Dass Politiker in Deutschland keinen besonders guten Ruf genießen, ist nicht neu. Weit verbreiteter als die Politikverdrossenheit, heißt es, sei nur die Politikerverdrossenheit. Vermehrt ist nun auch von einer Ohnmacht der Abgeordneten in deutschen Parlamenten die Rede. Peter Altmaier, Justiziar der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, bemerkte in Bezug auf die wachsende Wirkungslosigkeit seiner Tätigkeit: „Wir befassen uns immer mehr mit Vorlagen und Entschließungen, die überhaupt keine praktischen Auswirkungen auf irgendetwas haben können“. Zum Arbeitsstil und der Denkweise im Parlament äußerte sich in einer früheren Befragung ein CDU-Abgeordneter wie folgt: „Ich bin hier mit einem Denkschema konfrontiert worden, das mir erhebliche Mühe bereitet […]. Hier muß ich über vieles wenig wissen oder kann nur über vieles wenig wissen. Das heißt, hier weiß ich von allem nichts." Der Parlamentarier Werner Bramke, der von 1994 bis 2003 als parteiloser Abgeordneter für die PDS im sächsischen Landtag saß, begründete die Niederlegung seines Mandats im Januar 2003 mit den „gravierenden und grundlegenden Mängeln“ des politischen Betriebs und mit der „Entpolitisierung der Parlamente“. Er fügte hinzu: „Um wieder stärker politisch wirken zu können, ist es für mich notwendig, die Profession des Politikers aufzugeben“. Bramkes Aussagen führen hin zum Thema dieser Arbeit. Denn auch wenn dies die Aussagen Einzelner sind, so scheint ihr Inhalt doch alarmierend. Ein von Misstrauen geprägtes Verhältnis einer Gesellschaft zu ihren politischen Vertretern und deren Ohnmacht trifft eine Gesellschaft mit demokratischer Verfassungsordnung besonders. Der Begriff der Ohnmacht ist daher bewusst als titelgebendes Fragment gewählt worden; er soll leitenden Charakter haben für die Auseinandersetzung mit dem Thema dieser Arbeit.
Gliederung
A Einführung
1. Von der Ohnmacht des Parlamentariers
2. Forschungsfrage
2.1. Erkenntnisinteresse und Forschungsziel
2.2. Aufbau und Methodik
3. Die Parlamentarismusforschung in der Politikwissenschaft.
3.1. Forschungsstand
3.2. Studien zum Selbstverständnis von Parlamentariern
3.2.1. 1990 – Abgeordnete und Bürger
3.2.2. 1995 – Potsdamer Elitestudie
3.2.3. 2004 – Heidelberger Elitestudie
3.2.4. 2004 – Jenaer Abgeordnetenbefragung
B Theoretische Überlegungen unter Berücksichtigung aktueller Entwicklungen
1. Begriffe
1.1. Demokratie als elementares Funktionsprinzip in der Bundesrepublik
1.2. Repräsentation und Repräsentationsdefizit
1.3. Die Parteien im parlamentarischen Regierungssystem
1.4. Das Parlament als Repräsentationskörperschaft
1.4.1. Bundestag im Wandel
1.4.2. Zum Bedeutungsverlust des Parlaments
1.5. Der Abgeordnete im Parlament
1.5.1. Macht und Ohnmacht – Gestaltungsmöglichkeiten
1.5.2. Das Bild des Abgeordneten in der Öffentlichkeit
1.5.3. Zur Sachverstandsdiskussion
2. Gesellschaft im Wandel
2.1. Ökonomische Globalisierung
2.2. Politik in der „Mediengesellschaft“
2.3. Folgeprobleme der deutschen Einheit
3. Demokratie in der Krise – Wie stabil ist unser Regierungssystem?
3.1. Politiksteuerung unter schwierigen Rahmenbedingungen
3.2. Zum Phänomen der Politikverdrossenheit
3.3. Regierungssystem in Schwierigkeiten?
3.4. Rezepte für mehr politische Handlungsfähigkeit
Resümee
C Die Befragung von deutschen Bundestagsabgeordneten
1. Die Leitfadeninterviews
1.1. Zur Methode.
1.2. Fragensammlung für die Leitfadeninterviews
1.3. Der Leitfaden..
1.4. Ablauf und Dokumentation der Interviews
2. Die Befragungspersonen
3. Bestimmung der Stichprobe
3.1. Parteizugehörigkeit
3.2. Anzahl der Wahlperioden
3.3. Stichprobe nach Rücklauf
4. Ergebnisse der qualitativen Befragung
4.1. Politik in der parlamentarischen Demokratie
4.1.1. Politikbegriff
4.1.2. Aufgaben von Politik
4.2. Der Abgeordnete
4.2.1. Rolle und Verständnis
4.2.2. Kompetenzen
4.2.3. Politiker und Politik in der öffentlichen Wahrnehmung.
4.3. Die Arbeit im Parlament
4.3.1. Erwartungen der Abgeordneten
4.3.2. Gestaltungsmöglichkeiten
4.3.3. Rahmenbedingungen und Zwänge
4.4. Wandel parlamentarischer Arbeit
4.4.1. Erschwertes Regieren
4.4.2. Komplexität von Themen
4.4.3. Medien und Mediengesellschaft
4.4.4. Globalisierung..
4.5. Macht- und Bedeutungsverlust des Parlaments
Zusammenfassung der Befragungsergebnisse
D Schlussbemerkungen
1. Fazit
2. Plädoyer
Literatur und Quellen
Selbstständigkeitserklärung
Anhang
Anlage 1 – Leitfadeninterviews
Anlage 2 – Expertengespräch Werner Bramke
A Einführung
1. Zur These von der Ohnmacht des Parlamentariers
Dass Politiker in Deutschland keinen besonders guten Ruf genießen, ist nicht neu. Weit verbreiteter als die Politikverdrossenheit, heißt es, sei nur die Politikerverdrossenheit.[1] Vermehrt ist nun auch von einer Ohnmacht der Abgeordneten in deutschen Parlamenten die Rede. Peter Altmaier, Justiziar der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, bemerkte in Bezug auf die wachsende Wirkungslosigkeit seiner Tätigkeit: „Wir befassen uns immer mehr mit Vorlagen und Entschließungen, die überhaupt keine praktischen Auswirkungen auf irgendetwas haben können“.[2] Zum Arbeitsstil und der Denkweise im Parlament äußerte sich in einer früheren Befragung ein CDU-Abgeordneter wie folgt: „Ich bin hier mit einem Denkschema konfrontiert worden, das mir erhebliche Mühe bereitet […]. Hier muß ich über vieles wenig wissen oder kann nur über vieles wenig wissen. Das heißt, hier weiß ich von allem nichts."[3] Der Parlamentarier Werner Bramke, der von 1994 bis 2003 als parteiloser Abgeordneter für die PDS im sächsischen Landtag saß, begründete die Niederlegung seines Mandats im Januar 2003 mit den „gravierenden und grundlegenden Mängeln“ des politischen Betriebs und mit der „Entpolitisierung der Parlamente“. Er fügte hinzu: „Um wieder stärker politisch wirken zu können, ist es für mich notwendig, die Profession des Politikers aufzugeben“.[4] Bramkes Aussagen führen hin zum Thema dieser Arbeit. Denn auch wenn dies die Aussagen Einzelner sind, so scheint ihr Inhalt doch alarmierend. Ein von Misstrauen geprägtes Verhältnis einer Gesellschaft zu ihren politischen Vertretern und deren Ohnmacht trifft eine Gesellschaft mit demokratischer Verfassungsordnung besonders.[5] Der Begriff der Ohnmacht ist daher bewusst als titelgebendes Fragment gewählt worden; er soll leitenden Charakter haben für die Auseinandersetzung mit dem Thema dieser Arbeit.
Gerade weil die Ohnmacht von wichtigen Akteuren im politischen Betrieb bisher nur vereinzelt zur Sprache gekommen ist, können über mögliche Ursachen zunächst nur Vermutungen angestellt werden. Eine Betrachtung der erkenntnisleitenden Fragen dieser Arbeit und der Versuch ihrer Beantwortung ist jedoch ohne das Einbeziehen des gesellschaftlichen und globalen Kontextes nicht möglich, weil auch hier Ursachen vermutet können, die die politische Arbeit erschweren. Vor dem Hintergrund eines stetig größer werdenden Informationsflusses, der zunehmenden Komplexität politischer Probleme, beispielsweise im Hinblick auf die Erweiterung der Europäischen Union und ihren Einfluss auf die Gesetzgebung ihrer Mitgliedsländer, einer andauernden und sich offenbar verfestigenden Politikverdrossenheit und den damit verbundenen Vermittlungsproblemen zwischen Politik und Bürgern sowie des wachsenden medialen Einflusses und der Abhängigkeit politischer Entscheidungen von parteipolitischen und ökonomischen Faktoren sind Abgeordnete in deutschen Parlamenten Zwängen und Beschränkungen unterworfen, die sie schon lange nicht mehr steuern können. Hinzu kommt ein „lawinenartiger Anstieg der Arbeitsbelastung“[6]. Den wachsenden Ansprüchen der Bevölkerung – so die Ausgangsthese – kann die Mehrheit der Abgeordneten in den Parlamenten unter den vorherrschenden Bedingungen schlicht nicht gerecht werden, weil Bedingungen und Strukturen es nicht zulassen.
Es gibt andererseits kaum eine Berufsgruppe, deren Wirken und Karrieren so sehr vom öffentlichen Tun und der öffentlichen Wahrnehmung abhängig sind wie die der Politiker. Gerade weil die Erwartungen an politische Entscheidungsträger so groß sind, ist auch die Bereitschaft zur Skandalisierung von Politik ganz allgemein stark gewachsen – in der medialen Darstellung, aber auch innerhalb Bevölkerung, was zum schwindenden Vertrauen in die Politik beiträgt.[7]
Welche Rückwirkung dieses schwindende Vertrauen auf die Motivation von Politikern hat, kann ebenfalls nur vermutet werden. In Bezug auf die Erwartungen jedoch, die Kandidaten beispielsweise für das Bundestagsmandat mit in den Wahlkampf und später mit in ihr Amt nehmen, kann aufgrund der zunächst grob geschilderten Einflüsse für die Mehrheit der Abgeordneten von einer Kluft zwischen den angenommenen Gestaltungsoptionen und dem tatsächlichen Einfluss während der Amtszeit ausgegangen werden. Die Folge der Realisierung dieses Widerspruchs wäre ein von der medialen Öffentlichkeit und seinen Wählern abhängiger Abgeordneter, der kaum mehr selbstbestimmt handelt und zugunsten höherer Wiederwahlchancen eher auf die mediale Wirksamkeit oder auf politische Phrasen zurückgreift als auf Fachwissen und Argumente.
Hinzu kommt der Widerspruch zwischen den tendenziell steigenden Anforderungen an die politische Elite im Hinblick auf Fachkompetenz und Sachkenntnis und der tatsächlichen Relevanz des Sachverstands für die Wahl in ein Abgeordnetenamt, tatsächlich auch in der Bewertung durch die Abgeordneten selbst.[8] Die persönlichen Voraussetzungen, die Eignung von Bewerbern für ein politisches Amt, scheinen eine zunehmend verschwindende Rolle zu spielen.[9]
Die Diskrepanz zwischen den Erwartungen und den Hoffnungen in die Politik und den tatsächlichen Entwicklungen und Möglichkeiten wächst. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang der vermutete Stellenwert von Demokratie als global anerkanntem Ordnungsprinzip, der ganz im Widerspruch zu stehen scheint zur wachsenden Entdemokratisierung in den Stammländern der Demokratie. Hermann Scheer befürchtet gar einen Zerfall der demokratischen Ordnungen.[10]
Was passiert, wenn diese Vermutungen stimmen? Schon jetzt haben die Volksparteien mit massenhaften Austritten zu kämpfen, politischer Nachwuchs lässt sich unter solchen Vorbedingungen ungleich schwerer rekrutieren. Langfristig ist durchaus mit einer Gefährdung der Legitimation der politischen Parteien aufgrund eines wachsenden Repräsentationsdefizits zu rechnen, insbesondere eben durch Diskrepanz zwischen den Erwartungen und den reellen Möglichkeiten der Politik. Es stellt sich daher auch die Frage, ob Deutschland unter diesen Vorzeichen weiterhin als gefestigte Demokratie gelten kann.
2. Forschungsfrage
Auch wenn die Abgeordnetenforschung als Teil der Parlamentarismusforschung im Verlauf der vergangenen Jahre in der Politikwissenschaft einen hohen Stellenwert erreicht hat, so ist sie doch ein vergleichsweise noch junges Forschungsfeld, gerade auch vor dem Hintergrund globalen Wandels. Gerade in Bezug auf externe Faktoren herrscht nach wie vor ein Mangel an Arbeiten, insbesondere auch unter dem Aspekt der schwindenden Gestaltungsspielräume und sich reduzierender Einflussmöglichkeiten der politischen Elite auf gesellschaftliche Entwicklungen.
In der Abgeordnetenforschung gibt es den Repräsentationsaspekt betreffend Aussagen darüber, mit welchem Selbstverständnis Abgeordnete in deutschen Parlamenten arbeiten, jedoch wird dabei tatsächlich kaum nach dem Stellenwert der aktuellen Entwicklungen gefragt, inwieweit sich Abgeordnete mit den wachsenden Zwängen der Abgeordnetentätigkeit konfrontiert sehen, wie sie mit ihnen umgehen und mit welcher Motivation sie sich – auch nach mehreren Jahren der Mandatstätigkeit – ihrem immer anspruchsvoller werdenden Arbeitsalltag stellen. Die bisher vorliegenden Studien untersuchen zwar das Selbstverständnis der Parlamentarier und analysieren ihren Arbeitsalltag, jedoch weitgehend, ohne eine Zusammenhang zwischen externen Einflüssen und dem Wandel der Abgeordnetentätigkeit und dessen Auswirkung auf den repräsentativen und legitimatorischen Gehalt herzustellen.
2.1. Erkenntnisinteresse und Forschungsziel
Ziel der Arbeit ist es, dem Teilbereich der Abgeordnetenforschung eine aktualisierte Perspektive hinzuzufügen. Ein wesentlicher Ausgangspunkt für diese Arbeit ist die Annahme, dass das Selbstverständnis deutscher Abgeordneter und die im Laufe der parlamentarischen Arbeit zu Tage tretende Realisierung schwindender Gestaltungsmöglichkeiten im Parlament, die durch eine Vielzahl von Faktoren bedingt ist, zu einem Repräsentationsdefizit führt. Zwischen dem normativen Anspruch an die parlamentarische Arbeit in einer repräsentativen Demokratie und der Realität klafft demnach eine Lücke.
Führt die Realisierung schwindender Gestaltungsmöglichkeiten nicht zu einer weiteren Enttäuschung und Distanzierung der Wähler? Läuft eine solche Form parlamentarischer Arbeit nicht zuletzt auf die bloße Verwaltung der Gesellschaft hinaus? Welche Erwartungen haben Abgeordnete vor diesem Hintergrund an ihre politische Tätigkeit? Wie viele davon haben sich tatsächlich erfüllt und wie gehen die Mandatsträger mit möglichen Enttäuschungen um? Welche Auswirkungen hat dieses Rollenselbstverständnis langfristig auf das Funktionieren der parlamentarischen Demokratie und die Legitimation der politischen Parteien als Bindeglieder zwischen Politik und Bürgern?
Weitere Fragen zielen auf die sinkende Wertschätzung des politischen Mandats in der Öffentlichkeit, die Wahrnehmung dieser Entwicklung durch die Abgeordneten selbst und die Suche nach möglichen Gründen für eine solche Entwicklung. Welche Rolle spielen interne Faktoren wie Macht, Mehrheit und externe Faktoren wie mediale und ökonomische Einflüsse sowie Aspekte der Globalisierung? Welchen Einfluss haben auf Strukturebene die so genannten Vetospieler in Deutschland – erschweren sie einen Großteil von Entscheidungen? Hindern sie das Parlament an sachlichen Lösungen? Welche Gültigkeit hat die Annahme, Abgeordnete könnten die an sie gestellten Erwartungen nicht mehr erfüllen?
Die Annahme, wonach die Mehrheit der Abgeordneten den wachsenden Ansprüchen der Bevölkerung aufgrund der vorherrschenden Bedingungen und Strukturen nicht gerecht werden kann, soll als Arbeitsthese dienen und auch in der Datenerhebung als eine der leitenden Fragen fungieren, wobei die Möglichkeit nicht außer Acht gelassen werden soll, dass sie widerlegt werden kann.
2.2. Aufbau und Methodik
Ob man tatsächlich von einer Ohnmacht des Parlamentariers aufgrund von weitgehender Wirkungslosigkeit sprechen kann, soll anhand von persönlichen Gesprächen mit Bundestagsabgeordneten untersucht werden. Dabei sollen gerade nicht quantitative Aspekte wie ihre hohe durchschnittliche Arbeitsbelastung von durchschnittlich 65 Stunden in den Sitzungswochen[11] im Mittelpunkt stehen, nicht zuletzt, weil die Dauer allein kein qualitatives Kriterium für die Bewertung der Abgeordnetentätigkeit sein kann. Inwieweit lassen sich also auch Vermutungen begründen, wonach Abgeordnete in deutschen Parlamenten immer weniger fachkompetent sind, dafür mehr auf öffentliche Wirkung und vor allem Wiederwahl bedacht? Und um mit Hermann Scheer zu fragen: Wer prägt wen? Spiegeln die Abgeordneten nur die gesellschaftlichen Entwicklungen wider oder prägen sie das Niveau der politischen Kultur?[12] Welche Rolle spielen Abgeordnete in diesem Prozess? Wie bewerten sie den Status quo? Bestätigen sie die Prognose, Deutschland befinde sich auf dem Weg zu einer labilen Demokratie?[13] Werden die gesteigerten Handlungszwänge und Schwierigkeiten von ihnen wahrgenommen?
Die leitenden Forschungsfragen in dieser Arbeit sind keinesfalls neu, aber aktueller denn je. Gegenwärtig scheint es verfehlt zu fragen, ob Abgeordnete zufrieden sind oder die Ansprüche der Bevölkerung mit der politischen Arbeit ins Verhältnis zu setzen, ohne die globalen Entwicklungen und Veränderungen einzubeziehen.
Hauptuntersuchungsobjekt dieser Arbeit ist der Bundestagsabgeordnete innerhalb der Parteien und Fraktionen als Vertreter und Träger der repräsentativen Demokratie und des Verfassungsanspruchs. In Parlamente gewählte Abgeordnete zählen unstrittig zu den wichtigsten politischen Akteuren des parlamentarischen Regierungssystems und können als Subjekte des politischen Prozesses bezeichnet werden.
Natürlich lässt sich nur schwerlich endgültig und nur anhand von Anhaltspunkten beschreiben, ob Abgeordnete ihren Aufgaben gewachsen sind und inwieweit die Diskrepanz zwischen Erwartung und Erfüllung von Erwartungen ein Indiz für einen Mangel an Legitimation ist. Nach welchen Kriterien soll die Leistung einzelner Abgeordneter bewertet werden? Fakt ist dennoch: Wo sich Bürger nicht mehr vertreten fühlen, kann von einem Defizit ausgegangen werden. Ob dieses Defizit möglicherweise durch eine Verzerrung in der Wahrnehmung durch die Bürger zustande kommt oder in den reellen Gegebenheiten, ist eine weitere Frage, die sich ergibt.
In der Arbeit sollen ferner die widersprüchlichen, mehrheitlich eher deskriptiven Untersuchungen der Abgeordnetenarbeit näher beleuchtet und mit den Ergebnissen der Leitfadeninterviews ins Verhältnis gesetzt werden. Während der für seine Abrechnungen mit dem politischen System bekannte Staatsrechtslehrer Hans Herbert von Arnim den politischen Akteuren der Bundesrepublik Deutschland in beinah all seinen Publikationen Wirkungslosigkeit, insbesondere aber moralischen Verfall bescheinigt und damit die Meinung eines Großteils der Bevölkerung bestätigt, widersprechen andere Untersuchungsergebnisse bei erster Betrachtung solchen Einschätzungen, auch wenn die Belastungen, denen sich Abgeordnete ausgesetzt sehen, dabei nicht außer acht gelassen werden.[14]
Neben der Einführung in das Thema und einer Analyse aktueller Studien (Teil A) sowie auf der Basis normativer Überlegungen anhand der einschlägigen Literatur zum Thema und eingehenden Betrachtungen der Rahmenbedingungen für Politik (Teil B) werden die Abgeordnete selbst nach ihren Erwartungen an die parlamentarische Arbeit und ihren Gestaltungsmöglichkeiten befragt, immer vor dem aktuellen Hintergrund des umfassenden gesellschaftlichen Wandels (Teil C).
Ein Expertengespräch mit dem ehemaligen sächsischen Landtagsabgeordneten Werner Bramke, der sein Mandat mit der Begründung seiner weitgehenden Wirkungslosigkeit als Politiker vorzeitig niedergelegt hat, soll weitere Erkenntnisse über mögliche Gründe für die Frustration von Parlamentsabgeordneten liefern. Aussagekräftige Teile des Gesprächs werden in ihrer Funktion als ergänzende Gesamteinschätzung in den theoretischen Teil der vorliegenden Arbeit einfließen, unter Berücksichtigung des Aspekts, dass die Aussagen nicht zur Verallgemeinerung herangezogen werden können.
3. Parlamentarismusforschung in der Politikwissenschaft
3.1. Forschungsstand
Nach wie vor gibt es einen Mangel an qualitativen Studien, in der einzelne Abgeordnete konkret nach seinem Rollenverständnis und zu seiner Arbeit befragt wird, und zwar im Hinblick auf mögliche Repräsentationsdefizite und vor dem Hintergrund aktueller Entwicklungen.
Bei der Mehrheit der vorliegenden Befunde handelt es sich auch bis zuletzt um Strukturdaten. Inhaltlich weiterführende Studien wie die von Werner J. Patzelt, der den Parlamentariern in seiner Untersuchung „Deutschlands Abgeordnete“ von 1996 ein gutes Arbeitszeugnis ausstellte, bedürfen möglicherweise gerade vor dem Hintergrund der sich dynamisch verändernden Rahmenbedingungen einer Korrektur, zumindest aber einer Aktualisierung beziehungsweise Ergänzung, zumal sie sich ebenfalls mehr auf quantitative und informelle Aspekte der Abgeordnetentätigkeit konzentrieren, dabei aber zumindest ein empirisch begründetes Gesamtbild der parlamentarischen Praxis zu zeichnen versuchen. Sie stehen jedoch im Widerspruch zu Beobachtungen, wonach der deutsche Parlamentarismus in einer Strukturkrise steckt und die Politik nicht handlungsfähig sei, nicht zuletzt, weil Politikern der nötige Sachverstand fehle[15] oder sie sich auf die kompetente Darstellung von Politik anstatt auf Lösung von gesellschaftlichen Problemen konzentrierten. Darüber hinaus widmen sich aktuell zwei gemeinverständliche Publikationen der Betrachtung der politischen Elite und ihrer Eigenschaften im Allgemeinen und dem Arbeitsalltag der Abgeordneten im Deutschen Bundestag im Besonderen. Der Journalist Jürgen Leinemann beschreibt den Wirklichkeitsverlust der Politiker.[16] Der Bundestagsabgeordnete Hermann Scheer analysiert den Bedeutungsverlust des Parlaments im Kontext von Demokratieabbau und Globalisierung.[17] Detaillierte und aufschlussreichere Aussagen von Abgeordneten über ihre Arbeit in Form von Tagebuchaufzeichnungen existieren, stammen aber aus den siebziger Jahren und sind daher veraltet.
3.2. Studien zum Selbstverständnis von Parlamentariern
3.2.1. 1990 – Abgeordnete und Bürger
3.2.1.1. Fragestellung
Einer der Ausgangspunkte der Studie von 1990 war der Mangel an politisch-soziologischen Fragestellungen, die weniger das Parlament als Institution untersuchen als vielmehr seine Akteure, die Abgeordneten, sowohl im Hinblick auf die Funktionsweise des parlamentarischen Regierungssystems Bundesrepublik als auch im Hinblick auf die neuen Herausforderungen, vor denen es steht. Herzog nennt als Beispiele die wachsenden Mitwirkungsansprüche der Bevölkerung, die steigenden Erwartungen an den Sozialstaat sowie den größeren Entscheidungsdruck bei der Lösung von Problemen durch die Politik. Die Parlamentarismusforschung habe hier zwar zu vielfältigen Erkenntnissen geführt, aber sich noch zu wenig auf politikwissenschaftlich-soziologische Fragestellungen konzentriert. Generell sei die Erforschung der Rolle von Abgeordneten bis zu diesem Zeitpunkt unterentwickelt.[18]
Grundlage für die Ergebnisse bildeten zwei Umfragen aus den Jahren 1988 und 1989, in denen die über 300 Bundestagsabgeordnete befragt sowie eine repräsentative Bevölkerungsumfrage durchgeführt wurden.
3.2.1.2. Relevante Befunde
Für die vorliegende Arbeit, die das Verhältnis von Erwartungen und tatsächlichen politischen Handlungsspielräumen thematisiert, ist insbesondere der Abschnitt zu Rollenverständnis, Motivationen und Tätigkeitsschwerpunkten von Interesse. Die vorrangige Aufgabe sehen Abgeordnete demnach in der Vertretung ihrer Wähler, also nicht in dem Maße als Vertreter ihrer Partei, dass sich die These vom Parteienstaat stützen ließe, aber ebenso wenig als „ungebundener Vertreter des ganzen Volkes“. Herzogs Studie führte auch zu der Erkenntnis, dass nur wenige der Abgeordneten das „Einbringen fachlicher Kenntnisse“ als vorrangiges Motiv für ihre Arbeit betrachten, sich aber dennoch bei ihrer Arbeit im Parlament mit 70 Prozent mehrheitlich als Spezialisten sehen.[19] Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Frage nach dem Handlungsspielraum und der Aufgabenerfüllung des Bundestages, der komplexen und sich wandelnden Bedingungen unterliege, und nach einem möglichen Kompetenzverlust vor dem Hintergrund einer stärker werdenden Exekutive.
3.2.1.3. Fazit und weiterführende Fragestellungen
Kritik übten die Abgeordneten am Kompetenzverlust des Parlaments zugunsten des europäischen Parlaments und an der Entwicklung des Bundesparlaments hin zu einem Arbeitsapparat, in dem schon alles festgezurrt sei. Die Entscheidungsprozesse seien zu undurchsichtig und die Langzeitperspektive komme bei politischen Aushandlungsprozessen zu kurz. Der Bedeutungsverlust des Bundestages wird für gravierend gehalten.[20] Im Ergebnis steht jedoch auch, dass im Bundestag zum Zeitpunkt der Befragung trotz der Kritik am Status Quo und der Realisierung von Defiziten kein Konsens bezüglich einer sukzessiven Reform des Parlaments vorhanden war. Wie stellen sich die Betrachtungsweisen heute dar, mehr als zehn Jahre nach Herzogs Untersuchung und der Feststellung, dass das Parlament seinen Bedeutungsverlust durchaus mitverursacht habe? Ist die Reduzierung des parlamentarischen Gestaltungsspielraums und des Beitrags zur politischen Willensbildung weiter fortgeschritten, und wenn ja, aus welchen Gründen?
3.2.2. 1995 – Potsdamer Elitestudie
3.2.2.1. Fragestellung
Die Potsdamer Untersuchung, bei der 1995 mehr als 2300 politische Führungskräfte in Deutschland, darunter auch Bundesparlamentarier, war geleitet von der Frage, in welchem Ausmaß Politiker die wachsenden Probleme wahrnehmen und wie sie damit umgehen. Der Erhebungszeitraum liegt inzwischen ein gutes Jahrzehnt zurück, so dass die Ergebnisse in erster Linie als Vergleichsbasis und Anknüpfungsmaterial herangezogen werden können.
3.2.2.2. Relevante Befunde
Die Studie befasste sich mit der für diese Arbeit aufschlussreichen Frage, inwieweit die Repräsentationsbeziehung zwischen Bürgern und Abgeordneten gefährdet sei. Viktoria Kaina, auf deren Aussagen sich die folgenden Ausführungen beziehen, fasst die wichtigsten Ergebnisse der von Wilhelm Bürklin durchgeführten Befragung zusammen.[21] Unter Verweis auf die geringe Fallzahl von befragten Bundestagsabgeordneten und ein entsprechendes Vorsichtsgebot, was Stellenwert und Verallgemeinerbarkeit betreffe, kommt Kaina dabei auch zu folgender Einschätzung: „[Es] zeigt sich in der Tendenz, dass bei den Bundesparlamentariern das Bedürfnis offenbar besonders groß ist, sich dem Wähler gegenüber mit dem Argument enger Handlungskorridore zu erklären und auf die Schwierigkeiten moderner Politik aufmerksam zu machen."[22] Ein solches Ergebnis scheint insbesondere dann problematisch, wenn man das wachsende Ungleichgewicht zwischen der Anspruchsinflation und der Einschränkung von Handlungsspielräumen in der Wahrnehmung politischer Akteure in Betracht zieht. Mit dem Begriff der modernen Politik beziehen sich die Befragten in erster Linie auf die sich wandelnden Rahmenbedingungen, mit denen sich die politischen Akteure gegenwärtig konfrontiert sehen: „[Es] spiegelt sich […] ansatzweise wider, dass Interessenvermittlung auch in der Wahrnehmung von Politikern in modernen, pluralistischen Demokratien komplizierter, zeitraubender und aufwändiger geworden ist."[23] Das deutet zunächst darauf hin, dass Parlamentarier gestiegene Ansprüche und damit gleichzeitig gewachsene Anforderungen wahrnehmen, sagt aber noch nichts über ihren Umgang mit diesem Dilemma aus. Vielmehr lässt es den Schluss zu, dass sie die sich wandelnden Rahmenbedingungen zunächst hinnehmen. Mit solchen Befunden erscheint nicht zuletzt die in der Einleitung formulierte Annahme als gesichert, dass der politische Prozess in der Bundesrepublik Deutschland einem umfassenden Wandel unterworfen ist. Ferner lässt sich an den Ergebnissen der Potsdamer Elitestudie auch das Eingeständnis der Befragten ablesen, „dass man den Erwartungen der Bevölkerung, was Eliten leisten können und sollen, kaum gerecht werden kann.“[24]
Es stellt sich die Frage, welche Folgen diese Kluft zwischen Ansprüchen und dem tatsächlicher politischer Handlungsfähigkeit haben kann, insbesondere, wenn bei Abgeordneten von vornherein die Erkenntnis zu bestehen scheint, als Parlamentarier nur geringe Möglichkeiten der politischen Einflussnahme zu haben? Führt eine solches Selbstverständnis nicht zwangsläufig zu einem Repräsentationsdefizit und zu einem generellen Legitimationsproblem?
Allerdings ergeben sich Kaina zufolge aus der Einsicht der Parlamentarier, nur auf recht beschränkte Handlungsspielräume zurückgreifen zu können, keine Ohnmachtsgefühle, die deren Selbstvertrauen beeinträchtigen. „Vielmehr stehen Frustrationen auf Grund geringer Möglichkeiten der politischen Einflussnahme und mangelnder öffentlicher Anerkennung in einem Zusammenhang mit der Wahrnehmung wachsender Problemkomplexität.“[25] Die Folge sei vielmehr ein Pessimismus der Abgeordneten, Politik überhaupt noch aktiv gestalten zu können. Die Ergebnisse der Studie legen Kaina zufolge den Schluss nahe, dass nach Auffassung der befragten Parlamentarier die Reichweite ihres Handelns und damit auch ihre Akzeptanz in der Öffentlichkeit in beträchtlichem Maße von Faktoren abhängig sind, die sich eigener Gestaltungs- und Steuerungsfähigkeit entziehen.
Neben der wachsenden Komplexität von Problemen, von denen einige kaum noch beherrschbar erscheinen, gehe auch die fortschreitende europäische Integration und der damit verbundene Bedeutungszuwachs nationaler Regierungen zu Lasten der Eingriffsmöglichkeiten der Legislative. Ob die Interpretation, einige der befragten Parlamentarier fürchteten unter diesen Vorzeichen um die „Regierbarkeit“ der Bundesrepublik, berechtigt ist, ist fraglich. Eine weitere Aussage zeigt dennoch den Zusammenhang zwischen wahrgenommenen schwindenden Gestaltungsspielräumen im Bundesparlament und zunehmend grenzüberschreitender Politik als Ursache auf: Die befragten Abgeordneten der Landesparlamente thematisierten im Gegensatz zu ihren Kollegen im Bundestag keine begrenzte Handlungsspielräume.
3.2.2.3. Fazit und weiterführende Fragestellungen
Die Befunde der Studie erlauben ein ambivalentes Urteil über die Führungskapazitäten politischer Eliten in Deutschland. Es kann einerseits keine Rede davon sein, dass die Politik ihrer Handlungsfähigkeit beraubt sei, denn die Mehrheit der Politiker glaubt an das Vorhandensein von Einflussmöglichkeiten auf den politischen Prozess und daran, politisch gestalten zu können. Politische Führung sei grundsätzlich noch immer möglich, auch wenn sich als Folge auch ernsthafte Rekrutierungsprobleme entwickelten. Die Studie mache allerdings auch deutlich, „dass die Handlungsressourcen politischer Eliten begrenzt und außerordentlich belastet sind.“[26] Die meisten Befragten sind sich darin einig, dass schwindende Handlungsautonomie einerseits aufgrund von Sachzwängen und aufgrund der Notwendigkeit umfassender Rücksichtnahmen ein schwerwiegendes Problem für sie darstellt.
Gleichzeitig zeige sich eine beachtliche Zahl zuversichtlich, doch die deutliche Mehrheit sieht ihren Handlungskorridor zusätzlich durch die gestiegenen Bevölkerungsansprüche und die wachsende Problemkomplexität eingeschränkt.[27]
In den zugrunde liegenden Ausführungen ist explizit von wachsender Problemkomplexität und steigenden Ansprüchen der Bevölkerung im Zusammenhang die Rede. Das Ergebnis spiegelt also die schwierigen Bedingungen politischer Prozesse in Deutschland, in modernen Demokratien generell, wider. Das erlaube allerdings „keine Aussagen über Ausmaß und Reichweite tatsächlicher Autonomieverluste politischer Akteure."[28] Interessant scheint hierbei, dass die von den Befragten genannten Gründe in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen oder kommuniziert zu werden scheinen, sondern vielmehr Defizite im Sachverstand der Abgeordneten als Argument herangezogen werden. Die Befunde scheinen Kaina zufolge nicht über die Maßen besorgniserregend, es seien jedoch Tendenzen erkennbar, die die Aufmerksamkeit der Sozialforschung und vor allem der Politik verlangten.[29]
3.2.3. 2004 – Heidelberger Elitestudie
3.2.3.1. Fragestellung
Der Schwerpunkt der repräsentativen Studie liegt in der Befragung von Vertretern der politischen Elite nach ihrem Selbstverständnis. Die politische Elite ist demnach „eine […] fest umrissene Gruppe, die an den für die Gesellschaft zentralen Entscheidungen maßgeblich und regelmäßig mitwirkt.“[30] Unabdingbar ist aus diesem Grund Bruns zufolge ihre intellektuelle Fähigkeit, gerade „in komplexen Situationen und bei konkurrierenden Interessen für das Gemeinwohl abgewogene Entscheidungen zu treffen“[31]. In Deutschland zählt Bruns die Abgeordneten des Deutschen Bundestages zur politischen Elite. An dieser Bedeutungszuweisung orientiert sich auch die vorliegende Arbeit zur Frage des Repräsentationsdefizits von Parteien.
Mit der Untersuchung des Selbstverständnisses deutscher Bundestagsabgeordneter wollen die Forscher einen Beitrag zur Erklärung des Wandels zum Berufspolitiker leisten, als unerlässliche Grundlage für die zukünftige Erforschung der Abgeordneten.
3.2.3.2. Relevante Befunde
Was die für diese Arbeit relevanten Ergebnisse der Heidelberger Elitestudie betrifft, so empfinden sich zunächst 80 Prozent der 92 befragten Abgeordneten des Deutschen Bundestages als politische Elite. Mit fortschreitender Verweildauer im Bundestag steigt das Elitebewusstsein der Parlamentarier. Interpretiert man diese Einschätzung so, dass die Selbstzuweisung des Elitebegriffs die Fähigkeit zu politischen Entscheidungen und die faktische Verantwortung für die Lebensumstände von über 80 Millionen Menschen mit einschließt, verwundert wiederum die hohe Zahl von 60 Prozent der befragten Abgeordneten, die ihren Einfluss auf die Wohlstandsentwicklung in der Gesellschaft für geringer halten als den der Wirtschaft und politische Spielräume als abhängig von der Wirtschaft erachten. 44 Prozent der Befragten bewerten die Arbeit des Bundestages allerdings als mäßig oder schlecht.[32]
Die Medienelite wird von der Mehrheit der befragten Abgeordneten als die wichtigste Kraft in Deutschland beurteilt – offen bleibt allerdings, wie genau sich der Einfluss der Medien auf die Generierung von Wohlstand gestalten soll und wie genau Medien die allgemeinen Lebensverhältnisse formen.[33]
Aufschlussreich, insbesondere für die Fragestellung dieser Arbeit, ist der Widerspruchsgehalt des folgenden Befundes: Fachkompetenz halten die befragten Bundestagsmitglieder für eine der wichtigsten Fähigkeiten der politischen Elite, jedoch nur 7 Prozent der Befragten sehen sich selbst in erster Linie als Fachpolitiker. Mit 40 Prozent der Befragten sieht sich die große Mehrheit eher als Medienpolitiker. Der Medienpolitiker zeichne sich durch seine Kompetenz im Umgang mit Medien und durch Kommunikationsvermögen aus.[34]
3.2.3.3. Fazit und weiterführende Fragestellungen
Dem Heidelberger Ergebnisprotokoll voran stand die Feststellung, dass die Politik in der modernen Informationsgesellschaft so kompliziert geworden sei, dass gesunder Menschenverstand allein nicht mehr ausreiche, um die Anforderungen zu erfüllen.[35] Wenn man kritisch auf diese Einschätzung reagieren wollte, so könnte man fragen, ob gesunder Menschenverstand jemals ausgereicht hat, oder ob es das ungleiche Verhältnis zwischen den realen Anforderungen und den Erwartungen der Bevölkerung an die Politik ist, die zu einer veränderten Wahrnehmung von politischem Leistungsvermögen generell führt.
Folgt man Bruns‘ Feststellungen weiter, so ist eine wichtige Voraussetzung für die Fähigkeit von politischen Akteuren, gesellschaftliche Erwartungen und Probleme in politische Entscheidungen umzusetzen, vor allem die Spezialisierung auf die Fähigkeit für Kommunikation in und zwischen den Organisationen, für politische Aushandlungsprozesse und für politische Entscheidungsvorgänge. Das spezielle Wissen des so genannten Berufspolitikers erstrecke sich ferner auf die Kenntnis der politisch relevanten Organisationen, der öffentlichen Verwaltungen, der Presse und der in den genannten Bereichen einflussreichen Personen.
Daraus lasse sich zwar folgern, dass der moderne Politiker zum Taktiker geworden, keinesfalls jedoch, dass er zum Strategen geworden sei. Der moderne Berufspolitiker nutze im Gegenteil alle Kommunikationskanäle, um die gesellschaftlichen Problemlagen kennen zu lernen und die unterschiedlichen gesellschaftlichen Erwartungen – allerdings immer unter Berücksichtigung wahltaktischer Entscheidungen – umzusetzen: „Die aufs politische Taktieren ausgerichteten Spitzenkräfte kümmern sich nicht mehr nur um die Interessenvermittlung, sondern fast ausschließlich um die Interessen-Konversion.“[36] Bruns kritisiert diese Entwicklung insofern, als dass Politik auf diese Weise nur schwer zum Wegweiser werden könne, was die Gesellschaft aber wiederum von ihr erwarte und was nach Auffassung der Autorin dieser Arbeit auch eine ihre originären Aufgaben sein müsste.
Zum einen ist zwar unstrittig, dass Kommunikation als Voraussetzung für politische Willensbildung in einer Demokratie gelten darf, zum anderen stellt sich die Frage, welche Folgen eine weitgehende Verlagerung und Fokussierung parlamentarischer Tätigkeiten auf den Erfolg bei der Kommunikation eben dieser hat.
3.2.4. 2004 – Jenaer Abgeordnetenbefragung
3.2.4.1. Fragestellung
In der Studie wurden schwerpunktmäßig die politischen Biografien der 954 befragten deutschen Parlamentarier aus zehn Landesparlamenten, dem Deutschen Bundestag und dem Europäischen Parlament, ihr Rollenverständnis als Abgeordnete sowie ihre politischen Einstellungen und Bewertungen erfasst.[37] Von den zum Zeitpunkt der Erhebung 603 Abgeordneten des Deutschen Bundestages beteiligten sich 156 Personen, mit etwa gleichen Anteilen an Regierungs- und Oppositionsfraktionen.[38]
3.2.4.2. Relevante Befunde
Der Teilbefund, dass 93 Prozent der befragten Parlamentarier des Deutschen Bundestages die Absicht haben, nochmals für ein Abgeordnetenmandat zu kandidieren und 80 Prozent sogar sicher sind, steht durchaus im Widerspruch zu einem Teil der Ausgangsvermutung der vorliegenden Arbeit.[39] Die hohe Zahl von Abgeordneten, die in der Befragung eine weitere Legislatur im Parlament anstreben, legt im Gegenteil die Vermutung nahe, dass die Zufriedenheit mit der parlamentarischen Tätigkeit recht hoch ist und wird durch einen weiteren Befund bestätigt, wonach 75 Prozent der befragten Abgeordneten aus ihrer politischen Tätigkeit persönliche Befriedigung ziehen.[40] Inwieweit die Möglichkeit politischen Gestaltens ausschlaggebend für diese Zufriedenheitsbefunde ist, darüber lassen sich anhand der ersten Auswertung keine Aussagen treffen.
Mit folgenden Ergebnissen der Jenaer Studie lässt sich die Ausgangsvermutung der vorliegenden Arbeit in Teilen jedoch ebenso stützen: Die Zufriedenheit mit dem Mandat wird demnach vor allem beeinträchtigt durch „die Frustration über die nach eigener Einschätzung unzureichenden Problemlösungen, die empfundene Diskrepanz zwischen erwarteten und tatsächlichen Gestaltungsmöglichkeiten sowie die Konflikte zwischen den eigenen Vorstellungen und dem, was man im politischen Alltag vertreten muss“.[41]
Relevant scheint auch, dass in der Studie die vermutete Diskrepanz zwischen der Selbstwahrnehmung der Politiker und ihrer öffentlichen Wahrnehmung bestätigt wird: Beziehungen, Kontakte und Anpassungsfähigkeit spielen demnach für die politische Karriere eine viel weniger wichtige Rolle als gemeinhin angenommen, eine viel größere Bedeutung wird hingegen der „fachlichen Qualifikation“ beigemessen, sie wurde von den Befragten nach „Härte und Durchsetzungswillen“ als zweitwichtigste Eigenschaft genannt – auch wenn dies Befunden aus bereits zitierten Studien widerspricht.[42] Auch mit der Fraktionsdisziplin ist mit 63 Prozent die Mehrheit der befragten Abgeordneten einverstanden – 51 Prozent haben aber bei einer wichtigen Abstimmung schon einmal gegen den Fraktionsmeinung gestimmt.[43]
3.2.4.3. Fazit und weiterführende Fragestellungen
In der zugrunde liegenden Auswertung der Jenaer Befragung werden von den Befragten keine Motive für das mehrheitlich geäußerte Ziel einer erneuten Kandidatur genannt. Umso mehr könnte für die Leitfadeninterviews dieser Arbeit Fragen nach den Gründen für Zufriedenheit oder Unzufriedenheit und eine erneute Kandidatur eine Rolle spielen. Eine mögliche Verzerrung der Jenaer Ergebnisse könnte durch die Tatsache begünstigt worden sein, dass bei Befragungen dieser Art sich möglicherweise jene Abgeordneten beteiligen, die mit ihrer Tätigkeit zufrieden und entsprechend auskunftsfreudig sind. Ein solcher Verzerrungsfaktor müsste dann in gleicher Weise für die Auswertung der Befragung der vorliegenden Arbeit berücksichtigt werden.
Edinger betont in Bezug auf einzelne Befunde zusammenfassend, sie stünden in merklichem Kontrast zu dem in den Medien und in der Öffentlichkeit bestimmenden Bild von Parlamentariern, das mehrheitlich negativ besetzt ist. Diese Dimension soll in den Leitfadeninterviews ebenfalls eine Rolle spielen, insbesondere, wenn es darum geht, nach möglichen Ursachen für diesen Kontrast zu suchen.
B Theoretische Überlegungen unter Berücksichtigung aktueller Entwicklungen
1. Begriffe
Die folgenden Abhandlungen sind der Versuch einer Einführung zu relevanten theoretischen Aspekten, die als Grundlegung für den weiteren Untersuchungsverlauf dienen sollen. Sie fungieren einerseits als thematische Eingrenzung, stellen gleichzeitig einen Erklärungsversuch für die Ausgangsvermutung und liefern die Grundlage für die Durchführung der Leitfadeninterviews und ihre Auswertung. Sie sollen andererseits einen Überblick über die jeweils aktuelle Debatte zu den einzelnen Aspekten im Gesamtkontext des parlamentarischen Regierungssystems der Bundesrepublik Deutschland geben und Verknüpfungspunkte für noch folgende Aspekte liefern, vor allem, was das Spannungsverhältnis zwischen normativem, verfassungsrechtlichem Anspruch und den faktischen Gegebenheiten betrifft. Die theoretischen Überlegungen erfolgen anhand der einschlägigen Literatur zum Thema und geben einen umfassenden Überblick über die Rahmenbedingungen, unter denen sich der politische Prozess in der Bundesrepublik gegenwärtig vollzieht. Vorangestellt sei Max Webers Aussage, Politik zu machen bedeute „ein starkes langsames Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich.“[44] Dass diese Erkenntnis Gültigkeit bis heute hat, zeigt sich verstärkt unter dem Eindruck der aktuellen Entwicklungen.
1.1. Demokratie als elementares Funktionsprinzip in der Bundesrepublik
Die repräsentative, parlamentarische Demokratie als elementares Funktionsprinzip ist im weitesten Sinne nichts anderes als die Organisation und Vertretung der allgemeinen Interessen – sie und das Mandat des Abgeordneten legitimieren sich dadurch, dass die allgemeinen Interessen eben nicht Gruppen und Verbänden überlassen werden.[45] Demokratie lebt insbesondere von der Partizipation der Bürger und der kommunikativen Verknüpfung zu und dem Austausch mit ihren Vertretern in den Parlamenten.
Das Dilemma, das sich gleichzeitig aus einem der demokratischen Grundprinzipien ergibt, in Bezug auf den Verfassungsanspruch, der Wille des Volkes sei zu vertreten, zu artikulieren und in die politischen Entscheidungen einzubeziehen, besteht gerade gegenwärtig darin, dass eine große Vielfalt an teils gegenläufigen Interessen zu integrieren ist, die Erwartungshaltung bezüglich der Handlungsfähigkeit und Zuständigkeit politischer Akteure zunimmt,
Hans Herbert von Arnim zufolge liegt das Wesen des demokratischen Staates „in zwei Prinzipien, die gewiß immer nur graduell erreichbar sind und zum Teil auch miteinander im Widerspruch stehen können, die aber gleichwohl anzustrebende letzte Ziele sind: Selbstentscheidung des Volkes und inhaltliche Richtigkeit.“ Arnim zieht zur Charakterisierung des demokratischen Prinzips in einer Verfassung die Formel Abraham Lincolns von 1863 heran: „government of the people, by the people, and for he people“, also „Regieren des Volkes, durch das Volk, für das Volk“. Arnim deutet sie in der Weise, dass Bürger Einfluss auf die Politik haben sollen und Politik den Interessen möglichst aller Bürger gerecht werden muss.[46] Ein solcher normativer Anspruch lässt sich in der Praxis unstrittig nur schwerlich umsetzen.
Das Grundprinzip der repräsentativen, parlamentarischen Demokratie, auf der Basis verschiedener Interessen und Interessenvertreter zu funktionieren, führt sie gleichzeitig in eine ihrer Spannungslagen: Weil also politische Entscheidungen, so konsensorientiert sie sein mögen, immer auch Konflikte verursachen, sind die politischen Entscheidungsträger faktisch gezwungen – wollen sie ihre Effektivität nicht aufgeben – weitere Interessen und ihre Vertreter in ihre politischen Entscheidungen zu integrieren. Je breiter und umfassender der Versuch der Interessenintegration jedoch ist, umso mehr ist die Handlungsfähigkeit der politischen Akteure in der Demokratie eingeschränkt. Das ist nur so lange unproblematisch, wie politische Entscheidungen mit den Bedürfnissen der Bevölkerung übereinstimmen und es keinen Bedarf an Zäsuren gibt, und vor allem, die Politik trotz ihrer Zwangslage nicht blockiert ist und zu Entscheidungen kommt.
1.2. Repräsentation und Repräsentationsdefizit
Repräsentation kann im weitesten Sinne verstanden werden als die Delegation von Macht zur Vertretung des Volkes in einer Demokratie. Repräsentative Demokratie lässt sich nur als kommunikative Demokratie über Parteien realisieren. Im engeren Sinne geschieht das über die zeitlich auf eine Legislatur begrenzte Ermächtigung von Volksvertretern, die zur Erfüllung des Demokratieprinzips der Volkssouveränität den Gemeinschaftswillen repräsentativ vertreten.
Kennzeichnend für diese Form der politischen Repräsentation über Mandate ist eine konfliktive Beziehung zwischen Repräsentanten und Repräsentiertem. Repräsentieren bedeutet Hannah F. Pitkins zufolge, im Interesse der Repräsentierten auf responsive Weise zu handeln. Unabhängigkeit hat in Pitkins’ Verständnis von Repräsentation einen erheblichen Stellenwert.[47] Der Repräsentant muss demnach im Repräsentationsprozess unabhängig handeln. All seine Handlungen und Entscheidungen beruhten auf eigenem Ermessen und eigenem Urteil. Der Repräsentant wie der Repräsentierte müssten also aus dieser Perspektive als unabhängig handelnde und urteilende Personen verstanden werden, denn „nur in diesem Zusammenhang beiderseitiger Unabhängigkeit im Denken und Handeln entsteht überhaupt erst ein Konfliktpotential zwischen Repräsentanten und Repräsentierten.“[48] Der Repräsentant habe nun wiederum dafür Sorge zu tragen, dass ein Konflikt nicht entsteht beziehungsweise abgewendet wird. Entsteht er trotzdem, bedürfe es einer Erklärung des Repräsentanten gegenüber den Repräsentierten, warum die Wünsche der Repräsentierten nicht mit ihren Interessen übereinstimmen. Mit diesem Wechselspiel von Vermittlung und Rechtfertigung kann Repräsentation beschrieben werden. Dennoch kann das Prinzip der absoluten Unabhängigkeit in dieser Urform kaum für den modernen repräsentativen Parlamentarismus gelten.
Patzelt bemerkt zum Spannungsverhältnis zwischen Abgeordneten und Bürgern in Bezug auf die Responsivität: „Läßt sich der Abgeordnete in seinen Entscheidungen ausschließlich von den Repräsentierten anleiten, legt er ein zu hohes Maß an Responsivität an den Tag; nimmt er bei seinen Entscheidungen in keinster Weise auf die Wünsche der Repräsentierten Rücksicht, demonstriert er ein zu geringes Maß an Responsivität.“[49] Es fehle ihm dann an Führungsstärke. Der Prozess der Responsivität kann demzufolge verstanden werden als ‚Zwei-Wege Prozeß', bei dem Responsivität und Führung sich abwechseln und gegenseitig bedingen.
Wie oben beschrieben, haben Befragungen unter Abgeordneten ergeben, dass Politiker unabhängig vom Grad der Responsivität de Unabhängigkeit und die Effektivität ihres Handelns bedroht sehen. Hinzu kommen absehbare Autonomieverluste der Politik als Gestalter und Entscheidungsträger aufgrund von externen Einflussfaktoren. Vor allem hierdurch steht die Unabhängigkeitsbedingung des Repräsentationsgedankens zur Diskussion. Ein weiterer Faktor tritt hinzu: Zeitliche Einschränkungen bergen die Gefahr, „sich zum Störfaktor für funktionstüchtiges, politisches Repräsentationsverhältnis zu entwickeln, wenn Politiker aus Gründen zeitlicher Überbeanspruchung ihrer Führungsaufgabe nicht mehr gerecht werden können."[50] Ferner gilt der politische Gestaltungswille aufgrund der Strukturbedingungen des politischen Systems der BRD als von vornherein unvorteilhaft eingeschränkt. Es lassen sich bereits jetzt Folgen für das Selbstbild von politischen Führungskräften erkennen[51] – politische Repräsentation könnte durchaus Belastungsproben ausgesetzt werden, wenn die Voraussetzungen für politische Führung weiter schwinden. Diese ist eine Kernfrage, die weitergedacht muss und die bei der Befragung der Parlamentarier in dieser Arbeit Berücksichtigung finden wird. Ein Defizit in der Repräsentation wäre folglich dann vorhanden, wenn Politik und gewählte Mandatsträger aufgrund solcher Zwängen nicht mehr gestalteten, an substanziellen Entscheidungen gehindert würden, nur noch verwalteten oder Gesetze ratifizierten.
Ein klares Defizit in Repräsentation und Legitimation ergibt sich Hans-Jürgen Papier zufolge auch dann, wenn die politische Willensbildung und Entscheidungen nicht im Parlament stattfinden – dann verliert das Wahlvolk faktisch seine Vertretung und der Wahlakt wird entwertet. Papier entwirft zusätzlich folgendes Szenario: „Aus richtungsweisender, politisch substanzieller Ausübung von Staatsgewalt durch das Volk wird ein glamouröser Abschluß eines Monate währenden Medienspektakels, bei dem […] derjenige als Sieger hervorgehen könnte, der über die größten schauspielerischen Talente, über die ausgeprägteste Fähigkeit zur Rezeption und gleichzeitigen Produktion oberflächlicher Massenströmungen […] verfügte.“[52] Papier äußert damit implizit die Befürchtung, dass – sollte sich diese Entwicklung fortsetzen – zukünftig Sachverstand und verwandte Kompetenzen eine zunehmend untergeordnete Rolle spielen. Erste Anzeichen dafür sind bereits festzustellen, zumal es ein unverhältnismäßiges Nachgeben der Politik zugunsten öffentlicher Neigung zuzunehmen scheint, was nicht mehr dem Wesen politischer Repräsentation gerecht würde.
1.3. Die Parteien im parlamentarischen Regierungssystem
Inwieweit das parlamentarische Regierungssystem imstande ist, seine Aufgaben und Funktionen zu erfüllen, hängt letztlich von der Leistungsfähigkeit der Parteien ab, die als Basis für ein Funktionieren der Verhandlungsdemokratie und als bedeutendste Bindeglieder zwischen Bevölkerungsinteressen und politischen Entscheidungsträger gelten können. Bis auf wenige Ausnahmen halten Demokratietheoretiker demokratisch verfasste Staaten ohne Parteien für undenkbar.[53] Eine Bevölkerung von 80 Millionen, so die Auffassung der Theoretiker, könnte anders auch nur schwerlich organisiert werden. Ein Ende, gar eine Alternative zu den Parteien scheint aus dieser Perspektive kaum realistisch.
Die parteienstaatliche Demokratie baut auf den Parteien als den politischen Handlungseinheiten auf und integriert sie als unentbehrliche Bestandteile des politischen Integrationsprozesses.[54] Dass sich die Bundesrepublik anhand dieses Verhältnisses zwischen Staat und Parteien charakterisieren lässt, darf als unbestritten gelten. Normativ können Parteien betrachtet werden als intermediäre Organisationen und Mittler für Kommunikation, aber auch als Fundament für die Rekrutierung von politischem Nachwuchs sowie der Erarbeitung von politischen Programmen in der repräsentativen Demokratie. Parlamentarische Regierungssysteme sind Parteiendemokratien, und die Parteien sind die Hauptakteursgruppen der politischen Willensbildung und Interessenvermittlung.
Mit dem modernen „Parteienstaat“ des 20. Jahrhunderts jedoch hat Gerhard Leibholz zufolge auch der Abgeordnete seine Entscheidungsfreiheit verloren,[55] wenngleich sich diese Einschätzung auf Grundlage einer solchen Begründung zumindest mit den Aussagen von Abgeordneten aus jüngeren Befragungen nicht belegen lässt. Die meisten Befragten verstehen sich keineswegs allein als Vertreter einer Partei, von grundsätzlich unterschiedlichen Auffassungen innerhalb der Parteienlandschaft ganz abgesehen. Streng betrachtet jedoch war der repräsentative Parlamentarismus nur in den Anfängen der liberalen Demokratie verwirklicht: Damals war der Abgeordnete reell Repräsentant und Volksvertreter, er konnte direkt Entscheidungen treffen und votierte ausschließlich gemäß seiner Auffassung. Der gängige aktuelle und dabei unspezifische Parteienstaatsbegriff zielt nun auf die faktische Schlüsselstellung der Parteien und Fraktionen im politischen Prozess: Sach- und Personalentscheidungen im Bereich von Parlament und Regierung können de facto ausschließlich über Parteien und Fraktionen durchgesetzt werden. Demnach im modernen, deutschen Parlamentarismus die Parteien und Fraktionen die Machtzentren, nicht der einzelne Abgeordnete.[56]
Leibholz’ Parteienstaatsbegriff und seine Kritik sind in ihrer spezifischen Dimension von Bedeutung, denn sie beziehen sich auf die faktische Stellung des Abgeordneten im Parlament und gehen von einer Ohnmacht des Abgeordneten gegenüber Fraktion und Partei aus.
Leibholz‘ Modell vom „Parteienstaat“ ist durchaus im Kontrast zum repräsentativen Parlamentarismus zu verstehen. Der einzelne Abgeordnete hat hier seine „Repräsentantenqualität“ verloren und gilt grundsätzlich als fremdem Willen unterworfen, und ist damit nur noch „organisatorisch-technisches Zwischenglied“ zwischen Parteien, Fraktionen und den Parlamentsbeschlüssen. In so einer Demokratie fehle dem Abgeordneten letztlich die Legitimation, weil er keine eigene, von den Parteien unabhängige Linie verfolgen könne: Das aber muss er Leibholz zufolge, um sich legitimieren zu können. Leibholz hat allerdings auch kein Rezept gegen die Entmündigung des Abgeordneten, er spricht vom Niedergang des repräsentativen Parlamentarismus.
In der Praxis ist vom beschriebenen Niedergang des repräsentativen Parlamentarismus zunächst wenig zu sehen. Die Parteien gestalten die Verfassungsordnung und die Politik erfolgreich und setzen dabei zunehmend die Hegemonie des parteiendemokratischen Prinzips durch[57], ohne dass damit etwas über die Stellung des Abgeordneten ausgesagt wäre. Aber auch die Parteien sind einem kontinuierlichen Wandel unterworfen: Neben einem Funktionenwandel hin zu Organisationen für Berufspolitiker[58] haben die Parteien unbestreitbare programmatische Probleme, insbesondere aufgrund von Glaubwürdigkeitsverlusten, nicht zuletzt aber eben auch aufgrund externer Faktoren wie dem Übergang zur postindustriellen Gesellschaft und dem Umbruchprozess nach dem Zusammenbruch des Sozialismus.[59] Bei einem tendenziell weiter wachsenden Mitgliederverlust wird sich die Aufgabe der Rekrutierung von politischen Akteuren ungleich schwieriger gestalten, und zum Repräsentationsdefizit ein weiterer Aspekt hinzutreten, abgesehen davon, dass sich ein Vertrauensverlust verstärkt auch auf die Problemlösungskompetenz des Abgeordnetenpersonals beziehen würde.
1.4. Das Parlament als Repräsentationskörperschaft
Die politische Auseinandersetzung im Parlament wird gern bezeichnet als das „Lebenselixier“ der Demokratie. Als der wichtigste Ort demokratischer Legitimation in der parlamentarischen Demokratie ist das Parlament das einzige Bundesorgan, das aus allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen, geheimen Wahlen hervorgeht. Es besitzt daher eine hervorzuhebende demokratische Legitimation, die allerdings befristet ist.
Der Bundestag hat die weitreichendsten legislativen Funktionen, wie die Erarbeitung vin Gesetzesinitiativen und die Herbeiführung politischer Entscheidungen. Kritisiert wird nur allzu häufig, dass der Bundestag vornehmlich als Gesetzgebungs- und Kontrollorgan charakterisiert wird, während sich seine Legitimation mitnichten nur daraus rechtfertigen lässt. Vielmehr fußt sie auch auf einem normativen Gestaltungs- und Orientierungsanspruch und der Mitsteuerung politischer Entscheidungsprozesse. Mit diesem Zusammenspiel einer Vielzahl von Aspekten lässt sich ebenso Repräsentation und mit ihr der Bundestag als „Repräsentationskörperschaft“ charakterisieren.[60] Es kann von einer parlamentarischen Mitregierung aller Fraktionen gesprochen werden, denn alle sind an durch das Aushandlungsprinzip an Gesetzesvorlagen beteiligt.
Das klassische, verfassungsrechtlich normierte Spannungsverhältnis – einerseits das Prinzip der Gewaltentrennung, wonach Parlament und Regierung unterschiedliche Aufgaben haben und andererseits als Verfassungsorgane in vielfältiger Weise miteinander verbunden sind, insbesondere weil die Regierung vom Vertrauen der Mehrheit im Parlament abhängig ist – gilt heute in seiner Reinform nicht mehr. Vielmehr stehen sich im modernen deutschen Bundesparlament eine auch personell eng mit der Regierung verflochtene Regierungsmehrheit und die Oppositionsmehrheit gegenüber. Ismayr stellt bezogen auf die Aufgabe der Regierungskoalition fest: „In der Regel geht es den Koalitionsfraktionen darum, der Regierung(sseite) Gelegenheit zu geben, ihre Politik in günstigem Lichte zu präsentieren, für Konzepte und Maßnahmen zu werben und Fehlentwicklungen sowie Schwächen der Oppositionsparteien und der von ihnen getragenen Landesregierungen zu kritisieren."[61]
Auf der Basis der Parteiendominanz hat sich im Bundestag ein ausgeprägter Fraktionenparlamentarismus entwickelt, der Oberreuter folgend der Handlungsfähigkeit des Parlaments prinzipiell dienlich ist, da das Mehrheitsprinzip Voraussetzung für Entscheidungen ist.[62] Das liegt insbesondere auch an der hinzugewonnenen Macht der Parteien. Die Fraktionen im Bundestag sind die verfassungsgemäß notwendigen Einrichtungen des Verfassungslebens und maßgebliche Faktoren der politischen Willensbildung.[63] Die Kritik am Parlamentarismus hält ein Teil der Theoretiker für ungerechtfertigt. Das Parlament seine eine „leistungsfähige und bürgernahe Repräsentativkörperschaft“, die weder populistisch noch abgehoben arbeite, sondern nach einem Prinzip ausdifferenzierter Arbeitsteilung der Erfüllung ihrer Aufgaben nachkomme.[64]
1.4.1. Bundestag im Wandel
Auch wenn ein Teil der im Folgenden erläuterten Faktoren im Gesamtzusammenhang des gesellschaftlichen Wandels noch eingehender besprochen werden, so sollen sie an dieser Stelle in ihren Auswirkungen auf die Arbeit und die Rolle des Parlaments kurz Erwähnung finden. Der Fokus richtet sich hierbei auf die Institution Bundestag als Arbeitswelt der Abgeordneten, die ständigen Veränderungen ausgesetzt ist, auch um die Vielzahl an externen Einflussfaktoren hervorzuheben, die die Arbeit im Parlament indirekt mitsteuern und mitbestimmen. Bereits vor zwanzig Jahren wurde der Wandel des Parlaments als Verfall eingestuft und als Anzeichen für einen Niedergang des Parlamente im Allgemeinen bewertet, obwohl als Aufgabe dieser Institutionen gerade gilt, politischen und sozialen Wandel öffentlich mitzusteuern.[65] Und noch immer ist auch der Bundestag als gesellschaftlich-politischer Bestandteil einem steten Wandlungsprozess unterworfen, der aktualisierte Betrachtungen immer schneller erforderlich macht.
Zu den aktuellen Herausforderungen, denen sich das Parlament gegenüber sieht, zählt einerseits die wachsende gesellschaftliche Vernetzung, die gefördert wird durch eine intensive, eigendynamische mediale Begleitung und öffentliche Darstellung. Ob man von Deutschland als einer Fernsehdemokratie sprechen kann, bleibt fraglich, allerdings spielen öffentlich-rechtliche wie private Fernsehanstalten eine entscheidende Rolle für die Vermittlung von politischen Inhalten und vor allem die Art und Weise der Rezeption durch die Rezipienten. In diesem Zusammenhang steht auch die Befürchtung, dass die Aufnahmefähigkeit der Bürger nicht in gleichem Maße habe mitwachsen können. Zudem konkurrierten immer mehr Anbieter um die Gunst des Zuschauers[66] – der Bundestag bleibt medial als ein Akteur unter vielen oft auf der Strecke. Dass die Herstellung von Öffentlichkeit für den politischen Prozess dennoch unabdingbar bleibt, lässt sich vor allem unter dem Aspekt der Legitimation schwer bestreiten.
Das von Parlamentariern in Befragungen beklagte Defizit in der Darstellung der parlamentarischen Tätigkeit deutet zumindest auf die Wahrnehmung eines Legitimationsdefizits hin: Die Selbstdarstellung des Parlaments steht auf der Reformagenda der Befragten ganz oben.[67]
Im Kontrast dazu hat sich das Parlament von einem kaum beachteten Ort des politischen Aushandlungsprozesses zu einer wissenschaftlich beachteten und öffentlich viel diskutierten Institution entwickelt. Die parlamentarischen Inhalte und Aushandlungsprozesse „werden ja nicht nur intern […], sondern – vor allem zwischen den Spitzenpolitikern der Koalition – häufig auch über die Massenmedien ausgetragen."[68]
Als weiterer Faktor im Prozess des Wandels darf die Wiedervereinigung gelten: zu den ohnehin wachsenden Arbeitsanforderungen traten weitere hinzu, die zudem unter dem Eindruck eines immer heterogener gewordenen Bundesstaates gelöst werden wollen.[69]
Zusätzlich zu den Anforderungen auf nationaler Ebene sieht sich der Bundestag auch aufgrund von Entwicklungen auf internationaler Ebene neuen Herausforderungen gegenüber: Die steigende Integration der Europäischen Union und ihre Gesetzgebung haben dazu geführt, dass dem deutschen Parlament in vielen politischen Fragen nur die Rolle des „legislativen Notars“ bleibe, der die EU-Politik in nationales Recht umzusetzen habe. Das ist insofern problematisch, als dass das Parlament schon ohne diese externen Einflüsse mit Legitimationsmängeln zu kämpfen hat. Der Verlust von Entscheidungskompetenzen ist ein zusätzlicher Faktor im Prozess der Aushöhlung parlamentarischer Mitwirkung.[70] Durch die Verlagerung von Kompetenzen findet ein Kontroll- und vor allem Gestaltungsverlust statt. Zu Ende gedacht, bedeutet diese Entwicklung nichts anderes als eine negative Auswirkung auf das Gewicht der Repräsentation einer Bevölkerung, die nun von Mandatsträgern vertreten wird, denen der Einfluss auf die politische Ausrichtung von einer Vielzahl von Entscheidungen entzogen ist.
Ist der Bundestag also heute noch das, was er Richard von Weizsäcker zufolge sein sollte: das Forum einer Nation von mehr als achtzig Millionen Menschen?[71] Oberreuter stellt fest, dass „unter der Oberfläche polemischer Plenardebatten ein konsensuale Parlamentskultur [blüht], die sich stets den Grundregeln des Parlamentarismus verpflichtet weiß.“[72]
Fragt man jedoch nach der geistig-moralischen Führungsaufgabe und der Orientierungsfunktion des Parlaments, so lässt sich dies aus heutiger Sicht nur teilweise bejahen. Dennoch bleibt das Parlament als einziges demokratisch legitimiertes Bundesorgan die zentrale Institution für die bundesdeutsche Gesetzgebung, wenngleich auch dieses Aufgabenfeld einem schleichenden Wandel unterworfen zu sein scheint.
1.4.2. Zum Bedeutungsverlust des Parlaments
Beobachtungen, wonach das Parlament mit seinem sinkenden Gestaltungsspielraum konfrontiert sei, sind nicht neu. Grundsätzlich wird Politik bereits seit den achtziger Jahren als begrenzter Entscheidungskorridor gesehen.
Die skeptischen Stimmen, die einen wachsenden Bedeutungsverlust des Parlaments konstatieren, scheinen zu überwiegen. Die Zeit der „great expectations“ sei vorbei, heißt es bei Michael Edinger, der anschließend eine ganze Gruppe von Einflüssen wie Europäisierung, Verlagerung von Entscheidungen in Expertengremien, Einfluss von Lobbygruppen und das mediale Agenda-Setting nennt, die die Bedeutung und das Ansehen des Parlaments als Ort politischer Verhandlungen und Entscheidungen schmälern. Die Parlamentarier selbst sind in Bezug auf diese Frage gespalten: Jeder zweite der von den Jenaer Politikwissenschaftlern Edinger und Best befragten Abgeordneten bestätigt jedoch einen Bedeutungsverlust des Parlaments als politisches Entscheidungsorgan.[73] Warum und in welcher Form hier genau von den Abgeordneten ein Bedeutungsverlust konstatiert wird, bleibt zumindest in der ersten Auswertung der Jenaer Studie offen. Ein anderes Teilergebnis der Jenaer Studie scheint jedoch im Kontrast zu dieser Einschätzung zu stehen: Die mehrheitliche Zufriedenheit der Parlamentarier mit Mandat und der Wunsch nach einer erneuten Kandidatur wäre bei angenommener Wirkungslosigkeit nur schwer nachvollziehbar[74], wobei das Motiv der Besitzstandswahrung hier durchaus eine Rolle spielen könnte.
Es stellt sich nach allem die Frage, ob man tatsächlich von einem Bedeutungsverlust des Parlaments sprechen kann? Sarcinelli zufolge sind der Bedeutungsrückgang und der politisch-institutionelle Ansehensverlust des Parlaments nicht zu übersehen. Beide Entwicklungen hingen unter anderem zusammen mit „dem Gewicht der Regierung als Ort der politischen Initiative und Führung zusammen sowie mit der schwer vermittelbaren Arbeitswirklichkeit eines Gremienparlaments“.[75]
Wenn man davon ausgeht, dass das Parlament nicht nur gesetzgeberisches und Kontrollorgan, sondern auch politisch gestaltendes Institution sein soll, eine Arena und ein Aushandlungsforum, dann lässt sich durchaus ein Bedeutungsverlust konstatieren, und zwar aufgrund eines schleichenden strukturellen Wandels des politischen Aushandlungsprozesses.
Julia von Blumenthal spricht von einer „Auswanderung aus den Verfassungsinstitutionen“, die der Verfassung im Grundsatz widerspreche, denn dort seien solche Runden in ihrer Rolle als Mitentscheider nicht vorgesehen, vielmehr auf informeller Basis. Das Phänomen, Kommissionen und Konsensrunden mit dem Ziel einzusetzen, zu vernünftigen politischen Sachlösungen zu gelangen, sei nicht neu.[76] Faktisch jedoch führt eine wachsende Anzahl von Kommissionen aus verfassungsrechtlicher Sicht zur weitgehenden Verlagerung von Entscheidungen in einen nicht demokratisch legitimierten Bereich außerhalb des Parlaments, das seinerseits zu einem Ort der Informalisierung werde. Repräsentative Demokratie basiere jedoch darauf, dass die Entscheidungen der gewählten Inhaber eines öffentlichen Amtes zurechenbar sind. Diese Zurechenbarkeit werde durch die wachsende Zahl von informellen Gremien unterwandert, auch wenn diese im Idealfall einen breiten Konsens schaffen könnten. Dass Konsensrunden potentiell für die Vermeidung von Konflikten sorgen, muss meines Erachtens nicht als Vorzug gelten, wenn man davon ausgeht, dass Konflikte in Bezug auf ausstehende Entscheidungen und bei der Bewältigung komplexer Probleme zu erwarten und faktisch als Grundlage und Ausgangspunkt demokratische Regierungsmodelle charakterisieren.
Beides jedoch – Kommissionen wie Konsensrunden – erweise sich Blumenthal folgend als problematisch im Hinblick auf die Zuordenbarkeit politischer Verantwortung als Grundprinzip repräsentativer Demokratien. Des Weiteren gefährdeten die zusätzliche Beteiligung von Interessengruppen an den Konsensrunden und Kommissionen das demokratische Prinzip der gleichberechtigten Partizipation an politischen Entscheidungen, da sie eine zweifache Chance erhielten.[77] Allein das Recht des Parlaments, an letzter Stelle eine Entscheidung zu treffen, sichere hier ein Mindestmaß an politischer Verantwortung.[78]
Der ehemalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker merkt an, die Regierungen seien stärker und die Parlamente insbesondere auf Landesebene schwächer geworden, Gesetzesentscheidungen verlagerten sich schrittweise nach oben. Die Bundesregierung sehe sich innerhalb des verhandlungsdemokratischen Rahmens verstärkt mächtigen gesellschaftlichen Interessengruppen gegenüber, die zwar verfassungsdemokratisch nicht legitimiert seien, aber dennoch einen großen Teil von Entscheidungen beeinflussen. Für die Parlamente sei es schwer, etwas gegen diese Entwicklungen zu unternehmen, obgleich sie nicht daran gehindert würden, selbst Themen zu vertiefen, Sachverständige zu hören und die Themen und das Niveau der Debatten zu mitzubestimmen. Ein Grundproblem sei vor allem die erforderliche Langfristigkeit und Langwierigkeit von Problemlösungen, für deren Umsetzung oft mehr als nur eine Legislaturperiode erforderlich ist. Politik habe die Aufgabe, „das langfristig Notwendige kurzfristig mehrheitsfähig zu machen“. Dazu bedürfe es gewaltiger Überzeugungskraft und großen Mutes. Gegenwärtig werde der Mut nur allzu oft durch gleichmacherische Vorsicht ersetzt.[79] Auch Oberreuter bemerkt dazu: „Wenn die Zahl der Abgeordneten zunimmt, die im kurzfristigen, überschaubaren und mit konkreten Erfolgserlebnissen unterfütterten Engagement in Wahlkreis- und Wählerinteressen mehr Befriedigung finden als in der Auseinandersetzung mit komplexen Problemen und Herausforderungen, verliert das Parlament […] an Substanz.“[80]
Hans-Jürgen Papier, Präsident des Bundesverfassungsgerichts, konstatiert ebenfalls einen Bedeutungsverlust und eine wachsende Entparlamentarisierung unter anderem aufgrund von Machtverschiebungen weg vom Parlament hin zum Bundesrat, der als eine Art zweite Parlamentskammer und Ersatzopposition fungiere, sowie die Übertragung von Kompetenzen auf die Ebene der Europäischen Union. Nicht zuletzt hält auch Papier die wachsende Zahl der Kommissionen und Sachverständigengremien für ein öffentlich wenig beachtetes Gefährdungspotential. Es gebe kaum ein aktuelles Politikfeld ohne derartige staatlich-gesellschaftlich Kooperationen. Ein verfassungsrechtlich bedeutsames Argument gegen den bestimmenden und sich offenbar zunehmend normalisierenden Einfluss von Expertengremien auf eine Vielzahl von Sachentscheidungen des Parlaments ist ihre Verortung außerhalb des verfassungsmäßigen Verfahrens der politischen Willensbildung.[81] Nicht zuletzt deshalb verliert das Parlament seine Bedeutung als politische „Gestaltungsmacht“, wie Papier es ausdrückt. Politische Richtlinien entscheiden sich de facto nicht mehr im Parlament, sondern außerhalb.
Werner Bramke schildert diesbezüglich als Abgeordneter eines Landesparlaments seine Enttäuschungen in Bezug auf dessen gestaltende Rolle:
„[Mein Verständnis als Abgeordneter bestand darin], Demokratie durch Verstärkung der Parlamentsarbeit auch mit öffentlicher Wirkung zu zeigen, so dass demokratische Willensbildung wirklich sichtbar wird. Das heißt aber, dass die Parlamente zu dem entscheidenden Ort – auch im Land – grundlegender politischer Auseinandersetzungen werden. Das ist zu wenig. […] Das Land kämpft zu wenig darum, die Bereiche, die es hat, auszugestalten.
Dann habe ich es von der Gestaltung verstanden, wirklich auch demokratische Prinzipien in der Praxis der Parlamentsarbeit umzusetzen. Und hier erlitt ich mehrere regelrechte Schocktherapien.“[82]
Papier hält auch den Bedeutungsverlust des Bundestages für zum großen Teil selbstverschuldet und argumentiert ähnlich wie von Weizsäcker: „Nichts hindert die Abgeordneten, ihr repräsentatives Mandat effektiv wahrzunehmen und den ihnen übertragenen Amtsauftrag wieder mit Substanz zu füllen.“ Es bleibt offen, warum dies offenbar nicht geschieht und was die Abgeordneten an der Nutzung ihrer parlamentarischen Rechte hindert. Diese Frage soll ebenfalls in die Interviews mit den Bundestagsabgeordneten einfließen.
1.5. Der Abgeordnete im Parlament
Da die Fraktionen im Bundestag die dominierende Rolle einnehmen, bleiben dem Abgeordneten als einzelnem Mitglied des Parlaments faktisch und zahlenmäßig nur wenige Befugnisse. Initiativen und Vorschläge von Abgeordneten artikulieren sich letztlich über die Willensbildung und Themensetzung in den Fraktionen.
Wolfgang Ismayr konstatiert, der einzelne Abgeordnete könne Erklärungen abgeben, Einzelfragen zur schriftlichen und mündlichen Beantwortung stellen, Änderungsanträge zu den Gesetzesentwürfen einbringen und sich an Aussprachen und Abstimmungen beteiligen. Prinzipiell bedürften aber laut den Paragraphen 75 und 76 der Geschäftsordnung des Bundestages sämtliche Vorlagen einzelner Abgeordneter der Zustimmung und Unterstützung einer Fraktion oder einer entsprechenden Mindestanzahl von Abgeordneten.[83]
Oberreuter und Kranenpohl konstatieren, das Repräsentationsgewerbe des Abgeordneten, also seine Integrationsleistung als Mandatsträger, habe sich in den vergangenen Jahren – was die Verteilung der Arbeitsbereiche betrifft – nicht geändert.[84] Der Kontext, in dem der Abgeordnete sich bewegt, engt ihn jedoch zusehends ein. In der Parlamentsreform von 1980 beispielsweise sieht Oberreuter „ein hinderliches Korsett“ für einen lebendigen Parlamentarismus. Er konstatiert: „Zur kleinlichen Verrechtlichung des parlamentarischen Prozesses und zur Entmächtigung der Individualität des einzelnen Abgeordneten hätte es durchaus Alternativen gegeben, denen sich der Bundestag […] jedoch verweigert hat.“[85]
Ein umfassender gesellschaftlicher Wandel und die großen politischen Herausforderungen erschweren unter dem Erwartungsdruck der Bevölkerung langfristige vernünftige Lösungsangebote. Genau genommen müssten sich das von Oberreuter so genannte Repräsentationsgewerbe des Abgeordneten und mit ihm das Parlament auf die sich wandelnden Rahmenbedingungen einstellen. Fraglich bleibt freilich, in welcher Form das geschehen kann.
Was das freie Mandat betrifft, so sichert es streng und formal betrachtet die Verantwortlichkeit des einzelnen Abgeordneten bei jeder Entscheidung. Schütt-Wetschky bemerkt, der Charakter des freien Mandats werde bisweilen missverstanden: Es gehe gerade nicht darum, dass jeder Abgeordnete beliebig schalten und walten könne, sondern seine Vorschläge innerhalb eines zustimmungs- und mehrheitsabhängigen Rahmen einzubringen habe. Das sei Bestandteil der Demokratie in Form des Mehrheitsprinzips. Die Frage nach einer Alternative zur Problematik von potenziell handlungsfähigerer Mehrheit und handlungsbeschränkter Parlamentsminderheit wird immer wieder gestellt. Es gebe dazu keine vernünftige Alternative – ein freiheitliches demokratisches System zu bejahen, bedeute eben auch, die Möglichkeit zu akzeptieren, dass für die eigene Überzeugung keine Mehrheit zu gewinnen ist.[86]
In dieser gelegentlich missachteten Gesetzmäßigkeit des demokratisch verfassten politischen Systems liegt ein Kernproblem, dem Politiker heute gegenüberstehen: Minderheiten haben inzwischen viel weiterreichende Möglichkeiten, sich öffentlich zu artikulieren und sich in politische Debatten einzubringen. Eine wachsende Anzahl von sich artikulierenden Interessen erschwert naturgemäß das Aushandeln von politischen Beschlüssen. Ein Teil der beschriebenen Ohnmacht liegt in diesem Dilemma begründet.
[...]
[1] Vgl. Döpfner, Mathias (2004), „Politik geht baden. Über die Boulevardisierung des Politischen – und schuld sind wieder die Medien? Eine Widerrede“, Welt am Sonntag, Nr. 20 vom 16. Mai 2004.
[2] Zitiert nach Borchers, Andreas (1998), Wahl ’98: Im Hohen Haus regiert der Durchschnitt, Stern Online, <http://www.wz-berlin.de/~wessels/Downloads/Stern/abgeordnete.html>, Zugriff am 10. Dezember 2004, S. 3.
[3] Zitiert nach Krieger, Joachim Edward (1998), Rollenorientierungen, Rollenerwartungen und Rollenverhalten von Ost-Abgeordneten im Deutschen Bundestag: eine empirische Untersuchung, Frankfurt am Main, S. 327.
[4] Vgl. Lasch, Hendrik (2003), „Die Ohnmacht des Abgeordneten. PDS-Politiker legt Landtagsmandat nieder“, in: Neues Deutschland vom 8. Januar 2003.
[5] Vgl. Scheer, Hermann (2003), Die Politiker, München, hier S. 9.
[6] Peter Altmaier, zitiert nach Borchers 1998.
[7] Vgl. Kister, Kurt (2004), „Der öffentliche Politiker“, in: Süddeutsche Zeitung vom 14. Januar 2005.
[8] Einer aktuellen Studie zufolge wird Fachkompetenz als eine der wichtigsten Fähigkeiten für die politische Elite angesehen. Die Mitglieder des Bundestags, die sich zur politischen Elite zählen, sehen sich selbst jedoch nicht so: Nur 7 Prozent sind der Ansicht, tatsächlich fachkompetent zu sein. 40 Prozent verstehen sich als Medienpolitiker. Vgl. Bruns, Werner u. a. (2004), Heidelberger Elitestudie 2004, Heidelberg, S. 6.
[9] Vgl. Becker, Joachim (2001), Zumutungen der Macht: Die Mühsal der politischen Ebene, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen, Heft 4/2001, S. 784-797, hier S. 789.
[10] Vgl. Scheer, S. 12.
[11] Vgl. Patzelt, Werner J. (1996), Deutschlands Abgeordnete: Profil eines Berufsstandes, der weit besser ist als sein Ruf, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen, Heft 3/1996, S. 462-502, hier S. 480.
[12] Vgl. Scheer, S. 9.
[13] Oskar Niedermayer zitiert nach Lachmann, Günther (2004), „Deutschland wird eine labile Demokratie’“, in: Welt am Sonntag vom 5. September 2005.
[14] Vgl. Patzelt, Werner J. (1995), Abgeordnete und ihr Beruf. Interviews – Umfragen – Analysen, Berlin, S. 287 ff.
[15] Vgl. Arnim, Hans Herbert von (2001), Das System. Die Machenschaften der Macht, München.
[16] Leinemann, Jürgen (2004), Höhenrausch. Die wirklichkeitsleere Welt der Politiker, München.
[17] Scheer, Hermann (2003), Die Politiker, München.
[18] Vgl. Herzog, Dietrich (1990), Abgeordnete und Bürger. Ergebnisse einer Befragung der Mitglieder des 11. Deutschen Bundestages und der Bevölkerung, Opladen, S. 9 f.
[19] Vgl. ebd., S. 61 ff.
[20] Vgl. ebd. S. 110 ff.
[21] Vgl. Kaina, Viktoria (2001), Zumutungen der Macht: Möglichkeiten und Grenzen politischer Führung. Zeitschrift für Parlamentsfragen, Heft 4/2001, S. 794-811.
[22] Ebd., S. 807.
[23] Ebd., S. 808.
[24] Vgl. ebd.,, S. 808.
[25] Vgl. ebd., S. 808 f.
[26] Vgl. ebd., S. 810.
[27] Vgl. ebd., S. 811.
[28] Vgl. ebd., S. 800.
[29] Vgl. ebd., S. 811.
[30] Vgl. Bruns, Werner u. a. (2004), Heidelberger Elitestudie 2004, Heidelberg, S. 1.
[31] Ebd.
[32] Ebd., S. 5 f.
[33] Vgl. ebd., S. 21.
[34] Vgl. ebd., S. 29.
[35] Vgl. ebd., S. 2.
[36] Ebd.
[37] Vgl. Best, Heinrich; Edinger, Michael u. a. (2004a), Deutsche Abgeordnetenbefragung 2003/2004, Zwischenauswertung des Gesamtergebnisses, Jena, <http://www.sfb580.uni-jena.de>, Zugriff am 2. Dezember 2004, S. 3.
[38] Vgl. ebd., S. 5.
[39] Vgl. Best, Heinrich; Edinger, Michael u. a. (2004b), Politik als Beruf und Berufung, Redemanuskript für die Präsentation der Ergebnisse der Deutschen Abgeordnetenbefragung im Deutschen Bundestag am 15. Dezember 2004, Jena, <http://www.sfb580.uni-jena.de>, Zugriff am 5. Januar 2005, S. 7.
[40] Vgl. Best, Heinrich 2004a, S. 6.
[41] Ebd.
[42] Ebd., S. 7.
[43] Ebd., S. 9.
[44] Weber, Max (1992), 1919: Politik als Beruf, Stuttgart, S. 82.
[45] Vgl. Papier, Hans-Jürgen (2003), Reform an Haupt und Gliedern. Eine Rede gegen die Selbstentmachtung des Parlaments, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 31. Juli 2003. Vgl. hierzu auch Abschnitt 1.4.2, der sich mit der Problematik des Bedeutungsverlusts des Parlaments befasst, S. 23.
[46] Vgl. Arnim, Hans-Herbert von (2000), Vom schönen Schein der Demokratie, München, S. 26 f.
[47] Das Konzept von Repräsentation nach Hannah F. Pitkin, bei Kaina, S. 795.
[48] Bei Krieger, Rollenorientierungen, S. 44.
[49] Ebd., S. 46.
[50] Vgl. Kaina, S. 802.
[51] Ebd., S. 811.
[52] Vgl. Papier, Reform an Haupt und Gliedern.
[53] Vgl. Kaina, S. 796.
[54] Vgl. Schütt-Wetschky, Eberhard (1991), Der freie Volksvertreter: Illusion oder Wirklichkeit? Zur Kritik der Lehre vom „Parteienstaat“, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 21-22/1991, S. 15-23, hier S. 15.
[55] Vgl. ebd.
[56] Vgl. Schütt-Wetschky (1991), Der freie Volksvertreter, S. 16.
[57] Vgl. Oberreuter, Heinrich (2002), Parlamentarismus in der Bundesrepublik Deutschland: eine Bilanz, in: ders. [Hrsg.], Der deutsche Bundestag im Wandel: Ergebnisse neuerer Parlamentarismusforschung, 2. Auflage, Wiesbaden, S.303-320, hier S. 309.
[58] Vgl. hierzu Ismayr, Wolfgang (2001), Parteien in Bundestag und Bundesregierung, in: Gabriel, Oscar; Niedermayer Oskar; Stöss, Richard [Hrsg.], Parteiendemokratie in Deutschland, Bonn/Berlin, S. 360-384.
[59] Vgl. Raschke, Joachim (1992), Das Unbehagen der Parteien. Ein Blick auf die dauerhaften Ursachen, in: Gewerkschaftliche Monatshefte, 9/92, S. 523-530, hier S. 524.
[60] Oberreuter u. a., Bundestag, S. 21.
[61] Ismayr, Parteien, S. 383.
[62] Oberreuter, Parlamentarismus, S. 310.
[63] Vgl. Ismayr 2001, S. 363.
[64] Vgl. Oberreuter u. a., S. 21.
[65] Vgl. Oberreuter, Heinrich (1984), Legitimation durch Kommunikation. Zur Parlamentarismusforschung in der Bundesrepublik, in: Falter, Jürgen W. (Hrsg.), Politische Willensbildung und Interessenvermittlung, Opladen, S. 238-253, hier S. 238.
[66] Vgl. Oberreuter u. a., Der Deutsche Bundestag, S. 9.
[67] Vgl. Best 2004b, S. 13.
[68] Ismayr, Parteien, S. 383.
[69] Oberreuter u. a., S. 10.
[70] Vgl. ebd., S. 11.
[71] Vgl. Weizsäcker, Richard von (1999), Das parlamentarische System auf dem Prüfstand, Stuttgart, S. 19.
[72] Vgl. Oberreuter, Parlamentarismus, S. 310 f.
[73] Vgl. Best, 2004b, S. 12.
[74] Vgl. Best 2004a, S. 6.
[75] Vgl. Sarcinelli 2003, S. 42.
[76] Blumenthal, Julia von (2003), Auswanderung aus den Verfassungsinstitutionen. Kommissionen und Konsensrunden, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 43/2003, S. 9-15, hier S. 9.
[77] Vgl. ebd., S. 10 f.
[78] Vgl. ebd., S. 15.
[79] Weizsäcker, Richard von (2003), „Standhalten, wo man weglaufen will. Der Spaßgesellschaft zum Trotz: Wer Politik als Berufung versteht, ist nicht altmodisch“, in: Die Zeit, Ausgabe 10/2003.
[80] Oberreuter, Heinrich (1996), Beruf und Bild des Abgeordneten im Wandel, in: ders. [Hrsg.], Die Abgeordneten: Stellung, Aufgaben und Selbstverständnis in der parlamentarischen Demokratie, München, S. 15-24 hier S. 22.
[81] Vgl. Papier 2003, Reform an Haupt und Gliedern.
[82] Expertengespräch Werner Bramke am 17. Februar 2005 in Leipzig, Anlage 2, S. 3, Z. 31-40.
[83] Vgl. Ismayr, Parteien, S. 362 f.
[84] Vgl. Oberreuter, Heinrich; Kranenpohl, Uwe; Sebaldt, Martin (2002), Der Deutsche Bundestag: Konstanz und Wandel eines Parlaments. Zur Einführung, in: Oberreuter, Heinrich [Hrsg.], Der deutsche Bundestag im Wandel: Ergebnisse neuerer Parlamentarismusforschung, 2. Auflage, Wiesbaden, S. 7-26, hier S. 12.
[85] Oberreuter, Legitimation, S. 244.
[86] Vgl. Schütt-Wetschky, Volksvertreter, S. 22.
- Citar trabajo
- M.A. Sabine Krätzschmar (Autor), 2005, Zwischen Macht und Ohnmacht - Eine Untersuchung des Repräsentationsdefizits von Parteien am Beispiel des Gestaltungsspielraums von Bundestagsabgeordneten, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/44854
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