förderns“ explizit formuliert; sie verknüpfen aber – im Gegensatz zum US-amerikanischen Fürsorgesystem – Leistung und Gegenleistung nicht unauflöslich; die öffentliche Unterstützung wird nicht in vollem Umfang von einer (potenziellen) Teilnahme am Erwerbsleben abhängig gemacht. Denn der Bezug auf die Menschenwürde ist durch den Übergang vom BSHG zum SGB II nicht außer Kraft gesetzt, im Gegenteil: Sowohl für Förderleistungen wie für den Umgang mit dem Fordern muss gelten, dass das Menschenbild moderner Fürsorgepolitik konkretisiert wird, dass die Hilfesuchenden in ihrer ,Subjektstellung' ernst genommen werden. Dies bedeutet, dass die Leistungen auf individuelle Bedarfslagen zugeschnitten sein sollten“ (Reis/ Siebenhaar 2015: 10).
Auch für junge Menschen, die ,schwer zu erreichen' sind, gilt Artikel 1 des Grundgesetzes: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt“ (Gesetze für die Soziale Arbeit 2018: 1010). Darauf gründet sich Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 Grundgesetz „Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit“ (ebenda: 1011). Für die schwächsten Gesellschaftsmitglieder wird dies unter anderem durch § 16 h SGB II präzisiert und ordnet sich, gemeinsam mit den oben benannten – inhaltsnahen – gesetzlichen Regelungen, ins Gefüge der Sozialgesetzgebung ein. In § 1 Absatz 1 Satz 1 SGB I, der Einleitung dazu steht: „Das Recht des Sozialgesetzbuchs soll zur Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit und sozialer Sicherheit Sozialleistungen [...] gestalten“ (Gesetze für die Soziale Arbeit 2018: 1356). Gemäß § 11 SGB I gilt: „Gegenstand der sozialen Rechte sind die in diesem Gesetzbuch vorgesehenen Dienst-, Sach-, und Geldleistungen (Sozialleistungen). Die persönliche und erzieherische Hilfe gehört zu den Dienstleistungen“ (ebenda: 1358).12 Diese Dienstleistungen – also auch § 16 h SGB II – sind demnach Güter, die vom Sozialstaat ausdrücklich vorgesehen sind und in Anspruch genommen werden sollen! Die Fachwelt spricht von meritorischen Gütern. Mit diesen greift der Staat gestaltend ins Geschehen am ,Markt' ein und beeinflusst Produktion und Konsum. „Güter sind grundsätzlich meritorisch, wenn die Nachfrage der privaten Haushalte hinter dem gesellschaftlich wünschenswerten Ausmaß zurückbleibt“ (Simon 2018: o.A.). Für § 16 h SGB II gilt dies sogar verstärkt, denn er fordert das bestehende Hilfesystem heraus, indem er dieses zur aktiven Nutzer*innengewinnung verpflichtet. Der Grundgedanke hinter § 16 h SGB II ist folglich nicht mit der Logik des Marktes zu verstehen und auch nicht mit dieser Logik umzusetzen.
Hinter § 16 h SGB II verbirgt sich die Logik des Subsidiaritätsprinzips.13 Bei Anwendung des Subsidiaritätsprinzips werden Entscheidungen der jeweils ,kleinsten' Einheit übertragen, die fähig ist eine Entscheidung zu treffen und durchzusetzen (vgl. Gehrmann 2011: 888f). Die kleinste, solche Einheit ist eine einzelne Person. Sie muss im Fall von Sozialleistungen nach § 16 SGB I Anträge stellen (vgl. Gesetze für die Soziale Arbeit 2018: 1358) und gemäß §§ 60 bis 67 SGB I im Rahmen der eigenen Möglichkeiten bei der Erreichung des jeweiligen Zieles mitwirken (vgl. ebenda: 1370ff). Für den Fall, dass die Anforderungen aus irgendeinem Grund zu schwer sind, „kann, darf und muss die jeweils übergeordnete Einheit eingreifen“ (vgl. Gehrmann 2011: 889). Angewendet auf § 16 h SGB II bedeutet dies, dass die Jobcenter, in deren Einflussbereich alle Leistungen nach dem SGB II fallen, diese Unterstützung übernehmen müssen. Ebenso ist aufgrund des Subsidiaritätsprinzips die Sozialhilfe nach dem SGB XII grundsätzlich nachrangig (vgl. ebenda), so dass es – um den im vorherigen Kapitel abgewogenen ,Streit' nochmals zu thematisieren – richtig ist, den § 16 h SGB II mit Inhalt zu füllen und nicht das achte Kapitel aus dem Sozialhilferecht zu erweitern.
Wie ein junger Mensch durch schicksalhafte Umstände in die Situation geraten kann, aus der angewandte Unterstützung nach § 16 h SGB II mutmaßlich effektiv heraus helfen kann, zeigt das authentische Beispiel, welches in Anhang 9.2 zu lesen ist. Da Schicksale, wie das dort beschriebene, auch im Vogtlandkreis auftreten können, besteht potentiell die Notwendigkeit Angebote vorzuhalten. Dies gilt grundsätzlich im subsidiär ausgerichteten Sozialstaat und behält seine Gültigkeit auch im einzelnen Landkreis – somit auch im Vogtlandkreis, auf den sich die vorliegende Erarbeitung bezieht.
Allerdings besteht eine Ambiguität, eine Spannung im gesellschaftlichen Denken und Handeln. Die rechtliche Rahmensetzung folgt im SGB II dem Prinzip der „strafenden Pädagogik im staatlichen Auftrag“ (Grummt/ Schruth/ Simon 2010: 135). Nach dem gedanklichen Grundsatz des Gebens und Nehmens fordert der Staat eine Leistung für die Unterstützung nach dem SGB II. Im Grundsatz des Forderns (§ 2 SGB II) ist dies beschrieben. Hinter diesem gesellschaftlich anerkannten Prinzip, tritt der Blick für die individuelle Notlage in den Hintergrund. Stattdessen wird, besonderes bei jungen Menschen, „die Besserung von Verhaltensweisen“ (ebenda) anvisiert. Dazu wird Erziehungsmacht14 eingesetzt, indem (auf gesetzlicher Grundlage) bewusst die bedarfsgerechte Unterstützung in Form des Sozialgeldes, was zur Befriedigung der elementaren Bedürfnisse Lebensmittel und Wohnraum gedacht ist,15 gekürzt oder vorenthalten wird (vgl. ebenda). Diese Logik setzt § 16 h SGB II für diejenigen, die sich der ,Erziehungsgewalt' aufgrund individueller Befindlichkeiten (die ihrerseits zur gesellschaftlichen Exklusion geführt haben) entziehen, vorübergehend aus. Dass der Paragraph fast zwei Jahren geltendes Recht ist, aber im Vogtlandkreis keine Angebote platziert worden sind, kann ebenfalls als „absichtsvolle Vorenthaltung bedarfsgerechter Hilfen des Sozialrechts“ (ebenda) gewertet werden.16
Eine zusätzliche Fassette, die im Zusammenhang des Themas ,schwer zu erreichender junger Menschen' eine Rolle spielt, ist der demographische Wandel. Er ist eine Realität, der sich Gesellschaft heute zu stellen hat. Der demographische Wandel wird hier nicht näher thematisiert, er führt jedoch dazu, dass die Gesamtgesellschaft Pläne entwickeln muss und Ressourcen zur Verfügung stellen sollte, um die jungen Menschen einzubinden. Als ,stille Reserve' ist ihr Potential zu sehen. Dieses zu entwickeln ist möglich, wenn in Bildung investiert wird.
„Im Zuge des Bevölkerungswandels wird der Bedarf an geringqualifiziertem Personal sinken, während die Nachfrage nach Hochqualifizierten steigt. Diese Entwickelung wird durch die Industrie 4.0 noch verstärkt. Zwischen dem Bildungsstand und der Wahrscheinlichkeit, durch den Computer ersetzt zu werden, besteht eine starke negative Beziehung. Die Automatisierung wird vorwiegend Beschäftigte mit niedrigem Bildungsabschluss und geringem Lohn treffen. Hochqualifizierte unterliegen nur einer geringen Automatisierungswahrscheinlichkeit. Bildung wird daher künftig noch mehr als heute unerlässliche Voraussetzung für die Teilhabe am Arbeitsmarkt sowie in Zeiten steigender Sozialversicherungsbeiträge und sinkender Rentenleistungen notwendige Vorbedingung zum Schutz vor Armut sein“ (Borsius-Gernsdorf 2018: 81).
Auf das vorhandene Potential in diesem Bereich wird später Bezug zu nehmen sein.17 Der Sozialstaat tritt den jungen Bürger*innen gegenüber sowohl als ordnende Größe als auch als Förderer. Das beides zusammen gedacht werden kann, bezeugt § 16 h SGB II. Wie beides zusammen gemacht werden kann, stellt neue18 Anforderungen an Akteure der gesellschaftlichen Hilfsstrukturen in ihrer derzeitigen Aufstellung. Der handelnde Sozialstaat in Gestalt der Jobcenter und der BA ist gefordert.
3 Analyse der Zielgruppe nach § 16 h SGB II
Das Landratsamt des Vogtlandkreises (Postplatz 5 in 08523 Plauen) bietet umfangreiche Beratung an (vgl. Landkreis Vogtlandkreis 2018b: o.A.). Unter der Rubrik „Sozialer Dienst“ finden sich Ansprechpartner sowie eine Liste der Dienstleistungen. Sie beginnt mit „Information, Beratung und Vermittlung in weiterführende Angebote von Familien in schwierigen Lebenssituationen“ (ebenda). Eine Liste mit Angeboten der Jugendhilfe im Vogtlandkreis findet sich über das Internetportal des Landkreises nicht. Jugendliche, die sich selbstständig im Landratsamt Rat holen wollen (und die Initiative ergreifen, für sich die fehlende passive Information zu ersetzen), zählen vermutlich nicht zu den in § 16 h SBG II benannten ,schwer zu erreichenden Jugendlichen'.
Die Zielgruppe des § 16 h SGB II ist über einfache Datenerhebungen oder Statistiken nicht festzustellen. Allerdings kann über statistische Daten eine Annäherung vorgenommen werden, die bei der amtlich erfassten Einwohnerzahl ansetzt und die Menge der Menschen in der relevanten Altersgruppe eingrenzt. Weil § 16 h SGB II keinen Geschlechterunterschied kennt, wird an dieser Stelle, die im statistischen Material vorhandene Unterscheidung nach Geschlecht vernachlässigt.
Die Frage, wie viele Menschen mutmaßlich nicht schwer erreichbar sind, kann die Zahl der für den § 16 h SGB II relevanten Zielpersonen eingrenzen. Der verbleibende Rest ergibt die potentielle Zahl derer, die zur Zielgruppe zu rechnen sind. Die vorliegende Erarbeitung geht auf dieser Grundlage der Frage nach, wie die Personen, die diese Zahl repräsentiert, mit einem zu entwickelnden Angebot angesprochen werden können.
Die Methodik in einem Satz: Dieses Kapitel beginnt mit der Gesamtzahl der im Vogtlandkreis lebenden Menschen im Alter zwischen 15 und 25 Jahren, zieht davon die in gesellschaftlichen Funktionssystemen erfassten Personen ab und geht schließlich Gedanken nach, wie die Zielgruppe des § 16 h SGB II näher zu beschreiben sein könnte.
3.1 Die Menge junger Menschen im Vogtlandkreis – die potentielle Zielgruppe
An dieser Stelle wird die Frage nach der Zahl der jungen Menschen, die aktuell im Vogtlandkreis leben und dem Grunde nach zur Zielgruppe des § 16 h SGB II gehören oder gehören können, aufgeworfen. Datenmaterial, welches über die offizielle Statistik des Freistaates Sachsen zugänglich ist, ergibt: Im Vogtlandkreis lebten zum Jahreswechsel 2016 zu 201719 genau 231.051 Einwohner*innen (Statistisches Landesamt des Freistaates Sachsen 2017: 1). Die Einwohnerzahl des Vogtlandkreises ist seit dem Jahr 1995 rückläufig (vgl. Statistisches Landesamt des Freistaates Sachsen 2018: 8). So wurden 2014 im Vogtlandkreis noch 1.339 Einwohner*innen mehr gezählt, als im Jahr 2016 (ebenda). Allerdings ist nicht dauerhaft von einem Rückgang auszugehen, weil tendenziell junge Menschen nach Sachsen zuziehen (vgl. Verlag Anzeigenblätter GmbH Chemnitz 2016: o.A.). Da aus den öffentlich zugänglichen Dokumenten keine eindeutige Zahl für die Zielgruppe des § 16 h SGB II ersichtlich war, kontaktierte ich das Statistische Landesamt des Freistaates Sachsen per E-Mail (vgl. Anhang 9.3.1) und erhielt umfangreiches Datenmaterial (vgl. Anhang 9.3.2). Daraus geht hervor, dass (zum 31. Dezember 2016) im Vogtlandkreis genau 15.385 junge Menschen im Alter von 15 bis 25 Jahren gezählt wurden.
3.2 Eingrenzung anhand von Systemzugehörigkeiten
Um die Zahl der potentiellen Zielgruppe des § 16 h SGB II einzugrenzen, sind von den im Vogtlandkreis lebenden 15.385 Menschen, die zwischen 15 und 25 Jahren jung sind, diejenigen abzuziehen, auf welche die Näherbestimmung ,schwer zu erreichen' nicht zutrifft. Dies kann bei allen Personen angenommen werden, die als zugehörig zu einem Funktionssystem – als inkludiert (vgl. Pötter 2013: 102f) – statistisch erfasst werden. Sie tragen gesellschaftlich gewürdigte Rollen wie Schüler*innen, Student*innen oder Soldat*innen (vgl. Geuder 2016: 32). Als Schüler*innen weist das Statistische Landesamt Sachsen 9.178 Personen im Alter zwischen 15 und 25 Jahren aus (vgl. Anhang 9.3.2). Darin sind Schüler*innen, die Berufs- und Berufsfachschulen besuchen, enthalten. Die Frage, wie viele junge Menschen einer Ausbildung nachgehen, kann damit als beantwortet angenommen werden. Berücksichtigt muss bei der Zahl der Schüler*innen werden, dass im Bereich der Fachschulen Wanderungsbewegungen in den Vogtlandkreis hinein und aus ihm heraus nicht dokumentiert sind und somit unberücksichtigt bleiben. Die Aussagekraft der Zahl ist demnach eingeschränkt. Um dies auszugleichen, bleibt die Zahl der 1.133 geringfügig Beschäftigten, welche die BA ausweist (vgl. Anhang 9.4.2) unberücksichtigt. Dies erscheint zudem richtig, weil ein Teil der Schüler*innen sich auf diese Weise ein Taschengeld dazu verdient (vgl. Tänzer/ Neufuß 2018: o.A.).
Die Zahl der Arbeitnehmer*innen unter den 15 bis 25`jährigen weist die BA für den Vogtlandkreis mit 5.843 aus (vgl. Anhang 9.4.2). Davon muss die Zahl der Berufsschüler*innen, also 2.483 (vgl. Anhang 9.3.2), abgezogen werden. Sie sind sozialversicherungspflichtig beschäftigt und dürfen nicht doppelt gezählt werden (als Schüler*innen und Arbeitnehmer*innen). Als Arbeitnehmer*innen gelten nach dieser Rechnung 3.360 junge Menschen.
Als Arbeitslose weist die BA die Zahl von 550 aus (vgl. Anhang 9.4.2). Weil sie vom System der BA und der Jobcenter bereits erfasst sind, gelten sie nicht als ,schwer zu erreichende' junge Menschen.
Die Angaben zum Einkommen nach dem SGB II können nicht zur Herleitung herangezogen werden, weil hinter ihnen keine einheitliche Statusgruppe zu identifizieren ist. Allerdings können die 387 Personen, die Regelleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz bekommen, von den als ,schwer zu erreichen' einzustufenden Personen abgezogen werden (ebenda), weil sie in einen eigenständigen Teilsystem der Gesellschaft inkludiert sind (vgl. Pötter 2013: 102f).
Personen, die als Nutzer*innen in besonderen Einrichtungen arbeiten, weil seelische oder geistige Beeinträchtigungen ihnen den Zugang zu diesem Teilsystem der Gesellschaft ermöglichen, finden sich ebenfalls im Bereich der Statistik zum Einkommen (vgl. Anhang 9.3.2). Alle jungen Menschen, die Hilfe zum Lebensunterhalt oder Grundsicherung bei Erwerbsminderung bekommen (egal ob innerhalb oder außerhalb von Einrichtungen) sind gesellschaftlich inkludiert. Sie gehören einem eigenständigen gesellschaftlichen Teilsystem an, sind deshalb nicht als ,schwer zu erreichen' einzustufen. Die Zahlen, die das Statistische Landesamt in dieser Kategorie ausgewiesen hat, summieren sich auf 125 Personen (ebenda).
Von den ,schwer zu erreichenden' sind auch diejenigen abzurechnen, die sich in Elternzeit befinden. Um eine statistische Antwort darauf zu bekommen, schreibe ich die Elterngeldstelle des Vogtlandkreises an (vgl. Anhang 9.5.1) und bekam zur Antwort, dass es dazu keine statistischen Daten gibt. Aufgrund eines denkwürdigen Hinweises in der Antwort, „Elternzeit ist ja eine Vereinbarung des Arbeitnehmers mit dem Arbeitgeber zur Freistellung nach der Geburt eines Kindes – unabhängig von der Zahlung des Elterngeldes“ (vgl. Anhang 9.5.2), gehe ich davon aus, dass die in Frage kommenden Personen in der Kategorien ,Arbeitnehmer*innen' aufgehen oder zu in der Kategorie ,Selbstständige' zu suchen sind. Die Kategorie ,Personen, die in Elternzeit sind' findet daraufhin zahlenmäßig keine Berücksichtigung. Bezieher*innen von Elterngeld (als Gruppe mit ähnlichem Einkommen), finden sich quer durch diverse aufgezählte Statusgruppen. Weil mir die Statusgruppe ,Eltern mit kleinen Kindern' zu wichtig erscheint, als dass sie in der Altersspanne der 15 bis 25`jährigen zu vernachlässigen ist, setzte ich die frei erfundene Zahl von 141 Personen an. Das entspricht, unter den vom Statistischen Landesamt ausgewiesenen Zahlen, 2% der Frauen (vgl. Anhang 9.3.2) und repräsentiert in der Zählung dieses Kapitels die jungen Eltern, die statistisch nicht anderweit erfasst sind.20
Vogtländer*innen zwischen 15 und 25 Jahren, die in Sachsen als Studierende eingeschrieben sind, zählte das Statistische Landesamt Sachsens 1.122 (vgl. Anhang 9.3.2). Die Zahl der Studierenden aus dem Vogtlandkreis, die außerhalb Sachsens immatrikuliert sind, habe ich beim Statistischen Bundesamt erfragt (vgl. Anhang 9.6.1). Die Antwort: „Leider ist es […] dem Statistischen Bundesamt nicht möglich, Ihnen die Frage nach der Zahl der Personen zu beantworten, die im Vogtlandkreis als Studierende erfasst sind“ (Statistisches Bundesamt → Anhang 9.6.2). Um die Studierenden, die in jedem Fall dazu zu rechnen sind (denn nicht alle Studierenden aus dem Vogtland studieren in Sachsen) rechne ich die spekulative Zahl von einem Drittel auf die in Sachsen Studierenden hinzu, was eine Zahl von 374 Personen bedeutet. Damit beträgt die anzunehmende Zahl der Studierenden 1.496 Personen. Zwar werden an dieser Stelle alle Studierenden gezählt21, aber von der Zielgruppe des § 16 h SGB II können unter diesen nicht alle ausgeschlossen werden.22 Wenn es zum abrupten Studienabbruch23 kommt, entsteht eine Krisensituation, aus der sich nicht jede*r aus eigener Kraft herausbewegen kann.24 Bei einem Teil der Betroffenen liegen psychische Diagnosen vor. So lange die Betroffenen nach § 8 SGB II erwerbsfähig sind, also mehr als drei Stunden täglich irgendeiner Arbeit nachgehen können (vgl. Gesetze für die Soziale Arbeit 2018: 1383), steht ihnen Unterstützung durch das Jobcenter zu. Der jüngste Arztreport der Krankenkasse Barmer kam zu alarmierenden Zahlen (vgl. Grobe/ Steinmann/ Szecsenyi 2018: o.A.). Eine Nachrichtensendung hat sie in kurze Worte gefasst:
„Wie aus dem Arztreport der Krankenkasse Barmer hervorgeht, nahm die Zahl der psychischen Erkrankungen bei den 18- bis 25-Jährigen zwischen 2005 und 2016 um 38 Prozent [...] zu. [...] Besondere Sorge bereitet der Krankenkasse der Anstieg von entsprechenden Diagnosen unter Studenten, die früher als weniger anfällig als ihre Altersgenossen galten. Nun sei jeder sechste Student betroffen. [...] Vieles spreche dafür, dass es künftig noch deutlich mehr psychisch kranke junge Menschen geben werde“ (Tagesschau 2018a: o.A. → Anhang 9.7).
Von der Zahl der Studierenden, muss demnach eine gewisse Menge abgezogen werden, die ihrerseits zur potentiellen Zielgruppe des § 16 h SGB II gehört. Wird das im Zitat genannte Verhältnis ,jeder sechste' (als knapp 250 Personen) angenommen, bleiben nur 1.246 Studierende, die nicht als ,schwer zu erreichen' einzustufen sind. Ähnliches gilt jedoch auch für die Statusgruppen Schüler*innen, Arbeitnehmer*innen, Arbeitslose sowie Selbstständige. Sie alle unterliegen dem allgemeinen Risiko psychisch so stark zu erkranken, dass sie nicht selbstständig ins Hilfesystem finden. Dieses Risiko liegt derzeit, wie aus dem bereits zitierten Artikel hervorgeht, bei 25 Prozent in der Altersgruppe der 18 bis 25-jährigen in der Bundesrepublik Deutschland (vgl. ebenda). Das Risiko gilt jedoch auch über Ländergrenzen hinaus, wie 2016 in einer Forschungsarbeit in der ländlichen Region Pinzgau in Österreich durch Befragung junger, arbeitsloser Menschen belegt werden konnte (vgl. Höfer 2016: 85). Für sie alle gilt – in der Bundesrepublik Deutschland –, dass, in der Frage des Lebensunterhalts, zuerst das Jobcenter einen Unterstützungsprozess gewährleisten muss und von da aus die Klärung eingeleitet wird, ob eventuell andere Hilfesysteme die Zuständigkeit zu übernehmen haben.25
Zur Anzahl der Bundeswehrangehörigen konnte das Statistische Landesamt Sachsen mangels Daten keine Auskunft geben (vgl. Anhang 9.3.2). So schrieb ich die Bundeswehr direkt an (vgl. Anhang 9.8.1) und erhielt zur Antwort, dass die Bundeswehr im Jahr 2016 insgesamt 70 Personen unter 25 Jahren aufgenommen hat (vgl. Anhang 9.8.2). Weil der Vogtlandkreis über keinen Bundeswehrstandort verfügt und somit die Meldeadresse keiner Person aus dem Vogtland im Kreis verbleibt, ist dies die Zahl, die von den ,schwer zu erreichenden' abgezogen werden kann.
Die Anzahl der 15 bis 25`jährigen Selbstständigen wurde vom Statistische Landesamt Sachsen als so niedrig veranschlagt, dass sie nicht ausgewiesen wird (vgl. Anhang 9.3.4). Auf dieser Auskunft beruhend, ist die Kategorie Selbstständigkeit dem Grunde nach zu vernachlässigen. Allerdings machte die Gruppe der Selbstständigen 2014 quer durch alle Altersgruppen 10% der Bevölkerung aus (Statistisches Bundesamt 2015: 345). Das lässt sie als zu wichtig erscheinen, um sie zu vernachlässigen (vgl. Geuder 2016: 23). So wird an dieser Stelle, in Anlehnung an die Zahl der Bundeswehrzugänge, willkürlich eine Anzahl von 70 Personen berücksichtigt. Keine Berücksichtigung haben junge Menschen aus Kategorien, wie Weltenbummler*innen und ,Muttersöhnchen', gefunden. Solche Kategorien finden nirgends einen statistischen Niederschlag. Allerdings gehören diese Personen, weil sie in kein gesellschaftliches Teilsystem inkludiert sind, potentiell zur Zielgruppe des § 16 h SGB II. Dies gilt trotz der möglichen Annahme, dass Personen, die sich längere Zeit eigenständig organisiert und ernährt haben, die grundsätzlichen Fähigkeiten besitzen sollten, eine Entscheidung zur Teilnahme am System der Lebensabsicherung durch Leistungen nach dem SGB II zu fällen. Sie sind aus ungeklärten Gründen – möglicherweise auch wegen besonderer sozialer Schwierigkeiten – nicht erreicht.
Die Rechnung zur Zahl, wie viele junge Menschen nicht Teil der Zielgruppe des § 16 h SGB II sind, in einer Tabelle:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
(Aufgrund des genutzten Quellenmaterials handelt es sich um Zahlen aus dem Jahr 2016. Kursiv und fett gedruckte Zahlen haben einen – im Text erklärten – spekulativen Anteil)
Werden zu den 46 statistisch – rechnerisch nicht erfassbaren Personen die oben angenommenen durch (psychische) Diagnosen gefährdeten ca. 250 Personen hinzu gerechnet, besteht die Zielgruppe des § 16 h SGB II aus ca. 300 jungen Menschen im Vogtlandkreis. Auch die Aussage des Statistischen Bundesamtes: „Studierende leben oft in Wohngemeinschaften und Wohnheimen, was die genaue Erfassung sehr schwierig macht“ (Statistisches Bundesamt → Anhang 9.6.2) trifft auf einen Großteil der Zielgruppe von § 16 h SGB II beschreiben. Weil diese statistische ,Ungreifbarkeit' vom Eigensinn der Formulierung auf die ,schwer zu erreichenden jungen Menschen26 ' zutrifft, liegt vieles von dem, was über die dahinter stehenden Menschen behauptet werden kann, im spekulativen Bereich.
Aus über fünfzehntausend Personen konnte eine sehr überschaubare zwei- bis dreistellige Menge junger Menschen als potentielle Zielgruppe angenommen werden. Beim Nachdenken über die Nichterreichten (vgl. Thie 2017: 532), erscheint es somit unmöglich zu definieren, also an Grenzlinien zu beschreiben, welche konkreten Personen zu dieser Gruppe gehören. Potentiell können alle Personen im relevanten Alter im Vogtlandkreis in eine Situation geraten, in der sie durch schicksalhafte Umstände zu ,Nichterreichten' des Jobcenters werden (vgl. Anhang 9.2).
3.3 Das Verhältnis der Verbleibenden zur Arbeitsvermittlung
An dieser Stelle gilt es Merkmale oder Indizien zu beschreiben, durch welche sich die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass ein junger Mensch zur Zielgruppe des § 16 h SGB II gehört, also zu der überschaubaren infrage kommenden Anzahl aus dem Vorkapitel. In der Betrachtung werden solche Merkmale und Indizien bevorzugt, die auf Personen im Vogtlandkreis zutreffen können27. Dabei handelt es sich in der Sprache der Arbeitsvermittlung um Vermittlungshemmnisse (vgl. Geuder 2016: 15), deren unterschiedliche Aspekte sich mit Worten aus dem Themenbereich der sogenannten ,sozialen Schwierigkeiten' beschreiben lassen. Der Umgang mit diesen ist, in der Verordnung zur Durchführung der Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten geregelt (vgl. Anhang 9.1.3). Die großen thematischen Linien können mit Stichwörtern wie Wohnen, wirtschaftliche Lebensgrundlage, soziale Beziehungen, Gesundheit und andere spezifische Lebensumstände28 wiedergegeben werden. Reichen die Ressourcen einer Person nicht aus, diese Lebensthemen zu bedienen, ist das öffentliche Hilfesystem gefordert, was die ,Schwachen' eher trifft, als die ,Starken'. „Ein niedriger Status der Vorfahren wirke wie eine Last, die den Aufstieg auch vier Generationen später noch bremst“ (Tagesschau 2018b: o.A. → Anhang 9.9). Nachdem Untersuchungen ergeben hatten, dass ein sozialer Aufstieg in Deutschland noch schwerer ist, als angenommen, hat es diese Feststellung bis in eine Nachrichtensendung geschafft.
„Die Forscher kommen zum Ergebnis, dass durchschnittlich 60 Prozent der für den sozialen Status einer Person maßgeblichen Faktoren von einer Generation zur nächsten weitergegeben werden. Dazu könnten Lebensumstände wie das gesellschaftliche Netzwerk zählen, aber auch vererbte Begabungen“ (ebenda).
In Bezug auf Erwerbsarbeit ist dieser Zusammenhang sehr aktuell, da die bestehende Langzeitarbeitslosigkeit häufig Menschen betrifft, die die Zeitenwende – als aus zwei deutschen Staaten wieder ein gemeinsamer Staat wurde – als ,Verlierer' hinter sich gebracht haben (ein Beispiel vgl. Tagesschau 2018c: o.A. → Anhang 9.10). Der Vogtlandkreis ist ein Landkreis im ,Osten', direkt an der ehemaligen innerdeutschen Grenze. Auch hier leben Menschen, wie der im Artikel beispielhaft beschriebene Mann. In dem Artikel ist zu lesen: „Jeder dritte deutsche Arbeitslose ist langzeitarbeitslos“ (ebenda), also gemäß § 18 SGB III ein Jahr oder länger arbeitslos29 gemeldet (vgl. Gesetze für die Soziale Arbeit 2018: 1439).30
Wenn sie erreicht worden sind, sind diese jungen Menschen mit dem negativsten Wahrscheinlichkeitsfaktor (vgl. Geuder 2016: 15) im Jobcenter als ,Betreuungskunde' einzustufen. Sie sind mutmaßlich mittelfristig nicht zu vermitteln, weil erst ,Vermittlungshemmnisse' abzubauen sind (vgl. Jäger / Thomé 2013, 116). Bei ,schwer zu erreichenden jungen Menschen' kann bereits vor dem ersten Kontakt angenommen werden, dass mehrere dieser sogenannten Vermittlungshemmnisse vorliegen. Welche dies im Einzelfall sind, bleibt zu klären und, wenn der konkrete Fall auftritt, zu bearbeiten. Vermittlungshemmnisse können sehr unterschiedliche Gründe haben. Das Jobcenter Recklinghausen hat folgende Aufzählung möglicher Vermittlungshemmnisse veröffentlicht:
„- Keine oder nur geringe berufliche und/oder schulische Kenntnisse
- Überschuldung
- Unterhaltsverpflichtungen
- Ohne ausreichende oder nur mit geringen Kinderbetreuungsmöglichkeiten
- Negatives Erscheinungsbild
- Schlechtes Berufsbild/ Lücken im Lebenslauf
- Alkoholabhängigkeit
- Drogenkonsum
- Geringe Deutschkenntnisse
- Geringe Motivation
- Geringe Mobilität (regional und/oder beruflich )
- Unselbständiges Verhalten
- Eintragungen im Führungszeugnis/ Vorstrafen
- Erhebliche Schwierigkeiten im familiären Umfeld
– U.s.w.“ (Butzgel u.a. 2011: 15)
Die Liste enthält präzise Aussagen, hinter denen sich die Tatbestände aus § 1 der Verordnung zur Durchführung der Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten (Anhang 9.1.3) in Form einer Auflistung wiederfinden. Nach § 2 Absatz 1 Satz 1 der Verordnung gilt: „Art und Umfang der Maßnahmen richten sich nach dem Ziel, die Hilfesuchenden zur Selbsthilfe zu befähigen, die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen und die Führung eines menschenwürdigen Lebens zu sichern“ (ebenda). Teil der Zielgruppe des § 16 h SGB II sind junge Menschen, die der Unterstützung bedürfen, um ihre individuellen Schwierigkeiten zu bewältigen. Die Bundeszentrale für politische Bildung beschreibt dies wie folgt:
„Insgesamt erhöhen folgende Vulnerabilitätsfaktoren das soziale Exklusionsrisiko bei Jugendlichen: niedriges Qualifikationsniveau, passives Verhalten auf dem Arbeitsmarkt, schwierige finanzielle Situation, keine oder nur geringe soziale Unterstützung, mangelhafte oder nicht vorhandene institutionelle Hilfe, geringes Selbstwertgefühl und in einigen Fällen Drogensucht und Devianz“ (Kieselbach/ Beelmann 2003: o.A.).
Die Zahl der im vorherigen Kapitel statistisch nicht erfassten Personen, kann potentiell größer gefasst werden, weil auch alle anderen jungen Menschen Risiken unterliegen, die sie zur Zielgruppe werden lassen können, sobald in ihrem Leben ,Vermittlungshemmnisse' hinzukommen und sie in ihrer Überforderung den Weg ins gesellschaftliche Unterstützungssystem nicht finden.
Unter den Vermittlungshemmnissen, die in der Zielgruppe besonders deutlich hervortreten, sind im Folgenden das Verhältnis zu ihrem Innenleben, das Verhältnis zur Kriminalität sowie das Verhältnis zu Abhängigkeit – insbesondere zu Suchtmitteln – näher zu beleuchten.
3.4 Unsicherheit sowie Mangel an Bedürfnisbefriedigung
Junge Menschen leben heute in einer Welt, in der sich ,alles dreht', in einer Welt, die ,Kopf steht' oder ,verrückt31 ist'. Ein Marker für diese Wirklichkeit, ist die bei circa einem Viertel der jungen Menschen aufkommende psychische Krisensituation (vgl. Tagesschau 2018a: o.A. → Anhang 9.7). Dadurch können zunehmend auch Student*innen, also gesellschaftlich sehr gut integrierte junge Menschen, in die Zielgruppe des § 16 h SGB II fallen (vgl. ebenda). Psychische Erkrankungen treffen rund 25 Prozent aller jungen Menschen in Deutschland und vieles „spreche dafür, dass es künftig noch deutlich mehr psychisch kranke junge Menschen geben werde“ (ebenda). Zeit- und Leistungsdruck nehmen ebenso zu, wie Zukunftsängste und finanzielle Sorgen (vgl. ebenda). Das erscheint im Verhältnis zu der Tatsache, dass eines der großen Probleme von Wirtschaft und Gesellschaft derzeit der Fachkräftemangel ist (vgl. Plus 2018: o.A.32 sowie Päßler 2018 o.A.33 ), absurd. Die individuelle Wahrnehmung der jungen Menschen ist jedoch sowohl von der unmittelbaren Geschichte ihrer Vorfahren beeinflusst (vgl. Tagesschau 2018b: o.A. → Anhang 9.9), als auch von individuellen Unsicherheiten geprägt, die teilweise als Folge der veränderten Bedingungen, der Arbeitswelt zugerechnet werden können. So weist die Arbeitswelt immer weniger einheitliche Standards auf, die Sicherheit geben könnten (vgl. Castel 2011: 117). Junge Menschen müssen heute öfter individuelle Entscheidungen treffen, als das in früheren Generationen der Fall war. Die Wirksamkeit mancher dieser Entscheidungen können sie häufig nicht absehen. Die ,Starken' lässt dies stärker werden (vgl. Koerber 2012: 99). „Individuen, denen es an den notwendigen objektiven Voraussetzungen fehlt, um wirklich als Individuen leben zu können, droht das neue Biografiemuster zum lebenslangen Alptraum zu werden“ (Castel 2011: 118). Ihnen mangelt es in grundlegenden Fragen an Sicherheit. Damit ist auch das Bedürfnis der Existenzsicherung in Frage gestellt. Gemäß Maslows Gedanken, dass – verkürzt dargestellt – erst die elementaren Bedürfnisse befriedigt sein müssen, bevor ein Mensch die Erfüllung der ,höheren' Bedürfnisse vorantreibt (vgl. Boeree 2006: 4), ist dies für junge Menschen fatal. Die Befriedigung der ,höheren' Bedürfnisse üben Menschen in ihren sozialen Netzwerken ein. Darin erfahren jungen Menschen reziproke, also wechselseitige, Stärkung in schwierigen Situationen und entwickeln ihre individuelle Lebensperspektive. Wenn also bestehende familiäre und freundschaftliche Netzwerke aus irgendeinem Grund34 ausfallen, kommt die individuelle Entwicklung Einzelne*r nicht über die Befriedigung der physiologischen Bedürfnisse, wie essen und trinken sowie der Bedürfnisse nach Schutz und Sicherheit hinaus (vgl. ebenda). Eine Möglichkeit, die physiologischen Bedürfnisse zu stillen, bietet die Kriminalität.
3.5 Das Verhältnis der potentiellen Zielgruppe zur Kriminalität
Werden junge Menschen nicht in positiv ausgerichteten Funktionssystemen der Gesellschaft eingebunden, finden sie sich als ,Probanden' im Zusammenhang anderer Funktionssysteme wieder. Die Kosten trägt die Gesamtgesellschaft, indem individuell Bürger*innen ,Nerven lassen' und indem polizeiliche, juristische und soziale Funktionssysteme in Aktion treten müssen.35 Die Bundesarbeitsgemeinschaft örtlich regionaler Träger der Jugendsozialarbeit e.V. (BAG ÖRT) stellt in ihrer Handreichung für niederschwellige Jugendsozialarbeit fest,
„dass ein nicht geringer Teil junger Menschen frustriert von den Angeboten dem System [ gemeint ist das Hilfesystem mit seinen unterschiedlichen Sozialleistungen; Anmerkung des Verfassers ] den Rücken zukehrt und über kurz oder lang gesellschaftlich ins Abseits zu fallen droht – auch deshalb, weil die Zugangs- und Rahmenbedingungen der Regelmaßnahmen häufig nicht die schwierigen Lebenslagen dieser jungen Menschen treffen“ (BAG ÖRT 2011: 3).
„Nicht nur, dass jugendlichen Arbeitslosen der Eintritt in das Erwerbsleben durch strukturelle Arbeitsmarktprobleme versperrt bleibt, sie betrachten sich selbst auch als chancenlos und ziehen sich im Sinne einer Selbstausgrenzung vom Arbeitsmarkt zurück“ (Kieselbach/ Beelmann 2003: o.A.). Es gibt junge Menschen, die nicht zu Behörden (wie dem örtlichen Jobcenter) gehen und somit die gesellschaftlich vorgesehenen Abläufe nicht wählen. Die betroffenen jungen Menschen fallen entweder durch Nichtstun auf – sie schmarotzen in ihrem persönlichen Umfeld36, oder sie werden auf andere Weise aktiv, als es die Gesellschaft gutheißt. Abweichendes, deviantes Verhalten hat viele Gesichter (vgl. Böhnisch 2015: 25). Einen messbaren Anteil davon spiegelt die Kriminalitätsstatistik der Landespolizei Sachsen wieder.
Diebstähle, bei denen Lebensmittel gestohlen werden, können unmittelbar mit solchem Handeln in Verbindung gebracht werden. Enthalten sind solche ,alltäglichen' Lebensmitteldiebstähle unter den 47,6 % der Fälle, in denen der Warenwert weniger als 15 Euro betrug (vgl. LKA 2017b: 194). Wie aktuell dies für den Vogtlandkreis ist, zeigt die besondere Erwähnung einer ländlichen Gemeinde in der landespolizeilichen Darstellung: „2016 verzeichnete die Gemeinde Weischlitz einen hohen prozentualen Anstieg (+ 24,0 %)“ (ebenda). Der Ort besteht aus dem Dorf Weischlitz, in dem das Amt mit der Aufschrift Rathaus steht, und vielen anderen Dörfern, die sich in der ,Einheitsgemeinde' Weischlitz in ihre Verwaltung teilen. Für die Zielgruppe des § 16 h SGB II ist der Befund aus der Kriminalitätsstatistik aussagekräftig, denn: „Von den deutschen Tatverdächtigen waren fast ein Viertel unter 21 Jahre alt (24,0 %)“ (ebenda). Nach dem Kriminalitätsatlas 2016 waren unter den 4.044 Tatverdächtigen im Vogtlandkreis 296 Jugendliche37 (vgl. LKA 2017a: 54), was einer Tatverdächtigenbelastung von 4.215 pro 100.000 Einwohner entspricht (vgl. ebenda: 58), sowie 283 Heranwachsende38, was einer Tatverdächtigenbelastung von 6.756 pro 100.000 Einwohner entspricht (vgl. ebenda: 60). Beide Zahlen sind deutlich erhöht im Vergleich zur Tatverdächtigenbelastungzahl von 1.752 pro 100.000 Einwohner bei Erwachsenen (vgl. ebenda: 62). In den Zahlen der Kriminalstatistik enthalten sind neben den Lebensmitteldiebstählen auch anderer Diebstähle. Auch sie helfen jungen Menschen Geld zu generieren, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.
Eine Möglichkeit dazu sind Einbruchsdiebstähle in Fahrzeuge. In der Einzeldarstellung des Landeskriminalamtes Sachsen stellt sich dies für das Jahr 2016 wie folgt dar: Die „Tatverdächtigenbelastung der deutschen Bevölkerung Sachsens bei Diebstahl von Kraftwagen einschließlich unbefugten Gebrauchs“ (LKA 2017b: 190) lag mit 79 pro 100.000 Fällen bei männlichen39 Personen von 18 bis unter 21 Jahren auf dem höchsten und mit 65 pro 100.000 Fällen bei männlichen40 Personen von 21 bis unter 25 Jahren auf dem zweithöchsten Wert (vgl. ebenda). Davon entfallen 15 % auf ermittelte ,jungerwachsene Tatverdächtige', also potentielle Zielpersonen von Angeboten nach § 16 h SGB II.
Dies wird durch die Erfahrung von Mitarbeiter*innen der Wohnungslosenhilfe aus Gesprächen mit wohnungslosen Menschen gedeckt. Der Bericht eines ehemals betroffenen Mannes über seine Lebenserfahrung, der im Anhang 9.2 dieser Arbeit zu lesen ist, beschreibt im Originalton das Zusammenspiel von Umständen, die bei ihm zu lange anhaltendem delinquenten Handeln geführt haben. Er hatte schließlich mit 28 Jahren „Glück. Ein halbes Jahr zuvor hatte in meiner Stadt ein Übergangswohnheim für Wohnungslose geöffnet“ (Anhang 9.2). Weder die Jugendhilfe noch ein anderes Hilfesystem hat ihn zu einem früheren Zeitpunkt erreicht; § 16 h SGB II war noch nicht geschrieben und ein Angebot, was diesen Mann erfolgreich angesprochen hätte, nicht entwickelt. Schicksale, wie das dieses Mannes sind zahlenmäßig kaum erfassbar, kommen jedoch immer wieder vor und kosten nicht nur die Betreffenden ihre Karriere, sie kosten die Gesellschaft andauerndes Engagement der Ordnungs- und Sozialbehörden.
Es zeigt sich ein Zusammenhang zwischen den nicht-erreichbaren jungen Menschen und einem Teil des Kriminalitätsaufkommens. Daraus kann abgeleitet werden, dass ein passgenaues Angebot an die betreffenden jungen Menschen auch die Allgemeinheit entlasten würde. Indem den jungen Menschen tragfähige Lebensperspektiven angeboten werden, ist es für sie nicht mehr notwendig delinquent zu Handeln. Auf den Punkt gebracht: Perspektivbildung wirkt Delinquenz entgegen (vgl. CJD 2018: o.A.).
3.6 Das Verhältnis der potentiellen Zielgruppe zu Drogen und Sucht
Zur Kriminalität gehören auch Delikte, die nach dem Betäubungsmittelgesetz (BtMG) verfolgt werden. Sucht ist ein großes gesellschaftliches Thema, dass die Menschen seit sehr langer Zeit beschäftigt. „Häufig sind psychische Beeinträchtigungen und Suchtverhalten Teil der Problemlagen der jungen Menschen“ (Deutscher Verein41 2017b: 4). In Deutschland gibt es den Verein Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e.V.. Von ihm werden im ,Jahrbuch Sucht' fortwährend die Entwicklungen in Zahlen festgehalten (DHS 2018). „Sowohl die pathogenetische, als auch die salutogenetische Sichtweise definieren – trotz unterschiedlicher Handlungs- und Sichtweisen – Drogenkonsum als Krankheit; ein Konsum psychotroper Substanzen scheint somit niemals ,vorrangig genussorientiert' und ,risikoarm' zu sein“ (Hess 2009: 13). So lange diese ,Krankheit' jedoch nicht dazu führt, dass eine Person nur noch weniger als drei Stunden am Tag irgendeiner Erwerbsarbeit nachgehen kann, findet sich diese (gemäß § 8 SGB II) in Fragen der materiellen Grundversorgung im Bereich der Zuständigkeit des örtlichen Jobcenters wieder (vgl. Gesetze für die Soziale Arbeit 2018: 1383). Dort wird, wie oben beschrieben, Drogenkonsum als ,Vermittlungshemmnis' gesehen. Die jungen Menschen selbst sehen ihren Drogenkonsum häufig nicht als Problem an.
„Mal vergessen, mal entspannen, mal abschalten - viele Drogen entlasten im Rausch zunächst vordergründig von Problemen, vermindern Ängste und Hemmungen. Viele Drogen bewirken ein gesteigertes Selbstwertgefühl, Glücksgefühle und Entspannung. [...] Entzugserscheinungen und seelische Verstimmungen treten ein. Der regelmäßige Gebrauch von Rauschmitteln kann sich erheblich auf unsere Psyche auswirken sowie Charaktereigenschaften und Verhalten verändern. Viele stumpfen ab, werden depressiv, leicht reizbar oder haben immer größere Probleme, die Realität im "nüchternen Zustand" - also nicht berauscht - zu ertragen“ (Fischer/ Beck 2014: o.A.).
Hinter dem Drogenkonsum stehen immer wieder soziale Phänomene. Verlusterfahrungen in Familie und Freundeskreis (wie im Beispiel in Anhang 9.2) gehören dazu, aber auch der Mangel an Perspektiven, die als ,sinnvoll' angenommen werden. „Bei der ersten Bewerbung erleben viele, dass ein schlechtes Abschlusszeugnis nur geringe Verwertungschancen am Arbeitsmarkt findet“ (Stangl 2018: o.A.). Von der Foundation for a Drug-Free World wird angenommen:
„Menschen nehmen Drogen, weil sie in ihrem Leben etwas verändern möchten.
Dies sind einige der Gründe, die junge Menschen dafür angeben, warum sie Drogen konsumieren:
- um „wie die anderen“ zu sein
- um Probleme zu vergessen oder sich zu entspannen
- um der Langeweile zu entkommen
- um „erwachsen“ zu wirken
- aus Protest
- um es mal auszuprobieren
Sie denken, Drogen seien die Lösung für ein Problem, doch schließlich werden die Drogen selbst zum Problem“ (Foundation for a Drug-Free World 2018:o.A.).
Da solche problematischen Lebenslagen den jungen Menschen die Zukunftschancen rauben, steht in § 16 h Absatz 1 SGB II ausdrücklich: „Die Förderung umfasst zusätzliche Betreuungs- und Unterstützungsleistungen mit dem Ziel, dass Leistungen [...] in Anspruch genommen werden, erforderliche therapeutische Behandlungen eingeleitet werden und“ so weiter.
„Es gibt […] Ansätze, die sich stärker mit der Berufsvorbereitung, der emotionalen und psychosozialen Stabilisierung und der Förderung der Persönlichkeitsentwicklung arbeitsloser Jugendlicher auseinander setzen.
Im Wesentlichen geht es darum, die Jugendlichen, die z.T. erhebliche psychische, aber auch finanzielle und soziale Probleme aufweisen, zu stabilisieren. Damit soll z.B. das Risiko ökonomischer Ausgrenzung beseitigt werden. Erst nach einer Phase der Restabilisierung kann es darum gehen, den Jugendlichen berufsorientierte Hilfsangebote zu unterbreiten und sie in ihrer beruflichen Zukunftsplanung zu unterstützen“ (Kieselbach/ Beelmann 2003: o.A.).
Wie an späterer Stelle dieser Erarbeitung42 – die Situation aus Sicht jener ,Professionellen', die sich aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit als Streetworker*innen im Auftrag der Jugendhilfe mit dem Thema beschäftigen – deutlich wird, ist Drogenkonsum ein reales und ernst zu nehmendes Thema im Vogtlandkreis. Er grenzt direkt an die Tschechischen Republik. Dort wird viel Chrystal Meth hergestellt. So ist diese Droge seit mehreren Jahren verstärkt im Vogtlandkreis im Umlauf. Infolge dessen nehmen Fragen um Chrystal Meth seit langem einen festen Bestandteil am Diakonischen Kompetenzzentrums für Suchtfragen im Vogtlandkreis ein (vgl. DKZS 2012: 1). Aber auch zu allen anderen Drogen, angefangen bei Alkohol und Nikotin, berät die Suchberatung junge Menschen, die diese konsumieren.
3.7 Lebensweltexpertise – Gespräch mit einem ,Betroffenen'
Am 9. Mai 2018 sprach ich im Rahmen meiner beruflichen Tätigkeit als Sozialpädagoge in der Wohnungslosenhilfe mit einem ,Kumpel' eines Betreuten. Dieser berichtete von seinen Erfahrungen mit dem Jobcenter Vogtland. Als ich ihn nach seinem Alter befragte, antwortete er: „fünfundzwanzig.“ Und so kam ich mit ihm zum Thema dieser meiner Erarbeitung ins Gespräch.
Das gemeinsam geführte Gespräch entspricht im wissenschaftlichen Sinn keinem Interview, welches ich als Transskript wiedergeben könnte. Die Unterhaltung hatte eher den Charakter des Ero-epischen-Gesprächs, einer Methode die von Roland Girtler entwickelt, gelehrt und praktiziert wurde (Girtler 2001: 147ff). Bei dieser Methode treten Wissenschaftler*in und Gesprächspartner*in über das zu erforschende Thema in einen offenen Austausch ein. Jede Seite berichtet vom eigenen Anliegen. Der Vollzug eines Ero-epischen-Gesprächs kann mit einen Gespräch in Anlehnung an die Themenzentrierte Interaktion von Ruth Cohn (Cohn 2004: o.A.) verglichen werden. Diese habe ich in einer anderen Arbeit wie folgt skizziert:
„Anhand der Verhältnisbestimmung zwischen – erstens – einem Thema »Es«, – zweitens – dem einzelnen Gesprächsteilnehmer »Ich« und – drittens – der Frage, was das Ganze mit den Gesprächspartnern gemeinsam »Wir« zu tun hat, bekommt der Professionelle eine Idee für die Gestaltung der Kommunikation. »Es«, »Ich« und »Wir« werden als gleichseitiges Dreieck beschrieben. Dieses befindet sich – viertens – eingebettet in die umgebenden Rahmenbedingungen »Globe« – als Kreis um das Dreieck dargestellt“ (Geuder 2015: 10).
Ein solches themenbezogenes Gespräch führte ich mit jenem fünfundzwanzigjährigen Mann. An dieser Stelle gebe ich – wie nach einem Ero-epischen-Gespräch – die gesammelten Informationen in einem kleinen Text wieder, dessen Grundlage mein Gedächtnisprotokoll ist.
Der junge Mann ist vor mehreren Jahren aus der Wohnung seiner Mutter ausgezogen. Als er ausziehen wollte, hat das Jobcenter einen Mann beauftragt, bei ihm zu Hause nachzusehen. Er bekam die Genehmigung auszuziehen sofort. Der Grund: Sein Stiefvater hat zum Zeitpunkt des Hausbesuches mit grimmigem Gesichtsausdruck am Küchentisch gesessen und den begutachtenden Mann scharf angesprochen.
Später kam der junge Mann ins Gefängnis. Wofür er verurteilt worden ist, erzählt er nicht. Er lebt jedenfalls seit vielen Jahren in der vogtländischen Stadt Plauen, nimmt aber seit vielen Monaten an den gesellschaftlichen Zwecksystemen nicht mehr teil. Seinen Lebensunterhalt bestreitet der junge Mann, indem er ,arbeiten geht', was bedeutet, dass er von Schwarzarbeit und sonstigen illegalen Geschäften lebt. Sein Einkommen beziffert er auf siebzig Euro pro Tag, wobei offen bleibt, ob diese Summe an jedem Wochentag, jedem Werktag oder an den Tagen, an denen er aktiv wird, erzielt wird. Als Wohnung nutzt er die Wohnung eines Freundes, der als Kraftfahrer arbeitet und sich nur sehr selten in der Stadt befindet. Diverse private, symbiotische Gelegenheiten führen somit dazu, dass er leben kann. Allerdings ist er nicht krankenversichert. Das stört ihn nicht, erklärt er, weil er in den Jahren, als er ,Hartz vier' (Alg II) bezogen hat, nur zweimal beim Arzt war. Ich spreche ihn darauf an, dass er eventuell zum Arzt muss, wenn zukünftige Ereignisse wie Unfälle oder schwerere Krankheiten ihn treffen, und dass er bei seiner Arbeit keine Absicherung vor Unfällen hat. Darauf meint er nachdenklich, dass er sich schon eine Absicherung wünscht. Und auch eine eigene Wohnung wünscht er sich. Aber: seine Erfahrungen mit dem Jobcenter sind so, dass er dort nicht hingehen möchte. Sein Problem sind dabei nicht eventuelle Sanktionen, wenn er seine Bemühungen nicht nachweisen kann. Sein Problem sind die – aus seiner Sicht – unerhört schlechten und frechen Angebote. Er berichtet, dass er zwei Schulabschlüsse hat. Auf den Hauptschulabschluss erwarb er sich den ,qualifizierten Hauptschulabschluss'.
Als er aus der Haft entlassen worden war, und beim Jobcenter um Unterstützung ersuchte, bekam er den Rat, sich bei der Volkshochschule anzumelden und den Realschulabschluss nachzuholen. Die Kosten, so hat er das Jobcenter verstanden, sollte er selber tragen. Daraufhin ging er nicht mehr zum Jobcenter. Unterstützung wünscht er sich nach wie vor. Aber eben Unterstützung, die ihm hilft, sich zu entwickeln; nicht Unterstützung, die sich als solche nicht anfühlt. Als ich vom ,neuen' § 16 h SGB II spreche, leuchten seine Augen (sehnsuchtsvoll). Gern würde er die Unterstützung bekommen. Aber das eigenverantwortliche Leben, das er – aus seiner Perspektive – jetzt führt, möchte er nicht aufgeben.
Das Gespräch, welches wir vereinbarten, um weitere Fragen zu bearbeiten, fand nicht statt. Vielleicht war der junge Mann zu der Zeit ,arbeiten'. Was der junge Mensch, dessen Aussagen ausreichen, um ihn als Teil der Zielgruppe des § 16 h SGB II anzuerkennen, empfindet, ist dieselbe Erfahrung, die der Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge e.V. folgendermaßen beschreibt:
„Junge Menschen sind schwer erreichbar, wenn eine Passung zwischen ihnen und dem Hilfesystem fehlt oder nicht ausreichend gelungen ist. Den Jobcentern und der Jugendhilfe ist es in diesen Fällen nicht immer gelungen, ihre Angebote so zu organisieren, dass die betreffenden jungen Menschen diese als Hilfe, Unterstützung und Förderung wahrnehmen und bereit sind, [dieselben, der Verf.] für ihre Entwicklung zu nutzen“ (Deutscher Verein 2017b: 5).
3.8 Expert*innen befragt – Perspektiven des Hilfesystems
Weil in § 16 h Absatz 3 SGB II geregelt ist, dass sich die BA eng mit dem ,örtlich zuständigen Träger der öffentlichen Jugendhilfe' abstimmt, versuchte ich in einem sehr frühen Stadium der vorliegenden Erarbeitung einen digital-schriftlichen Kontakt mit der zuständigen Stelle herzustellen. Der Internetauftritt des Landratsamtes Vogtlandkreis weist keine personalisierten E-Mail-Adressen aus. So nutzte ich das Kontaktformular und schrieb das Jugendamt an (vgl. Anhang 9.11.1). Auf diese Anfrage ging keine Antwort ein.43 Aufgrund der Antwort des Kreisjugendring (vgl. Anhang 9.12.2), hatte ich als Ansprechpartnerin im Jugendamt eine Person genannt bekommen, deren Dienst-E-Mailadresse ich aufgrund einer Anfrage im Rahmen einer Hausarbeit während meines Bachelorstudiums vorliegen hatte. Es folgt eine E-Mail direkt an sie (vgl. Anhang 9.11.2). Sie nannte den Jugendhilfeträger Mobile Jugendarbeit Plauen e.V. (MJA Plauen) (vgl. Anhang 9.11.3). Auch die Mitarbeiterin des Kreisjugendring hatte auf die MJA Plauen hingewiesen (vgl. Anhang 9.12.2). Einfach und eindeutig ist auf der Internetseite www.mjaplauen.de zu lesen, an wen sich ihr Angebot richtet. Die Themen, die dabei angesprochen werden, decken sich mit den bereits oben beschriebenen.
„Mobile Jugendarbeit in Plauen ist...
-ein Angebot der Jugendhilfe für junge Menschen bis 27 Jahre, die in Plauen leben. Wir unterstützen Dich, wenn...
- Du Hilfe bei der Umsetzung Deiner Ideen benötigst
- Du in Not bist und nicht mehr weiter weißt
- Du Hilfe bei Behördenkram brauchst
- Alkohol oder Drogen Deinen Alltag bestimmen
- Du auf Deine Familie momentan nicht zählen kannst
- Du einfach jemanden zum Reden brauchst.
freiwillig, anonym, parteilich, lebensweltorientiert, kostenfrei“ (MJA 2018: o.A.).
So schrieb ich die Mobile Jugendarbeit Plauen an (vgl. Anhang 9.13.1) und bat um eine Expertenmeinung. Die 10 offenen Fragen setzten am Titel der vorliegenden Erarbeitung an, nehmen die Zielgruppe des § 16 h SGB II in den Fokus und führen schließlich zu notwendigen Bedingungen eines zu entwickelnden Angebotes. Methodisch entspricht dies einem Fragebogen gestützten Interview (Weberhofer 2017: o.A., Kirchhoff u.a. 2003: o.A. oder van der Donk/ van Lanen/ Wright 2014: 222ff), welches sich an Experten wendet. Einige der Antworten werden im Folgenden als Vollzitate eingebaut, weil sie die Sachverhalte so präzise wiedergeben, dass eine Umschreibung den Erkenntnisgewinn eher einschränken würde.
Die Mobile Jugendarbeit Plauen ist in der Kreisstadt Plauen verortet. Ihre Antworten repräsentieren aus der Perspektive aufsuchender Jugendarbeit/ Streetwork, was über die Zielgruppe des § 16 h SGB II in der größten Stadt des Kreises beobachtet werden kann. Zur Analyse der Zielgruppe des § 16 h SGB II tragen die Antworten einige Hinweise bei.
Die Antwort auf Frage „Der § 16 h SGB II trägt den Titel: ,Förderung schwer zu erreichender junger Menschen'. Fallen Ihnen junge Menschen ein, auf die der § 16 h SGB II abzielt?“ (Anhang 9.13.1: Frage 2) verortet einen wesentlichen Teil der Zielgruppe in bestimmten Wohngegenden der Stadt Plauen:
„Die MJA Plauen ist nahezu täglich mit jungen Menschen konfrontiert, auf die der § 16 h SGB II abzielt. In den Schwerpunktgebieten Haselbrunn, Hammervorstadt, aber vor allem im Stadtzentrum ist ein beträchtlicher Teil im Leistungsbezug des SGB II“ (Anhang 9.13.2: zu 2).
In den genannten Wohngegenden leben finanzschwächere Menschen, die sich die dort vorhandenen Wohnungen leisten können oder deren Bekannte dort leben. In der Aussage enthalten ist ein Indiz dafür, dass die Erkenntnis auch für Plauen zutrifft, dass „durchschnittlich 60 Prozent der für den sozialen Status einer Person maßgeblichen Faktoren von einer Generation zur nächsten weitergegeben werden. Dazu könnten Lebensumstände wie das gesellschaftliche Netzwerk zählen“ (Tagesschau 2018b: o.A. → Anhang 9.9).
„Diese jungen Menschen halten sich häufig im öffentlichen Raum, aber auch in Privatwohnungen auf. Sie leben unter unterschiedlichen Wohnbedingungen
- in eigenem Wohnraum bzw. in Wohngemeinschaften
- wechselnd bei Freunden und Bekannten
- ohne festen Wohnsitz
Sehr selten sind die jungen Menschen in stationäre Formen der Unterbringung bzw. in Obdachlosenunterkünfte integrierbar.
Die Wohnsituation ist in Plauen (noch) entspannt. Wohnraum kann entsprechend der Vorgaben des JC gefunden werden, jedoch lehnen sehr viele Vermieter spezielle Interessenten ab, die z.B. keine Mietschuldenfreiheitserklärung des Vormieters vorweisen können oder negative Schufa-Einträge haben. Dementsprechend sind viele der jungen Menschen gezwungen, auf teilweise unzureichend ausgestattete Wohnungen zurückzugreifen. Hierbei haben sich in einigen Straßenzügen sog. ,Milieus' gebildet!“ (Anhang 9.13.2: zu 4).
Die jungen Menschen, auf die nach den Worten der Mobilen Jugendarbeit Plauen der § 16 h SGB II passt, sind regelmäßig mit folgendem Handeln des ,Hilfesystems' konfrontiert: „Weiterhin werden zunehmend junge Menschen vom JC [Jobcenter, der Verf.] dazu angehalten, Erwerbsunfähigkeitsrente oder Sozialhilfe zu beantragen. Dies betrifft vor allem langjährig suchtkranke, junge Menschen oder junge Menschen mit psychischen Erkrankungen, die nicht in Arbeit oder Ausbildung vermittelt werden können“ (ebenda: zu 2).44 Diese Erfahrung lässt Menschen, die emotional oder zweckrational ,genug davon' haben, und ihre Situation aus ihrer Logik heraus anders einschätzen, zu Kandidat*innen für ein Angebot nach § 16 h SGB II werden.
„Diese jungen Menschen weisen hauptsächlich folgende Merkmale auf
- traumatisierende Erlebnisse im Laufe der kindlichen Entwicklung (Gewalterfahrungen, suchtkranke Eltern, Verwahrlosung und mangelnde Förderung)
- diverse (oft als unzureichend oder als repressiv erlebte) Maßnahmen der Jugendhilfe, wie z.B. wechselnde Unterbringung bei Pflegeeltern, in Heimen oder mangelnde Wahrnehmung des Gefährdungspotentials durch Jugendämter (Gefühl des Alleingelassenwerdens)
- wechselnde Schulaufenthalte bis hin zu Schulverweigerung
- gescheiterte Bildungsverläufe und gescheiterte Übergänge von Schule in Ausbildung
- langjähriger Suchtmittelkonsum, speziell Alkohol, Crystal, Marihuana
- Straffälligkeit, diverse offene Strafverfahren, Haftaufenthalte
- gestörte, wenig tragfähige Beziehungen zur Familie und mangelnde familiäre Unterstützung und soziale Einbettung
- gefährdende Einflüsse durch Drogenszenen u.a., die oft die einzigen sozialen Beziehungen für die jungen Menschen sind
- Ausgrenzungserfahrungen im öffentlichen Raum, bei Ämtern und Behörden, in der öffentlichen Debatte rund um Alkohol und Drogen in den (Innen-)Städten
- fehlende oder mangelnde Erlebnisse der Selbstwirksamkeit, Ohnmachtsgefühle gegenüber Ämtern, Behörden, Gerichten usw. - insbesondere aber gegenüber dem Jobcenter
- dadurch bedingt erhöhte Aggressionsbereitschaft hinsichtlich (gefühlter) Ungerechtigkeit, Repression usw.“ (ebenda: zu 3).45
,Hürden' oder ,Schwellen', welche die potentiell zur Zielgruppe des § 16 h SGB II gehörenden jungen Menschen zu überwinden haben, sind somit teilweise schon in den Startbedingungen begründet, mit denen sie den Herausforderungen ihrer Lebensplanung begegnen. Die sozialstaatlich, solidarische Unterstützung, die ihnen – wie in Kapitel 2 beschrieben – das öffentliche Hilfesystem dabei geben soll, versagt.
„Das Jobcenter wird von den jungen Menschen oft wie folgt wahrgenommen:
- als repressive Institution
- allumfassend in die Lebensverhältnisse der Leistungsempfänger eingreifend und „überwachend“
- als wenig nützlich und hilfreich in Bezug auf positive Veränderungen in den Lebensverhältnissen der Adressaten
- als gefährdend in Bezug auf die Sicherheit der finanziellen Grundversorgung
- wenig durchschaubar im Hinblick auf Struktur, Zuständigkeit, gesetzliche Grundlagen, behördliche Abläufe
- nicht dem eigenen Lebensalltag entsprechend (Arbeitsvermittlung vs. anderer existenzbedrohender Sorgen der jungen Menschen).
Junge Menschen im Suchtmittelkonsum können darüber hinaus Termine im Jobcenter oft nicht einhalten. Viele junge Menschen können die vom JC eingeleiteten Maßnahmen und Behördenabläufe nicht nachvollziehen; sie verstehen Schreiben des Jobcenters nicht, fühlen sich in unpassende Maßnahmen gedrängt oder sind nicht in der Lage, zu Eingliederungsmaßnahmen regelmäßig und pünktlich zu erscheinen. Zudem erschweren ständig wechselnde Ansprechpartner im Jobcenter sowie mangelnde Zeit für Beratungsgespräche den Aufbau eines tragfähigen Vertrauensverhältnisses“ (ebenda: zu 6).
„Der im SGB II verbliebene Teil ist häufig von Sanktionen oder Mehrfachsanktionen betroffen. Der Lebensunterhalt wird dann (wenn möglich) über Lebensmittelgutscheine, durch Geldleihe von Freunden und Bekannten, aber mitunter auch durch ,illegale Geschäfte' bestritten (Diebstahl, Drogenhandel usw.)“ (ebenda: zu 5). Ebenso ergeht es denjenigen, die aufgrund solcher Erfahrungen dem Jobcenter umgangssprachlich ,den Rücken zu gekehrt' haben.
„Aufgrund des eng bemessenen Budgets leben viele in relativer Armut und können häufig ihren Lebensunterhalt nicht ausreichend sichern. Oft sichern sich die Jugendliche ihre Mahlzeiten durch Besuch in der Plauener Tafel, durch gemeinsame Mahlzeiten, die von demjenigen bezahlt werden, der/ die gerade über finanzielle Mittel verfügt. Insofern kann die Solidarität und Unterstützung innerhalb bestimmter Gruppen und Szenen nicht genug gewürdigt werden“ (ebenda).
Weil, wie in Kapitel 2 beschrieben, die Wohnungslosenhilfe nach dem achten Kapitel des SGB XII die schwierigen Lebenslagen ebenso fokussieren, wie die Jugendhilfe, sandte ich dieselben Fragen auch an eine Mitarbeiterin der Wohnungslosenhilfe (vgl. Anhang 9.14.1). Ihre Antworten geben mit anderen Worten gleiches wieder, wie die bereits von der Mobilen Jugendarbeit zitierten (vgl. Anhang 9.14.2). Allerdings enthalten sie weitere Hinweise auf den Charakter der Zielgruppe, sowie darüber, was die Zielgruppe zu einer solchen werden lässt. Die Antwort auf die Frage, was die jungen Menschen abhält zum Jobcenter zu gehen, zitiere ich an dieser Stelle ungekürzt:
„Vielschichtige persönliche Befindlichkeiten. Es wird aus Gesprächen mit der Zielgruppe deutlich, dass Enttäuschung gepaart mit Angst oder Agressivität eines der Hauptmotive ist. Enttäuscht im Sinne von bereits gesammelten schlechten Erfahrungen bei den Jobcentern oder anderen sozialen Institutionen. Diese Erfahrungen wurden entweder selbst erlebt oder durch das soziale Umfeld so internalisiert, dass sie als persönliches Erlebnis gewertet werden können. Diese Enttäuschungen resultieren beispielsweise aus fehlender oder unzureichender Beratung oder Unverständnis für persönliche Verhältnisse, bürokratischen Hürden, fehlender Informationen und Aufklärung auf verschiedenen Ebenen. Oft sind dann auch der gesundheitliche Zustand und die persönlichen sowie sozialen Verhältnisse Hemmschwellen um zum Jobcenter zu gelangen.
Meines Erachtens ist dieses Problem aber gesellschaftlich und von den sozialen Systemen selbst hervorgebracht. Denn es müsste in dem Bereich sehr viel Prävention stattfinden. In dem beispielsweise in der Schule bereits über Lebensalternativen oder Absicherungen im Notfall gesprochen werden muss und bei der Vielfalt an Perspektiven für junge Menschen muss im Bildungsbereich mehr getan werden, damit junge Menschen verstehen können. In meiner Arbeit begegnen mir häufig schwer erreichbare Menschen, die sich unverstanden und ungerecht behandelt fühlen aufgrund von fehlendem Wissen. Und viele schätzen es, als Mensch behandelt zu werden; egal in welcher Situation sie sind. Diesen Aspekt vergessen viele Sozialsysteme. Und in der praktischen Arbeit mit den jungen Menschen zeigt sich, dass sie besonders viele Barrieren überwinden müssen und die Exklusionsmechanismen besser wirken als die der Inklusion. Niemand ist zuständig. Also bleiben die, die am meisten Hilfe benötigen, sich selbst überlassen“ (Anhang 9.14.2: zu 6).
3.9 Zwischenfazit: Die Zielgruppe des § 16 h SGB II im Vogtlandkreis
Der Bedarf an einem Angebot auf Grundlage de § 16 h SGB II ist aus der Perspektive der Sozialarbeitenden in Jugend- und Wohnungslosenhilfe vorhanden. Sie weisen darauf hin, dass die jungen Menschen passende Unterstützung bekommen sollten. Im Folgenden wird das bisher Erarbeitete zusammengefasst.
In Kapitel 2 wurde der rechtliche Bedarf erörtert. Der Gesetzgeber hat einen Missstand wahrgenommen, der sozialstaatliches Handeln erfordert.46 Der Missstand resultiert aus einem ,Zuständigkeits-Pat' zwischen Jugend- und Sozialhilfe. Allerdings entschied sich der Gesetzgeber, den Jobcentern die Aufgabe zu übertragen, die Lücke zu füllen. Gesellschaftstheoretisch gründet sich die Entscheidung darauf, dass das SGB II genau diejenigen Themenfelder verantwortet, in denen die Probleme liegen, die zur Exklusion der jungen Menschen führen können. Der sozialstaatliche Bedarf bekam mit § 16 h SGB II ein rechtliches Instrument.
Ob (und wenn ,ja' in welchem Umfang) der Bedarf an einem Angebot nach § 16 h SGB II im Vogtlandkreis besteht, wurde zuerst unter Zuhilfenahme einer Ausschlussrechnung zu ermitteln versucht. Von der Gesamtzahl junger Menschen, auf die § 16 h SGB II zutreffen könnte (exakt 15.385 Menschen am 31. Dezember 2016), wurden diejenigen rechnerisch ausgenommen, die mutmaßlich nicht zu den ,schwer zu erreichenden jungen Menschen' gezählt werden sollten, weil sie in gesellschaftlichen Teilsystemen inkludiert sind (vgl. Pötter 2013: 102ff). Mit dieser Methode konnte eine Zahl von 46 jungen Menschen ausgewiesen werden, die keinem der untersuchten Statussysteme zuzuordnen sind. Allerdings ist ebenso festzustellen, dass die Rechnung enorm von Unschärfe betroffen, und damit mangelhaft in ihrer Aussagekraft ist. Die Analyse der verschiedenen Daten brachte diese Erkenntnis. So entstand die Bemerkung unter der tabellarischen Auflistung der Zahlen. Allerdings würde sich die Zahl junger Menschen, die ein Angebot nach § 16 h SGB II erreichen müsste, erhöhen, wenn die spekulativen Anteile entfallen würden. Da der Fokus der Bedarfserhebung nicht auf eine exakte Zahl gerichtet war, sondern die Frage beantworten sollte, ob der Bedarf aus den Zahlen erkennbar wird, geht die vorliegende Erarbeitung auf die Probleme von Datenerhebung und Statistik nicht ein. Die erkannten Gründe für die Unschärfe des Datenmaterials sind zu benennen:
- Erstens sind einige Zahlen nicht präzise ermittelbar gewesen, was zu Rundungen, Schätzungen und kaum verifizierbaren Annahmen geführt hat.
- Zweitens erscheinen die Zahlen, die exakt ermittelt werden konnten, kritisierbar auf den Zeitpunkt ihrer Erhebung hin:
Beispielsweise stammt die Zahl der Bundeswehrzugänge aus dem Vogtlandkreis, aus dem gesamten Kalenderjahr 2016 (vgl. Anhang 9.8.2). Die angenommene Gesamtzahl der jungen Menschen hingegen, wurde von einem Stichtag am Jahresende ermittelt. So bleibt ungeklärt, wie genau die Zahl der Bundeswehrzugänge in der Berechnung zu bewerten ist. Aufgrund der Annahme, dass kontinuierlich eine gewisse Anzahl junger Menschen aus dem Vogtlandkreis ins Statussystem Militär eintritt, lag nahe, sie abzuziehen. Am Stichtag selbst jedoch, sind die entsprechenden jungen Menschen mit sehr großer Wahrscheinlichkeit bereits von der Statistik abgezogen worden. So dürften sie nicht berücksichtigt werden. Damit bleibt eine exakte Zahl ungewiss in Bezug auf das Ziel.
- Drittens konnte unter der Gesamtheit der jungen Menschen, eine enorme Streuung von Risiken festgestellt werden, bei deren Eintritt sie zu Anspruchsberechtigten von § 16 h SGB II werden können. Wenn ungefähr 25 Prozent aller jungen Menschen 2016 von einer psychischen Erkrankung betroffen waren (vgl. Tagesschau 2018a: o.A. → Anhang 9.7), dann ist ein Anteil darunter zu vermuten, der in der Gefahr steht aus dem öffentlichen Hilfesystem zu exkludieren.
Aufgrund so großer Unschärfe kommt Kapitel 3.2 zu dem Ergebnis: Potentiell können alle Personen im relevanten Alter im Vogtlandkreis in eine Situation geraten, in der sie durch schicksalhaft Umstände zu ,Nichterreichten' des Jobcenters werden (vgl. Anhang 9.2). Wird die Zahl der 15.385 Personen der Altersgruppe zu den statistisch nicht Erfassten ins Verhältnis gesetzt, kommt ein Ergebnis bei circa einem oder zwei Prozent der potentiellen Zielgruppe heraus. Dieses Ergebnis ist so zu deuten, dass es die Zielgruppe des § 16 h SGB II im Vogtlandkreis gibt – sie ist klein, aber anwesend. Der Bedarf, den der Gesetzgeber für die Bundesrepublik Deutschland erkannt hat, ist auch im Vogtlandkreis vorhanden. Von diesem Befund ist allein schon aus der Relativbrechung, bei der Eingrenzung anhand von Systemzugehörigkeiten auszugehen.
Von welchen Problemhorizonten bei den zu erreichenden jungen Menschen im Vogtlandkreis als Zielgruppe ausgegangen werden muss, thematisierten dann die folgenden Abschnitte. Für die Arbeitsvermittlung im Jobcenter sind die betreffenden jungen Menschen ,Kunden' mit einer Reihe von Vermittlungshemmnissen. Wie diese im Einzelfall aussehen, bleibt offen, bis der jeweilige Fall eintritt. Weil der Zusammenhang zwischen Herkunftsmilieu und den aktuellen Problemen des Einzelnen aufgezeigt werden konnte, ist anzunehmen, dass die Vermittlungshemmnisse mit vorhandenen Methoden bearbeitet werden könn(t)en, sobald die betreffende Person sich auf eine aktive Zusammenarbeit mit dem Jobcenter und seinen Angeboten einließe. Das dies tatsächlich schwierig ist,47 belegt die Antwort der Mobilen Jugendarbeit Plauen auf die Frage: Was fällt Ihnen ein, wenn Sie den Titel48 lesen?
„Der § 16h SGB II ist grundsätzlich eine gesetzliche Regelung, die den Bedarfen schwer erreichbarer junger Menschen entsprechen kann. Dem steht entgegen, dass die Adressaten von den Angeboten des Jobcenters generell nur schwer erreichbar sind und das Jobcenter in erster Linie als repressive Institution wahrgenommen wird. Ein tragfähiges Vertrauensverhältnis zwischen Jobcenter und potentiellen Leistungsempfängern zur Inanspruchnahme des §16h SGB II kann insofern nicht entstehen, da die Sanktionsmöglichkeiten des Jobcenters für unter 25jährige äußerst restriktiv gestaltet sind“ (Anhang 9.13.2: zu 1).
Einem Teil der jungen Menschen mangelt es in grundlegenden Fragen an Sicherheit.49 Mit Maslows Gedanken dargestellt, geht es den jungen Menschen in ihrer Lebenswelt um die Erfüllung der elementarsten Bedürfnisse. Die Praktiker*innen im Bereich Streetwork erklären dazu:
„Das Jobcenter wird von den jungen Menschen oft [...] als gefährdend in Bezug auf die Sicherheit der finanziellen Grundversorgung [...] und nicht dem eigenen Lebensalltag entsprechend (Arbeitsvermittlung vs. anderer existenz-bedrohender Sorgen der jungen Menschen) wahrgenommen“ (Anhang 9.13.2: zu 6).
Dieser Mangel hat Folgen in ihrem Handeln. So kommt ein Teil dieser jungen Menschen nicht im Hilfesystem an, was die Existenzsicherung durch den Sozialstaat in Frage stellt. Wenn zusätzlich soziale oder familienähnliche Strukturen fehlen oder wenig tragfähig sind, kommt die Entwicklung einer passenden Lebensperspektive nicht voran. Um trotzdem ihr Leben erhalten zu können und das Gefühl zu bekommen, wirksam zu sein, üben einige der jungen Menschen kriminelle Handlungen aus.
Der Bezug zwischen einem Teil der potentiellen Zielgruppe des § 16 h SGB II und der statistisch erfassten Kriminalität konnte anhand von Indizien aus der Statistik der sächsischen Polizei für das Jahr 2016 – bezogen auf den Vogtlandkreis – hergeleitet werden. Dabei fiel auf, dass sich das Kriminalitätsproblem nicht allein auf die Städte konzentriert. Wie am Beispiel der Gemeinde Weischlitz aufgezeigt werden konnte, tritt es auch in der Fläche des Landkreises auf. Den Bezug zu kriminellen Handlungen junger Menschen, die zur Zielgruppe gehören können, bestätigten schließlich auch die Mitarbeitenden der Jugend-50 und Wohnungslosenhilfe,51 die auf meine Fragen geantwortet haben. Sowohl zur Kriminalität52 als auch zum Lebensalltag eines Teils der Zielgruppe des § 16 h SGB II gehört das Thema ,Drogen'. Dieses Thema kann kontrovers betrachtet werden. Während die Gesellschaft aufgrund der Folgeschäden Drogenkonsum als Problem wahrnimmt, nehmen Drogen bei jungen Menschen unter Umständen auch Funktionen wahr, die auf Bedürfniserfüllung in sozialen Fragen ausgerichtet sind. Die Intention von § 16 h SGB II zu dieser Frage ist eindeutig: „Die Förderung umfasst zusätzliche Betreuungs- und Unterstützungsleistungen mit dem Ziel, dass [...] erforderliche therapeutische Behandlungen eingeleitet werden“ (§ 16 h Absatz 1 SGB II).
[...]
1 „Durch das Gender-Sternchen (*) wird betont, dass alle Geschlechter gemeint sind, aber auch, dass geschlechtliche Identität über das biologische Geschlecht hinausgeht und biologisches Geschlecht und geschlechtliche Identität nicht immer übereinstimmen“ (Focks 2016: 14).
2 Beide Sprachvariationen werden im vorliegenden Text verwendet (und auch die Synonyme ,einfach' und ,leicht').
3 Die Arbeit selbst ist nicht niedrigschwellig. Es handelt sich um einen wissenschaftlichen Text, entstanden als ,Masterthesis', mit dem ich, Christoph Geuder, den akademischen Grad ,Master of Arts' (M.A.) zu erlangen versuch(t)e. In einem solchen Text sind immer wieder Quellenangaben zu lesen. Wer diese verfolgt, kann Gedankenanstöße nachvollziehen und im eigenen Denken ein Gespräch mit sich, den Quellautor*innen und mir führen. Gern bin ich bereit, dieses Gespräch auch persönlich zu vertiefen und lade Sie, werte*r Leser*in dazu ein, meine studentische E-Mail-Adresse anzuschreiben: christoph.b.geuder@stud.khsb-berlin.de (Stand Juni 2018). Wenn diese Adresse einige Zeit nach meiner Exmatrikulation deaktiviert wird, fragen Sie bitte an der Katholischen Hochschule für Sozialwesen Berlin (KHSB) nach, die ich hiermit zum Zweck eines Gesprächs – zum Inhalt dieser Erarbeitung – bitte, den Kontakt herzustellen.
4 Die Darstellung der BA, wie sich Arbeitslosenzahlen entwickeln, wird hier nicht thematisiert. Das viel ,Gestaltungsspielraum' besteht, sei in dieser Fußnote erwähnt. Eine Linken-Politikerin macht den ,Spielraum' im Internet mit Zahlen deutlich; sie schreibt: „Monat für Monat spielt die […] Arbeitsagentur Zahlenkarussell. […] Im Sinne der reinen Arbeitslosenzahlen ist die Arbeitslosigkeit tatsächlich […] gesunken. Nun ist allgemein bekannt, dass diese Zahlen TeilnehmerInnen an Bildungs- oder Trainingsmaßnahmen ausklammern. Ebenso wegradiert werden Menschen, die arbeitsunfähig sind, Angehörige pflegen, Ein-Euro-Jobs absolvieren oder älter als 58 Jahre jung sind […]. Die tatsächlichen Zahlen, und damit auch die Anzahl der Arbeitsuchenden, zeigen jedoch ein anderes Bild. So stiegen diese zum Vormonat“ (Hannemann 2016: o.A.).
5 Siehe dazu Kapitel 5.2 ,Lebenswelt- und Sozialraumorientierung'.
6 Hier kann es vorkommen, dass die jungen Menschen diese Probleme selbst nicht erkennen!
7 Eine solche Zusammenarbeit ergibt sich, bei Einhaltung der Verordnung zur Durchführung der Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten, von selbst (vgl. Anhang 9.1.3).
8 Geregelt in § 3 Absatz 2 SGB VIII (vgl. Gesetze für die Soziale Arbeit 2018: 1882).
9 Die Partizipationspyramide greift beide Seiten von Beteiligung auf (vgl. Straßburger/ Rieger 2014: o.A.). Siehe dazu Kapitel 5.4 ,Partizipation in der Unterstützung'.
10 (Voll-)Zitat der Regelung „ § 2 SGB XII Nachrang der Sozialhilfe
(1) Sozialhilfe erhält nicht, wer sich vor allem durch Einsatz seiner Arbeitskraft, seines Einkommens und seines Vermögens selbst helfen kann oder wer die erforderlichen Leistungen von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält.
(2) 1Verpflichtungen anderer, insbesondere Unterhaltspflichtiger oder der Träger anderer Sozialleistungen, bleiben unberührt. 2Auf Rechtsvorschriften beruhende Leistungen anderer dürfen nicht deshalb versagt werden, weil nach dem Recht der Sozialhilfe entsprechende Leistungen vorgesehen sind“ (Gesetze für die Soziale Arbeit 2018: 2190f).
11 Um zu erfahren, was in der Verordnung steht, siehe Anhang 9.1.3 – in diesem ist sie in voller Länge abgedruckt.
12 Sie begegnen Dienstlagen: „Als soziale Dienstlagen werden jene Dienstleistungen bezeichnet, die der Lösung sozialer Probleme und der Hilfe in sozialen Bedarfs- und Notlagen von Einzelnen, Gruppen und Gemeinwesen dienen oder diese durch Prävention zu verhindern suchen.“ (vgl. Cremer/ Goldschmidt/ Höfer 2013: 12).
13 Zur vertiefenden Lektüre empfehle ich das Buch von Arno Waschkuhn (1995): Was ist Subsidarität? Ein Sozialphilosophisches Ordnungsprinzip: von Thomas von Aquin bis zu „Civil Society“.
14 „,Erziehungsmacht' beinhaltet Verfügungsmacht (materielle Leistungen und Versorgung, Verwehren und Entziehen von Ressourcen), Zuwendung/Zuwendungsentzug (emotionale Abhängigkeiten), Sinnkonstruktion/Sinnentzug (Erklären, Definieren, Etikettieren), Informationsmacht (Offenbarung/Zurückhaltung), körperliche Überlegenheit, Animiermacht (andere anleiten, motivieren, interessieren)“ (Grummt/ Schruth/ Simon 2010: 135 – Fußnote 50).
15 „Was wir über das vielfältige Wohnen der Menschen wissen können und was das Wissen über das Wohlergehen der Menschen und die Theorie menschlicher Bedürfnisse nahelegen, zeigt eine hohe Übereinstimmung mit den Aussagen in den Menschenrechtsdokumenten“ (Martin 2018: 156).
16 Muss aber auch nicht! Die Schwierigkeiten, ein Angebot nach § 16 h SGB II in die Tat umzusetzen, werden weiter unten skizziert, wenn die potentiellen Netzwerkpartner*innen beschrieben werden. (vgl. Kapitel 4.2 ,Bestehende Angebote im öffentlichen Hilfesystem – das potentielle Netzwerk').
17 Siehe Kapitel 4.2.4 ,Netzwerkpotential der Bildungsträger'.
18 … teilweise ihrem Selbstverständnis entgegen stehende … (dazu mehr im weiteren Text).
19 Einwohnerzahl vom 31.12.2016; Gebietsstand vom 1. Januar 2017 (vgl. Statistisches Landesamt des Freistaates Sachsen 2017 & Statistisches Landesamt des Freistaates Sachsen 2018).
20 Es gab die Idee über die Krankenkassen an geeignetes Datenmaterial zu kommen. Dieser Idee bin ich nicht gefolgt obwohl sie erfolgversprechend erschien. Sehr viele Menschen in Deutschland sind bei den Krankenkassen statistisch erfasst. Die vielen Krankenkassen anzuschreiben erschien jedoch, im Verhältnis zum erwarteten Erkenntnisgewinn, zu aufwändig für die vorliegende Erarbeitung.
21 Sie sind, solange sie in einem Studiengang, der dem Grunde durch das Berufsausbildungsförderungsgesetz gefördert wird, immatrikuliert bleiben, gemäß § 7 Absatz 5 SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen (vgl. Gesetze für die Soziale Arbeit 2018: 1382).
22 … und auch nicht alle Auszubildenden (und anderen) …
23 … oder Ausbildungsabbruch …
24 Studierendenberatung oder Hochschulseesorge sind hier unter Umständen intensiver als bisher gefordert.
25 Gängige Praxis des Jobcenters ist, junge Menschen aufzufordern Rente oder Sozialhilfe zu beantragen. Dies zeigt die Erfahrung der Mobilen Jugendarbeit Plauen (vgl. Anhang 9.13.2: zu 2). Die offene Frage, die hier nicht erörtert wird, lautet: Wie verhalten sich Jobcenter und andere Behörden (beispielsweise das Jugendamt) bei Antrags-stellungen in Bezug auf die Umsetzung von § 16 SGB I? Darin regelt Absatz 2, dass ein Antrag auf direktem Weg an den zuständigen Leistungsträger weiterzuleiten ist (vgl. Gesetze für die Soziale Arbeit 2018: 1358).
26 Angelehnt an den Titel des § 16 h SGB II.
27 Typische Faktoren für junge Menschen in Großstädten beispielsweise werden vernachlässigt, weil der Vogtlandkreis keine Großstadt einschließt.
28 Beispielsweise Entlassung aus einer Justizvollzugsanstalt oder Eintreten von Schicksalsschlägen (wie im Beispiel in Anhang 9.2).
29 Gemäß § 16 SGB III gilt: „Arbeitslose sind Personen, die […] 1. vorübergehend nicht in einem Beschäftigungsverhältnis stehen, 2. eine versicherungspflichtige Beschäftigung suchen und dabei den Vermittllungsbemühungen der Agentur für Arbeit zur Verfügung stehen und 3. sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet haben“ (Gesetze für die Soziale Arbeit 2018: 1439).
30 Die beschreibende Bezeichnung kann auf Zielpersonen von § 16 h SGB II nicht angewendet werden, denn sie sind zwar „vorübergehend nicht in einem Beschäftigungsverhältnis“ (vgl. Gesetze für die Soziale Arbeit 2018: 1439), wie § 16 SBG III beschreibt, ob sie aber „eine versicherungspflichtige Beschäftigung suchen und dabei den Vermittllungsbemühungen der Agentur für Arbeit zur Verfügung stehen“ (ebenda), ist noch nicht geklärt und, dass sie „sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet haben“ (ebenda), ist noch nicht gegeben.
31 Im Sinne von verschoben Verhältnissen.
32 Problem des Fachkräftemangels als Problem der deutschen Wirtschaft insgesamt.
33 Problem des Fachkräftemangels im Vogtlandkreis sowie die Bemühungen des Landkreises gegenzusteuern.
34 Beispiele: (1) Alltag räumlich weit weg vom Studienort, (2) Zerwürfnisse wegen Entscheidungen, die anders ausgefallen sind, als die anderen dies wünschen, (3) Scham über eine Miesere zu sprechen, … .
35 Dies betrifft auch das zu entwickelnde Angebot auf Grundlage des § 16 h SGB II. Dieses hat jedoch das Potential so viele Folgekosten zu minimieren, dass es die volkswirtschaftlich preisgünstigere Variante darstellt.
36 In der Natur der Sache liegt es, dass dazu keine Fallzahlen mit Quellen wiedergeben werden können. Allerdings wird solches Handeln regelmäßig von Klient*innen der Wohnungslosenhilfe bis zum Beginn eines Unterstützungsprozesses praktiziert.
37 Unter Jugendlichen versteht die Kriminalitätsstatistik Personen im Alter von 14 bis 18 Jahren.
38 Mit Heranwachsenden meint die Kriminalitätsstatistik Personen im Alter von 18 bis 21 Jahren.
39 Bei weiblichen Personen von 18 bis unter 21 Jahren wurden 11 Fälle gezählt (LKA 2017b: 190).
40 Bei weiblichen Personen von 21 bis unter 25 Jahren wurden 10 Fälle gezählt (LKA 2017b: 190).
41 Vollständig ausgeschrieben: Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge e.V..
42 Siehe Kapitel 3.8 ,Die Situation aus der Perspektive von Expert*innen'.
43 Dies wirft grundsätzliche Fragen an die Erreichbarkeit! Die ,Zugangsschwelle' zum Jugendamt im Vogtlandkreis für junge Menschen mit besonderen sozialen Schwierigkeiten scheint eher hoch zu sein. Dieser Frage nachzugehen entspricht nicht der Intention der vorliegenden Erarbeitung. Sie wird hier lediglich erwähnt, denn die Frage nach der ,Zugangsschwelle' selbst thematisiert eine Arbeit, die sich mit ,Niedrigschwelligkeit' befasst.
44 Diese Erarbeitung hat nicht das Ziel, die bestehenden – und redlich angewendet gut begründeten – gesetzlichen Regelungen anzuzweifeln, die hinter den genannten Erfahrungen der jungen Menschen stehen. Die Erfahrungen können jedoch ein Indiz dafür sein, dass durch das Jobcenter zu wenig um Verständnis für die gesetzlichen Regelungen und ihre Umsetzung geworben wird. Ob diese These stimmt, oder nur einer vorurteilsartigen Alltagstheorie entspricht, sehe ich als geeignetes Thema für eine eigenständige Forschungsarbeit.
45 Was die Expertin*en in komprimierter Form wiedergeben, ist teilweise in den Vorkapiteln bereits genannt worden. Das Zitat an dieser Stelle bestätigt zum einen die gewonnenen Erkenntnisse und gibt zum anderen die wesentlichen Aspekte sprachlich komprimiert wieder.
46 Mit dieser Begründung wird auch durch das Jobcenter Dresden im Projektaufruf Anfang des Jahres 2017 die Ausgangssituation beschrieben (vgl. Anhang 9.18 ,Beispiel eines öffentlichen Projektaufrufs').
47 Die Zielgruppe wird wortgetreu dem Titel des Paragraphen – schwer zu erreichende junge Menschen – zuordnet.
48,Bedarfserhebung sowie Anregungen zur Ausgestaltung zu § 16 h SGB II im Vogtlandkreis'.
49 Zum Verständnis der strukturellen Ursachen prekärer Lebensumstände nochmals der Hinweis auf das Buch
„Die Krise der Arbeit. Neue Unsicherheiten und die Zukunft des Individuums“ (Castel 2011).
50 Siehe: Kapitel 3.8 ,Expert*innen befragt – Perspektive des Hilfesystems' in Verbindung mit Anhang 9.13.
51 Siehe: Kapitel 3.8 ,Expert*innen befragt – Perspektive des Hilfesystems' in Verbindung mit Anhang 9.14.
52 Insbesondere gemäß BtMG.
- Quote paper
- H. Christoph Geuder (Author), 2018, Soziale Projekte für schwer erreichbare Jugendliche. Bedarfserhebung und praktische Anregungen zu § 16 h SGB II im Vogtlandkreis, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/448726
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