Das Thema Kultur in der Literatur zur Rational Choice Theorie scheint ein Tabu zu sein. Vorgeblich zugunsten schlanker Theorien wird auf die Einbeziehung des Faktors der Kultur auf rationale Entscheidungsprozesse von nutzenmaximierenden Akteuren verzichtet und nur das stark vereinfachte Menschenbild des Homo Oeconomicus dargestellt. Es stellt sich unvermittelt die Frage, ob die Einbeziehung der Variable „Kultur“ überhaupt durchführbar ist oder ob Theorien dadurch zu komplex und durch die verschiedensten kulturellen Erklärungsmöglichkeiten nicht mehr falsifizierbar werden. In dieser Hausarbeit möchte ich gezielt an diesem Aspekt arbeiten und die Rolle der Kultur in der wissenschaftlichen Literatur zu Rational Choice darstellen. Angesichts der Bedeutung, die dem Nutzen in der Rational Choice Theorie zukommt, beispielsweise in der Spieltheorie, soll genauer auf den Punkt eingegangen werden, welchen Einfluss die Kultur auf die individuellen Präferenzen des Akteurs hat und wie sie sich damit auf den persönlichen Nutzen auswirkt. In dieser Arbeit möchte ich herausfinden, wie die Variable „Kultur“ in die Rational Choice Theorie einbezogen werden kann und ob dies überhaupt möglich ist.
In der Definition von Kultur möchte ich mich auf Hartmut Esser beziehen, der Kultur wie folgt definiert: „Unter Kultur versteht man - ganz allgemein - die erlernten oder sonstwie angeeigneten, über Nachahmung und Unterweisung tradierten, strukturierten und regelmäßigen, sozial verbreiteten und geltenden Gewohnheiten, Lebensweisen, Regeln, Symbolisierungen, Wert- und Wissensbestände der Akteure eines Kollektivs, einschließlich der Arten des Denkens, Empfindens und Handelns“ (Esser 2001: IX). „Rational Choice Theorie“ möchte ich an dieser Stelle nicht definieren, da die Grundlagen derselben im folgenden Kapitel besprochen werden.
Diese Hausarbeit ist in zwei Teile gegliedert: Der erste Teil beschäftigt sich mit der Rational Choice Theorie im Allgemeinen, was allerdings aufgrund des begrenzten Platzes verkürzt dargestellt wird. Durch das Unterkapitel 2.2., „Die harte und die weiche Variante der Rationalität“, wird eine Überleitung zum zweiten Teil, der sich mit der Rolle der Kultur in der Rational Choice Theorie beschäftigt, hergestellt.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die Rational Choice Theorie
2.1. Grundlagen
2.1.1. Die Rationalität des Individuums
2.1.2. Die Nutzenmaximierung
2.1.3. Der Universalitätsanspruch
2.2. Die harte und die weiche Variante der Rationalität
3. Kultur in der Rational Choice Theorie
3.1. Kultur als abhängige und als unabhängige Variable
3.2. Kulturelles Framing
3.3. Wertrationalität
3.4. Ausgewählte Beispiele
3.4.1. Anatol Rapoports ethische Systeme
3.4.2. Milton Friedmans „rationale Blätter“
4. Schlussbetrachtung
5. Literatur
1. Einleitung
Das Thema Kultur in der Literatur zur Rational Choice Theorie scheint ein Tabu zu sein. Vorgeblich zugunsten schlanker Theorien wird auf die Einbeziehung des Faktors der Kultur auf rationale Entscheidungsprozesse von nutzenmaximierenden Akteuren verzichtet und nur das stark vereinfachte Menschenbild des Homo Oeconomicus dargestellt. Es stellt sich unvermittelt die Frage, ob die Einbeziehung der Variable „Kultur“ überhaupt durchführbar ist oder ob Theorien dadurch zu komplex und durch die verschiedensten kulturellen Erklärungsmöglichkeiten nicht mehr falsifizierbar werden. In dieser Hausarbeit möchte ich gezielt an diesem Aspekt arbeiten und die Rolle der Kultur in der wissenschaftlichen Literatur zu Rational Choice darstellen. Angesichts der Bedeutung, die dem Nutzen in der Rational Choice Theorie zukommt, beispielsweise in der Spieltheorie, soll genauer auf den Punkt eingegangen werden, welchen Einfluss die Kultur auf die individuellen Präferenzen des Akteurs hat und wie sie sich damit auf den persönlichen Nutzen auswirkt. In dieser Arbeit möchte ich herausfinden, wie die Variable „Kultur“ in die Rational Choice Theorie einbezogen werden kann und ob dies überhaupt möglich ist.
In der Definition von Kultur möchte ich mich auf Hartmut Esser beziehen, der Kultur wie folgt definiert: „Unter Kultur versteht man – ganz allgemein – die erlernten oder sonstwie angeeigneten, über Nachahmung und Unterweisung tradierten, strukturierten und regelmäßigen, sozial verbreiteten und geltenden Gewohnheiten, Lebensweisen, Regeln, Symbolisierungen, Wert- und Wissensbestände der Akteure eines Kollektivs, einschließlich der Arten des Denkens, Empfindens und Handelns“ (Esser 2001: IX). „Rational Choice Theorie“ möchte ich an dieser Stelle nicht definieren, da die Grundlagen derselben im folgenden Kapitel besprochen werden.
Diese Hausarbeit ist in zwei Teile gegliedert: Der erste Teil beschäftigt sich mit der Rational Choice Theorie im Allgemeinen, was allerdings aufgrund des begrenzten Platzes verkürzt dargestellt wird. Durch das Unterkapitel 2.2., „Die harte und die weiche Variante der Rationalität“, wird eine Überleitung zum zweiten Teil, der sich mit der Rolle der Kultur in der Rational Choice Theorie beschäftigt, hergestellt. Im zweiten Teil finden sich dann diesbezüglich genauere Ausführungen: Zunächst wird die „Kultur als unabhängige und als abhängige Variable“ vorgestellt, danach den vor allem von Hartmut Esser geprägten Begriff des „Kulturellen Framings“ und schließlich die klassische Diskussion der „Wertrationalität“ von Max Weber. In den Beispielen „Anatol Rapoports ethische Systeme“ und „Milton Friedmans ‚rationale Blätter’“ sollen dann zunächst die praktischen kulturellen Unterschiede verschiedener politischer Systeme verdeutlicht, anschließend eine theoretische Überlegung aus der Wissenschaftstheorie zu einer Lösung des Dilemmas „Kultur in der Rational Choice Theorie“ beitragen. In der Schlussbetrachtung möchte ich die Ergebnisse zusammenfassen und zu einer abschließenden Beurteilung kommen.
2. Die Rational Choice Theorie
2.1. Grundlagen
Grundsätzlich existiert nicht „die eine“ Rational Choice Theorie, es gibt eine ganze Reihe unterschiedlicher Abwandlungen. In dieser Arbeit sollen aufgrund dieser Theorienvielfalt nur die grundlegenden und unter Rational Choice Theoretikern unstrittigen Aspekte zur Sprache kommen (vergleiche Green / Shapiro 1999). Die Bausteine der Rational Choice Theorie sind zunächst nach Andreas Diekmann (Diekmann / Voss 2004: 15) die Folgenden:
1. Den Ausgangspunkt bilden Akteure,
2. Diese verfügen über Ressourcen (bzw. handeln unter Restriktionen), haben Präferenzen und können demgemäß zwischen mindestens zwei Alternativen wählen.
3. Die Theorie enthält eine Entscheidungsregel, die angibt, welche
Handlung ein Akteur ausführen wird.
Das Ziel der Rational Choice Theorien ist es, kollektive Phänomene aus individuellem Handeln zu erklären. Das Interessante daran ist, dass die ursprünglich aus der Ökonomie stammende Theorie zunehmend auch in den Sozial- und Politikwissenschaften Anwendung fand und zuerst in den USA, zunehmend aber auch in Europa, immer mehr Anhänger findet und ein großer Anteil der veröffentlichten wissenschaftlichen Artikel und Theorien inzwischen auf den Annahmen von Rational Choice beruhen. Obwohl die Rational Choice Theorie umstritten ist, ist sie aus der Politikwissenschaft nicht mehr wegzudenken. Bekannte Vertreter der Rational Choice Theorie sind unter anderen Thomas Hobbes, John Stuart Mill, Adam Smith, Mancur Olson, Robert Axelrod, James S. Coleman, George Tsebelis, Kenneth Arrow und Anthony Downs. Die Grundannahmen der Rational Choice Theorie sollen im Folgenden genauer beleuchtet werden.
2.1.1. Die Rationalität des Individuums
Die wohl wichtigste Grundannahme der Rational Choice Theorie ist, wie der Name schon sagt, die Annahme, Individuen würden rational handeln. Die Entscheidungen der Akteure müssen in irgendeiner Form nachvollziehbar sein und wenigstens eine subjektive Rationalität angenommen werden, um aus dem individuellen Handeln entstehendes kollektives Handeln annähernd erklären zu können (vergleiche Esser in Jaeger 2004). Andreas Diekmann definiert Rationalität als „Handeln in Übereinstimmung mit den Annahmen (Axiomen) einer Entscheidungstheorie“ (Diekmann / Voss 2004: 13), er weist jedoch auch darauf hin, dass es unterschiedliche Entscheidungstheorien und dementsprechend mehrere Rationalitätsbestimmungen gibt. Die starke Vereinfachung durch diese Rationalitätsannahme wird von Rational Choice Theoretikern nicht bestritten, es wird jedoch darauf verwiesen, dass irgendeine Vereinfachung nötig ist, um Entscheidungen oder Handeln voraussagen zu können, denn „Entscheidungen, die willkürlich getroffen werden oder miteinander in keinerlei Beziehung stehen, bilden keine erfassbare Ordnung“ (Downs 1968: 4).
Entscheidend für das rationale Handeln eines Akteurs sind seine individuellen Präferenzen. Zu den Grundannahmen der Rational Choice Theorie gehört also, dass das Individuum Präferenzen aufweist und diese in eine transitive Reihenfolge für alle möglichen Handlungsfolgen bringen kann. Problematisch ist lediglich, dass Präferenzen nicht von außen beobachtbar sind und so die Möglichkeit besteht, die Präferenzen ad hoc nach der Entscheidung zu konstruieren und so jede Falsifizierung unmöglich zu machen (vergleiche Braun in Pies / Leschke 1998). Die berühmte Frage von Anthony Downs scheint also berechtigt: „Wie können wir zwischen den Irrtümern rationaler und dem normalen Verhalten irrationaler Menschen unterscheiden?“ (Downs 1968: 8).
Ein tautologischer Umkehrschluss ist ebenso zu vermeiden, indem postuliert wird, Entscheidungen seien rational, weil das aus der Entscheidung resultierte Ergebnis subjektiv das beste Ergebnis darstellt, ansonsten hätte sich das rational handelnde Individuum schließlich nicht dafür entschieden: „Bei der Feststellung dieser Ziele müssen wir darüber hinaus den tautologischen Schluss vermeiden, dass das Verhalten jedes Menschen stets rational sei, weil es (1) immer auf irgendein Ziel gerichtet ist und (2) die sich aus diesem Verhalten ergebenden Erträge in den Augen des betreffenden Menschen die Kosten des Verhaltens überwogen haben müssen, denn sonst hätte er sich nicht so verhalten“ (Downs 1968: 6f und vergleiche auch Vatter 1994). Das klingt zwar recht trivial, kommt dennoch nicht selten vor.
2.1.2. Die Nutzenmaximierung
Eine weitere unstrittige Grundlage der Rational Choice Theorie ist die Annahme der Maximierung des individuellen Nutzens. Wie genau sich dieser individuelle Nutzen allerdings definiert und wie er gemessen werden soll oder ob er überhaupt gemessen werden kann, unterscheidet sich stark zwischen den Theoretikern oder wird gänzlich ausgeklammert. In der Spieltheorie, eine Rational Choice Theorie, wird ein Akteur beispielsweise direkt vor die Entscheidung zwischen zwei Alternativen gestellt, wobei der Wert des Nutzens angegeben ist (zum Beispiel u=1 für die Alternative Eins und u=2 für die Alternative Zwei). In dieser stark vereinfachten Entscheidungstheorie ist das Ergebnis der Entscheidung schnell ersichtlich und die Herkunft des Nutzenwertes wird nicht weiter hinterfragt. Allerdings steht in der Spieltheorie eher die Frage der Kooperation zwischen zwei Akteuren im Vordergrund.
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- Citation du texte
- Katrin Kornmann (Auteur), 2005, Kultur in der Rational Choice Theorie, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/44443
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