Immigration prägt schon seit den 1950er Jahren das soziale und gesellschaftliche Leben in Deutschland und Schweden. Der Höhepunkt der sogenannten Flüchtlingskrise im Jahr 2015 löste jedoch heftige Debatten über die Integration der Asylsuchenden aus. Der hohe Anteil von Minderjährigen forderte vor allem die nationalen Bildungs- und Schulsysteme heraus.
Mit welchen Maßnahmen werden geflüchtete Schülerinnen und Schüler im jeweiligen Schulsystem integriert? Wie erfolgreich sind diese Vorgehensweisen? Sebastian Nickel beantwortet diese Fragen mithilfe eines Vergleichs zwischen dem deutschen und dem schwedischen Schulsystem.
Unterschiedliche Zuständigkeiten von Behörden sowie ein Mangel an finanziellen Mitteln und geschulten Fachkräften erschweren sowohl in Schweden als auch in Deutschland die Integration durch Bildung in der realen Praxis. Nickel gibt praktische Handlungsempfehlungen.
Aus dem Inhalt:
- Flüchtlingskrise;
- Integration;
- Bildungssystem;
- Einwanderungsland;
- Immigration
Inhaltsverzeichnis
Danksagung
Abkürzungsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Aufbau der Arbeit
1.2 Thematische Abgrenzung der Arbeit
2 Thematische Grundlagen
2.1 Allgemeine Definitionen zum Thema Migration, Flucht und Asyl
2.2 Darstellung der gegenwärtigen Asylsituation
2.3 Darstellung der Schulsysteme
2.4 Der Integrationsbegriff
3 Vergleich: Die Integration Geflüchteter im deutschen & schwedischen Schulsystem
3.1 Darstellung der Vorgehensweise
3.2 Die strukturelle Integration geflüchteter Schülerinnen und Schüler
3.3 Die kulturelle Integration geflüchteter Schülerinnen und Schüler
3.4 Die soziale Integration geflüchteter Schülerinnen und Schülern
3.5 Die emotionale Integration geflüchteter Schülerinnen und Schüler
4 Zusammenfassung
5 Analyse und Handlungsempfehlungen
5.1 Wertung der aufgezeigten schulischen Maßnahmen
5.2 Handlungsempfehlungen für die schulische Integration
6 Kritische Würdigung und Reflexion des Arbeitsergebnisses
Literaturverzeichnis
Anhang
Danksagung
An dieser Stelle möchte ich mich bei all denjenigen bedanken, die mich für das Thema dieser Masterarbeit inspiriert und bis zu deren Fertigstellung in jeglicher Form unterstützt und motiviert haben.
Zuerst gebührt mein aufrichtiger Dank Frau Prof. Dr. Miriam Vock sowie Frau Dr. Andrea Westphal, die diese Masterarbeit betreut und begutachtet haben. Für die hilfreichen Anregungen und die konstruktive Kritik zur Erstellung dieser Arbeit möchte ich mich recht herzlich bedanken.
Des Weiteren gebührt ein besonderer Dank der Marks Gymnasieskola im schwedischen Skene, welche mir durch ein viermonatiges Auslandspraktikum wertvolle Erfahrungen und Einblicke in das schwedische Schulsystem gewährte. Vor allem meiner Mentorin Dörte Frantz möchte ich für ihre professionelle sowie private Betreuung meine Verbundenheit aussprechen.
Ebenfalls möchte ich mich bei meiner Kommilitonin und Freundin Kristin Koschade bedanken, die mir während des gesamten Studiums mit starkem Rückhalt und Verlässlichkeit zur Seite stand. Vielen Dank für die schöne gemeinsame Studienzeit und diese besondere Freundschaft.
Abschließend ist es mir ein Bedürfnis, meiner Familie für ihre Unterstützung in jeglicher Form zu danken. Ich danke meinen Eltern Kerstin und Detlef Nickel, die mir das Studium ermöglicht haben, stets ein offenes Ohr für meine Sorgen hatten und mich ermutigten weiterzumachen. Darüber hinaus danke ich meiner Schwester Franziska Kroop, die mir oft als Vorbild diente und mir mit Rat und Tat half, mich weiterzuentwickeln. Vielen Dank für Alles.
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Aufbau des deutschen Bildungssystems
Abbildung 2: Steuerung des schwedischen Schulsystems
Abbildung 3: Aufbau des schwedischen Schulsystems
Abbildung 4: Darstellung zum gewählten methodischen Aufbau des Vergleichs
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Die zehn zugangsstärksten Staatszugehörigkeiten von Asylsuchenden
Tabelle 2: Asylanträge von Minderjährigen 2015 - 2017 in Deutschland
Tabelle 3: Die zehn zugangsstärksten Staatszugehörigkeiten von Asylsuchenden 2014 - 2017 in Schweden
Tabelle 4: Asylanträge von Minderjährigen 2015 - 2017 in Schweden
Tabelle 5: Angebot des Muttersprachenunterrichts in Deutschland nach Bundesland, Stand März 2018
1 Einleitung
Immigration prägt das soziale und gesellschaftliche Leben in Deutschland und Schweden. Seit den 1950er Jahren begünstigten grundlegende wirtschaftliche und sozialpolitische Veränderungen in beiden Staaten, die Entwicklung hin zu jenen modernen Einwanderungsnationen von heute. Jedoch wurde diese Entwicklung in beiden Staaten politisch sowie gesellschaftlich jahrzehntelang höchst unterschiedlich wahrgenommen (Jelic, 2018). Folglich begegnete man dem Thema der Immigration mit teils sehr unterschiedlichen Handlungskonzepten und Rahmenbedingungen auf legislativer und institutioneller Ebene im Sozialsystem. Die Gründe, Motive und zeitlichen Phasen der Immigration, sowie die damit verbundenen Herausforderungen für die jeweiligen Sozialsysteme, gestalten sich in beiden Staaten bis heute dennoch meist ähnlich. Insbesondere die Immigration von Asylsuchenden bzw. Geflüchteten stellt für die sozialen Systeme beider demokratischer Sozialstaaten seit jeher eine große und allgegenwärtige Herausforderung dar.
Das Jahr 2015, als Höhepunkt der so genannten „ Flüchtlingskrise “ in Europa, löste in Deutschland und Schweden allseits heftige Debatten darüber aus, wie man angesichts der massiven Immigration von Asylsuchenden die Integration und Aufrechterhaltung sozialer Systemstandards gewährleisten könne. Der überproportional hohe Anteil von Minderjährigen unter den Asylsuchenden bedurfte zusätzlich die Einhaltung weiterer Rechtsverbindlichkeiten, die vor allem die nationalen Bildungs- und Schulsysteme in den politischen Betrachtungs- und Handlungsfokus der „ Flüchtlingskrise “ rückten. Fragen nach der Zuständigkeit von Behörden und Ämtern, eine vielerorts unklare Organisationsstruktur, fehlende finanzielle Mittel und geschulte Fachkräfte, mangelnde Erfahrungswerte sowie fehlende Gesetzesregelungen erschwerten maßgeblich die vom Staat angestrebte Integration durch Bildung in der realen Praxis. „Ja!“ zu Integration von geflüchteten Schülerinnen und Schülern - jedoch nur „Wie?“.
Auf diese aktuelle Debatte und Problemsituation bezieht sich der bildungswissenschaftliche Schwerpunkt der vorliegenden Masterarbeit. Mithilfe eines gegenüberstellenden Vergleichs des deutschen und schwedischen Schulsystems soll verallgemeinernd aufgezeigt werden, wodurch und wie erfolgreich geflüchtete Schülerinnen und Schüler im jeweiligen nationalen Schulsystem integriert werden. Zur Beantwortung dieser übergeordneten Leitfrage, baut die Arbeit auf detaillierte Teilfragen auf, deren einzelne Bearbeitung zum Gesamtforschungsergebnis beiträgt. Ziel dieser Arbeit ist es, die Systemrahmenbedingungen beider Bildungssysteme bezüglich der Integration von geflüchteten Schülerinnen und Schülern vergleichend gegenüberzustellen und auf der Grundlage der aufgezeigten Stärken und Herausforderungen mögliche Handlungsempfehlungen für die jeweiligen Staaten auszusprechen bzw. die Vorgehensweisen kritisch zu würdigen.
1.1 Aufbau der Arbeit
Um einen allgemeinen und verständlichen Schulsystemvergleich unter Anbetracht der Leitfrage zu ermöglichen, ist es zunächst unabdingbar, die aktuellen Rahmenbedingungen und -inhalte spezifisch darzustellen.
Im folgenden Kapitel der Arbeit werden deshalb sämtliche thematischen Grundlagen aufbereitet. Zum Einstieg werden wichtige Begrifflichkeiten zum Thema Asyl und Flucht definiert und voneinander abgegrenzt. Die Darstellung der aktuellen Asylsituation in Deutschland und Schweden veranschaulicht die gegenwärtige Entwicklung und die damit einhergehenden Herausforderungen für die nationalen Schulsysteme. Anschließend wird der Aufbau und die Organisationsstruktur der Schulsysteme erläutert. Eine kurze Auseinandersetzung mit dem Integrationsverständnis Deutschlands und Schwedens sowie die Beschreibung der Integrationsebenen im schulischen Kontext bilden den inhaltlichen Übergang zum Hauptteil der Arbeit.
Im dritten Kapitel erfolgt der Schulsystemvergleich bzgl. der Integration von geflüchteten Schüler/n/innen. Zunächst werden die strukturellen bzw. rechtlichen Rahmenbedingungen zum Schulbesuch von Geflüchteten gegenübergestellt. Anschließend erfolgt die Betrachtung zur kulturellen Integration im Schulsystem. Unter diesem Punkt wird insbesondere auf die Bedeutung der Sprachförderung und Wertearbeit eingegangen. Die Teilhabe von Geflüchteten am sozialen und außerunterrichtlichen Schulleben wird unter dem Punkt der sozialen Integration betrachtet. Abschließend werden die schulischen Angebote und Maßnahmen aufgeführt, welche es den geflüchteten Schüler/n/innen ermöglichen, sich auf emotionaler Ebene mit dem Schul- und Gesellschaftssystem zu identifizieren. Alle Ergebnisse werden im vierten Kapitel zusammengefasst und gegenüberstellend miteinander verglichen. Anschließend werden die Stärken und Schwächen beider Schulsysteme im Anbetracht der praktizierten Integration von geflüchteten Schülerinnen und Schülern offengelegt und abschließend kritisch reflektiert.
1.2 Thematische Abgrenzung der Arbeit
Der im Fokus stehende Schulsystemvergleich bezüglich der Integration von geflüchteten Schülerinnen und Schülern in Deutschland und Schweden wird von teils konträren Systemrahmenbedingungen und Ausgangslagen bestimmt. Darüber hinaus zieht sich die inhaltliche Auseinandersetzung der Forschungsarbeit über drei große Themenfelder: Bildung - Migration - Politik. Diese drei Themenfelder sind jedoch eng mit der Forschungsfrage: „ Wodurch und wie erfolgreich werden geflüchtete Schülerinnen und Schüler im jeweiligen nationalen Schulsystem integriert?“ verbunden. Zur Beantwortung dieser Frage ist es daher wichtig, inhaltliche Schnittstellen zu erfassen, diese gezielt zu komprimieren und dabei unterschiedliche Vergleichsausgangslagen aufeinander abzustimmen.
Aufgrund der oben genannten Rahmenbedingungen, können die Ergebnisse der Forschungsarbeit oftmals nur verallgemeinernd und hypothetisch dargestellt werden. Beispielsweise kann das föderale Bildungssystem Deutschlands, aus methodischen Gründen, nicht absolut differenziert betrachtet werden. Besondere Einzelfälle werden jedoch ausgewiesen. Inwiefern die Integration in der realen Schulpraxis tatsächlich vollzogen wird, kann mit dieser Arbeit nicht überprüft werden. Des Weiteren werden enge inhaltliche Themenschnittstellen teilweise für relevante Schlussfolgerungen herangezogen. So beeinflussen bildungspolitische Maßnahmen zur Integration von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund ebenfalls den Schulalltag von geflüchteten Schülerinnen und Schülern.
Diese Arbeit verfolgt nicht den Anspruch, die Thematik absolut wiederzugeben. Dennoch ermöglicht der facettenreiche Schulsystemvergleich interessante Einblicke in eine aktuelle bildungspolitische Problemsituation. Die Darstellung, wie das deutsche und schwedische Schulsystem auf die Herausforderungen der Integration von Geflüchteten reagieren, liefert Anregungen dazu, die bestehenden bildungspolitischen Maßnahmen kritisch zu reflektieren.
2 Thematische Grundlagen
2.1 Allgemeine Definitionen zum Thema Migration, Flucht und Asyl
Die Beweggründe, weshalb Menschen ihre Heimat verlassen und in ein anderes Land immigrieren, sind höchst unterschiedlich. Der Ab- und Zuwanderungsprozess, bei dem Menschen ihren festen Wohnsitz ändern, wird im gesellschaftlichen Kontext als Migration verstanden (Oswald, 2013). Das internationale Völkerrecht zieht jedoch eine klare begriffliche Trennlinie zwischen jenen Menschen, die aufgrund bestimmter und definierter äußerer Einflüsse zur Flucht gezwungen werden - Flüchtlinge - oder Menschen, die aus eigenem Antrieb auf der Suche nach besseren Lebensperspektiven ihr Land verlassen - Migranten - (BMZ, 2018).
Der erste Artikel der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) von 1951 begründet bis heute die internationale Definition zum rechtstellenden Status von Geflüchteten. Demnach gilt ein Flüchtling als eine Person, die:
[...] aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen will. (UNHCR, 1951, S. 6)
Die Definition der GFK bildet zumeist auch die Grundlage für die nationale Bearbeitung eines Asylverfahrens. Dieses Verfahren überprüft, ob eine solche Verfolgung vorliegt. Innerhalb der Europäischen Union erweitert die Regelung zum subsidiären Schutz die Definition der GFK um die Furcht vor Folter, der Todesstrafe oder bewaffneten Konflikten (BMZ, 2018). Auf nationaler Rechtsebene gelten alle Immigranten, die um Asyl bitten, als Asylbewerber bzw. Asylsuchende. Erst eine erfolgreiche Anerkennung des Asylantrags begründet den nationalen Flüchtlingsstatus des Asylberechtigten, welcher wiederum eigenen nationalen Gesetzen und Rechtsansprüchen unterliegt. Die Definition und alle Rechtsansprüche der GFK als grundlegende Verordnung bleiben jedoch unberührt. Minderjährigen Flüchtlingen werden bis zu ihrer Volljährigkeit, unabhängig ihres Asylstatus, besondere Schutzprivilegien und Rechtsansprüche zugesprochen, die auf Beschlüssen der UN-Kinderkonvention beruhen (Bourgonje, 2010).
2.2 Darstellung der gegenwärtigen Asylsituation
Deutschland und Schweden haben sich binnen der letzten sieben Jahrzehnte zu modernen Einwanderungsgesellschaften entwickelt. Immer wieder waren beide Staaten dabei das maßgebliche Immigrationsziel von Asylsuchenden. Insbesondere die 1980er sowie die frühen 1990er Jahre stellen markante Phasen der Asyleinwanderung dar (Statista, 2018c; Statistiska Centralbyrån, 2015). Das Jahr 2015 bildete den zahlenmäßigen Höhepunkt der aktuellen Einwanderungsphase von Asylsuchenden. Beide Länder nahmen in diesem Zeitraum in Europa die meisten Asylsuchenden auf (Swiaczny & Ette, 2016). Nachfolgend wird die aktuelle Asylsituation in Deutschland und Schweden erläutert.
2.2.1 Darstellung der Asylsituation in Deutschland
Aktuell lässt sich von der vierten Phase der Asyleinwanderung nach Deutschland sprechen. Während die Gesamtanzahl der Asylanträge von 1995 (166.000) bis 2008 (28.000) stark rückläufig war, stieg die Anzahl aller Asylanträge seit 2010 wieder zunehmend stark an. Im Zeitraum von 2010 bis 2014 wurden insgesamt 510.000 Asylanträge gestellt. Allein im Jahr 2015 beantragten in Deutschland 477.000 Personen Asyl (Statista, 2018c). Die Behörden sahen sich jedoch mit der problematischen Situation konfrontiert, dass im gleichen Jahr mehr als 1.090.000 Geflüchtete nach Deutschland immigrierten (BAMF, 2016b). Ein Großteil der Geflüchteten konnte deshalb erst im Folgejahr 2016 einen verzögerten Asylerstantrag bei den Behörden stellen. Dementsprechend hoch war die Zahl der 745.000 eingereichten Asylanträge im Jahr 2016 (Statista, 2018c). Die Anzahl der einreisenden Asylsuchenden war 2016 bereits wieder um mehr als 70% zurückgegangen und ist seitdem weiterhin rückläufig (BAMF, 2018a).
Im Vergleich zu den vorherigen Phasen der Asylimmigration nach Deutschland, hat sich die Herkunft aus den Regionen der Asylsuchenden verändert (Swiaczny & Ette, 2016). Innerhalb der aktuellen Einwanderungsphase stammen die Asylsuchenden jedoch häufig aus der gleichen Herkunftsregion bzw. den gleichen Herkunftsländern. Die Länder des Nahen - und Mittleren Ostens, Afrikas und des Balkans bilden derzeit die Hauptherkunftsstaaten der meisten Asylsuchenden in Deutschland (BAMF, 2018a). Die Tabelle 1 zeigt die Hauptherkunftsländer von Asylsuchenden in Deutschland von 2014 bis 2017. Die Anzahl der gestellten Asylanträge wird für die zehn zugangsstärksten Staatszugehörigkeiten für jedes Jahr separat ausgewiesen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 1: Die zehn zugangsstärksten Staatszugehörigkeiten von Asylsuchenden
2014 - 2017 in Deutschland
Quelle: Bearbeitete Darstellung (BAMF, 2018a)
Geflüchtete aus Syrien stellen die zahlenmäßig größte nationale Gruppe der Asylsuchenden in Deutschland dar. 2015/ 16 wurden 37% aller Asylanträge von Syrern gestellt. Afghanen bildeten 2015/16 mit einem Anteil von ca. 18% die zweitgrößte Zuwanderergruppe der Asylsuchenden. Die drittstärkste Zuwanderungsgruppe wird 2015/16 durch Asylsuchende aus dem Irak begründet. Es lässt sich die Entwicklungstendenz erkennen, dass die Asylzuwanderung aus Afrika weiterhin zunimmt, während die Zuwanderung aus Asien leicht zurückgehen wird (vgl. BAMF, 2018a).
Die Entwicklung der Geschlechts- und Altersverteilung der Asylsuchenden ist im Zeitraum der letzten Jahre, mit nur wenigen Ausnahmen, weitestgehend konstant geblieben (BAMF, 2016b; Statista, 2018a; Statista, 2018b). 60% aller Asylbewerber der letzten drei Jahre sind männlichen Geschlechts. Die 18 - 25 Jährigen stellten mit einem prozentualen Anteil von 25% bis 2017 die zugangsstärkste Altersgruppe der Asylsuchenden dar, dicht gefolgt von der Altersgruppe der 25 - 30 Jährigen (BAMF, 2017b). Viele eingewanderte Asylbewerber waren bzw. sind minderjährig. Der jährliche Gesamtanteil aller minderjährigen Asylsuchenden in Deutschland lag im Zeitraum von 2015 bis 2017 bei durchschnittlich 35%. Die Altersverteilung der minderjährigen Asylsuchenden kann für diesen Zeitraum der Tabelle 2 (Seite 11) entnommen werden.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 2: Asylanträge von Minderjährigen 2015 - 2017 in Deutschland
Quelle: Eigene Darstellung nach (BAMF 2016b, 2017b; Statista, 2018a)
Die absolute Anzahl der Asylanträge in Deutschland ist seit 2016 stark zurückgegangen. Der prozentuale Anteil der Asylanträge von Minderjährigen ist im Gegensatz dazu jedoch stark gestiegen. Neugeborene von Asylbewerbern erhalten den gleichen rechtlichen Aufenthaltsstatus wie ihre Eltern (BAMF, 2018b). Der starke Anstieg der Asylanträge der unter Vierjährigen wird somit nicht durch einen Migrationsprozess bewirkt, sondern wird durch einen natürlichen Geburtenzuwachs hervorgerufen. Im Zeitraum von 2015 bis 2017 befanden sich insgesamt 199.656 der 463.965 Asylantrag stellenden Kinder in einem schulpflichtigen Alter von 6 bis 16 Jahren.
Eine besondere Gruppe unter den Asylantrag stellenden Minderjährigen sind jene Kinder, die ohne ihre Eltern oder einen gesetzlichen Vormund nach Deutschland einreisen. 2015 stellten 22.225 Unbegleitete Minderjährige Asylsuchende (UMA) einen Asylantrag. In den Folgejahren 2016 und 2017 stellten 35.939 bzw. 8.107 unbegleitete Minderjährige einen Asylantrag (BAMF, 2017b). Im Zeitraum 2015 - 2017 sind demzufolge durchschnittlich 15% aller Minderjährigen ohne eine Begleitperson nach Deutschland eingereist.
Die Verteilung der Asylberechtigten auf die einzelnen 16 Bundesländer wird durch das Beurteilungsverfahren des so genannten Königssteiner Schlüssels bestimmt. Der Anteil aller Asylberechtigten, den ein Bundesland aufnehmen muss, bemisst sich zu zwei Drittel an dessen Steueraufkommen und zu einem weiteren Drittel an dessen Bevölkerungszahl. Demnach nehmen gegenwärtig Nordrhein-Westfalen (21%), Bayern (16%) und Baden-Württemberg (13%) die meisten Flüchtlinge auf. Wie die Bundesländer die zugewiesenen Flüchtlinge auf die einzelnen Landkreise und Gemeinden verteilen, richtet sich nach der Verfügbarkeit von benötigtem Wohnraum und den Kapazitäten der sozialen Infrastruktur (BAMF, 2017a).
2.2.2 Darstellung der Asylsituation in Schweden
Wie Deutschland erlebte auch Schweden im Jahr 2015 einen enormen Anstieg der Asylbewerberzahlen. Doch anders als es in Deutschland der Fall war, stieg die Anzahl der Asylbewerbungen in Schweden bereits seit 1995 wieder zunehmend an. Nur im Zeitraum von 2003 bis 2005 sowie im Jahr 2007 kam es zu einem leichten Rückgang der Asylbewerberzahlen. Die Asyleinwanderungsphasen sind im Falle Schwedens daher auch schwerer voneinander abzugrenzen. Seit 2011 stieg die Zahl der Asylbewerbungen in Schweden sprunghaft an und erreichte ihren Höhepunkt ebenfalls im Jahr 2015 (Statistiska Centralbyrån, 2015). Während im Jahr 2014 noch 81.301 Asylsuchende in Schweden einen Asylantrag stellten, so waren es im Folgejahr 2015 bereits doppelt so viele Asylbewerber (Migrationsverket, 2015, 2016). 2016 ging die Zahl der Asylbewerber bereits wieder um mehr als das Fünffache zurück und ist seitdem weiterhin rückläufig (Migrationsverket, 2017, 2018). Die Anzahl der Asylbewerber kann für den Zeitraum 2015 - 2017 der Tabelle 4 (Seite 13) entnommen werden.
Die meisten Asylbewerber in Schweden stammen aus Ländern des Nahen - und Mittleren Ostens, Westafrikas oder des Balkans. Allerdings lässt sich für die jährliche Entwicklung der zugangsstärksten Staatszugehörigkeiten eine differenzierbare Einwanderungsdynamik erkennen. Syrer bilden, wie in Deutschland, seit 2014 jährlich die zugangsstärkste Gruppe der Asylbewerber. Im Zeitraum von 2015/16 waren Afghanen die zweitzugangsstärkste Asylbewerbergruppe, gefolgt von Asylsuchenden aus dem Irak, Eritrea bzw. Somalia (Migrationsverket, 2016, 2017). Die zehn zugangsstärksten Staatszugehörigkeiten von Asylsuchenden in Schweden können für den Zeitraum 2014 bis 2017 der Tabelle 3 entnommen werden.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 3: Die zehn zugangsstärksten Staatszugehörigkeiten von Asylsuchenden 2014 - 2017 in Schweden
Quelle: Eigene Darstellung nach (Migrationsverket, 2015, 2016, 2017, 2018)
Die Geschlechterverteilung der Asylsuchenden in Schweden ist im Zeitraum von 2014 bis 2017 weitestgehend konstant geblieben. 70% aller Asylbewerber waren männlichen Geschlechts. Die jährliche Altersverteilung der Asylsuchenden unterliegt im gleichen Zeitraum größeren Veränderungen. Im Jahr 2015 bildeten Minderjährige im Alter von 13 bis 17 Jahren die zahlenmäßig stärkste Altersgruppe unter den Asylsuchenden (24%). In den Folgejahren 2016 und 2017 stellten die 25 - 34 Jährigen (Ø23%) sowie die 18 - 24 Jährigen (Ø15%) die zahlenmäßig stärkste bzw. zweitstärkste Altersgruppe dar (Migrationsverket, 2015, 2016, 2018). Dennoch ist für die Asyleinwanderung nach Schweden festzuhalten, dass sich unter den Asylsuchenden vergleichsweise viele Kinder befinden (siehe Tabelle 4).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 4: Asylanträge von Minderjährigen 2015 - 2017 in Schweden
Quelle: Eigene Darstellung nach (Migrationsverket, 2016, 2017, 2018)
Im Jahr 2015 wurden 70.383 aller 162.877 Asylanträge in Schweden von Kindern gestellt. Dies entspricht einem relativen Anteil von 43,2%. Die Hälfte aller asylsuchenden Kinder, die 2015 nach Schweden einwanderten, waren unbegleitete Minderjährige (UMA). Zwei Drittel der unbegleiteten Minderjährigen stammten aus Afghanistan. Es handelte sich dabei fast ausschließlich um männliche Jugendliche im Alter von 13 bis 17 Jahren (Migrationsverket, 2016). Die Einwanderung von UMAs stellte die schwedischen Behörden vor eine große, jedoch keineswegs unbekannte Herausforderung. Schon in den Jahren zuvor, registrierte Schweden einen signifikanten Anstieg der Asylbewerbungen von unbegleiteten Minderjährigen (Migrationsverket, 2015).
Die Verteilung der Asylberechtigten auf eine der 290 Kommunen richtete sich lange Zeit nach dem verfügbaren Wohnraum vor Ort. Ländliche Regionen mit verfügbarem Wohnraum, jedoch schlechten Integrationspotenzialen, nahmen bisher viele Flüchtlinge auf. Seit 2018 schreibt die schwedische Regierung anhand einer festen Quotenreglung vor, wie viele Flüchtlinge jede Kommune aufnehmen und ins soziale Versorgungssystem integrieren muss (Expressen, 2017).
2.3 Darstellung der Schulsysteme
Nachfolgend wird die Steuerungs- und Organisationsstruktur des deutschen und schwedischen Schulsystems dargestellt. Dabei wird vordergründig auf den Geltungsbereich, die Funktionsmechanismen sowie den formalen Aufbau der einzelnen Instanzen im Schulsystem eingegangen. Gesetzliche Regelungen und Maßnahmen, welche den Schulalltag von (geflüchteten) Schülerinnen und Schülern bestimmen, werden bis zum Vergleich im Hauptteil (3.) zurückgehalten.
2.3.1 Das deutsche Schulsystem
Nach Art. 7. Abs. 1 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland steht das gesamte Schulsystem unter Aufsicht des Staates. Die Verantwortung für das Schulsystem wird damit auf die föderalstaatliche Ebene der einzelnen Bundesstaaten bzw. Bundesländer übertragen. Diese Verantwortungsübertragung führt dazu, dass sämtliche Entscheidungen zum Schulsystem dem jeweiligen Landesparlament als Gesetzesgeber vorbehalten sind. Demnach existieren in Deutschland sechzehn verschiedene Schulsysteme, die sich in ihrem Aufbau, ihren Verordnungen und ihren Lehrumsetzungen mehr oder weniger stark voneinander unterscheiden (Döbert, 2010).
Die Verwaltungsebenen der Schulsysteme sind jedoch meist ähnlich strukturiert. An oberster Stelle der deutschen Schulsysteme steht das jeweilige Landesparlament des Bundeslandes. Zur Steuerung des Schulsystems bestehen unterschiedliche Kontroll- und Verwaltungsinstanzen auf mehreren Institutionsebenen. Das Kultusministerium steht an der Spitze der Bildungsverwaltung. Im Einflussbereich des Kultusministeriums liegen folgende, zusammengefasste Bereiche (Döbert, 2010):
- Bestimmung des Bildungs- und Erziehungsauftrages der Schule
- Planung und Gestaltung der Organisationsstruktur des Schulsystems
- Normierung der Bildungs- & Lernziele durch Rahmenlehrpläne
- Festlegung zentraler Leistungs- und Bewertungsstandards
- Ordnung der Schulpflicht und des Schulverhältnisses
- Zulassung von Lehrmitteln
Die Schulaufsichtsbehörde ist dem Kultusministerium unterstellt. Sie umfasst die Fachaufsicht über die Unterrichts- und Erziehungsarbeit der Schule, die Rechtsaufsicht über die kommunalen Schulträger und die Dienstaufsicht über das pädagogische Personal (Döbert, 2010).
Träger der meisten öffentlichen Bildungseinrichtungen sind die Bundesländer und Gemeinden. Finanziert werden die Bildungseinrichtungen durch den Bund, das Bundesland, den Landkreis oder die Gemeinde. Dies ist vom Zuständigkeitsbereich oder Verwendungszweck der Fördermittel abhängig. Eine gemeinsame Finanzierung zu unterschiedlichen Anteilen ist ebenfalls möglich (Döbert, 2010).
Alle sechzehn Bildungssysteme in Deutschland lassen sich strukturell in vier Teilbereiche einteilen: Elementarbereich - Primarbereich - Sekundarbereich I - Sekundarbereich II. Die Schulpflicht von mindestens neun bzw. zehn Jahren bezieht sich nur auf den Besuch einer Primarschule - Grundschule - sowie auf den Besuch einer weiterführenden Schule im Sekundarbereich I. Der Besuch des vorschulischen Elementarbereichs sowie des weiterbildenden Sekundarbereich II ist in allen Bundesländern freiwillig (Döbert, 2010).
Zum Elementarbereich zählen Einrichtungen für Kinder, welche die vorschulische Betreuung aller noch nicht schulpflichtigen Kinder übernehmen. Es obliegt dem Bund im vorschulischen Bereich Gesetze zur Kinder- und Jugendhilfe zu erlassen. Seit August 2013 wird bundesweit jedem Kind mit der Vollendung seines ersten Lebensjahres ein Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz in einer Kindertagesstätte gewährt (Deutscher Familienband, 2017). Es ist die Aufgabe der Länder, dieses Gesetz umzusetzen und die Kommunen als Träger der Kindertagesstätten dabei zu unterstützen. Die vorschulische Betreuung ist kostenpflichtig und freiwillig. Aufgrund dessen kann der Elementarbereich als kein integrierter Bestandteil der deutschen Schulsysteme angesehen werden (Döbert, 2010).
Ab dem Alter von sechs Jahren besuchen alle Kinder die Grundschule. Sie stellt die erste institutionelle Ebene der allgemeinen Schulpflicht dar. Die Grundschule umfasst die Jahrgangsstufen 1 bis 4, in Berlin und Brandenburg die Jahrgangsstufen 1 bis 6. In der Regel erhalten die Schülerinnen und Schüler ab der dritten Klasse eine Beurteilung ihrer schulischen Leistung in Form von Noten. Der Übergang in eine weiterführende Schule des anschließenden Sekundarbereich I ist mit einem frühzeitigen Selektionsprozess verbunden, welcher für den weiteren Bildungsweg bestimmend ist. In allen Bundesländern gibt die Grundschule eine Empfehlung für den Besuch einer weiterführenden Schulform ab. Maßgebend hierfür sind die schulischen Leistungen sowie das prognostizierte Entwicklungspotenzial eines Schülers bzw. einer Schülerin. Mit dem Schulabschlusszeugnis bewerben sich alle Viert- bzw. Sechstklässler/innen eigenständig bei einer weiterführenden Schule ihrer Wahl. Allerdings gestalten sich die Aufnahme und Probeverfahren nach Land, Schule und Schulform unterschiedlich (Döbert, 2010).
Der Sekundarbereich I stellt die zweite institutionelle Bereichsebene der allgemeinen Schulpflicht dar. Je nach Bundesland gestaltet sich diese Ebene zwei- bis fünfgliedrig. Die verschiedenen Schulformen (siehe Abbildung 1, Seite 17) unterscheiden sich in ihren allgemeinen Ansprüchen bzw. Bildungszielen und bieten den Lernenden, je nach Jahrgang des Schulabschlusses, die Erlangung unterschiedlicher Schulabschlüsse. Demzufolge wird der Schulbesuch im Sekundarbereich I von einer inhaltlichen Differenzierung und den daraus resultierenden Selektionsprozessen zwischen den Schulformen stark geprägt (Döbert, 2010).
Trotz der vielen verschiedenen Schulformen in Deutschland, sind die Schulabschlüsse bundesweit einheitlich. Mit dem erfolgreichen Abschluss der neunten Klasse erhalten die Schüler/-innen aller Schulformen automatisch den Hauptschulabschluss. Nach der zehnten Klasse wird der nächsthöchste Schulabschluss erlangt - die Mittlere Reife. Die Haupt- und Realschule führen die Schüler maximal bis zum mittleren Schulabschluss. Die Schulabsolventen können im Anschluss eine duale Berufsausbildung beginnen oder ihre Schullaufbahn im Sekundarbereich II an einer Gesamtschule mit gymnasialer Oberstufe oder am Gymnasium fortsetzen. Das Gymnasium ist die einzige Schulform, die sich in allen sechzehn Schulsystemen etabliert hat. Diese Schulform führt die Schüler/-innen nach einer insgesamt zwölf- bzw. dreizehnjährigen Schullaufbahn zum höchsten deutschen Schulabschluss - dem Abitur. Die Absolventen erhalten somit die allgemeine Hochschulreife, welche den Zugang zu höherer Bildung ermöglicht. Alle Bildungsabschlüsse können im Bereich der Erwachsenenbildung kostenfrei an Abendschulen oder Berufskollegs nachgeholt werden (Döbert, 2010).
Für Kinder und Jugendliche, die am Unterricht in den allgemeinbildenden Schulformen, aufgrund von psychischen oder physischen Lernbeeinträchtigungen, nicht teilnehmen können, bestehen Sonder- und Förderschulen in allen Bundesländern. Im Zuge von gesellschaftlichen und bildungspolitischen Inklusionsbestrebungen sollen Kinder mit Lernbeeinträchtigungen jedoch vermehrt in Regelschulen untergebracht werden. Dies soll durch die Bereitstellung von ausgebildeten Sonder- oder Sozialpädagogen zunehmend realisiert werden (Döbert, 2010).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Aufbau des deutschen Bildungssystems
Quelle: Bearbeitete Darstellung aus (Döbert, 2010, S. 203)
2.3.2 Das schwedische Schulsystem
Das schwedische Bildungswesen unterliegt dem nationalen Verantwortungsbereich des schwedischen Reichstages - Riksdag - und dessen Regierung. Das Bildungsministerium - Utbildningsdepartement - beaufsichtigt alle privaten und staatlichen Bildungseinrichtungen im Land. Zusätzlich erstellt das Ministerium das nationale Schulgesetz - skollag - sowie den für alle Schulen verbindlichen Rahmenlehrplan - läroplan. Diese zwei Dokumente bilden die rechtliche Basis des zentral gesteuerten-, jedoch seit 1991 kommunal verwalteten Schulsystems Schwedens (Claesson & Werler, 2010).
Während das skollag die Grundverordnung für Schulen und Vorschulen sowie die Rechte und Pflichten von Kindern festhält, bezieht sich der läroplan auf die Einhaltung von Unterrichtsstandards und die Erfüllung von kompetenzorientierten Unterrichtszielen (Utbildningsdepartementet, 2010). Die weitreichende Schulautonomie auf kommunaler Ebene bietet den Schulen dabei einen großen Freiraum zur eigenen Unterrichtsgestaltung. Die Kommunen sind Träger für alle Schulformen. Dies beinhaltet, dass sie Arbeitgeber des gesamten Schulpersonals sind und für dessen Weiterbildung die Verantwortung übernehmen. Die Finanzierung, Organisation, Entwicklung und Bestandsaufnahme soll in einem kommunalen Schulplan festgelegt werden. Aus dem Plan sollen insbesondere die Maßnahmen hervorgehen, welche die Gemeinde verfolgt, um die landesweit geltenden Zielsetzungen für die Schule zu erreichen. Die Schulen erarbeiten abschließend einen lokalen Arbeitsplan, um sämtliche Vorgaben zu erfüllen (Claesson & Werler, 2010).
Als Bindeglied zwischen der kommunalen Schulebene und der nationalen Legislative fungiert die staatliche Schulbehörde - Skolverket. Das Skolverket kann als qualitätsprüfende Kontrollinstanz angesehen werden. Die Ergebnisse der Schulinspektionen und der nationalen Vergleichsprüfungen des Skolverkets werden über jede einzelne Schule veröffentlicht. Auf der Basis dieser Evaluationsverfahren verfügt das Skolverket auch über monetäre Steuerungsinstrumente. Die zuständigen Kommunen oder einzelnen Schulen können somit zusätzliche Fördermittel erhalten, um die Ziele und Vorgaben einzuhalten oder akute Problemsituationen zu bewältigen (Claesson & Werler, 2010). Die folgende Abbildung 2 veranschaulicht die soeben dargelegte Organisationsstruktur des schwedischen Schulsystems.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Steuerung des schwedischen Schulsystems
Quelle: Eigene Darstellung nach Claesson & Werler, 2010
Die von der bürgerlich-konservativen Regierung zu Beginn der 1990er Jahre verfolgte Liberalisierungspolitik veränderte die Organisationsstruktur des schwedischen Bildungswesens grundlegend. Die Neustrukturierungen markieren einen Wendepunkt in der sozialdemokratischen Bildungslandschaft Schwedens. Das lange Zeit prägende Leitkonzept „ Eine Schule für alle “ wurde schrittweise durch individualisierende Konzepte erweitert bzw. verändert. Dennoch spiegelt sich diese sozialdemokratische Idee des schwedischen Wohlfahrtstaates noch bis heute im Aufbau seines nationalen Schulsystems wider (Claesson & Werler, 2010).
Das schwedische Schulsystem ist eingliedrig organisiert, jedoch innerlich differenziert und setzt sich derzeit aus drei einzelnen Schulstufen zusammen: Vorschule (3 Jahre) - Grundschule (9 Jahre) - Gymnasium (3 Jahre). Eine klassische Einteilung in Primar- und Sekundarbereich ist daher nicht vornehmbar. Das skollag gewährt allen Personen das Recht auf kostenfreie Bildung im gesamten Schulsystem (Utbildningsdepartementet, 2010). Darüber hinaus wird ebenfalls die allgemeine Schulpflicht vom siebten bis zum sechzehnten Lebensjahr festgelegt. Jene neunjährige Schulpflicht umfasst damit den Besuch der allgemeinen Grundschule - grundskola- von Klasse 1 bis 9. Der Besuch der weiterführenden gymnasieskola oder eines vorbereitenden Kindergartens - förskola - obliegt bisher der freiwilligen Entscheidung (Claesson & Werler, 2010) . Ab August 2018 wird der Besuch der einjährigen Vorschulklasse - förskoleklass - zum obligatorischen Bestandteil der Schulausbildung. Folglich wird das Schuleintrittsalter auf sechs Jahre herabgesetzt, die bisherige Schulpflicht um ein Jahr verlängert und der Verantwortungsbereich der vorschulischen Bildung erweitert (Skolverket, 2018b).
Die Gemeinde ist dazu verpflichtet, allen Kindern ab dem ersten Lebensjahr einen kostenfreien Platz in der förskola zur Verfügung zu stellen. In dieser Kindertagesstätte werden die Kinder auf das spätere, gemeinschaftliche Lernen vorbereitet. In der öppen förskola (offene Vorschule) oder im familjedaghem (Familientagesbetreuung) kann dies auch in elterlicher Kooperation geschehen. Die ab August 2018 obligatorische förskoleklass wird von allen Kindern ab dem sechsten Lebensjahr besucht. Sie stellt dann die erste institutionelle Einheit der bestehenden Schulpflicht dar. Sie bildet jedoch lediglich einen schulvorbereitenden Übergang zwischen förskola und anschließender grundskola (Claesson & Werler, 2010) .
Die grundskola wird von allen Kindern und Jugendlichen gemeinsam bis zur neunten Klasse besucht. Es besteht eine freie Schulwahl. Der Unterricht erfolgt im Klassenverband mit einzelnen individuellen Fächerwahlverfahren. Ziele der grundskola sind die Vermittlung von grundlegenden Fähigkeiten und Kenntnissen sowie die Schaffung eines respektvollen, gesellschaftlichen Miteinanders. Die obligatorische Einheitsschule gliedert sich nochmals in eine Unter-, Mittel- und Oberstufe. Schulnoten werden erst in der Oberstufe, ab der achten Klasse vergeben. Sofern die grundskola erfolgreich abgeschlossen wurde, wird ein Abschlusszeugnis erstellt, das den Zugang zur freiwilligen Sekundärbildung ermöglicht (Claesson & Werler, 2010).
Fast alle Schüler und Schülerinnen in Schweden besuchen nach der Pflichtschule das dreijährige Gymnasium - gymnasieskola. Die gymnasieskola ist in 17 Ausbildungsprogramme organisiert. Diese nationalen Ausbildungsprogramme sind entweder berufsbezogen oder studienvorbereitend, verfolgen jedoch alle das Ziel, eine spezialisierte Grundausbildung zu vermitteln und zu einer Hochschulberechtigung zu führen. Die Schülerinnen und Schüler erhalten insgesamt eine größtmögliche Wahlmöglichkeit, was den Inhalt der eigenen Ausbildung betrifft. Kompetenzkurse können nach eigenem Interesse belegt werden. Neben den spezialisierten Programmen mit festgeschriebenen Mindeststundenzahlen bestehen auch Pflichtunterrichtskurse wie Schwedisch, Mathematik oder Englisch. Fast alle Schüler schließen die gymnasiale Ausbildung vor Vollendung des 20. Lebensjahres erfolgreich ab. Das Wiederholen einer Klasse ist in Schweden unüblich (Claesson & Werler, 2010).
Jene Schülerinnen und Schüler, welche die grundskola oder gymnasieskola binnen der geltenden Altersgrenzen ohne abschließende Qualifikation beenden, haben die Möglichkeit ihren gleichwertigen Schulabschluss im Bereich der kommunalen Erwachsenenbildung - KOMVUX- kostenlos nachzuholen. Schülerinnen und Schüler, die aufgrund von psychischen oder physischen Lernbeeinträchtigungen nicht die drei Formen der Regelschule besuchen können, werden auf allen drei Schulebenen in spezialisierten Sonderschulen - särskola - beschult (Claesson & Werler, 2010). Die folgende Abbildung 3 veranschaulicht den soeben dargelegten Aufbau des schwedischen Schulsystems.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3: Aufbau des schwedischen Schulsystems
Quelle: Eigene Darstellung nach Claesson & Werler, 2010
2.4 Der Integrationsbegriff
2.4.1 Allgemeine Begriffsdefinition
Der Integrationsbegriff wird im Alltag sehr unterschiedlich verwendet. Im allgemeinen Verständnis versteht man unter Integration die Eingliederung in ein System, die Herstellung einer Einheit aus einzelnen Bestandteilen oder die Fähigkeit einer Einheit, den Zusammenhalt der Bestandteile auf Grundlage gemeinsamer Werte und Normen zu sichern. Aufgrund dieser Bandbreite des Integrationsbegriffes bietet die Wissenschaft keine einheitliche Definition. Integration wird jedoch entweder als Prozess, als Funktion oder als Ziel verstanden (Böhmer, 2009).
Im gesellschaftlichen Kontext bedeutet Integration zumeist, dass kulturell oder anderweitig verschiedene Personen und Gruppen gleichberechtigt in das Sozialgefüge der Mehrheitsgesellschaft aufgenommen werden (Böhmer, 2009). Dies bezieht sich insbesondere auf die Teilhabe von Zuwanderern am sozialen und gesellschaftlichen Leben. Durch gesellschaftliche, politische und historische Einflussfaktoren, wird der Integrationsbegriff auf nationaler Ebene unterschiedlich definiert und bewertet. Eine Gegenüberstellung der Begriffsdefinitionen der schwedischen Einwanderungsbehörde - Migrationsverket - und des deutschen Bundesamts für Migration und Flüchtlinge - BAMF- verdeutlicht dies:
Integration ist beides - ein Ziel und ein Prozess. Für den Einzelnen ist Integration ein Lebensprojekt, das von eigenen Zielen und Bedingungen abhängt. Die Integration ermöglicht es auch, einzelne Teile zu einem größeren Ganzen zu vereinigen. Der Zugewanderte muss eine Strategie finden, um einer neuen Gemeinschaft beizutreten, ohne seine kulturelle oder ethnische Identität zu verletzen.
(übersetzt aus dem Schwedischen; Migrationsverket zitiert nach: Abusagr, 2007, S. 3)
Integration ist ein langfristiger Prozess. Sein Ziel ist es, alle Menschen, die dauerhaft und rechtmäßig in Deutschland leben, in die Gesellschaft einzubeziehen. Zugewanderten soll eine umfassende und gleichberechtigte Teilhabe in allen gesellschaftlichen Bereichen ermöglicht werden. Sie stehen dafür in der Pflicht, Deutsch zu lernen sowie die Verfassung und die Gesetze zu kennen, zu respektieren und zu befolgen. (BAMF, 2018c)
Die Einwanderungspolitik und die damit verbundene Leitvorstellung zur gesellschaftlichen Eingliederung prägten das heutige Integrationsverständnis Deutschlands und Schwedens. Seit Mitte der 1970er Jahre verfolgte Schweden eine äußerst liberale Einwanderungspolitik und verankerte dabei zugleich auch die Integration von Einwanderern auf der legislativen Ebene (Alioska, 2011). Währenddessen stand man in Deutschland der Zuwanderung eher kritisch gegenüber und hielt vorerst weiterhin an einer eher starren Assimilationspolitik fest (Jelic, 2018).
Vergleicht man die Definitionen miteinander, so fällt demzufolge auf, dass das schwedische Integrationsverständnis eher individualistisch geprägt ist. Im Gegensatz dazu ist das Integrationsverständnis in Deutschland eher normorientiert und kollektivistisch ausgerichtet. Beide Definitionen gleichen sich jedoch in dem Punkt, dass Integration als Ziel und Prozess verstanden wird. Esser (2000) unterteilt diesen zielführenden Prozess in vier Teilebenen: die strukturelle-, kulturelle-, soziale- und emotionale Integration. Diese vier Teilebenen werden nun auf den schulischen Kontext und auf die Integration von geflüchteten Schülerinnen und Schülern bezogen und näher erläutert.
2.4.2 Die vier Integrationsebenen nach Esser im schulischen Kontext
Bildung wird allgemein als integrationsfördernd wahrgenommen. Die Institution der Schule steht somit in der direkten Verantwortung für die Umsetzung von Integration durch Bildung. Esser (2000) betrachtet die Institution der Schule daher selbst als einen bedeutsamen Teil der strukturellen Integration in die Gesellschaft. Im weiteren Kontext wird die Institution der Schule jedoch als übergeordnetes System betrachtet, in welches die geflüchteten Schülerinnen und Schüler integriert werden.
Die strukturelle Integration umfasst die gesetzlichen, organisatorischen und finanziellen Rahmenbedingungen (Esser, 2000), welche einen direkten Einfluss auf den Schulbesuch von geflüchteten Schülerinnen und Schülern ausüben. Demzufolge findet die strukturelle Integration im schulischen Kontext zunächst auf der legislativen Ebene der Bildungsministerien statt. Unter Beachtung der bestehenden Rechts- und Gesetzesgrundlage, obliegt es der nationalen Bildungspolitik frei darüber zu entscheiden, wie die strukturelle Integration von geflüchteten Schülerinnen und Schülern gestaltet wird. Das Bildungsministerium verabschiedet Gesetze, wie und in welchem Rahmen asylsuchende Kinder ihr Recht auf Bildung wahrnehmen können. Somit umfasst die strukturelle Integration die rechtliche Legitimation und praktische Realisierung des eigentlichen Schulbesuches von Geflüchteten (El-Mafaalani & Toprak, 2017).
Die kulturelle Integration bezieht sich auf die Vermittlung von Sprachkenntnissen und die Förderung eines soziokulturellen Werteverständnisses (Esser, 2000). Für die schulische Entwicklung von geflüchteten Schülerinnen und Schülern sind diese beiden Aspekte der kulturellen Integration von hohem Stellenwert. Das Erlernen von gesellschaftlichen Werten und der Landessprache ermöglicht es den Schülerinnen und Schülern mit Fluchthintergrund zudem, sich besser im Schulalltag sowie darüber hinaus zurechtzufinden (El-Mafaalani & Toprak, 2017).
Die Teilebene der sozialen Integration bezieht sich auf die Herstellung von sozialen Kontakten und der Interaktion mit einem festen, sozialen Umfeld (Esser,
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- Citation du texte
- Sebastian Nickel (Auteur), 2019, Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Deutschland und Schweden. Vergleich der Schulsysteme und Handlungsempfehlungen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/444888
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