Das Recht als System kollektiv bindender, Handlungserwartungen stabilisierender Regeln bedarf, um überhaupt bestehen zu können, einer staatlich organisierten Macht. Deren Aufgabe ist es, seine Einhaltung durchzusetzen und Verstöße zu sanktionieren, die Rechtsprechung auf ein solides organisatorisches Fundament zu stellen und von Legislative oder Exekutive getroffene Entscheidungen umzusetzen. Dies gilt für jede Form gesetzten Rechts, für subjektive, individuelle Handlungsfreiheiten sichernde Rechte ebenso wie für Teilnahmerechte, die die gleichberechtigte Partizipation aller Rechtsgenossen am Prozess der Gesetzgebung garantieren, kurz: für private und öffentliche Autonomie.
Doch wann können solche für die Mitglieder der Rechtsgemeinschaft bindenden, vom Staat durchgesetzten und sanktionierten Regeln Geltung beanspruchen? Der Verweis auf eine etwaige Existenzbegründung des Rechtsystems insgesamt als erwartungsstabilisierendes, das menschliche Zusammenleben erleichterndes Regelwerk kann zwar die Frage nach dem Sinn des Staates als solchem beantworten, nicht aber die nach der Legitimität kollektiv bindender Entscheidungen: Die Vorstellung, Gesetze könnten Legitimität durch ihre Form,also durch ihre bloße Eigenschaft als gesetztes Recht erhalten, ist mit einem modernen Verständnis von Demokratie und Rechtsstaat nicht vereinbar. In einer säkularen, pluralistischen, im Popperschen Sinne offenen Gesellschaft kann auch die inhaltliche Qualität bindender Regeln, etwa deren moralischer Gehalt oder die angebliche Übereinstimmung mit dem Willen der Bevölkerung, nicht legitimitätssteigernd wirken.
Ihre volle Legitimität erhalten kollektiv bindende Entscheidungen vielmehr erst durch den Prozess der Rechtsetzung, der seine legitimitätserzeugende Kraft aus dem demokratischen Verfahren bezieht. Dieses besteht einerseits aus der Rechtsetzungskompetenz der Mitglieder einer Rechtsgemeinschaft selber, die in der Legislative ihre institutionelle Entsprechung findet und sich als öffentlicher, von Debatten und Diskussionen geprägter Prozess der Gesetzgebung manifestiert, andererseits aus der öffentlichen Kommunikation über politische Fragen in Parteien und Verbänden, in Gremien und in der Medienöffentlichkeit. Aufgabe dieser diskursiven Verständigung ist es, die Entscheidungen von Exekutive und Legislative zu beeinflussen und so eine Übereinstimmung zwischen den Argumenten der Bürger und dem Handeln der Volksvertreter herzustellen.
Inhalt
1. Einleitung
2. Diskursprinzip und deliberativer Prozess
3. Diskussion: Bedingungen rationaler Diskurse
4. Literaturangaben
I. Einleitung
Das Recht als System kollektiv bindender, Handlungserwartungen stabilisierender Regeln bedarf, um überhaupt bestehen zu können, einer staatlich organisierten Macht. Deren Aufgabe ist es, seine Einhaltung durchzusetzen und Verstöße zu sanktionieren, die Rechtsprechung auf ein solides organisatorisches Fundament zu stellen und von Legislative oder Exekutive getroffene Entscheidungen umzusetzen. Dies gilt für jede Form gesetzten Rechts, für subjektive, individuelle Handlungsfreiheiten sichernde Rechte ebenso wie für Teilnahmerechte, die die gleichberechtigte Partizipation aller Rechtsgenossen am Prozess der Gesetzgebung garantieren, kurz: für private und öffentliche Autonomie.
Doch wann können solche für die Mitglieder der Rechtsgemeinschaft bindenden, vom Staat durchgesetzten und sanktionierten Regeln Geltung beanspruchen? Der Verweis auf eine etwaige Existenzbegründung des Rechtsystems insgesamt als erwartungsstabilisierendes, das menschliche Zusammenleben erleichterndes Regelwerk kann zwar die Frage nach dem Sinn des Staates als solchem beantworten, nicht aber die nach der Legitimität kollektiv bindender Entscheidungen: Die Vorstellung, Gesetze könnten Legitimität durch ihre Form, also durch ihre bloße Eigenschaft als gesetztes Recht erhalten, ist mit einem modernen Verständnis von Demokratie und Rechtsstaat nicht vereinbar. In einer säkularen, pluralistischen, im Popperschen Sinne offenen Gesellschaft kann auch die inhaltliche Qualität bindender Regeln, etwa deren moralischer Gehalt oder die angebliche Übereinstimmung mit dem Willen der Bevölkerung, nicht legitimitätssteigernd wirken.
Ihre volle Legitimität erhalten kollektiv bindende Entscheidungen vielmehr erst durch den Prozess der Rechtsetzung, der seine legitimitätserzeugende Kraft aus dem demokratischen Verfahren bezieht. Dieses besteht einerseits aus der Rechtsetzungskompetenz der Mitglieder einer Rechtsgemeinschaft selber, die in der Legislative ihre institutionelle Entsprechung findet und sich als öffentlicher, von Debatten und Diskussionen geprägter Prozess der Gesetzgebung manifestiert, andererseits aus der öffentlichen Kommunikation über politische Fragen in Parteien und Verbänden, in Gremien und in der Medienöffentlichkeit. Aufgabe dieser diskursiven Verständigung ist es, die Entscheidungen von Exekutive und Legislative zu beeinflussen und so eine Übereinstimmung zwischen den Argumenten der Bürger und dem Handeln der Volksvertreter herzustellen. Das Prinzip der Volkssouveränität kommt dann nicht nur durch das formale Verfahren von Wahlen und Gesetzgebung zum Ausdruck, sondern auch durch den öffentlichen Austausch von Argumenten und die anschließende Konsens- oder Kompromissbildung. „[...] auf dem posttraditionalen Rechtfertigungsniveau gilt nur das Recht als legitim, das in einer diskursiven Meinungs- und Willensbildung von allen Rechtsgenossen akzeptiert werden könnte“, erklärt Habermas.[1]
Angesichts dieser Bedeutung öffentlicher Kommunikation als Bindeglied zwischen administrativer Macht und Gesellschaft liegt die Frage auf der Hand, wie entsprechende Diskurse beschaffen sein müssen, um ihre legitimitätserzeugende Wirkung entfalten zu können, und unter welchen politischen, institutionellen und gesellschaftlichen Voraussetzungen dies möglich ist. In seinem Buch „Faktizität und Geltung“ hat sich Jürgen Habermas mit eben dieser Fragestellung befasst und eine umfassende deliberative Demokratietheorie entwickelt , die den gesamten politischen Prozess unter diskurstheoretischen Gesichtspunkten betrachtet und den demokratischen Gehalt allgemein verbindlicher Regeln an der Qualität öffentlicher Diskurse bemisst.
Die Anforderungen, die Habermas in diesem Zusammenhang an öffentliche Kommunikation stellt, und die daraus entstehende legitimitätserzeugende Funktion werden im Folgenden skizziert. Im Anschluss werden die Konsequenzen dieser Annahmen dargelegt, Probleme aufgezeigt und mögliche Lösungsansätze diskutiert.
II. Diskursprinzip und deliberativer Prozess
Habermas spezifiziert die oben erläuterte Funktion öffentlicher Kommunikation dahingehend, dass allgemein verbindliche Regeln genau dann Legitimität beanspruchen können, wenn ihnen alle möglicherweise Betroffenen als Teilnehmer an rationalen Diskursen zustimmen könnten. Diese Diskurse bilden den legitimitätserzeugenden Kern eines deliberativen Prozesses, der aus dem Austausch von Argumenten und der anschließenden Kompromiss- oder Konsensbildung besteht, die das politische Geschehen prägen und nach bestimmten, rationalen Mustern ablaufen.
Grundlage dieser Überlegungen ist eine Diskursethik, die zunächst auf unterster Ebene ansetzt und grundsätzliche Offenheit fordert: Offenheit der Teilnahme am Diskurs für alle möglicherweise Betroffenen, Offenheit gegenüber allen denkbaren Argumenten, eine freie Öffentlichkeit im weitesten Sinne. Die Diskursteilnahme, die aus dem Einbringen von Argumenten, aus dem Bewerten anderer Argumente sowie aus der Beteiligung an der anschließenden Beschlussfindung besteht, darf ihrem Verlauf weder durch soziale, staatliche oder sonstige Gründe behindert werden, wie auch die grundsätzlichen Chancen zur Beteiligung möglichst gerecht verteilt sein und nicht von Faktoren wie sozialer Macht abhängen soll. Auf diese Weise werden Fragen zur Verhandlung gestellt, die die politische Ausgestaltung allgemein verbindlicher Regeln betreffen und eine soziale Perspektive erfordern. Zugelassen sind also Bereiche, die als „öffentlich“ anerkannt und einer staatlichen Steuerung anheim gestellt werden; nicht diskursiv verhandelbar sind dagegen Fragen des individuellen, persönlichen Lebens, denen von der Gesellschaft selbst keine gesamtgesellschaftliche Relevanz zuerkannt wird.
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[1] Jürgen Habermas: Faktizität und Geltung. Beiträge zur Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtstaats. Frankfurt a. M. 1992. S. 169.
- Arbeit zitieren
- Johannes Hünig (Autor:in), 2004, Legitimität und rationale Diskurse - Öffentliche Kommunikation in der deliberativen Demokratietheorie nach Jürgen Habermas, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/44869
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